immer auch ein stück unverheiratet bleiben
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immer auch ein stück unverheiratet bleiben
PAARTHERAPIE > ROSWITA GROSS IMMER AUCH EIN STÜCK UNVERHEIRATET BLEIBEN Gedanken zu einer systemischen Paartherapie im Kontext einer Affäre ... when the night has been too lonely and the road has been too long, and you think that love is only for the lucky and the strong, just remember in the winter far beneath the bitter snows lies the seed that with the sun’s love in the spring becomes the rose. (Amanda McBroom, Bette Midler) beschreibe ich die Therapie eines Paares, das einen Bruch in der Liebesbeziehung erfährt, weil ein Partner untreu wurde. Zu Beginn stehen einige theoretische Anmerkungen zum Thema Affären; in einer anschließenden Falldarstellung wird der Prozessverlauf einer Paartherapie skizziert. IM FOLGENDEN AFFÄREN Fakten zwischen Lüge und Wahrheit (Retzer, 2004): Glaubt man empirischen Daten, so sind 90 % aller Männer und 75 % aller Frauen in einer festen Beziehung mindestens einmal untreu geworden (etwa 50 % der Verheirateten, davon 37% der Männer und 20 % der Frauen). Somit ist jedes zweite Paar in irgendeiner Form von Untreue betroffen. Untreue ist daher statistisch gesehen genauso häufig wie Treue und birgt somit auch dasselbe Anrecht auf Normalität (vgl. Retzer 2004). Der Unterschied liegt vor allem in der Bewertung von Treue/Untreue, in der Bedeutung, die Affären und Seitensprüngen gegeben wird. Umfragen zeigen auch, dass die meisten Menschen vom Wert der Treue überzeugt sind, auch wenn sie in der Realität nicht durchgehend treu sind. Diese Diskrepanz stellt beim Thema „Affäre“ für Paare eine der Hauptschwierigkeiten dar. Die Bewertung von Affären unterliegt im Verlauf der Geschichte einem Wandel. So forderte etwa die 68-er Generation eine gelockerte Sexualmoral. Momentan scheint die Treue als Wert wieder einen höheren Stellenwert zu haben. Gleichzeitig wird in den Medien ein glitzerndes Bild von Sexualität vermittelt, das in einer 06 SYSTEMISCHE NOTIZEN 04/05 monogamen Beziehung für viele schwer umsetzbar erscheint – es ist möglich, dass eine der Folgen dieser Diskrepanz die immer häufiger zu beobachtende serielle Monogamie ist. Faktum ist: Sexuelle Außenbeziehungen werden mit deutlichem Abstand als häufigster Grund für Trennungen und Scheidungen genannt. Affären können aus systemischer Sicht folgendermaßen beschrieben werden: In einer Affäre wird die Dyade des Paares im Bereich des sexuellen Verhaltens geöffnet. Sexualität wird dabei von mindestens einem Beteiligten an der Dyade als bedeutsam angesehen. Für die Auswirkung von Affären auf die Paarbeziehung macht es einen Unterschied, ob eine Affäre einmalig oder wiederholt, einseitig oder wechselseitig, lang anhaltend oder kurz ist. Dieser Unterschied zeigt sich auch in der unterschiedlichen sprachlichen Bezeichnung einer Affäre als „Außenbeziehung“, „Seitensprung“, „Verhältnis“ u.a. PAARTHERAPIE UND AFFÄRENGESCHEHEN Man kann im Wesentlichen zwei Bewältigungsstrategien von Paaren im Umgang mit Brucherfahrungen der Liebesgeschichte unterscheiden (vgl. Grossmann 2002): – Die Bewältigungsstrategie der Assoziation: die Brucherfahrung (hier: die Affäre) wird zwischen den Partnern in wiederholter Weise thematisiert. Die Affäre bleibt das zentrale Erzählthema des Paares. – Die Bewältigungsstrategie der Dissoziation: die vergangene Brucherfahrung bleibt ausgespart und die vergangene Verletzung und Schuld wird weitgehend verschwiegen. Beide Formen haben unterschiedliche Implikationen für das weitere therapeutische Vorgehen, wobei ich hier näher auf die Therapie im Kontext assoziierter Bewältigungsstrategien eingehen möchte, da sie für mein Fallbeispiel relevant ist. Grossmann unterteilt den Therapieprozess bei assoziierten Bewältigungsstrategien in mehrere Abschnitte: 1. Abschnitt: Das paartherapeutische System ist der Raum, in dem dem betrogenen Partner aufmerksam vom Partner und vom Therapeuten zugehört wird. 2. Abschnitt: Es geht um Klärung, ob es von beiden Partnern eine Bereitschaft zur Anerkennung und Vergebung der vergangenen Verletzung gibt 3. Abschnitt: Phase der Entscheidung als Nachdenkpause für beide Partner: jeder der beiden überlegt seine Entscheidung für sich allein 4. Abschnitt: Falls die Entscheidung für Anerkennung/Vergebung