Im Buch blättern

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Im Buch blättern
KARL HOFER
Von Lebensspuk und stiller Schönheit
Herausgegeben von
Katharina Henkel
WIENAND
Leihgeber
Unser herzlicher Dank geht an
die folgenden Museen, privaten
Sammler und Galerien für ihre
großzügige Unterstützung dieser
Ausstellung mit Leihgaben:
Freiburg
Städtische Museen Freiburg,
Museum für Neue Kunst:
Dr. Tilmann von Stockhausen,
Isabel Herda, Marita Mayer
Berlin
Berlinische Galerie – Landesmuseum für Moderne Kunst,
Fotografie und Architektur:
Dr. Thomas Köhler, Dr. Heinz
Stahlhut, Annemarie Seyda,
Christian Tagger
Gelsenkirchen
Kunstmuseum Gelsenkirchen:
Leane Schäfer,
Reinhard Hellrung
Bielefeld
Kunsthalle Bielefeld:
Dr. Friedrich Meschede,
Dr. Jutta Hülsewig-Johnen,
David Riedel
Chemnitz
Kunstsammlungen Chemnitz:
Ingrid Mössinger, Norbert
Ludwig, Tatjana Fischer
Dresden
Galerie Neue Meister, Staatliche
Kunstsammlungen Dresden:
Prof. Dr. Dirk Syndram,
Prof. Dr. Ulrich Bischoff,
Dr. Birgit Dalbajewa,
Katrin Bäsig, Gisela Mehnert
Düren
Leopold-Hoesch-Museum &
Papiermuseum Düren:
Dr. Renate Goldmann, Markus
Mascher, Dr. Tina Roßbroich
Düsseldorf
Galerie Ludorff: Rainer
M. Ludorff, Sophie von Scheel
Essen
Museum Folkwang:
Dr. Hartwig Fischer,
Susanne Brüning
10
Inhalt
Ettlingen
Museum Ettlingen:
Daniela Maier
Hamburg
Hamburger Kunsthalle:
Prof. Dr. Hubertus Gaßner,
Dr. Ulrich Luckhardt,
Meike Wenck, Ursula Trieloff
Krümmer fine art:
Dr. Renate Krümmer
Karlsruhe
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe:
Prof. Dr. Pia Müller-Tamm,
Dr. Dorit Schäfer, Angela Vollmer,
Ulrich Thiesies, Katharina
Sennewald
Schleswig
Stiftung Schleswig-Holsteinische
Landesmuseen Schloß Gottorf:
Prof. Dr. Claus von CarnapBornheim, Dr. Jürgen Fitschen,
Dr. Margret Schütte,
Karen Nissen, Jutta Carstens
Stuttgart
Staatsgalerie Stuttgart:
Sean Rainbird, Dr. Ina Conzen,
Peter Frei, Ilona Lütken
Wien
ALBERTINA: Dr. Klaus Albrecht
Schröder, Sonja Eiböck,
Dr. Ingrid Kastel, Peter Ertl
und Albertina – Sammlung
Forberg: Mathias Forberg
Belvedere: Dr. Agnes HussleinArco, Mag. Harald Krejci,
Mag. Nikolaus Keusch,
Mag. Johannes Stoll
Wiesbaden
Frank Brabant
Köln
VAN HAM Kunstauktionen:
Dr. Markus Eisenbeis,
Kristina Echterling
Linz
LENTOS Kunstmuseum Linz:
Stella Rollig, Dr. Elisabeth NowakThaller, Mag. Klaus Scheuringer
Ludwigshafen am Rhein
Wilhelm-Hack-Museum:
Dr. Reinhard Spieler,
Dr. Nina Gülicher, Herbert Nolden
Lübeck
die LÜBECKER MUSEEN,
Museum Behnhaus Drägerhaus:
Dr. Alexander Bastek
München
Galerie Thomas: Raimund
Thomas, Giannina Spargnapani
Hartwig Garnerus
Winterthur
Museum Oskar Reinhart am
Stadtgarten: Dr. Peter Wegmann,
Matthias Wohlgemuth
Stiftung Menschenbild:
Olaf Ossmann
Wuppertal
Von der Heydt-Museum:
Dr. Gerhard Finckh,
Brigitte Müller
sowie den privaten Leihgebern,
die ungenannt bleiben möchten.
