ERASMUS Austauschprogramm in Rovaniemi Martin Zech im
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ERASMUS Austauschprogramm in Rovaniemi Martin Zech im
ERASMUS Austauschprogramm in Rovaniemi Martin Zech im Wintersemester 2012 Rovaniemi Rovaniemi befindet sich zentral in der Landschaft Lappland im hohen Norden Finnlands. Das Stadtzentrum liegt am Zusammenfluss der Flüsse Ounasjoki und Kemijoki, nur wenige Kilometer südlich des Polarkreises. Rovaniemi ist die Hauptstadt von Lappland und mit einer Fläche von mehr als 8 000 Quadratkilometern die flächengrößte Stadt in Europa. Der größte Teil der Stadt ist aber nur sehr dünn besiedelt. Rovanieme hat ungefähr 50 000 Einwohner, sie leben weit verteilt um das Zentrum, welches im Vergleich zu anderen Städten mit gleich vielen Einwohnern eher klein ist. Die Flüsse teilen Rovaniemi. Auf der einen Seite gibt es das Stadtzentrum und die UNI, auf der anderen Seite am Fuße des Ounasvara Hügels liegt Kuntotie. Der Hausberg Rovaniemis ist 204 Meter hoch und erhebt sich direkt gegenüber dem Stadtzentrum. Er bietet Raum für Wanderungen, Langlauf und hat auch ein recht gutes Schigebiet für seine Größe. Schistar Tanja Poutiainen und Snowboardprofi Antti Autti lernten auf dem Hügel ihr Handwerk. Studium Die University of Lapland ist eine kleine, aber moderne Universität. Die Hörsäle und Seminarräume sind gut ausgestattet. In der Bibliothek findet man immer eine ruhige Ecke zum Arbeiten und es gibt auch Lernräume, die man gegen eine Kaution für den Schlüssel (20€) jederzeit benutzen kann. Im ganzen Gebäude gibt es Internet und Computer auf dem Gang, mehrere Computerräume mit Scan- und Druckmöglichkeiten stehen den Studenten jederzeit zur Verfügung. In der Mensa und in einem kleinen Kaffee gibt es gute Verpflegung zu einem fairen Preis. Es ist unkompliziert seinen Stundenplan zusammenzustellen, einen Platz findet man immer. Außerdem ist der persönliche Stundenplan individuell gestaltbar. Das gehört hier zur „Studier-Freiheit“. Jeder kann alle Kurse belegen, die er/sie will und für die er/sie sich interessiert. Die Professoren und Dozenten sind sehr hilfsbereit und Ansprechpartner in allen Belangen. Das macht das ganze sehr persönlich. Übrigens sind ein Drittel der hier lernenden Studenten Austauschstudenten. Die Chance unter den Studierenden einen Finnen zu treffen liegt also bei 66 Prozent. Leider besuchen auch die wenigsten der Finnen Vorlesungen, die in Englisch gehalten werden. Von fünf Kursen, die ich besuchte, waren nur in einem Kurs die Finnen in der Mehrzahl. Im Bereich Education gibt es vier Hauptbereiche zwischen denen man wählen kann. Es gibt einen „Englisch Bereich“, in dem Kurse wie „Phonetics“ oder „Academic Writing“ angeboten werden. Die Dozenten sind meistens „native speakers“ und diese Kurse zielen darauf ab, die Englischkenntnisse zu verbessern. Ein zweiter Bereich ist „Gender Studies“ und im Bereich „Media Education“ gibt es auch Kurse, die man wählen kann. Ein weiterer Bereich ist “Special Needs Education”. Hier belegte ich auch die Kurse “Foundation of Special Needs”, “Barriers of Learning” und “Challenging Behavior”. Foundation of Special Needs ist, wie der Name schon sagt, der Einstiegskurs in die Sonderpädagogik. Es gab vier Vorlesungen, in denen jeder Teilnehmer das Schulsystem im jeweiligen Land präsentierte und in denen wir über die Geschichte der Sonderpädagogik erfuhren. Wir besuchten zwei Schulen und konnten uns so vor Ort einen Einblick über