ausfällt, die gemeinsame Konstruktion eines Rituals 5. Abschnitt: Ausführen des Rituals Im Allgemeinen ergeben sich für Paartherapien, in denen Affären bekannt gegeben werden (bzw. eine Rolle spielen), drei mögliche Zielbestimmungen bzw. Funktionen der Paartherapie: 1. Die Paartherapie soll das Chaos der akuten Krise einer Paarbeziehung stabilisieren 2. Die Paartherapie soll der Erreichung unterschiedlicher individueller Ziele der Partner dienen 3. Die Paartherapie soll dem Paar zu einem Neuanfang verhelfen DARSTELLUNG EINER SYSTEMISCHEN PAARTHERAPIE DER THERAPIEANLASS: Die hier vorgestellte Paartherapie fand in einer Beratungsstelle für Einzel-, Paar-und Familienberatung statt. Zu den ersten beiden Gesprächen kommt Frau H., eine 39-jährige Klientin allein. Sie hat von einer Freundin von der Möglichkeit einer Beratung erfahren. Zu allen weiteren Gesprächen kommen Herr und Frau H. gemeinsam. Herr und Frau H. kennen sich seit 20 Jahren, sind seit 13 Jahren verheiratet und haben zwei Kinder. Herr H. ist während der Woche aus beruflichen Gründen häufig abwesend. Frau H. arbeitet seit 3 Jahren als Büroangestellte in Teilzeit. Die Familie wohnt in einer kleinen Stadt, im Moment noch im Haus der Mutter und Großmutter der Klientin. Sie sind gerade dabei, ein eigenes Haus zu bauen. Das Paar ist in einer heftigen Krise, da Frau H. durch Zufall erfahren hat, dass ihr Mann seit zwei Jahren eine Freundin hatte: Er hat sie in diesem Zeitraum ca. 5 Mal gesehen und fast täglich mit ihr telefoniert. Diese Beziehung ist seit 2 Monaten beendet, da der Ehemann der Geliebten dahinter gekommen ist – er hat die Scheidung eingereicht. Frau H. hat erst vor kurzem von der Affäre erfahren: Sie wurde vom Ehemann der Geliebten angerufen und informiert. Herr H., der seit zwei Monaten keinen Kontakt mehr zu seiner Geliebten hatte, erfuhr erst durch diesen Anruf, dass deren Ehe zerbrochen ist. THERAPIEVERLAUF: Die Therapie lässt sich rückblickend in drei zeitlich aufeinander folgende Phasen aufteilen. Diese Einteilung dient der besseren Orientierung bzw. als Verständnishilfe für das, was in der Therapie hilfreich und weniger hilfreich war. De facto fließen die Phasen zum einen ineinander, zum anderen finden sich die beschriebenen Themen in den verschiedenen Abschnitten wieder. 1. Phase: Die akute Krise (Stunde 1 bis 4) Frau H. ist enttäuscht, verwirrt, verzweifelt und fühlt sich unter Druck gesetzt. Sie kann nicht mehr schlafen, sie will und muss aber vor ihren Kindern und ihrer Mutter Haltung bewahren. Bisher – so Frau H. – seien sie eine Bilderbuchfamilie gewesen. Es beschäftigt sie besonders, dass es nicht eine zeitweilige Affäre war, sondern dass ihr Mann täglich mit dieser Frau telefonierte. JEDES ZWEITE PAAR IST IN IRGENDEINER FORM VON UNTREUE BETROFFEN. UNTREUE IST DAHER STATISTISCH GESEHEN GENAUSO HÄUFIG WIE TREUE UND BIRGT SOMIT AUCH DASSELBE ANRECHT AUF NORMALITÄT. SYSTEMISCHE NOTIZEN 04/05 07 GROSS > Das bedeutet für sie, dass es sich um eine „richtige Beziehung“ handelte, die im Alltag ihres Mannes anscheinend einen festen Platz hatte. Ihr Mann hat sie belogen, dabei betrachtete sie ihn immer als ihren besten Freund. Sie will die Situation nur irgendwie aushalten und überstehen, später vielleicht etwas Klarheit bekommen, wie es weitergehen könnte. Herr H. will, dass seine Frau ihm verzeiht. Sollte er aber merken, dass es „keinen Fortschritt“ gäbe, dann wäre ein rasches Ende der Beziehung besser Er hat ein schlechtes Gewissen, wenn er seine Frau leiden sieht. Er wollte das alles nicht und kann nicht verstehen, wie es dazu kommen konnte. Die Paargespräche haben zu diesem Zeitpunkt die Stabilisierung des Chaos in der akuten Krise zum Ziel. Es geht darum, schnelle und voreilige Entscheidungen zu vermeiden und Zeit zu gewinnen, „... nachdem das Herz stehen geblieben ist, aber noch nicht zerbrochen zu sein scheint“ (Retzer, S 266). Für Frau H. ist gerade eine Welt zusammengebrochen. Sie hat „ihre“ Beziehung verloren. Ihr Bild guten Lebens ist zerstört, und das mit großer Wucht, da sie sich in einer Bilderbuch-Ehe gesehen hat. Die Klientin befindet sich in einer Art Schockzustand. Sie ist enttäuscht, verwirrt, verzweifelt und fühlt sich unter Druck gesetzt. Sie will und kann nichts entscheiden, obwohl sie subjektiv den Eindruck hat, dass sie das sofort müsse. Ihr Partner ist