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KARL HOFER Von Lebensspuk und stiller Schönheit Herausgegeben von Katharina Henkel WIENAND Leihgeber Unser herzlicher Dank geht an die folgenden Museen, privaten Sammler und Galerien für ihre großzügige Unterstützung dieser Ausstellung mit Leihgaben: Freiburg Städtische Museen Freiburg, Museum für Neue Kunst: Dr. Tilmann von Stockhausen, Isabel Herda, Marita Mayer Berlin Berlinische Galerie – Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur: Dr. Thomas Köhler, Dr. Heinz Stahlhut, Annemarie Seyda, Christian Tagger Gelsenkirchen Kunstmuseum Gelsenkirchen: Leane Schäfer, Reinhard Hellrung Bielefeld Kunsthalle Bielefeld: Dr. Friedrich Meschede, Dr. Jutta Hülsewig-Johnen, David Riedel Chemnitz Kunstsammlungen Chemnitz: Ingrid Mössinger, Norbert Ludwig, Tatjana Fischer Dresden Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden: Prof. Dr. Dirk Syndram, Prof. Dr. Ulrich Bischoff, Dr. Birgit Dalbajewa, Katrin Bäsig, Gisela Mehnert Düren Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren: Dr. Renate Goldmann, Markus Mascher, Dr. Tina Roßbroich Düsseldorf Galerie Ludorff: Rainer M. Ludorff, Sophie von Scheel Essen Museum Folkwang: Dr. Hartwig Fischer, Susanne Brüning 10 Inhalt Ettlingen Museum Ettlingen: Daniela Maier Hamburg Hamburger Kunsthalle: Prof. Dr. Hubertus Gaßner, Dr. Ulrich Luckhardt, Meike Wenck, Ursula Trieloff Krümmer fine art: Dr. Renate Krümmer Karlsruhe Staatliche Kunsthalle Karlsruhe: Prof. Dr. Pia Müller-Tamm, Dr. Dorit Schäfer, Angela Vollmer, Ulrich Thiesies, Katharina Sennewald Schleswig Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf: Prof. Dr. Claus von CarnapBornheim, Dr. Jürgen Fitschen, Dr. Margret Schütte, Karen Nissen, Jutta Carstens Stuttgart Staatsgalerie Stuttgart: Sean Rainbird, Dr. Ina Conzen, Peter Frei, Ilona Lütken Wien ALBERTINA: Dr. Klaus Albrecht Schröder, Sonja Eiböck, Dr. Ingrid Kastel, Peter Ertl und Albertina – Sammlung Forberg: Mathias Forberg Belvedere: Dr. Agnes HussleinArco, Mag. Harald Krejci, Mag. Nikolaus Keusch, Mag. Johannes Stoll Wiesbaden Frank Brabant Köln VAN HAM Kunstauktionen: Dr. Markus Eisenbeis, Kristina Echterling Linz LENTOS Kunstmuseum Linz: Stella Rollig, Dr. Elisabeth NowakThaller, Mag. Klaus Scheuringer Ludwigshafen am Rhein Wilhelm-Hack-Museum: Dr. Reinhard Spieler, Dr. Nina Gülicher, Herbert Nolden Lübeck die LÜBECKER MUSEEN, Museum Behnhaus Drägerhaus: Dr. Alexander Bastek München Galerie Thomas: Raimund Thomas, Giannina Spargnapani Hartwig Garnerus Winterthur Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten: Dr. Peter Wegmann, Matthias Wohlgemuth Stiftung Menschenbild: Olaf Ossmann Wuppertal Von der Heydt-Museum: Dr. Gerhard Finckh, Brigitte Müller sowie den privaten Leihgebern, die ungenannt bleiben möchten. Vorwort Frank Schmidt 12 Biografie Karl Hofer Christina Grevenbrock 16 Vorahnung von Kommendem? Zum Verhältnis von Kunst und Politik in Karl Hofers Werk Lena Nievers 30 Weder geselliges Vergnügen, noch munteres Gespräch … Katharina Henkel 42 Harlekine, Pierrots und Maskeraden bei Karl Hofer Katharina Henkel 54 Karl Hofer in der Debatte um Figuration und Abstraktion zu Beginn der Fünfzigerjahre Sabine Schlenker 68 Zwischen Fest, Rausch und Wahn: Bilder des Kontrollverlusts Christina Grevenbrock 78 Vom ›heilig Nüchternen‹. Hofers Figurenauffassung am Beispiel der Aktdarstellungen Frank Schmidt 92 Karl Hofers Mädchen mit Blumen Karl-Heinz Weis 114 »Er malt die Stille«. Lesende und Sinnende im Werk Karl Hofers Henrike Holsing 128 Variation und Wiederholung. Die