Vorwort
Frank Schmidt
12
Biografie Karl Hofer
Christina Grevenbrock
16
Vorahnung von Kommendem? Zum Verhältnis
von Kunst und Politik in Karl Hofers Werk
Lena Nievers
30
Weder geselliges Vergnügen,
noch munteres Gespräch …
Katharina Henkel
42
Harlekine, Pierrots und Maskeraden bei Karl Hofer
Katharina Henkel
54
Karl Hofer in der Debatte um Figuration und Abstraktion
zu Beginn der Fünfzigerjahre
Sabine Schlenker
68
Zwischen Fest, Rausch und Wahn:
Bilder des Kontrollverlusts
Christina Grevenbrock
78
Vom ›heilig Nüchternen‹. Hofers Figurenauffassung
am Beispiel der Aktdarstellungen
Frank Schmidt
92
Karl Hofers Mädchen mit Blumen
Karl-Heinz Weis
114
»Er malt die Stille«. Lesende und Sinnende
im Werk Karl Hofers
Henrike Holsing
128
Variation und Wiederholung. Die Bildmotive Junge mit Ball
und Mädchen mit Schallplatte im Werk Karl Hofers
Daniela Maier
138
Verhaltener Tanz und in sich gekehrtes Spiel. Karl Hofers
Tiller Girls und seine Variationen der Mädchen mit Laute
Sabine Schlenker
148
Gemalt, übermalt, verworfen, zerstört und neu gemalt.
Anmerkungen zur Materialverwendung
und Maltechnik im Werk von Karl Hofer
Sigrid Pfandlbauer
164
Anhang
172
Vorwort
»Liebe Nazis! Mit euren literarischen Stinkbomben
Eine monografische Ausstellung zum Werk des ge-
wie undurchdringbar. So bewahren die Werke ihren
stellt waren. Insbesondere den privaten Leihgebern
ist das nicht so einfach wie mit den richtigen. Stinken-
bürtigen Karlsruhers ist längst überfällig. Die letzte
rätselhaften Charakter. Die Ausstellung Karl Hofer.
danken wir deshalb herzlich, sich für die Dauer der
de Lügen kann man wenigstens als solche entlarven.«
Museumsausstellung 2004 im Museum der Bilden-
Von Lebensspuk und stiller Schönheit bietet nun
Ausstellung von ihren Schätzen getrennt zu haben.
Karl Hofer musste sich im Gegensatz zu manchen sei-
den Künste Leipzig stellte Hofer dem Stuttgarter Willi
seit langem wieder die Gelegenheit, in die Bildwelt
Die Autoren haben die nicht immer leicht zu fas-
ner Malerkollegen nicht den Vorwurf gefallen lassen,
Baumeister gegenüber und rückte so einmal mehr
Hofers einzutauchen, sich von ihr faszinieren und
senden Arbeiten nach formalen, motivischen, biogra-
seiner Abneigung gegenüber den kommenden politi-
den Streit zwischen Abstraktion und Gegenständlich-
zugleich irritieren zu lassen und diesen eigenwilligen
fischen und zeitgeschichtlichen Bezügen befragt. Ihnen
schen Machthabern nicht Luft gemacht zu haben. In
keit in den Fokus. Eine umfassendere monografische
Künstler kennen zu lernen. Dabei ergeben sich dem
danke ich für die kenntnisreichen Beiträge, die neue
Einblicke in das Werk ermöglichen.
dem oben zitierten »Brief« (»Blutsprobe«, 17. Januar
Ausstellung fand 1991 auf Schloss Cappenberg statt.
aufmerksamen Betrachter zahlreiche Bezüge zur
1931, erschienen in Das Tagebuch) reagiert er auf einen
Die Kunsthalle Emden hat es sich nun zur Aufgabe
Biografie und Zeitgeschichte, die auch in einigen der
Das Ausstellungskonzept findet eine Entsprechung
in der NSDAP -Zeitung Angriff publizierten Artikel,
gemacht, eine Auswahl von rund 75 Gemälden und
begleitenden Aufsätze in diesem Katalog anklingen.
in der stimmigen und äußerst gelungenen Gestaltung
der die Unterwanderung der Preußischen Akademie
Papierarbeiten zu versammeln und dabei den Künst-
Katharina Henkel hat aus dem umfangreichen
des Katalogs, die in den kompetenten Händen von
durch Juden anprangerte. Es ist daher wenig verwun-
ler weniger in Abgrenzung zu seinen Zeitgenossen,
Œuvre eine konzentrierte Auswahl von herausragenden
Christine Sieber lag. Zuvor wurden die Texte umsichtig
derlich, dass Hofer mit einem Ausstellungsverbot
sondern aus seinem eigenen Werk heraus zu verstehen.
