musikästhetische und popkulturelle Strategien der Künstlerin M.I.A.

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musikästhetische und popkulturelle Strategien der Künstlerin M.I.A.
Zwischen Subalternität und Hegemonie musikästhetische und popkulturelle
Strategien der Künstlerin M.I.A.
Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung,
dem Landesprüfungsamt für Erste Staatsprüfungen
für Lehrämter an Schulen vorgelegt von:
David Schütte
Köln, den 25.10.2012
Prof. Dr. Michael Rappe
Fachbereich 5 / Musikwissenschaft, Musikpädagogik
Hochschule für Musik und Tanz Köln
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Story to be told - Überlieferungen einer selbstbestimmten Biographie
2.1. Flucht als Herkunft
2.2. Hintergrund im Vordergrund
2.3. Musik, Bündnisse und Produktion
2.4. Zusammenfassung
3. Begriffserklärung und Einordnung: Subaltern vs. Hegemonie
3.1. Die Begriffe nach Gramsci und bei Althusser
3.2. Weitere Entwicklungen bei Spivak, Bhabha und Ha
3.3. Schlussfolgerungen für die Praxis von M.I.A.
4. Komponentenanalyse: Bricolage, Ästhetik und popkulturelle Merkmale
im Werk von M.I.A
4.1. Vokalstil
4.2. Album: Arular
4.2.1. Track und Video: Galang
4.2.2. Track: Bucky done gone
4.2.3. DIY-Ästhetik in Sound und Produktion
4.2.4. Aussagen und Lesarten
4.3. Album: Kala
4.3.1. Track: Bamboo Banga
4.3.2. Track und Video: Bird Flu
4.3.3. Track und Video: Boyz
4.3.4. Track: Hussel
4.3.5. Ästhetik der Versammlung in Sound und Produktion
4.4. Album: /\/\ /\ Y /\
4.4.1. Track: XXXO
4.4.2. Track: Born Free
4.4.3. Neue Räume in Sound und Produktion
4.4.4. Aussagen und Lesarten
5. M.I.A. und der Weltmusikdiskurs
5.1. Die Konstruktion anderer Musik
5.2. M.I.A.s globale und politische Musik
5.3. Neue Politik
5.4. Weltmusik 2.0 ?
6. Zusammenfassung und Ausblick
7. Quellenverzeichnis
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2
1. Einleitung
M.I.A. ist eine Künstlerin, der im Verlauf der Nullerjahre im Rahmen der Populärkultur
viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. „Diskurs-Pop-Sensation“, „Agent Provocateur“,
„Agrit-Pop-Künstlerin“ und „Guerilla-Goddess“ sind nur ein paar Bezeichnungen, die
bei der Rezeption und Forschung über sie ins Auge fallen. In all diesen Bezeichnungen
schwingt eine politische Konnotation mit, die vermuten lässt, dass sie kein Popstar der
leisen Worte und Töne ist und keine Kontroversen scheut. Tatsächlich hat eine
Künstlerin wie M.I.A. mit ihrer Art, politische und sozial relevante Themen in den
Kontext der heutigen Populärkultur einzubetten, großen Seltenheitswert. In ihrer
Lebenswirklichkeit waren Herrschaftsverhältnisse und damit verbundene Kämpfe und
identitäre Festschreibungen stets präsent. Sie hat sich der Herausforderung gestellt, ihre
persönlichen Erfahrungen als Flüchtling und postmigrantisches Kind einer westlichen
Gesellschaft zu nutzen, um politisch drängende Themen aus einer biographischen
Motivation zum Inhalt einer künstlerischen Praxis innerhalb der Populärkultur zu
machen.
Neue Technologien, die globale Zirkulation von Warenströmen und Massenfluchten
führten zu einer nie da gewesenen Vermischung von Kulturen und Identitäten. Dies hat
sich auch auf viele Bereiche des Musiklebens ausgewirkt. Besonders in den Sphären der
urbanen Subkulturen sind auf der ganzen Welt dadurch neue Allianzen und Netze der
Identifizierung geschaffen worden. Einzelne subkulturelle Stile wie Punk-Rock oder
Hip-Hop hatten sich ursprünglich aus dem Widerstand gegen herrschende Verhältnisse
entwickelt, wurden jedoch aufgrund der Absorption von subversiven Zeichen und
Praktiken durch die industrielle Vereinnahmung im Popkontext in ihrer politischen und
sozialen Relevanz entschärft. Die musikalischen Ecken und Kanten wurden
produktionstechnisch abgeschliffen um einem angeblichen Konsumgeschmack besser
zu entsprechen.
Heutzutage ist es schwer im Kontext der Popkultur Musikschaffende zu finden, die
dominante Strukturen auf so radikale Weise wie M.I.A herausfordern. Sie bezeichnet
sich selbst nicht als Musikerin und hat die Entwicklungen der Popmusik, bezogen auf
die ungemeine Ausdifferenzierung von Stilen und Verortungsmöglichkeiten, doch wie
kaum jemand zuvor genutzt, um gestalterische Grenzen zu verhandeln und zu erweitern.
Zu ihren verschiedenen Innovationen gehört eine individuelle Verschmelzung
subkultureller Genres mit musikalischen und textlichen Referenzen, die von globalen
Befreiungskämpfen und kulturellen Praxen berichten. Ihre Affinität zu transkulturellen
Allianzen über nationale oder genrespezifische Grenzen hinweg, ihre Suche nach
3
Bündnissen mit anderen Musikschaffenden und ihre kooperative Herangehensweise an
künstlerisches Gestaltungsmittel in der Musikproduktion sind weitere Elemente und
Handlungsweisen in ihrer populärkulturellen Arbeit.