Bildmotive Junge mit Ball und Mädchen mit Schallplatte im Werk Karl Hofers Daniela Maier 138 Verhaltener Tanz und in sich gekehrtes Spiel. Karl Hofers Tiller Girls und seine Variationen der Mädchen mit Laute Sabine Schlenker 148 Gemalt, übermalt, verworfen, zerstört und neu gemalt. Anmerkungen zur Materialverwendung und Maltechnik im Werk von Karl Hofer Sigrid Pfandlbauer 164 Anhang 172 Vorwort »Liebe Nazis! Mit euren literarischen Stinkbomben Eine monografische Ausstellung zum Werk des ge- wie undurchdringbar. So bewahren die Werke ihren stellt waren. Insbesondere den privaten Leihgebern ist das nicht so einfach wie mit den richtigen. Stinken- bürtigen Karlsruhers ist längst überfällig. Die letzte rätselhaften Charakter. Die Ausstellung Karl Hofer. danken wir deshalb herzlich, sich für die Dauer der de Lügen kann man wenigstens als solche entlarven.« Museumsausstellung 2004 im Museum der Bilden- Von Lebensspuk und stiller Schönheit bietet nun Ausstellung von ihren Schätzen getrennt zu haben. Karl Hofer musste sich im Gegensatz zu manchen sei- den Künste Leipzig stellte Hofer dem Stuttgarter Willi seit langem wieder die Gelegenheit, in die Bildwelt Die Autoren haben die nicht immer leicht zu fas- ner Malerkollegen nicht den Vorwurf gefallen lassen, Baumeister gegenüber und rückte so einmal mehr Hofers einzutauchen, sich von ihr faszinieren und senden Arbeiten nach formalen, motivischen, biogra- seiner Abneigung gegenüber den kommenden politi- den Streit zwischen Abstraktion und Gegenständlich- zugleich irritieren zu lassen und diesen eigenwilligen fischen und zeitgeschichtlichen Bezügen befragt. Ihnen schen Machthabern nicht Luft gemacht zu haben. In keit in den Fokus. Eine umfassendere monografische Künstler kennen zu lernen. Dabei ergeben sich dem danke ich für die kenntnisreichen Beiträge, die neue Einblicke in das Werk ermöglichen. dem oben zitierten »Brief« (»Blutsprobe«, 17. Januar Ausstellung fand 1991 auf Schloss Cappenberg statt. aufmerksamen Betrachter zahlreiche Bezüge zur 1931, erschienen in Das Tagebuch) reagiert er auf einen Die Kunsthalle Emden hat es sich nun zur Aufgabe Biografie und Zeitgeschichte, die auch in einigen der Das Ausstellungskonzept findet eine Entsprechung in der NSDAP -Zeitung Angriff publizierten Artikel, gemacht, eine Auswahl von rund 75 Gemälden und begleitenden Aufsätze in diesem Katalog anklingen. in der stimmigen und äußerst gelungenen Gestaltung der die Unterwanderung der Preußischen Akademie Papierarbeiten zu versammeln und dabei den Künst- Katharina Henkel hat aus dem umfangreichen des Katalogs, die in den kompetenten Händen von durch Juden anprangerte. Es ist daher wenig verwun- ler weniger in Abgrenzung zu seinen Zeitgenossen, Œuvre eine konzentrierte Auswahl von herausragenden Christine Sieber lag. Zuvor wurden die Texte umsichtig derlich, dass Hofer mit einem Ausstellungsverbot sondern aus seinem eigenen Werk heraus zu verstehen. Werken getroffen, die es erlaubt, Hofers Gedanken von Anja Hellhammer lektoriert. Beiden danke ich für belegt wurde und er mit seinen Werken 1937 in der Der Ausstellungsbesuch verspricht eine Reise durch und seinem Malereiverständnis anhand von typischen die konstruktive und erneut sehr angenehme Zu- so genannten Ausstellung Entartete[r] Kunst in die verschiedenen Entwicklungsstadien und damit Motivgruppen nachzuspüren. Der von ihr gewählte sammenarbeit. Dem Wienand Verlag danke ich, dass München vertreten war. Nach dem Krieg beförderte verbundenen Orte, von den Anfängen in Karlsruhe neue Ansatz ermöglicht einen ungewohnten