ihr in der Zeit zum einen eine Stütze, da er ihr immer wieder versichert, es tue ihm leid, die Affäre gebe es nicht mehr. Zum anderen reicht er als Ressource nicht aus, da er in ihren Augen auch der Verursacher ihres Leids ist. Ihr krisenhafter Zustand zeigt sich nach innen gerichtet im somatischen Bereich: sie kann nicht mehr essen und nicht mehr schlafen. Nach außen richten sich ihre Gefühle in Form von Hass und Wut gegen den Partner. Sie beschäftigt sich mit selbstquälerischen, beunruhigenden Bildern: sie stellt sich ihren Mann ganz konkret mit der Geliebten vor, besonders in sexuellen Situationen. Sie berichtet von Konzentrationsschwierigkeiten in der Arbeit und während der Kinderbetreuung. Der hier beschriebene Kontrollverlust erzeugt bei ihr gleichzeitig ein Gefühl der Hilflosigkeit. Auf dieses Gefühl reagiert sie wiederum mit Wut, die teils nach außen, teils nach innen gerichtet ist. Das Selbst der Klientin ist massiv ins Wanken geraten. Auch wenn ihr Mann ihr versichert, dass er sie liebt, ZENTRALE INTERVENTIONEN SIND IN DIESER PHASE DIE STÜTZUNG DES PAARES DURCH NORMALISIEREN UND DISSOZIATION SOWIE DIE AUSRICHTUNG DES BLICKS AUF DIE ALLERNÄCHSTE ZUKUNFT 08 SYSTEMISCHE NOTIZEN 04/05 weiß sie nicht, was sie davon halten soll – er hat die Affäre ja nicht von selbst beendet. Auch von dieser Unsicherheit fühlt sie sich bedroht. Herr H. als betrügender Partner erlebt eine Krise in anderer Form. Er erlebt große Schuldgefühle. Er ist ganz auf sich allein gestellt (in dieser Phase tendenziell auch in der Paartherapie), da er – im Konzept des Paares – der Schuldige ist. Er muss seine Frau stützen, ihr Eindeutigkeit vermitteln, damit sie überhaupt der weiteren Beziehung eine Chance geben kann. Diese Eindeutigkeit empfindet er aber nicht zur Gänze, was sich auch in seiner Aussage widerspiegelt: „Wenn das ewig so weitergeht mit ihr, sehe ich keine Chance für die Beziehung mehr“. Er fühlt sich isoliert, da er kein Mitgefühl erwarten kann – und die mögliche Trauer über den Verlust seiner Geliebten hat keinen Platz im Dialog mit seiner Frau, er muss allein damit fertig werden. Gleichzeitig ist er erleichtert, dass es jetzt ans Tageslicht gekommen ist, da das Doppelleben auf Dauer auch anstrengend war. Er ist auch verwirrt über sich selbst, denn wie er nun merkt, liebt er seine Frau, dennoch hat nicht er die Affäre beendet. Er zweifelt an seiner Liebesfähigkeit und Normalität. Gleichzeitig will er schneller mit der Verarbeitung der Krise weiterkommen, denn was geschehen ist, ist geschehen. Dazu kommt die Angst, was nun werden wird, das Gefühl der Bedrohung, dass seine Frau nun die Macht hat, über die Beziehung und dadurch auch über seinen Zugang zu den Kindern zu entscheiden. Und er schämt sich, andere (Frau und Kinder) und letztlich sich selbst betrogen zu haben. Zentrale Interventionen sind in dieser Phase die Stützung des Paares durch Normalisieren und Dissoziation (das Vermitteln von Information darüber, was beide mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erleben, verschafft Erleichterung, ermöglicht Abstand und reduziert das Gefühl der Einsamkeit) sowie die Ausrichtung des Blicks auf die allernächste Zukunft (Besprechen der nächsten Schritte auf der Handlungsebene: Was ist hilfreich im Umgang miteinander, was braucht jeder vom anderen, um die nächsten Tage gut zu überstehen. Wie will jeder für sich die Zeit gestalten, wie soll der Alltag im Moment konkret ausschauen). Interventionen zur Stützung der Klientin sind die Suche nach Ressourcen (welche äußeren Ressourcen gibt es im Leben der Klientin, die in der Schwierigkeit Halt geben können? Welche inneren Ressourcen gibt es, die ihr Halt geben?), die Anerkennung der Schwierigkeit, in der sie sich befindet, das Ermöglichen von viel Raum für ihre Erzählung und ihr Erleben (da ihr ihre eigenen psychischen und körperlichen Reaktionen immer wieder Angst machen, ist die Erklärung, was hier gerade passiert, normalisierend und hilfreich), das Ernstnehmen ihrer körperlichen Reaktionen (Sorge und Mitgefühl zeigen, Überweisung zum Hausarzt mit dem Hinweis, dass man mit einem gestärkten Körper – bezogen auf die Schlafstörung – auch besser mit schwierigen Situationen umgehen kann) sowie die Unterstützung dabei, ihre Gedanken zu kontrollieren (welchen Raum sollen wann welche Gedanken bekommen, z.B. wenn