18. Peter Singer: Wer zahlt für die Vogelgrippe? - Eier

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18. Peter Singer: Wer zahlt für die Vogelgrippe? - Eier
Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung e.V.
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Wer zahlt für die Vogelgrippe?
von Peter Singer
Die Vogelgrippe gilt als Naturkatastrophe, ihre Bekämpfung wird aus
Steuermitteln finanziert. Peter Singer fordert stattdessen die Beachtung des
Verursacherprinzips: Produzenten, die durch Massentierhaltung die Ausbreitung
von Tierseuchen fördern, sollten auch die Kosten tragen.
Karikatur: Wolfgang
Horsch
Vor fünfzig Jahren stellten die amerikanischen Hühnerfarmer fest, dass sie,
indem sie ihr Geflügel in Ställen hielten, die Hühner preiswerter und mit
weniger Aufwand auf den Tisch bringen konnten als mit den traditionellen
Methoden der Geflügelhaltung. Die neue Methode verbreitete sich: Die Hühner
verschwanden von den Feldern und wurden in langen, fensterlosen Ställen
untergebracht. Die Massentierhaltung war geboren.
Im englischen Sprachraum spricht man von „factory farming“ – und das nicht
nur, weil diese Ställe wie Fabrikgebäude aussehen. Alles bei dieser Produktionsmethode ist darauf
ausgerichtet, lebende Tiere in Maschinen zu verwandeln, die Getreide bei möglichst niedrigen Kosten in
Fleisch oder Eier umsetzen.
Betreten Sie einen derartigen Stall – wenn der Produzent es Ihnen denn erlaubt –, und Sie werden dort bis zu
30 000 Hühner vorfinden. Der „National Chicken Council“, der Interessenverband der USHühnerproduzenten, empfiehlt eine Besatzdichte von 1097 Quadratzentimetern pro Tier – weniger als ein
handelsübliches Blatt Schreibmaschinenpapier. Wenn die Tiere ihr Handelsgewicht erreichen, bedecken sie
vollständig den Boden. Sie können sich nicht mehr bewegen, ohne andere Hühner zur Seite zu drängen. In
der Eierbranche können sich die Hennen nahezu überhaupt nicht bewegen, weil sie in Drahtkäfige
hineingezwängt werden, um sie etagenweise eins über dem anderen stapeln zu können.
Umweltschützer haben darauf hingewiesen, dass dies keine nachhaltige Produktionsmethode ist. Zunächst
einmal ist sie auf die Verwendung fossiler Brennstoffe angewiesen, um die Ställe zu beleuchten und zu
belüften und um das von den Hühnern verzehrte Getreide zu transportieren. Wenn dann dieses Getreide, das
die Menschen auch direkt verzehren könnten, an die Hühner verfüttert wird, nutzen diese es für das
Wachstum von Knochen, Federn und anderen Körperteilen, die wir nicht essen können. Wir erhalten also
weniger Nahrung zurück, als wir in die Vögel investiert haben – und auch weniger Protein –, während die
Entsorgung der konzentrierten Hühnerexkremente eine schwer wiegende Belastung der Flüsse und des
Grundwassers verursacht.
Tierschützer protestieren, dass die Zusammendrängung der Hühner diese davon abhält, eine natürliche
Hühnerschar zu bilden, sie Stress aussetzt und sie – im Falle der Legehennen – daran hindert, auch nur mit
den Flügeln zu schlagen. Die Luft in den Ställen ist aufgrund der Vogelexkremente – die sich bis zu ihrer
Beseitigung in der Regel über Monate hinweg und manchmal über ein Jahr oder länger ansammeln – stark
mit Ammoniak angereichert. Um das Wachstum der Tiere in einem derart gedrängten, schmutzigen und
Stress verursachenden Umfeld zu gewährleisten, werden den Vögeln routinemäßig Antibiotika zugefüttert.
Mediziner warnen deshalb vor antibiotikaresistenten Bakterien, die eine Gefährdung der öffentlichen
Gesundheit darstellen könnten.
Trotz dieser begründeten Kritik hat sich die Massentierhaltung während der vergangenen 20 Jahre in den
Entwicklungsländern, insbesondere in Asien, weit verbreitet – nicht nur in Bezug auf Hühner, sondern auch
Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung e.V. (AGfaN), gemeinnütziger und besonders förderungswürdiger Tierschutzverein (Amtsgericht
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von der Steuer absetzbar (Steuernummer 17/401/08502). Bankverbindung: Sparkasse Harburg-Buxtehude (BLZ 207 500 00), Konto-Nr.: 13094958.
Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung
Seite - 2 für Schweine, Kälber, Milchkühe und – in so genannten Feedlots im Freien – Fleischrinder. Nun entdecken
wir, dass die Folgen sehr viel tödlicher sein könnten, als wir es uns je haben träumen lassen.
Der Virologe Earl Brown von der Universität Ottawa äußerte sich nach einem Ausbruch der Vogelgrippe in
Kanada wie folgt: „ Die Intensivhaltung von Hühnern bietet ein ideales Umfeld für die Heranzüchtung
hochgradig ansteckender Vogelgrippeviren.“
Andere Experten teilen diese Ansicht. Im Oktober 2005 identifizierte eine Arbeitsgruppe der Vereinten
Nationen „ landwirtschaftliche Methoden, bei denen eine enorme Anzahl von Tieren auf engem Raum
zusammengedrängt wird“ , als eine der Grundursachen der Vogelgrippe-Epidemie.
Befürworter der Massentierhaltung weisen häufig darauf hin, dass die Vogelgrippe durch Tiere in
Freilandhaltung oder durch Wildenten und andere Zugvögel übertragen werden kann, die sich unter die im
Freiland gehaltenen Vögel mischen oder im Flug ihren Kot auf diese fallen lassen. Wie Brown jedoch
dargestellt hat, sind in Wildvögeln auftretende Viren in der Regel nicht besonders gefährlich.
Im Gegenteil: Erst wenn diese Viren in einem Geflügelbetrieb mit hoher Tierbestandsdichte auftreten, treten
deutlich virulentere Mutationen auf. Im Gegensatz hierzu neigen nach traditionellen Methoden aufgezogene
Tiere zu einer höheren Widerstandsfähigkeit gegenüber Erkrankungen als gestresste, ihnen genetisch
ähnliche Vögel in der Intensivhaltung. Darüber hinaus sind Anlagen zur Massentierhaltung biologisch nicht
sicher und häufig von Mäusen, Ratten oder anderen Tieren, die Krankheiten übertragen können, befallen.
Zum Glück ist bisher erst eine relativ kleine Anzahl von Menschen am aktuellen Virenstamm der
Vogelgrippe gestorben, und es scheint so, als wären diese sämtlich mit infizierten Vögeln in Kontakt
gekommen. Aber wenn das Virus in eine Form mutiert, die vom Menschen auf den Menschen übertragen
werden kann, könnte es hunderte Millionen von Todesfällen geben.
Die Regierungen sind – zu Recht – dabei, Vorsorge gegen diese Bedrohung zu ergreifen. Der US-Senat
bewilligte kürzlich Ausgaben in Höhe von acht Milliarden Dollar dafür, Vorräte an Impfstoffen und anderen
Medikamenten anzulegen, um eine mögliche Vogelgrippe-Epidemie verhindern zu helfen. Andere
Regierungen haben bereits zweistellige Millionenbeträge für Impfstoffe und andere Vorsorgemaßnahmen
ausgegeben.
Klar ist allerdings inzwischen, dass derartige Regierungsausgaben tatsächlich eine Subvention der
Geflügelindustrie darstellen. Wie die meisten Subventionen ist sie wirtschaftlich schädlich. Die
Massentierhaltung verbreitete sich, weil sie billiger zu sein schien als traditionelle Methoden. Tatsächlich
war sie nur deshalb billiger, weil sie einige ihrer Kosten auf andere abwälzte – zum Beispiel auf die
Menschen, die flussabwärts oder in Windrichtung der Intensivhaltungsbetriebe lebten und nun nicht länger
sauberes Wasser und saubere Luft genießen konnten.
Jetzt erleben wir, dass dies nur ein kleiner Teil der Gesamtkosten war. Die Massentierhaltung wälzt viel
größere Kosten – und Risiken – auf uns alle ab. In wirtschaftlicher Hinsicht sollten diese Kosten von den
Massentierhaltern selbst erbracht und nicht an die Übrigen von uns weitergegeben werden.
Dies wird nicht einfach sein, aber ein Anfang wäre es, eine Steuer auf Produkte aus der Massentierhaltung
zu erheben, bis genügend hohe Einnahmen erzielt werden, um die Vorsorgemaßnahmen zu finanzieren,
welche die Regierungen nun gegen die Vogelgrippe ergreifen müssen. Dann würde uns endlich bewusst
werden, dass Hühner aus der Massentierhaltung gar nicht so billig sind.
Übersetzung: Jan Neumann
Quelle (26.02.08): http://www.cicero.de/97.php?item=1017&ress_id=6