Blick auf das Buch trotz engem Zeitplan in gewohnter Qualität seine Standhaftigkeit die Ernennung zum Direktor über Italien, Frankreich und Indien bis nach Berlin. das Werk Karl Hofers. Neben der Ausstellungskon- vorliegt. und ab 1947 zum Präsidenten der Hochschule der Den Besucher erwartet allerdings keine chronolo- zeption lag auch die begleitende Publikation in ihren Ausstellungsbesucher und Leser des Katalogs Künste in Berlin. Erneut machte Hofer seine Ansich- gische Abfolge. Vielmehr werden die Werke nach Händen. Unterstützung hatte sie durch Christina dürfen sich auf einen faszinierenden Künstler freuen, ten öffentlich und sprach sich vehement gegen die Themen und Motiven gruppiert, mit denen sich Hofer Grevenbrock, die sich mit großem Engagement auch dessen Werke in ihrer Frische, ihrer überraschenden abstrakten Tendenzen der Nachkriegszeit aus. Dafür über die Jahre immer wieder beschäftigt hat: voran inhaltlich eingebracht hat. Mein Dank gilt des Weiteren Farbigkeit und malerischen Qualität nach wie vor be- erntete er nun harsche Kritik und wurde als unbe- die Frauenakte, die Lesenden, Musizierenden, die dem gesamten Team, das die Ausstellung in bewähr- geistern. Ihnen wünsche ich eine anregende Beschäf- lehrbar Gestriger gesehen, der die neue Zeit und de- Jungen mit Ball und Mädchen mit Blumen sowie die ter Umsichtigkeit und mit gewohntem Einsatz rea- tigung mit einem der wichtigen deutschen Künstler ren Kunst nicht erkennen wollte. »Karl Hofer«, so Will Maskeraden und Zirkusdarstellungen. Die Ausstellung lisiert hat. des 20. Jahrhunderts. Grohmann am 18. Februar 1955 im Tagesspiegel, präsentiert unterschiedliche Versionen eines Motivs, Die privaten wie öffentlichen Leihgeber ließen sich »gehört zu den Künstlern, die nur sich und ihre Arbeit um so Entwicklungen nachvollziehbar zu machen. gerne von der Idee begeistern, Karl Hofer in Emden sehen und von der Kunst des 20. Jahrhunderts bei- Fasziniert verfolgt man die teils umfassenden stilis- zu präsentieren. So ist es gelungen, zahlreiche Werke tischen, farblichen und formalen Änderungen inner- zusammen zu tragen, die noch nie öffentlich ausge- nahe gar nichts gelten lassen.« 12 Häufig straft die Kunstkritik derartige, sich schein- halb eines kompositorisch nahezu identischen Motivs. bar gegen Fortschritt und Neuerungen stellende Künst- Wie bei wohl keinem anderen Künstler seiner Gene- ler mit Ablehnung oder Nichtbeachtung. Auch hat ration sehen wir Hofer dabei zu, wie er nach immer Hofers Festhalten am Figurenbild nicht eben dazu bei- neuen Lösungen für eine Bildaufgabe sucht und da- getragen, ihn in der Aufbruchszeit nach 1945 näher bei zu malerisch überzeugenden Resultaten findet. zu berücksichtigen. Die Bedeutung Hofers mag man Die Ausstellung konzentriert sich konsequent auf allerdings daraus ersehen, dass sein Werk zu keiner die Darstellung des Menschen, dem, noch vor der Zeit ganz verschwunden war und dass Bilder in den Landschaft und dem Stillleben, Hofers Hauptinte- Sammlungspräsentationen großer Museen vertreten resse galt. Die Figuren sind von einer stillen, spröden sind. Auch die Kunsthalle Emden besitzt mit den 1996 Schönheit, wenn sie verharrend ihren Gedanken nach- erworbenen Tiller Girls (S. 146) eine wichtige Arbeit, hängen. Hofers hermetische Bildwelt ist zunächst die den im Haus vorhandenen Bestand an Werken nicht leicht zu entschlüsseln. Die Figuren und ihre der Neuen Sachlichkeit wunderbar ergänzt. spärlichen Attribute erscheinen zugleich anrührend Frank Schmidt Wissenschaftlicher Direktor 13 »Der Narr von Berchtesgaden hatte wie sein Vorgänger von Gottesgnaden der Welt den Krieg erklärt...