St. Petersburg: Venedig des Nordens
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St. Petersburg: Venedig des Nordens
Reiche Auswahl an Obst und Gemüse am Kusnetschnyj Markt Einst prachtvolle Hauptstadt Russlands, begann mit dem Ende des Zarenreichs auch der Niedergang St. Petersburgs. Erst für ihr 300-Jahr-Jubiläum 2003 wurde die Stadt wieder herausgeputzt und lockt heute mit ihren Sehenswürdigkeiten Touristen aus nah und fern an. Blick über die Newa zur Admiralität (mit goldener Spitze) und zur Isaakskathedrale Fotos: Brigitte Veinfurter, Br. Heinz Helf SVD, allOver, waldhaeusl.com, Erich Höfling Venedig des Nordens Exklusive Feinkost im Jelissejew am Nevskij Prospekt (oben) Rechts: Panzerkreuzer Aurora leich als Erstes besuchen wir die wohl bekannteste Sehenswürdigkeit der Stadt: das Winterpalais der Zaren – ein gigantisches in grün gehaltenes Gebäude mit weißen Säulen und goldenen Verzierungen. Der heute erhaltene Bau stammt aus dem 19. Jahrhundert und gilt als eines der Prunkwerke des russischen Barock. Katharina die Große begann hier Kunstwerke zu sammeln und schuf damit die Grundlage für das Museum Eremitage – heute eine der größten Kunstsammlungen der Welt: In mehr als 1500 Räumen sind über 60.000 Exponate ausgestellt. Wir müssen uns aber erst einmal an der Kassa anstellen und bemerken dabei mit Verwunderung, dass hier, wie in allen Museen der Stadt, Touristen wesentlich mehr zahlen als Einheimische! Als wir endlich die Karten haben, G Beliebtes Souvenir: Matrjoschkas in verschiedensten Designs müssen wir noch unsere Handtaschen abgeben und eine Sicherheitskontrolle wie am Flughafen passieren, um endlich zu den Kunstwerken vorgelassen zu werden. Nur einen Bruchteil der ausgestellten Kunstwerke können wir ansehen, dann verlassen uns die Kräfte. Auf einer Bank im Hof ruhen wir uns aus. Da nähert sich eine Katze – das muss eine der 70 Eremitage-Katzen sein. Vor 250 Jahren wurden sie von Zarin Elisabeth gegen die Mäuse- und Rattenplage im Winterpalais angesiedelt. Später hielten sie Nager von den in den Kellern gelagerten Kunstwerken fern. Heute befinden sich die Kunstwerke in Depots und allein die Anwesenheit so vieler Katzen hält Ratten und Mäuse fern. Trotzdem werden die Katzen weiter ganz offiziell geduldet und vom Wachpersonal versorgt. Den Heimweg treten wir über den Newskij Prospekt an. Hier, auf der Prachtstraße St. Petersburgs, sind die sozialen Gegensätze der Stadt am augenscheinlichsten: Auf der einen Seite Geschäftsauslagen mit teuren Luxusartikeln und Supermärkte mit ST. PETERSBURG Wie von ihrem Gründer Zar Peter dem Großen gewünscht, wurde St. Petersburg für das bis dahin isolierte Zarenreich „Tor zum Westen“. Von 1712 bis 1917 war die Stadt Hauptstadt Russlands. Heute ist St. Petersburg mit 4,7 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Landes und die am nördlichsten gelegene Millionenstadt der Welt. Sie beherbergt den wichtigsten Ostseehafen Russlands, ist aber auch Kultur- und Bildungszentrum und beliebtes Touristen-Ziel. ▲ St.Petersburg ST. PETERSBURG Im Winterpalais (oben) lebten die Zaren, in der Peter-und-Paul-Kathedrale (oben rechts) liegen die meisten begraben. M A I 2 0 0 7 SG 5 St.Petersburg Im Dienst der einen Welt ARME, REICHE STADT Einer der vielen Straßenmaler (oben). Rechts: das prächtige Schloss Peterhof ST. PETERSBURG Die „russischste“ Kirche der Stadt: die Auferstehungskirche A 6 SG M A I 2 0 0 7 gebildet, sodass wir unsere Besichtigung auf den Park beschränken. Am Nachmittag begeben wir uns zu den Wurzeln der Stadt, in die Peter-und-Paul-Festung. Die Grundsteinlegung für die Festung am 16. Mai 1703 durch Peter den Großen gilt als Gründungsdatum der Stadt. Ihre eigentliche Aufgabe, die Abwehr der feindlichen Schweden, musste die Festung allerdings nie erfüllen, da diese schon bald militärisch geschlagen wurden. Ab 1720 war hier ein berüchtigtes Gefängnis untergebracht. Seit 1924 ist der größte Teil Museum. In der am Gelände gelegenen Kathedrale wurden seit dem 18. Jahrhundert die meisten Zaren begraben. Von der Festung aus kann man auch die Newa überblicken. Dem Fluss mit seinen Nebenarmen und Kanälen verdankt die Stadt ihren Beinamen „Venedig des Nordens“. Ausflugsschiffe, Fischerboote und Segler tummeln sich hier. Größere Schiffe dürfen nur nachts durch die Stadt fahren – für sie werden sogar die Brücken aufgeklappt. Zehn Geh-Minuten von der Festung entfernt liegt der Panzerkreuzer Aurora, der mit seinem Schuss am 25. Oktober 1917 das Signal für den Sturm der Bolschewiki auf das Winterpalais und damit für den Beginn der Oktoberrevolution gab. Das Abendessen nehmen wir in einem russischen Lokal ein. Zum Glück gibt es hier, wie in allen Lokalen im Zentrum, auch englische