Orale Antidiabetika - Österreichische Ärztezeitung

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Orale Antidiabetika - Österreichische Ärztezeitung
Orale
Antidiabetika
Während in den 1980er Jahren nur ungereinigte
Insulinpräparate, Biguanide und altmodische
Sulfonylharnstoffe als orale Antidiabetika verfügbar
waren, hat sich das Spektrum beträchtlich
erweitert. Es folgten die Resorptionshemmer,
Glitazone, Gliptine sowie GLP-1-Rezeptor-Agonisten.
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Von Guntram Schernthaner*
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› österreichische ärztezeitung ‹ 11 ›
10. Juni 2008
Angriffspunkt der antidiabetischen Therapie
Verbrauch oraler Antidiabetika in Europa
Abb. 1
R
und fünf Prozent der Weltbevölkerung leiden an Diabetes
mellitus Typ 2. In den letzten
20 Jahren hat sich die Prävalenz weltweit verdoppelt, wobei die größten
Zuwachsraten in den Ländern der
sogenannten Dritten Welt wie China
und Japan zu verzeichnen sind. Die
enorme Zunahme des Typ 2-Diabetes ist vorwiegend auf die fettreiche
Überernährung, das Übergewicht
und mangelnde körperliche Aktivität
zurückzuführen. Auch in Österreich
dürften die Lebensstil-Unterschiede
für den ausgeprägten West-Ostgradienten verantwortlich sein. So findet
man in Wien, Niederösterreich und
Burgenland den Typ 2-Diabetes ungefähr doppelt so häufig wie in den
westlichen Bundesländern Tirol und
Salzburg. Da die diabetische Nephropathie einen Hauptverursacher für die
Hämodialyse darstellt, ist der Bedarf
in Hämodialyse-Plätzen in verschiedenen Regionen Österreichs entsprechend der Diabetes-Prävalenz sehr unterschiedlich.
Im Gegensatz zum Typ 1-Diabetes stellt der Typ 2-Diabetes eine sehr
komplexe
Stoffwechselerkrankung
dar, wobei neben der Hyperglykämie
auch die diabetische Dyslipämie, die
chronisch vaskuläre Inflammation,
die Hyperaktivierung der Plättchen
und der präthrombotische Zustand
wesentlich an der Entwicklung der
häufig auftretenden kardiovaskulären
Komplikationen beteiligt sein dürften.
Die langjährige klinische Erfahrung
und rezente Studien belegen, dass die
Optimierung des HbA1c nur eine
Teilkomponente des komplexen Inter-
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ventions-Programmes darstellen kann,
um das Risiko für einen Typ 2-Diabetes zu senken.
Stoffwechseldefekte
Die antidiabetische Behandlung
des Typ 2-Diabetes ist insofern relativ
schwierig, da bei einem Großteil der
Patienten gleichzeitig eine Insulinresistenz und ein relativer Insulinmangel
vorliegen. Während im Initialstadium
der zumeist übergewichtigen Patienten
die Insulinresistenz überwiegt und
die Insulinsekretion noch relativ gut
ist, kommt es im weiteren Verlauf des
Krankheitsprozesses zu einem kontinuierlichen Rückgang der für das Ausmaß der Insulinresistenz ausreichenden
Insulinsekretion.
Initial dürfte der viszeralen Adipositas im Krankheitsprozess eine beachtliche Bedeutung zukommen. In
prospektiven Studien konnte gezeigt
werden, dass die vermehrte Freisetzung von inflammatorischen Proteinen aus dem viszeralen Fettgewebe für
die Prädiktion einer späteren Diabeteseinstellung eine große Bedeutung hat.
Die Hyperglykämie beim Typ 2-Diabetes resultiert aus verschiedenen Störungen: (Abb. 1)
a) die Insulinresistenz in der Muskulatur bewirkt eine verminderte
Glukoseutilisation;
b) die besonders auf Kohlenhydratzufuhr völlig unzureichende Insulinsekretion führt schon in der
Frühphase des Typ 2-Diabetes
zum überhöhten postprandialen
Blutzuckersanstieg;
c) die im weiteren Krankheitsverlauf
10. Juni 2008
Abb. 2
immer mehr zunehmende hepatische Glukoseproduktion resultiert
in einem steigenden Nüchternblutzucker. Aufgrund der sehr verschiedenen Defekte beim Typ 2-Diabetes ist es daher leicht verständlich,
dass eine einzige Therapiemaßnahme, die vorwiegend nur einen Defekt zu korrigieren vermag, so gut
wie niemals im Stande sein kann,
eine weitgehende Normoglykämie
herbeizuführen. Abb. 1 zeigt die
Angriffspunkte der sehr unterschiedlich wirkenden oralen Antidiabetika. Aufgrund der sehr differenten Effekte ist verständlich,
dass in den meisten Fällen nur eine
Kombinationstherapie mit verschiedenen Substanzklassen in der Lage
ist, die HbA1c Zielwerte von <7%
zu errreichen.