« Alarm | 1945 Vom ›heilig Nüchternen‹ Frank Schmidt Hofers Figurenauffassung am Beispiel der Aktdarstellungen 92 Die große Leistung Karl Hofers liegt zweifelsohne im Figurenbild. Und hier überzeugen vor allem jene Ein- oder Zweifigurenbilder, in denen uns die zumeist jungen Frauen oder Männer annähernd bildfüllend gegenübertreten. Im Folgenden sollen insbesondere die Aktdarstellungen betrachtet werden, die sich durch Hofers gesamtes Werk ziehen. Die verwendeten Themen und Motive werden wiederholt aufgegriffen und lediglich formal variiert. Es sind dies vor allem der liegende Akt, die Frau bei der Toilette sowie jene sich einander mehr oder weniger innig umfassenden Paare von jeweils zwei Frauen oder zwei Männern. Handelt es sich dabei auch weitestgehend um tradierte kunsthistorische Sujets, so sind die Werke doch weit entfernt vom Boudoir-Bild, an das man allenfalls bei einer frühen Arbeit wie Im Atelier (S. 91) von 1912 denken könnte. Gekonnt spielt Hofer hier mit den Erwartungen des männlichen Betrachters, indem sich Enthüllung und Verhüllung im Nachtgewand wie auch im Vorhang spannungsreich die Waage halten. Vor der koketten Attitüde lösen sich seine späteren Modelle. Die intime Atmosphäre des Atelierbildes weicht ab den Zwanzigerjahren einer zunehmenden Verallgemeinerung und (scheinbaren) Objektivierung. Durch den Verzicht auf einen näher bestimmbaren und erzählerischen Umraum erfährt die einzelne Figur eine stärkere Betonung. Stellvertretend sei hier die Badende (Abb. 1) von 1936 genannt. Trotz ihrer beinahe bildfüllenden Präsenz entzieht sich die Frau in ihrer selbstvergessenen Anmutung doch auch wieder. Das blaue Haarband zeichnet die Figur aus und verleiht ihr ein würdevolles Moment. Bei Haarband und Badetuch handelt es sich um zeittypische Accessoires. Dem Betrachter vermittelt sich ein direkter Zeitbezug allerdings nur bedingt, da die Stehende in erster Linie ein klassisches Figurenideal verkörpert. Durch den Lehrer Hans Thoma (1839–1924) und vor allem während seines mehrjährigen Rom-Aufenthalts konnte sich Hofer nicht nur mit Werken der Antike und Renaissance, sondern auch intensiv mit Arnold Böcklin (1827–1901) und Hans von Marées (1837–1887) beschäftigen. Eine direkte motivische Auseinandersetzung hat jedoch lediglich für einen relativen kurzen Zeitraum stattgefunden. Sind bis etwa 1905 und 1906 die Bezüge zu Böcklin stärker, setzt sich Hofer vor allem im Jahr 1907 intensiver mit Marées auseinander.1 Insbesondere dessen1873 für den Bibliothekssaal der Zoologischen Station in Neapel ausgeführte Fresken hatten großen Eindruck auf Hofer gemacht (Abb. 2). Er hielt sie für »die einzige moderne Lösung einer Freskenaufgabe seit der Antike und Renaissance [...].«2. Zentraler Gedanke des Neapler Bildprogramms ist das Gegenüber der Wissenschaftler und Künstler auf der einen sowie der tätigen Fischer und Orangenpflücker auf der anderen Seite. Hofer schätzte vor allem die Symbiose einer antikischen Figurenauffassung mit Bezügen aus der Erfahrungswelt des Künstlers. In unserer Ausstellung gibt das Bild Zwei Frauen (S. 95) aus dem Jahr 1907 eine Ahnung von dieser frühen Auseinandersetzung mit Marées. Über das ansatzweise anekdotische Sujet des Ankleidens hinaus und einer näheren zeitlichen Einordnung weitestgehend enthoben, liegt der Gesamtausdruck auf einem klassischen, ruhig gestimmten Beieinander zweier Frauen. Die Begegnung mit den Werken etwa Paul Cézannes (1839–1906) oder Pablo Picassos (1881–1973) bringt in der folgenden Pariser Zeit neue Eindrücke. Der Formen- und Figurenauffassung Marées’ fühlt sich Hofer jedoch weiterhin verpflichtet, auch wenn er 1933 in einem Brief an Leopold Ziegler über diesen urteilt: »Marées hat gewiß einige klassische Werke geschaffen, das meiste ist aber doch nur klassizistisch.