Ausgabe 07-2014 ( PDF , 2,1 MB, 52 Seiten)

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Ausgabe 07-2014 ( PDF , 2,1 MB, 52 Seiten)
Fachorgan des Sanitätsdienstes der Bundeswehr
58. Jahrgang - Heft 7 - 21. Juli 2014
Wehrmedizinische Monatsschrift
Herausgegeben durch das Bundesministerium der Verteidigung
Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V.
225
Sehr verehrte Leserinnen
und Leser,
in diesen Tagen jährt sich der Beginn des
Ersten Weltkrieges zum hundertsten Mal –
ein Krieg, der weitreichende staatliche
Neuordnungen nach sich zog, Auswirkungen auf nahezu alle politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bereiche in
Europa und darüber hinaus zur Folge hatte
und vor allem unsagbares Leid über die
Völker brachte.
Dieser Jahrestag und das Gedenken an die Opfer des Krieges erfahren national wie international außerordentlich große Beachtung, so
auch im Bereich der medizin- und wehrmedizinhistorischen Forschung. Deshalb gilt mein Dank dem Inspekteur des Sanitätsdienstes, der dieses Schwerpunktheft „Erster Weltkrieg“ ermöglicht und
mich mit der Herausgabe beauftragt hat. Es soll Ihnen ausgewählte
Aspekte auf dem Stand der aktuellen militär- und medizinhistorischen Forschung näher bringen, wobei bei weitem nicht alle wichtigen Themen akzentuiert werden konnten: die Auswirkungen des
Gaskrieges, Struktur und Arbeitsweise der Sanitätsdienste, humanitäres Völkerrecht und Medizinethik, Lebenszeugnisse wie etwa Tagebücher und Feldpostbriefe sowohl des Sanitätspersonals wie auch
der Patienten – diese und weitere Themen werden wir in separaten
Beiträgen bis zum Ende des Gedenkzyklus 2018 immer wieder aufgreifen.
Zunächst aber wird Gerhard P. Groß als profunder Kenner der Materie in die Erinnerungskultur des Ersten Weltkrieges und seine in
Deutschland lange unterschätzte Bedeutung einführen. Es folgt ein
Beitrag von Volker Hartmann über die besonderen Herausforderungen des erbarmungslosen Stellungskrieges an die Hygiene, die Gesundheitsvorsorge und die medizinische Versorgung der unzähligen
Verwundeten. Dass diese spezifischen Probleme und die durch eine
weiterentwickelte Waffentechnik und Besonderheiten der Kriegsführung typischen Verletzungsbilder auch Auswirkungen auf die
Entwicklung in der Medizin hatten und notgedrungen einen Innovationsschub bewirkten, zeigen die folgenden beiden Artikel: André
Müllerschön untersucht die Bedeutung von Röntgendiagnostik und
Bluttransfusion als neue diagnostisch-therapeutische Maßnahmen
der Militärmedizin im Ersten Weltkrieg; Stefan Zielinski und ich
zeigen am Beispiel der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie auf,
wie auch die Entwicklung neuer Fachgebiete und Spezialdisziplinen durch die Erfordernisse des Krieges beeinflusst wurde. Die
Grausamkeit des Krieges hinterließ aber nicht nur körperliche, sondern auch seelische Destruktionen, die Philipp Rauh beleuchtet. Er
legt überzeugend dar, dass der Behandlungsalltag der sogenannten
„Kriegszitterer“ deutlich von den Forderungen der psychiatrischen
Wissenschaft abwich. Die letzten beiden Beiträge beschäftigen sich
vor allem mit den Folgen des Krieges: Wolfgang U. Eckart, einer
der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet Medizin und Krieg,
analysiert eindrucksvoll die sozialen Probleme und vor allem die
politischen Dimensionen und Instrumentalisierungen der mehr als
zwei Millionen Kriegsversehrten. Und schließlich beleuchtet Astrid
Stölzle das Schicksal, die Gesundheitsrisiken und die Selbstwahrnehmung des zivilen Pflegepersonals – ein ebenso wichtiges wie
bislang nur unzureichend untersuchtes Themengebiet.
Abschließend darf ich Sie auf die Veranstaltungs- und Ausstellungshinweise sowie die Vorstellung einiger aktueller Bücher unserer Gastautoren hinweisen. Ich wünsche Ihnen eine interessante
Lektüre dieser Ausgabe der Wehrmedizinischen Monatsschrift.
Ihr
Prof. Dr. Ralf Vollmuth, Oberfeldarzt
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der
Bundeswehr Potsdam
Inhaltsverzeichnis
Heft 7/58. Jahrgang
ISSN 0043-2156
Juli 2014
Editorial
225
Geschichte der Wehrmedizin Der Erste Weltkrieg
Groß, G. P.
Der Erste Weltkrieg und seine Bedeutung im
wissenschaftlichen Kontext
Hartmann, V.
Sanitätsdienst im Stellungskrieg - Besondere
Herausforderung an Hygiene, Gesundheitsvorsorge
und Verwundetenversorgung
Müllerschön, A.
Neue Methoden und ihre Bewährung in der
Militärmedizin des Ersten Weltkrieges
Vollmuth, R., Zielinski, S.
Die kriegsbedingte Entwicklung neuer medizinischer
Spezialdisziplinen – das Beispiel Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie
Rauh, P.
Zwischen fachärztlichem Diskurs und therapeutischem
Alltag – Die Militärpsychiatrie im Ersten Weltkrieg
Eckart, W. U.
"Krüppeltum" und "Eiserner Wille" - Invalidität und
Politik im Großen Krieg, 1914 - 18
Stölzle, A.
Gesundheitsrisiken des zivilen Etappenpflegepersonals
in den Kriegslazaretten des Ersten Weltkriegs
226
231
239
245
251
256
262
Ausstellungen
Wahnsinn Krieg – Das Militärhistorische Museum der
Bundeswehr (MHM) in Dresden erinnert mit zwei ganz
unterschiedlichen Ausstellungen an den Ersten Weltkrieg
266
Aus dem Sanitätsdienst
268
Buchvorstellungen
270
Mitteilungen aus der DGWMP e. V.
271
Titelbild: Abtransport eines Verwundeten
Bildquelle: Sanitätsakademie der Bundeswehr, Wehrgeschichtliche
Lehrsammlung
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
226
G ESCHICHTE
DER
W EHRMEDIZIN - D ER E RSTE W ELTKRIEG
Aus dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Potsdam (Kommandeur: Oberst Dr. H.-H. Mack)
Der Erste Weltkrieg und seine Bedeutung im wissenschaftlichen
Kontext
The First World War and its Importance in the Scientific Context
Gerhard P. Groß
Zusammenfassung
Der Erste Weltkrieg war in Deutschland ein vergessener
Krieg. Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen war die Erinnerung an den Ersten durch die an den Zweiten Weltkrieg
und die in den Jahren 1939 bis 1945 verübten deutschen Verbrechen überlagert. Ein großes öffentliches Interesse an dem
hundertsten Jahrestag der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts
bestand nicht. In Frankreich und Großbritannien dagegen ist
die Erinnerung an den „Great War“ oder „Grande Guerre“ im
öffentlichen Leben und in der Politik, besonders zu den Feierlichkeiten des Waffenstillstandes am 11. November 1918,
überaus präsent. Dass der Erste Weltkrieg und besonders die
Frage nach der „Kriegsschuld“ in Deutschland mittlerweile
wieder viele Menschen interessiert, zeigt die Vielzahl der
neueren Publikationen zum Ersten Weltkrieg sowie der mediale Umgang mit der Thematik.
Schlüsselwörter: Erster Weltkrieg, Gefallenengedenken,
Kriegsschuldfrage, Waffenstillstand, kollektives Gedächtnis.
Summary
The First World War was for a long time a forgotten war in
Germany. In the collective memory of the Germans, the recollections of the First World War were replaced with those
of the Second World War and the crimes committed by Germans between 1939 and 1945. There was no great public interest in the centenary of the great seminal catastrophe of the
20th century. In contrast, remembrance of the “Great War” or
“Grande Guerre” is an eminent feature of public life and political affairs in France and Great Britain that is highlighted
in the ceremonies commemorating the armistice on 11 November 1918. The large number of publications on the First
World War and the media coverage of the topic show that
many people in Germany have meanwhile again become interested in the First World War and particularly in the “war
guilt” issue.
Keywords: First World War, commemoration of soldiers killed in action, war guilt issue, armistice, collective memory.
Im Juli 2014 jährt sich der Kriegsausbruch des Ersten Weltkrieges zum hundertsten Mal. Während aus diesem Anlass in Belgien, Frankreich, den Vereinigten Staaten von Amerika, GroßWehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
britannien, Neuseeland und Australien mit beträchtlichem Aufwand und großem Interesse der Medien sowie der Öffentlichkeit an den „Great War“ oder „Grande Guerre“ erinnert wird,
findet der bevorstehende Jahrestag in Deutschland bei weitem
nicht den Widerhall wie in den genannten Staaten. Von einer
breiten gesellschaftlichen Diskussion über den Ersten Weltkrieg
unter aktiver Teilnahme von Regierungsmitgliedern wie in
Großbritannien [1] kann schon gar nicht die Rede sein. Wie lässt
sich dieser so unterschiedliche Umgang mit der „Urkatastrophe
des 20. Jahrhunderts“ erklären?
Die Beantwortung diese Frage führt uns zum Beginn und Ende
sowie zu den Ursachen und Folgen des Ersten Weltkrieges.
Während heute in vielen Teilen Deutschlands am 11. November
um 11:11h laut und lustig der Karneval ausbricht, gedenken viele Briten an diesem Tag in Stille ihrer gefallenen Soldaten. Als
äußeres Zeichen tragen sie an ihrer Kleidung eine angesteckte
Mohnblume, die sogenannten Poppies. Dieser Brauch geht auf
das Gedicht des Kanadiers John McCrae „In Flanders Fields“
zurück, in dem er den Klatschmohn auf den Schlachtfeldern in
Flandern und Nordfrankreich beschrieb. Der Mohn steht mit
seiner roten Farbe für das Blut der Gefallenen. Auch wenn heute
in Großbritannien am „Remembrance Day“ der gefallenen britischen Soldaten aller Kriege gedacht wird, geht der Gedenktag,
ursprünglich „Armistice Day“ genannt, auf das Ende des Ersten
Weltkrieges zurück, denn nie zuvor und nie danach hat Großbritannien höhere Verluste in einem Krieg erlitten als im „Great
War“. Neben dem Gefallenengedenken wird an diesem Tag aber
auch der Stolz auf die eigenen Soldaten ausgedrückt [2]. In
Frankreich ist der Tag des Waffenstillstandes gesetzlicher Feiertag und hat eine hohe gesellschaftliche Bedeutung als Gedenktag für die Gefallenen. Im kollektiven Gedächtnis beider Staaten
ist der 11. November, wie auch in anderen ehemaligen Ententestaaten, bis heute immer noch als Erinnerung an den glorreichen
Sieg über Deutschland fest verankert. So sehen viele Franzosen
tief in ihrem Herzen im „Grande Guerre“ den Krieg, der ihr
Land zwar ausgeblutet hat, aber im Gegensatz zur Schmach des
Zweiten Weltkrieges nicht mit einer Niederlage und der Besetzung von Paris durch deutsche Truppen einherging. Versuche
von offizieller französischer Seite, so von Präsident Sakorzy,
den 11. November zum Tag der deutsch-französischen Freundschaft zu erklären und diesen gemeinsam mit Bundeskanzlerin
Angela Merkel vor dem Arc de Triomphe zu begehen, stießen in
Frankreich nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf Widerstand [3].
Australier und Neuseeländer gedenken ihrer Gefallenen am
„Anzac-day“. Dieser wird in Erinnerung an die Kämpfe austra-
G. P. Groß: Der Erste Weltkrieg und seine Bedeutung im wissenschaftlichen Kontext
lischer und neuseeländischer Verbände auf der türkischen Halbinsel Gallipoli 1915 immer am Tag der Landung begangen, dem
25. April eines Jahres. Bis heute wird in Australien an diesem
Tag jedoch nicht nur der Gefallenen gedacht, sondern mit Militärparaden auch an den Sieg über die Mittelmächte erinnert. Der
Erste Weltkrieg nimmt als „Blutopfer“ im kollektiven Gedächtnis der Australier einen zentralen Platz als Gründungsmythos
der heutigen australischen Gesellschaft ein. So steht der „Anzac
spirit“ außenpolitisch dafür, dass Australien im Great War erstmals als vereinte Nation und souveräner Akteur auf der internationalen Bühne auftrat, und innenpolitisch für die nationale Integration durch die „gesamtaustralische Leidensgemeinschaft“
in den Kriegsjahren. Die aufgeführten Beispiele verdeutlichen
zum einen die dramatischen politischen Veränderungen, die der
Erste Weltkrieg weltweit auslöste und die in vielen Staaten bis
heute positiv konnotiert sind. Zum anderen, dass militärische
Erfolge der Urgroßväter, trotz des Widerstands einiger nationaler Friedensbewegungen, heute als militärische Siege gefeiert
und als Vorbild für heutige Soldaten tradiert werden. Vor diesem
Hintergrund überrascht es nicht, dass zum Beispiel die australische Regierung über 80 Millionen Dollar für die Erinnerungsfeierlichkeiten von 2014 bis 2018 bereitstellt.
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In Deutschland wiederum stößt der Umgang der ehemaligen
Ententestaaten mit dem 11. November im Speziellen und dem
Ersten Weltkrieg im Allgemeinen auf Unverständnis. Einen militärischen Sieg überhaupt zu feiern und dann auch noch in Verbindung mit dem Gefallenengedenken, ist für viele Deutsche
heute genauso unvorstellbar, wie an diesem Tag öffentlich den
Stolz auf die eigenen Soldaten zu demonstrieren. Der im Vergleich mit anderen am Ersten Weltkrieg beteiligten Staaten einzigartige deutsche Umgang mit militärischen Erfolgen und dem
Gefallenengedenken erschließt sich aus der deutschen Geschichte des „Zeitalters der Weltkriege“.
Während der Weimarer Republik und des „Dritten Reichs“ war
es undenkbar, die Unterzeichnung des Waffenstillstandes, die
die Masse der Deutschen als Eingeständnis der Niederlage bewerteten, zu begehen. Nur die allerwenigstens Deutschen dürften der Niederlage in den 1920er Jahren etwas Positives abgewonnen haben. Im Gegenteil – der Versailler-Vertrag, der im Artikel 231 Deutschland und seinen Verbündeten die Verantwortung am Kriegsausbruch zuwies, wurde von vielen Deutschen
als Schanddiktat abgelehnt. Eine positive sinnstiftende Konnotation mit dem Ende des Ersten Weltkrieges entstand daher in
Deutschland nach dem Krieg nicht. Als Folge des Zweiten Weltkrieges verschwand der 11. November und mit ihm die Niederlage von 1918 als historisches Ereignis aus dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Heute wird in Deutschland am letzten
Sonntag des Kirchenjahres im November am Volkstrauertag
nicht nur der Gefallenen deutschen Soldaten beider Weltkriege,
sondern der „Toten zweier Kriege an den Fronten und in der
Heimat“ und an „die Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen“ gedacht. Ganz bewusst wird jegliches Heldenpathos vermieden und sich so unmissverständlich vom Heldengedenktag
der Nationalsozialisten abgegrenzt. Damit einhergehend verschwindet der Erste Weltkrieg im Schatten des Zweiten. Zugleich wird das Gedenken um die zivilen Opfer von Gewaltherrschaft erweitert und so im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staaten zivilisiert und internationalisiert. Mit dem Volkstrauertag, der in den 1920er Jahren, wie die Gedenktage in
Frankreich oder Großbritannien, als Gedenken an die gefallenen
deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges begründet wurde, ist
in der Bundesrepublik daher keine bewusste Bindung an den
Ersten Weltkrieg mehr vorhanden. Schon gar nicht wird an diesem Gedenktag mit Stolz auf die militärischen Leistungen deutscher Soldaten in der Vergangenheit und heute hingewiesen.
Dies liegt nicht zuletzt dran, dass im kollektiven Gedächtnis der
Deutschen die Erinnerung an den Ersten durch die an den Zweiten Weltkrieg und die in den Jahren 1939 bis 1945 verübten
deutschen Verbrechen überlagert wird, da weder in der Bundesrepublik Deutschland noch in der Deutschen Demokratischen
Republik nach 1945 angesichts des Schreckens des Zweiten
Weltkrieges und dessen Aufarbeitung ein großes Interesse an
der Aufarbeitung der Geschichte des Ersten Weltkrieges bestand.
Abb. 1: „wer weiss ob wir uns wiedersehn!“ - Soldaten des Ersten
Weltkrieges auf einer Feldpostkarte des Jahres 1917 im Bewusstsein
ihres möglichen Schicksals
Lediglich Anfang der 1960er Jahre trat der Erste Weltkrieg mit
einem Knall für kurze Zeit aus dem Schatten des Zweiten Weltkrieges als Fritz Fischer 1961 mit seinem Buch „Griff nach der
Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland
1914/1918“ [4] weit über den kleinen Kreis der Fachleute hinaus eine heftige Debatte über die deutsche Vergangenheit vor
der nationalsozialistischen Machtergreifung auslöste. Beließ es
Fischer doch nicht bei einer Analyse der deutschen Kriegsziele
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G. P. Groß: Der Erste Weltkrieg und seine Bedeutung im wissenschaftlichen Kontext
im Ersten Weltkrieg, sondern wies Deutschland eine erhebliche
Verantwortung für die Auslösung der Urkatastrophe des 20.
Jahrhunderts zu. Die Folge waren ein publizistisches Erdbeben
sowie eine bis dato beispiellose Diskussion in der westdeutschen Geschichtswissenschaft, die auch weite Teile der deutschen Öffentlichkeit erfasste. Die besonders in den Jahren nach
dem Versailler Friedensvertrag hochgradig politisiert geführte
Debatte über die deutsche Kriegsschuld flammte erneut auf.
Konrad Jarausch bringt die damalige Stimmung treffend auf den
Punkt:
„Fischers Thesen waren ein Schock. In Jerusalem stand Adolf Eichmann vor Gericht, in Frankfurt begannen die Auschwitzprozesse. Allen Deutschen wurde vor Augen geführt, welche schrecklichen Dinge
im Dritten Reich passiert waren. Und nun sollten sie auch noch
schuld am Ersten Weltkrieg sein.“ [5]
Die bis Ende der 1970er Jahre andauernde „Fischer-Kontroverse“ über die Frage nach der Kriegsschuld des Kaiserreichs am
Ersten Weltkrieg nahm ihren Lauf. Fischer spitzte in seinem
Werk „Krieg der Illusionen. Die deutsche Politik von 1911 bis
1914“ [6] wenige Jahre später seine Position weiter zu, indem er
der Reichsleitung eine langfristige Kriegsplanung zur Erringung
einer deutschen Hegemonie in Europa vorwarf. Der Hamburger
Ordinarius verwarf damit nicht nur die These von der schicksalhaften Verstrickung, die zum Krieg führte, er stellte an ihre Stelle die des kühl berechnenden Aktes der Reichsleitung. Fischers
wissenschaftliche Gegner, wie Egmont Zechlin, Karl Dietrich
Erdmann und Gerhard Ritter, kritisierten seine Thesen aufs
schärfste. Sie warfen ihm vor, er weise Deutschland die Alleinschuld am Kriegsausbruch zu und stelle ungerechtfertigter Weise eine Kontinuitätslinie in der deutschen Geschichte von Friedrich II. über Bismarck hin zu Adolf Hitler auf.
Der Streit wurde über den wissenschaftlichen Disput hinaus von
allen Beteiligten bis an die Grenze der persönlichen Diffamierung geführt. Dazu trug nicht zuletzt bei, dass die Diskussion
über Fischers Thesen sich quasi sofort zu einer Debatte über die
Kontinuität deutscher Kriegszielpolitik von Kaiser Wilhelm II.
zu Adolf Hitler erweiterte und Massenmedien wie der „Spiegel“
Partei für Fischer ergriffen mit Beiträgen wie:
„Fischer [...] weist dem Kaiserreich [...] einen Expansionsdrang
nach, der fast noch maßloser anmutet als der Volk-ohne-Raum-Komplex der Nationalsozialisten. [...] Die kaiserlichen Ostlandfahrer bewiesen mithin kaum weniger Appetit als die späteren Haken-Kreuzritter“[7].
Eine bis dato innerhalb der Historikerzunft geführt Diskussion
erfasste so in Windeseile breite Kreise der deutschen Öffentlichkeit. In der aufgeheizten Stimmung machten auch führende
westdeutsche Politiker wie Bundeskanzler Ludwig Ehrhard
oder Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier öffentlich Front
gegen Fischer, da er das Ansehen der jungen Bundesrepublik
schädige und letztlich den Neuaufbau Deutschlands behindere
[8]. Auch wenn in den nächsten Jahren gemäßigte Kontrahenten
Fischers zumindest in Teilen seine Position anerkannten, die
deutsche Reichsleitung habe bewusst einen Krieg einkalkuliert,
standen sich die streitenden Lager in vielerlei Hinsicht noch lange unversöhnlich gegenüber. Über die Jahre entwickelten sich
zwei Lehrmeinungen. Zum einen die kompromisslosen Verfechter eines geplanten und bewusst herbeigeführten Krieges
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durch die deutsche Reichsleitung, zum anderen Vertreter der
These, die die Hauptverantwortung für den Kriegsausbruch in
Berlin verorteten, eine systematische, langfristige Kriegsvorbereitung jedoch ablehnten.
Während in der deutschen Geschichtswissenschaft über die Frage nach der Kriegsschuld des Kaiserreichs am Ersten Weltkrieg
weiterhin lebhaft diskutiert wurde, verloren die Politik und die
Öffentlichkeit schon nach wenigen Jahren das Interesse an der
Thematik. Hatte doch für viele der Reiz an der Diskussion nicht
mit der Beschäftigung mit dem Kriegsbeginn des Ersten Weltkrieges zu tun, sondern mit dem „Sonderweg Deutschlands“
und dem zielstrebigen deutschen Griff nach der Weltmacht, die
im Nationalsozialismus und den ungeheuren Verbrechen der
Deutschen im Zweiten Weltkrieg gipfelten.
Das Interesse an den Ursachen der „Urkatastrophe“ blieb über
die Jahre hinweg ungebrochen.
Fünfzig Jahre nach Beginn der „Fischer-Kontroverse“ und wenige Monate vor dem hundertsten Jahrestag des Kriegsausbruchs 2014 lassen sich Veränderungen unseres Bildes vom Ersten Weltkrieg an verschiedenen Aspekten festmachen. In
Deutschland haben die neuen Erkenntnisse zum Kriegsausbruch
1914 mittlerweile, wenn auch mit der für Schulbücher typischen
Verspätung, Einzug in die Schulgeschichtsbücher gefunden. Die
bis in die 1950er und 1960er Jahre noch verbreitete „Unschuldsthese“ ist „Geschichte“. Der Kriegsausbruch wird differenziert
dargestellt [9]. Breiten Raum in den Geschichtsbüchern, wie in
Großbritannien, Frankreich oder Australien, nimmt der Erste
Weltkrieg jedoch nicht ein. Auch in der deutschen Öffentlichkeit und in den Medien wurde er in den letzten Jahrzehnten nur
selten wahrgenommen und wenn – dann immer auch unter Verweis auf den Zweiten Weltkrieg. So der Spiegel Spezial „Die
Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Dieser erschien neunzig
Jahre nach Kriegsausbruch 2004 und stellte nicht nur im Untertitel „1. Weltkrieg und die Folgen“, sondern mit den Abbildungen Kaiser Wilhelms II. und Adolf Hitlers auf dem Titelbild, die
Kontinuitätslinie vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg dar [10].
Vor dem geschilderten Hintergrund verwundert es nicht, dass
sich das offizielle Deutschland mit dem Begehen des Jahrhundertereignisses schwer tut. Während in vielen ehemaligen Ententestaaten schon vor Jahren die Vorbereitungen für das Begehen des Weltkriegsjubiläums begannen, bemühte sich die Bundesregierung, das Jahrhundertereignis möglichst tief zu hängen
und übte sich lange in offizieller Zurückhaltung. Ist doch eine
„sinnstiftende Deutung“, wie in den Siegerstaaten, dem Kriegsverlierer Deutschland nicht möglich [11]. Als sinnstiftendes Ereignis sehen viele Deutsche dagegen im Jahr 2014 viel eher die
Feiern zum 25. Jahrestag der friedlichen Revolution. Im Ausland stieß der deutsche Umgang mit der aktiven Erinnerungspolitik auf Unverständnis. Die Bemühungen des Auswärtigen Amtes, im Rahmen der Erinnerungsfeierlichkeiten nicht herauszustellen, wer den Krieg gewonnen habe, sondern im gemeinsamen Gedenken der über 15 Millionen Toten dem Ersten Weltkrieg eine „sinnstiftende“ Funktion für die europäische Integration zuzuweisen, stieß bei den Siegerstaaten nicht auf ungeteilte
Zustimmung. In Großbritannien ist die Zahl derer, die den Sieg
über Deutschland feiern wollen, nicht zu unterschätzen. Mit Bezug auf diese führte der britische Historiker Hew Strachan aus,
„viele Menschen haben im Glauben gekämpft, dass es lohnenswert ist. Wir müssen diese Motivation akzeptieren.“ [11] Mit
diesen Ausführungen hebt er sich wohltuend von Michael Gove
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Abb. 2: Beinhaus von Douaumont - letzte Ruhestätte von mehr als 16 000 Gefallenen der Schlacht um Verdun
ab. Dieser, immerhin britischer Bildungsminister, erklärte, der
„Große Krieg“ sei ein gerechter Krieg gegen den „skrupellosen
Sozialdarwinismus der deutschen Eliten, ihr mitleidloses Vorgehen bei der Besetzung, ihre aggressiv expansionistischen
Kriegsziele und ihre Verachtung für die internationale Ordnung“ [12] gewesen. Auch wenn diese Äußerungen in Großbritannien auf große Kritik stießen, wird deutlich, auf welch
schwierigem Terrain sich deutsche Erinnerungspolitik bezogen
auf den Ersten Weltkrieg bewegt.
In Deutschland wurde das zurückhaltende Agieren der Bundesregierung von Seiten vieler Medien und von Historikern, so
zum Beispiel Gerd Krumeich, als Desinteresse und „Dummheit“ kritisiert [11]. Die neue Bundesregierung hat mittlerweile
die offizielle Zurückhaltung in Teilen aufgegeben. So wird der
Bundespräsident an den Feiern in Frankreich und Belgien im
Sommer teilnehmen. Dass der Erste Weltkrieg und insbesondere
der Kriegsausbruch 1914 auch in Deutschland immer noch die
Menschen bewegen kann, bewies der australische Historiker
Christopher Clark mit seinem Buch „Die Schlafwandler“ [13].
Es belegte über Wochen die Spitzenplätze der Bestsellerlisten.
Der Erfolg dieses Werkes liegt nicht zuletzt darin, dass Clark in
seinem kontrovers diskutierten Band Deutschland zwar keinen
„Freispruch“ am Kriegsausbruch erteilt, jedoch darauf verweist,
die Deutschen seien im Vorfeld nicht aggressiver gewesen als
die anderen europäischen Großmächte. Der Krieg sei eine gemeinsame europäische „Frucht“ [14] gewesen.
Mit den „Schlafwandlern“ feuerte Clark fast 50 Jahre nach Fischer eine erneute Diskussion über die Schuld am Ausbruch des
Ersten Weltkrieges an, die von der deutschen Öffentlichkeit unbeachtet in der internationalen Geschichtswissenschaft schon
längere Zeit geführt wurde und den Blick weg von Deutschland
verstärkt auf Österreich-Ungarn oder auch einzelne Ententestaaten richtete.
Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler widersprach in seinem neuen Buch „Der Große Krieg. Die Welt 19141918“, von einigen Rezensenten als „Meisterwerk“ gelobt [15],
der These von der deutschen Kriegsschuld [16]. Diese pointierte
Aussage blieb natürlich nicht unwidersprochen. Neben Gerd
Krumeich kritisierten auch andere Historiker wie Michael Epkenhans Clarks und Münklers Thesen. Berlin und Wien, so Epkenhans, hätten 1914 die Weichen auf den Krieg gestellt [17].
Wie in der Fischerkontroverse griffen die Medien die Diskussion auf. Volker Ulrich stellte in seinem Zeitartikel vom 24. Januar 2014 „Nun schlittern sie wieder. Mit Clark gegen Fischer:
Deutschlands Konservative sehen Kaiser und Reich in der
Kriegsschuldfrage endlich rehabilitiert“ einen direkten Zusammenhang zwischen der aktuellen Diskussion und der Fischerkontroverse her. Neue Quellen, die Fischers Thesen widerlegen,
gäbe es in den neueren Werken nicht. Trotzdem werde Fischer,
so Ulrich, geschmäht wie in den sechziger Jahren. Die deutschen Konservativen versuchten mit einer geschichtspolitischen
Weichenstellung, die Deutungshoheit über die deutsche Geschichte zurückzugewinnen. Kritiker von Clark und Münkler,
die an der deutschen Hauptverantwortung festhielten, versuche
man mit dem Begriff „Schuldstolz“ zu diskreditieren. Leicht resigniert stellt Ulrich abschließend fest: „Es fällt auf, wie matt
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G. P. Groß: Der Erste Weltkrieg und seine Bedeutung im wissenschaftlichen Kontext
der Widerspruch bislang war. In der Zunft scheint man des
Streites müde geworden zu sein.“ [18] Diese Aussage bezog
sich auch auf das Manifest „Warum Deutschland nicht allein
schuld ist“ von Dominik Geppert, Sönke Neitzel, Cora Stephan
und Thomas Weber in der Welt vom 4.1.2014, in dem sie auch
ausführen, die Schuldfrage spiele heute kein wichtige Rolle
mehr [19].
Nicht zuletzt dank Clarks „Schlafwandlern“ ist das Jahrhundertereignis Kriegsausbruch des Ersten Weltkrieges 2014 in der
deutschen Politik und Gesellschaft angekommen. Die Medien
haben das Thema aufgegriffen. Fernsehsendungen und Zeitschriftenartikel nehmen sich der Thematik an. Eine Vielzahl von
Büchern zum Ersten Weltkrieg ist schon erschienen oder wird in
den nächsten Monaten erscheinen, zudem ist eine Vielzahl kultureller Veranstaltungen und historischer Fachtagungen geplant.
Auch die deutsche Politik haben die Folgen des Ersten Weltkrieges eingeholt. So ist eine Verweigerung des gesamteuropäischen
Erinnerns an den Ersten Weltkrieg nicht möglich. Zugleich zeigt
die aktuelle Krise um die Ukraine, die als eigenständiger Staat
unter deutscher Vorherrschaft erstmals als Folge des Friedensvertrags von Brest-Litowsk 1918 die Bühne der Weltpolitik betrat, dass Großmachtpolitik auch im 21. Jahrhundert noch üblich
ist und wie wichtig geschickte Diplomatie in Krisenlagen ist. So
mahnte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier angesichts des Versagens der Diplomatie in der Julikrise 1914 mit
Blick auf die Lage in der Ukraine in seinen einführenden Worten zu der vom Auswärtigen Amt initiierten Veranstaltung zum
Ersten Weltkrieg mit dem Titel „Vom Versagen und Nutzen der
Diplomatie“ davor „was passiere, wenn Gespräche nicht gesucht werden.“ Bezogen auf die aktuelle Krimkrise sei die Frage
nach Krieg und Frieden nach Europa zurückgekehrt und das lasse ihm „den einen oder anderen Schauer über den Rücken laufen.“ [14]
Der Wunsch von Kurt Kister vom Januar 2014, nachdem ein
Jahrhundert seit dem Beginn des Ersten Weltkrieges vergangen
sei, diesen jetzt endlich „für sich“ zu betrachten, scheint trotz aller berechtigten Ablehnung historischer Parallelen angesichts
der aktuellen Lageentwicklung zu optimistisch gewesen zu sein.
[20]
Literatur
1. Funk A: Erster Weltkrieg und Europa. Wie in England mit 1914 Politik gemacht wird. Tagesspiegel vom 5.1.2014: http://www.tagesspiegel.de/politik/erster-weltkrieg-und-europa-wie-in-england-mit1914-politik-gemacht-wird/9290166.html [7.2.2014].
2. So verkündete Dame Helen Mirrer am Remembrance Day 2011 allen Briten auf einem Plakat mit einem poppy-sticker am Pullover lächelnd „Our troops are the real stars“: http://twitpic.com/7ape1b
[25.3.2014].
3. So erklärte ein Vertreter des französischen Veteranenverbandes:
„Mein Vater hat elf Monate hier gekämpft und wenn ich an ihn denke, empfinde ich diesen Schritt als Verrat.“ Zitiert nach: Woller H:
Frankreich und der 11. November. Angela Merkel und die Frage,
diesen Tag zu einem deutsch-französischen Feiertag zu machen.
Beitrag vom 11.11.2009:
http://www.deutschlandfunk.de/frankreich-und-der-11november.795.de.html?dram:article_id=118416 [7.3.2014].
4. Fischer F: Griff nach der Weltmacht: Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/1918. Düsseldorf: Droste Verlag 1961.
