Dienstpflichten und disziplinarrechtliche Verantwortung des

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Dienstpflichten und disziplinarrechtliche Verantwortung des
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Dienstpflichten und disziplinarrechtliche Verantwortung
des Beamten bei Submissionskartellen
Für die Teilnahme an Submissionskartellen können die rechtswidrig handelnden Unternehmen
und deren Mitarbeiter nach unterschiedlichen Normen, zum Teil auch nach jenen des Strafgesetzbuches, zur Verantwortung gezogen werden. Eine Seite des Ausschreibungsverfahrens ist
damit abgedeckt. Was ist aber mit den ausschreibenden Stellen und deren Mitarbeitern, den
Beamten? Sind letztere in seltenen Fällen eventuell (in-)direkt involviert, haben Kenntnis von
den Bieter-Absprachen oder hätten diese zumindest erkennen müssen, waren zB die gelegten
Anbote zu offensichtlich über den Marktpreisen und wurde dennoch der Zuschlag erteilt,
verletzten sie also ihre Dienstpflichten, greift unter Umständen die disziplinarrechtliche Verantwortung des Beamten.
Vergabeverfahren; Submissionskartell; Disziplinarrecht; Beamter; Ausschreibung; Auftraggeber; Submittenten; Disziplinarverfahren; Disziplinarerkenntnis; Disziplinarstrafen; Disziplinarbehörden; Disziplinar­
senat; Disziplinaranwalt; Dienstpflichten; Dienstpflichtverletzungen;
Disziplinarkommission; Disziplinaroberkommission; Berufungskommission; Dienstvorgesetzter; Dienstbehörde; Selbstanzeige; Suspendierung; disziplinärer Überhang; subsidiär; Subsidiarität; Doppelbestrafung; Strafverfahren; Strafrecht; Wirtschaftsstrafrecht; Betrug; Amtsgeheimnis; Amtsmissbrauch; Amtsdelikte; Verbandsverantwortlichkeit;
Vorsatz; Fahrlässigkeit; Wettbewerbsbeschränkung; Bieterabsprachen;
Kollusion; kollusive; Preis; Mißbrauch; Bundeswettbewerbsbehörde;
Bundesvergabeamt; BWB; BVA
Art 101 AEUV; Art 102 AEUV; § 1 KartG; § 5 KartG; § 29 KartG;
§ 1 UWG; § 1311 ABGB; § 21 BVergG; § 78 StPO; § 168b StGB;
§ 302 StGB; § 303 StGB; § 304 StGB; § 310 StGB; § 311 StGB; § 312
StGB; § 313 StGB; § 41a BDG; § 41d BDG; § 43 BDG; §§ 43a–47
BDG; §§ 47a–51 BDG; § 54 BDG; § 91 BDG; § 92 BDG; § 93 BDG;
§ 94 BDG; § 95 BDG; § 96 BDG; § 97 BDG; § 98 BDG; § 99 BDG;
§ 102 BDG; § 103 BDG; § 106 BDG; § 109 BDG; § 110 BDG; § 111
BDG; § 112 BDG; § 115 BDG; § 118 BDG; § 123 BDG; § 124 BDG;
§ 126 BDG; § 131 BDG; § 132 BDG; § 278 BDG
Von Eduard Paulus*
I. Submissionskartelle
Kartelle sind verbotene Absprachen zwischen Unternehmen, zumeist über den Ankaufs-/Verkaufspreis oder
über die Absatzgebiete, die den Wettbewerb untereinander beschränken (sollen). Demgemäß normiert auch § 1
Abs 1 KartG 2005: „Verboten sind alle Vereinbarungen
zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder
Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle).“ Auf Anordnung des Abs 3 leg cit gilt
zudem: „Die nach Abs 1 verbotenen Vereinbarungen
und Beschlüsse sind nichtig.“
Ähnlich die Regelung auf Europäischer Ebene nach Art
101 AEUV: „Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und
verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und
aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den
Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder
Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, (…). Weiters positiviert Abs 2 leg cit: „Die nach diesem Artikel verbotenen
Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig.“
Submissionskartelle sind eine besondere Variante des
Preiskartells, hier sprechen sich Wettbewerber im Zuge
eines (öffentlichen) Ausschreibungsverfahrens1 mit dem
Ziel ab, den Zuschlag zu steuern, dh wer von den am
Kartell beteiligten Unternehmen in der konkreten Ausschreibung das Projekt bekommen soll, und eventuell zu
welchem Preis (über dem Marktpreis).2 Hiezu muss nur
im Vorhinein zwischen den kartellierenden Submittenten vereinbart werden, wer ein Anbot legt und zu welchem Preis. Am einfachsten ist dies, wenn sich alle relevanten Markteilnehmer, die die ausgeschriebene Leistung anbieten können, am Submissionskartell beteiligen
und die Märkte hochkonzentriert sind.
II. Rechtsfolgen für kartellierende Unternehmen
und deren Mitarbeiter
2.1 Kartellierende Unternehmen
Die sich an kartellrechtswidrigen Absprachen (auch im
Zuge von Submissionen) beteiligenden Unternehmen
1
2
*Langjähriger Mitarbeiter der Bundeswettbewerbsbehörde; derzeit
Dienstzuteilung zum VwGH. Die in diesem Beitrag geäußerten
Ansichten sind die des Autors und nicht notwendigerweise jene
einer Behörde.
Zur Anzahl der behördlich überprüften Vergabeverfahren vgl Kro­
negger/Sachs, Vergaberechtsschutz in Österreich, ZVB 2010/5, 16.
Zur Abgrenzung zw Kartell- u Vergaberecht vgl Thanner, Kartellu Vergaberecht – Abgrenzungsfragen, in Gruber/Gruber/Sachs,
Vergaberecht – Jahrbuch 2009, nwV (2009), S 177 ff. Zum unterschiedlichen Verfahren vor BWB u BVA vgl insb Sachs/Thanner,
Verfahren vor Sonderbehörden, Manz 2006.