Zu Beginn steht M.I.A.s Biographie im Zentrum der Betrachtung, wobei hier der
Versuch unternommen wird, ihre künstlerische Motivation vor dem Hintergrund ihrer
Sozialisierung im Kontext gesellschaftlicher Konflikte nachzuvollziehen. Diese
Faktoren werden als Impulsgeber für ihren Wunsch nach kreativem Ausdruck als eine
Möglichkeit verstanden, aus herrschaftlichen Bedingungen auszubrechen und deren
dominante Ideologien und die daraus resultierenden Zuschreibungen in Frage zu stellen
und zu verhandeln. Die Ausführlichkeit der Biographie liegt der Absicht zugrunde, die
verschiedenen Facetten dieser Entwicklung aufzuzeigen und die Vielfalt ihrer
Kooperationen und Allianzen herauszustellen.
Im dritten Kapitel werden diese unterschiedlichen Faktoren in einen kulturwissenschaftlichen Dialog einbezogen. Die Cultural und Postcolonial Studies als
interdisziplinäre akademische Form der kulturwissenschaftlichen Analyse von
Herrschaftsverhältnissen bieten hierfür den Rahmen, um die Begriffe Subalternität und
Hegemonie herzuleiten und in Beziehung zu der populärkulturellen Arbeit von M.I.A.
zu setzen. Die Rolle der Populärkultur wird im Kontext der Verhandlung von
Subjektpositionen unter hegemonialen Voraussetzungen erörtert. Hier werden
Bedingungen von gesellschaftlicher Hegemonie und strategische Möglichkeiten und
ihrer Unterminierung in der Populärkultur aufgeworfen. (Gefährdung: Standpunkt der
Herrschenden gesehne)
Das vierte Kapitel soll einen möglichst vielschichtigen und differenzierten Einblick in
das musikalische Schaffen der Künstlerin geben. Ebenso wird der Versuch
unternommen, popkulturelle und musikästhetische Strategien festzustellen, mit denen
M.I.A. herrschende Vorstellungen und hegemoniale Gestaltungsvorgaben in Frage
stellt. Techniken wie die Bricolage und eklektische Auswahlverfahren werden
aufgeführt und erläutert, um den Charakter ihrer Herangehensweisen zu beschreiben.
Klangästhetische und produktionstechnische Merkmale kommen hierbei ebenso zum
tragen wie die semantische Ebene ihrer Texte und ihrer Bild- und Zeichensprache.
Im fünften Kapitel steht der Diskurs um den Begriff Weltmusik im Vordergrund und
wird im hinsichtlich M.I.A.s global orientierte Verfahrensweisen diskutiert.
Insgesamt wird sich in dieser Arbeit der Künstlerin als zentrale Quelle auf
wissenschaftliche und persönliche Weise genähert. Diese Vorgehensweise begründet
auch die Methode, die informativen Aussagen aus den zahlreichen Interviews, Artikeln
4
und Diskussionen im World Wide Web zusammenzuführen und im Dialog mit
akademischen Quellen und Theorien zu thematisieren.
2. Story to be told1 - Überlieferung(en) einer
selbstbestimmten Biographie
„Sometimes I repeat my story again and again because it’s interesting to see
how many times it gets edited, and how much the right to tell your story
doesn’t exist. People reckon that I need a political degree in order to go,
‘My school got bombed and I remember it cos I was ten-years-old’. I think if
there is an issue of people who, having had first hand experiences, are not
being able to recount that – because there is laws or government restrictions
or censorship or the removal of an individual story in a political situation –
then that’s what I’ll keep saying and sticking up for, cos I think that’s the
most dangerous thing. I think removing individual voices and not letting
people just go ‘This happened to me’ is really dangerous. That’s what was
happening (...) Nobody handed them the microphone to say ‘This is
happening and I don’t like it'.“2
2.1 Flucht als Herkunft
M.I.A. wird am 18. Juli 1975 in Hounslow, London mit bürgerlichem Namen Mathangi
(Rufname „Maya“) Arulpragasam als Kind von Kala und Arul Pragasam geboren. Beide
Eltern stammen aus Sri Lanka und gehören der tamilischen Minderheit an, die seit
mehreren Jahrzehnten im Konflikt mit der dortigen singhalesischen Mehrheitsregierung
steht.
Sechs Monate nach Mayas Geburt ziehen die Eltern mit ihr und ihrer älteren Schwester
Kali zurück nach Nord-Sri Lanka in die Stadt Jaffna.3
Ihr Vater trifft diese
Entscheidung, nachdem er von schweren Misshandlungen erfährt, die seinem Vater
durch die staatliche Armee zugefügt worden seien. 4 Dort angekommen wird Mayas
Bruder Sugu geboren und ihr Vater wird zum Mitbegründer der Eelam Revolutionary
1
Songtitel auf dem Album „ /\/\ /\ Y /\“.
2
Matthew Bennett: Agent Provocateur - M.I.A. Interview, 28.06.2010 http://www.clashmusic.com/
feature/agent-provocateur-mia-interview (20.10.12).
3
Vgl. Miranda Sawyer: M.I.A.: ,I‘m here for the people‘, 13.06.2010 http://www.guardian.co.uk/music/
2010/jun/13/mia-feature-miranda-sawyer (17.10.12).
4
Vgl. Tobias Rapp: taz Nr. 7643 vom 19.4.2005, Seite 15, 330 Zeilen (Kommentar).
5
Organisation of Students (E.R.O.S.), einer säkularen tamilischen Befreiungsorganisation, die für die Einsetzung eines unabhängigen Staates für die tamilische
Minderheit kämpft. Seitdem operiert er unter dem Namen Arular. Ab diesem Zeitpunkt
verschwindet Mayas Vater in den Untergrund und ist für die Familie unerreichbar.5
Maya beschreibt ihre Kindheitserfahrungen als sehr ambivalent. Sie erinnert sich an
viele glückliche Momente mit ihrer Familie und den Kindern aus der Nachbarschaft.