5. Ein Buch wie ein ‘Sprengsatz’ – Der Historiker Konrad H. Jarausch
über den Streit um Fritz Fischers Forschungen im Gespräch mit KaWehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
ren Andresen (Der Spiegel). In:, Burgdorff S und Wiegrefe K
(Hrsg.): Die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Spiegel special
2004; 1: 135.
Fischer F: Krieg der Illusionen: Die deutsche Politik von 1911 bis
1914. Düsseldorf: Droste Verlag 1969.
“Wilhelm der Eroberer”. Der Spiegel 49, 29.11.1961:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43367711.html [26.3.2014].
Rüdiger M: Kontinuitätsthese und Kriegsschulddebatte: Die Fischer-Kontroverse in den Massenmedien 1961–1964/65. Masterarbeit Universität Freiburg i.Br. 2007, 83–85: http://www.freidok.unifreiburg.de/volltexte/6694/pdf/Fischer_Kontroverse.pdf
[26.3.2014].
Bergien R: “Fritz Fischers Thesen in Schulbüchern”. Militärgeschichtliche Zeitschrift 2005; 64: 135 - 149.
Spiegel Spezial. Die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Nr. 1,
Hamburg 2004.
Krump H: Die zögerlichen Deutschen: http://www.dasparlament.de/2014/01-03/Themenausgabe/48462304.html
[28.3.2014].
Eigenwillige Geschichtsdeutung zum Ersten Weltkrieg. Großbritanniens Bildungsminister ruft „gerechten Krieg“ gegen Deutschland
aus: http://www.focus.de/politik/ausland/henkels-london/eigenwillige-geschichtsdeutung-grossbritanniens-bildungsminister-ruft-gerechten-krieg-gegen-deutschland-aus-1_id_3528539.html
[28.3.2014].
Clark C: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg
zog. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2013.
Fürstenau: Erster Weltkrieg: Ein Krieg den so keiner wollte:
http://www.dw.de/erster-weltkrieg-ein-krieg-den-so-keinerwollte/a-17498180 [30.3.2014].
So beispielsweise Schröder C: Das große Sterben: http://www.tagesspiegel.de/kultur/herfried-muenkler-ueber-den-ersten-weltkriegdas-grosse-sterben/9154582.html [31.3.2014].
Münkler H: Der Große Krieg. Die Welt 1914-1918. Berlin: Rowohlt
2013.
Interview mit Michael Epkenhans. Ein sehr gefährliches Spiel. Das
Parlament 01-03-2014: http://www.das-parlament.de/2014/0103/Themenausgabe/48462219.html [31.3.2014].
Ulrich V: Nun schlittern sie wieder. Mit Clark gegen Fischer:
Deutschlands Konservative sehen Kaiser und Reich in der Kriegsschuldfrage endlich rehabilitiert. Zeit-online vom 24.1.2014:
http://www.zeit.de/2014/04/erster-weltkrieg-clark-fischer/
[31.3.2014].
Geppert D, Neitzel S, Stephan C und Weber T: Warum Deutschland
nicht allein schuld ist. Die Welt, 4.1.2014: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article123516387/Warum-Deutschland-nicht-allein-schuld-ist.html [31.3.2014].
Kister K: Die Welt brennt. Vor 100 Jahren begann der große Krieg,
der das alte Europa einstürzen ließ. Süddeutsche Zeitung, Nr. 3 Wochenende 10v1, 4./.5./6. Januar 2014.
Bildquelle:
Abb. 1: Archiv Oberfeldarzt Prof. Dr. Vollmuth
Abb. 2: Matt Leonard on http://www.ww1centenary.oucs.ox.ac.
uk/?p=214, accessed 22 Juni 2014
Verfasseranschrift
Oberst Dr. Gerhard P. Groß
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften
der Bundeswehr
Zeppelinstraße 127/128
14471 Potsdam
E-Mail: GerhardGross@bundeswehr.org
Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.
231
Aus der Sanitätsakademie der Bundeswehr, München (Kommandeurin: Generalstabsarzt Dr. E. Franke)
Sanitätsdienst im Stellungskrieg –
Besondere Herausforderung an Hygiene, Gesundheitsvorsorge und
Verwundetenversorgung
Medical Support in Trench Warfare –
Major Challenges regarding Hygiene, Preventive Medicine and Treatment
of the Wounded
Volker Hartmann
Zusammenfassung
Der vor allem im Westen prägende Stellungskrieg stellte die
beteiligten Sanitätsdienste vor große Herausforderungen in
den Bereichen Organisation der Feldhygiene, Präventivmedizin und Verwundetenversorgung. Es galt im Zeitalter der
Massenheere über Jahre Infektionskrankheiten abzuwehren,
die durch neuartige Waffenwirkung verursachten Verwundungen einer suffizienten Versorgung zuzuführen und eine
Rettungskette sicherzustellen. Dabei waren die Betroffenen
heute kaum glaublichen Traumatisierungen unterworfen.
Schlagworte: Erster Weltkrieg, Grabenkrieg, Versorgung
von Verwundeten, Feldhygiene, Präventivmedizin, Verwundung, Traumatisierung, Sanitätsdienst.
Summary
The Western Front was dominated by the typical trench warfare which posed major challenges to the medical services on
both sides in organizing field hygiene, preventive medicine
and medical treatment of the wounded. In the era of mass armies, prevention of infectious diseases, effective management of injuries and ensuring a comprehensive rescue chain
was of eminent importance. Military personnel of those days
were exposed to terribly traumatizing situations which are
hard to imagine today.
Keywords: Great War, trench warfare, treatment of wounded, field hygiene, preventive medicine, injury, trauma, medical service.
Am Anfang des Krieges
Fünf Wochen nach Kriegsbeginn, ab dem 9. September 1914,
zogen sich die Spitzen der deutschen Truppen aus ihren Brückenköpfen über die Marne nach Norden zurück. Dort bezogen
sie neue rückwärtige Stellungen hinter der Aisne. Bis dahin waren die deutschen Armeen nahezu ununterbrochen bis zu 40 km
am Tag kämpfend durch Belgien und den Norden Frankreichs
marschiert. Der von dem deutschen Generalstab nach dem
Schlieffen-Plan vorgenommene rasche Bewegungskrieg mit
dem Ziel der Vernichtung des Gegners durch dessen Umfassung, der Sichelschnitt, war gescheitert. Genauso wie auch alle
anderen schnellen Angriffsunternehmungen der am Krieg beteiligten Nationen im Jahre 1914 scheitern sollten.
Während der Angriffsunternehmen der ersten Kriegswochen
hatten die beteiligten Truppen auf beiden Seiten ungeheure Verluste erlitten. An einem einzigen Tag, dem 22. August 1914, verloren 27 000 französische Soldaten ihr Leben.
Der schnelle Vormarsch stellte die Versorgung der Truppe vor
große Herausforderungen und auch die sanitätsdienstliche Betreuung in der Bewegung war ein schwieriges Unterfangen,
noch dazu in Anbetracht hoher Verwundetenzahlen.
Nun erstarrte die Front, man grub sich ein und verschanzte sich
im Lehmboden Nordfrankreichs. Ein tiefgestaffeltes, sich teilweise über mehrere Kilometer breit hinziehendes Stellungssystem mit Schützengräben, Stacheldrahtsicherungen, vorgelagerten Sappen, einbetonierten Maschinengewehrstellungen und
massivem Einsatz aller Arten von Artillerie wurde von der Kanalküste bis ins Elsass geschaffen. Aus ihm heraus ließ sich in
der Defensive erfolgreich agieren. Eigene und gegnerische Angriffe wurden zumeist blutig unter hohen Verlusten in unzugänglichen Trichterfeldern abgeschlagen. Im Westen blieb dieser Grabenkrieg über vier Jahre die bestimmende Größe des
Kampfes, aus der festen Front heraus ließ sich trotz größter Anstrengungen, wie zum Beispiel in der Champagne, an der Somme oder bei Verdun, nicht mehr zu einem entscheidenden Bewegungskrieg kommen.
Die Kriegführung
Der im Februar 1916 begonnene deutsche Angriff auf das Festungssystem um Verdun gilt bis heute als Metapher eines sinnlosen Abschlachtens Zehntausender auf engstem Raum. Aus dem
Schrecken dieser „Blutmühle“ resultierte ein unbeschreibliches
Leiden der Soldaten beider Seiten. Die Zeitgenossen erlebten
dies in traumatischer Weise und versuchten die Geschehnisse in
erschütternden künstlerischen und literarischen Zeugnissen zu
verarbeiten (Abb. 1). Mit einem nie gesehenen Artillerieeinsatz
regneten über Wochen stündlich bis zu 10 000 Geschosse auf
die Gräben und Angriffsflächen. Der als Beratender Internist
eingesetzte Berliner Charité-Professor Wilhelm His (1863 1934) beobachtete ein solches Bombardement französischer
Stellungen:
„Für einige Stunden waren sie ein einziges Flammenmeer. Die Einschüsse der großen und kleinen Geschosse, die breiten blauen Flammen der Minen- und Flammenwerfer, die bunten Raketenzeichen brachen nicht ab. […] Man hätte denken müssen, keine Seele könne in
diesem Nebel der Pulver- und Minengase am Leben bleiben. […]
Über die Kämpfe bei Verdun und die Leiden der Truppen haben wir
viele anschauliche Schilderungen von Teilnehmern …, und doch, so
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V. Hartmann: Sanitätsdienst im Stellungskrieg - Besondere Herausforderung an Hygiene
Dies machte auch vor dem Sanitätsdienst und seinen Protagonisten nicht halt, denn erstmals in der Geschichte wurde zumindest durch die beteiligten Nationen auf dem westlichen Kriegsschauplatz ein tiefgegliedertes und durchaus effizientes sanitätsdienstliches System etabliert. Trotz stärkster Waffenwirkung
und teilweise infernalischen Bedingungen an der Front hatten
Verwundete eine große Chance zu überleben, wenn auch oft zu
einem hohen Preis.
Das Stellungssystem
Abb. 1: Nach dem Einschlag eines Artilleriegeschosses auf den
Hauptverbandsplatz im Frühjahr 1918
eindringlich sie sind, haben sie mir nicht denselben überwältigenden
Eindruck gemacht wie das Anschauen dieser entsetzlichen Feuerwirkung. Dabei stand ich entfernt und verhältnismäßig sicher! Aber
selbst das noch wirkte mit der Gewalt eines furchtbaren Naturereignisses“. [1, S. 117]
Hart umkämpfte höher gelegene Geländepunkte des Schlachtfeldes um Verdun mit dem Namen „Höhe 304“ oder „Toter
Mann“, die eigentlich nur noch aus mehrfach umgepflügten
Lehmhügeln bestanden, sind bis heute 1 000-fache Grabstätten:
„Leute lagen in den Granattrichtern, zwischen Leichen, die durch
Granaten weiter zerfetzt wurden, Gestank, keine persönliche Hygiene
möglich, kaum Nahrungsmittel, Fliegenplage, Fäkalien und Leichengestank, Trinkwasser aus Granattrichtern.“ [1, S. 662]
Wie unter derartigen Umständen immer wieder motiviert in den
Kampf gezogen wurde, erscheint heute kaum nachvollziehbar.
In diesem Zusammenhang kann das Phänomen der psychischen
Verarbeitung solcher Schrecknisse, mit dem sich seither Psychoanalytiker und Sozialwissenschaftler befassen, hier nur am
Rande betrachtet werden. Beobachtet wurden im Kriege alle
Momente von Todesangst mit resultierenden psychischen Alterationen schwerster Ausmaße („shell shock“) bis hin zum Gegenteil, absoluter Todesverachtung und Aufbau von Parallelwelten mit raumsprengender Irrealität.
Das Wirken der Sanitätsdienste in der Mondlandschaft um die
Forts Douaumont und Vaux stellte dabei durchaus einen humanitären Anachronismus in dieser gnadenlosen Welt der Materialschlacht dar:
„Das ganze Gelände südlich Fort Douaumont […] war wie ein von
unzähligen Granaten zerpflügtes Feld, in dem es weder Weg noch
Steg gab. Das Zurücklegen des Weges von und nach der Stellung war
schon für den einzelnen Mann eine große körperliche Anstrengung,
wieviel mehr für die Krankenträger, die nichtmarschfähige Verwundete zurücktragen mußten.“ [2, S. 657]
Diese Art von Kriegsführung forderte alle Ressourcen, eine Mobilisierung der Gesellschaften in ihrer Tiefe. Der Krieg hatte
sich zu einer ideologisch motivierten Technisierungs- und Industrialisierungsoffensive entwickelt, einer Materialschlacht, in
der sich das einzelne Individuum verlor.
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An der Einrichtung des ausgeklügelten Grabensystems wurde
im Laufe der Jahre ständig gefeilt. Bauhygienische Aspekte des
Stellungsbaus nahmen eine immer größere Bedeutung ein. Es
galt nicht nur, eine möglichst sichere Deckung gegen gegnerische Waffenwirkung zu erreichen, sondern die Soldaten sollten
dort auch bei schlechter Witterung einigermaßen erträglich leben. Neben Schlafunterkünften und Aufenthaltsräumen waren
Küchen und sanitäre Anlagen zu errichten. Entscheidend waren
bei dem Bau von Stollen und Unterständen die Deckung gegen
die Einwirkung von Waffen, die Verhinderung von Bodenfeuchtigkeit und eine ausreichende Ventilation in den tiefliegenden
Unterständen. Die Gräben selbst zogen sich teilweise in dreifacher Mannstiefe unter dem Bodenniveau hin, die Soldaten stiegen auf Leitern bis zu dem oben liegenden Schartensystem, mit
dem Sturmangriffe abgewehrt wurden. Der Aushub wurde an
der rückwärtigen Grabenseite zur Sicherung durch Maschinengewehrstellungen verwendet.
Der Sanitätsunteroffizier Clemens Bedbur schilderte die Stellung seines Infanterieregiments in der Champagne:
„Unsere Kampfstellung hat die Form eines Hufeisens und drum herum liegt der Franzose. Zur Stellung führen verschiedene Laufgräben, von denen der Schmidtweg am meisten begangen wird – aber
auch der gefährlichste ist. […] Am Anfang […] liegt immer eine
Kompanie in Reserve in kleinen Unterständen. Verschiedene Maschinengewehrnester sichern das vorliegende Tal. Wenn der Schmidtgraben zu Ende ist, kommt man rechts und links zum Umgehungsgraben.
Kleine Gräben führen nach vorne zur zweiten Stellung oder Aufnahmestellung genannt, falls die erste Stellung verloren geht. Von hier
aus geht es zur ersten Stellung oder Kampfstellung. Im Umgehungsgraben liegt der Batl. Gefechtsstand, etwas weiter in einem kleinen
Graben liegt der Sanitätsunterstand bestehend aus 3 Unterständen
für den Arzt, die Krankenträger und die Verwundeten. Diese […] sind
durch einen Stollen miteinander verbunden. […] In unserem Sanitätsstand steht ein Operationstisch. Große Mengen Verbandstoffe.“ [3, S.
67f.]
Ein ausgeklügeltes System von Sickergräben und -schächten
diente der Entwässerung in den Stellungen und Unterständen,
mehr oder weniger erfolgreich. Zur Verhinderung von Tropfwasser an Decken und Wänden wurden Wellblechplatten, Zeltbahnen und Dämmmaterialien in den Bunkern und Stollen eingebaut. Besonders auf britischer Seite litten die Soldaten im
Winter 1915 in Folge der feuchten und kalten Gräben an dem
berüchtigten „trench foot“. Colonel Arthur Lee (1868 - 1947),
sanitätsdienstlicher Berater des britischen Oberbefehlshabers,
Lord Herbert Kitchener (1850 - 1916), berichtete diesem von
2 000 Soldaten einer Division, die innerhalb von einer Woche
mit diesem Krankheitsbild abgelöst werden mussten:
V. Hartmann: Sanitätsdienst im Stellungskrieg - Besondere Herausforderung an Hygiene
„This loss, of trained and seasoned soldiers, was sufficiently sensational to compel general attention and now prevention of ‘frozen feet’
had become the problem of the hour” [4, S. 128]
Auch die Trinkwasserversorgung stellte die Truppe vor große Herausforderungen. In den Batteriestellungen standen Wasserbehälter zur Verfügung, bei Offensiven gab es Extra-Rationen von bis
zu 2,5 Litern. In den vorderen Gräben legte man Zisternen an, die
sich mit Wasserfässern oder -säcken befüllen ließen. Teilweise
gab es Wasserleitungen. Gegen die Verkeimung wurde Chlorkalk
und Thiosulfat genutzt. Hinter der Front begutachteten chemische
Untersuchungsstellen Trinkwasser, Milch, Nahrungsmittel, führten sie mikrobiologische und toxikologische Untersuchungen
durch. Korpshygieniker tauchten auf und untersuchen die Unterkünfte, Vorratslager, Küchen und sanitären Einrichtungen.
Trotzdem muss das Leben für die Soldaten in den vorderen Linien, abgesehen von den ständig drohenden Feuerüberfällen, auch
durch die Unbill der Naturgewalten äußerst belastend gewesen
sein. Ernst Jünger, Stoßtruppführer an diversen Frontabschnitten,
berichtete:
„In der Nacht stürzten nach einem Wolkenbruch sämtliche Schulterwehren ein und verbanden sich mit dem Regenwasser zu zähem Brei,
der den Graben in einen tiefen Sumpf verwandelte. Der einzige Trost
war, daß es dem Engländer auch nicht besser ging, denn man sah, wie
aus seinen Gräben eifrig Wasser geschöpft wurde. Da wir etwas erhöht liegen, pumpten wir ihm unseren Überfluß noch herunter. […]
Die herabstürzenden Grabenwände legten eine Reihe von Leichen
aus den Kämpfen des vorigen Herbstes bloß.“ [5, S. 54f.]
Die Hygiene in den oft verschlammten Schützengräben erforderte
ein strenges Reglement. Ratten und anderes Ungeziefer aller Art
waren ungebetene Gäste. Erich Maria Remarque schilderte:
„Die Ratten haben sich sehr vermehrt in der letzten Zeit […] sind besonders widerwärtig, weil sie so groß sind. Es ist die Art, die man Leichenratten nennt. […] Sie scheinen recht hungrig zu sein. Bei fast allen haben sie das Brot angefressen.“[6, S. 92]
Zudem machte die Verlausung der Truppe, die in den engen und
feuchten Unterkünften hauste, wie auch der Flohbefall zu schaffen:
„Mein Stollen war tief und tropfig. Er hatte eine Eigenschaft, die mir
wenig Freude machte: es kamen nämlich in dieser Gegend statt der
üblichen Läuse die viel beweglicheren Verwandten vor. Die beiden
Arten stehen anscheinend in demselben feindschaftlichen Verhältnis
zueinander wie Wander- und Hausratte. Hier half nicht einmal der
gewohnte Wäschewechsel, denn die sprunggewandten Schmarotzer
lauerten tückisch im Stroh der Lagerstätte. Der zur Verzweiflung getriebene Schläfer riß endlich die Decken heraus, um eine gründliche
Treibjagd zu veranstalten.“ [5, S. 187]
Um die Verlausung und resultierende Infektionskrankheiten zu
bekämpfen, wurden auf Divisionsebene professionelle Bade-,
Wasch- und Entlausungsstationen eingerichtet, in denen Soldaten wie auch Kriegsgefangene sich regelmäßig waschen konnten, um ihre persönliche Hygiene sicherzustellen.
Gesundheitszustand
Der Gesundheitszustand der Soldaten in den Gräben schwankte
ständig, über Tage ernährte man sich in den vorderen Stellungen
von kalter Büchsenkost und regendurchnässtem Brot.
233
Neben diversen dermatologischen Problemen traten daher Magendarmkrankheiten in großer Zahl als „Geißel des Heeres“ [7,
S. 156] auf, auch in Folge der Anstrengungen, so dass nachlassende Physis und Psyche der Kämpfer einen ständigen Wechsel
der Fronttruppe erforderte, um sich in Ruheunterkünften, Waldlagern oder Ortschaften weiter hinten zu erholen. Im Gegensatz
zu den Fronten im Osten oder in der Türkei spielten Infektionskrankheiten ansonsten im Grabenkrieg des französischen
Kriegsschauplatzes nur eine geringere Rolle. Eine gewisse Bedeutung besaßen hier Erkrankungen der Atemwege wie Lungenentzündungen und solche des typhösen Formenkreises. Diese machten es notwendig, eine strikte Latrinenhygiene einzurichten, Dauerausscheider zu identifizieren sowie aus dem
Frontgebiet zu entfernen und spezielle Seuchenlazarette im
rückwärtigen Bereich einzurichten. Erst die konsequente
Durchführung der neuen Schutzimpfung brachte Besserung.
Auch die Tuberkulose, die verschiedenen Geschlechtskrankheiten in der Etappe und ab Sommer 1918 auch die Grippe, die sich
seuchenartig aus Amerika kommend bei Soldaten und Zivilisten
aller kämpfenden Parteien ausbreitete, beschäftigten die Sanitätsdienste. Allein im Juni/ Juli 1918 erkrankten etwa 540 000
vornehmlich jüngere deutsche Soldaten an der Grippe.
Besonders bei den alliierten Truppen ist das durch Läuse übertragene sogenannte Fünftage- oder Schützengrabenfieber (Trenchfever) bekannt geworden, das mit schweren grippalen Symptomen einherging. Auf deutscher Seite beschäftigten sich viele
Wissenschaftler mit der durch Kälte verursachten Kriegsnephritis, die einige Ausfälle verursachte. Die Ursache, Infektionen mit
Hanta-Viren, war in der damaligen Zeit noch nicht bekannt.
Für die Soldaten wirklich gefährlich waren in Folge ihrer hohen
Mortalität die vornehmlich im Nahen und Mittleren Osten beobachtete Cholera und das gefürchtete Fleckfieber, welches vor allem an der russischen Front bei Kriegsgefangenen auftauchte.
Hier galt es, ein striktes präventivmedizinisches Konzept, vor
allem in Hinsicht auf die Läusebekämpfung, zu entwickeln.
Im weiteren Verlauf sank die Letalität an Infektionskrankheiten
auch auf Grund der bedeutenden Fortschritte in der Bakteriologie im Vergleich zu früheren Kriegen deutlich. So betrug das
Verhältnis zwischen Gefallenen bzw. an Wunden verstorbenen
Soldaten zu solchen, die durch Krankheiten verstarben, auf
deutscher Seite 1 zu 0,1. Im Kriege 1870/71 waren statistisch
auf einen Gefallenen noch 1,4 an Krankheiten umgekommene
Soldaten gekommen.
Sanitätsdienstliche Versorgung
Die Bergung auf dem Schlachtfeld
Die Verwundetenversorgung während des Stellungskrieges basierte auf einem abgestuften System. Dessen schwierigste und
gefährlichste Komponente lag dabei am Anfang: Bei der Bergung der Verwundeten der Sturmangriffe, die zum Teil noch
Tage in den Trichterfeldern des Niemandslandes lagen, musste
die Deckung verlassen werden (Abb. 2). Das Sanitätspersonal
und die Krankenträger der Bataillone leisteten bei der Erstversorgung und Bergung Übermenschliches, oft im Kugelhagel
oder unter Artilleriebeschuss in unwegsamem Gelände. Man
nutzte hierzu eine Vielzahl von oft einfachen Tragesystemen:
„Ich wurde auf eine Zeltbahn gelegt, durch deren Schnüre man einen
jungen Baum steckte, und vom Schlachtfeld getragen.“[5, S. 184]
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
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V. Hartmann: Sanitätsdienst im Stellungskrieg - Besondere Herausforderung an Hygiene
Abb. 2: Abtransport eines
Verwundeten
Die Verluste unter den Krankenträgern waren dabei besonders
hoch, da sie ungeschützt die Verwundeten nach hinten tragen
mussten. „Den Sanitäter der Sechsten, der das Hinterende meiner
Zeltbahn gefasst hatte, riß ein Kopfschuss zu Boden; ich stürzte mit
ihm.“[5, S. 293] Bei Verdun waren die Verluste an Krankenträ-
gern so enorm, dass auch die Musiker, Mannschaften aus den
Rekrutendepots, gefangene Franzosen unter ständigem Wechsel
zwischen Ruhe und Dienst als Sanitäter eingesetzt wurden. Immerhin schienen auch in diesem Umfeld doch gewisse Regeln
des Kriegsrechts eingehalten worden zu sein. Immer wieder
schilderten Zeugen, dass einzelne Krankentragen mit Verwundeten, wenn sie die Rotkreuz-Flagge trugen, nicht durch Schützen beschossen wurden.
Erste Sanitätsdienstliche Versorgung
Zu Beginn des Angriffes auf die französischen Linien vor Verdun hatte der deutsche Feldsanitätschef sanitätsdienstlich durchaus vorgeplant: Jeder Angriffsdivision waren zwei Sanitätskompanien zugeordnet, 21 000 Betten standen für Verwundete in
Feld- und Kriegslazaretten bereit. Zum Verwundetentransport in
die rückwärtigen Sanitätseinrichtungen hatte die zuständige
Etappen-Sanitätskraftwagenabteilung eine bislang nicht gekannte Zahl motorisierter Fahrzeuge zur Verfügung gestellt bekommen: 242 SanKraftwagen, 59 Omnibusse, 27 PKW und 66
Anhänger waren für den Verkehr zwischen den Hauptverbandplätzen (HVPL), Feldlazaretten und Kriegslazaretten vorgesehen. Außerdem wurden Schienenwagen, sogenannte Benzolbahnen, weit nach vorne verlegt und Eisenbahnzüge für die Verbringung in die Heimat bereitgestellt.
In einem Front-Infanteriebataillon befanden sich gewöhnlich
ein (Ober)-Stabsarzt und ein Ober- bzw. Assistenzarzt. Eine Infanteriekompanie verfügte über einen Sanitätsunteroffizier und
vier Krankenträger. Man agierte in einem Truppenverbandsplatz, der möglichst gegen Artillerie- und Infanteriegeschosse
geschützt als eine Art Sanitätsbunker in einem Grabenstück
nahe der vordersten Linie lag:
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„Es dunkelte bereits, als zwei Krankenträger, die das Gelände absuchten, vorbeikamen. Sie luden mich auf ihre Bahre und trugen mich
in einen mit Stämmen gedeckten Sanitätsunterstand, in dem ich die
Nacht verbrachte, eng zusammengedrängt mit vielen Verwundeten.
Ein abgespannter Arzt stand mitten im Gewühl stöhnender Menschen, verband, machte Einspritzungen und gab mit ruhiger Stimme
Anweisungen.“[5, S. 3]
In diesen Einrichtungen ließen sich zumindest die Erste Hilfe
oder auch Verbände bis hin zu Notamputationen bewerkstelligen. Bei schweren Angriffen und zerstörerischem Artilleriefeuer
auf die vorderen Linien waren auch die Bataillonsärzte mit Rettungsaufgaben beschäftigt. Der später mit der höchsten bayerischen Tapferkeitsauszeichnung für Sanitätsoffiziere, dem
Bayerischen Militär-Sanitäts-Orden, ausgezeichnete Stabsarzt
Dr. Rudolf von Heuß (Abb. 3),
„ trug [...] teilweise persönlich, [...] rettete aus eingestürzten Mauern
und Kellern wiederholt verschüttete, grub [...] und barg die Leichen
zweier fast völlig vernichteten Bataillonsstäbe [...] während alles um
hin herum zusammenstürzte [...]. Am 22. Oktober 1916 verliess Dr. v.
Heuß als letzter die Reste des Gefechtsstands […] [und] hatte […]
ohne Schlaf und warme Verpflegung den täglichen Durchgang von
etwa 120 Verwundeten geleitet und in einer wahren Hölle unerschütterlich ausgeharrt.“ [9, S. 55]
Mitten auf dem Schlachtfeld der Verdun-Front bot ein tief im
betonierten Fort Douaumont gelegener und für 120 Verletzte
ausgelegter Truppenverbandplatz einen gewissen Schutz für die
Verwundeten. Diese Krankenunterkunft besaß, mit elektrischem
Licht, Handlüftern und Telefonen nach rückwärts versehen,
fünf Räume, einen Verbandraum mit sechs Tischen, den Warteraum, eine Kammer für 20 Schwerverwundete, den Stollen für
80 Leichtverwundete und den Unterkunftsraum für den Fortarzt, einen Chirurgen einer Sanitätskompanie mit zahlreichen
Sanitätsunteroffizieren, 24 Krankenträgern und einigen Militärkrankenwärtern. Alle zehn Tage wurde diese Truppe des 1.
Bayerischen Armeekorps abgelöst.
Vom Truppenverbandplatz aus galt es nach der Erstversorgung
den nicht minder gefährlichen Transport nach hinten zu organi-
V. Hartmann: Sanitätsdienst im Stellungskrieg - Besondere Herausforderung an Hygiene
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Auf den Hauptverbandplätzen und in den Feldlazaretten
„Auf dem Hauptverbandplatz lag [...] für die Frischverwundeten der
kriegschirurgische Schwerpunkt.“[10, S. 2]
Es war der erste Behandlungsplatz, in dem – wenn auch noch unter Frontbedingungen – operiert werden konnte. Von hier aus
ging es zu den Feldlazaretten, jede Division besaß davon drei.
Sie waren für eine stationäre Behandlung von etwa 200 Patienten
ausgelegt, Fachärzte verschiedener Disziplinen standen bereit,
die in operativen Einrichtungen Arbeiten mit Röntgenmöglichkeit verrichten konnten, gestützt auf Desinfektoren, Trinkwasseraufbereitungssysteme und Feldküchen. Gerne genutzt wurden
für Hauptverbandplätze und Feldlazarette ortsfeste Einrichtungen, zum Teil Schulen oder Kirchen, in denen rund um die Uhr
operiert wurde und sich für die Beteiligten furchtbare Szenen abspielten (Abb. 4). Der Sanitätsunteroffizier Bedbur berichtete
über einen Hauptverbandplatz in der Kirche von Ripont:
Abb. 3: Stabsarzt Dr. von Heuss
sieren. Krankenträger verbrachten die Verwundeten mit Krankenwagen der Sanitätskompanie, anderen Leerfahrzeugen oder
auch mit eigener Kraft zum Hauptverbandplatz. Dieser lag gewöhnlich etwa 5 - 8 km hinter der vorderen Linie, also noch in
Reichweite der gegnerischen Artillerie. Vor Verdun transportierten die Angehörigen der beiden Sanitätskompanien der 1. Bayerischen Infanteriedivision im Frühsommer 1916 dreimal täglich
die Verwundeten von den Truppenverbandplätzen auf lehmigen,
von unzähligen Granatlöchern aufgewühltem Boden im Feuer
bis zu dem vorgeschobenen Hauptverbandplatz, was im günstigen Fall Stunden dauerte.
„Im rechten Seitenschiff war eine Vorrichtung mit 30 Waschschüsseln
[…], im linken Seitenschiff waren sechs Brausebäder. In dem Mittelschiff lagen sterbende Kameraden und röchelten und kämpften sich
hinüber und am Altar las der Priester die Hl. Messe.“[3, S. 70]
Besonders an Großkampftagen wurden die Hauptverbandplätze
und Feldlazarette mit Hunderten von Verletzten überflutet. Ärzte und Pfleger arbeiteten rund um die Uhr bis zur Erschöpfung,
um Patienten zu stabilisieren und rasch weiter nach hinten in die
Kriegslazarette abzusteuern. Ernest Hemingway (1899 - 1961)
verarbeitete literarisch seine Erlebnisse als Sanitäter an der italienischen Front:
„Draußen im Dunkel vor dem Verbandplatz lagen eine Menge von
unseren Leuten auf der Erde. Man trug Verwundete hinein und heraus. Ich konnte das Licht aus dem Verbandsraum dringen sehen,
wenn der Vorhang beiseite geschoben wurde, um jemand herausoder hineinzutragen. Die Toten lagen alle auf einer Seite. Die Ärzte
arbeiteten mit bis zu den Schultern aufgekrempelten Ärmeln und waren rot wie die Schlächter.“[11, S. 71]
Abb. 4: Verwundete werden auf
einen Verbandplatz gebracht.