das finnische Schulsystem und ihre Integrationsbemühungen machen. Zudem wurde auch der Einstieg in den Themen Challenging Behavior und Barriers of Learning gemacht. Der Challenging Behavior Kurs bestand ebenfalls aus vier Vorlesungen. Diese Vorlesung wurde mehrheitlich von Finnen besucht, aber wegen der Teilnahme von nur drei Austauschstudenten in Englisch abgehalten. Wir mussten ein Lecture Journal schreiben und zu jeder Vorlesung eine Frage, deren Antwort immer in einem anderen Buch versteckt war, beantworten. Das klingt einfach, doch es war eine sehr zeitintensive Aufgabe. Der letzte Kurs war eine völlig neue Erfahrung für mich. Alle Teilnehmer bekamen die Aufgabe, vier Bücher zum Thema Barriers of Learning zu lesen und sich gegenseitig die Inhalte zu präsentieren, zudem sollten Fragen gestellt werden, die zu einer Diskussion anregen. Das Treffen der siebenköpfigen Gruppe von Austauschstudenten fand immer in einem Kaffee statt und die Diskussionen zogen sich immer über mehrere Stunden. Das Ergebnis dieser Dokumentationen wurde in einen gemeinsamen Bericht zusammengefasst und der Professorin geschickt. In einer abschließenden Besprechung wurden nochmals die wichtigsten Punkte herausgehoben und besprochen. Alle Teilnehmer bekamen die gleiche Note für den Bericht. Dies und die lockere Atmosphäre führte dazu, dass alle Teilnehmer gut vorbereitet und eifrig an der Diskussion teilnahmen. Zwei weitere Kurse belegte ich im Rahmen des „Arctic Study Programm´s“ im Arktikum von Rovaniemi. Das Arktikum ist ein Museum und eine Forschungseinrichtung, in der über die Sámi Kultur und Geschichte, aber auch über die Einflüsse des Klimawandels in den arktischen Regionen geforscht, gelehrt und exponiert wird. Der erste Kurs war wieder ein Einleitungskurs und hieß Introduction to the Arctic. Er enthielt mehrere Vorlesungen und eine zweitägige Exkursion. Dafür mussten wir eine Präsentation erstellen und vortragen, auch ein Lecture Journal für die Vorlesungen musste erstellt werden. Mein zweiter Kurs hieß Peoples, Cultures and Identities of the Arctic und auch hier mussten wir eine Präsentation halten und ein Essay schreiben. Es ist interessant, etwas über diesen außergewöhnlichen Ort und seine Bewohner, welche nahe am Polarkreise leben, zu erfahren. Leben Wie die meisten Studenten wohnte ich in Kuntotie. Das ist eine Block-Siedlung, etwa drei bis vier Kilometer von der Universität und vom Arktikum entfernt. Um die Distanz zu bewältigen kaufte ich mir in den ersten Tagen ein gebrauchtes Fahrrad im Second Hand Geschäft. Wenn es mir nicht in der letzten Woche gestohlen worden wäre, dann hätte ich es dort für den halben Preis auch wieder verkaufen können. Dieses Geschäft war in den ersten Tagen überhaupt meine meistbesuchte Adresse. Da die Wohnungen in Kuntotie beim Beziehen außer Möbel nichts bereitstellten, musste ich mich erst einrichten. Geschirr, Bettlacken und andere mehr oder weniger brauchbare Gegenstände konnten im Second Hand Shop billig gekauft werden. Was man nicht dort kaufen konnte, bekam man in einem der zwei Einkaufszentren, die sich auch in der Nähe befanden. In der Wohnung wohnte ich mit fünf anderen Studenten aus Frankreich, Polen, Ungarn und Holland. Die Wohnungen von DAS sind leider nicht für sechs Personen gedacht und so schliefen wir jeweils zu zweit in einem der drei Zimmer. Ich teilte mir mit Peter aus Ungarn ein Zimmer und wir verstanden uns glücklicherweise gleich von Beginn an gut miteinander. Zu zweit