Werken getroffen, die es erlaubt, Hofers Gedanken
von Anja Hellhammer lektoriert. Beiden danke ich für
belegt wurde und er mit seinen Werken 1937 in der
Der Ausstellungsbesuch verspricht eine Reise durch
und seinem Malereiverständnis anhand von typischen
die konstruktive und erneut sehr angenehme Zu-
so genannten Ausstellung Entartete[r] Kunst in
die verschiedenen Entwicklungsstadien und damit
Motivgruppen nachzuspüren. Der von ihr gewählte
sammenarbeit. Dem Wienand Verlag danke ich, dass
München vertreten war. Nach dem Krieg beförderte
verbundenen Orte, von den Anfängen in Karlsruhe
neue Ansatz ermöglicht einen ungewohnten Blick auf
das Buch trotz engem Zeitplan in gewohnter Qualität
seine Standhaftigkeit die Ernennung zum Direktor
über Italien, Frankreich und Indien bis nach Berlin.
das Werk Karl Hofers. Neben der Ausstellungskon-
vorliegt.
und ab 1947 zum Präsidenten der Hochschule der
Den Besucher erwartet allerdings keine chronolo-
zeption lag auch die begleitende Publikation in ihren
Ausstellungsbesucher und Leser des Katalogs
Künste in Berlin. Erneut machte Hofer seine Ansich-
gische Abfolge. Vielmehr werden die Werke nach
Händen. Unterstützung hatte sie durch Christina
dürfen sich auf einen faszinierenden Künstler freuen,
ten öffentlich und sprach sich vehement gegen die
Themen und Motiven gruppiert, mit denen sich Hofer
Grevenbrock, die sich mit großem Engagement auch
dessen Werke in ihrer Frische, ihrer überraschenden
abstrakten Tendenzen der Nachkriegszeit aus. Dafür
über die Jahre immer wieder beschäftigt hat: voran
inhaltlich eingebracht hat. Mein Dank gilt des Weiteren
Farbigkeit und malerischen Qualität nach wie vor be-
erntete er nun harsche Kritik und wurde als unbe-
die Frauenakte, die Lesenden, Musizierenden, die
dem gesamten Team, das die Ausstellung in bewähr-
geistern. Ihnen wünsche ich eine anregende Beschäf-
lehrbar Gestriger gesehen, der die neue Zeit und de-
Jungen mit Ball und Mädchen mit Blumen sowie die
ter Umsichtigkeit und mit gewohntem Einsatz rea-
tigung mit einem der wichtigen deutschen Künstler
ren Kunst nicht erkennen wollte. »Karl Hofer«, so Will
Maskeraden und Zirkusdarstellungen. Die Ausstellung
lisiert hat.
des 20. Jahrhunderts.
Grohmann am 18. Februar 1955 im Tagesspiegel,
präsentiert unterschiedliche Versionen eines Motivs,
Die privaten wie öffentlichen Leihgeber ließen sich
»gehört zu den Künstlern, die nur sich und ihre Arbeit
um so Entwicklungen nachvollziehbar zu machen.
gerne von der Idee begeistern, Karl Hofer in Emden
sehen und von der Kunst des 20. Jahrhunderts bei-
Fasziniert verfolgt man die teils umfassenden stilis-
zu präsentieren. So ist es gelungen, zahlreiche Werke
tischen, farblichen und formalen Änderungen inner-
zusammen zu tragen, die noch nie öffentlich ausge-
nahe gar nichts gelten lassen.«
12
Häufig straft die Kunstkritik derartige, sich schein-
halb eines kompositorisch nahezu identischen Motivs.
bar gegen Fortschritt und Neuerungen stellende Künst-
Wie bei wohl keinem anderen Künstler seiner Gene-
ler mit Ablehnung oder Nichtbeachtung. Auch hat
ration sehen wir Hofer dabei zu, wie er nach immer
Hofers Festhalten am Figurenbild nicht eben dazu bei-
neuen Lösungen für eine Bildaufgabe sucht und da-
getragen, ihn in der Aufbruchszeit nach 1945 näher
bei zu malerisch überzeugenden Resultaten findet.
zu berücksichtigen. Die Bedeutung Hofers mag man
Die Ausstellung konzentriert sich konsequent auf
allerdings daraus ersehen, dass sein Werk zu keiner
die Darstellung des Menschen, dem, noch vor der
Zeit ganz verschwunden war und dass Bilder in den
Landschaft und dem Stillleben, Hofers Hauptinte-
Sammlungspräsentationen großer Museen vertreten
resse galt. Die Figuren sind von einer stillen, spröden
sind. Auch die Kunsthalle Emden besitzt mit den 1996
Schönheit, wenn sie verharrend ihren Gedanken nach-
erworbenen Tiller Girls (S. 146) eine wichtige Arbeit,
hängen. Hofers hermetische Bildwelt ist zunächst
die den im Haus vorhandenen Bestand an Werken
nicht leicht zu entschlüsseln. Die Figuren und ihre
der Neuen Sachlichkeit wunderbar ergänzt.