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V. Hartmann: Sanitätsdienst im Stellungskrieg - Besondere Herausforderung an Hygiene
Auf deutscher Seite halfen zehntausende Rotkreuzschwestern,
in zweimonatigen Schnellkursen ausgebildet. So schilderte die
18jährige Rotkreuzfreiwillige Helene Fischer diese Momente in
ihrem Lazarett im Elsass:
„Die Verbände sind durchgeblutet, oft verkleistert. Uniformen, gar
Stiefel auszuziehen bedeutet ein Kunststück. Es stöhnt und wimmert
überall. Wir kommen nicht mehr zur Besinnung.“[12, S. 162]
Der berühmte österreichische Schriftsteller und Reserveoffizier
Robert Musil (1880 - 1942) schrieb über seine Eindrücke beim
Besuch eines Lazaretts:
„50 Menschen in dem nicht großen Raum. Ärzte und Schwestern in
weißem Kittel, nackt, halbnackt bekleidete Kranke. Erfrorene Füße,
aufgedeckter Steiß, Schenkelstümpfe, verkrüppelte Arme. Um entblößte Liegen, Hin und Hereilen, Zugreifen von Instrumenten, Pinseln
von Frauenhänden wie ein Abort sorgfältigen Malens, Hinaushumpeln und Hineintragen.“[13, S. 326]
Und auch der französische Dichter und Arzt Georges Duhamel
(1884 - 1966), der bei Verdun in einer Ambulance chirurgicale
Verwundete behandelte, versuchte das dortige Elend literarisch
aufzuarbeiten:
„Manchmal gingen wir um ein stilles Bett herum, um das Anlitz eines
Verwundeten zu sehen; aber wir fanden nur noch einen Toten.“ [14,
S. 111]
Waffenwirkung und Verwundungen
Die hohen Verluste im Ersten Weltkrieg basierten auf dem massiven Einsatz von Maschinengewehren und Geschützen aller
Kaliber. In ein solches „Stahlgewitter“ gerieten die angreifenden Soldaten ohne Möglichkeit der Deckung. Sowohl Kadenz
der Maschinenwaffen als auch die Durchschlagskraft waren im
Vergleich zu vorherigen Kriegen wesentlich verbessert, genauso
wie die Feuerkraft, Zielgenauigkeit und Reichweite der Artillerie. Gewehrschüsse verursachten vornehmlich Verwundungen
im Hals, an den Oberarmen und im Rumpfbereich. Während in
den beiden ersten Kriegsjahren die zur Behandlung gekommenen Gewehrschussverletzungen noch zahlreicher als die durch
Artilleriegeschosse gewesen sind, waren allerdings bereits zu
diesem Zeitpunkt mehr Soldaten an jenen gefallen. In den letzten Kriegsjahren nahmen die Artilleriegeschossverletzungen
weiter zu und führten zu teilweise eingreifenden und verstümmelnden Verletzungen (Abb. 5). Der Leipziger Lyriker und Re
gimentsarzt Wilhelm Klemm (1881 - 1968) arbeitete auf einem
Hauptverbandplatz an der Aisne und schrieb in einem Brief am
5. November 1914 nach Hause:
„Ich habe jetzt 3 Säle, wo heute 82 Verwundete sind. Wir bekommen
hauptsächlich Beinschüsse, Hüftenschüsse, Hals- Kopf- Gesicht und
Brustschüsse. Die großen Zertrümmerungen, Bauchaufreißungen,
Abschüsse von Körperteilen sterben durchgehend draußen, da die
Verwundeten nur nachts und auch da oft erst nach mehreren Nächten
herausgeholt werden können.“[15, S. 384]
Bereits während der Marneschlacht hatten die Franzosen mit
hoher Feuergeschwindigkeit und Treffgenauigkeit Schrapnellgeschosse genutzt, die verzögert explodierten und Metallkugeln
über die in großen Massen anstürmenden Angreifer verschossen. Die oft kleinen Splitter waren für 2/3 der Artillerieverwundungen verantwortlich und betrafen bevorzugt den Kopfbereich. Hans Carossa (1878 - 1956), 1916 als Assistenzarzt in den
Karpaten eingesetzt, berichtete über eine solche Verwundung:
„An einer Granitplatte […] lehnt G., noch atmend, aber schon ganz
mit der einsichtigen Miene der Toten. Man sah kein Blut. Schmerz
und Schauder zurückscheuchend, suchten wir die Wunde und fanden
endlich einen feinen, in den Nacken eingedrungenen Splitter. Bald
stand die Atmung still.“[16, S. 84]
Während etwa 15 % aller Verwundungen den Kopf betrafen, erlagen 50 % der Gefallenen solchen Verletzungen. Die Zahl sank
erst nach der ab 1916 eingeführten Verwendung des Stahlhelms,
stellte die Chirurgen in Feldlazaretten aber stets vor große Herausforderungen. Der berühmte amerikanische Neurochirurg
Harvey Cushing (1868 - 1939) arbeitete bei Ypern in der No. 46
Casualty Clearing Station (Abb. 6); in seinem Tagebuch „From
a Surgeon’s Journal“ schrieb er unter dem 3. August 1917:
„In the early afternoon a large batch of wounded were unexpectedly
brought in – mostly heads – men who have been lying out for four
days in craters in the rain, without food. It is amazing what the human
animal can endure. Some of them had maggots in their wounds. Than
a long operation on a sergeant with things in his brain and ventricle
like the man of last night – the magnet again usefool.”[17, S. 129]
Wundinfektionen, Tetanus und Gasbrand
Abb. 5: Granatsplitterverletzung des Oberschenkels
Wehrpathologische Sammlung; Foto: Dr. Hartmann
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
Ebenso machte den Chirurgen die Kontamination der Verwundungen mit Schmutz, pathogenen Keimen oder Uniformbestandteilen zu schaffen. Man beobachtete insbesondere bei
schweren Minen- und Artillerieverwundungen ausgedehnte
Wundinfektionen. Die einzige präventive Maßnahme bestand
darin, rasch mit einem sterilen Verbandpäckchen abzudecken
und den Verletzten so schnell wie möglich zur Behandlung zu
verbringen. In Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Eintreffens
stieg die Infektionsgefahr rapide und resultierend in der vor-antibiotischen Ära konsekutiv die Letalität.
V. Hartmann: Sanitätsdienst im Stellungskrieg - Besondere Herausforderung an Hygiene
237
geschobenen Verbandplätze und
Truppenärzte. Bereits am 4. Oktober
1914 wurde empfohlen, bei ausgedehnten und grob verunreinigten
Wunden Antitoxin zu spritzen.
„In der Silvesternacht 1914 wurden in
Burcquoy eine größere Anzahl Soldaten
verwundet, von denen 30 ins Lazarett
Cambrai kamen, alle sofort vorbeugend
Serum erhielten und keiner an Wundstarrkrampf erkrankte. Nach sieben Tagen wurde ein Soldat eingeliefert mit bereits ausgedehnten Erscheinungen eines
schweren Wundstarrkrampfs; er hatte
eine ganz kleine punktförmige, schon
wieder verheilte Verletzung, war unter
denen gewesen, die draußen geblieben
und nicht gespritzt worden waren, hatte
wieder Dienst gemacht und starb schon
zwei Tage nach Ausbruch der Krankheit.“[7, S. 83f.]
Diese Beobachtung führte zu einer
weiteren Verschärfung des Prophylaxeregimes und der Empfehlung,
bei allen Verwundungen TetanusAntitoxin zu spritzen. Die Erkrankungszahlen gingen daraufhin deutAbb. 6: Der Freiburger Armeepathologe Prof. Dr. Aschoff bei der Sektion eines an schwerer
Verwundung Gefallenen
lich zurück.
Bei der zweiten gefürchteten AnaeAseptische Wundbehandlungsmaßnahmen hatten daher auf alrobierinfektion, dem Gasbrand, gelang während des Krieges allen sanitätsdienstlichen Ebenen zu erfolgen:
lerdings kein durchschlagender Erfolg. Die Krankheit brach im
Westen bei etwa 0,6 % aller Verwundeten aus, im Osten lag sie
zum Teil bis zu 10fach höher und besaß eine Letalität von ca.
„Die Ärzte bemühten sich um Sterilität des Naht- und Verbandmate35 %. In den Lazaretten war sie äußerst gefürchtet. Wilhelm
rials. Jodanstrich und Gummihandschuhe waren auch im Erdbunker
Klemm berichtete:
an der Tagesordnung.“[18, S. 197]
In der chirurgischen Behandlung setzte sich im Laufe des Krieges ein aktiv operatives Vorgehen mit Anlage von Sekret-Drainagen durch, da man prinzipiell jede Granatsplitterverletzung
als kontaminiert ansah. Dagegen ließen sich großflächige Friedrich’sche Wundausschneidungen mit dem Ziel der Herstellung
steriler Verhältnisse an der Front kaum bewerkstelligen. Große
Sorge bereiteten dabei insbesondere die Infektionen mit Anaerobiern. Bereits lange vor Kriegsbeginn hatte am 30. November
1907 der Wissenschaftliche Senat bei der Kaiser-WilhelmsAkademie für das militärärztliche Bildungswesen die Verwendung von Tetanus-Heilserum für die vorbeugende Einspritzung
bei Verwundeten empfohlen. Die Umsetzung dieser Maßnahme
stockte jedoch, so dass bei Kriegsausbruch Tetanus-Antitoxin
nur in rückwärtigen Depots in geringerer Anzahl eingelagert
war. Den an der Front eingesetzten Sanitätstruppen stand es mithin nicht zur Verfügung. Bei einer Tetanus-Morbidität von
0,38 % aller Verwundeten in den ersten beiden Monaten des
Kriegs erkrankten von den ca. 430 000 deutschen Verwundeten
immerhin fast 1 700 Soldaten an Tetanus. Die Quote entsprach
damit der des Krieges 1870/71, die Letalität betrug fast 70 %.
Es galt nun stringent zu handeln. Empfehlungen des Feldsanitätschefs führten deshalb zu einer deutlichen Erhöhung der Produktion und Beschaffung des Antitoxins. Feldlazarette und Sanitätskompanien wurden damit ausgestattet, später auch die vor-
„Das Scheußlichste sind die sog. Gasphlegmonen, die sich im Unterarm und in der Wade am häufigsten entwickeln […] in den Muskeln
entwickelt sich keine richtige Eiterung, sondern eine gasige Fäulnis
[…] dazu ein infernalischer Geruch […]. Bei diesen scheußlichen
Phlegmonen wird jetzt […] schleunigst amputiert […] wir stehen dieser schrecklichen Krankheit machtlos gegenüber.“[15, S. 384]
Die einzige Behandlungsmethode waren somit häufig verstümmelnde Operationen. Wissenschaftlich exakte Behandlungsergebnisse des ab 1917/18 angewandten Gasbrandserums sind bis
Kriegsende nicht mehr getätigt worden.
Schlussbetrachtung
Viele verletzte Soldaten überlebten ihre Verwundungen, wenn
auch oft verstümmelt. Von 100 ärztlich behandelten Verwundeten wurden 94 geheilt, nur 6 starben. Im Krieg 1870/71 hatte das
Verhältnis noch bei 89 zu 11 gelegen, im Krimkrieg waren 25 %
aller in den Lazaretten behandelten Soldaten gestorben. [7, S. 66]
Der deutsche Sanitätsbericht, der die Truppen- und Lazarettberichte in nüchterner Sprache exakt auswertete, zählte neben Millionen von Verwundungen schließlich offiziell 700 000 Soldaten, die als Dienstunbrauchbare und auf Grund von Kriegsdienstbeschädigung als verstümmelt anerkannt wurden. Davon
sollen 42 000 Soldaten Verstümmelungen an den Armen erlitten
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
238
V. Hartmann: Sanitätsdienst im Stellungskrieg - Besondere Herausforderung an Hygiene
Abb. 7: Verwundetenversorgung
auf einem Hauptverbandplatz
und 32 000 Kriegsteilnehmer ein Bein verloren haben. An völlig
Erblindeten wurden im Bericht 2 450 Männer gezählt.
„Wenn die Zahlen somit trotz der ungeheuer gesteigerten Waffen, Arten, Wirkung und Technik der Waffen die Todeszahlen des WK im Vergleich zum Kriege 1870/71, auf den gleichen Zeitraum und die
Kriegsteilnehmer bezogen, nur wenig höher waren, ist dies den militärischen Schutzmaßnahmen des Stellungskriegs, der Taktik, der Gesundheitspflege und dem Fortschritt in der Medizin zu sehen.“[7, S.
14](Abb. 7)
Sinnbildlich gesprochen waren Henry Shrapnels (1761 - 1842)
Stahlgeschosse auf die Blutleere-Operationen von Friedrich von
Esmarch (1823 - 1908) gestoßen und Hiram Maxims (1840 1916) Maschinengewehre auf Ernst von Bergmanns (1836 1907) aseptische Operationsweise. Richard Gatlings (1818 1903) mehrläufige Maschinenwaffen trafen auf Wilhelm Conrad Röntgens (1845 - 1923) Strahlendiagnostik und das Gewehr
von Winford Lewis (1879 - 1943) auf das Tetanus-Antitoxin
von Emil von Behring (1854 - 1917).
Trotzdem ist das Leid des Einzelnen an Psyche und Physis in
dieser Apokalypse bis heute unbeschreiblich.
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Abb. 1: Der Weltkrieg im Bild, Berlin-Oldenburg 1927, S. 154
Abb. 2 - 4, 6 - 7: SanAkBw, Wehrgeschichtliche Lehrsammlung
Abb. 5: SanAkBw, Wehrpathologische Sammlung; Foto: Dr. Hartmann
Anschrift des Verfassers:
Flottenarzt Dr. Volker Hartmann
Sanitätsakademie der Bundeswehr
Abteilungsleiter A
Neuherbergstr. 11
80937 München
E-Mail: volkerhartmann@bundeswehr.org
Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.
239
Aus dem Sanitätskommando IV Bogen (stellvertretender Kommandeur und Kommandeur Regionale Sanitätseinrichtungen:
Oberstarzt Dr. M. Uhl)
Neue Methoden und ihre Bewährung in der Militärmedizin des
Ersten Weltkrieges
New Methods and Their Popularisation through Use in Military Medicine during
the First World War
André Müllerschön
Zusammenfassung
Im vorliegenden Artikel wird untersucht, ob und in welchem
Umfang der Erste Weltkrieg neue medizinische Methoden in
der Militärmedizin – und darüber hinaus das gesamte medizinische Behandlungsspektrum – beeinflusst hat. Exemplarisch
werden dabei die beiden Themenfelder Bluttransfusion und
Radiologie betrachtet. Beide Verfahren waren seit Ende des
19. Jahrhunderts bekannt, konnten sich aber bis zum Ausbruch
des Ersten Weltkrieges in Deutschland nicht flächendeckend
durchsetzen. Die Bedingungen des Ersten Weltkrieges (Massenanfälle von Schwerstverwundeten mit erheblichem Blutverlust sowie unzählige Steckschussverletzungen) machten es
notwendig, etablierte Vorgehensweisen anzupassen oder bisher wenig verbreitete Verfahren zu nutzen. Gerade die Erfolge
der Alliierten mit der Transfusion von Citratblut und der Bevorratung mit gekühlten Blutkonserven sorgten dafür, dass
sich die Bluttransfusion ebenso wie die Röntgendiagnostik
aufgrund deren Erfolg bei der Steckschusslokalisation nach
dem Ersten Weltkrieg zu Standardtherapien entwickelten.
Schlüsselwörter: Erster Weltkrieg, Bluttransfusion, Radiologie, medizinische Verfahren.
Summary
This article investigates whether and to what extent the First
World War influenced new methods in the field of military
medicine and, beyond that, affected the entire spectrum of
medical treatment. As key examples of areas where such an
influence took place, this study will consider the fields of
blood transfusion and radiology. Both of these procedures
were already known in the late 19th century, but it was not
until the outbreak of the First World War that they became
widely accepted throughout Germany. The conditions of the
First World War (mass casualty incidents with very serious
wounds involved, heavy blood loss, and countless penetrating wounds) forced physicians to adjust established approaches or to adopt hitherto uncommon procedures. Specifically the successes of the Allied forces in the transfusion of
citrated blood and the cool storage of bottled blood on one
hand and in x-ray localisation of objects lodged in penetrating wounds on the other were pivotal in the establishment of
blood transfusion and diagnostic radiology as standard treatments after the First World War.
Keywords: First World War, blood transfusion, radiology,
medical procedures.
Einleitung
In der Geschichte haben Kriege vielfach zu einer sprunghaften
Weiterentwicklung von Verfahren und Techniken der Medizin
und anderer Wissenschaften geführt. Bedingt war dies durch die
Erfordernis, dass Ärzte oft unter extremen Bedingungen und
mit teilweise minimalistischer Ausrüstung täglich eine Vielzahl
von erkrankten und verwundeten Soldaten zu versorgen hatten.
Dazu mussten sie oft Verfahren erproben und einsetzen, die unter „Friedensbedingungen“ in einer zivilen Praxis oder Klinik so
niemals oder noch nicht zum Einsatz gekommen wären. Dabei
stand nicht nur der humanitäre Ansatz, also die Heilung des leidenden Menschen, im Vordergrund. Vielmehr ging es darum,
den einzelnen Soldaten so schnell wie möglich wieder einsatzfähig bzw. kampffähig zu machen und so – wie Wolfgang U.
Eckart und Christoph Gradmann schreiben – „die Kriegsmaschinerie in Gang“ zu halten [1].
Anhand der Bluttransfusion und der Radiologie sollen im Folgenden exemplarisch die Entwicklung im Ersten Weltkrieg dargestellt und auch der ethische Aspekt beim Einsatz der beiden
Verfahren beleuchtet werden.
Bluttransfusion
Als der Wiener Pathologe und spätere Nobelpreisträger Karl
Landsteiner im Jahre 1901 das sogenannte AB0-Blutgruppensystem publizierte, wurde diese aus heutiger Sicht bahnbrechende Entdeckung in der medizinischen Fachwelt de facto zunächst
ignoriert und fand kein großes Echo. Über die Gründe kann nur
spekuliert werden. Mit ausschlaggebend waren sicherlich die
vielen Todesfälle und schlechten Erfahrungen, welche die europäischen Ärzte in der Vergangenheit mit Bluttransfusionen gemacht hatten.
Bereits seit vielen Jahrzehnten versuchte man, kranken oder
verletzten Menschen Blut zur „Stärkung“ und „Heilung“ zu
transfundieren. Dabei kam sowohl Menschen- als auch Tierblut
zum Einsatz. Die Ärzte beobachteten und beschrieben bereits
weit vor der Entdeckung Landsteiners die Phänomene der Hämagglutination (sogenannte Blutverklumpung) und Hämolyse
(Auflösung der roten Blutkörperchen) bei Bluttransfusionen.
Erklären konnte man die Phänomene damals allerdings nicht.
Trotz der bekannten Gefahren kam die Bluttransfusion auch bei
Soldaten zum Einsatz. So wurden beispielsweise im Deutschen
Krieg 1866 vier offensichtlich erfolglose Bluttransfusionen
durchgeführt [2]. Im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und
in der Zeit kurz danach wurden insgesamt 37 Transfusionen an
33 Verwundeten und 14 Kranken durchgeführt. Von den 47 Behandelten starben 19. Es ist nicht dokumentiert, ob die Soldaten
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
240
A. Müllerschön: Neue Methoden und ihre Bewährung in der Militärmedizin des Ersten Weltkrieges
durch eine fehlerhafte Bluttransfusion (im Sinne einer Unverträglichkeitsreaktion) oder in Folge ihrer Verletzungen bzw. Erkrankungen verstarben. Für das in der Literatur vereinzelt geschilderte Mitführen von Schlacht- und Zugvieh als lebende
Blutkonserve, angeblich in einer Preußischen Sanitätsvorschrift
angeordnet, konnte trotz intensiver Recherchen keine Quelle
gefunden werden. Offensichtlich handelte es sich dabei lediglich um Vorschläge einzelner Chirurgen wie Franz Gesellius
(„Zur Thierblut-Transfusion beim Menschen“ 1874), Oscar
Hasse („Die Lammblut-Transfusion beim Menschen“ 1874)
und Josef Friedrich Eckert aus dem Jahre 1876 [3]. Der damalige Generalarzt Ernst von Bergmann wehrte sich allerdings gegen diese Vorschläge und verwies auf die Risiken der Tierbluttransfusionen [4], die in den deutschen Heeren nicht flächendeckend oder per Weisung umgesetzt wurden [5]. Auch die im
„Sanitäts-Bericht über die Deutschen Heere im Krieg gegen
Frankreich 1870/71“ dokumentierten vier Hammelbluttransfusionen an einem Patienten fanden erst nach Ende des DeutschFranzösischen Krieges im Zeitraum Dezember 1873 bis März
1874 im Augusta Hospital Berlin statt [6].
Mit heutigem Wissensstand muss zweifellos festgestellt werden, dass die erfolgreichen Bluttransfusionen vor dem Ersten
Weltkrieg lediglich zufällig ohne Komplikationen stattgefunden
haben.
Die bereits geschilderten Schwierigkeiten führten auf beiden
Seiten der Front zu einer zunächst großen Zurückhaltung bei
Bluttransfusionen. Dies zeigt sich auf deutscher Seite unter anderem darin, dass in der Kriegssanitätsordnung (K.S.O.) von
1907, die während des Ersten Weltkrieges gültig war, kein Hinweis zur Bluttransfusion oder auf ein einheitliches Transfusionsbesteck zu finden ist.
Dennoch kamen entsprechende Verfahren zum Einsatz: Bereits
vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges transfundierte der belgische Arzt Albert Hustin im März 1914 – fast zeitgleich mit dem
deutschen Arzt Richard Lewisohn in New York und dem argentinischen Arzt Luis Agote in Buenos Aires – mit Natriumcitrat
als Gerinnungshemmer versetztes Blut [7]. Diese Transfusion
von sogenanntem „Citratblut“ bezeichnete man als indirekte
Bluttransfusion. Im Gegensatz dazu wurde das unmittelbare
Übertragen von unverändertem Blut als direkte Bluttransfusion
bezeichnet. Die direkte Bluttransfusion galt dabei lange als rein
chirurgisches Verfahren, bei dem mittels Gefäßnaht das Spender- und das Empfängergefäß operativ verbunden wurden [7].
Dieses Verfahren war für einen Einsatz auf einem Verbandplatz
sowohl wegen der ungleich höheren Infektionsgefahr als auch
aufgrund des Zeit- und Platzbedarfs völlig ungeeignet.
Über die Anzahl der durchgeführten Bluttransfusionen aller am
Krieg beteiligten Nationen gibt es in der Literatur keine verlässlichen Angaben. Auch im sehr detaillierten und umfangreichen
„Sanitätsbericht über das Deutsche Heer“ im Ersten Weltkrieg
findet sich dazu kein Hinweis. Auf Grund der enormen Anzahl
von Schwerstverletzten auf den Truppen- und Hauptverbandplätzen kann aber davon ausgegangen werden, dass man trotz
der schlechten Erfahrungen versuchte, den Blutverlust der Verwundeten auszugleichen. In der Anfangsphase des Krieges wurde auf deutscher Seite ausschließlich die direkte Blutübertragung von unbehandeltem Blut (also nicht mit Gerinnungshemmern versehenem Blut) durchgeführt. Dabei handelte es sich allerdings nicht um eine Standardtherapie. Vielmehr war die Entscheidung zur Durchführung von Bluttransfusionen abhängig
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
Bild 1: Lagerung von Spender und Empfänger bei direkter Bluttransfusion
von den Erfahrungen der eingesetzten Ärzte. Zum Einsatz kamen dabei vorwiegend Geräte mit einem Zweiwegehahn, an
welche Spender und Empfänger gleichzeitig angeschlossen
wurden [7].
Dieses nach seinem Entwickler Franz Oehlecker – einem Chirurgen und Pionier der Bluttransfusion – benannte Verfahren
war immer noch sehr zeit- und apparateaufwendig. Daher kam
es vor allem in Phasen des Stellungskrieges – und weniger in
denen des Bewegungskrieges oder bei einem großen Zustrom
von Verwundeten – zum Einsatz [2]. Das Spenderblut wurde bei
den deutschen Truppen zunächst nicht auf Empfängerverträglichkeit mittels Kreuztest oder übertragbare Krankheiten (z. B.
Wassermann-Test zum Nachweis von Syphilis) getestet. Die Risiken möglicher Krankheitsübertragungen wurden im Hinblick
auf ein drohendes Versterben durch hohen Blutverlust billigend
in Kauf genommen [8]. Lediglich die sogenannte „biologische
Vorprobe nach Oehlecker“ fand Anwendung [2]. Bei diesem
Verfahren wurden zunächst zwischen 5 und 20 cm³ Blut als eine
Art Probetransfusion übertragen. Dabei musste der Empfänger
genau beobachtet werden. Traten bei ihm Unruhe, tiefes Atmen,
Erbrechen, Magen- oder Milzschmerzen, schneller Farbwechsel
im Gesicht oder Veränderung des Pulses auf, galt das Spenderblut als unverträglich und die Transfusion musste sofort abgebrochen werden. Zeigten sich nach der ersten Probetransfusion
keine Veränderungen oder Reaktionen beim Empfänger, wurde
erneut eine geringe Menge Blut transfundiert. Blieben Reaktionen erneut aus, wurden letztmalig zwischen 30 und 50 cm³ Blut
zur „Testung“ übertragen. Erst wenn auch nach dieser größeren
Menge keine Anzeichen einer Unverträglichkeit auftraten,
konnte die Transfusion fortgesetzt und abgeschlossen werden
[7]. Franz Oehlecker hat nach eigenen Angaben seit Verwendung der ebenfalls nach ihm benannten Vorprobe ausschließlich
erfolgreiche Bluttransfusionen durchgeführt [7].
Auf Seiten der Alliierten ging man einen anderen Weg. Vor allem die indirekte Bluttransfusion mittels Citratblut war, wie
schon erwähnt, bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in
Nordamerika weit verbreitet. Daher fanden auf Seiten der Kanadier schon ab dem ersten Kriegsmonat Bluttransfusionen statt
[8]. Allerdings dauerte es noch weitere zwei Jahre, bis sich die
Verwendung von Natriumcitrat als Gerinnungshemmer im Rahmen von Bluttransfusionen auf Grund der sehr guten Erfahrungen der nordamerikanischen Sanitätsoffiziere auch in europäischen Armeen durchsetzte. Auf deutscher Seite wich die anfängliche Skepsis soweit, dass es zu einem regelrechten Paradigmenwechsel kam und die Blutübertragung von Citratblut ab
1917 zum deutschen Lazarettalltag gehörte [9].
A. Müllerschön: Neue Methoden und ihre Bewährung in der Militärmedizin des Ersten Weltkrieges
241
Durch den Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den
Ersten Weltkrieg erhielt die Bluttransfusion nochmals einen regelrechten Schub. Ein Problem konnte man lange Zeit trotzdem
nicht lösen: Vor allem bei einem Massenanfall von Verwundeten
bestand schnell ein Mangel an – gerade in einer solchen Phase
dringend benötigten – Blutspendern. Hier leistete der Mediziner
Oswald Hope Robertson einen entscheidenden Beitrag. Robertson, der im Dienstgrad eines Captains als Angehöriger des Medical Officer Reserve Corps in Frankreich diente [10], stellte
schnell fest, dass es in Phasen des Bewegungskrieges in den ersten Tagen auf Grund des Spendermangels nahezu unmöglich
war, Bluttransfusionen durchzuführen. Erst mit dem Eintreffen
von Leichtverwundeten in den Feldlazaretten waren genügend
Spender für die notwendigen Transfusionen vorhanden [5, 8].
Auf Grund dieser Erfahrungen baute Robertson während der
Schlacht von Cambrai im November 1917 einen Eisschrank aus
zwei Munitionskisten und transportierte damit 22 gekühlte Blutkonserven – jeweils bestehend aus 500 cm³ Blut versetzt mit
350 cm³ 3,8 %-igem Natriumcitrat zur Gerinnungshemmung
und 850 cm³ 5,4 %-iger Dextrose als Nährlösung [11] – zum nahegelegenen Feldlazarett [10]. Das auf diese Weise bevorratete
Blut konnte bis zu 14 Tage gelagert werden. Für eine Transfusion wurde das gekühlte Blut im warmen Wasser erwärmt und anschließend langsam verabreicht [11].
Die Idee einer Blutbank war geboren! Nach diesem erfolgreichen Einsatz von Blutkonserven wurden in den Britischen Expeditionsstreitkräften (BEF) offizielle „battalion transfusion
teams“ gebildet. Diese hatten den Auftrag, vor Angriffsoperationen schwerpunktmäßig Blutkonserven herzustellen und zu bevorraten [7, 8]. Auf alliierter Seite bestand darüber hinaus die
Möglichkeit, vorab getestete Blutspender in der Nähe von Behandlungsstellen bereitzuhalten [8]. Zum Einsatz kamen dabei
ausschließlich Universalspender, da bei diesen kein Verträglichkeitstest notwendig war [11]. Dazu wurde bei tausenden alliierten Soldaten die Blutgruppe bestimmt [8]. Diese Universalspender bezeichnete man damals noch als Gruppe IV-Spender [10].
Bild 2: Indirekte Bluttransfusion
Bild 3: Feldröntgenwagen der Firma Siemens & Halske
Radiologie
Mit der Entdeckung der X-Strahlen durch Wilhelm Conrad
Röntgen im Jahre 1895 war es erstmals möglich, Organe, Strukturen und Knochen ohne chirurgische Maßnahmen mittels Aufnahmen gleichsam von „außen“ zu beurteilen.
Führte man zunächst vor allem zu Demonstrationszwecken
Röntgenaufnahmen von gesunden Knochen durch, wurde bereits zur Jahrhundertwende die Wertigkeit der Radiologie bei
der Versorgung von verwundeten Soldaten in Deutschland erkannt. Besonders Generalarzt Walther Stechow setzte sich mit
Nachdruck für die Einführung transportabler Röntgeneinrichtungen für das Heer ein. Er erprobte die vorhandenen Systeme
und leitete aus den Ergebnissen Empfehlungen zur zukünftigen
Ausplanung der mobilen Röntgengeräte ab. Stechow sah den
Einsatz von Röntgenwagen auf Hauptverbandplätzen als unpraktisch an; ebenso hielt er die Ausstattung jedes Feldlazarettes
für unnötig. Er empfahl die Bildung eines Pools in den ReserveLazarett-Depots und hielt die Ausstattung von drei Röntgenwagen pro Armeekorps für völlig ausreichend [12]. Im Laufe des
Krieges sollte sich zeigen, dass es sich dabei, zumindest bezüglich der Anzahl der Röntgenwagen, um eine Fehleinschätzung
handelte. Insgesamt war die Anzahl der vorhandenen Röntgeneinrichtungen auf Seiten aller Konfliktparteien viel zu gering.
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A. Müllerschön: Neue Methoden und ihre Bewährung in der Militärmedizin des Ersten Weltkrieges
Bild 4: Feldröntgenauto der
Firma Siemens & Halske
Bei Ausbruch des Krieges waren auf deutscher Seite insgesamt
nur zwölf Feldröntgenwagen vorhanden. In kürzester Zeit wurden ab September 1914 zunächst 20 weitere Feldröntgenwagen,
einige tragbare Feldröntgeneinrichtungen sowie einige Röntgenkraftwagen beschafft [13].
Nach der Mobilmachung waren für die etwa 3,8 Millionen deutschen Soldaten ca. 60 Röntgengeräte vorhanden – rechnerisch
eines für knapp 65 000 Soldaten. Die Anzahl der Röntgeneinrichtungen auf deutscher Seite stieg bis 1918 kontinuierlich an.
Im August 1918 verfügte das gesamte Feldheer über mehr als
270 Stück: 87 Röntgenwagen, zehn Röntgenkraftwagen, 88
tragbare Feldröntgengeräte, 14 ortsfeste deutsche Röntgeneinrichtungen, vier ortsfeste deutsche Privatröntgeneinrichtungen,
35 beschlagnahmte feindliche mitführbare Röntgeneinrichtungen, 16 beschlagnahmte feindliche ortsfeste Röntgeneinrichtungen, zehn nicht beschlagnahmte feindliche Röntgeneinrichtungen (in Lazaretten, deren Leitung Militärärzten des Gegners
übertragen wurde) und neun behelfsmäßige Röntgeneinrichtungen [13]. Somit war gegen Ende des Ersten Weltkrieges rechnerisch eine Röntgeneinrichtung für knapp 40 000 Mann vorhanden. Über die Anzahl von auf deutscher Seite durchgeführten
Röntgenuntersuchungen existieren keine offiziellen Angaben.
Nach Grashey schwankten die Aufnahmezahlen der einzelnen
Röntgeneinrichtungen sehr stark. Sie betrugen jährlich zwischen einigen hundert und mehreren tausend [14].
In Frankreich gab es vor dem Krieg keine flächendeckende
Röntgenversorgung. Dies spiegelte sich auch in der Ausrüstung
der französischen Armee mit entsprechenden Geräten wider.
Die zweimalige Nobelpreisträgerin Marie Curie erkannte diesen
Mangel und organisierte für das Militär 200 Röntgengeräte. Allerdings zeigte sich, dass die wenigsten Militär- und Hilfskrankenhäuser über Strom verfügten und somit keine herkömmlichen Röntgeneinrichtungen genutzt werden konnten. Eine Lösung für dieses Problem fand Curie schnell. Sie rüstete handelsübliche „Kasten-Fahrzeuge“ mit einem Generator oder einem
durch den Fahrzeugmotor angetriebenen Dynamo als Stromquelle für die Röntgengeräte aus und besetzte diese Röntgenfahrzeuge mit einem Radiologen, einem Assistenten und einem
Fahrer. Die Technik sowie das Röntgenpersonal stellte die
„Zentrale technische Kommission für Radiologie“ zur Verfügung (deren Vorsitzende u. a. auch Marie Curie war). Curie fuhr
selbst mit einem dieser Fahrzeuge zu verschiedenen Lazaretten
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
an die Front. Zunächst wurden 18 solcher Fahrzeuge aus Spenden beschafft, mit einigen wurden mehr als 10 000 Röntgenuntersuchungen bei Verwundeten durchgeführt [15].