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haben unterschiedliche Folgen ihres Handelns zu gegenwärtigen: Zum einen sind die den Verstoß beinhaltenden Verträge entsprechend der zuvor zitierten Normen
nichtig, und zwar ex tunc. Die Nichtigkeitssanktion bezieht sich allerdings „nach der Rechtsprechung des
EuGH nicht automatisch auf die gesamte Vereinbarung,
sondern nur auf den wettbewerbs-beschränkenden Teil.
Wenn sich aber der wettbewerbswidrige Bestandteil
vom restlichen Vertrag nicht trennen lässt, tritt Gesamtnichtigkeit ein“ (vgl die rezente Rsp, OGH 13.03.2012,
10 Ob 10/12 m sowie dazu Gruber, Rsp-Übersicht im
vorliegenden Heft3).
Zum anderen können über kartellierende Unternehmen
bei Verletzung nationaler oder europäischer Wettbewerbsvorschriften gemäß § 29 KartG Geldbußen bis zu
einem Höchstbetrag von 10% des von ihnen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes verhängt werden.
Weiters soll das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz hier
nicht unerwähnt bleiben.
Schließlich ziehen Kartellrechtsverstöße unter Umständen Unterlassungs- sowie Schadenersatzansprüche nach
sich. Erstere können – auch bei Verstoß gegen die europäischen Wettbewerbsregeln4 – auf § 1 UWG5 gestützt
werden. Bei Erhebung einer Schadenersatzklage dürfen
sich die Kläger in Österreich andererseits direkt auf Art
101 u Art 102 AEUV bzw § 1 u § 5 KartG berufen, weil
jene nach hA Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB mit der
Rechtsfolge der Beweislastumkehr sind. Im Übrigen ist
zu etwaigen Schadenersatzansprüchen auf das derzeitige Projekt der Europäischen Kommission, Europaweite
Sammelklagen bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht einzuführen, sowie das zugehörige Weißbuch6 hinzuweisen.
2.2 „Kartellierende“ Mitarbeiter
Mitarbeiter, die an einem Submissionskartell mitwirken,
unterliegen grundsätzlich dem Tatbestand des § 168b
StGB7. Nach dessen Abs 1 ist mit Freiheitsstrafe bis zu
drei Jahren zu bestrafen, wer bei einem Vergabeverfah-
3 Vgl weiters Gruber, Kartellrecht (2008), § 1 KartG 2005, S 37 ff.
4 Vgl dazu insb Schröter, in Schröter/Jakob/Mederer, Kommentar
zum europäischen Wettbewerbsrecht, Art 81 Abs 3 Rn 273 f.
5 Vgl zu § 1 UWG insb Heidinger in Wiebe/G. Kodek, Kommentar
zum UWG (2009) § 1 Rz 1 ff.
6 Vgl dazu insb Paulus, Das Weißbuch der Europäischen Kommis­
sion, Teil I: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts (Private Enforcement), OZK 2008, 43; weiters Paulus, Das Weißbuch der Europäischen Kommission, Teil II: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts
(Private Enforcement), OZK 2008, 83; sowie schließlich Paulus,
Das Weißbuch der Europäischen Kommission, Teil III: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts (Sammelklagen), OZK 2008, 123.
7 Zur Subsidiarität des § 168b StGB gg § 146 StGB (Betrug) vgl
Fabrizy, StGB, 9. Aufl, § 168b Rz 3.
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ren einen Teilnahmeantrag stellt, ein Angebot legt oder
Verhandlungen führt, die auf einer rechtswidrigen Absprache beruhen, die darauf abzielt, den Auftraggeber
zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen. Nach dessen Abs 2 ist allerdings nicht zu bestrafen,
wer freiwillig verhindert, dass der Auftraggeber das Angebot annimmt oder dieser seine Leistung erbringt. Falls
ohne Zutun des Täters das Angebot nicht angenommen
oder die Leistung des Auftraggebers nicht erbracht wird,
bleibt ebenso straflos, wer sich freiwillig und ernsthaft
bemüht hat, die Annahme des Angebots oder das Erbringen der Leistung zu verhindern.
Bei grenzüberschreitenden Ausschreibungen (Kartellen)
darf jedenfalls auch die Möglichkeit der Auslieferung an
einen anderen Staat zur strafgerichtlichen Verfolgung
nicht unbeachtet bleiben.
Arbeitsrechtlich drohen dem kartellierenden Mitarbeiter die Entlassung und der Verfall etwaiger Abfindungsansprüche sowie zivilrechtlich Schadenersatzansprüche
bzw Regressansprüche, insbesondere durch seinen Arbeitgeber als (ebenfalls) geschädigtes Unternehmen8.
III. Dienstpflichten und disziplinarrechtliche
Verantwortung des Beamten
Der Rechtsträger, dem die ausschreibende Stelle organisatorisch zugeordnet ist, haftet – auf Grundlage des
Amtshaftungsgesetzes – nach den Bestimmungen des
bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder
an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben
sowie die Organe selbst diesem Rechtsträger bei Erfüllung der Voraussetzungen des Organhaftpflichtgesetzes.
Schwerpunkt des vorliegenden Aufsatzes ist allerdings
die disziplinarrechtliche Verantwortung des handelnden
Beamten. Deren Grundlagen werden nachstehend erläutert, um darauf aufbauend die Haftungsfragen zu erörtern:
Gemäß § 91 BDG ist der Beamte, der schuldhaft seine
Dienstpflichten verletzt, zur Verantwortung zu ziehen.
Mit dieser Formulierung werden nicht alle „Deliktselemente“, wie aus dem gerichtlichen oder verwaltungsstrafrechtlichen Verfahren bekannt, gesetzlich definiert.
Die Rsp des VwGH9, der Meinung von Kucsko-Stadl-
8 Vgl dazu EuGH vom 20.9.2001, Rs C-453/99, Courage vs Crehan;
siehe dazu auch Bespr von Paulus, Das Weißbuch der Europäischen Kommission, Teil I: Schadenersatzklagen wegen Verletzung
des EG-Wettbewerbsrechts (Private Enforcement), OZK 2008, 43
sowie Paulus, Das Weißbuch der Europäischen Kommission, Teil II:
Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts
(Private Enforcement), OZK 2008, 83.