spärlichen Attribute erscheinen zugleich anrührend
Frank Schmidt
Wissenschaftlicher Direktor
13
»Der Narr von Berchtesgaden
hatte wie sein Vorgänger
von Gottesgnaden der Welt
den Krieg erklärt...«
Alarm | 1945
Vom ›heilig
Nüchternen‹
Frank Schmidt
Hofers Figurenauffassung
am Beispiel der
Aktdarstellungen
92
Die große Leistung Karl Hofers liegt zweifelsohne im Figurenbild. Und hier
überzeugen vor allem jene Ein- oder Zweifigurenbilder, in denen uns die zumeist jungen Frauen oder Männer annähernd bildfüllend gegenübertreten. Im
Folgenden sollen insbesondere die Aktdarstellungen betrachtet werden, die
sich durch Hofers gesamtes Werk ziehen. Die verwendeten Themen und Motive
werden wiederholt aufgegriffen und lediglich formal variiert. Es sind dies vor
allem der liegende Akt, die Frau bei der Toilette sowie jene sich einander mehr
oder weniger innig umfassenden Paare von jeweils zwei Frauen oder zwei
Männern. Handelt es sich dabei auch weitestgehend um tradierte kunsthistorische Sujets, so sind die Werke doch weit entfernt vom Boudoir-Bild, an das
man allenfalls bei einer frühen Arbeit wie Im Atelier (S. 91) von 1912 denken
könnte. Gekonnt spielt Hofer hier mit den Erwartungen des männlichen Betrachters, indem sich Enthüllung und Verhüllung im Nachtgewand wie auch
im Vorhang spannungsreich die Waage halten. Vor der koketten Attitüde lösen
sich seine späteren Modelle. Die intime Atmosphäre des Atelierbildes weicht
ab den Zwanzigerjahren einer zunehmenden Verallgemeinerung und (scheinbaren) Objektivierung. Durch den Verzicht auf einen näher bestimmbaren und
erzählerischen Umraum erfährt die einzelne Figur eine stärkere Betonung.
Stellvertretend sei hier die Badende (Abb. 1) von 1936 genannt. Trotz ihrer beinahe bildfüllenden Präsenz entzieht sich die Frau in ihrer selbstvergessenen
Anmutung doch auch wieder. Das blaue Haarband zeichnet die Figur aus und
verleiht ihr ein würdevolles Moment. Bei Haarband und Badetuch handelt es
sich um zeittypische Accessoires. Dem Betrachter vermittelt sich ein direkter
Zeitbezug allerdings nur bedingt, da die Stehende in erster Linie ein klassisches Figurenideal verkörpert. Durch den Lehrer Hans Thoma (1839–1924)
und vor allem während seines mehrjährigen Rom-Aufenthalts konnte sich
Hofer nicht nur mit Werken der Antike und Renaissance, sondern auch intensiv mit Arnold Böcklin (1827–1901) und Hans von Marées (1837–1887) beschäftigen. Eine direkte motivische Auseinandersetzung hat jedoch lediglich
für einen relativen kurzen Zeitraum stattgefunden. Sind bis etwa 1905 und
1906 die Bezüge zu Böcklin stärker, setzt sich Hofer vor allem im Jahr 1907
intensiver mit Marées auseinander.1 Insbesondere dessen1873 für den Bibliothekssaal der Zoologischen Station in Neapel ausgeführte Fresken hatten
großen Eindruck auf Hofer gemacht (Abb. 2). Er hielt sie für »die einzige moderne Lösung einer Freskenaufgabe seit der Antike und Renaissance [...].«2.
Zentraler Gedanke des Neapler Bildprogramms ist das Gegenüber der Wissenschaftler und Künstler auf der einen sowie der tätigen Fischer und Orangenpflücker auf der anderen Seite. Hofer schätzte vor allem die Symbiose einer
antikischen Figurenauffassung mit Bezügen aus der Erfahrungswelt des
Künstlers. In unserer Ausstellung gibt das Bild Zwei Frauen (S. 95) aus dem
Jahr 1907 eine Ahnung von dieser frühen Auseinandersetzung mit Marées.