Speisekarten. Die Palette der Restaurants ist vielfältig: kaukasische und mongolische Lokale gibt es ebenso wie italienische und türkische sowie viele SushiLokale, aber auch Mac Donalds. Wie stark sich Russland dem internationalen Markt geöffnet hat, zeigen auch die Werbeflächen. Unzählige internationale Großkonzerne – von Ikea bis Coca Cola – sind vertreten, aber auch österreichische Firmen wie z. B. Raiffeisen. ■ in Viertel etwas außerhalb des Zentrums ist unser Ziel am nächsten Tag. Hier zeigt sich das weniger schöne Gesicht der Stadt: Die Fassaden der Häuser sind schäbig, die Straßenbeläge voller Unebenheiten, am Straßenrand stehen Frauen, die Blumensträuße verkaufen, um sich ihre Rente aufzubessern. Sehenswert ist aber die kleine Markthalle Kusnetschnyj Rynod mit ihrem überwältigend vielfältigen Obst- und Gemüseangebot. E Die U-Bahn bringt uns zurück ins Zentrum – zur Admiralität, ursprünglich eine 1704 von Peter dem Großen errichtete Werft. Später war hier die Kriegsmarine untergebracht, heute die Marine-Hochschule. Markant ist der hohe Turm mit seiner vergoldeten Nadel an der Spitze, die von einem Schiff gekrönt wird. Nicht weit entfernt liegt die Insel Neu-Holland: In den Backstein-Gebäuden wurde einst das Holz für die Admiralitätswerft gelagert – eine Methode, die aus Holland kam – daher der Name! Heute ist der Zutritt verboten, die Gebäude stehen leer, dazwischen wuchert saftiges Grün. ■ m letzten Tag unseres Aufenthalts schauen wir noch rasch zum berühmten MariinskijTheater, für die Sehenswürdigkeiten etwas außerhalb wie das Katharinen-Schloss mit dem Bernsteinzimmer oder das Alexander-Nevskij-Kloster fehlt uns die Zeit … Ein Grund mehr wieder einmal in die Stadt zu kommen! Brigitte Veinfurter A BUCHTIPP Max Galli & Ernst-Otto Luthardt: REISE DURCH ST. PETERSBURG. Stürtz-Verlag, 128 Seiten, E 17,50 Auf über 180 Fotos gibt der Bildband Einblicke in die schönen Seiten St. Petersburgs. In der Suppenküche bekommen Bedürftige kostenloses Essen. ankt Petersburg boomt. Neue Gebäude schießen aus dem Boden, Straßen werden neu gepflastert, Häuser frisch verputzt. Besonders am Newski-Prospekt reihen sich Luxushotels, exklusive Geschäfte, Kaufhäuser, Passagen und vornehme Restaurants aneinander. BMWs und Rolls-Royce schieben sich durch den Straßenverkehr. Aber es gibt auch ein anderes Gesicht der Stadt, das Pater Richard Stark gut kennt. „Wer mit offenen Augen durch die Straßen geht, kann viel Armut entdecken“, sagt der Steyler Missionar, der seit acht Jahren hier lebt. An Straßenecken stehen alte Frauen, S die Blumen oder Gemüse aus ihrem Garten anbieten, um sich ein paar Rubel zur kargen Rente dazuzuverdienen. „Für den Normalverbraucher sind die Mieten in utopische Höhen gestiegen“, weiß der 68-jährige Missionar. Ein Durchschnittseinkommen liegt bei umgerechnet rund 350 Euro monatlich, eine moderne Ein-Zimmerwohnung kostet 400 Euro im Monat! Da bleibt vielen Menschen nichts anderes übrig als auf Kommunalwohnungen zurückzugreifen: Das sind Wohnungen mit vielen Zimmern, einem Bad und einer Küche. In jedem Zimmer wohnt eine Familie, Bad und Küche werden gemeinsam genutzt. ▲ umfangreichem Warenangebot und gleich davor Straßenmaler, Straßenhändler und Bettler, auf der Straße schäbige Kleinwagen neben protzigen Luxuslimousinen. Am Nevskij Prospekt steht auch eine der imposantesten Kirchen der Stadt: die Kasaner Kathedrale. Diese russisch-orthodoxe Kirche wurde nach dem Vorbild des Petersdoms errichtet. Sie beherbergte von 1932 bis 1990 das Museum für die Geschichte der Religion und des Atheismus, heute das Museum für Religionsgeschichte. Ein Seitenflügel darf für Gottesdienste benutzt werden. Inzwischen ist es 22 Uhr geworden, aber immer noch nicht dunkel – Anfang Juni sind hier die Weißen Nächte: Weil St. Petersburg so weit nördlich liegt, geht die Sonne erst nach 22 Uhr unter und schon wenigen Stunden später wieder auf. ■ m nächsten Tag besichtigen wir Schloss Peterhof. Inmitten eines schönen Parks mit vielen alten Bäumen liegt die für Zar Peter errichtete Sommerresidenz. Besonders beeindruckend sind die kaskadenartigen Wasserfälle vor dem Schloss mit vielen goldenen Figuren. Allerdings hat diese Sehenswürdigkeit außer uns noch tausende Besucher angelockt: russische Matrosen ebenso wie japanische Touristen. Vor dem Eingang zum Schloss hat sich eine lange Menschenschlange ST. PETERSBURG hat zwei Gesichter: auf der einen Seite die herausgeputzten Sehenswürdigkeiten, auf der anderen schäbige Fassaden und verfallende Häuser. Den wenigen reichen Einwohnern stehen unzählige arme gegenüber. Der Steyler Missionar Richard Stark möchte dort, wo Elend herrscht, neue Hoffnung säen. 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