Häuser - Cassina
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Häuser - Cassina
Report wo di e m e i ste r g e macht we r de n Es gibt Möbel – und Ikonen. Cassina s ch i ck t t ä g l i ch e i n e g a n z e A r m a d a v o n i h n e n i n d i e We l t . D i e K l a s s i k e r v o n R i e t v e l d , L e C o r b u s i e r u n d M a ck i n t o s h e n t s t e h e n b e i d e m t r a d i t i o n s r e i ch e n H e r s t e l l e r n ö r d l i ch von Mailand weitgehend in Handarbeit, wie i n e i n e r We r k s t a t t d e r R e n a i s s a n c e T e x t: N or m a n K i e t z m a nn | F o t o s: c h r i s t i a n g r u n d Ein Team von Spezialisten Barbara Lehmann leitet das Archiv von Cassina. Hier werden alle Möbel der Klas sikerkollektion „I Maestri“ hergestellt. Vor den Hallen lagert das Holz ab, drinnen sind die Handwerker um geben von vorgefertigten Holzelementen, Stahlrohr rahmen und Prototypen. 122 Häus e r 2014 N° 3 N° 3 2014 Häus e r 123 Report D ie tarnung ist perfekt. Weder große Schilder noch Leuchtbuch staben verraten die Bestimmung des Gebäudes, wie es in jedem an deren Industriegebiet auch zu finden wäre. Was sich im Inneren des schmucklosen Baus befindet, ist jedoch keineswegs ein gewöhnliches Lager und erst recht keine austauschbare Produktion. Es ist die Holz werkstatt von Cassina, in der zwischen Kreissägen, Schleifmaschinen und Hobel bänken gleich mehrere der berühmtesten Designikonen hergestellt werden. „Auch wir sind jedes Mal aufgeregt, wenn wir hierherkommen“, sagt Barbara Lehmann, Leiterin des historischen Archivs von Cassina. Es duftet nach Holz in der Halle, die mit gläsernen Wänden und Kunststoffvorhängen in einzelne Zonen für Zuschnitt, Schliff und Montage gegliedert ist. Immer wieder zischen und heulen die Maschinen auf, deren Klänge sich zu einem Rauschen überlagern. Die Halle lebt. Sie steppt im Rhythmus der Maschinen und des Summens der Absauganlage, die den Spänen Einhalt gebietet. Gekrümelt wird hier nicht, am Hofe des Designs. Zwischen Arbeitstischen und Rollwagen ragen sie dann hervor: Preziosen aus Holz, teils fertig, teils noch im Werden. Ganz gleich, ob die gestapelten Lehnen von Charles Rennie Mackintoshs „Hill House 1 Chair“ (1902) oder die gebündelten Füße von Mario Bellinis „La Rotonda“-Tisch (1976): Selbst in ihren Einzelteilen sind die Klassiker auf Anhieb zu erkennen und verwandeln den Rundgang in ein Designquiz. Vorbei an einer Gruppe von Wrights „Barrel Chairs“ (1937), der Kö nigsklasse auf dem Gebiet der Holzverarbeitung, öffnet sich ein Tor zur Laderampe. Und dann geht alles ganz schnell: Ein Gabelstapler saust hupend mit einer Palette voller „Zig Zag“-Stühle vorbei, die alsbald im Heck des Lastwagens verschwinden. Das Besondere der Möbel steckt oft dort, wo es niemand vermutet: in den Ver bindungen der Bauteile, die wie dreidimensionale Puzzlestücke ineinandergreifen. Die mit Nut und Feder besetzten Segmente bieten mehr als funktionale Lösungen, die allein den Gesetzen der Statik gehorchen. Sie zeigen eine Raffinesse, die den Ikonen ebenbürtig ist. „Jedes Möbel besitzt einen Vater und eine Mutter. Die Väter Holzg e r uch u n d säg e s pän e 124 Charmantes Chaos Häus e r 2014 N° 3 N° 3 2014 Häus e r Linke Seite: ein Stapel „ Pilotta Chairs“ von Rodolfo Dordoni. Verbindungsele mente von Rietvelds „ Zig Zag Chair“ (193 4) werden verleimt. In der Näherei e rh alten die Stoff- und L ederbezüge ihre passge naue Form. Oben: Tischler Felice mit seinem Kollegen Giorgio, der seit 24 Jahren an den Maschinen arbeitet. Wahres Meisterstück Der „Hill House 1 Chair“ (1902) von Charles Rennie Mackintosh erfordert höchste Präzision in der Holzverarbeitung. 125 Report Verborgene Qualitäten Ein „LC2“-Sofa (1928) wird ger ichtet. „Barrel Chairs“ (1937) von Frank Lloyd Wright warten auf ihre Voll endung. Die komplexen Verbindungen des Tisches „La Rotonda“ (1976) von Mario Bellini werden später unsichtbar sein. Farbstriche markieren Defekte in den Lederhäuten. T ischler C laudio hat einen „ Zig Zag“-Stuhl verleimt. Auf Zack Gerrit Rietvelds „ Zig Zag Chair“ von 193 4. „Die Nachfrage ist in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen“, sagt Gianluca Armento, Brand Director von Cassina. 