9 Vgl VwGH vom 8.8.2008, Zl 2006/09/0131.
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mayer10 folgend, sieht allerdings auch im Disziplinarrecht die Grundzüge des strafrechtlichen Deliktsbegriffes nach dem StGB anwendbar und führt dazu Nachstehendes aus:
„Mangels erkennbarer Abweichung knüpft das BDG
1979 bei den von ihm nicht definierten Deliktselementen (tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes menschliches Verhalten) am Begriffsverständnis des
Allgemeinen Teils des StGB an (…). Unter Schuld ist
dabei die „Vorwerfbarkeit der Tat mit Rücksicht auf die
darin liegende zu missbilligende Gesinnung des Täters“
zu verstehen, die drei Komponenten umfasst: a) das biologische Schuldelement, d.h. der Täter muss voll zurechnungsfähig sein; b) das psychologische Schuldelement,
d.h. der Täter muss vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben und c) das normative Schuldelement, d.h.
dem Täter muss zugemutet werden können, dass er sich
rechtmäßig verhält (…). Diese angeführten Elemente
sind Voraussetzung für eine disziplinäre Strafbarkeit eines Verhaltens; fehlt auch nur eines dieser Elemente, so
darf eine Strafe nicht verhängt werden. Liegt etwa ein
(sachlicher oder persönlicher) Strafausschließungsgrund
vor, hat die Tat bzw. der Täter straflos zu bleiben (…).“
Bestraft wird sohin im Beamten-Disziplinarrecht ein
tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes
menschliches Verhalten. Der Begriff „menschliches Verhalten“ ist selbsterklärend, das „schuldhafte Verhalten“
erschließt sich aus obigem Satz für die Zwecke des vorliegenden Aufsatzes zur Genüge und soll hier nicht weiter vertieft werden11. Daher ist nachstehend auf das tatbestandsmäßige und rechtswidrige Verhalten näher einzugehen:
3.1 Dienstpflichten des Beamten (Tatbestände)
Die §§ 43 bis 61 BDG regeln die grundsätzlichen12
Dienstpflichten des Beamten, wobei § 43 Abs 1 u Abs 2
leg cit die allgemeinen, subsidiären Dienstpflichten normieren, die nachfolgenden §§ 44 bis 61 BDG hingegen
die besonderen umschreiben. Nach Rsp des VwGH besteht zwischen den allgemeinen (subsidiären) und den
besonderen Dienstpflichten eine Idealkonkurrenz.13
10 Vgl dazu Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten,
4. Aufl, S 27 ff.
11 Zur ausführlichen Definition der Schuld im Disziplinarrecht siehe
Kucsko-Stadlmayer aaO, S 37 ff.
12 Weitere Dienstpflichten sind zB § 107 Abs 5, § 109 sowie § 128
BDG; vgl dazu auch Kucsko-Stadlmayer aaO, S 30.
13 Zur Subsidiarität der allgemeinen Dienstpflichten siehe Pleyer/
Loibl-van Husen/Horvat/Ritter, Beamtendienstrechtsgesetz, Kommentar, Linde, S 79 f; vgl auch Kucsko-Stadlmayer aaO, S 103 f.
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a) Allgemeine Dienstpflichten
§ 43 BDG lautet: (1) Der Beamte ist nach § 43 BDG
verpflichtet, seine dienstlichen Aufgaben14 unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung15 treu, gewissenhaft,
engagiert und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung
stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen.
(2) Er hat in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht
zu nehmen, daß das Vertrauen der Allgemeinheit in die
sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben
erhalten bleibt.
(3) Der Beamte hat die Parteien, soweit es mit den Interessen des Dienstes und dem Gebot der Unparteilichkeit
der Amtsführung vereinbar ist, im Rahmen seiner dienstlichen Aufgaben zu unterstützen und zu informieren.
b) Besondere Dienstpflichten
Hierzu zählt insb nach dem ersten Unterabschnitt des
Abschnittes 5 des BDG (§§ 43a bis 47 leg cit) die Pflicht
• zum achtungsvollen Umgang (Mobbingverbot) der
Staatsdiener untereinander (§ 43a BDG),
• zur Unterstützung und Beachtung der Weisungen
des Vorgesetzten (§ 44 BDG),
• zur Wahrnehmung der Dienst- und Fachaufsicht
durch den Vorgesetzten (§ 45 BDG),
• zum Führen von Mitarbeitergesprächen und Teamarbeitsbesprechungen (§ 45a u § 45b BDG),
• zur Beachtung der Amtsverschwiegenheit (§ 46 BDG),
• zur Beachtung der Befangenheit (§ 47 BDG).
Der zweite Unterabschnitt (§§ 47a bis 51 BDG) regelt
zum größten Teil in Umsetzung der Arbeitszeit-Richtlinie
die Dienstzeit der Beamten16 und ist hier nicht einschlägig.
Der dritte Unterabschnitt beinhaltet die sonstigen Dienstpflichten. Zu diesen zählt die Pflicht zur
• ärztlichen Untersuchung (§ 52 BDG)
• Einhaltung der Meldepflichten (§ 53 BDG)
• Einhaltung des Dienstweges (§ 54 BDG)
• Wahl eines geeigneten Wohnsitzes (§ 55 BDG)
• Meldung von Nebenbeschäftigungen (§ 56 BDG)
• Erstellung von Gutachten nur bei Genehmigung der
Dienstbehörde (§ 57 BDG)
• Aus- und Fortbildung (§ 58 BDG)
• Beachtung des Verbotes der Geschenkannahme
(§ 59 BDG)
• Verwendung von Dienstkleidung, Dienstausweis u
sonstigen Sachbehelfen (§ 60 BDG)
• Einhaltung der Ruhestandspflichten (§ 61 BDG)
14 Vgl § 36 BDG.
15 Beachte insb den 22. Abschnitt des StGB; siehe dazu auch Pleyer/
Loibl-van Husen/Horvat/Ritter aaO, S 80.
