Das epische Theater von Bertolt Brecht

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Das epische Theater von Bertolt Brecht
"Johannes Schuhmann" <jschuhmann@vossnet.de>
Das epische Theater von Bertolt Brecht
Beispiele an seinem Stück
“Der gute Mensch von Sezuan”
eine Arbeit von
Johannes Schuhmann
Klasse 13.2
1998/99
Deutsch-Kurs DE 33
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Inhaltsverzeichnis:
1. Was ist episches Theater?
1.1 Die Konzeption des epischen Theaters
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1.2 Der Verfremdungseffekt (V-Effekt)
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1.3 Das Zuschauerverhalten
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2. Exemplarisches Aufzeigen am Stück “Der gute Mensch von Sezuan”
2.1 Die Struktur des Stückes
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2.2 Welche Rolle spielt der Verfremdungseffekt (V-Effekt)?
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2.3 Der Mensch ist Gegenstand der Untersuchung
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2.4 Der offene Schluß des Stückes
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verwendete Literatur
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1.1 Die Konzeption des epischen Theaters
Das von Berthold Brecht in den 20er Jahren erschaffene epische Theater ist die entgegengesetzte
Form des aristotelischen Theaters.
Die Theorie des “epischen Theaters” hat Brecht im Anhang zu der Oper “Aufstieg und Fall der Stadt
Mahagonny” dargelegt und der des dramatischen Theaters gegenübergestellt:
Dramatische Form des Theaters:
Epische Form des Theaters:
handelnd
verwickelt den Zuschauer in die
Bühnenaktion
verbraucht seine Aktivität
ermöglicht ihm Gefühle
Erlebnis
Der Zuschauer wird in etwas
hineinversetzt
Suggestion
Die Empfindungen werden konserviert
Der Zuschauer steht mittendrin,
miterlebt
Der Mensch als bekannt vorausgesetzt
erzählend
macht den Zuschauer zum Betrachter,
aber
weckt seine Aktivität
erzwingt von ihm Entscheidungen
Weltbild
er wird gegenübergesetzt
Der unveränderliche Mensch
Spannung auf den Ausgang
Eine Szene für die andere
Wachstum
Geschehen linear
Evolutionäre Zwangsläufigkeit
Der Mensch als Fixum
Das Denken bestimmt das Sein
Gefühl
Argument
werden bis zur Erkenntnis getrieben
Der Zuschauer steht gegenüber,
studiert
Der Mensch als Gegenstand der
Untersuchung
Der veränderliche und verändernde
Mensch
Spannung auf den Gang
Jede Szene für sich
Montage
In Kurven
Sprünge
Der Mensch als Prozeß
Das gesellschaftliche Sein bestimmt das
Denken
Ratio
Beim epischen Theater werden die Szenen ohne dramatischen neben einander gereiht. Das ganze
Stück besteht aus “Nummern”, d. h. aus selbständigen Elementen.
Der Zuschauer soll aus seiner passiven Haltung herausgelöst werden und zur kritischen
Stellungnahme bewegt werden (siehe 1.3).
Die handelnden Personen und die dramatische Handlung werden Gegenstand der Untersuchung. Um
dies zu erreichen, benutzt Brecht eine Reihe von Darstellungsmitteln, die er als “episch” bezeichnet.
Vor allem, soll der Schauspieler seine dramatische Figur so darstellen, daß der Zuschauer an der
Person auf der Bühne nicht nur die dramatische Figur, sondern den Darsteller dieser Figur erkennt.
Der Schauspieler soll klarmachen, daß er nicht mit der dramatischen Figur identisch ist. Er soll sie
gestisch zeigen, von ihr erzählen (episch = erzählerisch). Wichtig für die Darstellung ist nicht die
mimische Nachahmung, sondern die gestische Deutung. Durch die gestische Sprache, kann sich der
epische Schauspieler von der Figur trennen. Neben sprachlichen Gesten kann der Schauspieler auch
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andere Mittel wie Komik, Selbstbetrachtung oder Zuschaueransprache benutzen, um seine
unabhängige Stellung deutlich zu machen. Er ist ein “Zeigender” und ein “Vorschlagender”. Er ist
derjenige, durch den sich ein philosophischer Vorgang vollzieht, er ist ein Erkennender, durch den
sich Erkenntnisse anbahnen. Der Schauspieler hat seine Figur darzustellen, aber so, daß sie sich der
Kritik durch den Zuschauer aussetzt.