Über das ansatzweise anekdotische Sujet des Ankleidens hinaus und einer
näheren zeitlichen Einordnung weitestgehend enthoben, liegt der Gesamtausdruck auf einem klassischen, ruhig gestimmten Beieinander zweier Frauen.
Die Begegnung mit den Werken etwa Paul Cézannes (1839–1906) oder
Pablo Picassos (1881–1973) bringt in der folgenden Pariser Zeit neue Eindrücke.
Der Formen- und Figurenauffassung Marées’ fühlt sich Hofer jedoch weiterhin verpflichtet, auch wenn er 1933 in einem Brief an Leopold Ziegler über
diesen urteilt: »Marées hat gewiß einige klassische Werke geschaffen, das
meiste ist aber doch nur klassizistisch.«3 Das Mittelbild des HesperidenTriptychons (Abb. 3) kann Hofer hier nicht gemeint haben, zumal er es in einem
Abb. 1 |
Karl Hofer:
Badende, 1936
Öl auf Leinwand,
101 × 66 cm
Staatliche Museen
zu Berlin – Preußischer
Kulturbesitz,
Nationalgalerie
93
Zwei Knaben aus dem Tessin | um 1926
Zwei weibliche Akte in Umarmung | um 1920
102
Freundinnen | 1923/24
Am Kornfeld (Zwei lagernde Mädchen) | 1936
Die Flut | 1952
Karl-Heinz Weis
114
Karl Hofers
Mädchen
mit Blumen
Mädchen und junge Frauen allein, zu zweien, in Gruppen, in der Natur, im
Raum, am Fenster, mit Pflanzen und Blumen, stehend, sitzend, liegend – all
diese Variationen bilden Motive, die für das malerische Werk Karl Hofers typischer nicht sein könnten. Vier Gemälde sowie eine Kohlezeichnung zum Thema
»Mädchen mit Blumen am Tisch« zeigt die Ausstellung. Insgesamt malte der
Künstler rund 50 Bilder dieser Motivik, allein 20 in den Jahren von 1918 bis
1930 – ihre malerische Kulmination fällt somit eindeutig in die Zwanzigerjahre.
Im Werkverzeichnis der Gemälde Hofers, das von Bernhard Wohlert sorgfältig
erarbeitet dessen beeindruckendes Lebenswerk mit 2909 erfassten Bildern
belegt,1 erscheint erstmals 19122 ein Werk dieses Motivs und zuletzt 1952.3
Im Folgenden gilt es, ausgewählte Gemälde Hofers einer eingehenden stilistischen Betrachtung zu unterziehen, denn derartige Unterschiede sind in seinem
Lebenswerk allzu augenfällig.4 Die Werke Herbst von 1913 (Abb. 1) und das
in der Emder Schau präsentierte Mädchen mit Amaryllis von ca. 1936 (S. 123)
würde ein unbefangener Betrachter wohl kaum einem und demselben Urheber zuordnen. Somit bleibt nun festzustellen, wie diese stilistischen Wesensmerkmale einzuordnen und zu verstehen sind, was eine Rückschau auf
Hofers künstlerbiografische Stationen zu verdeutlichen vermag.
1901 malte er ein ganzfiguriges Bildnis des Studenten Hans Reinhart,5
dessen Vater Theodor das Porträt unbesehen für 1000 RM erwarb. Unmittelbar daraus entwickelte sich zwischen dem Sammler und Mäzen und dem
noch jungen, mittellosen, hoch motivierten Hofer, der 1901 sein Studium an
der Akademie in Stuttgart mit Auszeichnung durch eine Goldmedaille abgeschlossen hatte, ein intensiver Briefwechsel, der erst mit dem Tod Reinharts
1919 enden sollte.6 1903 offerierte Reinhart Hofer einen Vertrag, der diesem
ein sorgenfreies Arbeiten ermöglichte; als Äquivalent konnte Reinhart Bilder
für seine eigene Sammlung auswählen.7 Mit Hilfe dieser generösen Unterstützung übersiedelte Hofer 1903 nach Rom. Noch 1902 schrieb er an Reinhart – eine Diskussion zwischen beiden über »anatomisch richtiges Zeichnen
von Akten« war vorausgegangen – »er wünsche an einem dafür geeigneten
Platz, sich einem eingehenden Studium des menschlichen Körpers an Hand
guter Modelle zu widmen, nicht um anatomisch richtig zu zeichnen, sondern
den Akt für meine bildnerischen Zwecke zu studieren.«8 Nun in Rom niederge-
lassen, orientierte er sich unter anderem an Hans von Marées (1837–1887) –
und erreichte alsbald, was er sich vorgenommen hatte. So wird etwa Hofers,
von ihm selbst ernannten »Römischen Figurenbildern« attestiert: »Mit diesen
Bildern entwickelte er in den Jahren 1906 und 1907 einen eigenen Stil mit
monumentaler Ausdrucksform.«9 Das besagt nicht nur, dass Hofer eine oder
zwei Figuren, häufig Frauen als Akte respektive Halbakte, formatfüllend ins
Bild setzte, sondern dass er zugleich auch deren Gesichtern in spezifischer
Weise Form und Ausdruck gab. Letzteres wirkte weit in die Zukunft und bildet
ebenfalls ein außergewöhnliches Charakteristikum seines Stils.