Dennoch ist ihr Aufwachsen stark von den Begebenheiten des Bürgerkrieges
gekennzeichnet. Da Mayas Vater als revolutionärer Anführer von staatlichen
Institutionen verfolgt wird, muss die Familie sich oft verstecken oder gar flüchten. 6
„We lived in hiding for so long. We were just moving from village to village and from
house to house. Nobody wanted to put us up; we were untouchable. Everybody knew
about us in Sri Lanka, and nobody wanted to deal with us because we brought so much
heat. The army would follow [us wherever we'd go]. We were living in big-time poverty,
stealing mangoes off someone else’s tree,”7
Maya besucht verschiedene britische, christlich oder hinduistisch geprägte Schulen. In
dieser Zeit sammelt sie ihre ersten Erfahrungen mit Bildender Kunst und entdeckt ihre
darstellerische Begabung. 8 Sie kann sich mit Playback-Shows auf Nachbarschaftsfesten
Geld dazuverdienen.9 Gleichzeitig wird sie an die Realität des Bürgerkrieges, die auch
vor den Schulen nicht Halt machte:
„The army would come down to the Tamil convent [ I attended], put guns through holes
in the windows and shoot. We were trained to dive under the table or run next door to
English schools that wouldn’t get shot. It was a bullying exploitation.”10
Die Familie erlebt wie der Bürgerkrieg immer stärker eskaliert. Als Maya neun Jahre alt
ist wird die Schule, die sie besucht, zerbombt.11 In der Zeit, als die Familie die
5
Vgl. ebd.
6
Vgl. Miranda Sawyer: M.I.A.: ,I‘m here for the people‘, 13.06.2010 http://www.guardian.co.uk/music/
2010/jun/13/mia-feature-miranda-sawyer (17.10.12).
7
Vgl. Ismat Mangla: Not-So Missing in Action, 04.10.2004 http://niralimagazine.com/2004/10/not-somissing-in-action/ (17.10.12).
8
Vgl. Craig McLean: Agent provocateur, 04.10.2007 http://www.telegraph.co.uk/culture/3666998/Agentprovocateur.html (17.10.12).
9
Vgl. Tom Breihan: Status Ain‘t Hood Interviews, 18.07.2007 blogs.villagevoice.com/statusainthood/
2007/07/status_aint_hoo_28.php (17.10.12).
10
Vgl. John Fortunato: I Am M.I.A. Here‘s Me Raw, http://www.beermelodies.com/interviews/i-am-miahere%E2%80%99s-me-raw/ (17.10.12).
11
Richard Harrington: No Loss For Words, 16.09.2005 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/
article/2005/09/15/AR2005091500697_pf.html (17.10.12).
6
militärische Gewalt und politische Verfolgung vermehrt am eigenen Leibe zu spüren
bekommt und Freunde sowie Verwandte im Kreuzfeuer ums Leben kommen,
entschließt sich Kala, Mayas Mutter, in Großbritannien Asyl zu suchen.12 Maya ist zu
diesem Zeitpunkt elf Jahre alt. 13
Wieder in England wächst Maya in Merton auf. Dieses Viertel im Stadtteil Mitcham ist
eine Hochburg der rechtsgerichteten British National Front im Südwesten Londons. Die
Gegend ist geprägt von Deindustrialisierung, Sozialabbau und Kriminalität. Die Familie
wird dort in der Sozialbausiedlung Phipps Bridge untergebracht. Hier erlebt sie den
zweiten wesentlichen Teil ihrer Sozialisation.
Maya bekommt von Beginn an Ausländerfeindlichkeit und Ausgrenzung zu spüren. Als
eine von zwei Familien aus dem asiatischen Raum in der Gegend ist ihre Familie sehr
häufig mit rassistischen Anfeindungen konfrontiert.14 Sie werden auf der Straße als
„Pakis“ beschimpft.15 Als Maya später andere Exil-Tamilen kennenlernt, wird sie wegen
ihrer unweiblichen Kurzhaar-Frisur ausgegrenzt. In einem Interview berichtet sie, dass
sie deswegen sogar aus dem Sitar-Unterricht ausgeschlossen wurde.16
In einem schulischen Förderprogramm verbessert Maya rasch ihre Englischkenntnisse.
Ihre Begegnungen mit der Hip-Hop-Kultur in ihrer Nachbarschaft beeinflussen ihre
ästhetische und kulturelle Sozialisation. Die Graffiti-Kunst und die Rapmusik üben eine
starke Anziehungskraft auf sie aus.
„Where I lived, there was one black family and they lived next door to us. And they had a
kid who listened to hip-hop all the time with his mates. It was a bit rowdy, a bit
dangerous, listening to unknown music, but eventually I wanted to hang out, and that's
how I learned hip-hop - there, and on pirate radio stations, at school and at the
playground." 17
12
Ismat Mangla: Not-So Missing in Action, 04.10.2004 http://niralimagazine.com/2004/10/not-somissing-in-action/ (17.10.12).
13
Miranda Sawyer: M.I.A.: ,I‘m here for the people‘, 13.06.2010 http://www.guardian.co.uk/music/2010/
jun/13/mia-feature-miranda-sawyer (17.10.12).
14
Vgl. Robert Wheaton: London Calling -- For Congo, Columbo, Sri Lanka part two, 06.05.2012 http://
web.archive.org/web/20090124220154/http://www.popmatters.com/music/interviews/mia-0505062.shtml
(17.10.12).
15
Kien Nghi Ha erwähnt in seinem Buch „Ethnizität und Migration Reloaded“ eine in England populäre
rassistische Praktik, die sich „Paki Bashing“ nennt (S.98).
16
Vgl. Jan Kedves: M.I.A. Militanz. Information. Apathie., 24.03.2005 http://www.intro.de/kuenstler/
interviews/23015468/mia-militanz-information-apathie (17.10.12).
17
Richard Harrington: No Loss For Words, 16.09.2005 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/
article/2005/09/15/AR2005091500697_pf.html (17.10.12).
7
Während Besuchen bei ihrer Verwandtschaft in Los Angeles macht sie Bekanntschaft
mit der hybriden Identitätspolitik amerikanischer Hip-Hop-Kultur und der Möglichkeit
ihrer Verortung darin.