«3 Das Mittelbild des HesperidenTriptychons (Abb. 3) kann Hofer hier nicht gemeint haben, zumal er es in einem Abb. 1 | Karl Hofer: Badende, 1936 Öl auf Leinwand, 101 × 66 cm Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nationalgalerie 93 Zwei Knaben aus dem Tessin | um 1926 Zwei weibliche Akte in Umarmung | um 1920 102 Freundinnen | 1923/24 Am Kornfeld (Zwei lagernde Mädchen) | 1936 Die Flut | 1952 Karl-Heinz Weis 114 Karl Hofers Mädchen mit Blumen Mädchen und junge Frauen allein, zu zweien, in Gruppen, in der Natur, im Raum, am Fenster, mit Pflanzen und Blumen, stehend, sitzend, liegend – all diese Variationen bilden Motive, die für das malerische Werk Karl Hofers typischer nicht sein könnten. Vier Gemälde sowie eine Kohlezeichnung zum Thema »Mädchen mit Blumen am Tisch« zeigt die Ausstellung. Insgesamt malte der Künstler rund 50 Bilder dieser Motivik, allein 20 in den Jahren von 1918 bis 1930 – ihre malerische Kulmination fällt somit eindeutig in die Zwanzigerjahre. Im Werkverzeichnis der Gemälde Hofers, das von Bernhard Wohlert sorgfältig erarbeitet dessen beeindruckendes Lebenswerk mit 2909 erfassten Bildern belegt,1 erscheint erstmals 19122 ein Werk dieses Motivs und zuletzt 1952.3 Im Folgenden gilt es, ausgewählte Gemälde Hofers einer eingehenden stilistischen Betrachtung zu unterziehen, denn derartige Unterschiede sind in seinem Lebenswerk allzu augenfällig.4 Die Werke Herbst von 1913 (Abb. 1) und das in der Emder Schau präsentierte Mädchen mit Amaryllis von ca. 1936 (S. 123) würde ein unbefangener Betrachter wohl kaum einem und demselben Urheber zuordnen. Somit bleibt nun festzustellen, wie diese stilistischen Wesensmerkmale einzuordnen und zu verstehen sind, was eine Rückschau auf Hofers künstlerbiografische Stationen zu verdeutlichen vermag. 1901 malte er ein ganzfiguriges Bildnis des Studenten Hans Reinhart,5 dessen Vater Theodor das Porträt unbesehen für 1000 RM erwarb. Unmittelbar daraus entwickelte sich zwischen dem Sammler und Mäzen und dem noch jungen, mittellosen, hoch motivierten Hofer, der 1901 sein Studium an der Akademie in Stuttgart mit Auszeichnung durch eine Goldmedaille abgeschlossen hatte, ein intensiver Briefwechsel, der erst mit dem Tod Reinharts 1919 enden sollte.6 1903 offerierte Reinhart Hofer einen Vertrag, der diesem ein sorgenfreies Arbeiten ermöglichte; als Äquivalent konnte Reinhart Bilder für seine eigene Sammlung auswählen.7 Mit Hilfe dieser generösen Unterstützung übersiedelte Hofer 1903 nach Rom. Noch 1902 schrieb er an Reinhart – eine Diskussion zwischen beiden über »anatomisch richtiges Zeichnen von Akten« war vorausgegangen – »er wünsche an einem dafür geeigneten Platz, sich einem eingehenden Studium des menschlichen Körpers an Hand guter Modelle zu widmen, nicht um anatomisch richtig zu zeichnen, sondern den Akt für meine bildnerischen Zwecke zu studieren.«8 Nun in Rom niederge- lassen, orientierte er sich unter anderem an Hans von Marées (1837–1887) – und erreichte alsbald, was er sich vorgenommen hatte. So wird etwa Hofers, von ihm selbst ernannten »Römischen Figurenbildern« attestiert: »Mit diesen Bildern entwickelte er in den Jahren 1906 und 1907 einen eigenen Stil mit monumentaler Ausdrucksform.