teilten wir uns einen Kasten und einen Schreibtisch. Es gab auch keinen Internetzugang. Glücklicherweise konnte mir mein Nachbar helfen, er hatte einen eigenen Router und gab mir das Passwort für einen kleinen Unkostenbeitrag. Die Internet-Sticks, die die anderen Mitbewohner gekauft hatten, waren teilweise viel zu langsam und darüber hinaus auch noch teurer. Ansonsten bot die Wohnung nicht viel, eine kleine Gemeinschaftsküche mit sechs knappen Sitzmöglichkeiten bot Platz zum Kochen, zu sozialem Austausch, Kartenspielen und Feste feiern. Es gab zwei Toiletten, eine Dusche, der Balkon war das Beste an der Wohnung. Er bot einen atemberaubenden Ausblick auf die anderen grauen Betonklötze der Nachbarschaft, einer grauer als der andere. Er wurde hauptsächlich von den Rauchern genutzt, und als die Temperatur im November und Dezember langsam aber sicher in den negativen Bereich des Thermometers wanderte, war er auch nicht mehr so einladend wie im frühen Herbst. Als es kalt wurde, konnte man, wenn man Glück hatte, die Polarlichter bewundern. Ich werde nie vergessen, wie ich das erste Mal, als ich sie sah, gemeinsam mit meinen Mitbewohnern auf dem Balkon stand. Es gibt Seiten im Internet, welche einem die Polarlichter voraussagen und in der Facebook-Gruppe der Universität wird immer bekannt gegeben, wenn sie zu sehen sind. Im Keller des Gebäudes 3A, welches ich bewohnte, befinden sich glücklicherweise die einzigen zwei Waschmaschinen im ganzen Komplex. Das Ergattern eines Waschtermins war eine richtige Herausforderung, was verständlich ist, denn diese zwei Maschinen standen für mehr als hundert Leute zur Verfügung. Die Waschliste wurde normalerweise eine Woche im Voraus am Anfang der Woche ausgehängt und in kurzer Zeit waren die besten Waschzeiten vergeben. Es wurde zwar darauf hingewiesen, dass man in der Nacht nicht waschen kann, aber das stimmte nicht. Irgendjemand wusch immer, in der Nacht gab es keine Liste und scheinbar auch keine Regeln. Man konnte nachts um zwei auf Leute im Waschraum treffen, die ihrerseits auch schon darauf warteten, dass die Waschmaschine frei wurde. Im Keller befand sich auch eine Sauna und -typisch finnisch- besuchten wir sie, so oft es ging. Es gab auch Saunas im Schwimmbad im Zentrum (2€ mit Sportpass), in allen Fitnesscentern und im naheliegenden Santa Sport Center. Dort konnte man auch mit der Studentenkarte für 2,60 € am Wochenende zu Mittag und zu Abend essen. Um Lebensmittel einzukaufen nutzten wir den K- Market, der sich auf unserem Schulweg, ca. fünf Gehminuten von unserer Wohnung entfernt, befand. Aber die billigste Variante war ein „Lidl“ in der Nähe der Universität. Die Preise der Lebensmittel glichen dort am ehesten dem gewohnten österreichischen Niveau. Alkohol bildete eine der wenigen Ausnahmen. Man konnte in einem einfachen Einkaufsgeschäft bis neun Uhr abends Alkohol mit weniger als fünf Prozent Alkoholgehalt kaufen. Den Rest konnte man zu hohen Preisen in nur vier Alko Geschäften kaufen. Trotz der hohen Preise wurde in unserer Wohnung viel gefeiert und getrunken. Kuntotie wird hauptsächlich von Studenten bewohnt, und wenn einem der Sinn nach Aktivitäten oder Feiern stand, fanden sich immer ein paar Leute oder ein offenes Appartement, in das man eintreten konnte. Reisen Das Leben an einem neuen Ort bringt auch neue Reisemöglichkeiten. In den ersten Wochen fuhren wir per Autostop nach Oulu. Eine Stadt am Meer, ungefähr drei Stunden Autofahrt von Rovaniemi entfernt. In den