Mystik ist das Flüstern Gottes
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Mystik ist das Flüstern Gottes
44 Meditation | Mystik ist das Flüstern Gottes Tattva Viveka 59 omas Hübl Mystik ist das Flüstern Gottes Auf dem Weg zum Bewusstsein im Fluss des Lebens Zunächst wirkt das Instrument der Mystik auf viele fremd. Welche Werkzeuge gibt es, um mystische Prinzipien in meinem Leben anwenden zu können? Wie bekomme ich Zugang zu dem Wissen aus dem Überbewussten? omas Hübl: Zunächst, indem ich bereit bin zu lernen. Genau wie beim Klavierspielen: Es gibt ein Klavier und irgendeinen Weg, wie man die weißen und schwarzen Tasten spielt und die Töne zu einem harmonischen Stück verarbeitet. Das Hauptwerkzeug ist, mich zu öffnen für etwas, das größer ist als ich. Wenn ich mich auf das Göttliche ausrichte und bereit bin etwas über die Prinzipien zu erfahren und sie im Leben zu überprüfen, wird etwas passieren. Denn durch die höhere Bewusstheit verbinde ich mich mehr mit den Kräften, die diese Dynamiken schaffen. Dadurch kann ich mich viel früher entwickeln und muss nicht so viele Nebenwirkungen meiner Nicht-Entwicklung in Kauf nehmen. Welches Training hilft mir dabei? omas Hübl: Die kontemplativen Traditionen zeigen uns, dass Meditation ein hervorragendes Training ist, das uns ganz viel zeigt. Meditation und Kontemplation machen es möglich, Phänomene durch achtsames Studieren zu erforschen. Ich kann Umstände kontemplieren oder eine Blume. Mich interessiert dabei nicht so sehr, wie sie heißt, sondern mich interessiert der Beziehungsraum, der da entsteht, und das, was den Beziehungsraum transzendiert – vom Beobachter zum Beobachtenden. Die kontemplativen Traditionen zeigen uns: Wenn wir es schaffen, unseren Geist zu konzentrieren und wirklich präsenter zu machen, dass wir in der Tiefendi- Meditation | Mystik ist das Flüstern Gottes 45 © www.flickr.com_Dennis_F Tattva Viveka 59 Wie gelange ich auf den mystischen Weg? Der Mystiker und spirituelle Lehrer Thomas Hübl gibt hier Hilfestellungen und Anregungen um sich mit der göttlichen Quelle zu verbinden und auf die Frequenz Gottes einzutunen. mension des Augenblicks viel mehr Schichten von Information zur Verfügung haben. Ich kann einen Baum sehen und beschreiben oder ich kann an der Schöpfung des Baumes teilnehmen. Dafür muss ich tief in der Essenz des Baumes ankommen, damit ich verstehe, wie der Baum gerade geschaffen wird. Bin ich zu abgelenkt und involviert in mir selbst und den Umständen meines Lebens, lebe ich zu sehr an der Oberfläche und bin ich mir weniger Schichten bewusst. Aber sie entstehen und vergehen immer alle, jeden Augenblick, ob ich mir dessen bewusst bin oder nicht. In der Mystik sprechen wir deshalb von den unbewussten Arealen, den bewussten und den überbewussten. Die unbewussten und überbewussten Anteile sind meist nicht Teil meines Augenblicks. Bewusstseinstraining heißt den Radius zu erweitern, damit mir regelmäßig im Alltag mehr unbewusste und überbewusste Anteile zur Verfügung stehen – wenn ich auf der Straße gehe, am Computer sitze, mit Leuten spreche oder meditiere. Welches Werkzeug hilft mir, Innen und Außen besser zu verbinden? omas Hübl: Ein Werkzeug dafür ist Integrität: Menschlichkeit zutiefst zu verwirklichen und ein integrer, ethisch gesunder Mensch zu werden, der im Einklang lebt mit den Prinzipien des Universums und dadurch Ehrlichkeit, Klarheit und ein liebevolles In-der-Welt-Sein entwickelt. Das ist auch eine tiefe mystische Praxis: Dass sich der Spirit nach innen, aber der Mensch auch nach außen öffnet. Bis Innen und Außen so klar sind, dass sie nicht mehr zwei sind. Unsere tiefste Menschlichkeit wird zu unserer höchsten Möglichkeit. Je nackter ich werde als Mensch, je weniger ich jemand Anderer bin, als ich bin, desto mehr scheint Spirit durch mich durch und verwirklicht sich durch mein Leben. Erkenntnisse über die Essenz der Wirklichkeit kommen aus der ganzen Welt. Die Mystik kommt mir vor wie eine Wissenschaft vom Licht, das sich in jeder Tradition an- 46 Meditation | Mystik ist das Flüstern Gottes Tattva Viveka 59 des miteinander verbinden kann, ohne einen Schaden zu erzeugen. Deshalb braucht es eine Praxis und ein Wissen darüber, um sich langsam daran anzunähern. Denn Licht ist ja Bewusstheit. Und