«9 Das besagt nicht nur, dass Hofer eine oder zwei Figuren, häufig Frauen als Akte respektive Halbakte, formatfüllend ins Bild setzte, sondern dass er zugleich auch deren Gesichtern in spezifischer Weise Form und Ausdruck gab. Letzteres wirkte weit in die Zukunft und bildet ebenfalls ein außergewöhnliches Charakteristikum seines Stils. Exemplarisch lassen sich all diese Kriterien an seinem Gemälde Frauen vor dem Fels von 1907 beobachten (Abb. 2), insbesondere an der aufrecht stehenden Figur10: Ein rundes Gesicht, mit offener Stirn und erkennbaren Jochbögen verjüngt sich zu einem kleinen, geradezu spitzen Kinn; geschlossene Lider verbergen die relativ weit auseinander liegenden Augen und formen eine dunkle, gerundete Linie; unter einer geraden, durchaus kräftigen Nase liegt ein kleiner Mund. Dieses »Hofergesicht« besitzt eine nicht zu leugnende, typisierende Maskenhaftigkeit, zumal, wenn der Maler geöffnete Augen dunkel darstellt. Es prägt sich ein und ermöglicht dem Betrachter zugleich, ein ihm nicht bekanntes Bild zweifelsfrei Hofer zuzuordnen. In seinem Gemälde Frauen vor dem Fels präsentieren sich Akt und Halbakt in ihrer Nacktheit geradezu paradiesisch, frei von anzüglicher Erotik – auch dies ein herausragendes Charakteristikum Hofers, malte er doch Jahrzehnte hindurch Mädchen Abb. 1 | Karl Hofer: Herbst, 1913 Öl auf Leinwand, 100 × 79 cm Rychenberg-Stiftung Winterthur 115 Zeitunglesendes Mädchen | 1937 Zeitunglesende Frau | 1943 Abb. 1 | Karl Hofer: Tiller Girls, Detail Inkarnat Abb. 2 | Tiller Girls, Detail linke Tänzerin: deutlich erkennbar ist die nass-in-nass ineinander vertriebene Farbe und die in die nasse Farbe aufgesetzten Konturlinien, die die darunterliegenden Schichten teilweise gequetscht haben. Abb. 3 | Tiller Girls, Detail Hand, linke Tänzerin: Das Blau um die Hand und der streifige Bildhintergrund verleihen dem gesamten Bild einen zusätzlichen kühlen Farbeindruck. 166 heit eines Bildes oft ihren Grund im Handwerklichen hat, mit anderen Worten: ich möchte mein Material kennen, und das kostet natürlich durch Anschaffungen verschiedener Öl-Tempera-Stoffe Geld.«8 Im gleichen Jahr vermerkt er, dass die Zubereitung der Farben den größten Teil seiner täglichen Arbeitszeit in Anspruch nähme.9 Tatsächlich schien er von 1904 bis 1906 mit Materialien und Techniken wie Leimfarben, Enkaustik und Tempera experimentiert zu haben, um schließlich zur Ölmalerei zurückzukehren.10 Auf eine Anfrage Reinharts, ob er mit Ei (-tempera) untermale, wie es auch die Italiener taten, antwortete er: »Ich male nur noch ausschließlich Öl und soweit überhaupt möglich, prima, was das Schönste Haltbarste, aber auch Schwerste ist.« Er verwies weiterhin auf die Gefahren der Öl- und Temperauntermalungen und auf die Problematik der Gilbung, propagiert die reine Öl-Prima-Technik und schloss: »Wenn eine Untermalung nötig ist, sollte sie nur in Tempera ausgeführt sein, das ist wohl immer besser als eine Öl-Untermalung, aber auch schwerer.«11 Hofer schien sich damit auf die Ölmalerei festzulegen, eine Technik, die er stetig virtuoser einsetzte, um Farbe und Form zu einer Einheit zusammenzuführen. Obwohl die Werke Karl Hofers zum Teil sehr kompakt und in sich geschlossen wirken, wird bei näherer Betrachtung deutlich, dass der Maler diese aus sich heraus gestaltet und zudem immer wieder verändert hat. Präzise Vorzeichnungen und Studienblätter waren Vor- und Grundlage, die dann auf Leinwand übertragen und variiert wurden. Hofer arbeitete in der Regel im Atelier und setzte dort seine Eindrücke und Studien, oftmals aus der Erinnerung, um. Dort konnte der Künstler seine Bilder