Die Handlung des epischen Theaters läuft nicht auf Spannung hin. Das dramatische Theater hingegen
baut auf der Spannung auf und verlangt eine geschlossene Konstruktion der Handlung mit markiertem
Anfang, Höhepunkt und Ende. Die berühmten drei Einheiten von Zeit, Raum und Handlung, die
einsträngige und gradlinige Zielstrebigkeit der Handlung haben alle die Spannung zum Ziel.
Solche formalistische Strenge scheint Brecht nicht geeignet, die moderne Realität
wiederzugeben. Er verlangt für sein “epische Theater” anstatt der Spannung die
Unterbrechung. Danach soll die Handlung nicht zielstrebig zu Ende laufen, sondern
in verschiedenen unabhängigen Szenen dargestellt werden. Diese dramatische Form
nennt er seine “große Form”. Die Literaturkritik bezeichnet seine dramatische Form
mit der des modernen Theaters als eine “offene Form” im Gegensatz zur
“geschlossenen Form” des dramatischen Theaters. Songs und Balladen werden bei
Brecht als Einlagen benutzt, um die Handlung zu unterbrechen und den Zuschauer
von der dramatischen Illusion erneut herauszuholen. Auch Plakate, Projektionen,
Transparente und andere theatralische Mittel werden benutzt, um solche
Unterbrechungen herzustellen.
Der Schluß des Schauspiels, dessen Handlung dem klassischen Aufbau der aristotelischen
Dramaturgie zuwiderläuft, ist im dialektischen Sinn offen, um dem Betrachter ein abschließendes
Urteil selbst zu überlassen bzw. soll der Zuschauer die Antworten auf die aufgeworfenen Fragen
selbst finden.
1.2 Der Verfremdungseffekt (V-Effekt)
Ein wichtiges Mittel des epischen Theaters ist die Verfremdung der dramatischen Handlung durch
Kommentierung der Szenen zum Beispiel durch einen Erzähler, durch Heraustreten des
Schauspielers aus seiner Rolle, durch eingeschobene Lieder und Songs, durch Spruchbänder usw.
“Der Verfremdungseffekt besteht darin”, schreibt Brecht, “daß das Ding, das zum
Verständnis gebracht, auf welches das Augenmerk gelenkt werden soll, aus einem
gewöhnlichen, bekannten, unmittelbar vorliegenden Ding zu einem besonderen,
auffälligen, unerwarteten Ding gemacht wird. Das Selbstverständliche wird in
gewisser Weise unverständlich gemacht, das geschieht aber nur, um es dann
verständlicher zu machen.”
Historisierung ist ein sehr wichtiger V-Effekt im “epischen Theater”. Die dramatische
Handlung wird als “gegenwärtig” und “wirklich vor Augen” des Publikums betrachtet.
Der Zuschauer bekommt oft eine Illusion, als ob er ein wirkliches Ereignis erlebe.
Brecht will aber die dramatische Handlung bewußt “historisieren” oder sie dem
Publikum als eine Vergangenheit zeigen.
Der Vorgang der Verfremdung des Vertrauten führt zu einer Verwunderung am
gewöhnlichen oder gewohnten Vorgang. Das scheinbar Bekannte wird so dargestellt,
daß es der Zuschauer nicht sofort als bekannt erkennt. Anstatt dessen wird der
Zuschauer sich wundern, warum er dasselbe früher nicht so betrachtet hat.
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1.3 Das Zuschauerverhalten
Der Zuschauer soll sich nicht mit den Gestalten und dem Geschehen auf der Bühne
identifizieren. Er soll Distanz zum Geschehen haben und dadurch zum Nachdenken
über die gesellschaftliche Verhältnisse, ihrer Veränderbarkeit und die Notwendigkeit
ihrer Veränderung angeregt werden. Man könnte Brechts episches Theater als eine
Art philosophisch, aufklärerisches Lehrdrama bezeichnen.
Das Zuschauerverhalten, welches sich Brecht von dem Publikum des epischen Theaters erhofft, kann
anhand der folgenden Tabelle gut nachvollzogen werden:
Der Zuschauer des dramatischen
Theaters sagt:
Der Zuschauer des epischen Theaters
sagt:
Ja, das habe ich auch schon Gefühlt.