Im Laufe des Krieges wurden auch auf französischer Seite immer mehr ortsfeste Röntgenstellen oder -fahrzeuge als teilmobile Röntgenstellen eingerichtet. Beispielsweise verfügte die gesamte 6. Französische Armee 1915 auf einer Frontlänge von 70
km lediglich über drei dieser Fahrzeuge. Zwei Jahre später verfügte die gleiche Armee auf einer Frontlänge von 35 km bereits
über mehr als 50 Röntgenstellen. Gegen Ende des Krieges waren in den verschiedensten Einrichtungen der französischen Armeen mehr als 500 ortsfeste oder teilmobile Röntgenstellen im
Einsatz. In den letzten beiden Kriegsjahren wurden auf Seiten
der französischen Armee schätzungsweise 1,1 Mio. Röntgenuntersuchungen an etwa 900 000 Verwundeten durchgeführt [15].
Der Haupteinsatzzweck der Radiologie im Ersten Weltkrieg war
die Fremdkörpersuche bzw. die Steckschusslokalisation. In diesem Zusammenhang sind der Radiologe Rudolf Grashey und
der Anatom Albert Hasselwander zu nennen. Beide entwickelten und perfektionierten im Ersten Weltkrieg radiologische Verfahren zur Steckschusslokalisation. Dabei gingen beide von unterschiedlichen Ansätzen aus.
Man unterschied damals zwischen einer (Röntgen-)„Aufnahme“ und der „Durchleuchtung“. Bei der Aufnahme handelte es
sich um das klassische Röntgenbild, das auf Platten projiziert
sowie in Dunkelkammern entwickelt wurde und anschließend
nach Fixierung begutachtet werden konnte.
Im Gegensatz dazu trafen bei der Durchleuchtung die Röntgenstrahlen auf einen mit fluoreszierenden Materialien beschichteten Leucht- oder Verstärkerschirm. Es entstand dabei eine Art
Echtzeitbild. Grashey perfektionierte dieses Verfahren, indem er
mittels auf dem Körper aufgebrachten Markierungen und entsprechenden geometrischen Berechnungen im Laufe des Krieges unzählige Steckschüsse lokalisieren konnte. Der Einsatz der
Durchleuchtung hatte im Krieg einen entscheidenden Vorteil gegenüber konventionellen Röntgenaufnahmen: die Zeit. Während es auf Grund der Entwicklung der Platten zu deutlichen
Verzögerungen vor Beginn einer Therapie oder Operation kam,
dauerte eine Durchleuchtung nur wenige Minuten – gerade bei
einem Massenanfall von Verwundeten entscheidend. Allerdings
benötigte man auf Grund der durchzuführenden Tiefenberechnungen viel Erfahrung bei dieser Methode.
A. Müllerschön: Neue Methoden und ihre Bewährung in der Militärmedizin des Ersten Weltkrieges
243
musste – auf Anordnung des österreichischen Kriegsministeriums – zumindest das Datum jeder Röntgenaufnahme genau verzeichnet werden [16].
Schlussfolgerungen
Bild 5: „Röntgenoskopische Operation“
Eine Besonderheit der Durchleuchtung war die „röntgenoskopische Operation“. Dieses Verfahren wurde bereits vor dem Krieg
entwickelt [14]. Dabei befand sich unter dem Operationstisch
eine Durchleuchtungsröhre und der Operateur trug ein „Kryptoskop“ – einen innen mit Bleiglas verkleideten Leuchtschirm
zum Aufsetzten [14]. Dieses Verfahren ist mit einer heutigen
Herzkatheteruntersuchung unter Röntgenkontrolle vergleichbar.
Albert Hasselwander ging einen anderen Weg. Er erkannte, dass
es für unerfahrene Ärzte sehr schwierig war, einen Steckschuss
mittels Durchleuchtung exakt zu lokalisieren. Als alternative
Untersuchungsmethode entwickelte er die „Stereoröntgenogrammetrie“ – die teilweise auch als „Röntgenstereoskopie“
[14] oder „Stereodiagraphie“ bezeichnet wurde [13]. Dabei
wurden zwei Röntgenbilder aus unterschiedlichen Winkeln aufgenommen und ergaben bei gleichzeitiger Betrachtung mit Hilfe eines speziellen Apparates ein plastisches – die Geschosslokalisation erleichterndes – Bild. Dokumentiert ist die Beschaffung von zehn der nach Hasselwander benannten Stereodiagraphiegeräte. Zusätzlich wurden diese Geräte nach Anweisungen
von Albert Hasselwander behelfsmäßig durch die Truppe hergestellt [13].
Ziemlich bald nach der Entdeckung der X-Strahlen zeigten sich
neben den Möglichkeiten des Einsatzes auch deren schädliche
Nebenwirkungen. Vor allem zu Beginn des Krieges kam es
durch mangelnden Strahlenschutz bzw. das Unterschätzen der
Gefahr von Röntgenstrahlung häufig zu sogenannten Röntgenverbrennungen [9], auch Radiodermatitis genannt. Diese entwickelten sich im Verlauf des Krieges zu einer ernsten Gefahr für
die Radiologen und das an radioskopischen Operationen beteiligte Personal [15]. Nach Grashey waren auf deutscher Seite genügend Bleiglasschirme und -brillen sowie Bleigummischürzen
und -handschuhe vorhanden [14]. Allerdings wurde die tatsächliche Gefahr offensichtlich unterschätzt. Wie leichtfertig man
damit umging, zeigt das Beispiel der radioskopischen Operationen deutlich. Der Operateur setzte seinen Kopf während des gesamten Eingriffes den unter dem Operationstisch erzeugten
Röntgenstrahlen aus. Da das Kryptoskop mit Bleiglas ausgekleidet war, erschien ein zusätzlicher Schutz des Kopfes nicht
notwendig. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen,
dass die Beschaffung von Dosimetern durch den Chef des Feldsanitätswesens aus Kostengründen abgelehnt wurde [13]. Über
Maßnahmen zum Schutz der zu untersuchenden Soldaten finden sich in der gesamten Literatur keine Angaben. Es ist davon
auszugehen, dass für diesen Personenkreis keinerlei Maßnahmen ergriffen wurden. Lediglich in der österreichischen Armee
Sowohl die Bluttransfusion als auch die Radiologie waren bei
Ausbruch des Krieges bekannte, aber nicht flächendeckend verbreitete Therapie- und Diagnoseverfahren.
Allerdings ist festzustellen, dass gerade in Deutschland die
meisten Ärzte der Bluttransfusion skeptisch und zurückhaltend
gegenüber standen. Zu einem großen Teil sind dafür sicherlich
die vielen Todesfälle aufgrund der Unverträglichkeit der verschiedenen Blutgruppen verantwortlich. Auffällig ist, dass trotz
Entdeckung der Blutgruppen kurz nach dem Jahrhundertwechsel und der daraus resultierenden Möglichkeit der Kreuztestung
von Spender- und Empfängerblut in Europa davon kein Gebrauch gemacht wurde. Im Nordamerikanischen Raum dagegen
transfundierte man bereits vor Ausbruch des Krieges mit Natriumcitrat als Gerinnungshemmer versetztes Blut nach der indirekten Methode. Dabei wurde vor Blutentnahme bei jedem
Spender die Blutgruppe bestimmt. Durch die Teilnahme der Kanadier und Amerikaner am Ersten Weltkrieg kam es de facto zu
einem internationalen Austausch von Informationen und Verfahren, was dazu führte, dass sich Transfusion von Citratblut bis
Kriegsende in allen an den Kämpfen beteiligten Armeen immer
mehr durchsetzte. Auf deutscher Seite wurde die Blutverträglichkeit allerdings weiterhin hauptsächlich mit der biologischen
Vorprobe nach Oehlecker bestimmt. Man verfuhr also nach dem
„try and error“-Verfahren.
Aus ethischer Sicht handelte es sich dabei um Versuche an Menschen. Auch wenn in den zeitgenössischen Quellen vor allem
der Kampf der Militärärzte um das Leben des Soldaten mit allen
Mitteln stilisiert wurde, darf dies nicht über die Tatsache hinweg
täuschen, dass nicht die „Heilung“ des Soldaten im Vordergrund
stand. Es ging primär darum, mit allen nur erdenklichen Mitteln
die Kampfkraft der Verwundeten schnellstmöglich wieder herzustellen und das Massenheer des Kaisers zur Fortführung des
„patriotischen Krieges“ wieder mit „Menschenmaterial“ zu versorgen. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang
auch die Verletzung der Patientenautonomie, wie Wolfgang U.
Eckart und Christoph Gradmann in der Enzyklopädie Erster
Weltkrieg schreiben: Die verwundeten Soldaten verloren „das
grundlegendste aller Patientenrechte, das der Einwilligungsfähigkeit in eine therapeutische Maßnahme.“ [17]. Die damaligen
Militärärzte konnten mit den Verfahren der Bluttransfusionen
nach Belieben an Soldaten experimentieren.
Amerikanische Militärärzte waren wiederum die ersten, die
Blut als Konserven lagerten und bei Bedarf in Feldlazaretten
aufwärmten und verabreichten. So konnten auch bei einem
Massenanfall von Verwundeten, trotz fehlender Spender vor
Ort, lebensrettende Bluttransfusionen durchgeführt werden.
Dieser Erfolg führte zur Einführung der modernen Blutbanken
und kann damit als deren Geburtsstunde bezeichnet werden.
Bei Kriegsausbruch waren in den Feldsanitätsausrüstungen der
meisten Armeen Röntgengeräte vorhanden. Umfang und Anzahl
waren für einen flächendeckenden Einsatz aber viel zu gering.
Allerdings zeigte sich vor allem bei der Steckschuss- und
Fremdkörperlokalisation schnell der unschätzbare Wert der Radiologie. In der Folge wurden immer mehr mobile, teilmobile
und stationäre Röntgengeräte beschafft. Parallel dazu wurden
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
244
A. Müllerschön: Neue Methoden und ihre Bewährung in der Militärmedizin des Ersten Weltkrieges
die bekannten Verfahren Aufnahme, Durchleuchtung und Stereoskopie immer weiter verbessert. Besonders Operationen unter Röntgenkontrolle wurden vermehrt durchgeführt. Der Erste
Weltkrieg brachte für die Radiologie einerseits die sprunghafte
Verbreitung von Röntgengeräten, andererseits die Entwicklung
von neuen radiologischen Verfahren und kann daher auch als
Geburtsstunde der heutigen modernen Operationsverfahren,
welche unter radiologischer Kontrolle durchgeführt werden, angesehen werden. Kritisch ist dagegen der mangelnde Strahlenschutz zu bewerten. Bereits bei Ausbruch des Krieges waren die
Gefahren der Röntgenstrahlen bekannt. Teils aus Kostengründen, aber auch wegen Unterschätzung der Risiken wurde auf
adäquaten Schutz verzichtet. Ethisch besonders fragwürdig ist
die Tatsache, dass zu untersuchende Soldaten den Strahlen
gänzlich schutzlos ausgesetzt waren.
Abschließend bleibt zu mutmaßen, dass sich ohne die Erfahrungen und Therapieansätze der Militärärzte im Ersten Weltkrieg
Bluttransfusion und Radiologie wesentlich schwerer zu den
heutigen Standardtherapien in der modernen Medizin entwickelt hätten.
Bei dieser Entwicklung müssen die Einflüsse des Zweiten Weltkriegs ebenfalls kurz betrachtet werden. Die Wehrmacht setzte
zu Beginn des Krieges, offensichtlich auch aus den Erfahrungen
des Ersten Weltkrieges, auf die Transfusion von Frischblut und
Blutkonserven. Auf Grund der gemachten schlechten Erfahrungen kam es in späteren Kriegsjahren in den vorderen Sanitätseinheiten immer mehr zum Einsatz von Serumkonserven und
Blutersatzmitteln im Rahmen der Erstversorgung [18]. Gerade
die therapeutische Anwendung von Blut- und Volumenersatzmitteln findet sich noch heute in der modernen Rettungsmedizin. – Auch die Radiologie erlebte im Zweiten Weltkrieg nochmals einen Aufschwung. Die Fremdkörpersuche zählte immer
noch zu den Hauptaufgaben, allerdings traten diagnostische
Aufnahmen bei fast allen Schussverletzungen und Röntgenreihenuntersuchungen im Rahmen der Tuberkulosediagnostik/prophylaxe in den Vordergrund [19]. Diese Entwicklung, welche im Ersten Weltkrieg ihren Anfang nahm, führte letztendlich
zur Etablierung der Radiologie als eigenständigem Fachgebiet.
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18. Sander H: Die Bluttransfusion in der Deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges (1939-1945). Diss. Leipzig: 2003.
19. Köhler S: Einsatz und Leistungen der Röntgendiagnostik in Wehrmacht und SS unter besonderer Berücksichtigung des von Prof.
Holfelder geleiteten Röntgensturmbannes. Diss. Leipzig: 2000.
Bildquellen:
Bild 1: Oehlecker F: Die Bluttransfusion. Berlin – Wien: Urban &
Schwarzenberg 1933, S. 59.
Bild 2: Oehlecker F: Die Bluttransfusion. Berlin – Wien: Urban &
Schwarzenberg 1933, S. 49.
Bild 3: Grashey R (Hrsg.): Band IX Röntgenologie [Handbuch der
Ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/1918 von Otto von Schjerning (Hrsg.)]. Leipzig: Johann Ambrosius Barth 1922, S. 16.
Bild 4: Grashey R (Hrsg.): Band IX Röntgenologie [Handbuch der
Ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/1918 von Otto von Schjerning (Hrsg.)]. Leipzig: Johann Ambrosius Barth 1922, S. 10.
Bild 5: Grashey R (Hrsg.): Band IX Röntgenologie [Handbuch der
Ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/1918 von Otto von Schjerning (Hrsg.)]. Leipzig: Johann Ambrosius Barth 1922, S. 44.
Anschrift des Verfassers
Oberfeldarzt Dr. André Müllerschön
Sanitätskommando IV
Abteilung Gesundheitswesen Dezernat 1
Bayerwaldstraße 36
94327 Bogen
E-Mail: andremuellerschoen@bundeswehr.org
Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.
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Aus dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam (Kommandeur: Oberst Dr. Hans-Hubertus Mack)
Die kriegsbedingte Entwicklung neuer medizinischer
Spezialdisziplinen – das Beispiel Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
The war-related Development of New Medical Specialties – taking Oral and
Maxillofacial Surgery as an Example
Ralf Vollmuth und Stefan Zielinski
Zusammenfassung
Mit dem Ersten Weltkrieg wurde die Medizin in Bezug auf
die ungeheure Anzahl der Verwundeten wie auch hinsichtlich
der Art und Qualität der Verletzungen vor zum Teil vollkommen neue Herausforderungen gestellt. Ursachen waren vor
allem der Stellungskrieg, die dadurch bedingte Kriegsführung und neuartige Waffenwirkungen, die auch das Verletzungsspektrum beeinflussten. Dies führte notgedrungen zu
einem immensen Innovationsdruck in organisatorisch-taktischer und in medizinisch-wissenschaftlicher Hinsicht. In der
Medizin wurden neue Verfahren erprobt, weiterentwickelt
und angewandt; neue Fachgebiete und Disziplinen bildeten
sich aus, wurden stark aufgewertet oder konnten sich gar unmittelbar etablieren. Im vorliegenden Beitrag wird diese
kriegsbedingte Entwicklung neuer medizinischer Spezialdisziplinen am Beispiel der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie exemplarisch dargestellt.
Schlagworte: Erster Weltkrieg, medizinische Spezialfächer,
Gesichtsverletzungen, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Zahnmedizin.
Summary
The First World War issued some completely new challenges
for medicine on account not only of the huge number of soldiers wounded in action, but also of the qualities and types of
the injuries they suffered. The primary causes were the fact
that the war was a trench war, the way it was waged as a result of this, and new kinds of weapon effects which also had
an impact on the range of injuries inflicted. This unavoidably
led to the build-up of an immense pressure for innovation
both in organizational and tactical as well as in medical and
scientific respects. In medicine, new procedures were tried,
improved and applied; new fields and specialties either evolved, were greatly enhanced or were indeed able to establish
themselves directly. The present article will explain this warrelated development of new medical specialties, taking oral
and maxillofacial surgery as an example.
Keywords: First World War, medical specialties, facial injuries, oral and maxillofacial surgery, dentistry.
Einführung
Der Erste Weltkrieg, die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“,
hatte sowohl während des Krieges als auch in dessen Folge Aus-
wirkungen auf Militär und Gesellschaft, Soldaten und Zivilbevölkerung, auf die Politik und die Neugestaltung der Staatenwelt beziehungsweise der Machtordnung in Europa (und weit
darüber hinaus), auf die gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen und andere Felder. Und er sollte auch die Medizin,
deren Entwicklung sowie die Formen und Umstände der Berufsausübung maßgeblich beeinflussen.
Bedingt war dies nicht zuletzt durch vielfältige Unterschiede
und Neuerungen im Vergleich zu vorhergehenden Kriegen:
Zum einen führte der nach dem anfänglichen Bewegungskrieg
vor allem an der Westfront schnell einsetzende Stellungskrieg
mit seinen Besonderheiten, auf die noch einzugehen sein wird,
zu neuartigen Verletzungen und zu einem Verwundeten- und
Krankenanfall nie dagewesenen Ausmaßes. Neuerungen in der
Waffentechnik, insbesondere eine wesentlich höhere Schussfrequenz, Artillerie und Splittergeschosse, hatten verheerende Wirkungen auf den menschlichen Körper, wie andererseits die Einführung des Stahlhelms als neue Schutzwaffe ebenfalls das Verletzungsspektrum beeinflusste. Die Sanitätsdienste der kriegsführenden Parteien standen vor immensen organisatorischen, logistischen und medizinischen Aufgaben und Herausforderungen
als Folge dieser Kriegsführung und der dadurch massenhaft verursachten Verwundungen.
Das Gesicht der Medizin hatte sich bereits im ausgehenden 19.
und beginnenden 20. Jahrhundert wesentlich gewandelt: Fortschritte wie die Einführung der Anti- und Asepsis und die Entwicklung wirksamer Anästhesieverfahren hatten unmittelbaren
Einfluss auf die Weiterentwicklung der Chirurgie; die bakteriologische Forschung ermöglichte die gezielte Bekämpfung zuvor
unbekannter Erreger und Verabreichung wirksamer Impfungen
gegen Infektionen, denen man bislang hilflos gegenüber gestanden hatte; und die Entdeckung der Röntgenstrahlen erschloss
eine neue Dimension der Diagnostik, um nur einige Beispiele
zu geben. Vor diesem Hintergrund führten die Anforderungen
an die Militärärzte im Ersten Weltkrieg zu weiteren Anstrengungen in der theoretischen und klinischen Forschung wie auch in
der Medizintechnik und lösten einen weiteren Innovationsschub
aus.
Aufgrund besserer Möglichkeiten, nun auch das Leben von
Schwer- und Schwerstverletzten zu retten, war das Bild der
Kriegs- und Nachkriegsgesellschaften von Kriegsinvaliden geprägt, und auch die psychisch Traumatisierten dürfen in diesem
Kontext nicht vergessen werden. Sie alle erinnerten die Gesellschaft an den Krieg, die Niederlage und die Folgen, und ihr Ansehen wandelte sich „vom positiv besetzten Kriegshelden zu einem unerwünschten Negativsymbol für den gesellschaftlichen
Zusammenbruch“ [1, Zitat S. 23; vgl. auch die Beiträge von W.
U. Eckart und P. Rauh in diesem Heft]: Ein- oder MehrfachamWehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
246
R. Vollmuth et al.: Die kriegsbedingte Entwicklung neuer medizinischer Spezialdisziplinen
putierte, Kriegsblinde, Menschen mit entsetzlichen Entstellungen des Gesichts und andere Invaliden sollten einer Versorgung
zugeführt werden. Sie stellten nicht nur die Sozialsysteme, sondern auch die Medizin, die Medizintechnik, die Orthopädietechnik und die wiederherstellende Chirurgie vor weitere neue Herausforderungen – dies allerdings nicht nur aus humanitärem
Antrieb, sondern ganz wesentlich deshalb, um dieses „Negativsymbol“ zu kaschieren und darüber hinaus die Invaliden wieder
in den Arbeitsprozess eingliedern zu können.
In der Folge kam es zur Entwicklung, zum Aufschwung oder
gar zur Verselbstständigung neuer medizinischer Felder, teilweise auch von Fachgebieten oder Fächern. Hierzu einige Beispiele: So erhielten die Röntgendiagnostik und die Transfusionsmedizin durch die Erfahrungen und Erfordernisse auf dem
Schlachtfeld vielfältige Impulse, die auch die Entwicklung der
entsprechenden Fachdisziplinen beförderten [vgl. auch den Beitrag von A. Müllerschön in diesem Heft]. Der Orthopädie, die
sich der sogenannten „Krüppelfürsorge“ angenommen hatte,
und damit einhergehend der Orthopädietechnik bot sich nun bei
der Versorgung der enormen Zahl an Kriegsinvaliden ein reiches und vielschichtiges Betätigungsfeld [2; 1, S. 152 - 237].
Und die massiven Mund-, Kiefer- und Gesichtsverletzungen der
Soldaten sowie die dadurch oftmals hervorgerufenen Entstellungen bewirkten letztlich die Begründung des Faches Mund-,
Kiefer- und Gesichtschirurgie, das im vorliegenden Beitrag eingehender – und exemplarisch für die Fächerentwicklung – betrachtet werden soll. Im Fokus dieses Beitrags stehen dabei die
grundlegenden Voraussetzungen, Bedürfnisse und Faktoren, die
diese Fachentwicklung bedingten bzw. erst möglich machten.
Die organisatorischen und institutionellen Strukturen oder die
fachlichen Inhalte, die aus dieser Entwicklung resultierten, können in diesem Rahmen allenfalls angedeutet werden und müssen anderen Untersuchungen vorbehalten bleiben.
Zahnärzte im Ersten Weltkrieg
Ein wesentliches Moment bei der Entwicklung des neuen Faches Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie bildeten die neuen
Strukturen einer zahnärztlichen Versorgung, die im Ersten Weltkrieg erstmals greifbar waren. Natürlich hat es in allen Epochen
Soldaten gegeben, die an Zahnerkrankungen litten und einer
Behandlung zugeführt werden mussten. Und auch die Traumatologie des Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereiches bildete einen
nicht unwesentlichen Teil der Arbeit früherer Feld- und Wundärzte; dies belegen etwa die chirurgisch-feldärztlichen Manuale
und Bücher des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit, worin sowohl die Versorgung von Weichteilverletzungen
im Gesichtsbereich als auch die Therapie von Frakturen oder
Luxationen (wie beispielsweise Nasen- und Kieferfrakturen,
Unterkieferluxationen und Zahnluxationen), bis hin zu rekonstruktiven Verfahren wie der Rhinoplastik entsprechend akzentuiert werden [3, 4].
Von einer strukturierten zahnärztlichen Versorgung konnte allerdings noch lange keine Rede sein. Erst in den letzten Jahren des
19. Jahrhunderts, ab 1897 mit Bayern als Vorreiter, wurden Militärärzte zahnärztlich fortgebildet und es kam zur Etablierung erster Zahnstationen in den Garnisonslazaretten. Eine Wende setzte
mit der Kriegssanitätsordnung (K.S.O.) des Jahres 1907 ein [5],
worin die zahnärztliche Versorgung im Krieg erstmals systematisch und strukturell geregelt wurde [5, 6, 7, 8; vgl. Abb. 1]. Dies
freilich zunächst in einem Umfang, der bei weitem nicht ausreichend war. In den Kriegslazarettabteilungen der Etappe waren zunächst jeweils zwei Zahnärzte vorgesehen. Im Laufe des Krieges
wurde diese personelle Ausstattung mehrmals erhöht, bereits im
Dezember 1914 zunächst auf drei, im Oktober 1915 auf fünf
Zahnärzte; im März und Dezember 1916 erfolgten jeweils weitere personelle Aufstockungen um einen Zahnarzt, so dass die
Kriegslazarettabteilungen schließlich über sieben Zahnärzte verfügten [9]. Zweifellos war auch dies nicht ausreichend und insbesondere in den frontnahen Gebieten existierten zusätzliche inoffizielle, „schwarze“ zahnärztliche Behandlungseinrichtungen. Sie
wurden illegal von Dentisten, Zahntechnikern und Zahnärzten
betrieben, die eben nicht offiziell als Militärzahnärzte im Status
oberer Militärbeamter Dienst leisteten, sondern als Mannschaftsund Unteroffiziersdienstgrade in anderen Funktionen einberufen
worden waren [6, 7, 8].
Mit dieser Institutionalisierung von Zahnärzten in den Kriegslazarettabteilungen war aber die Grundlage für eine Kooperation
von Chirurgie und Zahnmedizin geschaffen worden, die sich im
weiteren Verlauf des Krieges ergeben sollte und der eine wichtige Rolle bei der Versorgung von Traumata des Mund-, Kieferund Gesichtsbereiches zukam.
Neue Waffen und Verletzungsbilder
Wie eingangs schon kurz angerissen, bedingten die Art und
Weise der Kriegsführung einerseits wie die seit den vorausgegangenen Kriegen fortentwickelte Waffentechnik andererseits
Verletzungsmuster, die in dieser Form, Anzahl und Intensität
zweifelsohne neuartig waren.
Abb. 1: Schematische Darstellung der Rettungskette
und der Stationen der Verwundetenversorgung (erstellt
von A. Müllerschön, mit
freundlicher Genehmigung
aus [7], S. 40)
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
R. Vollmuth et al.: Die kriegsbedingte Entwicklung neuer medizinischer Spezialdisziplinen
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Sehr schnell war der anfängliche Bewegungskrieg an der Westfront in einen Stellungs- und Grabenkrieg übergegangen. Dies
hatte deutliche Konsequenzen für die Lebensbedingungen der
Soldaten: Mangelernährung, schlechte hygienische Zustände
und Körperhygiene, Schlafentzug, unmittelbare Einflüsse der
Witterung auf die Menschen und die Ausrüstung sowie das Zusammenleben unter zum Teil permanentem Beschuss auf engstem Raum. Alle diese Faktoren waren für die Gesundheit und
die körperliche wie psychische Widerstandsfähigkeit der Soldaten von hoher Bedeutung. Und darüber hinaus waren auch die
Art und die Häufigkeit der Verletzungen von dieser Form der
Kriegsführung geprägt [10]: In den Gräben und Stellungen waren die unteren Körperregionen in der Regel verhältnismäßig
gut geschützt, während die oberen Bereiche der Wirkung der
feindlichen Schützen wie auch der Splitterwirkung von Handgranaten und Artilleriegeschossen naturgemäß in besonderem
Maße ausgesetzt waren. Die Kampfhandlungen erforderten es
immer wieder, den Schutz und die Deckung der Stellung zumindest teilweise aufzugeben und sich ganz oder mit bestimmten
Körperpartien der möglichen feindlichen Waffenwirkung auszusetzen. Für Verletzungen besonders exponiert waren demgemäß
der Oberkörper- und Brustbereich, die oberen Extremitäten und
insbesondere der Kopf- und Halsbereich.
Nach dem „Sanitätsbericht über das Deutsche Heer (Deutsches
Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918“ erlagen
47,4 % der Gefallenen den Kopfverletzungen, während von den
„behandelten Verwundeten“ 14,4 % Kopfverletzungen erlitten
hatten [11; siehe hierzu auch Abb. 2]. Diese Zahlen zeigen nicht
nur die Häufigkeit der Verletzungen im Kopfbereich, sondern
vor allem die Qualität, das heißt die Schwere der Verletzungen
mit meist tödlichem Ausgang.
Bedeutenden Einfluss auf die Verletzungshäufigkeit, aber auch
auf die Verletzungsmuster hatte die im Vergleich zu früheren
Kriegen weiterentwickelte Waffentechnik. So ermöglichte die
Entwicklung von Maschinengewehren eine wesentlich höhere
Schussfolge; als Infanteriewaffen waren die kleinkalibrigeren
mehrschüssigen Gewehre bzw. Mehrladegewehre Standard, die
nicht nur über eine höhere Feuergeschwindigkeit, sondern auch
über größere Reichweiten und eine höhere Zielgenauigkeit verfügten; und auch die Handgranaten nahmen gerade im Stellungs- und Grabenkrieg als Nahkampfwaffen einen hohen Stellenwert ein. Mit der übermächtigen Artillerie wurden vor allem
Schrapnellgeschosse (mit Stahlkugeln gefüllte Streubomben)
und Granaten verschossen [12, 13].
Die Splitter der Artilleriegeschosse und der Granaten verursachten keine glatten Wunden, sondern Zerreißungen des Gewebes
mit zerfetzten Wundrändern, oft mit Substanzverlust, die naturgemäß schwerer zu versorgen waren [vgl. Abb. 3]. Selbst kleine
und kleinste Splitter vermochten es, immensen Schaden anzurichten und besonders im Bereich des Hirnschädels bzw. des
Gehirns schwerste oder gar tödliche Verletzungen hervorzurufen, wie etwa August Bier bereits in einem Gutachten vom 4.
November 1915 feststellt [14, Anlage 3, S. 14 - 17]. Aber nicht
nur die Projektile und die Granatsplitter verursachten schwere
Verletzungen, vielmehr wurden vielfach Schmutz, Erdreich sowie Partikel von Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenständen in
die Wunde eingebracht – Folge dieser Verunreinigungen waren
schwer beherrschbare Infektionen wie Wundstarrkrampf oder
der besonders gefürchtete Gasbrand [10; vgl. hierzu und zum
Stellungskrieg als besondere Herausforderung für die Medizin
und den Sanitätsdienst auch den Beitrag von V. Hartmann in
diesem Heft].
Abb. 2: Schemadarstellung der Verteilung der Verwundungen sowie
der Gefallenzahlen auf die Körperteile und -regionen aus dem „Sanitätsbericht über das Deutsche Heer (Deutsches Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918“ [11, S. 75]
Abb. 3: Defektfraktur des Unterkiefers durch Granatsplitter [17,
S. 506]
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R. Vollmuth et al.: Die kriegsbedingte Entwicklung neuer medizinischer Spezialdisziplinen
Die Einführung des Stahlhelms
Eine wichtige Zäsur bedeutete ab Februar 1916 die Einführung
des Stahlhelms als Ersatz für die typisch preußische, dann auch
von den anderen deutschen Staaten übernommene „Pickelhaube“, die gegen die Geschoss- und Splitterwirkungen im Stellungskrieg des Ersten Weltkrieges kaum wirksamen Schutz bot.
Die maßgeblichen Protagonisten und treibenden Kräfte für die
Einführung und Entwicklung des Stahlhelms waren der Berliner
Ordinarius für Chirurgie und beratende Chirurg beim XVIII. Armeekorps August Bier (1861 - 1949) und der Ingenieur Friedrich Schwerd (1872 - 1953). Nach einem Gespräch mit
Schwerd, worin dieser die technische Machbarkeit eines vor
Geschosssplittern schützenden Helms erklärte, hatte Bier vor
dem Hintergrund seiner kriegschirurgischen Erfahrungen mit
einem Brief vom 15. August 1915 an den Armeearzt der 2. Armee die dringende Forderung nach Einführung eines Stahlhelms
zum Schutz des Gehirns gegen Splitter und die dadurch hervorgerufenen schwersten Schädel-Hirnverletzungen erhoben. Der
Stahlhelm wurde von Schwerd entwickelt und bereits Ende Januar/Anfang Februar 1916 wurden die ersten Truppen mit dem
neuen Helm ausgestattet; die vollständige Ausrüstung der Fronttruppen zog sich aber bis Ende 1917 hin [15, 16].
Um es noch einmal deutlich machen: Ziel des Stahlhelms war
nicht der vollkommene Kopfschutz des Soldaten, sondern der
Schutz vor den verhängnisvollen, durch Splitter hervorgerufenen Hirnverletzungen und ihren Folgen. Dies belegt eine Äußerung August Biers im Rahmen einer Besprechung vom 23. November 1915 über die Ergebnisse von Beschussproben des neuentwickelten Helms vor dessen Einführung:
„Der Gesichtsschutz hat lange nicht die Bedeutung wie die Gehirnverletzung. Man kann den ganzen Vorderteil des Gesichtes ersetzen.
Diejenigen aber, die mit Schädelschüssen durchkommen, werden zu
90% ein klägliches Leben führen, es sind überhaupt die schlimmsten
Krüppel die existieren, schlimmer als wenn 2 Beine und 1 Arm verloren sind. Die Leute werden nachher ein körperlich, geistiges und sozial unglückliches Leben führen und in den meisten Fällen kann man
ihnen nur den Tod wünschen.“ [14, Anlage 3, S. 8].
Es liegt nun die Vermutung nahe, dass aufgrund der Einführung
des Stahlhelms im Jahre 1916 und des dadurch verbesserten
Schutzes von Hirnschädel und Gehirn viele Kopfverletzungen
nicht mehr mittelbar oder unmittelbar tödlich verliefen, sondern
dass vielmehr Mund-, Kiefer- und Gesichtsverletzungen, die zuvor durch die Vergesellschaftung mit letalen Verletzungen klinisch irrelevant waren, nun in verstärktem Maße singulär in Erscheinung traten und versorgt werden mussten – eine These, die
Stefan Zielinski derzeit in einer Promotionsstudie anhand zeitgenössischer Literatur und Quellen verifiziert.