„That's exactly what happened with me. Because I spent time in L.A., too, growing up on
gangster rap. My cousin was a gangster bitch, and she knew the Bloods and the Crips and
she was Sri Lankan.“ 18
Auch drückt sie ihr Interesse an dieser Subkultur mit ihrem collagierenden Modestil
aus.19 Diese nichtweiße Subkultur suggeriert Maya das Potenzial verschiedener Formen
marginalisierter Identitäten und gibt ihr das Gefühl einer kulturellen Zugehörigkeit.20
Sie hört die Musik von Public Enemy, Eric B. & Rakim oder N.W.A. Diese sind neben
Musik von Michael Jackson und Boney M., die sie bereits während ihrer Kindheit in Sri
Lanka kennenlernt, ihre ersten entscheidenden Berührungspunkte mit westlicher
Popkultur.21
Die Flüchtlingswelle, mit der Mayas Familie in den 1980er Jahren nach England
kommt, versetzt die dortige schwarze Bevölkerung in einen verbesserten Status der
ethnischen Hierarchie. Zuvor an den Rand gedrängt, erlebt sie nun die Flüchtlinge aus
Asien als Menschen, deren Sprachkenntnisse des Englischen noch unvorteilhafter für
deren Integrationschancen sind. 22 Die urbane subkulturelle Identität, die marginalisierte,
nichtweiße Jugendliche durch die Hip-Hop-Kultur gewinnen, bietet ihr nun jedoch eine
18
M.I.A.: Kehinde Wiley (Interview), 19.11.2008 http://www.interviewmagazine.com/art/kehinde-wiley/
#_ (17.10.12).
19
Vgl. Robert Wheaton: London Calling -- For Congo, Columbo, Sri Lanka part two, 06.05.2012 http://
web.archive.org/web/20090124220154/http://www.popmatters.com/music/interviews/mia-0505062.shtml
(17.10.12).
20
Im Interview mit dem Arthur Magazin gibt sie detailliert Auskunft über die Gründe sich im Kontext des
HipHops zu verorten:
„And because I was able to adapt to it, hip-hop gave me a home, an identity. Before, people looked at me
and thought ‘Oh, she’s a Paki refugee kid who doesn’t know how to speak English.’ Now they looked and
said, ‘Her trousers are so baggy, she’s got bleach in her hair, her Walkman’s on too loud.’ These kinds of
[bigotries] were easier to deal with. If you’re alienated because of the type of music you listen to, it’s
okay because you have a tribe of people who understand it, and I knew that in little holes all over the
world, there were kids picking up on that shit, joining the secret club. That’s how you feel as a teenager. It
was an outsider culture, for those who didn’t have a sense of belonging in the mainstream. I was already
used to that thinking, being a Tamil, a guerilla. Hip-hop was the most guerilla thing happening in England
at the time. You had Public Enemy fronting it, and that felt like home, and I could dance while I was
feeling shitty. It had a whole aesthetic to it – it was being really crass with pride.“
Arthurmagazine: Interview with M.I.A., 05.2005 http://www.arthurmag.com/2007/02/11/interview-withmia-from-arthur-magazine/ (20.10.12)
21
Arthurmagazine: Interview with M.I.A., 05.2005
http://www.arthurmag.com/2007/02/11/interview-with-mia-from-arthur-magazine/ (19.10.12)
22
Vgl. Arthurmagazin: Interview with M.I.A., 05.2005
http://www.arthurmag.com/2007/02/11/interview-with-mia-from-arthur-magazine/ (17.10.12)
8
zugänglichere Verortungsperspektive in den britischen Kontext als es die Infrastruktur
von Bildung und Ökonomie zu leisten vermag.23 Gleichzeitig ist die Identifizierung mit
Hip-Hop eine Erfahrung differenzierter Identität, die popkulturell, global und ethnisch
ambivalent operiert.
„It was the first thing that didn’t make me feel like I had to know Shakespeare back-tofront to fit in. Plus, it was something new, which I knew about but other people at school
didn’t, something that gave me a sense of belonging“ (...) „I started meeting Sri Lankans
in England whose families lived in England all their lives, cousins that were into hip-hop.
Me and my sister thought they were so cool, living in a black neighborhood, wearing silk
tracksuits, acting black, while I was wearing my polka-dot leggings. Within a year and a
half of returning to England, me and my sister were both as black as you can get.“ 24
Maya hat zu diesem Zeitpunkt bereits erfahren, dass ihr Vater noch lebt und als
Freiheitskämpfer für die tamilische Organisation E.R.O.S. aktiv ist. Sie hat jedoch nach
wie vor keine Möglichkeit Kontakt mit ihm aufzunehmen.25
Eine weitere Subkultur prägt Maya in den 1990er Jahren. Die elektronische Tanzmusik
gewinnt an Einfluss und ihre Anhänger versammeln sich in Clubs und geheimen, so
genannten Off-Spaces zu Raves. Hier vermischen sich die Möglichkeiten zur
Identifizierung zwischen nichtweißen und weißen Jugendlichen. Maya sieht auch in der
Ravekultur einen zugänglichen, informellen und rebellischen Kontext, in dem eine
Wissensproduktion zu Gunsten der Ermächtigung des persönlichen und gemeinsamen
Ausdrucks erfahrbar ist.
„The XR2 {Anm.: Version des Ford Fiesta} is a car that we used to drive in. And it's how
we dressed and the attitude of it. I just remember rave music made you feel really
amazingly competent in your little bottle of shit that was going on. We used to drive
around in little XR2 cars with bass-tubes, and it was really noisy and crazy. Nobody liked
us, and everyone was coming home at eight in the morning, still high off ecstasy and
shit.“ 26
23
Vgl. ebd.
24
Ebd.
25
Maya:"I came to England with the understanding that he didn't really play a part in my life anymore,
(...). And that's how I survived and why I've been really independent and getting on with life." Richard
Harrington: No Loss For Words http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2005/09/15/
AR2005091500697_pf.html (17.10.12).
26
Tom Breihan: Status Ain‘t Hood Interviews, 18.07.2007 http://blogs.villagevoice.com/statusainthood/
2007/07/status_aint_hoo_28.php (17.10.12).