126 station e n e i n e r man u faktu r sind sicherlich die Designer. Doch die Mütter, das sind die Meister unserer Holz werkstatt“, sagt Barbara Lehmann. Trotz des Einsatzes von Maschinen wird noch immer viel von Hand gearbeitet – und nicht zuletzt nach Augenmaß entschieden. Fast fünf Minuten lang sucht ein Arbeiter in einer großen Pappkiste nach dem pas senden Bauteil, um genau den richtigen Farbton des Holzes zu finden, das einen unfertigen „Barrel Chair“ vollendet. M it gewöhnlichen dingen wollte sich cesare cassina nie zufriedengeben. Die Fabrik, die er 1927 in Meda im Nordosten von Mailand gegründet hatte, begann zunächst mit der Produktion von Holztischen. In den dreißiger Jahren kamen Sofas und Sessel hinzu, die noch rein handwerklich hergestellt wurden. Der Sprung ins Industrielle erfolgte in den fünfziger Jahren, als nicht nur die Fertigung auf Maschinen umgestellt wurde. Als eines der ersten Unternehmen in Italien ließ Cassina seine Möbel nicht mehr von Schreinern ent werfen, sondern holte stattdessen Architekten ins Boot. Dieser Schritt markierte einerseits die Geburtsstunde des italienischen Designs. Er war andererseits ein k luger unternehmerischer Schachzug. Schließlich haben die Architekten ihre Möbel sogleich für die Ausstattung ihrer eigenen Projekte verwendet – lange bevor der Begriff „Contract“ dafür gefunden wurde. So ließ Gio Ponti 1951 den Trans atlantik-Dampfer „Andrea Doria“ mit seinen Cassina-Entwürfen möblieren und verwandelte ihn in einen schwimmenden Showroom auf der Route nach New York. Den Sprung in diesen Olymp der Klassiker verdankte Cassina einem Freund und Rivalen gleichermaßen: Gino Gavina, Chef des Möbelherstellers Gavina, der zu Be ginn der sechziger Jahre die Möbel Marcel Breuers wieder in Produktion nahm und damit die Kultur der Reeditionen etablierte (siehe häuser 2/14). Weil Gavinas Werkstätten zu handwerklich arbeiteten für die Stahlrohrmöbel Le Corbusiers, schlug er Cesare Cassina den Erwerb der Rechte vor. Als die Produktion der Möbel 1965 begann, wurde das Fundament für die „I Maestri“-Kollektion gelegt, zu der Häus e r 2014 N° 3 N° 3 2014 Häus e r 127 Report Perfekte Hölzer Der „Barrel Chair“ (1937) von Frank Lloyd Wright in markantem rötlichem Kirschholz. Die Kollektion des amerikanischen A rchitekten soll in den nächsten Jahren weiter a usgebaut werden. heute ebenso die Arbeiten von Charlotte Perriand, Gerrit Rietveld, Charles Rennie Mackintosh, Frank Lloyd Wright, Gunnar Asplund und Franco Albini gehören. „Wir arbeiten bei jedem Meister mit den Erben oder der offiziellen Stiftung zu sammen. Nichts wird ohne ihre Zustimmung entschieden“, betont Gianluca Armento, Cassinas Brand Director. Werden die Holzarbeiten aufgrund ihres höheren Zeitauf wandes auch auf Lager produziert, erfolgt die Herstellung der Polstermöbel nur auf Bestellung. Knapp fünf Minuten Autofahrt trennen die Holzwerkstatt von jenem weißen Gebäude, in dem die Sofa- und Sesselproduktion der fünfziger Jahre begon nen hatte und Cesare Cassina mit seiner Familie die erste Etage bewohnt hatte. V Mensch und Maschine Ohne Dickenhobel und Kreissäge geht es nicht. Tischler Andrea gibt ier bis fünf wochen vergehen von der Order bis zur Auslieferung. Pro duziert wird nicht am Fließband, sondern in kleinen Workshops, die die lichtdurchflutete Halle in Inseln untergliedern. Jede Insel ist einem Produkt gewidmet – darunter auch jüngeren Cassina-Modellen, etwa Vico Magistrettis „Maralunga“-Sofa (1973) oder Philippe Starcks Sitzprogramm „Privé“ (2007). „Die Montage erfolgt wie in einer Bottega aus der Zeit der Renaissance – an einem Ort von einer Person“, erklärt Barbara Lehmann. Über den Inseln hängen rote Schilder mit den Namen der Produkte und markieren so deren angestammtes Territorium. Auch hier liegt der Charme im Unscheinbaren. Wer nicht genau hinsieht, könnte die in Papier eingeschlagenen Rahmen der Le-Corbusier-Möbel beinah übersehen, die ihr chromglänzendes Gewand nur an wenigen Stellen preisgeben. Wie es sich für echte Persönlichkeiten gehört, besitzen die Cassina-Produkte nicht nur einen Namen, sondern ebenso einen eigenen Pass. Die Zettel begleiten ein Möbel durch den gesamten Produktionsablauf und geben Auskunft, was es ist, wem es gehört und wohin es geliefert werden soll. Sind die Produkte fertig mon tiert, genießen sie ihren ersten großen Auftritt: Auf einem Rollband, das die ge samte Halle wie ein Laufsteg durchspannt, ziehen sie schließlich hinaus in die Welt – umhüllt von einem unscheinbaren Pappkarton. dem Rahmen eines „Barrel Freisteller: Cassina (3) Chair“ den letzten Schliff. Vom Fu r n i e r bis zum Mass ivholz 128 Häus e r 2014 N° 3