16 Vgl Richtlinie 2003/88/EG vom 4.11.2003; siehe dazu Pleyer/
Loibl-van Husen/Horvat/Ritter aaO, S 89 f.
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3.2 Rechtswidrigkeit17
3.5 Disziplinarstrafen
Tatbestandmäßiges Handeln indiziert seine Rechtswidrigkeit, im Ausnahmefall können jedoch Rechtfertigungsgründe greifen:18
Notwehr iSd Strafrechtsdogmatik kann nur einen Eingriff in Rechtsgüter des Angreifers rechtfertigen, ist sohin niemals ein Rechtfertigungsgrund im Disziplinarrecht, Notstand hingegen als Rechtfertigungsgrund, in
fremde Güter einzugreifen, um ein höherwertigeres Gut
zu schützen, schon, wobei als höherwertiges Gut nur
„persönliche Rechtsgüter“ wie Leben, Gesundheit und
körperliche Unversehrtheit in Betracht kommen, was
auch der VwGH19 so sieht.20 Eine Einwilligung des Verletzten kommt im Disziplinarrecht ebenso wenig wie
die Notwehr in Betracht, ist das dienstliche Interesse
doch als öffentliches Interesse und Rechtsgut der Allgemeinheit keinesfalls verzichtbar.
Nach § 92 Abs 1 BDG sind Disziplinarstrafen24
1. der Verweis,
2. die Geldbuße bis zur Höhe eines halben Monatsbezuges,
3. die Geldstrafe in der Höhe von einem Monatsbezug
bis zu fünf Monatsbezügen,
4. die Entlassung.
(Abs 2 leg cit regelt die Berechnung des Monatsbezuges.)
3.6 Disziplinarbehörden
Ein tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Verhalten
kann dennoch unbestraft bleiben, so ua aus mangelnder
Strafwürdigkeit, auf Grund des Doppelbestrafungsverbots sowie wegen Vorliegens der Strafaufhebungsgründe der Verfolgungs- oder Strafbarkeitsverjährung (siehe
dazu im Detail unten: „Gang des Disziplinarverfahrens“).
Die organisatorischen Bestimmungen zum Disziplinarrecht des BDG finden sich in den §§ 96 bis 104 ff leg cit.
Nach § 96 BDG sind Disziplinarbehörden:
• die Dienstbehörden,
• die Disziplinarkommissionen (bei jeder obersten Dienstbehörde eine),
• die Disziplinaroberkommission (beim Bundeskanzleramt) und
• die Berufungskommission (beim Bundeskanzleramt).
Sohin wird in der taxativen Aufzählung der Vorgesetzte
nicht genannt, obwohl er nach § 109 BDG disziplinäre
Befugnisse im weitesten Sinne übertragen bekommt (siehe dazu unten). Hierbei handelt es sich allerdings um
Weisungen iSd § 45 Abs 1 BDG, sodass er vom Gesetz
nicht als Disziplinarbehörde gewürdigt wird.25
3.4 Erscheinungsformen der Dienstpflichtverletzung21
a) Disziplinarkommissionen
Im strafgerichtlichen wie im verwaltungsstrafrechtlichen Verfahren sind nicht nur der Haupttäter bzw Mittäter, sondern auch die zur Tat anstiftende oder Beihilfe
leistende Person sowie der Versuch zur Tatvollendung
strafbar. Das BDG als auch die Materialien zu diesem
enthalten keine vergleichbaren Bestimmungen. In Zusammenschau mit Art 7 EMRK („nulla poene sine
lege“) ist nach in der Lehre22 vertretener Meinung richtigerweise davon auszugehen, dass im Disziplinarstrafrecht nur der Haupt- sowie der Mittäter zur Verantwortung gezogen werden kann und bloß die Tatvollendung
strafbar ist. Allerdings wird die Anstiftung sowie die
Beihilfe zumeist selbst eine eigenständige Dienstpflichtverletzung23 sein. Dies wird unter Umständen auch für
den Versuch, insb über § 43 Abs 2 BDG, gelten.
Nach § 98 Abs 1 BDG ist bei jeder obersten Dienstbehörde26 eine Disziplinarkommission einzurichten. Als
oberste Dienstbehörde kommen im unmittelbaren Anwendungsbereich des BDG die Zentralstellen nach
§ 278 Abs 2 BDG in Betracht, also: das Bundeskanzleramt, die Bundesministerien und jene Dienststellen, die
keinem Bundesministerium nachgeordnet sind, das sind
die Präsidentschaftskanzlei, die Parlamentsdirektion,
der Rechnungshof, die Volksanwaltschaft sowie der
Verwaltungsgerichtshof und der Verfassungsgerichtshof, wobei im Verwaltungsgerichtshof die Vollversammlung das Disziplinargericht bildet27 und im Verfassungs-
3.3 Strafausschluss
17
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19
20
21
22
23
Vgl insb Kucsko-Stadlmayer aaO, S 31 ff.
Vgl dazu eingehend Kucsko-Stadlmayer aaO, S 31 ff.
Vgl VwGH vom 3.4.2008, Zl 2006/09/0002.
Vgl Kucsko-Stadlmayer aaO, S 31.
Vgl dazu näher Kucsko-Stadlmayer aaO, S 75 ff.
Vgl dazu Kucsko-Stadlmayer aaO, S 76 f.
Vgl § 43 BDG.
24 Zu Disziplinarstrafen in Zusammenhang mit beleidigenden Gerichtsschriftsätzen siehe Paulus, Verfassungskonforme Verhängung einer Disziplinarstrafe wegen beleidigender und verunglimpfender Formulierungen in einer Berufungsschrift, ÖZK 2012, 41.