Einen Hinweis darauf gibt etwa Hermann Schröder in seinem
Abschnitt „Die Kriegsverletzungen der Kiefer“ in August Borchards und Victor Schmiedens Werk „Die deutsche Chirurgie
im Weltkrieg 1914 bis 1918“, worin er die Verletzungsverteilung und die Wirkung des Stahlhelms folgendermaßen bewertet:
„Die Schußverletzungen des Unterkiefers sind ungleich häufiger als
die des Oberkiefers, was offenbar darauf zurückzuführen ist, daß viele Oberkieferschüsse mit Verletzungen des Gehirns kompliziert schon
auf dem Schlachtfelde zum Tode führen und nicht zur Beobachtung
und Behandlung gelangen.
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Inwieweit die Einführung des modernen Stahlhelms das zahlenmäßige Überwiegen der Unterkieferverletzungen den Verletzungen des
oberen Gesichts gegenüber begünstigt, läßt sich nicht mit Sicherheit
übersehen; es hat jedenfalls den Anschein, als ob der Prozentsatz der
Verletzungen des oberen Gesichtsschädels durch die Einführung dieses neuen Schutzmittels geringer würde.“ [17, S. 503].
Dies bestätigt neben anderen 1918 auch der Militärchirurg Johann von Ertl in der Einleitung zu seinem Chirurgiebuch:
„Man kann füglich behaupten, daß die verschiedenen Arten von Unterkieferverletzungen zu den speziellen Verletzungsformen dieses
Weltkrieges gehören.“ [18, S. 1; vgl. auch Abb. 4].
Kooperation von Chirurgen und Zahnärzten
Sehr schnell wurde erkannt, dass Chirurgen allein diese Kieferverletzungen nicht ausreichend versorgen konnten, sondern dass
hierzu neben einer schnellen und effizienten Erstversorgung im
Sinne einer Ruhigstellung bzw. Schienung der verletzten Kieferfragmente die zahnärztliche Kompetenz unabdingbar war
[17, S. 510; 18, S. 1f.; 19]. Die strukturelle Etablierung der
Zahnmedizin im Sanitätsdienst des Ersten Weltkrieges hatte
sich also nicht nur im Hinblick auf die Versorgung von Zahnerkrankungen gelohnt, sondern war vor allem auch der interdisziplinären und suffizienten Therapie der für diesen Krieg so typischen Kieferverletzungen zugute gekommen.
Nachdem zu Beginn des Krieges nur zwei Kieferschusslazarette
existierten, wurden in der Folge weitere derartige Sonderlazarette und kieferchirurgische Stationen eingerichtet [7, 19]; für
die Entwicklung des Faches waren beispielsweise die entsprechenden Einrichtungen in Berlin unter Hugo Ganzer (1879 1960) und in Düsseldorf unter Christian Bruhn (1869 - 1942)
von besonderer Bedeutung – Ganzer und Bruhn gelang es, ihre
kieferchirurgischen Stationen zu leistungsfähigen Kliniken auszubauen [20, 19].
Bereits während des Krieges und in den Jahren und Jahrzehnten
danach fand die große Bedeutung der Mund-, Kiefer- und Gesichtsverletzungen ihren Niederschlag in der medizinischen
Fachliteratur. Es wurden nicht nur entsprechende Kapitel in den
allgemeinen Werken und Lehrbüchern zur Kriegschirurgie eingerückt, sondern vielfach entstanden Monographien und Lehrbücher, die ausschließlich auf die einschlägige Thematik fokus-
Abb. 4: Schussverletzung des Kinnbereiches aus dem Jahre 1914 [23,
Tafel VIIIa]
R. Vollmuth et al.: Die kriegsbedingte Entwicklung neuer medizinischer Spezialdisziplinen
sierten. So erschien beispielsweise schon während des Krieges,
im Jahr 1916, das Buch „Die Kriegsverletzungen der Kiefer und
der angrenzenden Teile. Ein kurzgefaßtes Lehrbuch für Zahnärzte und Ärzte zum Gebrauch im Felde und in der Heimat“ von
Julius Misch und Carl Rumpel [21].
Ohne näher auf die medizinisch-chirurgischen Entwicklungen
des im Entstehen befindlichen Faches eingehen zu können, vermag allein der Titel eines 1918 erschienenen Chirurgiebuches
von Johann von Ertl anzudeuten, wie innovativ und weitreichend die Therapieansätze waren: „Die Chirurgie der Gesichtsund Kieferdefekte. Osteo-periostale Plastik. Gesichtsplastik. –
Transplantation. – Transplantation mit biegsamem Transplantat.
Beiträge zur Biologie der Knochen-Transplantation.“ [18]
Der Weg zum Facharzt für
Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie
Noch um die Jahrhundertwende, gemäß der „Prüfungsordnung
für Aerzte“ vom 28. Mai 1901, umfasste die ärztliche Prüfung
einen Fächerkanon von sieben Fächern; unter anderem war eine
chirurgische Prüfung abzulegen, die auch die Ohrenkrankheiten, die Haut- und venerischen Krankheiten sowie ggf. Halsund Nasenkrankheiten einschloss (hinsichtlich der Zuordnung
dieser „kleinen“ Fächer waren gewisse Varianzen möglich). Die
Zahnmedizin oder chirurgische Spezialfächer waren hingegen
nicht explizit zu prüfen. Eine deutliche Ausweitung erfuhr dieser Fächerkanon allerdings mit der ersten deutschen Facharztordnung, die am 21. Juni 1924 auf dem 43. Deutschen Ärztetag
in Bremen beschlossen wurde. In diesen „Leitsätzen zur Facharztfrage“, der sogenannten „Bremer Richtlinie“, die mit dem
1. Juli in 1924 in Kraft traten, waren 14 „Sonderfächer“ aufgeführt, darunter als Nr. 10 die „Zahn-, Kiefer- und Mundkrankheiten“ – ein medizinisches Fach, zu dessen Ausübung explizit
auch eine Approbation als Zahnarzt gefordert wurde. Die „Bremer Richtlinie“ war im Übrigen eine Standesregelung der Ärzteschaft, die eine gesetzliche Regelung seinerzeit ablehnte. Bis
auf wenige kleinere Änderungen sollte dieser Fächerkanon in
der Facharztordnung der „Berufsordnung für die deutschen Ärzte“ von 1937 übernommen werden (die „Zahn-, Kiefer- und
Mundkrankheiten“ nun in etwas geänderter Bezeichnung als
„Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten“) und im
Wesentlichen bis in die späten 1960er Jahre Bestand haben. Erst
mit der Weiterbildungsordnung von 1968 wurden in größerem
Umfang neue Fachgebiete und Teilgebiete eingeführt. Nun wurde auch die „Mund- und Kieferchirurgie“, später umbenannt in
„Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie“, als eigenständiges Fach
etabliert [22].
Schlussbemerkung
Die Erfordernisse des Ersten Weltkrieges haben auch über die
Entwicklung des Faches Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
hinaus eine Vielzahl von Neuerungen in der Medizin vorangetrieben, einen Innovationsschub auf vielen Gebieten bewirkt.
Gleichwohl ist darin im Kern kaum Positives zu erkennen.
Schließlich wurden der zivilen medizinischen Versorgung und
der Forschung (wie auf fast allen Gebieten der Kriegsgesellschaften der Fall) materielle wie intellektuelle Ressourcen vorenthalten und entzogen. Wie viel fruchtbarer wäre wohl die Mobilisierung entsprechender Anstrengungen im tiefsten Frieden
gewesen? Hierüber lässt sich nur spekulieren. Unbestritten ist
249
indessen, dass die Fortschritte lediglich die Reaktion auf einen
Bedarf darstellten, der durch die Unmenschlichkeit des Krieges,
durch menschliche Willkür und Gewalt, geschaffen worden war.
Kein noch so großer Fortschritt kann aber das im Ersten Weltkrieg verursachte Elend, dieses ungeheure Ausmaß an menschlichem Leid relativieren.
Literatur und Quellen
1. Kienitz S: Beschädigte Helden. Kriegsinvalidität und Körperbilder
1914-1923. Zugleich Habil.schr. Tübingen 2003. Paderborn – München – Wien: Ferdinand Schöningh 2008 (= Krieg in der Geschichte, 41).
2. Thomann K-D: Die medizinische und soziale Fürsorge für die
Kriegsversehrten in der ersten Phase des Krieges 1914/15. In: Eckart WU, Gradmann C (Hrsg.): Die Medizin und der Erste Weltkrieg.
2. Aufl. Herbolzheim: Centaurus-Verlag 2003; 183-196.
3. Vollmuth R: Die Versorgung von Mund-, Kiefer- und Gesichtsverletzungen im Spätmittelalter. Wehrmedizin und Wehrpharmazie
2004; 28 (2): 103-108.
4. Vollmuth R: Traumatologie und Feldchirurgie an der Wende vom
Mittelalter zur Neuzeit. Exemplarisch dargestellt anhand der ‚Großen Chirurgie’ des Walther Hermann Ryff. Zugleich med.
Habil.schr. Würzburg 2000. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2001 (=
Sudhoffs Archiv, Beiheft 45); hier 266-271.
5. Kriegs-Sanitätsordnung (K.S.O.) vom 28. September 1907. Ergänzter Neudruck vom Jahre 1914. München: Lehmanns Verlag 1914;
Nrn. 2, 32, 193, 511, 524.
6. Schulz C-D: Die Militärzahnmedizin in Deutschland. Anfänge und
Entwicklungen bis zum Zweiten Weltkrieg. Eine Bestandsaufnahme. Bonn: Beta Verlag 1993 (= Beiträge Wehrmedizin und Wehrpharmazie, 7).
7. Müllerschön A: Zahnmedizinische Betreuung deutscher Soldaten
im Ersten Weltkrieg. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2014; 38
(2): S. 37-40.
8. Vollmuth R: Militärzahnheilkunde im historischen Kontext. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2007; 31 (2): 10-12.
9. Sanitätsbericht über das Deutsche Heer (Deutsches Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918 (Deutscher Kriegssanitätsbericht 1914/18). Bearbeitet in der Heeres-Sanitätsinspektion des
Reichskriegsministeriums. I. Band: Gliederung des Heeressanitätswesens im Weltkriege 1914/1918. Berlin: Ernst Siegfried Mittler
und Sohn 1935; 47-53.
10. Kolmsee P: Unter dem Zeichen des Äskulap. Eine Einführung in die
Geschichte des Militärsanitätswesens von den frühesten Anfängen
bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Bonn: Beta-Verlag 1997
(= Beiträge Wehrmedizin und Wehrpharmazie, 11); bes. 183-213.
11. Sanitätsbericht über das Deutsche Heer (Deutsches Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918. Bearbeitet in der Heeres-Sanitätsinspektion des Reichswehrministeriums. III. Band: Die Krankenbewegung bei dem Deutschen Feld- und Besatzungsheer im
Weltkriege 1914/1918. Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn
1934.
12. Thoss B: Infanteriewaffen. In: Hirschfeld G, Krumeich G, Renz I,
Pöhlmann M (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn –
München – Wien – Zürich: Ferdinand Schöningh 2009; 575-579.
13. Zabecki, DT: Waffen des Landkrieges. In: Pöhlmann M, Potempa H
und Vogel T (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg 1914-1918. Der deutsche
Aufmarsch in ein kriegerisches Jahrhundert. München: Bucher Verlag 2014; 213-227.
14. Bundesarchiv – Militärarchiv BA-MA RH 61/1039.
15. Baer L: Vom Stahlhelm zum Gefechtshelm. Band 1 (1915-1945).
Eine Entwicklungsgeschichte von 1915 bis 1993 zusammengestellt
in Wort und Bild. Neu-Anspach: Selbstverlag des Verfassers 1994;
hier 12-112.
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
250
R. Vollmuth et al.: Die kriegsbedingte Entwicklung neuer medizinischer Spezialdisziplinen
16. Gross G-P: Stahlhelm. In: Hirschfeld G, Krumeich G, Renz I, Pöhlmann M (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn – München – Wien – Zürich: Ferdinand Schöningh 2009; 863-864.
17. Schröder H: Die Kriegsverletzungen der Kiefer. In: Borchard A und
Schmieden V (Hrsg.): Die deutsche Chirurgie im Weltkrieg 1914
bis 1918. Zugleich zweite Auflage des „Lehrbuchs der Kriegs-Chirurgie“. Leipzig: Verlag Johann Ambrosius Barth 1920; 503-535.
18. von Ertl J: Die Chirurgie der Gesichts- und Kieferdefekte. Osteoperiostale Plastik. Gesichtsplastik. – Transplantation. – Transplantation mit biegsamem Transplantat. Beiträge zur Biologie der Knochen-Transplantation. Berlin – Wien: Urban & Schwarzenberg
1918.
19. Ganzer H: Die Kriegsverletzungen des Gesichts und Gesichtsschädels und die plastischen Operationen zum Ersatz der verlorengegangenen Weichteile und Knochen unter besonderer Berücksichtigung
der Kieferverletzungen. Nach eigenen Erfahrungen. Leipzig: Verlag
Johann Ambrosius Barth 1943.
20. Hoffmann-Axthelm W: Die geschichtliche Entwicklung der Mund,Kiefer- und Gesichtschirurgie. In: Schuchardt K und Pfeifer G:
Grundlagen, Entwicklung und Fortschritte der Mund-, Kiefer- und
Gesichts-Chirurgie. 25 Jahre Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1976
(= Fortschritte der Kiefer- und Gesichts-Chirurgie, 21); 1-8.
21. Misch J und Rumpel C: Die Kriegsverletzungen der Kiefer und der
angrenzenden Teile. Ein kurzgefaßtes Lehrbuch für Zahnärzte und
Ärzte zum Gebrauch im Felde und in der Heimat. Berlin: Verlag
Hermann Meusser 1916.
22. Vollmuth R: Von Augenheilkunde bis Zahnmedizin: Zur Etablierung der klinischen Spezialfächer. In: Groß D und Winckelmann HJ
(Hrsg.): Medizin im 20. Jahrhundert. Fortschritte und Grenzen der
Heilkunde seit 1900. München: Reed Business Information 2008;
159-171.
23. Deneke Th et al. (Hrsg.): Röntgen-Atlas der Kriegsverletzungen.
Hamburg: Lucas Gräfe & Sillem 1916.
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. Ralf Vollmuth, Oberfeldarzt
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr – Abteilung Forschung
Zeppelinstraße 127/128
14471 Potsdam
E-Mail: Ralf1Vollmuth@bundeswehr.org
Der Beitrag wird im Internet und www.wehrmed.de veröffentlicht.
Veranstaltungen zum Thema „100 Jahre Erster Weltkrieg“
im
„Arbeitskreis Geschichte und Ethik der Wehrmedizin der
Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e.V. (DGWMP)“
und in der
„Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedizin e.V. (GGWM)“
Der Erste Weltkrieg steht aufgrund seiner Bedeutung auch in den diesjährigen zentralen Veranstaltungen des „Arbeitskreises Geschichte und
Ethik der Wehrmedizin“ in der „Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e.V. (DGWMP)“ und der „Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedizin e.V. (GGWM)“ im Mittelpunkt des Interesses.
Entsprechende Themen werden in der Sitzung des „AK Geschichte und Ethik der Wehrmedizin“ in der DGWMP am Freitagnachmittag, 12.
September 2014, im Rahmen des 45. Kongresses der Gesellschaft behandelt, der unter dem Motto „Tradition & Innovation“ in Berlin stattfindet. Neben den Vorträgen der Arbeitskreissitzung sind zu Beginn der Plenumssitzungen weitere Impulsreferate vorgesehen, in denen die zentralen Gedenktage des laufenden Jahres 2014 – 150 Jahre Deutsche Militärärztliche Gesellschaften, 150 Jahre Genfer Konvention, 100 Jahre
Erster Weltkrieg, 75 Jahre Zweiter Weltkrieg und 25 Jahre Fall der Mauer – gewürdigt werden.
Die im Jahre 2008 gegründete „Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedizin e.V. (GGWM)“ wird ihr nunmehr 6. Wehrmedizinhistorisches
Symposium, das voraussichtlich am Dienstagnachmittag, 18. November 2014, in München in Verbindung mit der Sanitätsakademie der Bundeswehr stattfinden wird, unter das Generalthema „100 Jahre Erster Weltkrieg“ stellen.
Die Programmabläufe beider Veranstaltungen standen bei Redaktionsschluss noch nicht endgültig fest – nähere Informationen erhalten Sie in
Kürze auf den unten angegebenen Internetauftritten des „AK Geschichte und Ethik der Wehrmedizin“ in der DGWMP sowie der GGWM oder
beim Verfasser.
Homepage des „AK Geschichte und Ethik der Wehrmedizin“ in der „DGWMP“:
http://dgwmp.de/arbeitskreis_geschichte_und_ethik_der_wehrmedizin_dgwmp.html
Homepage der „Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedizin e.V. (GGWM)“:
http://www.ggwm.de
Oberfeldarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth
Vorsitzender des „AK Geschichte und Ethik der Wehrmedizin“ in der „Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e.V.
(DGWMP)“ und Stellv. Vorsitzender der „Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedizin e.V. (GGWM)“
Erreichbarkeit: Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
Zeppelinstraße 127/128, 14471 Potsdam
Tel. 0331/9714-505
E-Mail: ralf1vollmuth@bundeswehr.org / dr.ralf.vollmuth@t-online.de
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
251
Aus dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Erlangen (Direktor: Prof. Dr. K.-H. Leven)
Zwischen fachärztlichem Diskurs und therapeutischem Alltag –
Die Militärpsychiatrie im Ersten Weltkrieg
The Everyday Conflict between Specialists Discourse and Daily Practice –
Military Psychiatry in World War I
Philipp Rauh
Zusammenfassung
Bereits kurz nach Beginn des Krieges sahen sich die Militärpsychiater mit einer unerwarteten Vielzahl an Soldaten konfrontiert, die vom Kriegsgeschehen vollkommen überfordert
waren und seelisch zusammenbrachen. In der Folgezeit entwickelten die Psychiater äußerst schmerzhafte Therapiemethoden, wie zum Beispiel die sogenannte „Kaufmann-Kur“,
um das Phänomen der „Kriegsneurose“ in den Griff zu bekommen und dadurch entscheidend zum siegreichen Verlauf
der Kampfhandlungen beizutragen. In der Forschungsliteratur wurde bisher stets eine Dominanz dieser drakonischen
Behandlungsmethoden unterstellt. Die empirische Auswertung von Lazarettakten des Ersten Weltkrieges lenkt den
Blick nun erstmals auf den therapeutischen Alltag und verdeutlicht, dass die Bandbreite im ärztlichen Umgang mit psychisch kranken Soldaten größer war, als bisher angenommen.
Schlüsselwörter: Militärpsychiatrie, Kriegsneurose, Therapiemethoden, Behandlungsalltag, Lazarettakten.
Summary
Very shortly after the beginning of the War, military psychiatrists were facing an unexpected high number of soldiers
being totally overstrained by the events of war and suffering
mental breakdowns. Subsequently, psychiatrists developed
very painful therapeutic methods like the so called “Kaufmann-cure” in order to come to terms with the phenomena of
“war neurosis” thus trying to decisively contribute to a victorious warfare. Until now, research literature has always assumed dominance of these draconic therapeutic measures. The
empiric analysis of military hospital records for the first time
now directs attention to the daily routine treatment and makes clear that the bandwidth of medical treatment applied has
proven much broader than assumed so far.
Keywords: military psychiatry, war neurosis, therapeutic
measures, daily routine treatment, military hospital records.
Einleitung
Der Erste Weltkrieg offenbarte nicht nur das Destruktionspotential moderner Gesellschaften auf eine zutiefst verstörende Art
und Weise. Auch die Kämpfe an der Front bekamen einen neuen
Charakter. Vor allem das passive Ausharren und die permanente
Todesbedrohung in den Schützengräben während des Stellungskrieges an der Westfront werden für den massenhaften Ausbruch einer neuen psychischen Erkrankung verantwortlich gemacht [1]. Eine Vielzahl der Soldaten reagierte auf das Erlebte
mit Lähmungen einzelner oder mehrerer Gliedmaßen, sie wurden blind oder taub, zuckten, zitterten, verstummten oder brachen psychisch zusammen. Die Militärpsychiatrie fasste diese
Symptome unter Bezeichnungen wie „Kriegsneurose“, „Kriegshysterie“ oder „Nervenschock“ zusammen [2]. Wie nun die
Psychiater im Ersten Weltkrieg auf diese neuen Krankheitsbilder reagierten, soll im vorliegenden Beitrag dargestellt werden.
So widmet er sich in einem ersten Abschnitt der Frage, welche
therapeutischen Methoden zur Behandlung der Kriegsneurotiker entwickelt wurden. In einem zweiten Schritt soll dann eruiert werden, inwieweit diese Therapiekonzepte in der kriegspsychiatrischen Praxis der Jahre 1914 bis 1918 auch umgesetzt
wurden. Bei dieser Fragestellung wird auf die Ergebnisse des
Forschungsprojektes „Krieg und medikale Kultur. Patientenschicksale im Zeitalter der Weltkriege“ rekurriert, bei dem insgesamt 500 der im Freiburger Bundesarchiv-Militärarchiv im
Bestand Pers 9 (Krankenbuchlager) lagernden Lazarettakten
von psychisch kranken Soldaten des Ersten Weltkrieges wissenschaftlich ausgewertet wurden [2, 3].
Der kriegspsychiatrische Kongress 1916
Die Frage nach den Ursachen des Phänomens der Kriegsneurose führte unter den Militärpsychiatern zu einer Kontroverse, die
im September 1916 auf einer kriegspsychiatrischen Tagung in
München ausgetragen wurde. Hier traten bekannte Psychiater
wie Robert Gaupp (1870 - 1953), Max Nonne (1861 - 1959)
oder auch Karl Bonhoeffer (1868 - 1948) gegen das bis dato
vorherrschende Erklärungsmodell der traumatischen Neurose
des Berliner Neurologen Hermann Oppenheim (1857 - 1919) an
[4]. Im Gegensatz zu Oppenheims primär somatischem Erklärungsmodell, das einen kausalen Zusammenhang zwischen
Kriegserlebnis und Ausbruch der seelischen Erkrankung durchaus anerkannte, sahen seine Kontrahenten den Grund für die
psychischen Symptome in dem fehlenden Willen der „Kriegshysteriker“, den Frontalltag auszuhalten, und attestierten ihnen
eine oftmals unbewusste Flucht in die Krankheit. Eine Verbindung zwischen anhaltendem seelischen Leiden und konkretem
Kriegserleben schlossen sie aus. Sie betonten in diesem Zusammenhang vielmehr die erbliche Belastung der Betroffenen, darüber hinaus ihre innere Abwehr gegen den Kriegsdienst sowie
ihre gemütslabile Konstitution. Anders als beim Konzept der
traumatischen Neurose sahen die Vertreter der psychischen Genese gute Aussichten, den „Kriegsneurotiker“ wieder fronttauglich zu therapieren. Ging Oppenheim bei der traumatischen
Neurose noch von einem determinierten, kaum zu beeinflussenden Krankheitsprozess aus, so gaben sich Gaupp und seine Unterstützer von einem psychologisch beeinflussbaren Verlauf und
guten Heilungschancen überzeugt.
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
252
P. Rauh: Zwischen fachärztlichem Diskurs und therapeutischem Alltag – Die Militärpsychiatrie im Ersten Weltkrieg
mit schmerzhaften elektrischen Strömen hospitiert und
seine Eindrücke darüber schriftlich festgehalten:
Abb. 1: An der Front bei Arras: Deutsche Soldaten im Schützengraben während
einer Kampfpause 1916
Die Verfechter des psychogenen Erklärungsansatzes sollten sich
auf dem Kongress gegenüber der Ansicht Oppenheims klar und
deutlich durchsetzen. Für die psychisch kranken Soldaten hatte
diese Weichenstellung mitunter furchtbare Folgen. Unter Verweis auf die notwendige „Willenskraft“ des Patienten zur Überwindung der Kriegsneurose entwickelten die Militärpsychiater
äußerst schmerzvolle Therapiemethoden, die heute drastisch anmuten, allerdings seinerzeit zum ersten Mal Heilungsaussichten
bzw. Chancen auf Symptomfreiheit beim Soldaten in Aussicht
stellten. Durch die sogenannte „aktive Kriegsneurotikertherapie“ war man sich sicher, das Problem der „Kriegszitterer“ in
den Griff zu bekommen und somit einen entscheidenden Beitrag zum siegreichen Ausgang des Krieges zu leisten.
Die „aktive Kriegsneurotikertherapie“
Ein Höhepunkt auf dem Kongress der Militärpsychiater war die
Präsentation der so genannten „Kaufmann-Kur“. Das oberste
Prinzip des Psychiaters Fritz Kaufmann (1875 - 1941) war die
„Heilung“ des „Kriegsneurotikers“ in einer Sitzung. Die Behandlung begann mit einer suggestiven Vorbereitung, in der
dem Patienten unmissverständlich die Entschlossenheit des
Therapeuten signalisiert wurde. Daraufhin verabreichte Kaufmann dem Soldaten „kräftige Wechselströme“ in 3-5-minütigen
Intervallen. Sie wurden durch Suggestion in scharfem militärischem Befehlston begleitet. „Der gewaltige Schmerzeindruck“,
so gab sich Kaufmann überzeugt, würde den Patienten „in die
Gesundung hinein zwingen“ [5].
Nachdem er seine Methode in München vorgestellt hatte, war
das Interesse an dieser Behandlungsform im Kollegenkreis geweckt. Viele Experten, die während des Krieges Kaufmanns
Therapie übernommen hatten, wollten durch sie über 95 % der
Patienten von ihren Symptomen befreit haben. Tatsächlich jedoch scheint die Rückfallquote bei den Soldaten hoch gewesen
zu sein. Zudem traten bei diesem Verfahren auch Todesfälle auf.
Der führende Neurologe Max Nonne hatte während des Krieges
bei einer solchen von Kaufmann durchgeführten Behandlung
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
„Im Halbdunkel liegt ein alter Hysteriker auf meinem Behandlungstisch. Das heißt: er schleppte sich auf zwei Stöcken
hängend, zitternd, mit steifen verkreuzten Beinen in unbeschreiblich grotesken Gangfiguren. Wie dieser Mann nun auf
dem Behandlungstisch liegt und ich nehme die Elektrode in
die Hand, da geschieht etwas Unbegreifliches: Er verwandelt
sich unter meinen Augen in einen anderen. Ein steifer Blick,
ein verzerrtes Gesicht, die Muskeln wie Stricke angespannt,
fortstrebend, dagegenstrebend und zusammengekrümmt. Und
mit dem blinden Sträuben und Drängen läuft gleich noch ein
zweiter Gang an: Ein Zittern, Krachen und Zucken – die Zähne klappern, die Haare sträuben sich, der Schweiß tritt auf
das blass gewordene Gesicht. Was noch durch diesen Tumult
hindurchdringt, das sind kurze, scharfe Zurufe, festes Anfassen, rascher, kräftiger Schmerz. Und unter diesen Reizen tritt,
wieder mit einem plötzlichen Ruck, eine zweite Verwandlung
ein. Man hat fast ein körperliches Gefühl davon, so als ob ein
ausgedrehtes Gelenk wieder einschnappte. Auf einmal ist der
Wille glatt und gerade und die Muskeln folgen beruhigt, willig
seinem Antrieb.“ [6]
Nonne selbst hatte während des Ersten Weltkrieges einen anderen therapeutischen Schwerpunkt: Er entwickelte ein hypnotisches Suggestionsverfahren, mit dem er den „Krankheitswillen“
der Patienten überwinden wollte. Laut seinen eigenen Angaben
gelang dies in 80 - 90 % der Fälle. 1918 sollte er seine Behandlungsmethoden auch in Form eines Stummfilmes präsentieren.
Unter dem Titel „Funktionell-motorische Reiz- und Lähmungszustände bei Kriegsteilnehmern und deren Heilung durch Suggestion in Hypnose“ wurden insgesamt 14 Fälle von „Kriegsneurose“ vorgeführt. Nonne präsentierte sich hier als „omnipotenter Heiler“, der über magische therapeutische Fähigkeiten zu
verfügen schien [7].
Ebenfalls filmisch festgehalten wurde die Arbeit in einem weiteren Therapiezentrum für „Kriegsneurotiker“, dem badischen
Reservelazarett Hornberg. Dort entwickelte der Psychiater Ferdinand Kehrer (1883 - 1966) seine Methode des „Zwangsexerzierens“, wohinter sich militärischer Drill, verstärkt durch elektrische „Hilfen“, verbarg. Kehrer kombinierte das Zwangsexerzieren mit einer anschließenden Arbeitstherapie in der Landwirtschaft oder Munitionsfabrik und hatte das Verfahren so weit
perfektioniert, dass dieser Ort von anderen Fachleuten als das
„Lourdes“ für „Kriegsneurotiker“ betrachtet wurde [8]. Soldaten wiederum, die unter einer funktionellen Stummheit litten,
erwartete die so genannte Mucksche Kehlkopftherapie, benannt
nach dem Essener Neurologen Otto Muck (1871 - 1942). Hierbei wurde den verstummten Kriegsteilnehmern eine metallische
Kugel in den Kehlkopf eingeführt. Durch die dadurch verursachte Erstickungsangst sollte der Patient seine Sprachfähigkeit
wiedererlangen [9].
Den rigiden militärpsychiatrischen Methoden war gemein, dass
sie allesamt – neben physischen Interventionen – auf die Kraft
der Suggestion setzten. Somit handelte es sich bei der „aktiven
Kriegsneurotikerbehandlung“ im Kern um Psychotherapie –
„wenn auch in ihrer rohesten und äußerlichsten Form“ [10].
Aus dem Einbeziehen psychischer Faktoren in das ätiologische
Spektrum der „Kriegsneurose“ folgte die Hinwendung zu psychotherapeutischen Techniken. Deren breite Rezeption im Ersten Weltkrieg ist insofern bemerkenswert, als sich die Universi-
P. Rauh: Zwischen fachärztlichem Diskurs und therapeutischem Alltag – Die Militärpsychiatrie im Ersten Weltkrieg
tätspsychiatrie der Psychotherapie gegenüber bis dato sehr reserviert verhalten hatte [11]. Als Militärpsychiater mit dem massenhaften Auftreten der „Kriegsneurosen“ konfrontiert, stellten
diese Jahre für viele Psychiater eine Art psychotherapeutischen
„Crash-Kurs“ dar.
Der therapeutische Alltag im Ersten
Weltkrieg
In der bisherigen Forschungsliteratur wurde lange Zeit eine Dominanz der eben beschriebenen drakonischen kriegspsychiatrischen Konzepte für den Behandlungsalltag im Ersten Weltkrieg
unterstellt [12]. Diese These konnte nun anhand des eingangs
erwähnten Forschungsprojektes „Krieg und medikale Kultur.
Patientenschicksale im Zeitalter der Weltkriege“ erstmals empirisch überprüft werden [2, 3, 13]. In der untersuchten Stichprobe
von insgesamt knapp 500 Lazarettakten waren mit den Diagno-
Abb. 2: Lazarettakte des Soldaten Johann M.
253
sen „Hysterie“, „Neurasthenie“, „Neurose“, „Granatschock“ sowie mit der Kategorie „nervöse Leiden“ die Krankheitsbezeichnungen vorherrschend, die zeitgenössisch unter dem Begriff der
„Kriegsneurose“ subsumiert wurden. Sie bildeten mit 352 Fällen die größte Gruppe. „Klassische Geisteskrankheiten“ wie
manisch-depressive Erkrankung oder Schizophrenie spielen
demgegenüber nur eine unbedeutende Rolle. Unter den militärpsychiatrischen Leiden waren „Hysterie“ (39 %) und „Neurasthenie“ (36 %) die deutlich häufigsten Nennungen.
Die Auswertung der zur Anwendung gelangten Therapiemethoden brachte das bemerkenswerte Resultat hervor, dass die damaligen aktuellen medizinischen Theorien und Schemata in der
Basisbehandlung der seelisch erkrankten Soldaten nur zu einem
gewissen Teil umgesetzt wurden. Die Behandlungs- und Beurteilungspraxis der Ärzte war im Gegenteil differenzierter, als es
der Tenor der Verlautbarungen auf dem kriegspsychiatrischen
Kongress in München oder in den medizinischen Fachzeitschriften vermuten ließ. Während dort beinahe ausschließlich die einschlägige „aktive
Kriegsneurotikerbehandlung“ präsentiert und
diskutiert wurde, ging es in der alltäglichen
Arbeit primär um eine Wiederherstellung der
psychischen wie auch der physischen Kräfte
mit einfachen roborierenden Maßnahmen.
Die Zahlen der Lazarettaktenauswertung
sprechen dabei eine deutliche Sprache: Lediglich 24 % der Kriegsneurotiker wurden
mit Hilfe einer kombinierten Suggestiv- und
Elektrotherapie behandelt. Am häufigsten
wurden die neuen drakonischen Therapiemethoden bei Soldaten mit der Diagnose „Hysterie“ angewandt. Sie mussten sich in rund
36 % der Fälle einer „aktiven Kriegsneurotikertherapie“ unterziehen. Die neu entwickelten Behandlungsmethoden fanden demnach
eher selten Anwendung, stattdessen blieb es
im überwiegenden Maße bei einer konventionellen Form der Therapie, die sich im Wesentlichen auf Ruhe und Erholung beschränkte. Den Soldaten wurden in diesen
Fällen vor allem Bettruhe, kräftigende Kost
sowie Beruhigungsmittel wie Brom oder
Baldrian verordnet. Dieser eher milde
Therapiemix findet sich auch in den beiden
folgenden kurzen Einzelfalldarstellungen
wieder.