9
2.2 Hintergrund im Vordergrund
Nachdem sie die Schule erfolgreich beendet hat, wird sie auf dem Central Saint Martins
College of Art and Design in London aufgenommen. Sie erzählt, wie sie den Direktor
des Colleges in einem Telefonat dazu überredet, sich für das Studium für Film und
Video einschreiben zu dürfen.
„I really wanted to study art and the only place I wanted to go is St. Martin’s cause it’s the
best one [in England], and I didn’t have any qualifications. So I got the name of the head
of the art department. (...) I told him, I’m not going to go study anywhere else, so I’m just
better off becoming a hooker, that I’d rather do anything than compromise my education.
(...) So eventually he let me in (...) He said I’ve got chutzpah.“ 27
Während ihres Studiums lernt sie viele andere Kunstschaffende kennen. Sie stellt
jedoch schnell fest, dass für sie das l‘art pour l‘art-Verständnis der meisten ihrer
KommilitonInnen nicht die Motivation, die Substanz ihres künstlerischen Handelns sein
konnte.28
„By the time I left St. Martin’s, I could not justify myself being an artist at all, because I
did not meet anyone there who was doing interesting art that was also getting through to
everyday people. [Students there were] exploring apathy, dressing up in some pigeon
outfit, or running around conceptualizing. My life did not allow it: My mom was getting
evicted, my brother was going to jail, I’d get my first phone call from my dad in twelve
years confirming he’s still alive. So making ripples in the water, to aesthetically represent
beauty, just didn’t make sense [to me ].“ 29
Maya wendet sich nun Genres zu, die eine radikale künstlerische Praxis verwirklichen
wollen. Sie beschäftigt sich mit dem Dokumentarfilmkonzept des Radical Cinema der
60er und 70er Jahre und dem Dogma 95-Kino, dem Regisseur Harmony Korine und
dem Musikvideo- und Filmemacher Spike Jonze.30
Ihre Ausbildung zur bildenden Künstlerin am St.Martin College wird zu einer Brücke
für ihre ersten Begegnungen mit kreativer musikalischer Arbeit. Während ihres
Studiums freundet sie sich mit Studierenden der Fakultäten Mode- und Grafikdesign an
und taucht in die Subkultur der Londoner Party-, Mode- und Musikszene ein.31
27
Arthurmagazin: Interview with M.I.A., 05.2005 http://www.arthurmag.com/2007/02/11/interview-withmia-from-arthur-magazine/ (17.10.12).
28
Vgl. ebd.
29
Ebd.
30
Vgl. Contactmusic: M.I.A. once eyed a carrer as a filmmaker, 04.10.2005 http://
www.contactmusic.com/news-article/mia-once-eyed-a-career-as-a-film-maker (17.10.12).
Vgl. http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2005/09/15/AR2005091500697_pf.html
(17.10.12).
10
31
Über den Musiker Damon Albarn (Blur, Gorillaz) lernt sie dessen Freundin, die
Musikerin Justine Frischmann, kennen.32 Diese beauftragt Maya im Jahr 2000 ein
Cover für das neue Album ihrer zwischen Post-Punk und Brit-Pop angesiedelten Band
Elastica zu gestalten. Kurze Zeit später bittet Frischmann Maya um ein weiteres Art
Design für eine Single und nimmt sie mit auf eine USA-Tournee. Maya soll eine VideoTour-Dokumentation gestalten. Dort begegnet sie der kanadischen ElectroclashSängerin und postfeministischen Ikone „Peaches“, die für die Konzerte von „Elastica“
in den USA der Support Act ist, und verfolgt jeden ihrer Auftritte.33
“It was the first time I'd come across the concept of someone doing a gig or a show on
stage with nothing, (...) It was the most liberating thing I'd ever seen. It puts the emphasis
on the artist. I really loved that sense of bravery. I thought if I started with something as
minimal as that, I could work on myself. ”34
„Peaches“ führt Maya während der Tournee die Roland Groovebox MC-50535 vor und
motiviert sie Musik zu machen: „Peaches hat mir gezeigt, dass man nur eine Frau, ein
Mikrofon und eine Beatbox braucht, dann ist alles möglich“.36
Nachdem Maya wieder in London eintrifft, vollendet sie jedoch vorerst ihr Studium am
St. Martin‘s College. Im Juni 2001 erhält sie ihren Abschluss. Genau an diesem Tag
erfährt sie, dass ihr Cousin - wie ihr Vater Mitglied im tamilischen Untergrund - in der
Hauptstadt Sri Lankas ein Selbstmordattentat verübt haben soll.37
"We were partners in crime when we were kids, soul mates. At ten, I left. He stayed and
joined the Tigers. He died the same week I graduated with a fine-arts degree. At that time,
for me, everything was London, London, London. You know, Stella McCartney, fashion.
Then you get a phone call, that your cousin died for a cause. How do you communicate
that to anyone in London, dying for a cause? It was just amazing to me that someone my
age, who had the same start I did, who was better in school than I was - I would always
copy off his papers - he ended up dead. And I didn't." 38
32
Craig McLean, Agent provocateur, 04.10.2007 http://www.telegraph.co.uk/culture/3666998/Agentprovocateur.html (17.10.12).
33
Richard Harrington, No Loss For Words, 16.09.2005 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/
article/2005/09/15/AR2005091500697_pf.html (17.10.12).
34
Lily Moayeri, M.I.A., 01.03.2005 http://www.emusician.com/news/0766/mia/141165 (17.10.12).
35
Die Roland MC-505 Groovebox ist ein Gerät, das Möglichkeiten von MIDI-Sequencer, Drum Machine
und Synthesizer vereinigt. Neben dem LFO, dem VCF, diversen Effekten und den Envelope-Funktionen
gibt es einen Echtzeit-Arpeggiator. Vgl. Wikipedia, http://en.wikipedia.org/wiki/Roland_MC-505
(17.10.12).
36
Vgl. Artikel, Florian Sievers: Im Mash der Kulturen, Groove, http://www.groove.de/titel.php (19.4.05).
37
Vgl. ebd.