So bin ich.
Das ist nur natürlich.
Das hätte ich nicht gedacht.
So darf man es nicht machen.
Das ist höchst auffällig, fast nicht zu
glauben.
Das muß aufhören.
Das Leid dieses Menschen erschüttert
mich, weil es doch einen Ausweg für ihn
gäbe.
Das ist große Kunst: Da ist nichts
selbstverständlich.
Ich lache über die Weinenden, ich weine
über die Lachenden.
Das wird immer so sein.
Das Leid dieses Menschen erschüttert
mich, weil es keinen Ausweg für ihn gibt.
Das ist große Kunst: Da ist alles
selbstverständlich.
Ich weine mit den Weinenden, ich lache
mit den Lachenden.
aus Hauptmann/Slupianek, Brecht. Ein Lesebuch für unsere Zeit, S.385
Es soll nicht Furcht oder Mitleid geweckt werden, sondern lehrreich gezeigt werden, wie sich der
Mensch verhält oder verhalten soll. Zu diesem Zweck laufen Brechts Stücke nicht wie im
aristotelischen Theater üblich zu Höhepunkt, Katastrophe und Lösung zu, sondern werden immer
wieder argumentierend z.B. durch Songs unterbrochen. Der Schauspieler muß aus dem Illusionsstil
gelöst und der Zuschauer zum Nachdenken über das gezeigte angeregt werden. Der epische
Schauspieler darf sich nicht vollends in seine Rolle vertiefen. Er ist nicht die Person, die gezeigt wird,
er spielt sie nur.
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2.1 Die Struktur des Stückes
Part
Vorspiel
Ort
Eine Straße in der Hauptstadt von Sezuan
1. Szene
Ein kleiner Tabakladen
Das Lied vom Rauch
Unter einer Brücke
Zwischenspiel
2. Szene
3.Szene
Der Tabakladen
Abend im Stadtpark
Lied des Wasserverkäufers im Regen
Zwischenspiel
4. Szene
Zwischenspiel
Wangs Nachtlager in einem Kanalrohr
Platz vor Shen Te’s Tabakladen
Zwischenspiel vor dem Vorhang (Shen Te)
Das Lied von der Wehrlosigkeit der Götter und Guten
Der Tabakladen
5. Szene
Zwischenspiel
6. Szene
Zwischenspiel vor dem Vorhang (Shen Te)
Nebenzimmer eines billigen Restaurants in der Vorstadt
Zwischenspiel
7. Szene
Zwischenspiel
8. Szene
Wangs Nachtlager
Hof hinter Shen Te’s Tabakladen
Wangs Nachtlager
Shui Ta’s Tabakfabrik
Lied vom Sankt Nimmerleinstag
Lied vom achten Elefanten
9. Szene
Zwischenspiel
10. Szene
Shen Te’s Tabakladen
Wangs Nachtlager
Gerichtslokal
Terzett der entschwindenden Götter auf der Wolke
Epilog
Vor dem Vorhang (ein Schauspieler wendet sich an das
Publikum)
Auf mehreren Ebenen bzw. aus verschiedenen Blickwinkeln wird der Grundkonflikt zwischen
Lebensideal und Lebenspraxis gezeigt. Hierzu tritt der Grundkonflikt des Stückes in den
Einzelkonflikten auf. So entstehen mehrere Handlungsstränge:
Beispiele:
-
Sun-Handlung (in der Liebesbeziehung mit Shen Te)
Sun in der Fabrik
Shen Te der Konflikt zwischen Gutsein und Lebensfähig (Shen Te <-> Shui Ta)
- gegenüber Wang
- gegenüber Lin To
- gegenüber dem Teppichhändler
- gegenüber der achtköpfigen Familie
- usw.
2.2 Welche Rolle spielt der Verfremdungseffekt (V-Effekt)?
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Wie die Grafik 2.1 und die Tabelle zeigen wird das Stück immer wieder von Zwischenspielen und
Liedern unterbrochen. Alle Zwischenspiele sind als verfremdend zu beurteilen. Die laufende Handlung
wird unterbrochen und der Zuschauer wird desillusioniert, er wird daran erinnert, daß es sich um ein
Theaterstück handelt. Außerdem werden in ihnen darüber hinaus Denk- oder Reflexionsanstöße
gegeben.