Ende 1916 wurde der Reservist Maximilian
B. durch das Einschlagen einer Granate in
nächster Nähe verschüttet und am 26. November 1916 in ein Kriegslazarett in Flandern eingewiesen. Von dort verlegte man ihn
wenige Tage später in ein Lazarett nach
Deutschland. Den Aufzeichnungen in der Lazarettakte zufolge litt er unter Lid- und Muskelzittern und stark beschleunigter Herztätigkeit, wirkte verstört und war laut Aufnahmebefund in einer „weichlich-reizbaren Stimmung“. Die behandelnden Ärzte diagnostizierten eine „nervöse Erschöpfung“, die zunächst mit Ruhe und Brom, dann auch mit ei-
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
254
P. Rauh: Zwischen fachärztlichem Diskurs und therapeutischem Alltag – Die Militärpsychiatrie im Ersten Weltkrieg
nem verschriebenen Aufenthalt an frischer Luft und Salzbädern
behandelt wurde. Am 13. Januar 1917 wurde er als garnisondienstverwendungsfähig entlassen, das heißt man beorderte ihn
zunächst zum Standort seines Truppenteils und nicht direkt zurück an die Front. Auf einen vergleichbaren Behandlungsverlauf
weist die Krankenakte des Vize-Feldwebels Emil S. hin. Nur
vier Tage nach seiner Aufnahme wegen „Hysterie“ in das
Kriegslazarett Gent wurde er am 14. August 1917 nach
Deutschland in das Reservelazarett Solingen weiterverlegt. Dort
verordneten ihm die Ärzte Bettruhe, Spaziergänge durch das
Wuppertal sowie Entspannungsbäder. Diese Therapie war insofern erfolgreich, als sich der Patient frischer fühlte und nach 14tägigem Erholungsurlaub ebenfalls zu seinem Truppenteil entlassen wurde.
In das Bild eines differenzierten therapeutischen Alltags fügen
sich auch die statistischen Erhebungen zur Behandlungsdauer
der psychisch erkrankten Soldaten ein. Das berühmt gewordene
Diktum von Sigmund Freud, der 1920 – im Rückblick auf den
Ersten Weltkrieg – die Militärpsychiater als Maschinengewehre
hinter der Front bezeichnete, die die ihnen anvertrauten Soldaten schnellstmöglich dorthin zurücktreiben wollten, wurde in
der Forschungsliteratur bereitwillig aufgenommen [12]. Doch
auch hier befördert die empirische Auswertung der Lazarettakten eine beachtenswerte Diskrepanz zu den zeitgenössischen
Verlautbarungen führender Fachvertreter. Besieht man sich die
Dauer der Lazarettbehandlung, so wird deutlich, dass den seelisch kranken Soldaten durchaus Zeit zur Regeneration zugestanden wurde und sie auch eher selten direkt vom Lazarett aus
an die Front zurückbeordert wurden. Die durchschnittliche Hospitalisierungsdauer belief sich auf etwa zwei Monate. Nach der
Entlassung aus dem Lazarett kehrten die Soldaten zunächst
mehrheitlich zu ihrem Garnisonstruppenteil (30,8 %) zurück.
Lediglich 22 % der psychisch erkrankten Soldaten mussten direkt an die Front zurückkehren. Weitere 15,7 % wurden als arbeitsverwendungsfähig entlassen und vornehmlich in kriegswichtigen Betrieben eingesetzt. In etwa die gleiche Anzahl an
Soldaten (15,1 %) verließ als gänzlich „dienstunbrauchbar“ das
Heer. Die Bemühungen von Politik, Militär und führenden psychiatrischen Fachvertretern um eine effiziente Wiedereingliederung psychisch kranker Soldaten in den Kriegsdienst stießen
hier an ihre Grenzen. Auch in dieser Hinsicht ließen sich die Beschlüsse der Münchener Tagung nicht in die Tat umsetzen.
Eine weitere erstaunliche Diskrepanz zur publizierten Literatur
ist die fehlende Dichotomie einer unterschiedlichen Gefreiten(Hysterie) und Offiziersbehandlung (Neurasthenie). So befinden sich in dem von uns untersuchten Sample fast gänzlich Angehörige einfacher Mannschaften, die mit dem Label des „Neurasthenikers“ versehen und damit milderen Therapien zugeführt
wurden. Der häufig in der Sekundärliteratur gezogene Schluss,
dass die Diagnose Neurasthenie, da nicht derart negativ konnotiert wie die Krankheitsbezeichnung Hysterie, insbesondere für
Offiziere vergeben worden sei und nicht an Mannschaften,
konnte nicht bestätigt werden [14]. Aus den Lazarettakten geht
vielmehr hervor, dass die Neurasthenie als diagnostischer Sammelbegriff für nicht genau zu klassifizierende psychische – aber
auch physische – Erschöpfungssymptome verwandt wurde.
Generell weisen die Lazarettakten auf ein sehr pragmatisches
Arzt-Patient-Verhältnis hin. Für die meisten Frontärzte stand es
schlichtweg außer Frage, dass die seelische Dekompensation
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
des Soldaten einzig und allein mit seinem Kriegserleben zu tun
haben konnte. Dies verwundert nicht, wenn man sich den Behandlungsalltag der Lazarettmediziner vor Augen führt. Gerade
in den oftmals überfüllten und schlecht ausgerüsteten Feldlazaretten des Ersten Weltkrieges waren die Militärärzte vollkommen damit ausgelastet, ihren Patienten gegenüber eine Art Krisenmanagement zu betreiben. Selbst in unmittelbarer Frontnähe
im Einsatz hatten diese Ärzte zudem eine realistische Vorstellung davon, was der Soldat im Krieg leisten musste. Gerade den
Medizinern mit ausgiebiger Fronterfahrung erschienen die
Symptome der Soldaten in hohem Maße plausibel, erfuhren sie
doch die Kriegsstrapazen am eigenen Leibe, wenn sie monatelang mit ihren Feldlazaretten hinter den Truppen herzogen, um
dann, in unmittelbarer Nähe zur Front selbst im Kugelhagel stehend, die verschütteten, panischen und zitternden Soldaten rund
um die Uhr zu verpflegen [15].
Das Deutungsmonopol über die „Kriegsneurose“ hatte jedoch
eine kleine Gruppe von Universitätsprofessoren inne. Diese
hielten sich während des Krieges zum größten Teil in der Heimat auf, ihre Aufenthalte an der Front waren, wenn überhaupt,
nur sporadisch und ein Austausch zwischen Front- und Heimatärzten fand während der Kriegszeit selten statt. Die seelisch
kranken Soldaten wiederum, die sie in den Reservelazaretten zu
Gesicht bekamen, waren zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere
Wochen oder gar Monate in Behandlung und hielten sich somit
schon für geraume Zeit fernab des Kriegsalltages auf [16].
Kurzum: Die Psychiater, die den Diskurs über Ätiologie und
Therapie der „Kriegsneurose“ bestimmten, erlebten das Kriegsgeschehen nur in gefilterter Form.
Die hier beschriebene Diskrepanz sollte sich bis Kriegsende
auch nicht mehr verringern. Die von den führenden Fachvertretern unentwegt propagierten Forderungen nach einer konsequenteren, härteren und schnelleren Behandlung der psychisch
kranken Soldaten hatten keinen entscheidenden Einfluss auf den
therapeutischen Alltag, wo primär an den herkömmlichen Behandlungsmethoden festgehalten wurde und die „aktive Kriegsneurotikertherapie“ lediglich eine Option neben mehreren anderen blieb. Dieser Befund ist im Übrigen wohl nicht nur für die
Arbeit der Ärzte an der Front zu erheben. Neue Lokalstudien
machen deutlich, dass selbst in den Heimatlazaretten oftmals an
den herkömmlichen Therapien festgehalten wurde [17]. Die militärpsychiatrische Elite war sich dessen auch bewusst. Die fehlende Härte im Kampf gegen die „Kriegsneurose“ war für sie im
Rückblick auch der Grund, warum man dieses Phänomen im
Ersten Weltkrieg letztlich nicht in den Griff bekommen hatte.
Man wähnte sich auf dem richtigen Weg, sei jedoch bedauerlicherweise auf halber Strecke ausgebremst worden, so lässt sich
die Gefühlslage des psychiatrischen Establishments nach 1918
beschreiben [18]. Raum für Selbstkritik war aus dieser Logik
heraus nicht zu erwarten, vielmehr die in die Zukunft gewandte
Forderung nach mehr Konsequenz in der praktischen Umsetzung ihrer Lehrmeinung. Doch bis diese zum ausschließlich akzeptierten und vor allem in der Praxis umgesetzten Krankheitskonzept wurde, vergingen noch einige Jahre. Während die Vertreter der „herrschenden Lehre“ in der Weimarer Republik im
Zuge der Versorgungsfragen psychisch kranker Soldaten noch
vergeblich für eine umfassende Umsetzung ihrer Vorstellungen
fochten, avancierte ihr Erklärungsansatz im Nationalsozialis-
P. Rauh: Zwischen fachärztlichem Diskurs und therapeutischem Alltag – Die Militärpsychiatrie im Ersten Weltkrieg
mus zur unumstößlichen Lehrmeinung – und sollte es bis weit
in die bundesrepublikanischen Jahre hinein bleiben [19, 20].
Resümee
Nachdem die Militärpsychiatrie zu Beginn des Ersten Weltkrieges von dem epidemischen Auftreten der „Kriegsneurose“ vollkommen überrascht worden war, wollte man durch neu konzipierte, für den Patienten äußerst schmerzvolle Therapiemethoden dieses Krankheitsphänomen in den Griff bekommen und
dadurch entscheidend zum siegreichen Verlauf der Kampfhandlungen beitragen. Einen Wendepunkt stellte dabei der 1916 abgehaltene kriegspsychiatrische Kongress in München dar. Hier
wurde im Hinblick auf die Ätiologie und Therapie der „Kriegsneurose“ ein neues Konzept beschlossen. Dass der therapeutische Aufbruch im Ersten Weltkrieg ein elitärer, vornehmlich auf
eine bestimmte psychiatrische Diskursgemeinschaft begrenzter
war, belegen die Resultate der Lazarettaktenauswertung. Die
hier dargestellten Ergebnisse hinsichtlich Therapie, Behandlungsdauer und Entlassungsart psychisch kranker Soldaten machen deutlich, dass man vom medizinischen Fachdiskurs der
Kriegsjahre nicht auf den Behandlungsalltag schließen kann.
Vielmehr muss zwischen den von deutschnationalem Pathos
und großer Heilungseuphorie begleiteten therapeutischen Theorien des psychiatrischen Establishments einerseits und den
nüchtern pragmatischen Ansätzen der meisten Lazarettärzte, die
unter dem Eindruck des Fronterlebens psychische Leiden als
kriegsbedingte Krankheiten ansahen, unterschieden werden.
Die Tatsache, dass Diskurs- und Alltagsebene derart divergierten, weist darauf hin, dass ein von oben initiierter Paradigmenwechsel sich selbst in autoritären Institutionen wie dem Militär
oder der Psychiatrie nicht umgehend in die Praxis umsetzen
lässt.
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Bildquellen:
Abb 1: Bundesarchiv, Bild 183-R05951
Abb.2: Bundesarchiv-Militärarchiv
Verfasseranschrift
Philipp Rauh, M.A.
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
Glückstraße 10, 91054 Erlangen
E-Mail: Philipprauh@gmx.de
Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
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Aus dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Heidelberg (Direktor: Prof. Dr. W. U. Eckart)
„Krüppeltum“ und „Eiserner Wille“ – Invalidität und Politik im Großen
Krieg, 1914 - 18
„Cripplement“ and „Iron Will“ – Invalidity and Politics in the Great War, 1914 - 18
Wolfgang Uwe Eckart
Zusammenfassung
Die Folgen des Ersten Weltkrieges waren hinsichtlich der
Verwundeten und Kriegsversehrten schrecklich. Mehr als 2
Millionen entließ der Krieg als dauerhaft versehrte Soldaten.
Die sozialen Probleme, die sich daraus für die Zeit des Krieges und für die Weimarer Republik ergaben, waren katastrophal. Zugleich vollzog sich während des Krieges bereits eine
starke Politisierung und Polarisierung der Kriegsversehrten.
Das politische Ringen versuchte, die Kriegsversehrten einerseits der nationalkonservativen Richtung zu verpflichten; andererseits bemühte sich die Sozialdemokratie sehr früh, die
„Kriegskrüppel“ auf ihre Seite zu bringen, den Staat als Verursacher in die Verantwortung zu nehmen und das Heer der
Versehrten politisch für den neuen demokratischen Nachkriegsstaat zu positionieren. Es kam zu Demonstrationen und
gewalttätigen Auseinandersetzungen.
Schlagworte: Bewegung der Kriegsversehrten; Politisierung
der Kriegsversehrten; nationale und patriotische Bewegung
der Kriegsversehrten; Kriegsversehrte als politische Kraft für
eine Nachkriegsordnung; Demonstrationen und Unruhen der
Kriegsversehrten
Einleitung
Der erste moderne Weltkrieg der Weltgeschichte, ein Maschinenkrieg ungeahnter Zerstörungsgewalt, der Körper und Seelen
der Soldaten zerstörte, hinterließ mannigfaltige Bilder des Grauens. Am augenfälligsten war bereits während der ersten Kriegsmonate das Heer der Versehrten, der Blinden, der Amputierten,
der Zerschmetterten und Entstellten, wie sie die Straßenbilder
aller Kriegsparteien nur allzu bald beherrschten. Manche blieben indessen auch der Öffentlichkeit zunächst verborgen [1].
Was der engagierte sozialdemokratische Redakteur Erich Kuttner (Abb. 1) nach Streifzügen durch Berliner Lazarette den sozialdemokratischen Genossen am Mittwoch des 8. September
1920 im Vorwärts an Lesestoff zumutete, war schon damals wenig erbaulich und lässt noch heute erschaudern:
„In das kleine Geschäftszimmer tritt ein Mann, der quer über die Mitte des Gesichts eine Binde trägt. Er nimmt sie ab und ich starre in ein
kreisförmiges Loch von der Größe eines Handtellers, das von der Nasenwurzel bis zum Unterkiefer reicht. Das rechte Auge ist zerstört,
das linke halb geschlossen. Während ich mit dem Mann rede, sehe ich
das ganze Innere seiner Mundhöhle offen vor mir liegen (...) wie bei
einem anatomischen Präparat. Einstweilen hat er seine achtzehnte
Operation überstanden“ [2].
Summary
Consequences of World War I in terms of wounded and war
invalids were horrendous. The war left more than 2 Mio permanently disabled in Germany alone resulting in disastrous
social problems during the war and, subsequently, for the
Weimar Republic. Simultaneously, a strong tendency to politicize and polarize the war disabled took place. The competing political powers tried to exploit the situation of the disabled; on the one side, the national conservative movement
tried to commit the disabled to their political course, while,
on the other side, the Social Democrats very early made
every effort to get the “war cripples” to join their side, to hold
the state accountable for this dilemma and to politically position the mass of handicapped for the new democratic postwar German state. The disabled persons were torn between
these lines, and rivalries exploded even on the streets in mass
demonstrations and riots.
Keywords: masses of disabled; political potential of disabled; nationalistic and patriotic movement of disabled; disabled as a political potential for post war revolution; demonstrations and riots of disabled on the streets
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
Abb. 1: Erich Kuttner (1887 - 1942)
W. U. Eckart: „Krüppeltum“ und „Eiserner Wille“ - Invalidität und Politik im Großen Krieg, 1914 -18
Kuttner, Begründer der deutschen Kriegshinterbliebenenfürsorge, ist auf einen der gesichtslosen Kriegsversehrten getroffen,
von denen viele so entsetzlich verstümmelt sind, dass sie sich
wie vom Aussatz gezeichnet nicht mehr nach Hause trauen und
selbst Spiegel in den Lazaretten panisch meiden. Um diese
Menschen, schreibt Kuttner, macht selbst der „patentierte Patriotismus einen weiten Bogen“. Er hat sie „vergessen, denn sie
stören ihn“ [2]. Doch das Verdrängen misslang. Die heimischen
Straßen der Kriegs- und Nachkriegszeit sprachen ihre eigene
deutliche Sprache. Und es gab Pazifisten, die sich dem Vergessen entgegenstellten. Der Junganarchist Ernst Friedrich hat mit
seinem erschütternden Bilderalbum über die Grausamkeit des 1.
Weltkrieges „Krieg dem Kriege“ (1924) der Öffentlichkeit die
verstümmelnde ›Fratze‹ des erlittenen Krieges mit der monströsen Gesichtslosigkeit der Fazialverletzten in brutaler Anschaulichkeit nahe gebracht und damit den Zynismus Hindenburgs
(„Der Krieg bekommt mir wie eine Badekur“) konterkariert [3].
Die Frontsoldaten badeten in Blut und verloren Gesichter und
Gliedmaßen. Anfang 1915, noch vor den unvorstellbaren Materialschlachten im Westen, schätzte der Orthopäde Konrad Biesalski die Zahl der bereits verstümmelten deutschen Soldaten
auf etwa 30 000. Am Ende des Krieges sollten es Hunderttausende sein.
Die Reaktionen auf ihr Erscheinen in der Heimat waren so unterschiedlich wie die körperlichen Entstellungen durch den
Krieg, die sich der Öffentlichkeit ungeschminkt präsentierten:
Ein enormer Aufschwung in der orthopädischen Prothetik (Sauerbruchhand und Sauerbrucharm) und in der plastischen Chirurgie sowie das – halbherzige – Bemühen um die soziale Absicherung der „Kriegskrüppel“ und ihrer Familien stand auf der einen, die Sorge um die Beseitigung der hässlichen Erscheinungen aus den Weichbildern der Städte und Seelen, die „Entkrüppelung aller Gebrechlichen“ auf der anderen Seite. „Eiserner
Wille“, so konnte man in den offiziellen Verlautbarungen lesen,
müsse die „Kriegszermalmten“ dahin bringen, die Behinderungen ihrer Bewegungsfreiheiten zu bekämpfen und zu beseitigen,
eiserner Glaube an die Macht des medizinisch-technischen Fortschritts ihre Seelen und die ihres Publikums zu läutern, den inhumanen Krieg aus der Vogelperspektive zu humanisieren; diesem Zweck war auch die größtmögliche Verharmlosung der
Kriegsverkrüppelung in der Presse gewidmet, wie sie etwa
durch Abbildung behinderter Sportler, mähender Landarbeiter
oder präzis produzierender armamputierter Feinmechaniker vor
Augen geführt werden sollte. Einer schnellen Reintegration in
die Arbeitswelt schließlich, der „Verstreuung unter die Masse
des schaffenden Volkes, als wenn nichts geschehen wäre“, dienten Versehrtenrenten in der Nähe oder unterhalb des Existenzminimums, die brutale Aufforderung zur Leistungssteigerung,
die Mahnung vor der Verhätschelung der Zermalmten selbst
durch die eigene Ehefrau, die hysterische Jagd auf vermeintliche Rentenbetrüger, die den sozialpolitischen Diskurs während
der Weimarer Republik vergiften würde.
257
„dienstunbrauchbar“ Entlassenen (503.713 mit, 199 065 ohne
Versorgung) gegenüber. Von der Gesamtzahl der „Dienstunbrauchbaren“ mit Versorgung wiederum waren 89 760 als „Verstümmelte“ mit Ansprüchen auf eine „Verstümmelungszulage“
anerkannt. Zu jener Gruppe gehörte der überwiegende Teil der
schwer- und schwerstbeschädigten Kriegsinvaliden der Nachkriegszeit (Abb. 2). Es gibt gute Gründe, diese offiziellen Zahlen als geschönt anzuzweifeln. Andere Hochrechnungen gehen
von etwa 2,7 Millionen dauernd kriegsbeschädigter Soldaten
aus, was etwa 11 % der insgesamt 24,3 Millionen verletzter und
schwerverletzter Soldaten entsprechen würde. Hinzu traten
etwa 533 000 versorgungspflichtige Kriegswitwen und etwa 1,2
Millionen Kriegswaisen. Entstanden war so aus dem Krieg ein
unermessliches Elend und Leid weit über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus, das die soziale Landschaft der Weimarer Republik hindurch bis in die NS-Diktatur prägen sollte.
Bereits in den ersten Kriegsmonaten hatte sich abgezeichnet,
mit welch hohen Invalidenzahlen bei einer Fortdauer des Krieges zu rechnen sein würde.
Der Krieg hatte auch hinsichtlich Verwundung und Überleben
sein Gesicht gewandelt. Einerseits steigerten die höhere Durchschlagskraft und der vermehrte Einsatz von Explosivgeschossen
die Zahl der Verwundeten ins bis dahin Unvorstellbare, andererseits überlebten aufgrund verbesserter und aseptischer Wundbehandlung weit mehr Verwundete. 1870/71 waren noch 80 - 90 %
aller „Schußbrüche“ verstorben, nun überlebten viele der so verletzten Soldaten und wurden zu „Krüppeln“ bzw. „Kriegsinvaliden“ (seit Mai 1915 in Preußen offizieller Begriff) oder
„Kriegsbeschädigten“. Die sozial-karitative Mobilmachung
Bilanz der Körperzerstörung
Die Bilanz des Ersten Weltkrieges war bedrückend. So bezifferte der Sanitätsbericht über das Deutsche Heer 1934 die Anzahl
der durch Verwundung, Unfall, Selbstmord und Krankheit zwischen dem 2. August 1914 und dem 31. Juli 1918 verstorbenen
Soldaten auf 1 202 042; dieser Zahl stand für den gleichen Berichtszeitraum die der insgesamt 702 778 aus dem Heer als
Abb. 2: Rotkreuzschwester füttert Kriegsversehrten auf Transportpause
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W. U. Eckart: „Krüppeltum“ und „Eiserner Wille“ - Invalidität und Politik im Großen Krieg, 1914 -18
kam zunächst nur schleppend in Gang. Im November 1914 standen erst 2 357 zusätzliche Betten in „Krüppelheimen“ für die
Nachbehandlung Schwerverwundeter zur Verfügung. Mit dem
Ersatz des Begriffs „Krüppel“, der in der Nachkriegszeit ungebrochen wieder auflebte, glaubte man, einen verächtlichen Beigeschmack der Kriegsinvalidität zu beseitigen. Andererseits
sollte, um „Rentenpsychosen“ zu vermeiden, das sogenannte
Krüppeltum durch „eisernen Willen“ und eine unnachgiebige
Disziplinierung des Kriegsbeschädigten unter Beibehaltung des
Soldatenstandes bis unmittelbar vor Vermittlung an eine neue
Arbeitsstelle überwunden werden [4].
Krüppelfürsorge und Kriegsorthopädie
Einer schnellen Reintegration in die Arbeitswelt schließlich,
dachte man, würden Versehrtenrenten in der Nähe oder unterhalb des Existenzminimums dienen (Abb 3). Zudem sollte die
herzlose Aufforderung zur Leistungssteigerung sowie zur Geringschätzung oder Nichtbeachtung der Kriegsverletzung auch
durch die eigene Ehefrau erfolgen. Medizinische Wissenschaft
und medizinische Technik reagierten schnell auf die Bedürfnisse des Krieges und besonders auf die der zahllosen Schwerstbeschädigungen. Die orthopädische Prothetik vervollkommnete
die Technik des künstlichen Gliederersatzes bis zur Perfektion,
schuf „Schmuck“- und „Ersatzarme“ mit berufsbezogenen „Arbeitsansätzen“ (Zangen-, Haken-, Messer-, Bürsten-, Nähnadel, Bügeleisenhalter etc.), wenig ästhetisch, aber außerordentlich
praktisch. Ein abstruses Panoptikum der Ersatzgliedertechnik
entfaltete sich. Herausragend war die Beinprothetik, deren Perfektion von den harten Erfordernissen des Krieges erheblich
profitiert hatte. Ferdinand Sauerbruch, Oberstabsarzt und Beratender Chirurg des XV. Armeekorps, entwickelte seine „kinematischen Prothesen“ (Sauerbruch-Hand/-Arm). Gesichts- und
Kieferchirurgen nahmen sich der Gesichtsdeformierten an, um
die sich während des Krieges und noch lange danach geheim-
Abb. 3: Kriegsversehrte bei der Gartenarbeit, ca. 1917 oder 1918
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
nisvolle Mythen rankten. Und die Neurologen entdeckten im
Krieg die sprach- und wortverständnisaktiven Hirnareale der
Kopfschussverletzten (Aphasieforschung). Dabei war die Ausgangssituation am Vorabend des Großen Krieges hinsichtlich
der „Krüppelfrage“ alles in allem ermutigend gewesen. Bereits
Jahre vor dem Kriegsausbruch war es dem Berliner Orthopäden
Konrad Biesalski zusammen mit dem preußischen Medizinalbeamten Eduard Dietrich (1860 - 1947) gelungen, das Problem der
Krüppelfürsorge ins öffentliche Interesse zu rücken und damit
einen bedeutenden Beitrag zur Entstigmatisierung angeborener
oder erworbener körperlicher Entfaltungsbeeinträchtigung zu
leisten. Hier war ganz offensichtlich einem bedeutsamen Feld
staatlicher Sozialpolitik und Fürsorgeintervention Rechnung zu
tragen.
Der Ausbruch des Krieges unterbrach diese Entwicklung nicht
wirklich, aber er zwang doch, zunächst militärische Prioritäten
zu setzen. Initiativ im Sinne der Kriegskrüppelfürsorge wurde
wieder Biesalski, dem es geschickt gelang, die Kaiserin hier zu
engagieren. Ziel der orthopädischen Einrichtungen im Krieg
war von vornherein nicht nur die medizinische Weiterversorgung der Kriegsverletzten, sondern deren baldige Wiedereingliederung in den Erwerbsprozess. Drohte doch ein unzufriedenes oder gar hoffnungsloses und verbittertes Heer politisch
durchaus agitationsfähiger Kriegsversehrter zum potentiellen
Unruheherd zu werden, falls hier nicht schnell interveniert würde. Männer, die dem Staat nicht nur gedient, sondern ihm Gliedmaße und Körperfunktionen, einen Teil ihrer physischen Existenz also, geopfert hatten, erwarteten im Gegenzug auch die besondere Fürsorge des Staates. Biesalski indes wollte noch mehr.
Für ihn ging es um die Abschaffung des Krüppeltums schlechthin und ganz unabhängig davon, ob nun Krieg oder Frieden
herrsche. Seine neue sozialintegrative Botschaft lautete 1915:
„Es gibt kein Krüppeltum, wenn der eiserne Wille vorhanden
ist, es zu überwinden!“ [5]
W. U. Eckart: „Krüppeltum“ und „Eiserner Wille“ - Invalidität und Politik im Großen Krieg, 1914 -18
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Zur Erreichung dieses Zieles, das für Biesalski vor allem ein
aufklärerisches war, wurden alle Register der emotionalen Werberhetorik gezogen. Dem nach der schweren Kriegsverwundung zu erwartenden „schweren Herzeleid“ in einem „harten
Schicksal“ setzte der Orthopäde die Aufforderung an den Versehrten entgegen, statt über den Verlust der Gliedmaßen und der
daraus erwachsenden Beeinträchtigung der körperlichen Funktionen zu trauern, solchem Schicksal mit Mut, Selbstvertrauen
und auch „Härte“ gegen die eigene Wehmut zu begegnen und
nicht nur Hilfe von außen zu erwarten, sondern die Kraft zur
Selbsthilfe aufzubringen und die aus dem Schicksal der Verwundung erwachsenden Probleme eher in Askese als jammernd
zu ertragen. Bemerkenswert ist dabei, wie es Biesalski zu diesem Zwecke auch gelang, zwar die Melodie zeitläufiger lyrischer Patriotik des „heiligen Krieges“ aufzugreifen, zugleich
aber nicht in all zu platte Patriotismen zu verfallen.
Biesalskis „Kriegskrüppel“-Propaganda war außerordentlich erfolgreich, wenngleich sich die von ihm propagierte Bezeichnung „Kriegskrüppel“ nicht durchsetzte und in der Presse zunehmend durch das mildere Wort „Kriegsbeschädigter“ oder
„Kriegsversehrter“ abgelöst wurde. Andererseits gelang Biesalski eine doch beachtliche sozialkaritative Mobilmachung, die
neben staatlichen Fürsorgemitteln – 10 Millionen bis September
1918 – auch erhebliche private Spenden aufzubringen helfen
sollte (Abb. 4). Man muss sich allerdings auch fragen, ob nicht
die Notwendigkeit des hochtechnisierten, körperzerfleischenden Stellungskrieges im Westen selbst vergleichbare kriegschirurgische, orthopädische und sozialfürsorgerische Anstrengungen zumindest in Gang gebracht hätten [6].
Selbstorganisation der Kriegsbeschädigten
Bereits während des Krieges wurde der politische Einfluss des
anwachsenden Heeres Kriegsbeschädigter zu einem bedrohlichen Phänomen. Ihnen galt keineswegs nur der vielbeschworene „Dank des Vaterlandes“, vielmehr richtete sich die Aufmerksamkeit der Herrschenden angesichts anschwellender Proteste
und Streiks der Zivilgesellschaft gegen die dramatisch drückende Last des Krieges spätestens seit 1917 zunehmend auf vermeintlich „subversive Elemente“ unter den Kriegsbeschädigten.
Während die Gefallenen schwiegen, schien sich hier ein lautstarkes Potential politischer Bedrohlichkeit zu entwickeln, das
zu Sorgen veranlasste. Und solche Sorgen waren durchaus berechtigt, denn mit Ausnahme der Hirnverletzten und seelisch
Schwersttraumatisierten, behinderten Amputation, Blind- oder
Taubheit keineswegs die politische Agitationskraft der Kriegsbeschädigten. Hinzu kam, dass die überwiegende Zahl der
Kriegsbeschädigten im Zivilleben Arbeiter gewesen waren, die
– meist sozialdemokratisch orientiert – den Gewerkschaftskampf für ihre Interessen und gegen ihre Arbeitgeber kannten.
Sie hatten nicht nur Kriegsdienst geleistet, sondern mit ihren beschädigten Körpern dem zunehmend suspekten bis verhassten
staatlichen Arbeitgeber im Krieg auch physische Opfer gebracht. Ihre Beschädigungen aber symbolisierten nicht nur ein
ideales Opfer durch den Dienst, sondern sie offenbarten manifeste Opfer in körperlicher, in seelischer und in materieller Hinsicht. Wirtschaftliche Not, körperliche Beschädigung, seelische
Traumatisierung und der Vertrauensverlust in einen Staat, der
seinen Versorgungspflichten nicht in dem zu erwartenden Maße
nachkommen konnte, bildeten ein explosives Gemisch, das bald
als ernstzunehmende Gefahr gedeutet wurde.
Abb. 4: Ludendorff-Spende für Kriegsbeschädigte, Postkarte 1918
Essener Verband
Immerhin war aber ganz offensichtlich: Die wirtschaftliche
Kraft und die mit ihr verbundene soziale Sicherung des Kriegsversehrten wiederherzustellen konnte nicht nur eine ärztliche
Aufgabe sein; sie war daneben hochpolitisch. Tatsächlich war in
aller Stille die Gründung des Verbandes wirtschaftlicher Vereinigungen Kriegsbeschädigter für das Deutsche Reich (Essener
Verband) von langer Hand vorbereitet worden, und so überraschte die Einladung zur ersten Verbandssitzung vom 7. bis 9.
April 1917 in den Städtischen Saalbau nach Essen nicht sonderlich. Doch galt das vorgegebene Fürsorgeinteresse des fraglos
nationalkonservativ ausgerichteten Verbandes, auf dessen Emblem ein Frontsoldat mit Stahlhelm abgebildet war, tatsächlich
uneingeschränkt allen Kriegsbeschädigten? Die kämpferische
Rede zur Gründung des Verbandes, gehalten von dessen erstem
Vorsitzenden, dem Krupp-Angestellten Hans Adorf (Abb. 5),
ließ dies vermuten. In ihr wurde hochpathetisch und mit dem
Charisma des selbsternannten Führers die Interessengemeinschaft aller Kriegsbeschädigten im Sinne des Frontkämpfergeistes beschworen:
„Schließt Euch alle in treuer Kameradschaft zusammen, wie wir es in
der Front getan, es gilt das große Werk. Reicht mir alle im Geiste die
Bruderhand und laßt uns gemeinsam einige Augenblicke bei unseren
gefallenen Kameraden verweilen und dabei geloben: Vertrauen um
Vertrauen, Treue um Treue, Getreu bis in den Tod. Das walte Gott!
Deutsche Männer!“[7]
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
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W. U. Eckart: „Krüppeltum“ und „Eiserner Wille“ - Invalidität und Politik im Großen Krieg, 1914 -18
Abb. 5: Hans Adorf, ca. 1917
Aber so einheitlich, wie der Verbandsvorsitzende Hans Adorf
die „Front der Kriegsbeschädigten“ vor den im Essener Saalbau
bei Bier und Zigarrenqualm versammelten Gründungsmitgliedern imaginierte, war diese Front ohne wirklichen Gegner tatsächlich nicht. So konnte das ehrgeizige Ziel, in kurzer Zeit eine
nationalistische Massenorganisation aller deutschen Kriegsbeschädigten zu schaffen, das Adorf nicht zuletzt durch diktatorisch-straffe Führung seiner Organisation anstrebte, jedoch
nicht erreicht werden. Innerhalb von nur zwei Jahren lautstarker
aber im Grunde wirkungsloser Existenz war der Essener Verband aus dem politischen Leben der Kriegs- und Nachkriegsgesellschaft verschwunden.