Alte und bewährte
antidiabetische Medikamente
Sulfonylharnstoffe und Biguanide
sind orale Antidiabetika, die seit mehr
als 50 Jahren im Einsatz sind und beide Medikamente werden auch heute
noch am meisten verschrieben (Abb.
2). Während vor 30 Jahren nur ungereinigte Insulinpräparate, Biguanide
und altmodische Sulfonylharnstoffe
für die antidiabetische Therapie zur
Verfügung standen, hat sich das Spektrum der antidiabetischen Substanzklassen in den letzten Jahren beträchtlich erweitert. Diese Entwicklung ist
vor allem auf zwei Ursachen zurückzuführen:
a) Frühere Interventionsstudien wie
UGDP und UKPDS haben für
die Therapie mit Sulfonylharn- :
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Nebenwirkung Hypoglykämie bei
der Therapie mit Sulfonylharnstoffen
: stoffen und Insulinen keine Risiko senkung für Herzinfarkt und
Schlaganfall erbracht.
b) Eine Monotherapie mit nur einer anti diabetischen Substanzklasse ist nur
kurzfristig in der Lage, eine ausreichen de Diabeteskontrolle herbeizuführen.
Alle im Jahr 2008 verfügbaren
antidia­betischen Medikamente sind in
Tab. 1 zusammengefasst. Nach Sulfonylharnstoffen und Metformin kamen
in den 1980er und 1990er Jahren Resorptionshemmer (Acarbose, Miglitol)
in den Handel. Später kam es zur Markteinführung der Glitazone (Pioglitazon,
Rosiglitazon) und 2000 schließlich zur
Einführung von Gliptinen (DPP 4-Inhibitoren) sowie von GLP-1-RezeptorAgonisten (Inkretin-Mimetika).
Metformin
Während man in den 1980er Jahren aufgrund der damals beschriebenen
Laktatazidosen davon ausgegangen ist,
dass Biguanide komplett aus der Therapie verschwinden werden, hat das einzig
überlebende Biguanidpräparat Metformin eine in der Pharmakotherapie des
Menschen einzigartige Renaissance erfahren. In allen Leitlinien der US-amerikanischen, europäischen und internationalen Diabetesgesellschaften wird
heute Metformin als Medikament der
ersten Wahl bei nahezu allen Patienten
mit Typ 2-Diabetes angesehen. Dies
gilt neuerdings auch für nicht übergewichtige Patienten mit Typ 2-Diabetes,
an denen – in allerdings relativ kleinen
Studien – ein ähnlich günstiger Effekt
wie bei übergewichtigen Patienten mit
Typ 2-Diabetes beobachtet wurde. Die
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Antiatherogene Effekte von Glitazonen
Abb. 4
Abb. 3
HbA1c-Senkung unter Metformin
beträgt ungefähr 1,5% in den ersten
Krankheitsjahren. Die Hauptwirkung
von Metformin liegt in der Senkung der
hepatischen Glukoseproduktion, zusätzlich verbessert es auch die periphere
Glukoseutilisation. Der Haupteffekt
von Metformin liegt in der Nüchternblutzuckersenkung. Der Einfluss auf die
diabetische Dyslipämie ist – gemessen
am wichtigen Quotienten aus Gesamtcholesterin und HDL-Cholesterin – mit
Pioglitazon vergleichbar. Ein besonderer
Vorteil von Metformin ist der günstige
Effekt auf die Gewichtsentwicklung.
Patienten nehmen nach einem Jahr ungefähr zwei Kilogramm ab, wobei vermutet wird, dass dieser Effekt zumindest
teilweise auf eine Erhöhung von GLP-1
zurückzuführen sein dürfte.