25 Vgl dazu Kucsko-Stadlmayer aaO, S 392.
26 Zu den Dienstbehörden siehe § 2 DVG sowie zur Systematik desselben und insb zur Frage nach den Dienstbehörden der Organe
des Kartellrechtsvollzuges, auch nach dem RStDG, vgl Paulus,
Entbindung von der Amtsverschwiegenheit vor einem Schiedsgericht?, ÖZK 2012, 18.
27 Vgl § 7 Abs 2 VwGG.
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gerichtshof der Gerichtshofs selbst hiefür zuständig
ist28.29
Die Mitglieder der Disziplinarkommissionen sind gemäß § 98 Abs 3 BDG auf die Dauer von fünf Jahren zu
bestellen, wobei nach Abs 2 leg cit nur der Vorsitzende
und seine Stellvertreter, nicht aber die anderen Mitglieder bzw der Schriftführer, rechtskundig sein müssen.
b) Disziplinaroberkommission
Beim Bundeskanzleramt ist gemäß § 99 BDG die Disziplinaroberkommission eingerichtet. Sie besteht aus dem
Vorsitzenden, den erforderlichen Stellvertretern und
weiteren Mitgliedern, die für die Dauer von fünf Jahren
zu bestellen sind und – alle, auch der Schriftführer –
rechtskundig sein müssen.30
Den bei jeder obersten Dienstbehörde eingerichteten
Disziplinarkommissionen steht somit nur eine einzige
Disziplinaroberkommission gegenüber.
c) Entscheidungsfindung in Disziplinarsenaten
Nach § 101 Abs 1 BDG haben die Disziplinarkommissionen und die Disziplinaroberkommission in „Dreiersenaten“ (Vorsitzender oder Stellvertreter als Senatsvorsitzender und zwei weitere Mitglieder) zu entscheiden,
wobei jedes Kommissionsmitglied mehreren Senaten
angehören darf.
Nach § 102 BDG hat der Senat mit Stimmenmehrheit
zu entscheiden. Die Disziplinarstrafe der Entlassung
darf im Verfahren vor der Disziplinarkommission nur
einstimmig verhängt werden. Eine Stimmenthaltung ist
unzulässig. Der Vorsitzende hat seine Stimme zuletzt abzugeben.
Die Mitglieder der Disziplinarkommissionen und der
Disziplinaroberkommission sind entsprechend § 102
Abs 2 BDG in Ausübung dieses Amtes selbständig und
unabhängig.31
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kundige Bundesbeamte sein, die je zur Hälfte Vertreter
des Dienstgebers und der Dienstnehmer sind. Die Mitglieder der Berufungskommission sind gemäß § 41d
Abs 2 BDG in Ausübung dieses Amtes selbständig und
unabhängig.
Die Berufungskommission hat in Senaten zu entscheiden. Die Senate haben aus dem Vorsitzenden oder einem
seiner Stellvertreter als Senatsvorsitzendem und je einem
Vertreter des Dienstgebers und der Dienstnehmer als
weiteren Mitgliedern zu bestehen. Jedes Kommissionsmitglied darf mehreren Senaten angehören.32
Der Senat ist beschlussfähig, wenn alle Senatsmitglieder
anwesend sind. Der Senat hat mit Stimmenmehrheit zu
entscheiden. Eine Stimmenthaltung ist unzulässig. Der
Vorsitzende hat seine Stimme zuletzt abzugeben.33
e) Disziplinaranwalt
Neben den Disziplinarbehörden gibt es die Disziplinaranwälte. Diese und die erforderliche Anzahl von Stellvertretern sind von den Leitern der Zentralstellen zur
Vertretung der dienstlichen Interessen im Disziplinarverfahren gemäß § 103 BDG zu bestellen, wobei jener
bei der Disziplinaroberkommission rechtskundig zu sein
hat.
Dem Disziplinaranwalt kommt allerdings nach VwGHRsp keine dem Staatsanwalt ähnliche Rechtsstellung als
Ankläger (kein Anklagegrundsatz) zu.34 Der Disziplinaranwalt hat nämlich nach § 106 BDG „lediglich“ – neben dem Beschuldigten – Parteistellung im Disziplinarverfahren. Auch ist der Disziplinaranwalt im Gegensatz
zu den Mitgliedern der Disziplinar(ober)kommission35
nicht weisungsfrei gestellt, sondern unterliegt dem Weisungsrecht des ihn zum Disziplinaranwalt berufenden
Leiters der Zentralstelle36.
3.7 „Gang des Disziplinarverfahrens“
a) Der Dienstvorgesetzte
d) Berufungskommission
Beim Bundeskanzleramt ist nach § 41a BDG eine Berufungskommission einzurichten, die aus dem Vorsitzenden, den erforderlichen Stellvertretern und weiteren
Mitgliedern besteht. Der Vorsitzende und dessen Stellvertreter müssen Richter, die weiteren Mitglieder rechts-
28 Siehe § 10 Abs 2 VfGG.
29 Vgl dazu Kucsko-Stadlmayer, aaO, S 394; siehe auch Pleyer/Loiblvan Husen/Horvat/Ritter aaO, S 190 u S 433.
30 Vgl neben § 99 BDG auch Pleyer/Loibl-van Husen/Horvat/Ritter
aaO, S 192.
31 Vgl aber das Unterrichtungsrecht der Dienstbehörde bzw BReg
nach § 102 Abs 2 BDG.
Nach § 109 BDG hat der unmittelbar oder mittelbar zur
Führung der Dienstaufsicht berufene Vorgesetzte
(Dienstvorgesetzte) bei jedem begründeten Verdacht einer Dienstpflichtverletzung die zur vorläufigen Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Erhebungen37 zu
32 Vgl § 41c BDG.
33 Vgl § 41d BDG.
34 Vgl VwGH vom 15.12.1989, Zl 89/09/0092, sowie Kucsko-Stadlmayer aaO, S 443.
35 Vgl § 102 Abs 2 BDG.
36 Vgl zu Stellung des Disziplinaranwaltes ausführlich Kucsko-Stadlmayer aaO, S 449; siehe auch Pleyer/Loibl-van Husen/Horvat/
Ritter aaO, S 198.