Bund der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten
Wesentlich erfolgreicher und politisch nachhaltiger entfaltete
sich die Arbeit der im Mai 1917 zunächst als Bund der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten in Berlin gegründeten und
1919 in Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer
und Hinterbliebenen umbenannten Kriegsbeschädigten-Organisation, die zwar offiziell parteipolitisch neutral und auch religiös nicht gebunden sein sollte, de facto aber von Anfang an in enger Verbindung zur Sozialdemokratie stand. Gründungsvater
war der am 2. April 1916 vor Verdun schwer verwundete Jurist
und Journalist Erich Kuttner (ermordet 1942 im KZ Mauthausen), der seit 1916 als Redakteur des sozialdemokratischen Vorwärts wirkte. Kuttners seit Sommer 1916 verfolgtes politisches
Ziel war es, die Masse der Kriegsbeschädigten dem monarchistisch-nationalistischen Einfluss des Essener Verbandes zu entziehen und ihnen mit dem Reichsbund eine Alternative zu bieten, die auf Erfahrungen aus der Arbeiterbewegung fußte. Hinsichtlich der besonderen Stellung der Kriegsbeschädigten ging
es ihm vor allem um deren Neuberechtung im Staat. Wenn sie
schon für diesen Staat ihre Körper im Krieg geopfert hatten,
dann sollten sie nicht länger Almosenempfänger und politisch
Benachteiligte bleiben. Partizipation sollte an die Stelle von
Subordination treten. Die Resonanz auf die Gründung war erWehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
heblich. Ende 1917 konnte der Bund schon auf mehr als 8000
Mitglieder verweisen. Bereits im Frühjahr 1918 verfügte man
reichsweit über 200 Lokalvereine und an die 25 000 Mitglieder.
Ihre Zahl sollte bis 1922 bereits 830 000 übersteigen [8].
Den Militärbehörden war die zunehmende Politisierung des
Versehrtenbundes mehr als ein Dorn im Auge, zumal der linke
Versehrtenbund die rechtskonservative Ordnung störte. Hinzu
kam, dass auf einer Berliner Versammlung des Bundes Stimmen
laut geworden waren, die einen Verständigungsfrieden forderten. So kam es am 7. Januar 1918 nach Protesten von Bundesmitgliedern gegen militaristische Parolen auf einer Versammlung der „Vaterlandspartei“ am Berliner Alexanderplatz zu gewalttätigen Handgreiflichkeiten gegen die Invaliden, die zudem
als „Drückeberger“ und „Deserteure“ provoziert wurden, die
der kämpfenden Truppe in den Rücken fielen. Das Handgemenge mit Fausthieben eskalierte schließlich zur Straßenschlacht
und rief die Polizei auf den Plan, die mit ihren Gummiknüppeln
wohl offensichtlich überwiegend Versehrtenrücken traf, während sich die Vaterlandsparteigänger schneller aus dem Staub
machen konnten. Als Kuttner, nachdem eine Protestkundgebung
des Bundes am 13. Januar verboten worden war, an die 300 Versehrte dazu bewegen konnte, aus Abscheu gegen die ungestrafte
und rohe Misshandlung von Kriegsbeschädigten ihre Eisernen
Kreuze an Großadmiral von Tirpitz zurückzuschicken, war das
Maß voll. Kuttner wurde im Januar 1918 vom Oberbefehlshaber
der Marken, Generaloberst Gustav von Kessel, auf der Grundlage des „Gesetzes über den Belagerungszustand“ (vom 4. Juni
1851, sic!) die Leitung des Bundes untersagt, worauf Kuttner
nichts anderes übrig blieb, als den Vorsitz des Bundes niederzulegen. Den Reichsbund konnten solche konservativen Nadelstiche allerdings nicht mehr gefährden. Zu Ostern 1918 fand in
Weimar ein erster Bundestag statt, auf dem das sozialpolitische
Programm des Reichsbundes für eine umfassende Reform der
Kriegsbeschädigtenvorsorge und -fürsorge verabschiedet wurde
[9].
Im Einzelnen erstreckten sich die Forderungen insbesondere auf
die wirtschaftliche Sicherstellung der Kriegsbeschädigten und
deren reichsgesetzliche Regelung. Hierzu gehörte für „die aus
dem Heeresverband entlassenen Soldaten“ auch der „Anspruch
auf freie ärztliche Versorgung durch die allgemeine Orts- und
Landeskrankenkasse ihres Wohnortes“ und für die ohne Versorgungsansprüche „wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen
Entlassenen“ eine Versorgung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über deren Rentenansprüche. Verbunden waren die Forderungen Rudolf Wissels mit der unmissverständlichen Drohung
an die politische Rechte, die meinungsbildende Macht der Betroffenen nicht zu unterschätzen:
„Noch sind es die Forderungen derer, die im Sturm und Feuer gestanden haben, unbeschadet ihrer sonstigen politischen Parteistellung.
Und die Zahl dieser geht in die Millionen. Sie bilden schon ihrer Zahl
wegen eine Macht und wenn diese sich geltend macht, hat sie auch
die öffentliche Meinung für sich. Die wird eine unbefriedigende Lösung der hier in Betracht kommenden Fragen nicht ruhig hinnehmen“. [10]
Das im März 1918 ausformulierte Programm des Reichsbundes
entsprach damit auch weitestgehend den politischen Zielsetzungen, wie sie Erich Kuttner bereits Anfang 1918 in seiner politischen Analyse des Problems „Die Kriegsbeschädigten und der
Staat“ formuliert hatte. Aus der Kriegsbeschädigung erwachse
W. U. Eckart: „Krüppeltum“ und „Eiserner Wille“ - Invalidität und Politik im Großen Krieg, 1914 -18
dem Staate eine besondere Verpflichtung gegenüber dem Verwundeten und insbesondere dem dauerhaft unter Verwundung
leidenden Kriegsbeschädigten. „Der bettelnde und drehorgelspielende Kriegsbeschädigte“, nach 1870/71 durchaus keine
Seltenheit im Straßenbild, so Kuttners Schlussappell, sei „ein
Schandfleck auf dem Ehrenschild der Nation“. Eine ebensolche
Schande sei aber auch der arme in seiner Erwerbstätigkeit eingeschränkte „Kriegsbeschädigte, der bei der Wahl in der letzten
Wählerklasse weit hinter dem Kriegsgewinnler und Kriegswucherer“ antrete. „Wem die Ehre des deutschen Volkes am Herzen“ liege, der „sorge mit dafür, daß den Kriegsbeschädigten ihr
volles Recht im Staate zuteil“ werde [11].
Zu machtvollen Großdemonstrationen des Reichsbundes, wie
sie sich in das Bild der demonstrierenden Reichshauptstadt besonders im letzten Kriegsjahr gut gefügt hätten, kam es indessen
vor der Revolution nicht mehr. Eine solche Demonstration fand
erst am 22. Dezember 1918 in Berlin statt, als sich nach einer
Kundgebung des Reichsbundes im Zirkus Busch ein eher bizarr
als machtvoll wirkender Demonstrationszug zehntausender
Kriegsbeschädigter auf den Straßen Berlins in Richtung Kriegsministerium formierte. Erich Maria Remarque hat diesen einen
oder einen ähnlichen Demonstrationszug in seinem Roman
„Der Weg zurück“ 1931 festgehalten wie einen gespenstischen
Totentanz, gegliedert allerdings nicht nach Standeszugehörigkeit, sondern nach der Art der Kriegsbeschädigung:
„Langsam kommt ein Zug Menschen heran in den verblichenen Uniformen der Front. Er ist gruppenweise formiert, immer zu vieren nebeneinander. Große weiße Schilder werden vorangetragen: „Wo
bleibt der Dank des Vaterlandes?“ – „Die Kriegskrüppel hungern.“
Es sind Einarmige, die diese Schilder tragen. Sie schauen oft um, ob
der Zug auch richtig hinter ihnen her kommt. Denn sie sind die
schnellsten. Ihnen folgen Leute mit Schäferhunden an kurzen Lederriemen. Die Tiere tragen das rote Blindenkreuz auf dem Geschirr. […
]. Hinter den Blinden kommen die Einäugigen, die zerfetzten Gesichter der Kopfverletzten […]. Ihnen folgen die langen Reihen der Beinamputierten […]. Dann kommen die Schüttler. Ihre Hände, ihre Köpfe, ihre Anzüge, ihre Körper beben, als zitterten sie immer noch vor
Grauen. […] Zwischen ihnen ziehen einige einen flachen Handwagen
[…]. Darauf sitzt ein Rumpf. Die Beine fehlen vollständig. Es ist der
Oberkörper eines kräftigen Mannes, sonst nichts. […] Der Zug zieht
langsam durch die Straßen. Wo er vorbeikommt, wird es still“ [12].
Tatsächlich sollte dem sozialdemokratisch geprägten Reichsbund die größte politische Nachhaltigkeit beschieden sein, während den kleineren, aber radikaleren Gründungen aus dem rechten wie aus dem linken politischen Spektrum weder größere Bedeutung noch politische Langlebigkeit zukam.
Fazit
Angesichts der gewaltigen Problematik, mit der die Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenversorgung durch die unerwartet große Zahl der Invaliden, Witwen und Waisen bereits
1915/16 konfrontiert wurde, erwies sich die Gesetzeslage der
Vorkriegszeit bald als ungenügend. Eine geordnete staatliche
Fürsorge für den Kriegsfall mit dem Ziel einer beruflichen Wiedereingliederung der Kriegsinvaliden existierte im Grunde
nicht. Stattdessen verwirrte die Vielfalt privater und kommunaler Hilfsangebote mit geringer Effektivität und oft umstrittener
Seriosität. Eine differenziertere gesetzliche Regelung der
Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge entwi-
261
ckelte sich erst in den Jahren der Weimarer Republik. So differenziert allerdings, wie sie sich darstellte, so problematisch waren ihre Regelungen im Einzelnen. Die Jagd nach „Rentenneurotikern“ und „Rentenbetrügern“ vor allem aus den Reihen der
„Kriegszitterer“ und anderer Kriegsneurotiker, die das sozialpolitische Klima der Zwischenkriegszeit verbitterte, war allgegenwärtig.
Literatur
1. Vgl. hierzu Eckart WU: Medizin und Krieg: Deutschland, 19141924. Paderborn: Schöning, 2014; bes. 301-318. Osten P: Die Modellanstalt – Über den Aufbau einer »modernen Krüppelfürsorge«
1905-1933. Frankfurt/Main: Mabuse-Verlag 2012; 320-321. Whalen RW: Bitter Wounds. German Victims of the Great War, 19141939. Ithaca/London: Cornell University Press 1984.
2. Kuttner E: Vergessen! Die Kriegszermalmten in Berliner Lazaretten. In: Vorwärts, 8.9.1920; hier zit. aus Ulrich B: ›... als wenn
nichts geschehen wäre‹. Anmerkungen zur Behandlung der Kriegsopfer während des Ersten Weltkriegs. In: Hirschfeld G und Krumeich G (Hrsg.): Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch ... Erlebnis
und Wirkung des Ersten Weltkriegs. Essen: Klartext-Verlag 1993
(= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, NF 1); 115-129, hier
117.
3. Vgl. zu Hindenburg Pyta W: Hindenburg – Herrschaft zwischen
Hohenzollern und Hitler. München: Siedler 2007; zum berüchtigten
Zitat Hindenburgs: vgl. Böttcher K, Berger KH, Krolop K und Zimmermann C (Hrsg.): Geflügelte Worte. Leipzig: Bibliographisches
Institut 1981; 601.
4. Vgl. Eckart WU: Invalidität. In: Hirschfeld G, Krumeich G, Renz I
(Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. 2. Aufl. Paderborn: Schöningh 2004; 584-586.
5. Biesalski K (Hg.): Kriegskrüppelfürsorge – Ein Aufklärungswort
zum Troste und zur Mahnung im Auftrage der Deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge und der Deutschen orthopädischen Gesellschaft. Leipzig – Hamburg: Verlag Leopold Voss 1915; 4; hier
zit. Thomann K-D: Die medizinische und soziale Fürsorge für die
Kriegsversehrten in der ersten Phase des Krieges 1914/15. In: Eckart WU, Gradmann C (Hrsg.): Die Medizin und der Erste Weltkrieg.
2. Aufl. Herbolzheim: Centaurus-Verlag 2003; 183-196, hier 190.
6. Eckart: Medizin und Krieg (2014); 306.
7. Adorf H: An meine kriegsbeschädigten Kameraden! In: Der Kriegsbeschädigte 1917; 3 (1), 5. Mai 1917; 2-5, 4.
8. Eckart: Medizin und Krieg (2014); 312.
9. Ebenda; 312-314.
10. Wissel R: Die Forderungen der Kriegsteilnehmer und der Kriegsbeschädigten. Berlin 1918 (= Schriften des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten und ehemaligen Kriegsteilnehmer, Nr. 9); 5.
11. Kuttner E: Die Kriegsbeschädigten und der Staat. Berlin: Verl. f. Sozialwiss. 1918; 16.
12. Remarque EM: Der Weg zurück [1931]. Frankfurt/Berlin/Wien
1984; 147-149; vgl. auch Whalen: Bitter Wounds (1984); 125.
Bildquellen: Abb. 1 - 5: Bildarchiv Eckart
Verfasseranschrift
Prof. Dr. med. Wolfgang U. Eckart
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 327
69120 Heidelberg
Email: direktor@histmed.uni-heidelberg.de
Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
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Aus dem Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart (Leiter: Prof. Dr. Robert Jütte)
Gesundheitsrisiken des zivilen Etappenpflegepersonals in den
Kriegslazaretten des Ersten Weltkriegs
Health Risks of the Civil Nursing Staff in Military Hospitals behind both the
Eastern and Western Frontline of the German Empire
Astrid Stölzle
Zusammenfassung
Während bislang die Erkrankungen und Verwundungen der
Soldaten Gegenstand von medizinhistorischen Untersuchungen waren, wurden die Gesundheitsrisiken des sie betreuenden Pflegepersonals im deutschsprachigen Raum noch nicht
in den Blick genommen. Anhand qualitativer Auswertungen
von Ego-Dokumenten der Schwestern und Pfleger soll deshalb dargestellt werden, an welchen Krankheiten sie in den
Etappen litten, was die Ursachen dieser Erkrankungen waren
und welche Behandlungsmöglichkeiten es gab bzw. welche
ihnen angeboten wurden. Aufgrund der Tatsache, dass gerade
die Schwestern im Todesfall in der Öffentlichkeit zur „Heldin“ stilisiert wurden, sollen die vorliegenden Ergebnisse die
Frage beantworten, in welcher Rolle sie sich selbst sahen und
ob die eigenen Erkrankungen ihre Wahrnehmung des Kriegsgeschehens beeinflussten.
Schlagworte: Erster Weltkrieg, freiwillige Krankenpflege,
Pflegepersonal, Lazarette, Etappe
Summary
Diseases and injuries suffered by soldiers have been subject
of medical-historical studies in the past whereas health risks
of nursing personnel taking care of these soldiers have not
been evaluated in the German speaking area until now.
Based on qualitative analyses of ego-documents (self-statement) of nurses and attendants (letters, diaries, reports written at a later date) the types of illness they suffered, the causes of these diseases and the kind of treatment available
and/or offered to them will be presented.
In light of the fact that especially female nurses in the case of
death were being elevated to “heroines” in the public opinion, the results presented should answer the question in which
role they saw themselves and how their own diseases influenced their perception of the war.
Keywords: World War One, voluntary medical care, nursing
staff, military hospitals, beyond the frontline
Einführung
In den Etappen des Ersten Weltkriegs befanden sich schätzungsweise 73 000 Zivilisten im Rahmen der sogenannten freiwilligen Krankenpflege. Darunter waren etwa 47 000 Männer und
25 000 Frauen, die den militärischen Sanitätsdienst ergänzten.
Sie arbeiteten in den Kriegs- und Feldlazaretten, in den Ortskrankenstuben, in den Sammelstellen und in den Lazarettzügen.
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
Laut dem nach dem Krieg angefertigten „Sanitätsbericht über
das Deutsche Heer“ starben „in treuer Pflichterfüllung“ insgesamt 863 Angehörige der freiwilligen Krankenpflege, 243 davon waren Schwestern [1]. Diese Zahl wird allerdings von den
wenigen überlieferten Angaben in den Akten übertroffen. Nach
einer Zählung der katholischen Orden und Kongregationen erkrankten 1 000 Ordensschwestern von insgesamt ca. 18 000, die
in der Kriegskrankenpflege tätig waren, davon starben 255. Die
Ursachen sind nicht angegeben. Von 3 000 Etappenschwestern
aus diakonischen Einrichtungen starben 68 an Seuchenkrankheiten wie Typhus, Ruhr, Cholera, Fleckfieber, Tuberkulose
oder an Herzschlag, Kohlengasvergiftung und „Überarbeitung“.
Eine Schwester kam bei einem Bombenangriff ums Leben [2].
Auch über eine kleine Pflegegruppe aus dem Jesuitenorden liegen Zahlen vor. Von 101 Fratres, die in der Pflege eingesetzt
waren, erkrankten an der West- und Ostfront im Dienst 52 Pfleger 61 Mal ernsthaft, davon alleine 45 Pfleger an Seuchen, darunter Cholera, Typhus, Ruhr, Malaria und Fünf-Tage-Fieber.
Außerdem litten viele an Scharlach, Wundrose, Diphtherie,
Streptokokken-Sepsis, Gelenkrheumatismus, Asthma, nervösen
Leiden, Tuberkulose, Stirnhöhlenvereiterung, Rippenfell-, Lungen- und Nierenentzündung. Komplikationen wurden mehrfach
erwähnt, gestorben waren zwei Pfleger, einer an Wundrose, ein
zweiter an den Folgen der Überarbeitung.
Methode
Die Auswertung basiert in der Hauptsache auf Ego-Dokumenten (Briefe, Tagebücher, zu einem späteren Zeitpunkt verfasste
Berichte) der Pflegenden, so dass die Ergebnisse aus ihrer Sicht
dargestellt werden können. Anhand einer qualitativen Analyse
wurden Art der Erkrankung und der individuelle Umgang damit
eruiert. Insgesamt sind es 2 000 Briefe, sieben Tagebücher und
90 zu einem späteren Zeitpunkt verfasste Erinnerungen, die in
meiner Dissertation zur Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg herangezogen worden sind und hier mit einfließen [3]. Da
die Anzahl der Quellen nicht repräsentativ ist, kann die Auswertung nur zeigen, an welchen Krankheiten das Pflegepersonal litt
und nicht deren Letalität bzw. Morbidität im Ganzen.
Ergebnisse
Krankheiten, ihre Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten
Nach den Berichten des Pflegepersonals in Briefen und Tagebüchern erkrankte jede bzw. jeder von ihnen im Laufe des Einsatzes in den Etappen mindestens ein Mal. Am häufigsten erwähnt
wurden Erkältungen, Magenbeschwerden mit Erbrechen und
Durchfall, gefolgt von Fieber mit unbekannter Ursache, Zahn-,
A. Stölzle: Gesundheitsrisiken des zivilen Etappenpflegepersonals in den Kriegslazaretten des Ersten Weltkriegs
Hals-, Kopf- und Gliederschmerzen, Husten, Mittelohr-, Stirnhöhlen- und Kieferhöhlenentzündungen, denen häufig Mattigkeit, Kopf- und Gliederschmerzen vorausgingen, allgemeine
Müdigkeit sowie Unverträglichkeiten gegen die Impfungen, das
Klima oder das ungewohnte Essen. Als harmlos galten Erkältungen und kurzzeitiger Durchfall, worunter vermutlich jeder
im Laufe seines Etappeneinsatzes mehrmals litt.
Bei Magenproblemen mit Erbrechen und Durchfall dachten die
Schwestern und Pfleger an das ungewohnte Essen oder an verseuchtes Wasser. Selbst wenn die Durchfälle zwölf Tage und
länger andauerten, hatten sie nicht immer eine Seuchenkrankheit in Verdacht.
Traten Durchfall, Erbrechen und Kopfschmerzen nach einer Typhusimpfung auf, wurde von den Ärzten ein leichter Typhus als
Impfreaktion festgestellt. Davon erholten sich die Pflegenden in
der Regel nach einigen Tagen wieder. Da Seuchenkrankheiten
meldepflichtig waren, mussten die Schwestern und Pfleger bei
entsprechenden Symptomen, wie starken Kopf- und Gliederschmerzen, Fieber und Durchfall, den Lazarettarzt aufsuchen.
Wenn dieser eine bakterielle Seuchenkrankheit vermutete, wurden in der Regel Blut- und Stuhlproben entnommen. Erhärtete
oder bestätigte sich der Verdacht, mussten die Schwestern und
Pfleger in einem Seuchenlazarett (siehe Abb. 1) oder in ihrem
Lazarett in einem Krankenzimmer isoliert werden. Als Grund
für schwere Erkrankungen des Personals wurde daneben die
Tatsache anerkannt, dass es müde und abgearbeitet war und
durch mangelndes oder mangelhaftes Essen kaum Abwehrstoffe
263
hatte. Denn auch Schwestern oder Pfleger, die nicht mit Seuchenkranken in Berührung gekommen waren, erkrankten an
diesen Infektionskrankheiten, manche sogar an zweien gleichzeitig. Für schwere und tödlich verlaufende Krankheiten machten sie die Anstrengungen in den Etappen, die mit Friedenszeiten nicht zu vergleichen seien, verantwortlich.
Sehr schwere Symptome zeigte 1918 die Influenzaepidemie
[4, 5]. Die Schwestern beschrieben einen plötzlich auftretenden
heftigen Kopfschmerz mit starkem Husten und Gliederschmerzen. Der Verlauf war unterschiedlich. Während einige schon
nach zwei bis drei Tagen wiederhergestellt waren, dauerte dies
bei anderen Wochen und verlief teilweise auch tödlich [6].
Manchmal traten Kopfschmerzen ohne weitere Symptomatik
auf, was durch die schwere Arbeit und die Überanstrengung bedingt sein konnte. In einem Fall schickte der Oberstabsarzt eine
Diakonisse wegen starker Kopfschmerzen in die nächste Zahnstation, zu der sie, in ihrem Zustand, einige Kilometer zu laufen
hatte. Der dortige Zahnarzt zog der Schwester ein paar Zähne,
und der Kopfschmerz war augenblicklich weg.
Bei Fieber wurden unterschiedliche Maßnahmen ergriffen. Eine
Diakonisse wurde nach anhaltendem Fieber geröntgt, wobei die
Aufnahme Drüsenfieber erkennen ließ. Der Arzt verordnete daraufhin drei Mal täglich Medikamente und strenge Bettruhe. Bei
einer anderen Schwester wurde nach mehrfach auftretendem
Fieber Rückfallfieber diagnostiziert. Traten die Fieberschübe in
den östlichen Gebieten auf, stellten die Ärzte in der Regel eine
Malaria fest. Bei einem Malariaanfall erhielten die Schwestern
Abb. 1: Foto von Krankenbaracken im Seuchenlazarett in Inor mit handschriftlichem Eintrag einer Diakonisse: „Das sind die Baracken wo unsere
Schwestern sind“
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
264
A. Stölzle: Gesundheitsrisiken des zivilen Etappenpflegepersonals in den Kriegslazaretten des Ersten Weltkriegs
Chininspritzen, die sofort das Krankheitsgefühl nahmen, oder
auch Chinintabletten und Arsen. In tropischen Einsatzgebieten
stellte sich neben Malaria auch das Sandfliegen- oder Maltafieber ein.
Bei Fieber in Kombination mit starken Halsschmerzen wurde
eine gefährliche Diphtherie vermutet und ein Mandelabstrich
für das Labor gemacht. Wenn die Halsentzündung keinen auffälligen Verlauf nahm, blieben die Schwestern einige Tage im
Bett, wurden deshalb jedoch nicht isoliert.
Als äußerst schmerzhaft und langwierig galten alle Entzündungen im Kopfbereich. Eine Kiefer-, Mittelohr- oder Stirnhöhlenentzündung zog sich von einigen Wochen bis zu sechs Monaten
hin. Bei einer Mittelohrvereiterung machte der Arzt einen Einschnitt in das Trommelfell, damit der Eiter ablaufen konnte und
betäubte den Schmerz mit einem Lokalanästhetikum. Außerdem
verordnete er Bettruhe mit eventuell anschließendem Aufenthalt
in einem Erholungsheim.
Lebensgefährlich waren Lungen- und Rippenfellentzündungen.
Auch hier wurde punktiert, damit die Flüssigkeit abfließen
konnte. Der Patient oder die Patientin musste strenge Bettruhe
einhalten, bekam eine kräftigende Kost und eine Pflegerin, die
rund um die Uhr nur für die erkrankte Person da sein sollte.
Schwerwiegend waren auch seelische Krankheiten, die nach
Angaben der Ärzte häufig mit Überarbeitung einhergingen. Ein
Frater starb laut ärztlicher Diagnose an „nervöser Übermüdung“, nachdem er nicht mehr die Kraft gehabt hatte, eine an
sich harmlose Krankheit zu überstehen. Ärztlich attestiert wur-
Abb. 2: Montmedy Theaterlazarett 1916
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
den Erschöpfungszustände durch Überarbeitung und „Nervenschwäche“ sowie „nervöse Überreizung“. Hier hielt ein Arzt
gleich vier Wochen Urlaub, statt der üblichen zwei, für notwendig. Wegen der Diagnose „Überanstrengung“ durch die Arbeit
wurden einige Schwestern aus der Etappe zurückgezogen. Viele
Schwestern und Pfleger fühlten sich schwach, konnten dennoch
nicht schlafen und wurden in der Folge nervös und weinten viel.
Schließlich traten Kopfschmerzen und „Gemütsdepressionen“
hinzu. Üblicherweise wurde eine „Depression“ als „Melancholie“ bezeichnet. Einer suizidgefährdeten Schwester wurde die
Hinzuziehung eines Psychiaters empfohlen.
Der Grund für die häufige Niedergeschlagenheit lag nach Meinung des Pflegepersonals darin, dass sie eine enorme Energie
aufbringen mussten, ohne etwas zu erreichen. Sie arbeiteten Tag
und Nacht, ohne dass sie das Leid ihrer Kranken und Verwundeten lindern konnten. Daneben zehrten militärische Befehle, von
denen der eine den anderen wieder aufhob, an ihren Nerven [7].
Um den Heilungsprozess zu beschleunigen, verordneten die
Ärzte für erkranktes Pflegepersonal Bettruhe. In den Lazaretten
gab es Stationen ausschließlich für das Pflegepersonal [7]. Für
sie wurde auch eine eigene Schwester abgestellt, in seltenen
Fällen auch Sanitäter. Manchmal wurde es notwendig, dass
Schwerkranke eine beschwerliche Reise auf sich nahmen, die
bereits für Gesunde eine Zumutung war. Einige der Kranken bekamen während der Reise Opium, damit sie durchhielten. In besonderen Fällen, wie beispielsweise bei Seuchenkrankheiten,
wurden sie in Seuchenlazarette überwiesen oder, bei anderen
A. Stölzle: Gesundheitsrisiken des zivilen Etappenpflegepersonals in den Kriegslazaretten des Ersten Weltkriegs
Krankheiten, in Lazarette, in denen sich Spezialisten, wie zum
Beispiel Hals- und Ohrenärzte, Zahnärzte oder Augenärzte, befanden (Beispiel siehe Abb. 2).
Nach einer zuweilen wochenlangen Bettruhe wurde ihnen eine
langsame Mobilisation verordnet. Erst durften sie täglich für
eine Stunde aufstehen und sich in einen Sessel setzen, dann sollten sie ihre Kraft langsam in sich steigernden Spaziergängen
aufbauen.
Wenn die Betreffenden soweit erholt waren, kamen sie, je nach
Schwere der Krankheit, entweder in die Heimat, um ihren Erholungsurlaub zu nehmen, oder in die Schwesternerholungsheime
in den Etappen bzw. in der Heimat. Sie kehrten erst dann wieder
in ein Kriegslazarett zurück, wenn ein Militärarzt in der Heimat
sie für „etappentauglich“ erklärte.
Prophylaxe
Wichtigster Bestandteil der Prophylaxe war die Einhaltung der
Hygienemaßnahmen. Das war jedoch nicht immer möglich.
Manchmal fehlte es an Desinfektionsmitteln oder auch an Kohle, mit der das Wasser für die Waschmaschinen erwärmt wurde,
so dass die Wäsche in kaltem Wasser, häufig sogar im Fluss, gewaschen werden musste. Infizierte Gegenstände, Wäsche, Wunden und Ausscheidungen wurden mit bloßen Händen angefasst
und die Bakterien damit von einem zum anderen verteilt. Zwar
war das Pflegepersonal angewiesen, seine Hände in Sublimatlösung zu waschen, doch war auch diese nicht immer vorhanden.
Die Verwendung von Schutzhandschuhen wird als Ausnahme
berichtet. Sie galten als zu sperrig, um damit arbeiten zu können. Auch bei Operationen wurden deshalb meist keine Handschuhe getragen.
Eine Methode, die Seuchenkrankheiten gering zu halten bzw.
deren Verlauf zu begrenzen, waren die vorgeschriebenen Impfungen. Gegen Flecktyphus wurde das Pflegepersonal (wie die
Soldaten) versuchsweise bereits im Jahr 1916 geimpft, zumindest in der türkischen Etappe, wie eine Rot-Kreuz-Schwester
berichtete. Diese Impfung brachte jedoch ihrer Beobachtung
nach keinen Nutzen, was von ärztlicher Seite bestätigt wurde
[8]. Nach vorgegebenen Impfplänen wurde das gesamte Pflegepersonal regelmäßig gegen Typhus, Cholera und Pocken
geimpft. Der Cholera- und Typhusimpfstoff wurde mit je drei
Injektionen innerhalb von acht bis zwölf Tagen kurz vor der Abreise in die Etappe injiziert. Eine Wiederholung fand nach sechs
bzw. acht Monaten statt. Da im Laufe des Krieges das Pflegepersonal sehr schnell zu seinen Einsätzen gerufen wurde, ordnete das Kriegsministerium ein „verkürztes Impfverfahren“ an,
wonach die erste Impfreihe an drei aufeinanderfolgenden Tagen
stattfand, die zweite Choleraimpfung am fünften Tag und die
weiteren Injektionen in der Etappe verabreicht wurden.
Da die Pflegenden wie Militärangehörige im Feld behandelt
wurden, konnten sie bei Krankheiten mit gesundheitlichen Spätfolgen eine Invaliditätsrente beantragen. Dazu wurden sie zu
Beginn ihrer Reise in die Etappe und nach ihrer endgültigen
Rückkehr vom Garnisonsarzt untersucht. Inwieweit Spätfolgen
anerkannt wurden, bleibt offen, da kaum Anträge erhalten geblieben sind.
Schlussfolgerung
Erkrankungen des Pflegepersonals waren im Krieg an der Tagesordnung. In den veröffentlichten Briefen der Schwestern und
Pfleger, so zum Beispiel in der Zeitschrift „Das Rote Kreuz“, ka-
265
men diese jedoch nicht zur Sprache; es wurde lediglich der durch
eine Erkrankung bzw. kriegsbedingte Verletzung hervorgerufene
Tod herausgehoben. In den Etappen wurden insbesondere gestorbene Schwestern in allen Ehren mit militärischer Begleitung
zu Grabe getragen. Zwar galten auch die gestorbenen männlichen Pfleger als „auf dem Felde der Ehre gefallen“, sie wurden
jedoch, im Gegensatz zu den Schwestern, nicht als „Helden“ mit
den Frontsoldaten gleichgesetzt. Die im Nationalsozialismus erschienene Erlebnisliteratur stilisierte die Schwester im Vorfeld
des Zweiten Weltkrieges sogar zur „Frontschwester“ [9]. Tatsächlich verglichen sich weder die Schwestern und noch weniger
die männlichen Pfleger mit dem Schicksal der Frontsoldaten.
Ihnen wurde zugestanden, das größte Opfer im Krieg zu tragen.
Das eigene Leid rangierte zwar hinter dem der Soldaten, doch
beeinflussten die eigenen Krankheiten, zusammen mit anderen
Faktoren wie schmutziger Unterkunft, extremen Temperaturen
und Streitigkeiten untereinander ihr Kriegsempfinden. Heimweh
und Kriegsmüdigkeit konnten schon im ersten Jahr bzw. in den
ersten Wochen ihres Aufenthaltes in den Etappen auftreten.
Trotzdem wurde der Krieg als notwendig anerkannt, da sich die
Schwestern und Pfleger in einem Verteidigungskrieg glaubten.
Literatur
1. Sanitätsbericht über das Deutsche Heer (Deutsches Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918. Bearbeitet in der Heeres-Sanitätsinspektion des Reichskriegsministeriums. Die Krankenbewegung bei dem Deutschen Feld- und Besatzungsheer. Bd. III. Berlin:
Mittler 1934; 332.
2. Borrmann A: Die Diakonissen des Kaiserswerther Verbandes im
Weltkriege. Gütersloh: Bertelsmann 1936; 408ff.