Exemplarisch lassen sich all diese Kriterien an seinem Gemälde Frauen
vor dem Fels von 1907 beobachten (Abb. 2), insbesondere an der aufrecht
stehenden Figur10: Ein rundes Gesicht, mit offener Stirn und erkennbaren Jochbögen verjüngt sich zu einem kleinen, geradezu spitzen Kinn; geschlossene
Lider verbergen die relativ weit auseinander liegenden Augen und formen eine
dunkle, gerundete Linie; unter einer geraden, durchaus kräftigen Nase liegt
ein kleiner Mund. Dieses »Hofergesicht« besitzt eine nicht zu leugnende,
typisierende Maskenhaftigkeit, zumal, wenn der Maler geöffnete Augen dunkel darstellt. Es prägt sich ein und ermöglicht dem Betrachter zugleich, ein
ihm nicht bekanntes Bild zweifelsfrei Hofer zuzuordnen. In seinem Gemälde
Frauen vor dem Fels präsentieren sich Akt und Halbakt in ihrer Nacktheit geradezu paradiesisch, frei von anzüglicher Erotik – auch dies ein herausragendes Charakteristikum Hofers, malte er doch Jahrzehnte hindurch Mädchen
Abb. 1 |
Karl Hofer:
Herbst, 1913
Öl auf Leinwand,
100 × 79 cm
Rychenberg-Stiftung
Winterthur
115
Zeitunglesendes Mädchen | 1937
Zeitunglesende Frau | 1943
Abb. 1 |
Karl Hofer:
Tiller Girls,
Detail Inkarnat
Abb. 2 |
Tiller Girls,
Detail linke Tänzerin:
deutlich erkennbar
ist die nass-in-nass
ineinander vertriebene
Farbe und die in die
nasse Farbe aufgesetzten Konturlinien,
die die darunterliegenden Schichten teilweise
gequetscht haben.
Abb. 3 |
Tiller Girls,
Detail Hand, linke
Tänzerin: Das Blau
um die Hand und der
streifige Bildhintergrund verleihen dem
gesamten Bild einen
zusätzlichen kühlen
Farbeindruck.
166
heit eines Bildes oft ihren Grund im Handwerklichen hat, mit anderen Worten:
ich möchte mein Material kennen, und das kostet natürlich durch Anschaffungen verschiedener Öl-Tempera-Stoffe Geld.«8 Im gleichen Jahr vermerkt er,
dass die Zubereitung der Farben den größten Teil seiner täglichen Arbeitszeit
in Anspruch nähme.9
Tatsächlich schien er von 1904 bis 1906 mit Materialien und Techniken wie
Leimfarben, Enkaustik und Tempera experimentiert zu haben, um schließlich
zur Ölmalerei zurückzukehren.10 Auf eine Anfrage Reinharts, ob er mit Ei
(-tempera) untermale, wie es auch die Italiener taten, antwortete er: »Ich male
nur noch ausschließlich Öl und soweit überhaupt möglich, prima, was das
Schönste Haltbarste, aber auch Schwerste ist.« Er verwies weiterhin auf die
Gefahren der Öl- und Temperauntermalungen und auf die Problematik der
Gilbung, propagiert die reine Öl-Prima-Technik und schloss: »Wenn eine Untermalung nötig ist, sollte sie nur in Tempera ausgeführt sein, das ist wohl immer besser als eine Öl-Untermalung, aber auch schwerer.«11 Hofer schien sich
damit auf die Ölmalerei festzulegen, eine Technik, die er stetig virtuoser einsetzte, um Farbe und Form zu einer Einheit zusammenzuführen.
Obwohl die Werke Karl Hofers zum Teil sehr kompakt und in sich geschlossen wirken, wird bei näherer Betrachtung deutlich, dass der Maler diese aus
sich heraus gestaltet und zudem immer wieder verändert hat. Präzise Vorzeichnungen und Studienblätter waren Vor- und Grundlage, die dann auf Leinwand übertragen und variiert wurden. Hofer arbeitete in der Regel im Atelier
und setzte dort seine Eindrücke und Studien, oftmals aus der Erinnerung, um.