37Ohne Ermittlungsverfahren und ohne Parteiengehör.
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pflegen und kann je nach festgestelltem Sachverhalt sodann drei unterschiedliche Wege beschreiten: 1.) Er
kann es bei einer Belehrung oder Ermahnung des Beamten belassen (mangelnde Strafwürdigkeit); dies ist dem
Beamten nachweislich mitzuteilen, 2.) der Dienstvorgesetzte erstattet an die Dienstbehörde Bericht oder 3.) an
dieselbe Disziplinaranzeige.
b) Die Dienstbehörde
Die Dienstbehörde hat sodann, hier gemäß § 110 BDG,
grundsätzlich ebenso drei Möglichkeiten: Die Dienstbehörde kann 1.) von einer Verfolgung absehen, wenn das
Verschulden geringfügig ist und die Folgen der Dienstpflichtverletzung unbedeutend sind (mangelnde Strafwürdigkeit) und hat auf Verlangen des Beamten diesen
hiervon formlos zu verständigen.
2.) Sie kann bei Vorliegen ua eines Geständnisses des
beschuldigten Beamten, wenn die Dienstpflichtverletzung aufgrund eindeutiger Aktenlage als erwiesen anzunehmen ist oder der beschuldigte Beamte wegen des der
Dienstpflichtverletzung zugrundeliegenden Sachverhaltes rechtskräftig durch ein Strafgericht oder durch einen
unabhängigen Verwaltungssenat bestraft wurde, schriftlich eine Disziplinarverfügung (im abgekürzten Verfahren) erlassen, oder 3.) eine Disziplinaranzeige an den
Vorsitzenden der (zuständigen) Disziplinarkommission
und an den Disziplinaranwalt weiterleiten.
Das abgekürzte Verfahren zur Erlassung einer Disziplinarverfügung iSd § 131 BDG ist der Strafverfügung des
VStG (§ 47ff leg cit) nachgebildet und ein Bescheid.38 In
der Disziplinarverfügung darf nur der Verweis ausgesprochen oder eine Geldbuße bis zur Höhe eines halben
Monatsbezuges, auf den der Beamte im Zeitpunkt der
Erlassung der Disziplinarverfügung Anspruch hat, verhängt werden. Die Disziplinarverfügung ist auch dem
Disziplinaranwalt zuzustellen. Nach § 132 BDG können der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt gegen
die Disziplinarverfügung innerhalb von zwei Wochen
nach Zustellung Einspruch erheben. Der rechtzeitige
Einspruch setzt die Disziplinarverfügung außer Kraft;
die Disziplinarkommission hat nun, wie bei der von der
Dienstbehörde an sie erstatteten Disziplinaranzeige, zu
entscheiden, ob ein (ordentliches) Disziplinarverfahren
einzuleiten ist.
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behörde) den Disziplinarsenat zur Entscheidung darüber einzuberufen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Notwendige Ermittlungen sind hiebei von
der Dienstbehörde im Auftrag des Senatsvorsitzenden
zu tätigen.
Hat die Disziplinarkommission die Durchführung eines
Disziplinarverfahrens beschlossen, so ist dieser Einleitungsbeschluss, ein Bescheid39, dem Beschuldigten, dem
Disziplinaranwalt und der Dienstbehörde zuzustellen.
Mit dem Zeitpunkt der Zustellung kommen nach § 106
BDG dem Beschuldigten und dem Disziplinaranwalt die
Stellung einer Partei – im nun eröffneten Disziplinarverfahren – zu. Im Einleitungsbeschluss sind die Anschuldigungspunkte bestimmt anzuführen und die Zusammensetzung des Senates einschließlich der Ersatzmitglieder
bekanntzugeben.
Ist die Schuld des Beschuldigten allerdings gering und
hat die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach
sich gezogen (mangelnde Strafwürdigkeit), hat die Disziplinarkommission40 nach § 118 Abs 1 Z 4 BDG das
Disziplinarverfahren mit Bescheid einzustellen, wenn
eine Bestrafung aus spezial- und generalpräventiven
Gründen nicht geboten ist. (Bei generalpräventiver Notwendigkeit einer Bestrafung käme die Verhängung eines
Schuldspruches ohne Strafe iSd § 115 BDG in Frage.)
Gegen den Beschluss, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, nicht einzuleiten oder einzustellen (§ 118), ist die
Berufung an die Berufungskommission zulässig.
Die Disziplinarkommission hat nach § 124 BDG eine
grundsätzlich öffentliche mündliche Verhandlung durch­
zuführen. Nach Schluß derselben zieht sich der Senat
zur Beratung zurück. Die Beratungen und Abstimmungen des Senates sind vertraulich. Unmittelbar nach dem
Beschluß des Senates ist das Erkenntnis samt den wesentlichen Gründen mündlich zu verkünden.
Das Disziplinarerkenntnis hat nach § 126 BDG auf
Schuldspruch oder Freispruch zu lauten und im Falle
eines Schuldspruches, sofern nicht nach § 115 BDG41
von einem Strafausspruch abgesehen wird, die Strafe
festzusetzen.
d) Disziplinaroberkommission
Gemäß § 97 BDG ist die Disziplinaroberkommission
zur Entscheidung über Berufungen gegen Erkenntnisse
der Disziplinarkommission zuständig.
c) Die (zuständige) Disziplinarkommission
Gemäß § 123 BDG hat der Senatsvorsitzende nach Einlangen der Disziplinaranzeige (genauso wie nach dem
Einspruch gegen einen Disziplinarverfügung der Dienst-
38 Vgl Pleyer/Loibl-van Husen/Horvat/Ritter aaO, S 227.
39 Vgl Pleyer/Loibl-van Husen/Horvat/Ritter aaO, S 214.
40Die EB (500 BlgNR, 14. GP, 88) zu dieser Bestimmung machen
klar, diese wendet sich nur an die Disziplinarkommission, vgl auch
Kucsko-Stadlmayer aaO, S 57, mit näheren Ausführungen.