3. Stölzle A: Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg. Das Pflegepersonal der freiwilligen Krankenpflege in den Etappen des Deutschen Kaiserreichs. Stuttgart: Steiner 2013 (= Medizin, Gesellschaft
und Geschichte, Beiheft 49).
4. Vasold M: Die Spanische Grippe. Die Seuche und der Erste Weltkrieg. Darmstadt: Primus 2009.
5. Witte W: Erklärungsnotstand. Die Grippe-Epidemie 1918-1920 in
Deutschland unter besonderer Berücksichtigung Badens. Herboldzheim: Centaurus 2006.
6. Müller J: Die Spanische Influenza 1918/19. Der Einfluß des Ersten
Weltkrieges auf Ausbreitung, Krankheitsverlauf und Perzeption einer Pandemie. In: Eckart W, Gradmann C: Die Medizin und der Erste Weltkrieg. 2. Auflage. Herbolzheim: Centaurus 2003; 321-342.
7. McEwen Y: “It´s a Long Way to Tipperary“. British and Irish
Nurses in the Great War. Dumfermline: Cualann 2006; 99.
8. Becker, H: Äskulap zwischen Reichsadler und Halbmond. Sanitätswesen und Seuchenbekämpfung im türkischen Reich während des
Ersten Weltkrieges. Herzogenrath: Murke-Altrogge 1990; 280.
9. Panke-Kochinke B, Schaidhammer-Placke M: Frontschwestern und
Friedensengel. Kriegskrankenpflege im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Ein Quellen- und Fotoband. Frankfurt a. M.: Mabuse 2002;
28-32.
Bildquellen: Abb. 1 und 2: Archiv des ev. Diakoniewerks Schwäbisch
Hall
Verfasseranschrift
Dr. phil. Astrid Stölzle
Pfälzer-Wald-Str. 53, 67551 Worms
E-Mail: astridstoelzle@myquix.de
Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
266
A USSTELLUNGEN
Wahnsinn Krieg – Das Militärhistorische
Museum der Bundeswehr (MHM) in Dresden
erinnert mit zwei ganz unterschiedlichen
Ausstellungen an den Ersten Weltkrieg
Abb. 2: Karl Genzel, Militarismus,
um 1914/15
© Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg,
Inv.Nr. 132
Abb. 1: Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (MHM) in
Dresden
© MHM / Ingrid Meier
Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr (MHM) hat
nach einer mehrjährigen Phase der inhaltlichen Neukonzeption
und des Umbaus durch den US-amerikanischen Architekten
Daniel Libeskind 2011 seine Wiedereröffnung gefeiert. Der
rund 30 Meter hohe „Libeskind-Keil“, der sich durch das historische Arsenalgebäude schiebt, symbolisiert, wofür auch die inhaltliche Ausrichtung des MHM steht: Multiperspektivität, Brechung gewohnter Wahrnehmungsmuster, das Öffnen von Denkräumen. Das MHM erzählt eine Kulturgeschichte der Gewalt,
die Soldaten und Zivilisten gleichermaßen angeht.
Die 100jährige Wiederkehr des Kriegsbeginns 1914 ist Anlass
für zwei Sonderausstellungen, die diesem Ansatz verpflichtet
sind: „Krieg und Wahnsinn“ zeigt Kunst und Selbstzeugnisse
aus der zivilen Psychiatrie 1880 - 1925 und wagt so einen teils
faszinierenden, teils verstörenden Blick von den Rändern der
Gesellschaft auf das militärisch geprägte deutsche Kaiserreich
und den Ersten Weltkrieg. „14 – Menschen – Krieg“ bietet einen weiten historischen Überblick, der Einzelschicksale und
Strukturgeschichte verbindet.
Krieg und Wahnsinn. Kunst aus der zivilen Psychiatrie zu
Militär und I. Weltkrieg. Werke der Sammlung Prinzhorn,
6. Juni – 7. September 2014
1907 wurde der ehemalige Kutscher Karl Ahrendt (1853 - 1941)
in einem Generalsmantel auf dem Berliner Alexanderplatz aufgegriffen und in eine psychiatrische Anstalt gebracht – für den
Rest seines Lebens. Die Diagnose lautete damals „Dementia paranoides“, später Schizophrenie. Auch in der Anstalt hielt er an
seiner angenommenen Identität als Fürst und militärischer Führer fest und zeigte laut Krankenakte stets eine würdevolle und
disziplinierte Haltung. Immer wieder schuf er ornamentale
Zeichnungen mit militärischen Versatzstücken, signierte als
„Fürst F.C.W. v. A.H. Ahrendtberg“, präsentierte sich in seinen
Texten als guter Bekannter von General Wrangel.
Der elektrotechnisch versierte August Natterer (1868 - 1933)
glaubte, der Erste Weltkrieg sei nicht zuletzt zu seiner Befreiung
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
aus der Anstalt begonnen worden und entwarf fantasievolle
Waffen, die Frankreich den Sieg bringen sollten. Der mit „Dementia praecox“ diagnostizierte Maurer Karl Genzel (1871 1925) schuf in seiner langen Anstaltskarriere beeindruckende,
grotesk wirkende Holzskulpturen, die um das Thema Militarismus kreisen.
Zwischen 1919 und 1921 baute der Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn (1886 - 1933) an der Heidelberger Psychiatrischen Klinik eine einzigartige, später weiter ergänzte
Sammlung von fast 6 000 Werken aus psychiatrischen Anstalten
vor allem des deutschsprachigen Raums auf. Im Rahmen des
von der VW-Stiftung geförderten Forschungsprojekts „Uniform
und Eigensinn. Militarismus, Krieg und Kunst in der Psychiatrie“ hat ein interdisziplinäres Team des Museums Sammlung
Prinzhorn in Heidelberg die Bestände neu gesichtet und von den
über 500 Arbeiten, die sich mit Militär und Erstem Weltkrieg
beschäftigen, rund 120 Werke für die Ausstellung „Krieg und
Wahnsinn“ ausgewählt.
Die Arbeiten von 60 Anstaltsinsassen lassen nicht nur die Faszination von Uniformen, Orden und Militärtechnik fassbar
werden, es finden sich auch Karikaturen, allegorische Darstellungen von Krieg und Frieden, drastische Kampfszenen und
Bilder existenziellen Ausgeliefertseins.
Während des Ersten Weltkriegs wurden die Lebensverhältnisse
in den psychiatrischen Anstalten immer schlechter. Zehntausen-
Abb. 3: Adolf Nesper, „Es braust ein Ruf wie Donnerhall“, 1905/14
© Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg, Inv.Nr.
628
Ausstellungen
de von Anstaltsinsassen starben als schwächste Glieder der sozialen Kette an Unterernährung und Folgeerkrankungen. Patienten, die unterernährt und krank waren, haben kaum mehr gezeichnet, und doch gibt es einige wenige Arbeiten, in denen
der Hungerwinter 1916/17 und die Not der folgenden Jahre
durchscheinen.
Die teils konventionellen, teils eigenwilligen und originellen
künstlerischen Werke aus der Sammlung Prinzhorn spiegeln
Stimmungen und Themen der gesamten Gesellschaft wider,
mehr noch – manche spitzen sie zu und „verzerren sie zur
Kenntlichkeit“ (Thomas Röske, Leiter der Sammlung Prinzhorn). Letztlich liegt es im Auge des Betrachters, wo sich im
Spiegel der Bilder der ganz normale kriegerische Wahnsinn des
wilhelminischen Zeitalters zeigt, wo sich individuelle, eigensinnige Vorstellungswelten öffnen, und wo einfach wunderschöne,
verblüffende oder verstörende Kunstwerke zu entdecken sind.
Die Ausstellung „Krieg und Wahnsinn“ erinnert auf ungewöhnliche Weise an den Ersten Weltkrieg. Sie ist aber auch Anlass,
sich 2014 mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs auseinanderzusetzen, der sich im September zum 75. Mal jährt, und mit der
fast zeitgleich einsetzenden systematischen Ermordung von Anstaltsinsassen im nationalsozialistischen Deutschland. Sieben
der hier ausgestellten Künstler, unter ihnen Karl Ahrendt, wurden in der NS-Zeit umgebracht.
Die Ausstellung wird in etwas veränderter Form unter dem Titel
„Uniform und Eigensinn. Militarismus, Weltkrieg und Kunst in
der Psychiatrie“ vom 2. Oktober 2014 bis 2. Februar 2015 auch
im Museum Sammlung Prinzhorn, Heidelberg, gezeigt. Zur
Ausstellung erscheint der Katalog „Krieg und Wahnsinn“ im
Verlag Das Wunderhorn. Ein Essayband „Uniform und Eigensinn“ ist in Vorbereitung.
Katja Protte, M.A.
Kuratorin der Dresdner Ausstellungsstation von „Krieg und
Wahninn“ und Sachgebietsleiterin Kunst am
Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden
Email: KatjaProtte@Bundeswehr.org
14 – Menschen – Krieg – Die Ausstellung des Militärhistorischen Museums in Dresden zum Ersten Weltkrieg, 1. August
2014 – 24. Februar 2015
Die Gegensätze Dynamik und Statik kennzeichneten den Ersten
Weltkrieg. In den letzten Julitagen 1914 geriet das scheinbar
feste Gefüge der europäischen Ordnung in Bewegung. Ultimaten, Mobilmachungen und Kriegserklärungen leiteten den Über-
Abb. 4: Güterwagen G10,
Deutsches Reich, 1910–
1924
© MHM / David Brandt
267
Abb. 5: Mannschaftshelm, Modell 1895,
Deutsches Reich, um
1914
© Memorial Museum
Passchendaele 1917,
Zonnebeke, Belgien
gang in einen Krieg ein, der sich schnell ganz anders entwickelte, als er vorausgedacht und geplant war. Im Westen erstarrte
Ende 1914 die Front von der Nordsee bis zur Schweizer Grenze,
im Osten wurde der russische Einmarsch in Ostpreußen gestoppt und zurückgewiesen. Österreich-Ungarn scheiterte in den
ersten Kriegsmonaten sowohl mit seinem Vorstoß nach Serbien
als auch an der Ostfront in der Abwehr russischer Angriffe auf
Galizien.
Die Ausstellung des Militärhistorischen Museums, die in Kooperation mit der ARTE/ARD-Dokumentation „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ entsteht, konzentriert sich auf symbolträchtige Aspekte des Ersten Weltkriegs, auf die großen
Menschenverschiebungen, Truppentransporte, Gefangenenund Flüchtlingszüge und Deportationen, auf Veränderungen,
Verwerfungen, Brüche und Entwicklungen in den Biografien
der an der „Urkatastrophe“ beteiligten Menschen – darunter Berühmtheiten wie Ernst Jünger und Käthe Kollwitz und zahlreiche Unbekannte und Vergessene. Und sie beschreibt, welche
Auswirkungen die Versuche hatten, durch massierte Feuerkraft
die auf dem Hauptkriegsschauplatz an der Westfront festgefahrene Lage wieder in Bewegung zu bringen.
Ein Güterwagen G10, der von 1913 bis 2004 im Dienst deutscher Eisenbahnen stand, wird zum Symbol des ersten Ausstellungsteils, in dem der Bogen gespannt wird von der Vorkriegszeit über die ersten Kriegsmonate bis hin zur Etablierung der
„Heimatfront“. Der zweite Ausstellungsteil widmet sich dem
Inferno des Grabenkriegs. Im Mittelpunkt steht die Rekonstruktion eines deutschen Grabenabschnitts mit Unterstand vom südlichen Ende der Elsassfront. Originale Bauteile des am 18. März
1918 bei Carspach durch Artillerietreffer zerstörten deutschen
„Kilianstollens“ und eines baugleichen Unterstandes, der bei
Schweighouse-Thann gefunden wurde, vermitteln einen Eindruck von der klaustrophobischen Enge der für den Grabenkrieg
typischen Schutzbauten. Dank des elsässischen Amtes für Archäologie (PAIR) kann diese Installation zusammen mit der authentischen Ausstattung des Kilianstollens und der Bewaffnung,
der Ausrüstung und persönlichen Gegenständen der im Kilianstollen verschütteten 21 Soldaten des thüringischen Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 94 präsentiert werden.
Zur Ausstellung wird im Dresdner Sandstein-Verlag eine aus
Essay- und Katalogband bestehende Begleitpublikation erscheinen, in der Autoren aus mehreren Nationen und verschiedenen
Fachrichtungen vertreten sein werden.
Dr. Gerhard Bauer
Kurator der Ausstellung „14 – Menschen – Krieg“ und
Sachgebietsleiter Uniform am Militärhistorischen Museum der
Bundeswehr, Dresden
E-Mail: DrGehardBauer@Bundeswehr.org
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
268
A US
DEM
S ANITÄTSDIENST
Sehr geehrte Leserinnen,
sehr geehrte Leser,
anlässlich der Aufbereitung eines Themas mit historischem Hintergrund
mussten wir im Presse- und Informationszentrum des Sanitätsdienstes der
Bundeswehr feststellen, dass in unserer
Mediendatenbank nahezu keine Dokumente zur sanitätsdienstlichen Versorgung aus der Zeit von der Gründung der Bundeswehr bis etwa zum Jahre 1980 vorhanden sind. Dabei stehen
weniger die Einsätze des Sanitätsdienstes als die Zeitzeugnisse
aus dem “Grundbetrieb“ in unserem Fokus.
Aber wir sind uns sicher, dass auch aus dieser Zeit umfangreiches Bild- und Kartenmaterial sowie sonstige Dokumente in Ihrem Besitz existieren. Besonders interessieren uns dabei Aufnahmen, die neben dem jeweiligen dienstlichen Rahmenanlass
auch den Menschen, den Soldaten und die Soldatin, im „Bundeswehr-Alltag“ zeigen. Dieses können zum Beispiel Aufnahmen bei Übungen und Manövern, an einer Ausbildungsstation,
bei einem Appell oder an Bord von Schiffen und Flugzeugen
sein, oder es kann sich um Porträtaufnahmen handeln – selbstverständlich gerne auch mit und von Ihnen persönlich.
Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns für den Sanitätsdienst der Bundeswehr diese „Schätze“ zur Verfügung stellen–
im Original oder als Kopie; wir fertigen auch gerne eine Kopie
an und senden Ihnen das Original selbstverständlich wieder zurück. Ihre Dokumente würden wir natürlich nur so verwenden,
wie Sie es uns zugestehen, und eine Verwendung auch immer
gerne mit Ihrem Namen verbinden.
Unsere Idee ist es, mit Ihren Beiträgen ein „Medienarchiv des
Sanitätsdienstes“ aufzubauen, das zum einen als eine Sammlung elektronischer Medien und somit gleichzeitig der geschichtlichen Dokumentation dienen könnte, aus dem heraus
aber auch zivile und militärische Anfragen im Rahmen der Informationsarbeit der Bundeswehr unterstützt und beantwortet
werden könnten.
Sollten Sie an unserer Initiative interessiert sein, finden Sie
nachstehend einige wenige – aber notwendige – Informationen.
Und falls Sie noch Fragen oder Anregungen haben, rufen Sie
uns an oder schreiben Sie uns, Sie erreichen uns unter den folgenden Angaben. Wir freuen uns auf den Kontakt mit Ihnen.
Sie können und wollen uns helfen? Dann schon im Voraus vielen Dank für Ihre Unterstützung!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Sven Funke
Oberstarzt und Leiter
Presse- und Informationszentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr
Von-Kuhl-Straße 50, 56070 Koblenz
Tel.: 0261/896-41213
Fax: 0261/896-41299
E-Mail: pizsanitaetsdienst@bundeswehr.org
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
Wenn Sie für das Medienarchiv des Sanitätsdienstes Dokumente zur Verfügung stellen wollen, bitten wir Sie um die
Beachtung der nachfolgenden Hinweise:
Technische Anforderungen:
• Elektronische Dokumente sollten eine Qualität von mindestens 300 dpi / 1.024 Pixel aufweisen. Bis auf sogenannte Bitmaps (Dateiendung: „bmp“) können wir alle Formate verarbeiten.
• Die Größe von Originalfotografien (Papierbilder) sollte wegen
der Auflösung nicht unter 10 cm x 15 cm bzw. 13 cm x 18 cm
liegen.
• Zum Dokument sollten einige wenige Angaben gemacht werden:
– Wann und wo ist es entstanden?
– Wer hat es gemacht?
– Was oder wen zeigt es bzw. was stellt es dar?
Rechtliche Hinweise:
Damit wir Ihre Dokumente in das Medienarchiv aufnehmen und
anschließend auch nutzen können, müssen Sie gemäß den Vorgaben des Gesetzes zum Urheberrecht an Werken der bildenden
Künste und der Fotografie (KUG) in der Fassung vom 16. Februar 2001 (BGBl. I 2001, S. 266) Ihre Rechte an die Bundeswehr und Dritte abtreten.
Hierzu sind folgende schriftliche Angaben erforderlich – die mit
„*“ gekennzeichneten Informationen sind Pflichtangaben:
• Name*, Vorname*
• Ggf. Dienstgrad oder Amtsbezeichnung
• Ggf. Ihre Dienststelle
• Straße*, Hausnummer*
• Postleitzahl*, Wohnort*
• Telefon
• E-Mail
sowie die Erklärungen*
• Ihres Einverständnisses, dass das Dokument in der Mediendatenbank des Sanitätsdienstes der Bundeswehr zur weiteren
Verwendung durch die Bundeswehr und ggf. auch durch Dritte
gespeichert werden darf,
• zur Übertragung der Dokumentenrechte zur zeitlich, örtlich
und inhaltlich uneingeschränkten Nutzung sowie zur eventuellen Weitergabe der Medien an Dritte ausschließlich im Rahmen der Informationsarbeit, sofern die Zusammenarbeit mit
diesen im Interesse der Bundeswehr liegt (z.B. Druckereien),
• Ihres Verzichts auf Ansprüche – insbesondere Honorarforderungen – im Falle der Veröffentlichung des Dokumentes.
Ihre persönlichen Daten werden selbstverständlich gemäß den
einschlägigen Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes
verarbeitet.
Eine von Ihnen erteilte Einwilligung oder Teile davon können
Sie jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen.
Eine Kopiervorlage für die Abgabe der notwendigen Erklärungen finden Sie auf der nächsten Seite oder im Internet unter
www.wehrmed.de.
270
B UCHVORSTELLUNGEN
Neuerscheinungen von Autoren dieses
Heftes
Von einigen unserer Heftautoren oder unter ihrer Mitwirkung
sind im Vorfeld des 100. Jahrestages des Kriegsbeginns Bücher
zum Thema erschienen, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen.
Markus Pöhlmann, Harald Potempa und Thomas Vogel
(Hrsg. im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften), Der Erste Weltkrieg 1914 - 1918.
Der deutsche Aufmarsch in ein kriegerisches Jahrhundert,
München: Bucher Verlag 2013, 384 S., ca. 450 Abb., EUR
45,00 [ISBN: 978-3-7658-2033-5]
Einen informativen und anschaulichen Überblick zu den unterschiedlichsten Aspekten des Ersten Weltkrieges bietet der Ende
2013 erschienene, reich illustrierte
Sammelband „Der Erste Weltkrieg
1914 - 1918. Der deutsche Aufmarsch
in ein kriegerisches Jahrhundert“, der
im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der
Bundeswehr von Markus Pöhlmann,
Harald Potempa und Thomas Vogel herausgegeben wurde. Zahlreiche ausgewiesene Spezialistinnen und Spezialisten zum Ersten Weltkrieg, unter ihnen
der Verfasser unseres ersten Heftbeitrags Gerhard P. Groß, bereiten ein umfangreiches Spektrum von Themen kenntnisreich, in
gut verständlicher Weise und mit reichhaltigem Bild- und Kartenmaterial belegt auf: es reicht von der Politik, der militärischen
Führung, über die Bewaffnung, die Land-, See- und Luftkriegsführung, die Betrachtung unterschiedlicher Schauplätze und Phasen des Krieges sowie einzelner Schlachten, bis hin zur Erinnerungskultur und Alltagsgeschichte der Soldaten. Das Buch eignet
sich also besonders für diejenigen Leser der „Wehrmedizinischen
Monatsschrift“, die sich nicht auf die Militärmedizingeschichte
beschränken möchten, sondern einen erweiterten Zugang zur Militärgeschichte des Ersten Weltkrieges suchen.
Wolfgang U. Eckart, Die Wunden heilen sehr schön. Feldpostkarten aus dem Lazarett 1914 - 1918, Stuttgart: Franz
Steiner Verlag 2013, 210 S., ca. 300 Abb., EUR 29,90 [ISBN
978-3-515-10459-3]
Mit seinem Buch „Die Wunden heilen sehr schön. Feldpostkarten aus dem Lazarett 1914 - 1918“ hat Wolfgang U. Eckart im
Herbst 2013 ein Werk vorgelegt, worin er etwa 300 Lazarettpostkarten aus seinem eigenen Archiv präsentiert. Eckart führt ebenso knapp wie instruktiv in die Thematik ein, wobei er im gesamten Buch auf einen aufwändigen wissenschaftlichen Apparat verzichtet, das Werk also weniger als fachwissenschaftliche Abhandlung denn als Sachbuch für einen breiteren Leserkreis angelegt hat. Im dominierenden Bildteil sind die Postkarten in folgende thematische Abschnitte (teils mit Unterkapiteln) gegliedert:
„Schwestern, Ärzte, Mannschaften“, „Patienten – Porträts und
kleine Gruppen“, „Patientengemeinschaften“ und „Alltag im Lazarett“. Die Bildpostkarten sind in guter Qualität reproduziert,
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
wie Eckart auch die Abschriften der
Texte an die Hand gibt und die Postkarten (das heißt die Bilder bzw. die
Bild-Textkombinationen) in der jeweiligen Einführung zum Kapitel/ Unterkapitel interpretiert und erläutert. Er
macht mit seinem Buch auf diese bisher kaum erschlossenen sozial- und
kulturgeschichtlichen Quellen aufmerksam und bietet dadurch einen
neuen Zugang zum bisher kaum beachteten „Soziotop Lazarett des Ersten
Weltkriegs“ (S. 208).
Wolfgang U. Eckart, Medizin und Krieg. Deutschland
1914 - 1924, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014, 564
S., EUR 49,90 [ISBN 978-3-506-75677-0]
Mit seinem neuesten, eben erst erschienenen umfangreichen
Opus „Medizin und Krieg. Deutschland 1914 - 1924“ greift Wolfgang U. Eckart weit über eine reine Wehr- bzw. Militärmedizingeschichte des Ersten Weltkrieges hinaus. Gestützt auf eine reiche
Literatur- und Quellenbasis bietet er vielmehr eine Aufbereitung
und Analyse verschiedenster Themenbereiche des wesentlich umfassenderen Gebietes „Medizin und Krieg“: Zwar kommen auch
die militärmedizinischen Fragen im engeren Sinne wie das Erleben und die Erfahrungen sowohl der Patienten und Soldaten als auch der Sanitätsoffiziere und des Pflegepersonals,
das Leben im Lazarett, die Themenfelder
Psychiatrie und Krieg, Hygiene und vieles andere mehr nicht zu kurz. Gleichzeitig arbeitet Eckart aber auch die grundlegenden Bedingtheiten und Voraussetzungen in der Medizin und in der Ärzteschaft vor dem Krieg und zu Kriegsbeginn auf; er widmet einen ausführlichen
Abschnitt den „Heimatfronten“ mit Themenbereichen wie Sexualität und Geschlechtskrankheiten, Frauen und Kinder, Hungererfahrungen
oder der auch im vorliegenden Heft von ihm thematisierten Invalidenproblematik. Er geht auf die Medizin und das ärztliche Wirken auf entfernten Kriegsschauplätzen, im Kolonialkrieg und in
der Kriegsgefangenschaft ein; und er schließt nicht mit dem Ende
des Ersten Weltkrieges, sondern bezieht auch die weiteren Entwicklungen und Folgen in der Nachkriegszeit mit ein. Ein Buch
also, mit dem der Autor auf dem neuesten Stand der Wissenschaft
und auf der Grundlage eigener Forschungen eine umfassende
Kontextualisierung dieser komplexen Thematik vornimmt.
Astrid Stölzle, Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg.
Das Pflegepersonal der freiwilligen Krankenpflege in den
Etappen des Deutschen Kaiserreichs, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2013 (= Medizin, Gesellschaft und Geschichte,
Beiheft 49), 227 S., EUR 42,00 [ISBN 978-3-515-10481-4]
Einem lange vernachlässigten Themenbereich widmet sich
Astrid Stölzle in ihrem Buch „Kriegskrankenpflege im Ersten
271
Weltkrieg. Das Pflegepersonal der freiwilligen Krankenpflege in den Etappen
des Deutschen Kaiserreichs“, zugleich
ihre 2012 von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Stuttgart angenommene Dissertation. Auf
breiter Quellenbasis arbeitet sie die für
den Ersten Weltkrieg nicht zu unterschätzende sogenannte „freiwillige
Krankenpflege“ durch zivile Schwestern und Pfleger von Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz, der Diakonie, den Ritterorden und vielen anderen
in den Etappenlazaretten auf. Sie spannt den Bogen von der
Struktur- und Organisationsgeschichte, über die Darstellung
und Analyse der Pflegetätigkeiten und ihrer Besonderheiten in
den Lazaretten sowie des Verhältnisses von Patienten zum Pflegepersonal, weiter zu den Interaktionen des Pflegepersonals untereinander bzw. zu anderen an der sanitätsdienstlichen Versorgung beteiligten Personengruppen wie etwa Ärzten, bis hin zu
sozial- und versorgungsrechtlichen Fragestellungen. Astrid
Stölzle liefert damit einen wichtigen und informativen Beitrag
zur Geschichte der Kriegskrankenpflege – ein Gebiet das künftig mehr als bisher Beachtung finden sollte.
Livia Prüll und Philipp Rauh (Hrsg.), Krieg und medikale
Kultur. Patientenschicksale und ärztliches Handeln in der
Zeit der Weltkriege 1914-1945, Göttingen: Wallstein Verlag
2014, 283 S., EUR 24,90 [ISBN 978-3-8353-1431-3]
des in den Jahren 2006-2010
durchgeführten
Freiburger
DFG-Projektes „Krieg und
medikale Kultur. Patientenschicksale im Zeitalter der
Weltkriege
1914 - 1945“.
Wenngleich der Band, wie
schon im Titel ersichtlich, auf
beide Weltkriege (und darüber
hinaus auf die weitere Entwicklung der Militärpsychiatrie nach dem Zweiten Weltkrieg und in der Bundeswehr)
fokussiert, setzen sich einige
Beiträge explizit mit dem Ersten Weltkrieg auseinander:
Petra Peckl reflektiert die Frage „Krank durch die ‚seelischen Einwirkungen des Feldzuges‘? Psychische Erkrankungen
der Soldaten im Ersten Weltkrieg und ihre Behandlung“, während Philipp Rauh „Die Behandlung der erschöpften Soldaten
im Ersten Weltkrieg“ behandelt. Gerade die Zeitlosigkeit der
Themen und die quellenbasierte diachrone Aufarbeitung beider
Weltkriege mit dem abschließenden aktuellen Bezug zur Bundeswehr machen das Buch auch für den Nicht-Medizinhistoriker lesenswert.
Oberfeldarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der
Bundeswehr
E-Mail: Ralf1Vollmuth@bundeswehr.org
Mit diesem sechs Beiträge umfassenden Sammelband präsentieren Livia Prüll und Philipp Rauh die Forschungsergebnisse
M ITTEILUNGEN
AUS DER
DGWMP E . V.
Hubert Kriegshäuser
Oberstapotheker a. D.
Am Häuselberg 4
67434 Neustadt/Weinstraße
Geburtstage September 2014
Wir gratulieren zum 80. Geburtstag und älter:
Hans-Joachim Mann
Stabsarzt d. R.
Eckerweg 11
30851 Langenhagen
Dr. med. Herbert Roos
Flottillenarzt a. D.
Augustenstr.76
80333 München
Dr. med. Dr. Friedrich Schwarzbauer
Oberstarzt a. D.
Helene-Mayer-Ring 10/401
80809 München
Dr. med. Jürgen Korff
Oberstarzt d. R.
Eierbrechtstr.68
8053 Zürich / Schweiz
03.09.1933
04.09.1929
05.09.1924
09.09.1921
Dr. med. dent. Dieter Nordholz
Admiralarzt a. D.
Dornierstr.5
26160 Bad Zwischenahn
Dr. med. Ottmar Mechow
Oberstabsarzt d. R.
Kurstr.24
61231 Bad Nauheim
Dieter Siemon
Arzt
Debstedter Str.26-30/Astor-P
27607 Langen
Dr. rer. medic. Werner Richter
Oberstleutnant a. D.
Arndts Hufen 6
04349 Leipzig
16.09.1921
17.09.1926
20.09.1922
20.09.1929
21.09.1934
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014
272
Mitteilungen aus der DGWMP e. V.
Prof. Dr. med. Günther Andree
Oberstarzt a. D.
Kollegienweg 43c
53121 Bonn
Dr. rer. nat. K.Günter Weidmann
Oberstapotheker a. D.
Schwanoldstr.16
32760 Detmold
Herbert Frey
Oberstabsarzt d. R.
Eberhardstr.85-93
89073 Ulm
Dr. med. Karl-Wilhelm Martell
Oberfeldarzt d. R.
Kiefernweg 21a
55130 Mainz
Prof. Dr. med. Gerhard Schwarz
Am Menzelberg 9
37077 Göttingen
Dr. med. Hubert Bonenkamp
Oberarzt a. D.
Hammer Str.24
48153 Münster
Hanns-Reinhard Müller
Oberstapotheker a. D.
Südstr.72
48153 Münster
Wir gratulieren zum 75. Geburtstag:
Dr. med. vet. Peter Witzmann
Stabsveterinär d. R.
Vogelherdweg 20
70771 Leinfelden-Echterdingen
22.09.1928
23.09.1927
26.09.1927
28.09.1925
28.09.1917
29.09.1920
29.09.1925
Dr. med. Hans-Georg Holzner
Oberstarzt d. R.
Neckarstaden 16
69117 Heidelberg
Josef Trimborn
Oberfeldapotheker a. D.
Kloster-Deutz-Str.7
53489 Sinzig-Löhndorf
10.09.1939
18.09.1939
Ferdinand Müller
Hauptmann a. D.
Köselstr.60
87493 Heising
27.09.1939
Dr. med. dent. Fritz W. Emig
Flottillenarzt d. R.
Darmstädter Str.34
64380 Roßdorf
05.09.1944
Wir gratulieren zum 70. Geburtstag:
Gerhard Brinks
Hauptmann a. D.
An der Düne 46
25997 Hörnum/Sylt
Dr. med. Axel Zimmerlinkat
Oberstarzt a. D.
Adlergestell 741/7
12527 Berlin
Rosemarie von Kocemba
Oberfeldarzt a. D.
Beethovenweg 56
24159 Kiel
11.09.1944
13.09.1944
29.09.1944
05.09.1939
Wehrmedizinische Monatsschrift
Redaktion: Oberstarzt a. D. Dr. med. Peter Mees, Baumweg 14, 53819 Neunkirchen-Seelscheid, Telefon +49 2247 912057, E-Mail: wmm@p-mees.de
Herausgeber: Bundesministerium der Verteidigung, Presse- und Informationsstab, Stauffenbergstraße 18, 10785 Berlin.
Beirat: Prof. Dr. med. H. Fassl, Lübeck; Prof. Dr. med. L.-E. Feinendegen, Jülich; Prof. Dr. med. Dr. phil. G. Jansen, Düsseldorf; Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. H.-W. Kreysel, Bonn; Prof. Dr. med. Dr. med.
dent. E. Lehnhardt, Hannover; Prof. Dr. W. Mühlbauer, München; Prof. Dr. med. K.-M. Müller, Bochum; Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. E. Mutschler, Frankfurt; Prof. Dr. med. G. Paal, München; Oberstapotheker a. D. Dr. rer. nat. H. Paulus; Prof. Dr. med. dent. P. Raetzke, Frankfurt; Prof. Dr. rer. nat. H.-J. Roth, Tübingen; Prof. Dr. med. L. Schweiberer, München; Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Schwenzer,
Tübingen; Prof. Dr. med. H.-G. Sieberth, Aachen; Prof. Dr. med. H. E. Sonntag, Heidelberg; Generalarzt a. D. Dr. med. J. Binnewies, Köln; Admiralarzt a. D. Dr. med. R. Pinnow, Glücksburg.
Verlag:
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entsprechen nicht unbedingt den Auffassungen der Redaktion oder des Bundesministeriums der Verteidigung. Manuskriptsendungen an die Redaktion erbeten. Erscheinungsweise mindestens acht mal im
Jahr. Bezugspreis jährlich inkl. Porto- und Handlingkosten Inland: € 35,–; Europa: € 41,50; weltweit: € 49,50. Einzelheft: € 4,50 zzgl. Versandkosten € 1,80 Inland, € 4,50 Europa, € 9,50 weltweit. Das
Abonnement verlängert sich jeweils um 1 Jahr, falls nicht 8 Wochen vor Ablauf des Bezugsjahres gekündigt wird. Für Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. ist
der Bezug der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten. Sanitätsoffiziere der Bundeswehr, die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie sind, erhalten die
„Wehrmedizinische Monatsschrift“ über ihre Dienststellen.
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 7/2014