sie die Bilder von ihm und ihr quälen?). Zentrale Interventionen zur Stützung des Klienten verwirklichen sich in dieser Phase als Anerkennung seiner Bemühungen und allgemeine Wertschätzung (es ist zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, Herrn H. mit seinen eigenen Themen Raum zu geben. Es wäre zu kränkend für seine Frau). Alle genannten Aspekte sind auf der Prozessebene von zwei wichtigen Prämissen getragen: 1. Die Wichtigkeit der Dimension Zeit: dem Prozess die nötige Zeit geben ohne voreilig auf Lösungen zu drängen. Hilfreich waren dabei Metaphern – etwa das Bild der Wundheilung (Wenn Ihr Kind sich verletzt, was sind die wichtigsten Maßnahmen? Was braucht die Wunde um gut zu verheilen? Wie lange dauert so ein Prozess möglicherweise? Wer soll dabei was tun?). 2. Die Bedeutung der therapeutischen Beziehung: Im Kontext der affektiven Begegnung geht es um die Bereitschaft, die Krise als Therapeutin zunächst mit auszuhalten und dadurch einen emotionalen Boden zu schaffen, auf dessen sicherer Grundlage neue Möglichkeiten entdeckt werden können. In der Krise ist es wichtig zu bergen - da zu sein, zuzuhören, mitzufühlen und nicht vorschnell zu öffnen - keine schnellen Lösungen, keine Erweiterung von Komplexität (vgl. Welter-Enderlin 1996). 2. Phase: Die Suche: Was hat die Affäre möglich gemacht, welchen Platz geben wir ihr (Stunde 5-8) Frau H. pendelt in den nächsten Stunden sehr zwischen den Polen Vergangenheit und Zukunft: dem Wunsch, ein Warum und ein Wie zu finden und dann doch am liebsten nach vorne zu schauen und alles zu vergessen, einfach neu anzufangen. Es bewegen sie mehrere Fragen. Zur Frage nach dem Grund für seine Untreue: Sie sucht den Grund für die Affäre einerseits in der ehelichen Beziehung: Was hat in der Beziehung gefehlt? Denn wenn man das weiß, denkt sie, könnte man vielleicht verhindern, dass es wieder passiert. Sie sucht den Grund aber auch bei ihm und der anderen Frau: Was war diese Frau für ihn a) seine große Liebe, b) sexuell attraktiv c) der Reiz des Verbotenen, d) es ist einfach so passiert, e) er hatte das Gefühl, im Leben etwas zu versäumen, da sie selbst für ihn die erste sexuelle Beziehung war. Die zweite Frage, die sie sich immer wieder, jedoch im Verlauf immer seltener stellt, ist die Frage nach dem Wie: Wie war es körperlich zwischen ihrem Mann und SYSTEMISCHE NOTIZEN 04/05 09 GROSS > seiner Freundin? Sie verspürt immer wieder den Drang, sich von ihm alles genau erzählen zu lassen. Das Resultat ist, dass es ihr danach meist noch schlechter geht. Die dritte Frage, die sie beschäftigt: Er hat die Affäre nicht beendet. Wie wäre es ohne den Anruf weitergegangen? Wie soll sie mit seinen Lügen umgehen, wie soll sie ihm je wieder vertrauen? Die vierte Frage, die plötzlich auftaucht: Will sie so einen Mann überhaupt, der anders ist, als sie bisher gedacht hat? Sie weiß jetzt auch, dass ihr Schwiegervater immer untreu war. Sie fragt sich, was da auf sie zukommen würde und versteht, warum ihre Mutter sie immer vor dem flotten Burschen gewarnt hat. Frau H. mag nicht mehr vor allen Leuten so tun, als wäre alles in Ordnung und erzählt die Geschichte seiner Schwester, aber nicht ihrer eigenen Mutter, denn die würde so reagieren, dass Frau H. ihren Mann verteidigen müsste und das will sie nicht. Herr H. schwankt zwischen Hoffnung und Enttäuschung, denn manchmal sind sie wie ein verliebtes Paar wo Nähe und Intimität möglich sind. Dann wieder braucht nur eine Kleinigkeit passieren, und sie stößt ihn wieder weg. Das macht ihn oft sehr hilflos, auch wütend. Das unterdrückt er aber, denn er müsse im Augenblick der Stärkere sein. Er sagt, er habe noch nie soviel für seine Frau empfunden wie jetzt, denn sie zeige mehr Gefühle als früher, auch Wut und Traurigkeit. Er will viel zu Hause sein, weil er meint, das fördere ihr Vertrauen. Er setzt ihr auch kein zeitliches Limit, er hat sich entschieden, an diese Ehe zu glauben. Das Paar macht in dieser Zeit – 4 Monate sind inzwischen vergangen – gemeinsam ohne Kinder Urlaub. Die erste Woche ist schön, die zweite nicht, denn da erfährt sie ein weiteres Detail der Affäre. Zu Hause will sie ihn hinauswerfen, der Gedanke an die Kinder hält sie aber ab. Herr und Frau H. haben mit den Kindern gesprochen und ihre Situation erklärt, so dass die Kinder, die ja immer viel mitbekommen haben, sich auch besser auskennen. Es wissen jetzt auch zwei andere befreundete Paare von der Affäre. Das entlastet sehr und gemeinsam sprechen sie über Treue, Liebe, Ehe und wie andere Paare damit umgehen. 