41 Wenn ua angenommen werden kann, der Schuldspruch werde
allein genügen, den Beamten von weiteren Verfehlungen abzuhalten.
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Abhandlungen
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e) VwGH und VfGH
h) „Sonderfall“ der gerichtlich strafbaren Handlung
Der für die Disziplinaroberkommission zuständige
rechtskundige Disziplinaranwalt kann gegen Entscheidungen derselben Beschwerde an den VwGH gemäß
Art 131 Abs 2 B-VG erheben.
Nach § 54 Abs 3 Z 4 BDG kann der Beamte in Diszi­
plinarrechtsangelegenheiten Beschwerden an den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes ohne Einhaltung des Dienstweges einbringen.
Die Bescheide der Berufungskommission unterliegen gemäß § 41a Abs 5 BDG nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege. Die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes ist in diesen Angelegenheiten ausgeschlossen.
Erweckt der Verdacht einer Dienstpflichtverletzung
auch den Verdacht einer von Amts wegen zu verfolgenden gerichtlich strafbaren Handlung, so hat sich der
Dienstvorgesetzte in dieser Eigenschaft gemäß § 109
BDG jeder Erhebung zu enthalten und sofort der Dienstbehörde zu berichten. Diese hat gemäß § 78 StPO (Anzeigepflicht an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft)
vorzugehen. Dieselbe Dienstpflicht trifft den Leiter einer Dienststelle.43
Kommt die Disziplinarbehörde während des Disziplinarverfahrens zur Ansicht, dass eine von Amts wegen zu
verfolgende gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, so
hat auch sie gemäß § 78 StPO vorzugehen.
Hat sie Anzeige erstattet oder sonst Kenntnis von einem
anhängigen Strafverfahren nach der StPO oder verwaltungsbehördlichen Strafverfahren, so wird dadurch das
Disziplinarverfahren unterbrochen. Die Parteien sind
vom Eintritt der Unterbrechung zu verständigen. Ungeachtet der Unterbrechung des Disziplinarverfahrens ist
ein Beschluss, ein Disziplinarverfahren durchzuführen
(§ 123 BDG), zulässig.
Das Disziplinarverfahren ist weiterzuführen und in erster Instanz binnen sechs Monaten abzuschließen, nachdem 1.) die Mitteilung der Staatsanwaltschaft über die
Einstellung des Strafverfahrens oder über den (vorläufigen) Rücktritt von der Verfolgung, oder der Verwaltungsbehörde über das Absehen von der Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens bei der Disziplinarbehörde eingelangt ist, oder 2.) das Strafverfahren nach
der StPO oder das verwaltungsbehördliche Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen oder, wenn auch nur
vorläufig, eingestellt worden ist.
f) „Sonderfall“ Selbstanzeige
Jeder Beamte hat nach § 111 BDG das Recht, bei seiner
Dienstbehörde schriftlich die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst zu beantragen. Diese hat
wie bei der Übermittlung eines Berichtes oder einer
Disziplinaranzeige des Dienstvorgesetzten vorzugehen,
nämlich von der Verfolgung abzusehen, selbst eine Disziplinarverfügung (im abgekürzten Verfahren) zu erlassen, oder die Disziplinar(selbst)anzeige an den Vorsitzenden der Disziplinarkommission und an den Disziplinaranwalt weiterzuleiten.
Auf Verlangen des Beamten ist allerdings sein Antrag
auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen ihn
selbst unverzüglich dem Vorsitzenden der Disziplinarkommission und dem Disziplinaranwalt zu übermitteln.
g) „Sonderfall“ Suspendierung
i) Doppelbestrafung
Suspendierungen sind nicht Teil oder gar Ausfluss des
Disziplinarverfahrens, sie können eigenständig über einen Beamten verhängt werden, wobei zwischen vorläufiger Suspendierung durch die Dienstbehörde (noch kein
Disziplinarverfahren anhängig) und Suspendierungen
durch die Disziplinar(ober)kommission zu differenzieren ist.
Der „Instanzenzug“ geht bei der vorläufigen Suspendierung von der Dienstbehörde über die Disziplinarkommission an die Berufungskommission sowie bei der anlässlich eines bereits anhängigen Disziplinarverfahrens
von der Disziplinarkommission bzw Disziplinaroberkommission verhängten Suspendierung ebenso an die
Berufungskommission.42
42 Vgl insb § 112 BDG sowie § 97 BDG.
Wurde der Beamte wegen einer gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt – die Dienstbehörde ist in beiden Fällen an die
dem rechtskräftigen Spruch44 zugrunde gelegte Tatsachenfeststellung gebunden – und erschöpft sich die
Dienstpflichtverletzung in der Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes, ist gemäß § 95 Abs 1 BDG von der
disziplinären Verfolgung des Beamten abzusehen. Er-
43 Keine Pflicht zur Meldung besteht nach § 45 Abs 3 BDG, wenn
diese eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf, oder
wenn und solange hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen, die Strafbarkeit der Tat werde binnen kurzem durch schadensbereinigende Maßnahmen entfallen.
44Auch an rk Freisprüche; vgl dazu Fellner, BDG – Beamtendienstrecht, Manz, § 95 E 4a.
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Abhandlungen
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hang immer dann vorliegt, wenn die Anwendung des
§ 43 Abs 2 BDG in Betracht kommt.45
schöpft sich die Dienstpflichtverletzung jedoch nicht in
der Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes (disziplinärer Überhang), ist nach § 93 BDG eine (Disziplinar-)
Strafe additional zuzumessen.
Bei Idealkonkurrenz der gerichtlichen bzw verwaltungsbehördlichen strafbaren Handlung und der in Frage
kommenden Dienstpflichtverletzung fehlt allerdings ein
(zu bestrafender) disziplinärer Überhang. Nur bei Realkonkurrenz kann ein solcher vorliegen.45
Bei unechten Amtsdelikten (strengere Bestrafung von
Beamten bei Begehung allgemein strafbarer Vorsatzdelikte unter Ausnutzung ihrer Amtsstellung nach § 313
StGB) kommt hier als Dienstpflichtverletzung § 43
Abs 2 BDG (Verletzung des Vertrauens der Allgemeinheit) in Betracht. Bei echten Amtsdelikten wird der entsprechende „Spiegelbildtatbestand“ des BDG bereits
mitabgedeckt sein, so zB § 46 BDG durch § 310 StGB
(Verletzung des Amtsgeheimnisses), sodass hier wiederum der (subsidiäre) § 43 Abs 2 BDG heranzuziehen ist.