als Menschheit wollen wir uns unserer Unbewusstheit ja nicht bewusst werden. Sonst wären wir es ja schon. Wenn wir uns mehr bewusst werden, sehen wir, was alles in unserem Schattenreich liegt, und das ist natürlich schmerzhaft. Wenn meine Realitätskonzepte einschmelzen, ist das ebenso schmerzhaft. Deshalb gibt es auf diesem Weg viele Herausforderungen. Für den Einzelnen kann das heißen, dass er oder sie auf einer Ebene immer mehr alleine geht, weil immer weniger Menschen bereit sind, da mitzugehen. sich im Personellen manifestiert haben. Vom Personellen aus ist das nicht erklärbar. Aber von den Kräften, die es komponiert haben, aus schon. Viele Heilige erzählen davon: Wenn wir Tiefe genug studieren, passieren Dinge, die wir uns auf der Alltagsebene nicht erklären können. Das Geschehen entfaltet sich durch die Einsicht in die Prinzipien der Mystik. ders bricht – wie ein Regenbogen: an diesem Ort blau, in jenem Land rot. omas Hübl: Durch die verschiedenen Kulturräume hat sich das Licht tatsächlich wie aufgesplittert, wie du sagst, in verschiedene Farben, und dadurch einen unterschiedlichen Geschmack bekommen. Das hat etwas mit dem Ort, mit der Kultur und den Werten zu tun, die zu der Zeit präsent waren. Da die Mystik zeitlos ist, wurde an all diesen Orten etwas Ähnliches entdeckt, obwohl es zu dieser Zeit keine Massenverkehrsmittel und Kommunikationstechnologie gab. Mystik ist nur der feurige Kern in der Tradition. Dadurch, dass die Tradition von Meister zu Meister weitergegeben wird, wird das Feuer lebendig gehalten. Es ist an unterschiedlichen Orten und Zeiten immer wieder aufgeflammt. In unserer Zeit sind ähnliche Prinzipien wirksam. Sie sind alle dazu da, das Bewusstsein zurück in die Quelle zu führen, aus der es entstanden ist. Das Feuer der Mystik fühlt sich für mich gefährlich an. omas Hübl: Das ist es auch. Weil es das Fundament des Normalen komplett herausfordert. Das Normale ist die Gewohnheit. Unser Körper besteht aus Gewohnheit, unser Businesssystem, unsere Gefühle – alles sind Gewohnheiten. Und die Mystik sagt: Ich brenne das nieder. Mystik ist wie Plasma. Wenn geronnene Materie zu nah ans Plasma kommt, wird sie flüssig und verliert sich darin. Das Ich, das Selbst, alle kosmischen Gewohnheiten, die es gibt: in der Mystik schmelzen sie ein. Deshalb war die Mystik immer eine Herausforderung in ihrer Zeit, weil sie immer wieder die Gewohnheiten auf die Probe gestellt hat. Das ist das mystische Prinzip: Struktur entsteht und muss wieder flüssig werden, um eine adäquatere Struktur zu bilden und die Evolution voran zu bringen. Wie können wir das Feuer in unser Leben integrieren? omas Hübl: Wir müssen einen gesunden Weg dahin finden. Wenn ein Mensch wie eine Batterie ist, die 220 Volt kanalisieren kann, hat die Mystik vielleicht 1 Million Volt. Wenn du beide einfach miteinander verbindest, ist die Batterie weg. In der Mystik gibt es deshalb viel Wissen, wie sich bei- Viele Menschen, die sich auf den Weg machen und zum ersten Mal die mystischen Prinzipien erforschen, berichten, dass sich etwas fundamental in ihrem Leben verändert. Thomas Hübl: Ja. Manche Menschen berichten, sobald sie Mystik studieren, fängt ihr Leben an, mehr ins Fließen zu kommen. Wir gehen dann nicht mehr Mystik ist wie Plasma. Wenn geronnene Materie zu nah ans Plasma kommt, wird sie flüssig und verliert sich darin. Was ist die höchste Form der mystischen Praxis? omas Hübl: Die höchste Form ist die non-duale Erkenntnis, danach kommt das Eintauchen in die Anatomie des Wunders. Über Jahrtausende sind Wunder passiert, das heißt, transpersonale Wirkungen die gegen die Kräfte, sondern mit ihnen. Wenn wir im Fluss des Lebens sind, können wir am Rand schwimmen und womöglich durch Äste vom Ufer getroffen werden. Wenn wir unser Leben nach den mystischen Prinzipien ausrichten, richtet sich auch der Fluss danach. Du hörst Tattva Viveka 59 Mystical Summer School 2014 © www.flickr.com_Dennis_F 24. Juli bis 3. August 2014, Hof Oberlethe nahe Oldenburg Das Celebrate Life Festival lädt in diesem Jahr zur Mystical Summer School 2014 ein. Die Teilnehmenden erforschen bei dem Non-Profit-Event in Übungen, Vorträgen und Begegnungen, welche mystischen Prinzipien hinter ihren Erfahrungen stehen. Das Festival wird in