10 SYSTEMISCHE NOTIZEN 04/05 Gleichzeitig meinen beide, die psychischen Einbrüche seien nicht mehr so häufig. Sie unternehmen wieder mehr gemeinsam. Frau H. greift auch alte Freundschaften wieder auf, geht selber öfter alleine aus. Sie erinnert sich, auch, nicht immer so sicher in Hinblick auf die Ehe gewesen zu sein. Vor der Hochzeit hat sie einen Seitensprung begangen. Und immer wieder will sie von ihm genaue Details erfragen, wie es genau abgelaufen ist, wie es war. In dieser Phase der Bewältigung wollen beide einen guten Platz für das Geschehene finden, es einordnen können, so dass ein gemeinsames Leben wieder möglich wird. Sie wissen noch immer nicht, welche Bedeutung sie dem Geschehenen geben sollen, aber der Wunsch, dass daraus eine gemeinsame Zukunft entsteht, ist bei beiden – immer wieder – deutlich spürbar. In dieser Phase wird geklärt, ob Bereitschaft für Anerkennung und Vergebung der Verletzung da ist. Zu dieser Klärung gehört vor allem für die Klientin – und zunehmend für den Klienten – die Frage, ob sie/er der Affäre eine Bedeutung, einen Sinn abgewinnen kann und wenn ja, was diese/dieser für die gemeinsame Zukunft bedeutet. Die Erklärungen der Klienten für den Grund der Affäre sind u.a.: 1. Sie haben einander als Paar durch die Kinder, den Hausbau u.a. aus den Augen verloren. Frau H. hat sich nicht mehr so für den Alltag ihres Mannes interessiert, die Geliebte ihres Mannes jedoch sehr wohl. 2. Die eheliche Bindung ging auf Kosten von Leidenschaft. 3. Da Frau H. für ihren Mann die erste sexuelle Beziehung war, hatte er das Gefühl, etwas zu versäumen. 4. Bei Männern gibt es das eben – v.a. bei so einem Vater. Der andere Focus der Klienten ist die philosophische Frage nach Möglichkeiten von Liebe/Treue, Geheimnis und Lüge in Ehen. Möglicherweise kann eine andere Sichtweise dieser Werte eine gemeinsame Zukunft ermöglichen. Die Suche nach veränderten Bildern ist verknüpft mit der Hoffnung, auch rückwirkend die Affäre anders zu bewerten. Mit der versuchten Klärung dieser Fragen ist auch die Hoffnung verbunden, im Fall einer Entscheidung das Risiko einer nochmaligen Affäre möglichst gering zu halten und das Gefühl von mehr Kontrolle über zukünftiges Geschehen zu haben: „Wenn ich weiß, warum es passiert ist, kann ich es in Zukunft womöglich auch leichter verhindern.“ Diese Phase steuert letztlich auf die von Retzer formulierte Frage zu: „Was machen wir nun mit der Affäre?“ Eine wichtige Frage, die davor bewahren soll, bei der Sinnsuche stehen zu bleiben. EINIGE GEDANKEN ZUM THEMA LÜGEN UND GEHEIMNISSE In vielen Beziehungen stellt der Wert und vielleicht auch das Versprechen von Treue eine Art normative Grundlage dar. Wenn nun einer der beiden in Hinblick auf die getroffene Übereinkunft, einander sexuell treu zu sein, abweicht, so ist eine häufige Art des Umgangs damit, aus der Affäre ein Geheimnis zu machen. Das wiederum ist eng mit Lüge verbunden. Lügen verursachen eine große Kränkung und bilden eine der Hauptschwierigkeiten bei der Verarbeitung des lin). Konstruktiv nennt sie Geheimnisse, die im Zusammenhang mit der Ausbildung von eigenen Grenzen und Individualität stehen, destruktiv sieht sie Geheimnisse, wenn aus Gründen der Machtausübung gelogen wird. Für die Paarbeziehung sei es in jedem Fall fruchtbar, wenn Lebenspartner Geheimnisse voreinander haben. Riehl-Emde (2003) meint, dass im alltäglichen Nebeneinander Geheimnisse auch einen gegenseitigen Schutz darstellen. Die Liebe brauche Diskretion, Geheimnis, Undeutlichkeit, Phantasie. Ihr drohe Gefahr, wenn sie in völliger Offenheit und Authentizität geführt wird (ebd. S 217). Sie zitiert Luhmann, der „Schutzzonen der Unaufrichtigkeit“ gegen den Anspruch von Offenheit und Aufrichtigkeit fordert. Das bringt auch Implikationen für den therapeutischen Prozess mit sich: provoziere ich mit meinen Fragen restlose Offenheit oder lassen meine Fragen individuelle Räume zu. Weiters führt Riehl-Emde Maschino an, der meint, dass der Lüge oft die Angst vor der Einvernahme durch andere und die Angst, sich selbst zu verlieren, zu Grunde liegt. In einer Paarbeziehung signalisiere sie unter solchen