von äußeren Einflüssen ungestört entwickeln und abstrahieren. So entstanden zum Beispiel seine Tessiner Landschaften, die durchaus von Cézannes Kompositionsprinzipien inspiriert waren, häufig erst im Anschluss an seine Rückkehr nach Berlin.12 Dabei reduzierte sich – neben der eigentlichen Komposition, die unwichtige Details einfach wegließ, und deren Farbgestaltung – die Anzahl der verwendeten Pigmente. Einmal entwickelte Gestaltungsprinzipien wurden oft beibehalten; sie sorgen neben einem speziellen Ausdruck für einen hohen Wiedererkennungswert im Werk Hofers. So vermitteln die oft in Höhe der Oberschenkel angeschnittenen Figurendarstellungen, die meist in die Richtung des Betrachters blicken, dadurch einerseits ein scheinbares Gefühl der Nähe, andererseits jedoch auch eine gewisse Unnahbarkeit. Besonders anschaulich ist dies bei den Tiller Girls (S. 146), vor 1927, und auch bei Zwei Mädchen aus dem Jahr 1938 (S. 104): Beide Gemälde stellen zwei Frauenakte dar, wobei die Tiller Girls in Reihe tanzend aus dem Bild seitlich herauszutreten scheinen, während die Zwei Mädchen im Bildzentrum verharren. Hofer beweist sich hier einmal mehr als Maler, der das Kolorit seiner Arbeiten sehr subtil einsetzt. Die eigentliche Farbpalette scheint auf wenige Töne beschränkt. So dominiert etwa bei den Tiller Girls der helle Inkarnatton, der sich beim näheren Betrachten als eine Mischung aus mehreren Farbtönen herausstellt (Abb. 1).13 Das fahle Weiß wird durch das Hinzufügen von Rot, Ocker, Grün und Blaupigmenten gebrochen.14 Hofer arbeitete mit Borstenpinseln unterschiedlicher Breite und nass-in-nass mit meist kurzen Pinselstrichen; er vertrieb die einzelnen Farbstriche ineinander. Die Farbauftragsrichtung verläuft nicht gleich, sondern variiert, sodass eine körperhafte Form entsteht, die durch das lineare Schattieren in leuchtendem Blau und Grün noch plastischer hervorgehoben wird. Konturlinien ergeben sich aus dem Aufeinandertreffen von Farbflächen oder durch farblich oft divergierende, mit einem schmaleren Borstenpinsel auf die Binnenfläche aufgesetzte Begrenzungslinien, die hier schwungvoll dem Körperverlauf folgen und die nasse Farbe fast einer »Bugwelle« gleich mitnehmen (Abb. 2). Teilweise sind die Konturlinien der Untermalung sichtbar.15 Hofer nahm bewusst in Kauf, dass sein Farbauftrag in Schichtdicke, Verlauf und Umfang ungleich ist; die darunter liegenden Schichten sind vielfach zu erkennen, scheinen durch die darüberliegende Schicht hindurch oder sind vollkommen frei sichtbar. Insbesondere die Hintergründe seiner Figurenbildnisse sind oftmals mit breiten, gebündelten Pinselstrichen gestaltet, wobei diese »Farbbündel« durchaus mit Abstand voneinander aufgebracht wurden. Der in diesen Bereichen sichtbare Untergrund bewirkt ein gewisses »optisches Flirren« und eine Immaterialität (Abb. 3 und S. 104). Diese Bildgestaltung – das bewusste Weglassen eigentlich vorhandener Details, das Sichtbarmachen des Malprozesses und des Bildgrundes sowie die Verwendung von meist dunklen Konturlinien – lehnt sich an jene Cézannes an, die Hofer in Paris und Berlin intensiv studieren konnte. Sie findet sich etwa bei seinem um 1885 entstandenen Badenden (Abb. 4) wieder. Abb. 4 | Paul Cézanne (1839–1906): Der Badende (Detail), um 1885 Öl auf Leinwand, 127 × 96,8 cm Lillie P. Bliss Collection, Museum of Modern Art, New York 167 Abb. 7 | Lautenspielerin, 1931, Detail: Die Saiten und der Arm sind als Sgraffito in die nasse Farbe eingeritzt. Abb. 5 | Karl Hofer: Tiller Girls, Detail rechte Tänzerin: Übermalung des