zweitägige Themen-Module aufgeteilt. Im ersten Modul geht es um mystische Prinzipien und spirituelle Kompetenz. Wie komme ich aus der Erfahrung in die Essenz? Wie kann ich eine Kompetenz darin entwickeln, mich auf das Göttliche zu zentrieren, während ich im Leben präsent bin – und dadurch zu Innovation beitragen? Das erste Modul gibt einen Überblick über die Werkzeuge, die das mystische Studium bietet. Im zweiten Modul befassen sich die Festivalbesucher mit mystischen Prinzipien von Heilung. Sie erforschen, wie Heilung möglich wird, wenn sie persönliche und überpersönliche Anteile integrieren. Es ist das Flüstern Gottes. Es ist ständig da, wie ein Radio, das läuft. dem Fluss zu, während er vor dir erscheint. Jahrtausendealte Werkzeuge der Mystik helfen uns dabei, am Beginn des 21. Jahrhunderts dem Moment zu lauschen – und auf dem Marktplatz die Liebe zum Göttlichen zu leben. Das klingt wie Musik. omas Hübl: Es ist das Flüstern Gottes. Es ist ständig da, wie ein Radio, das läuft. Wenn wir dem Sound von Divine FM lauschen, finden wir den Weg des Göttlichen, während wir in der Arbeit sind, in unserer Beziehung. Wir erinnern uns dabei an etwas, das größer ist als wir. Mystik liefert die wissenschaftlichen Werkzeuge dafür, dass wir uns in das Größere hinein entwickeln können. Mystik macht die Zukunft sichtbar und macht Innovation möglich. Wenn wir Mystik studieren, werden wir mit der Zeit zu innovativen Kräften in dem Lebensumfeld, in dem wir wirksam sind. Mystik wirkt? omas Hübl: Mit Sicherheit. Eine Wirkung davon ist, dass wir Dinge schon spüren, fühlen, wissen, bevor sie konkret 47 Meditation | Mystik ist das Flüstern Gottes Die Arbeit am Schatten ist dabei eine Chance, Intelligenz wieder fließen zu lassen. Um mystische Prinzipien von intimen Beziehungen geht es in Modul drei. Wie kann ich in Beziehung erwachen? Wie können wir eine Beziehungskultur entwickeln – als Eltern, in der Partnerschaft –, die das Göttliche in den Mittelpunkt stellt? Die Forschenden untersuchen Beziehungen als ein Gefäß, in dem Eros als energetisches Prinzip wirkt. Der Schwerpunkt wird dabei in diesem Jahr auf dem Karma liegen: Wie können wir Karma nicht weitergeben? Im vierten Modul beschäftigen sich die Teilnehmenden mit den mystischen Prinzipien einer gebenden Kultur. Wie stärke ich den Kontakt mit Anderen, damit mehr Intelligenz fließt? Wie kann ich mein Ego öffnen für die Belange der Welt? Wie schaffen wir einen kulturellen Kontext, in dem Geben zur Priorität wird? Die mystischen Prinzipien zeigen, wie alle im Alltag zur Quelle für Andere werden können – in dem Bewusstsein, dass immer wieder Wasser nachfließt. So schaffen die Festivalbesucher eine Kultur, die mehr gibt als nimmt. Infos: www.celebrate-life.info werden müssen. Wenn man sich mit Mystik beschäftigt, hat das einen lebensverändernden Einfluss. Als würde man einen Stecker in die Steckdose stecken: Dann tv passiert etwas. Interview: Joachim Christoph Wehnelt Zum Autor: Thomas Hübl ist ein spiritueller Lehrer, der Mystik in zeitgemäßer Weise lebt und vermittelt. Sein Wirken integriert die Essenz der großen Weisheitstraditionen, wissenschaftliche Erkenntnisse und persönliche Erfahrungen. In diesem Jahr laden er und sein Team zur Mystical Summer School 2014 auf dem Celebrate Life Festival ein: Bei diesem Non-ProfitEvent erforschen die Teilnehmer anhand der mystischen Prinzipien, was hinter ihren Erfahrungen steht und wie sich Wirklichkeit komponiert. Artikel zum Thema TV 25: Armin Risi – Licht wirft keinen Schatten. Wie unterscheidet man theistische und atheistische Weltbilder? TV 29: Ken Wilber – Das zweite Gesicht Gottes. Ein revolutionärer Gedanke TV 29: Ronald Engert – Die drei Gesichter Gottes. Leserbrief für das Magazin What is Enlightenment? TV 44: Dr. Thomas Wachter – Jenseits von Satsang. Ein Erfahrungsbericht TV 45-46: Thomas Hübl – Hier, Jetzt und Gott. Auf der Spur des spirituellen Lebens TV 48: Ronald Engert – Wir sind alles ewige Personen. Zur Existenz eines individuellen Selbst TV 51: Gangaji und Eli Jaxon Bear – Natürlich nackt. Über die Frische des offenen Geistes TV 56-57: Ronald Engert – Blick in die Ewigkeit. Die Nahtoderfahrung eines Neurowissenschaftlers Weitere Beiträge finden Sie in unserer Artikel-Datenbank auf www.tattva.de