Umständen möglicherweise das Bedürfnis, die Beziehung weiterzuführen, denn die Wahrheit würde mit Kränkung und unnötiger Brutalität einhergehen. Auch in der jüdischen Moralphilosophie wird das Thema Lüge und Geheimnis differenziert gesehen. Auch wenn grundsätzlich die Lüge als eine Schwester der Zerstörung angesehen wird und auch Treue einen sehr hohen Wert darstellt, darf man von der Wahrheit abweichen, wenn durch die Wucht der Wahrheit jemand Schaden nehmen würde. Man unterscheidet dabei die punktuelle Lüge (z.B. Seitensprung), die hilfreich sein kann und somit erlaubt wäre, von der habituellen Lüge (Außenbeziehung) – die Lüge aus Gewohnheit – die im Judentum verboten ist (Rabbi Walter Homolka 2004). Manchmal scheint das Scheitern an den selbst aufgestellten oder übernommenen Werten und Normen große Probleme zu machen. IM ALLTÄGLICHEN NEBENEINANDER STELLEN GEHEIMNISSE AUCH EINEN GEGENSEITIGEN SCHUTZ DAR. DIE LIEBE BRAUCHE AUCH DISKRETION, GEHEIMNIS, UNDEUTLICHKEIT, PHANTASIE. Geschehenen – so auch im beschriebenen Fall. Die Klientin fragt sich permanent, wie sie ihrem Mann jemals wieder vertrauen kann. Das Leiden entsteht aus der Spannung zwischen gemeinsam etablierten Normen und Werten und der Abweichung davon. Lügen und Geheimnisse können nicht an sich als gut oder schlecht bewertet werden. So kann zwischen konstruktiven und destruktiven Geheimnissen unterschieden werden (vgl. Welter-Ender- SYSTEMISCHE NOTIZEN 04/05 11 GROSS > Ich finde es als Therapeutin wichtig – bei allem Respekt vor der tatsächlichen Verletztheit der Klientin und Bedeutung der Themen – gemeinsam mit Klienten zu überprüfen, welche Werte und Normen wann hilfreich sind, denn letztendlich sollen Werte und Normen für die Menschen da und hilfreich sein und nicht umgekehrt. Diese Phase der Therapie ist durch das Ausbalancieren und Moderieren zwischen den Polen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Hinblick auf das gemeinsame Ziel charakterisiert. Welter-Enderlin umschreibt dies als Moderieren des „Paartanzes“ zwischen der Suche in der Vergangenheit, der konkreten Handlungsebene der Gegenwart und den Visionen für die Zukunft. Ein Paar soll nicht in der Suche nach Bedeutungen verloren gehen, es soll gute, stimmige Visionen für die Zukunft entwickeln. Zentrale Interventionen sind in dieser Phase das Benennen (die Suche nach einem passenden Wort, mit dem die Partner von dem Geschehenen reden wollen: Affäre/ Beziehung/ ...) und die Erkundung der Bedeutung der anderen Ausdrücke für jeden Einzelnen (gibt es einen Begriff, auf den sich beide einigen können? – Beide entscheiden sich letztendlich für „Affäre“), Fragen zur Vergangenheit (Besprechen der o.g. unterschiedlichen Varianten für mögliche Ursachen der Affäre: Welche Auswirkung hat es, an die jeweils einzelnen Varianten zu glauben? Einführen der Möglichkeit, es nie genau zu wissen, sondern sich auch entscheiden zu können: Wenn sie dem gemeinsamen Ziel ein Stück näher kommen wollten, an welche Variante wäre es dann hilfreich zu glauben? Was wäre der Preis? Welche Auswirkungen hätte es? Was ist, wenn es keine Ursache gibt?), Fragen zur Gegenwart (wie wollen sie im Moment als Paar leben? Wie wollen sie die Rolle als Mutter/Vater/Eltern/Einzelperson leben?), die Einführung eines Zukunftstagebuches (wenn sie zurückschauen auf diese Zeit, was wollen sie zu den Kapiteln „Ich als Mutter in diesem bedeutsamen Sommer“, „Ich als Ehefrau“, „Ich als Ehemann“, „Ich als Vater“, „Ich als Schwiegersohn“, „Ich als Tochter“ lesen?), die Erkundung der Themen Grenzen/ Macht/Kontrolle (welche Erfahrungen haben beide mit diesen Themen? Wie geht es ihr nach ihren Befragungen zu seiner Affäre? Wie geht es ihm? Gibt es auch Bereiche, wo sie ihrem Mann sehr Intimes erzählen muss oder besteht diese Erwartung nur ihm gegenüber? Wie geht es ihr mit den Bildern, die seine Erzählung dann in ihr entstehen lassen? Was denkt sie dann über sich? Was möchte sie gerne denken? Welche Handlungsschritte leiten sich daraus für zu Hause ab?) sowie das Entwickeln diesbezüglicher Vereinbarungen (wie oft wird darüber EIN PAAR SOLL NICHT IN DER SUCHE NACH BEDEUTUNGEN VERLOREN GEHEN, ES SOLL GUTE, STIMMIGE VISIONEN FÜR DIE ZUKUNFT ENTWICKELN. 