In einer Subgruppe der UKPDSStudie wurde bei den mit Metformin
behandelten Patienten (n= 342) eine
signifikante Senkung von Herzinfarkt,
Schlaganfall und Gesamtmortalität
gegenüber der konventionellen Therapiegruppe beob­achtet, während Insulin und Sulfonylharnstoffe bei gleicher
HbA1c-Senkung das kardiovaskuläre
Risiko nicht reduzierten. Metformin ist
kontraindiziert bei einem Serumkreatinin über 1,4mg%. Bei radiologischen
Untersuchungen mit Kontrastmittelgabe muss zwei Tage vor der Untersuchung
pausiert werden.
Glitazone
Glitazone sind eine Substanzklasse,
die in erster Linie auf Rezeptoren im
Fettgewebe wirken und auch die Insulinresistenz signifikant senken. Glitazone
senken auch den systolischen Blutdruck
um rund. 3mm Hg und haben ein
breites Spektrum an antiaatherogen Effekten (Abb. 3), die für die Senkung von
makrovaskulären Komplikationen :
Substanzklassen zur antidiabetischen
Therapie bei Patienten mit Typ 2 Diabetes mellitus
Substanzklasse
Positive Endpunktstudie: Reduktion
von Tod, Herzinfarkt & Schlaganfall
Biguanide (Metformin, Buformin*, Phenformin*)
Metformin: ja
Sulfonylharnstoffe (Glibenclamid, Glimepirid, Gliclazid)
nein
Glinide (Repaglinide, Nateglinide
nein
Resorptionshemmer (Acarbose, Miglitol, Voglibose)
nein
Glitazone (Troglitazon *, Pioglitazon, Rosiglitazon)
Pioglitazon:ja
Glitazare* (Muraglitazar)
negativ
Gliptine – DPP4 Inhibitoren (Sitagliptin, Vildagliptin)
nein
GLP-1 Analoga (Exenatide, Liraglutide, Exenatide LAR)
nein
Insuline
nein
Insulin-Analoga
nein
Proinsulin*
negativ
* Wegen kardiovaskulärer Risikoerhöhung oder toxischen Nebenwirkungen aus dem Handel
gezogen
Tab. 1
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: relevant sein könnten. Eine günstige
Beeinflussung des kardiovaskulären Risikos konnte allerdings nur in der Sekundärpräventionsstudie mit Pioglitazon (PROactive) nachgewiesen werden.
Dabei konnte bei Patienten mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder chronischer
Niereninsuffizienz eine signifikante
Senkung eines Sekundärereignisses im
Ausmaß von 25 bis 48 Prozent erreicht
werden konnte. Patienten mit peripherer arterieller Verschlußkrankheit
(PaVK) zeigten hingegen keinen Benefit unter der Therapie mit Pioglitazon.
Irritierend sind einige Metaanalysen,
die für Rosiglitazon ein erhöhtes Risiko für koronare Herzkrankheit beziehungsweise Mortalität unterstellen.
Aus diesem Grund empfiehlt daher
die EMEA (zentrale europäische Zulassungsbehörde) Rosiglitazon bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit,
akutem Koronarsyndrom und PaVK
nicht mehr zu verwenden. Beide Glitazone führen zur Wasserretension und
zur Gewichtszunahme, so dass sie bei
Patienten mit bestehender Herzinsuffizienz nicht zum Einsatz kommen
dürfen. Auch ein erhöhtes Risiko für
periphere Knochenfrakturen wurde für
beide Substanzen nachgewiesen.
Sulfonylharnstoffe
und Glinide
Sulfonylharnstoffe und Glinide steigern die Glukose-induzierte Insulinfreisetzung aus den Betazellen des endokrinen Pankreas. Da es bei nahezu allen
Patienten mit Typ-2 Diabetes aufgrund
des Betazellverlustes zu einem kontinuierlichen Rückgang der Insulinsekretion
kommt, sind Medikamente, welche die
Insulinsekretion erhöhen, in den meisten Fällen notwendig. Prinzipiell muss
man zwischen Medikamenten unterscheiden, die glukoseunabhängig oder
glukoseabhängig die Insulinsekretion
steigern. Sulfonylharnstoffe und Glinide
gehören zur ersteren Gruppe.