kalten Wintertagen ist das Reisen per Autostop nicht wirklich anzuraten. Zum Übernachten nutzten wir eine „Couch- surf“Gelegenheit, um die Preise für eine Unterkunft zu sparen. Zweimal mieteten wir ein Auto. Nach etlichen Vergleichen war klar, die billigste Autovermietung ist Sixt und wir bekamen beide Male ein besseres Fahrzeug, als wir gemietet hatten. Der erste Trip mit dem Auto führte mich in das wunderschöne Norwegen. In Trómso „surften wir ebenfalls zwei Tage auf einer fremden Couch“ und fuhren dann weiter ans Nordkap, dem nördlichsten Punkt des Europäischen Festlandes. Wir schliefen dort in einem Hotel und dachten gar nicht, dass es eine Couch- surf- Möglichkeit an diesem so kleinen Ort geben würde. Wie wir im Nachhinein durch einen mitgenommenen Anhalter erfuhren, gab es sehr wohl Möglichkeiten, umsonst die Nacht am Nordkap zu verbringen. Mein zweiter Ausflug mit einem Auto führte uns in nach Levi, zwei Stunden entfernt, zum FIS Schiweltcup. Wir hausten in einer netten kleinen Hütte mit eigener Küche und Sauna ungefähr 16 km von Levi entfernt in einem Ort namens Kittilä. Das International Erasmus Student Network (IESN) bietet auch geführte Reisen an. Ein lustiger Trip war zum Beispiel die Reise zu Halloween nach Stockholm. Sie begann mit einer zwölfstündigen Busfahrt nach Helsinki, in einem Bus vollgepackt mit Austauschstudenten. Dort angekommen hatten wir zwei Stunden Zeit, uns die Stadt anzuschauen. Danach fuhren wir mit einer Fähre weitere sechzehn Stunden nach Stockholm. Dies war eigentlich die wahre Attraktion. An dieser von IESN organisierten Reise nahmen über tausend Studenten aus ganz Finnland teil und wir sorgten dafür, dass die ganze Nacht in verschiedenen Bars und Diskotheken, die auf dem Schiff verteilt waren, eine verrückte Halloweenparty stattfand. In den Morgenstunden legte die Fähre in Stockholm an und nach nur sechs Stunden Aufenthalt ging es den gleichen Weg zurück. Diese Reise zähle ich zu einer „Typisch Finnische Aktivität“, denn auch die Finnen nutzen diese absolut verrückten Schifffahrten, um der hohen Mehrwertsteuer auf dem Festland zu entfliehen und trotzdem ausgelassen zu feiern. Ich möchte hierbei betonen, dass es mir keineswegs nur um die Freuden und Annehmlichkeiten an Deck ging, sondern darum, ein weitere Facette Finnischer Kultur zu erfahren. Die IESN und ihre Reisen wurde uns in der Einführungswoche vorgestellt und auf der Homepage kann man sich zusätzlich informieren. Eine weitere Reise von IESN führte mich nach St. Petersburg in Rußland. Hier verzichtete ich auf die Anreise mit Bus oder Zug (10 h) und flog stattdessen in eineinhalb Stunden nach Helsinki. Ab und zu kann man einen billigen Flug erwischen, die billigste Fluglinie ist meist Norwegian, und übrigens: Am billigsten nach Finnland fliegt man mit Ryanair von Frankfurt nach Tampere. Ein Geheimtipp und immer einen Besuch wert, ist für mich die estländische Hauptstadt Tallin. Die gut erhaltene mittelalterliche Altstadt ist sehr schön anzusehen, es gibt gute und billige Jugendherbergen, und von Helsinki aus ist Tallin in weniger als drei Stunden mit dem Schiff erreichbar. Abschließend kann ich nur sagen, dass ich die dreieinhalb Monate in Rovaniemi sehr genossen habe. Das Erasmus Auslandssemester bot mir eine spannende und aufregende Erfahrung in meinem Studium und ist sehr zu empfehlen! Ein Aufenthalt in einem anderen Land erweitert den Horizont, Rovaniemi mit seiner außergewöhnlichen Lage befindet sich genau dort …