12 SYSTEMISCHE NOTIZEN 04/05 gesprochen? Worüber genau, bis zu welchen Fragen, wer sagt stopp? Was braucht er, um stopp zu sagen?). In diesem Zusammenhang kommt der Nutzung von Metaphern ein wichtiger Stellenwert zu. (Wo ist ein guter Platz für ihre Erinnerungen? Die Klientin entwikkelt das Bild einer Holzkiste, wo die Bilder hineinkommen. Diese ist versperrbar, sie bekommt zunächst einen realen Platz auf ihrem Schreibtisch und wird später in eine Kammer geräumt. Zu diesem Zeitpunkt will sie die Kiste mit den Erinnerungen noch lange behalten.) 3. Phase: Das Ringen um eine Entscheidung und Schritte des Neubeginns (Stunde 9–11;) Diese Phase der Therapie beginnt mit dem Kauf einer Küche. Die Bestellung der Küche wird in der Therapie zum Zeichen, dass ein Neuanfang in Sicht, nicht aber alles geschafft ist. Zu diesem Zeitpunkt weiß die gesamte erweiterte Familie auf beiden Seiten um die Affäre, was zur Folge hat, dass Frau H. noch ein Stück näher zu ihrem Mann rückt und ihn vor allem ihrer Mutter gegenüber verteidigt, was gleichzeitig große Wut in ihr hervorruft. („Wie komme ich dazu!“). Herr H. äußert, dass er sich zunehmend wie ein geprü- gelter Hund vorkomme und sich sehr wünsche, dass der Prozess zu einem Ende komme. Die Klientin ringt mit sich, wie und ob sie den Schritt zu vergeben wagen soll, wobei sie Angst hat, dass das gleichzeitig heißt, alles zu vergessen. Beide beschreiben, dass es ihnen im Alltag meist sehr gut geht: Sie machen gemeinsam einen Tanzkurs, sie kümmern sich beide um die Kinder, wobei sie ihnen jetzt auch viel mehr Selbstständigkeit zumuten können. Die gewonnene Zeit nutzen sie für Unternehmungen zu zweit. Gleichzeitig sucht Frau H. nach ausgleichender Vergeltung: Sie überlegt sich, ob nicht ein Seitensprung ihrerseits das Beste wäre, ob ihr ein langer Urlaub zustehe oder ob es am besten alle erfahren sollten. Zu diesem Zeitpunkt vergrößern sich die zeitlichen Abstände zwischen den Gesprächen, wobei die Klientin sichtbar mit der Entscheidung ringt, ihrem Mann zu vergeben oder damit noch zu warten. Nach einem großen Abstand zwischen zwei Gesprächen, der dem individuellen Nachdenken dienen soll, kommen beide mit dem Gefühl, dass das Thema zum größten Teil abgeschlossen ist. Es werde sicher immer wieder hochkommen, aber sie wissen, dass sie zusammenbleiben wollen und es auch schaffen werden. Gemeinsam wird vereinbart, die Paargespräche zu beenden, denn in einer sich zumindest anbahnenden Liebesbeziehung ist in der Dyade für einen Dritten kein Platz mehr. Das Ende der Paargespräche wird durch die Konstatierung des erreichten Unterschieds markiert (Grossmann S. 147). Beide meinen, sie haben bereits begonnen, den Weg einer Liebesbeziehung wieder zu gehen – ob sie ein Ritual durchführen oder nicht, entscheiden sie selbst, Ideen haben sie dafür. – An diesem Punkt enden die Gespräche. GEDANKEN ZU AUSGLEICH UND VERGEBEN Die Phase ist gekennzeichnet durch die Suche nach einem Ausgleich und nach Gerechtigkeit. Steht ihr Geld zu, wenn ja, wieviel? (Was kostet eine Affäre?) Steht ihr ein Urlaub zu? Hat SIE jetzt das Recht auf eine Affäre oder hat sie jetzt das Recht, in der Öffentlichkeit über die Affäre zu sprechen? Was wären Merkmale eines erfolgten Ausgleichs? Zur Idee Rache als Versuch des Ausgleichs ein chinesisches Sprichwort: „Wenn Du ausziehst um dich zurächen, nimm zwei Särge mit.“ Die betrogene Partnerin definiert hier das wieder gefundene Vertrauen als Zeichen geglückten Ausgleichs. Das birgt aber die Schwierigkeit, dass man Vertrauen nicht an konkrete Forderungen knüpfen kann. Vertrauen ist kein Verhandlungsgegenstand. Würde man Vertrauen verhandeln, wäre es nicht mehr Vertrauen sondern hätte eher mit Kontrolle, Macht und Sicherheit zu tun. Vertrauen ist eine Gabe, die man in Freiheit schenkt und empfängt. Dazu muss man sich aber entscheiden. Somit steht auf der einen Seite die Idee der Forderung (Ausgleich in welcher Form auch immer). Das entspricht einer Logik von Partnerschaft und nicht von Liebesbeziehung. Auf der anderen Seite steht die Möglichkeit des Geschenks (Vertrauen), bei dem es um mich und meine Entscheidung geht. Auswirkungen werden vielleicht indirekt spürbar, bleiben aber gleichzeitig unbenennbar. Zu diesem Zeitpunkt kann auch Angst aufkommen: vor der Freiheit, der Wahl, ja oder nein zu sagen. Und auch der schuldig Gewordene hat die Wahl, sich selbst zu vergeben oder nicht. Auch das kann Angst auslösen. Solange er bereut, hat er