38
http://www.rollingstone.com/music/news/m-i-a-guerilla-goddess-20051229#ixzz21MqnHDWY
(17.10.12).
11
Sie beschließt nach Jaffna zu reisen, um die Umstände des Todes ihres Cousins zu
untersuchen und darüber einen Dokumentarfilm zu drehen, den sie M.I.A. (Akronym
für Missing in Action) nennen will.39 Maya sammelt dazu Filmmaterial, das die
Lebensumstände der Bevölkerung im Bürgerkriegszustand dokumentiert. Als sie sieht
wie eine Frau auf offener Strasse von zwanzig Männern vergewaltigt wird, möchte sie
auch dieses Ereignis mit der Kamera festhalten. Ihre Mutter Kala unterbricht ihre
Dreharbeiten aus Angst um ihre Tochter. Als sie merkt, dass sie Maya wohl nicht von
ihrem Vorhaben abbringen können wird, sperrt sie sie für eine Woche in das Nähzimmer
im Haus der Großmutter, wo sie für die Dauer ihres Aufenthalts wohnen.40
Zurück in London beginnt sie die gewonnenen Eindrücke und Aufnahmen, die sie noch
tätigen konnte, künstlerisch zu verarbeiten. Das unfertige Dokumentarfilmmaterial und
ihre Erfahrungen im Bürgerkrieg in Sri Lanka geben ihr die Inspiration und die
Grundlage für ihre neuen Werke. Sie gestaltet eine Ikonografie aus Motiven, die sie den
Stills (Standbildern) des Videomaterials entnimmt. Diese überträgt sie mit Hilfe von
Stencils (Papierschablonen) mit Sprühfarben auf verschiedene Oberflächen. Symbole
der Guerilla Bewegungen des tamilischen Befreiungskampfes und Szenen staatlicher
militärischer Repression werden mit Technik und Bildsprache der Graffiti-Street-Art
kombiniert. So versetzt sie urbane und periphere Subversionsstrategien in einen
gemeinsamen Kontext. 41
Der für ihren Dokumentarfilm vorgesehenen Titel M.I.A. wird ihr Künstlername, den
sie als Signatur für ihre Bilder in Ausstellungen und für einen Werkkatalog verwendet,
der beim Londoner Kunstbuch-Verlag Pocko erscheint. 42
2.3. Musik, Bündnisse und Produktion
Während eines Urlaubs im Jahre 2002, den sie gemeinsam mit Justine Frischmann auf
der karibischen Insel Bequia verbringt, erweitert sich ihr musikalischer Horizont. Nach
einer Einführung durch Frischmann experimentiert sie zum ersten Mal selbständig mit
39
http://www.telegraph.co.uk/culture/3666998/Agent-provocateur.html (17.10.12).
40
Maya erzählt, dass sie nach drei Tagen in der Kammer beginnt aus den Gardinen die dort vor dem
Fenster hingen, Kleidungstücke zu entwerfen und anzufertigen.
Mark Binelli: M.I.A.: Guerilla Goddess, 29.12.2005 http://www.rollingstone.com/music/news/m-i-aguerilla-goddess-20051229 (17.10.12).
41
Vgl. Richard Harrington: No Loss For Words, 16.09.2005 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/
content/article/2005/09/15/AR2005091500697_pf.html (17.10.12).
42
Vgl. Craig McLean: Agent provocateur, 04.10.2007 http://www.telegraph.co.uk/culture/3666998/
Agent-provocateur.html (17.10.12).
12
der Groovebox MC-505 von Roland. Zusätzlich macht sie sich mit Gospel Musik,
Diwali-Jungle-Rhythmen und der Soundsystemkultur vertraut, mit der sie auf Bequia
zum ersten Mal persönlich in Berührung kommt.43
“I started going out to this chicken shed with a sound system. You buy rum through a
hatch and dance in the street. They convinced me to come to church where people sing so
amazingly. But I couldn’t clap along to hallelujah. I was out of rhythm. Someone said,
‘What happened to Jesus? I saw you dancing last night and you were totally fine.’ They
stopped the service and taught me to clap in time. It was embarrassing.” 44
Zurück in London bastelt sie in ihrem Appartement, welches sie gemeinsam mit
Frischmann bezieht, an ihren ersten Beats und Tracks. Ihre Werkzeuge sind die
MC-505, ein billiges Mikrophon und ein Secondhand 4-Spur Kassettenrecorder. Sie
kreiert ihr erstes Demo-Tape, auf dem Songs wie „Lady Killa“, „M.I.A.“ und „Galang“
zu finden sind.45
Den Track „Galang“ vollendet sie zusammen mit dem Produzententeam „Cavemen“,
bestehend aus Ross Orton und dem Bassisten der Band „Pulp“ Steve Mackey. Nachdem
„Galang“ auf vielen subkulturellen Veranstaltungen und Fashionshows gespielt wird
und auch von internationalen Radio-DJs in ihre Tracklisten aufgenommen, unterschreibt
Maya einen Plattenvertrag mit dem Musiklabel „XL-Recordings“. Sie beginnt mit der
Produktion ihres ersten Albums.46
Sie arbeitet an ihrem Vierspur-Recorder an den Rohfassungen weiterer Tracks und
begibt sich auf die Suche nach Produzenten, mit denen sie sich eine Zusammenarbeit
vorstellen kann.47 Sie kontaktiert den DJ und Produzenten „Diplo“, dessen Mixe ihre
Aufmerksamkeit erregen und reist zu ihm nach Philadelphia. Gemeinsam produzieren
sie ein von Dancehall- und Dirty-South-Hip-Hop-Elementen geprägtes Mixtape mit
dem Namen „Piracy Funds Terrorism Vol. I“. Der vom brasilianischen Baile-Funk
geprägte Track „Bucky Done Gone“ sowie der Titel „M.I.A.“, den sie gemeinsam mit
ihrem Bruder Sugu schreibt, werden ebenfalls von Diplo produziert und auf ihrem
Debutalbum veröffentlicht.48 Er begleitet sie auch als DJ auf ihrer ersten Album-Tour.