Dort konnte der Künstler seine Bilder von äußeren Einflüssen ungestört entwickeln und abstrahieren. So entstanden zum Beispiel seine Tessiner Landschaften, die durchaus von Cézannes Kompositionsprinzipien inspiriert waren,
häufig erst im Anschluss an seine Rückkehr nach Berlin.12 Dabei reduzierte
sich – neben der eigentlichen Komposition, die unwichtige Details einfach
wegließ, und deren Farbgestaltung – die Anzahl der verwendeten Pigmente.
Einmal entwickelte Gestaltungsprinzipien wurden oft beibehalten; sie sorgen
neben einem speziellen Ausdruck für einen hohen Wiedererkennungswert im
Werk Hofers. So vermitteln die oft in Höhe der Oberschenkel angeschnittenen
Figurendarstellungen, die meist in die Richtung des Betrachters blicken, dadurch einerseits ein scheinbares Gefühl der Nähe, andererseits jedoch auch
eine gewisse Unnahbarkeit.
Besonders anschaulich ist dies bei den Tiller Girls (S. 146), vor 1927, und auch
bei Zwei Mädchen aus dem Jahr 1938 (S. 104): Beide Gemälde stellen zwei
Frauenakte dar, wobei die Tiller Girls in Reihe tanzend aus dem Bild seitlich
herauszutreten scheinen, während die Zwei Mädchen im Bildzentrum verharren. Hofer beweist sich hier einmal mehr als Maler, der das Kolorit seiner Arbeiten sehr subtil einsetzt. Die eigentliche Farbpalette scheint auf wenige
Töne beschränkt. So dominiert etwa bei den Tiller Girls der helle Inkarnatton,
der sich beim näheren Betrachten als eine Mischung aus mehreren Farbtönen
herausstellt (Abb. 1).13 Das fahle Weiß wird durch das Hinzufügen von Rot,
Ocker, Grün und Blaupigmenten gebrochen.14 Hofer arbeitete mit Borstenpinseln unterschiedlicher Breite und nass-in-nass mit meist kurzen Pinselstrichen; er vertrieb die einzelnen Farbstriche ineinander. Die Farbauftragsrichtung verläuft nicht gleich, sondern variiert, sodass eine körperhafte Form
entsteht, die durch das lineare Schattieren in leuchtendem Blau und Grün
noch plastischer hervorgehoben wird. Konturlinien ergeben sich aus dem Aufeinandertreffen von Farbflächen oder durch farblich oft divergierende, mit
einem schmaleren Borstenpinsel auf die Binnenfläche aufgesetzte Begrenzungslinien, die hier schwungvoll dem Körperverlauf folgen und die nasse
Farbe fast einer »Bugwelle« gleich mitnehmen (Abb. 2). Teilweise sind die Konturlinien der Untermalung sichtbar.15 Hofer nahm bewusst in Kauf, dass sein
Farbauftrag in Schichtdicke, Verlauf und Umfang ungleich ist; die darunter
liegenden Schichten sind vielfach zu erkennen, scheinen durch die darüberliegende Schicht hindurch oder sind vollkommen frei sichtbar. Insbesondere
die Hintergründe seiner Figurenbildnisse sind oftmals mit breiten, gebündelten Pinselstrichen gestaltet, wobei diese »Farbbündel« durchaus mit Abstand
voneinander aufgebracht wurden. Der in diesen Bereichen sichtbare Untergrund
bewirkt ein gewisses »optisches Flirren« und eine Immaterialität (Abb. 3 und
S. 104). Diese Bildgestaltung – das bewusste Weglassen eigentlich vorhandener Details, das Sichtbarmachen des Malprozesses und des Bildgrundes
sowie die Verwendung von meist dunklen Konturlinien – lehnt sich an jene
Cézannes an, die Hofer in Paris und Berlin intensiv studieren konnte. Sie findet sich etwa bei seinem um 1885 entstandenen Badenden (Abb. 4) wieder.
Abb. 4 |
Paul Cézanne (1839–1906):
Der Badende (Detail), um 1885
Öl auf Leinwand, 127 × 96,8 cm
Lillie P. Bliss Collection,
Museum of Modern Art,
New York
167
Abb. 7 |
Lautenspielerin, 1931,
Detail: Die Saiten
und der Arm sind als
Sgraffito in die nasse
Farbe eingeritzt.