hochgestreckten, skizzenhaft angelegten Arms Abb. 6 | Tiller Girls, Detail linke Tänzerin, rechter Arm: Die Übermalung ist durch das ausgeprägte Frühschwundrissnetz und im Streiflicht erkennbar. Die dritte Übermalung zeigt die nach unten ausgerichtete Hand. 168 Gerade im unteren Bildbereich ist die Farbschicht stark verdünnt und streifig, die darüberliegenden Pinselstriche sind schnell auf die anscheinend schon angetrocknete Fläche gesetzt worden. Der Bildfindungsprozess war bis zuletzt offen. Dies zeigt sich in besonderer Weise bei seinen Tiller Girls, denn Hand- und Kopfhaltung der beiden Tänzerinnen war anfänglich anders angelegt. Von den ursprünglich über den Kopf erhobenen Armen der Damen (Abb. 5) variierte Hofer erst den rechten Arm der linken Tänzerin zu einem vom Ellenbogen nach oben abgewinkelten Arm. Schließlich veränderte er die Komposition nochmals: Nun zeigt der jeweils ausgestreckte rechte Arm der beiden Girls in Tanzrichtung, wobei die Hand nach unten zu fallen scheint (Abb. 6). Einige rundliche Striche im oberen linken Bildbereich könnten hier gar auf die Anlage einer dritten Figur hinweisen. Eine Chronologie der Überarbeitungen ist auch in ihrer Ausführung erkennbar – die hoch gestreckten Arme sind skizzenhaft, die angewinkelte Hand wurde nach dem oberflächlichen Antrocknen der darunterliegenden Farbschicht gemalt, wie das ausgeprägte Frühschwundrißnetz belegt (Abb. 5; 6). Die letzte, dritte Veränderung ist die umfangreichste: Sie wurde in breiten, meist horizontal verlaufenden Pinselstrichen angelegt. Anatomische und farbliche Unzulänglichkeiten wurden vom Künstler einfach »ignoriert«. Es ist anzunehmen, dass Hofer mit dem Abschluss des Malakts auch die Auseinandersetzung mit dem Werk beendete.16 Die Korrekturen der Kopfhaltung bei den Tiller Girls sind dagegen eher gering. Kleinere Veränderungen und Pentimenti im Bereich der Köpfe finden sich vermehrt im Werk Hofers. Diese oftmals umgestalteten Umrissflächen verstärkte der Maler durch farbige Akzente, sodass sie wie eine Art »Gloriole« wirken können (Abb. 8).17 In den Zwanzigerjahren, primär jedoch ab den Dreißigerjahren, werden die mit einem spitzen Gegenstand – vielleicht der Pinselstielspitze – in die leicht angetrocknete Farbe eingeritzten Monogramme oder Linien sowie deren Verläufe zu einem bedeutsamen formalen Mittel (Abb. 7– 9). Hofers Gemälde bestechen durch feinste Nuancierungen im Farbauftrag und in der Farbmittelverwendung. Einige sind extrem matt, die Verwendung von Bindemitteln auf Temperabasis oder Wachszugaben können somit nicht aus- geschlossen werden.18 Ein nivellierender Firnis ist daher für diese Werke von großem Nachteil und sorgt, neben dem Glanz, für optische Verschiebungen, die die Farbigkeit stark verfälschen können. Hofer schien daher im Laufe seiner Maltätigkeit auf solche zu verzichten und lehnte ihre Verwendung ab.19 Die Bildfindung in seinem Werk endet nicht mit der Fertigstellung des Bildes, sondern schließt die Rahmen mit ein. In Rom begeisterte er sich für die vergoldeten historischen Rahmen, erwarb sogar einige davon oder ließ sich neue in dieser Art anfertigen (Abb. 10).20 Später gestaltete und fasste Hofer die Rahmen selbst und nahm sowohl die Farbigkeit als auch den Pinselduktus des Gemäldes im Zierrahmen auf. So entstanden, wie beispielsweise bei Zwei Mädchen von 1938, eine Reihe von Kunstwerken, die eine besondere Intimität und Intensität ausstrahlen (Abb. 8). Abb. 8 | links Zwei Mädchen, 1938: Gesamtansicht mit Originalrahmen, farbig gefasst. Abb. 9 | oben Zwei Mädchen (Detail): Tunika mit Sgraffito 169