43
Vgl. John Fortunato: I Am M.I.A. Here‘s Me Raw http://www.beermelodies.com/interviews/i-am-miahere%E2%80%99s-me-raw/ (17.10.12).
44
Ebd.
45
Vgl. Craig McLean: Agent provocateur, 04.10.2007 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/
article/2005/09/15 AR2005091500697_pf.html (17.10.12).
46
Vgl. Artikel, Tobias Rapp: taz Nr. 7643 vom 19.4.2005, Seite 15, 330 Zeilen (Kommentar).
47
Vgl. Artikel, Florian Sievers: Im Mash der Kulturen, Groove, http://www.groove.de/titel.php, (19.4.05).
48
Ebd.
13
Die Tracks „Amazon“, „Hombre“ und „10 Dollars“ erarbeitet sie mit dem Produzenten
Richard X. Dave „Switch“ Taylor und Paschal Byrne aus der UK-House-Szene steuern
den Beat zu „Pull up the People“ bei. 49
Sie gibt ihrem ersten Album den Namen „Arular“, den Namen, mit dem ihr Vater in der
Führungsriege der tamilischen Befreiungsorganisation operiert. Ihre Texte beziehen
sich, wie auch ihre bildende Kunst und ihr musikalisches Auswahlverfahren, auf eine
Lebenswirklichkeit, die von urbanen und peripheren Kämpfen gekennzeichnet ist.
Nach der Single „Galang“ veröffentlicht sie am 5. Juli 2004 die nächste Single
„Sunshowers“. Zu den beiden Tracks entstand auch ein Musikvideo. Der Clip zu
„Sunshowers“ wurde bereits kurz nach der Veröffentlichung von Youtube gesperrt und
aus den Rotationen der großen Musikfernsehsender (MTV) entfernt, da der Text sich
auf die palästinensische Befreiungsorganisation PLO bezieht.50
Am 22. März 2005 wird “Arular“ veröffentlicht51, woraufhin sich Mayas Vater nach
Jahren bei seiner Tochter per Email mit der Botschaft meldet: „I'm very proud of you,
but you have to change the name of the album. Dad.“ Sie kam diesem Wunsch nicht
nach. In einem Interview begründet sie dies mit den Worten: "What can you do? (...)
There's many things I'm not pleased about that he's done, so hey...“ 52
Nach der Veröffentlichung von „Arular“ lädt die US-amerikanische Hip-Hop-Künstlerin
Missy Elliott Maya ein, an ihrer Single „Bad Man“ für ihr Album „The Cookbook“
mitzuarbeiten.53
Zudem geht sie im Laufe der Jahre 2005 und Anfang 2006 auf Tour und absolviert
diverse Live-Auftritte in Nord-Amerika, Süd-Amerika, Kanada, Europa und Asien. Sie
wirkt als Support Act unter anderem für „Roots Manuva“, „LCD Soundsystem“ und
Gwen Stefani. Die meisten Shows bestreitet sie mit dem DJ „Diplo“, der die Beats für
ihre Performance auflegt.54
49
Vgl. „Arular“, CD-Inlet.
50
Vgl. Richard Harrington: No Loss For Words, 16.09.2005 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/
content/article/2005/09/15/AR2005091500697_pf.html (17.10.12).
51
Vgl. metacritic.com http://www.metacritic.com/music/arular/mia (17.10.12).
52
Vgl. Richard Harrington: No Loss For Words, 16.09.2005 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/
content/article/2005/09/15/AR2005091500697_pf.html (17.10.12).
53
Vgl. Will Simmons: M.I.A. Interview, 07.11.2007 http://web.archive.org/web/20060329170246/http://
www.stylusmagazine.com/feature.php?ID=1941 (17.10.12).
54
Vgl. Corey Moss/ Shari Scorca: Coldplay, NIN Top Coachella With Emotional Performances,
02.05.2005 http://www.mtv.com/news/articles/1501113/coldplay-nin-play-emotional-sets-atcoachella.jhtml (17.10.12).
14
Ende 2005 plant Maya ein neues Album. Maya beginnt in den USA Fuß zu fassen. Sie
bezieht ein kleines Appartement in Brooklyn, New York. Bei einem Konzert lässt sie
verlauten, dass sie ihre zweite Platte in Zusammenarbeit mit dem Produzenten
„Timbaland“ zu gestalten gedenkt.55
Aus verschiedenen Gründen kommt dieses
Vorhaben jedoch nicht zur Stande. Zu diesem Zeitpunkt wird auch ihr Visum für die
USA aberkannt. Die Ursachen hierfür werden zwar nie bekannt, jedoch liegt die
Vermutung nahe, dass ihr aufgrund der familiären und politischen Nähe zu den Tamil
Tigers, die in Amerika als terroristische Vereinigung geführt werden, sowie wegen ihrer
unmissverständlich kritischen und provokativen Liedtexte, ein längerer Aufenthalt in
Amerika versagt wird. 56 Ihre Eindrücke schildert sie in verschiedenen Interviews:
“Initially, I didn’t get formally rejected for a visa. They let me into the US for a bit—a
couple of months. I was there to work with Timbaland, but then the visa ran out and I had
to come back to the UK.“ 57
“After the ‘Arular’ album I had financial freedom but I couldn’t have the other sort of
artistic freedom, because people sort of like scrutinizing the words I said, and I couldn’t
get a visa because of it,” 58
Dies ist einer der wesentlichen Gründe, warum Maya die Entscheidung trifft, für ihr
neues Album Produktionsorte zu suchen, die sich über die ganze Welt verteilen. Sie
bereist verschiedene Kontinente mit dem Vorhaben und dem Wissen, nur selten große
und moderne Studios nutzen zu können. Gemeinsam mit dem Produzenten Dave
„Switch“ Taylor und ausgerüstet mit minimalem technischem Equipment begibt sie sich
für viele Aufnahmen auf die Straßen und in die Peripherie der jeweiligen Länder.59
Ihr Bestreben ist es, in einer Umgebung, in der sie ihre künstlerische Freiheit und
Auswahlverfahren nicht beschnitten sieht, nach Klängen und musikalischen Praxen zu
suchen. Auf diese Art kann sie kulturelle Freiheit als Merkmal eines Kontextes zum
Vorschein bringen, in der Gestaltungsmöglichkeiten von Menschen in einen
popkulturell nicht repräsentierbaren Zustand versetzt worden sind.