Sulfonylharnstoffe werden seit vielen
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Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt. An
Nebenwirkungen sind vor allem Hypoglykämien sowie Gewichtszunahme zu
nennen. Modernere Sulfonylharnstoffe
wie Glimepirid und besonders Gliclazide
induzieren wesentlich seltener Hypoglykämien als das früher häufig verwendete
Glibenclamid. Glimepirid und Gliclazid
MR haben eine sehr lange Halbwertzeit
und müssen nur einmal pro Tag verabreicht werden. Aufgrund einer randomisierten prospektiven Vergleichstudie
ist evident, dass Gliclazid viel seltener
Hypoglykämien induziert als Glimepirid. Repaglinide muss zu jeder Mahlzeit
eingenommen werden, da die Insulinsekretion zwar rascher einsetzt, aber auch
wesentlich kürzer anhält.
Gliptine (DPP-4 Inhibitoren)
Seit kurzem steht eine neue Substanzklasse von Insulin-Sekretagoga zur
Verfügung, die eine glukoseabhängige
Steigerung der Insulinsekretion bewirken, wobei hier das physiologische
Inkretinsystem genützt wird. Bei Gesunden erfolgt bei intestinaler Glukoseaufnahme eine Ausschüttung von
verschiedenen Entero-Hormonen wie
zum Beispiel von GLP-1 (Glukagonlike peptide 1), wodurch eine Erhöhung
der Insulinsekretion ausgelöst wird. Bei
Patienten mit Typ-2 Diabetes ist die
GLP-1 Freisetzung nach oraler Glukosezufuhr signifikant vermindert. Die
seit kurzem verfügbaren Medikamente
Sitagliptin und Vildagliptin hemmen
den raschen physiologischen Abbau von
GLP-1 durch die Dipeptidyl Peptidase
4 (DPP-4). Der Vorteil der Gliptine im
Vergleich zu den Sulfonylharnstoffen
liegt darin, dass die Insulinausschüttung
glukoseabhängig erfolgt, das heißt dass
die Wirkung bei niedrigen Blutzuckerwerten sistiert. Im Gegensatz zu Sulfonylharnstoffen kommt es unter Gliptinen auch nicht zur Gewichtszunahme.
Als nachteilig kann die bisher sehr kurze
Erfahrung mit dieser Substanzklasse sowie der wesentlich höhere Preis im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen genannt
werden. Gliptine sind zugelassen für die
Kombinationstherapie mit Metformin,
Glitazonen und Sulfonylharnstoffen.
Gliptine wirken besonders günstig in
der Kombination mit Metformin, da
Metformin GLP-1 erhöht und DPP4-Inhibitoren den raschen Abbau von
GLP-1 hemmen.
Resorptionshemmer
Patienten mit Typ-2 Diabetes zeigen
nach der Nahrungszufuhr einen wesentlich höheren Blutzuckeranstieg als nichtdiabetische Patienten. Mit der Einführung der Resorptionshemmer (Acarbose,
Miglitol, Voglibose) hat man bezweckt,
diesen postprandialen Blutzuckeranstieg
zu reduzieren. Da die Resorptionshemmer vorwiegend den postprandialen
Blutzucker senken, ist deren Einsatz
vor allem im Frühstadium des Typ-2
Diabetes zweckmäßig. Resorptionshemmer senken das HbA1c weniger stark als
Glitazone, Sulfonylharnstoffe oder Metformin; der HbA1c senkende Effekt ist
vergleichbar mit jenen der Gliptine. An
häufigen Nebenwirkungen sind Meteorismus, Flatulenz und Blähungen hervorzuheben. Schwerwiegende Nebenwirkungen sind unter Resorptionshemmern
nicht beobachtet worden. Aufgrund der
sehr kohlenhydratreichen Ernährung in
China und Japan werden in diesen Ländern die Resorptionshemmer Acarbose
und Voglibose sehr gerne eingesetzt und
stellen dort die führende antidiabetische
Medikamentenklasse dar. In den europäischen Ländern und in den USA hingegen werden diese Substanzen heute
nur mehr relativ selten verwendet. 
Literatur beim Verfasser
*) Univ. Prof. Dr. Guntram Schernthaner,
Krankenanstalt Rudolfstiftung/ 1. Medizinische
Abteilung, Juchgasse 25, 1030 Wien;
Tel. 01/711 65
E-Mail: guntram.schernthaner@wienkav.at
Im Übersichtsartikel „Insulin“, der in einer
der nächsten Ausgaben der ÖÄZ erscheint,
werden die Leitlinien der österreichischen
Diabetesgesellschaft veröffentlicht.
› österreichische ärztezeitung ‹ 11 ›
10. Juni 2008