keine Freiheit und keine Angst, wieder schuldig zu werden. Sobald er sich aber vergibt, kann er auch wieder schuldig werden (vgl. Retzer). Riehl-Emde meint, in der Therapie der Liebesbeziehung geht es darum, irrationale Grundsätze zu realisieren, die der Natur der Liebe entsprechen – wie Verzeihen, Hingabe, Vergessen durch Vergeben. Der Prozess des Vergebens durchläuft in der Regel mehrere Phasen: 1. Auseinandersetzung mit der eigenen Verletztheit 2. Auseinandersetzung mit der verletzenden Person 3. Entscheidung zum Vergeben und Loslassen der negativen Gefühle 4. Neues Verhältnis und neues kommunikatives Verhalten gegenüber der verletzenden Person Bei wirklicher Versöhnung hat der Unschuldige nicht nur den Anspruch auf Sühne, er hat auch die Pflicht sie SYSTEMISCHE NOTIZEN 04/05 13 GROSS > zu fordern. Und der Schuldige hat nicht nur die Pflicht, die Folgen seiner Tat zu tragen, er hat auch ein Recht darauf. Mit vermeintlicher Schuld und Unschuld gehen auch immer Macht und Einfluss einher, und es ist wichtig, die Machtverhältnisse wieder in ein Gleichgewicht zu bringen. Die „Waffen der Unschuld“ können genauso stark sein wie die ständige Schuld. Folgende Interventionen kommen in dieser Phase zum Tragen: Fragen zu Ausgleich und Vertrauen (welchen Gewinn hat es für die Klientin, Rache zu üben? Was wäre der Preis? Welche Ideen von Ausgleich hat sie darüber hinaus? Wie steht ihr Mann dazu? Wann wären sie quitt?), Fragen zum Vergeben (welche Bilder und Erfahrungen gibt es dazu? Welche Gefahren sind damit verbunden, letztlich ja oder nein sagen zu können? Welchen Zeitraum braucht jeder von ihnen, um sich Klarheit zu verschaffen? Welche Vor- und Nachteile hat es, das Geschehene eindeutig abzuschließen, bzw. sich dafür zu entscheiden, nicht zu vergeben? Wie groß ist die Risikobereitschaft? Woran erkennt Frau H., dass sie bereit ist zu vergeben? Woran erkennt Herr H., dass der Zeitpunkt für einen Neubeginn gekommen ist?), Experiment/Hausaufgabe (Frau sucht 2 Tage in der Woche aus, in denen sie so tut als hätte sie vergeben. Ihr Mann kennt diese Tage nicht. Herr H. sucht sich 2 Tage in der Woche aus, in denen er so tut, als hätte er sich vergeben, als hätte er keine Schuldgefühle mehr und würde nicht mehr bereuen. Seine Frau kennt diese Tage nicht), das Entwickeln eines Rituals (Unterstützung beim Entwickeln eines Rituals der „zweiten Hochzeitsreise“, das bei Bedarf zur Verfügung steht. Noch ist nicht klar, ob sie es durchführen werden), und schließlich der Abschluss der Therapie (was war hilfreich, was war störend, welche Themen wollen sie für zukünftige Gespräche nützen? Was würde in Zukunft förderlich sein für ihr gemeinsames Ziel, was würde hinderlich sein? Wie werden sie evtl. Einbrüche bewerten?). SCHLUSSBEMERKUNGEN Dem beschriebenen Paar ist es gelungen, diesen Bruch im Liebesgeschehen zu überwinden. Das heißt natürlich nicht, dass sie das Liebesglück bis ans Ende ihrer Tage gepachtet haben werden – es bleiben grundlegende Fragen, die mit gemeinsamem Leben und Lieben verbunden sind (Grossmann, 2002). Rückblickend sehe ich noch einmal sehr deutlich, wie wichtig es ist, den Bewältigungsprozessen genug Zeit und dem Verstehen genügend Platz zu geben. Es war oft schwer, die Spannungen und teils heftigen Gefühle von Wut und Schmerz einfach mit auszuhalten. Was das Durchhalten erleichterte, war das Gefühl im Raum, dass beide Partner einander trotz der Schwierigkeiten sehr mögen. GERADE BEIM THEMA AFFÄRE/SEITENSPRUNG FINDE ICH ES WICHTIG, PAARE, BEI DENEN LIEBE SPÜRBAR IST, DABEI ZU UNTERSTÜTZEN, DER AFFÄRE DEN IHR ZUSTEHENDEN RAUM ZU GEBEN. 14 SYSTEMISCHE NOTIZEN 04/05 Gerade beim Thema Affäre/Seitensprung finde ich es wichtig, Paare, bei denen Liebe spürbar ist, dabei zu unterstützen, der Affäre den ihr zustehenden Raum zu geben. Ich möchte mit einem Satz enden, der sehr gut beschreibt, was das hier beschriebene Paar als Fazit der Affäre für sich festhielt: „Man soll halt immer auch ein Stück unverheiratet bleiben.“ Mag. ROSWITA GROSS ist Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin für systemische Familientherapie und Absolventin der la:sf. Literatur: Dechmann, B. und Ryffel Christiane: „Vom Anfang zum Ende der Liebe“. Beltz Weinheim und Basel: 2001 Egidi K. und Boxbücher M. (Hrsg): „Systemische Krisenintervention“. Dgvt-Verlag Tübingen: 1996