Die berühmten drei Einheiten von Zeit, Raum und Handlung werden (typisch für das
epische Theater) somit in diesem Stück nicht eingehalten. Zwischen den einzelnen
Szenen sind immer wieder Zeitsprünge zu erkennen.
In den fünf “Wang-Zwischenspielen” wird die Handlung aus der Sicht Wangs
kommentiert. Außerdem werden hier Zwischenzeitbeschreibungen gegeben: “Im
Dienste der Verfremdung beleuchten sie die zwischen den Handlungsszenen
liegenden Zeiträume in der Form des epischen Berichts.”
In den beiden Shen-Te-Zwischenspielen kommentiert diese das Geschehen der
Handlung aus ihrer Sicht.
Auch die in 2.1 aufgeführten Lieder sind als Verfremdungseffekt zu beurteilen, da
hier ebenfalls das Geschehen auf der Bühne unterbrochen und kommentiert wird.
Bei den Lieder handelt es sich inhaltlich um poetische Reflexionen von
Einzelaspekten der Stückproblematik.
Die Handlung des Stückes wird somit ständig auf verschiedene Arten kommentiert
und diskutiert. Dies geschieht durch Songs, direkte Kommentare der Schauspieler
(Shen Te) an das Publikum und durch die Zwischenspiele, in denen die Götter und
Wang über die abgelaufenen Ereignisse diskutieren. Man kann hier von einem
Lehrtheater sprechen. Die Handlung des Stückes dient als Argument und als Beweis
für die Intention des Stückes.
In der 8. Szene gibt es eine Art episches Theater im epischen Theater. Frau Yang,
die Mutter von Sun, berichtet dem Publikum, wie sich ihr Sohn von einem
“verkommenen Menschen in einen nützlichen verwandelt” hat. Diese erzählende
Rückblende wird durch kleine eingeschobene Szenen illustriert, die sie wiederum
kommentiert. Diese Demonstration verfremdet die Erzählung durch ihren Kontrast
zum Gesagten. Die Folge ist, daß sie genau im umgekehrten Sinn überzeugend
wirkt. Sun ist in der Fabrik auf Kosten anderer aufgestiegen und betätigt sich jetzt
selber im Dienst der Ausbeutung.
Dieser Bericht von Frau Yang kann als eine zweite Perspektive gesehen werden. Sie
komprimiert 3 Monate gelebte Zeit in eine Szene erzählter und gespielter Zeit:
Die vergangene Zwischenzeit zwischen den kurzen, eingeschobenen Szenen wird
durch ihren Bericht überbrückt bis die erlebte Gegenwart des Stückes erreicht wird.
Hierdurch wird eine zweite Sicht auf die Dinge oder eine zweite Erzähl-Perspektive
geschaffen: eine direkte und eine durch Frau Yangs Ausführungen.
Diese Aufnahme einer zweiten Perspektive, die eine Mehrsträngigkeit der Zeit und
des Raums zur Folge hat, ist ein typisches Gestaltungsmerkmal von Brecht.
2.3 Der Mensch ist Gegenstand der Untersuchung
Das epische Theater macht den Menschen zum Gegenstand der Untersuchung. In diesem Stück ist
die Hauptfigur Shen Te bzw. ihr dialektisches Gegenstück Shui Ta. Diese Spaltung der Person zeigen
den Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft. Ihm ist es nicht möglich, gut zu sein und trotzdem
überleben zu können. Die Titelfigur steht wie der Mensch in der kapitalistischen Gesellschaft zwischen
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Lebensideal und Lebenspraxis. Ihr Gutsein ist Natur und ihr Schlechtsein ist sozial bedingt durch die
kapitalistische Klassengesellschaft.
Der Mensch ist nicht mehr wie im “dramatischen Theater” ein Fixum, ein verstehbares Wesen,
sondern er wird als fremdes, zu enthüllendes Wesen und als Problem, als Gegenstand einer Analyse
betrachtet. So sollen die Widersprüche (Shen Te <-> Shui Ta) in der kapitalistischen Gesellschaft im
Verlaufe der Handlung nicht aufgehoben werden, sondern aufgezeigt und beleuchtet werden. Für die
Lösung dieser Widersprüche ist nicht das Theaterstück zuständig, sondern die Zuschauer, die in einer
solchen Gesellschaft leben.