Abb. 5 |
Karl Hofer:
Tiller Girls, Detail
rechte Tänzerin:
Übermalung des
hochgestreckten,
skizzenhaft
angelegten Arms
Abb. 6 |
Tiller Girls, Detail
linke Tänzerin,
rechter Arm: Die
Übermalung ist durch
das ausgeprägte
Frühschwundrissnetz
und im Streiflicht
erkennbar. Die dritte
Übermalung zeigt
die nach unten ausgerichtete Hand.
168
Gerade im unteren Bildbereich ist die Farbschicht stark verdünnt und streifig,
die darüberliegenden Pinselstriche sind schnell auf die anscheinend schon
angetrocknete Fläche gesetzt worden.
Der Bildfindungsprozess war bis zuletzt offen. Dies zeigt sich in besonderer Weise bei seinen Tiller Girls, denn Hand- und Kopfhaltung der beiden
Tänzerinnen war anfänglich anders angelegt. Von den ursprünglich über den
Kopf erhobenen Armen der Damen (Abb. 5) variierte Hofer erst den rechten
Arm der linken Tänzerin zu einem vom Ellenbogen nach oben abgewinkelten
Arm. Schließlich veränderte er die Komposition nochmals: Nun zeigt der jeweils ausgestreckte rechte Arm der beiden Girls in Tanzrichtung, wobei die
Hand nach unten zu fallen scheint (Abb. 6). Einige rundliche Striche im oberen
linken Bildbereich könnten hier gar auf die Anlage einer dritten Figur hinweisen. Eine Chronologie der Überarbeitungen ist auch in ihrer Ausführung erkennbar – die hoch gestreckten Arme sind skizzenhaft, die angewinkelte Hand
wurde nach dem oberflächlichen Antrocknen der darunterliegenden Farbschicht gemalt, wie das ausgeprägte Frühschwundrißnetz belegt (Abb. 5; 6).
Die letzte, dritte Veränderung ist die umfangreichste: Sie wurde in breiten,
meist horizontal verlaufenden Pinselstrichen angelegt. Anatomische und
farbliche Unzulänglichkeiten wurden vom Künstler einfach »ignoriert«. Es
ist anzunehmen, dass Hofer mit dem Abschluss des Malakts auch die Auseinandersetzung mit dem Werk beendete.16 Die Korrekturen der Kopfhaltung
bei den Tiller Girls sind dagegen eher gering. Kleinere Veränderungen und
Pentimenti im Bereich der Köpfe finden sich vermehrt im Werk Hofers. Diese
oftmals umgestalteten Umrissflächen verstärkte der Maler durch farbige
Akzente, sodass sie wie eine Art »Gloriole« wirken können (Abb. 8).17
In den Zwanzigerjahren, primär jedoch ab den Dreißigerjahren, werden die
mit einem spitzen Gegenstand – vielleicht der Pinselstielspitze – in die leicht
angetrocknete Farbe eingeritzten Monogramme oder Linien sowie deren Verläufe zu einem bedeutsamen formalen Mittel (Abb. 7– 9).
Hofers Gemälde bestechen durch feinste Nuancierungen im Farbauftrag
und in der Farbmittelverwendung. Einige sind extrem matt, die Verwendung von
Bindemitteln auf Temperabasis oder Wachszugaben können somit nicht aus-
geschlossen werden.18 Ein nivellierender Firnis ist daher für diese Werke von
großem Nachteil und sorgt, neben dem Glanz, für optische Verschiebungen,
die die Farbigkeit stark verfälschen können. Hofer schien daher im Laufe seiner
Maltätigkeit auf solche zu verzichten und lehnte ihre Verwendung ab.19
Die Bildfindung in seinem Werk endet nicht mit der Fertigstellung des
Bildes, sondern schließt die Rahmen mit ein. In Rom begeisterte er sich für die
vergoldeten historischen Rahmen, erwarb sogar einige davon oder ließ sich
neue in dieser Art anfertigen (Abb. 10).20 Später gestaltete und fasste Hofer
die Rahmen selbst und nahm sowohl die Farbigkeit als auch den Pinselduktus
des Gemäldes im Zierrahmen auf. So entstanden, wie beispielsweise bei Zwei
Mädchen von 1938, eine Reihe von Kunstwerken, die eine besondere Intimität
und Intensität ausstrahlen (Abb. 8).
Abb. 8 | links
Zwei Mädchen, 1938:
Gesamtansicht mit Originalrahmen, farbig gefasst.
Abb. 9 | oben
Zwei Mädchen (Detail):
Tunika mit Sgraffito
169