Damit ist bei Realkonkurrenz einer gerichtlichen bzw
verwaltungsbehördlichen strafbaren Handlung und einem echten oder unechten Amtsdelikt immer § 43 Abs 2
BDG (Verletzung des Vertrauens der Allgemeinheit) zu
prüfen, wobei nach VwGH-Rsp ein disziplinärer Über-
Der Beamte darf gemäß § 94 Abs 1 BDG wegen einer
Dienstpflichtverletzung nicht mehr bestraft werden (Verfolgungsverjährung), wenn gegen ihn nicht 1.) innerhalb
von sechs Monaten, gerechnet von dem Zeitpunkt, zu
dem der Disziplinarbehörde die Dienstpflichtverletzung
zur Kenntnis gelangt ist, oder 2.) innerhalb von drei Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt der Beendigung der
Dienstpflichtverletzung, eine Disziplinarverfügung erlassen oder ein Disziplinarverfahren vor der Disziplinarkommission eingeleitet wurde. Sind von der Dienstbehörde vor Einleitung des Disziplinarverfahrens im Auftrag der Disziplinarkommission notwendige Ermittlungen durchzuführen (§ 123 Abs 1 zweiter Satz), verlängert
sich die 6-monatige Frist um weitere 6 Monate.
§ 94 Abs 1a BDG normiert eine Strafbarkeitsverjährung
insofern, als drei Jahre nach der an den beschuldigten
Beamten erfolgten Zustellung der Entscheidung, gegen
ihn ein Disziplinarverfahren durchzuführen, eine Disziplinarstrafe nicht mehr verhängt werden darf.
45 Vgl Fellner aaO, § 95 E 2a, mwN.
46 Vgl Fellner aaO, § 95 E 3.
j) Verfolgungs- oder Strafbarkeitsverjährung
Ergebnis
Menschliches (Fehl-)Verhalten ist mannigfaltig und oft in all seinen Facetten generalisierend schwer fassbar, sowohl für den abstrahierenden Gesetzgeber als auch für den
Rechtsanwender. Fallgruppenbildung ist hilfreich, aber häufig nur kursorisch. Eine Lösung für vorliegende Untersuchung der
„Schnittstelle“ zwischen Kartell-, Vergabe-,
Straf- und Disziplinarrecht bietet einerseits
das BDG selbst, welches zwischen reinen
Dienstpflichtverletzungen und solchen, die
zugleich Tatbestände des Strafrechts erfüllen,
unterscheidet, andererseits die gedankliche
Abstraktion denkmöglicher (rechtswidriger)
Handlungen, über drei sich an der subjektiven Vorwerfbarkeit orientierenden Fallgruppen, die zum selben Ansatz führen: 1.) Der
Beamte koordiniert selbst die Kollusion der
Submittenten oder ermöglicht durch seine
Handlung vorsätzlich die Koordinierung der-
selben, handelt also wissentlich, absichtlich
oder mit dolus eventualis; er verrät zB unter
Verletzung des Amtsgeheimnisses47 an einen
der potentiellen Anbotsleger Anzahl und Namen der in einem nicht offenen Vergabeverfahren nach § 21 BVergG zur Angebotsabgabe eingeladenen Unternehmer, woraufhin
diese sich absprechen48. 2.) Der Beamte ermöglicht die Kollusion durch eine fahrlässige
Verhaltensweise. 3.) Dem Beamten ist subjektiv nichts vorwerfbar.
Im Ergebnis unterliegt der beschuldigte Beamte bei vorsätzlicher Handlung (Fallgrup­pe 1) den echten und unechten Amtsdelikten
47 Zur Entbindung vom Amtsgeheimnis, auch für Organe des Kartellrechtsvollzuges, vgl insb Paulus, Entbindung von der Amtsverschwiegenheit vor einem
Schiedsgericht?, ÖZK 2012, 18.
48 Vgl nur OGH vom 16.3.1999, 14 Os 155/98.
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Abhandlungen/Entscheidungen
des StGB und ist hier grundsätzlich „nur
noch“ der disziplinare Überhang nach § 43
Abs 2 BDG im Disziplinarverfahren additional ahndbar. Der disziplinäre Überhang iS
einer Vertrauenserschütterung hinsichtlich
des Funktionierens der Verwaltung, letzteres
sieht auch der VwGH als wesentlichen Gesichtspunkt der disziplinären Verfolgung,
wird einzelfallbezogen zu bewerten und insb
bei großer medialer Berichterstattung, bei
entsprechender Sensibilität der Öffentlichkeit
für den die Pflichtverletzung zuzurechnenden
Themenkreis, bei entsprechender Schwere
der Dienstpflichtverletzung oder Stellung des
beschuldigten Beamten49, zB einem Staatsanwalt, zu bejahen sein.
ÖZK
Bei fahrlässiger Verhaltensweise (Fallgrup­pe 2) greifen die (un-)echten Amtsdelikte
mangels Vorsatzes, bis auf den hier wohl un­
beachtlichen § 303 StGB, nicht. Somit sind
in dieser zweiten Fallgruppe die einzelnen
Dienstpflichtverletzungen, die ja auch fahrlässig begangen werden können, gesondert zu
prüfen; auf einen disziplinären Überhang
kommt es nicht an.
In der dritten Gruppe (kein Fehlverhalten des
Beamten) scheidet jedwede Bestrafung ohnehin aus.
49 Siehe zB Disziplinaroberkommission (DOK) vom
12.1.2001, 73-6-DOK/01; oder DOK vom 17.7.200,
53/6-DOK/00.
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