“Folgerichtig demonstrieren die Helden des ‚Guten Menschen‘ nicht die Lösung des
Problems. Ihre Demonstration gilt vielmehr dem Nachweis der Notwendigkeit einer
Lösung.” Hans Gehrke; Brecht. Der Gute Mensch von Sezuan – Leben des Galilei. Hollfeld 1973
In diesem Theaterstück von Brecht ist also das Shen Te und ihre Gegenseite Shui Ta in erster Linie
Gegenstand der Untersuchung. Ihre Nächstenliebe wird durch die wirtschaftlichen Verhältnisse
erdrückt.
Die drei Göttern diskutieren zwischen den Szenen (im Zwischenspiel) das Verhalten von Shen Te. Sie
“untersuchen” ihr Verhalten. Sie erhalten ihre Informationen über Shen Te von Wang, der sie oftmals
versucht zu verteidigen. Der Zuschauer soll somit animiert bzw. angeregt werden auch über Shen Te,
deren Situation und ihr Verhalten nachzudenken bzw. die “Untersuchung” der Götter fortzuführen. Der
Zuschauer soll zu eigenen Erkenntnissen über das Verhalten von Shen Te gelangen und diese auf
sein eigenes Leben und auf die Gesellschaft zu übertragen.
Natürlich soll der Zuschauer auch das Verhalten der anderen Figuren untersuchen zum Beispiel das
von Sun (Ausbeutung von Shen Te und der Arbeiter in der Fabrik) oder des Babiers Shu Fu (der
Wangs Hand verletzt), doch Hauptgegenstand der Analyse des Zuschauers soll Das Verhalten von
Shen Te und deren “zweites Gesicht” Shui Ta sein.
2.4 Der offene Schluß des Stückes
Viele Stücke von Brecht bringen das Problem, aber nicht die Lösung. In dem Stück
“Der Gute Mensch von Sezuan” bricht Brecht an der Stelle der Zuspitzung des
Problems ab, die Hauptfigur tritt nach vorne und fragt das Publikum nach der Lösung.
Die Brechtschen Stücke dienen also einer Bewußtseinsentwicklung. Sie geben Anstoß zur einer
Denkrichtung.
Kurt Bräutigam schreibt über die letzte Szene folgendes in seinem Buch über Bertolt
Brechts “Der gute Mensch von Sezuan”:
“Die Gerichtsszene ist ein Spiel im Spiel. Sie dient damit, wie jede Desillusion der Verfremdung des
Stoffes, sie rüttelt durch ihr zeigen den Zuhörer auf, mitzusuchen nach der Lösung. Das Spiel im Spiel
führt dem Zuschauer im Theater seine wahre Rolle und Aufgabe vor Augen, indem es das Verhältnis
Publikum – Schauspieler im Verhältnis Zuschauer im Gerichtssaal – Gerichtsparteien wiederholt. Auch
hier dient der ,Gestus des Zeigens‘ der Aktivierung des Zuschauers.”
Der Epilog und somit das Stück endet mit einer Art Befehl an das Publikum:
“Verehrtes Publikum, los, such die selbst den Schluß!
Es muß ein guter da sein, muß, muß, muß!”
Dies zeigt sehr deutlich, was Brecht mit diesem Stück erreichen wollte (vergleiche 1.3 Das
Zuschauerverhalten): Brecht möchte den Zuschauer nicht vorgefertigte Lösungen bieten, er möchte
ihn zum aktiven Denken anregen.
Der Epilog mit seiner dringlichen Aufforderung an das Publikum, es solle doch die Lösung selbst
finden, wirft einerseits Fragen auf, gibt aber andererseits eine eindeutige, vorbereitete Lösung vor:
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Die Gesellschaftsordnung bedarf einer Revolution!
verwendete Literatur:
-
Marianne Kesting, “Das epische Theater”, S.55ff
Volker Klotz, “Bertolt Brecht Versuch über das Werk”
Klaus Völker, “Brecht-Kommentar 3 zum dramatischen Werk”, S.205ff
Peter Paintner, “Bertolt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan”
Henning Rischbieter, “Brecht II”, S.34ff
Walter Benjamin, “Versuche über Brecht”, S. 22ff
Bruno Schärer, “Bertolt Brechts Theater”