55
Vgl. Nick Sylvester: Culture Clash, 05.09.2007 http://thephoenix.com/Boston/Music/46609-Cultureclash/?page=2 (17.10.12).
56
Vgl. The Associated Press, 21.08.2007 http://today.msnbc.msn.com/id/20379484#.UA_TrXChw7A
(17.10.12).
57
The fader, Video+Interview: M.I.A., „Jimmy“, 07.08.2007 http://www.thefader.com/2007/08/07/videointerview-mia-jimmy/#ixzz27Hgow5R3 (17.10.12).
58
The Associated Press, 21.08.2007 http://today.msnbc.msn.com/id/20379484#.UA_TrXChw7A
(17.10.12).
59
Vgl. Joe Cellini: Dave „Switch“ Taylor: Producing M.I.A.,
http://www.apple.com/logicpro/in-action/switch/?sr=hotnews (17.10.12).
15
„The thing is, an American voice, in every shape, form, size, is getting heard on the
planet all over the world. If you go to a mud hut in Africa, they are listening to an
American voice, [But] a two-way exchange can exist.”60
Hierfür verbringen Maya und ihr Aufnahme-Team eine gewisse Zeit in dem vom Krieg
zerrütteten Land Liberia und mit Aborigines in Australien. Sie arbeitet mit einer
Trommelgruppe in Indien zusammen und mit Musikschaffenden und Produzenten in
Trinidad und Jamaica, um von diesen Orten Erfahrungen und Perspektiven in ihre
Musik mit einfließen zu lassen.61
„I think traveling really helps. I know some musicians who have studios in Trinidad. (...)
It's neat to see that - [people] not led by money or pretentiousness. It's a small
community, but you really have the space to observe and digest the culture. You go to a
place where social commentary is rare and important and you can serve people. That's
what's inspiring to me - finding someplace where people haven't already seen themselves
in a certain light.“ 62
Entsprechend sind auf ihrem zweiten Album einige Live-Einspielungen mit
traditionellen lokalen Musikpraxen zu hören. Gemeinsam mit „Switch“ fertigt Maya
während ihrer Aufenthalte in den verschiedenen Ländern Tonaufnahmen vieler
zeremonieller Gesänge und Tanzrhythmen an. 63 Ihr erster Aufnahmeort ist Indien. Sie
nimmt Kontakt mit dem bekannten indischen Komponisten und Sänger A.R. Rahman
auf, mit dem sie auf künstlerischer Ebene allerdings nicht zusammenkam. 64 Er stellt
jedoch sein Studio für sie bereit, in dem wichtige Teile des Albums entstanden sind.
Hier wird auch die 22-30-köpfige Trommelgruppe aufgenommen.65 Diese Aufnahmen
liefern das Samplematerial für einige Tracks auf dem kommenden Album.
„But it turned out that [Rahman] was really busy and it was really weird to communicate
my weird ideas to him. It just naturally ended up that he was like, ‘Take all of my
musicians, and here’s my contacts. Do what you want to do with them.’ So it just became
60
The Associated Press, 21.08.2007 http://today.msnbc.msn.com/id/20379484#.UA_TrXChw7A
(17.10.12).
61
Vgl. ebd.
62
M.I.A.: Kehinde Wiley (Interview), 19.11.2008 http://www.interviewmagazine.com/art/kehinde-wiley/
#page2 (17.10.12).
63
Vgl. Lily Moayeri: Out On A Whim, 01.09.2007 http://www.emusician.com/news/0766/out-on-awhim/142834 (17.10.12).
64
Vgl. the fader, Video+Interview: M.I.A., „Jimmy“, 07.08.2007 http://www.thefader.com/2007/08/07/
video-interview-mia-jimmy/ (17.10.12).
65
Vgl. Joe Cellini: Dave „Switch“ Taylor: Producing M.I.A. http://www.apple.com/logicpro/in-action/
switch/?sr=hotnews (17.10.12).
16
that I had more control. We started producing it, and then [UK producer] Switch came
over and we began composing stuff.“ 66
Im Februar 2007 veröffentlicht Maya den Song „Bird Flu“, allerdings nur in Verbindung
mit dem Musikvideo über ihre Myspace-Seite. Die erste offizielle Auskopplung des
neuen Albums ist im Juni 2007 die Single „Boyz“, für die Maya gemeinsam mit dem
Produzenten Jay Will auch ein Video gestaltet.67 Kurz danach wird auch die Single
„Jimmy“ veröffentlicht.68
Im August 2007 wurde das komplette Album auf den Labels „XL Recordings“ und
„Interscope Records“ vorgestellt.69 Maya gab dem Album den Namen ihrer Mutter
„Kala“.
„This one is about my mom and her struggle—how do you work, feed your children,
nurture and love them and give them the power of information? The numerous wars being
fought right now run parallel to the destruction that plagues the home. The lack of
structure, role models and time for family is a tragedy.“ 70
Neben „Switch“ arbeitet „Diplo“ an einigen Tracks des Albums mit. Diese beiden DJs
und Produzenten waren schon maßgeblich an der Entstehung des Albums „Arular“
beteiligt. Den Song „Paper Planes“ komponiert Maya gemeinsam mit „Diplo“.71 Er
wird im Februar 2008 als Single-Auskopplung veröffentlicht. Unter anderem gehört der
Song zum Soundtrack des Oscar prämierten Films „Slumdog Millionaire“.
Maya startet ihre „Kala“-Tour im Mai 2007, auf der sie Konzerte in Europa, NordAmerika, Kanada und Asien gibt. In einigen Shows tritt sie gemeinsam mit „African
Boy“ auf, der bei dem Song „Hussel“ als Gast auf ihrem Album zu hören ist. Maya
bestreitet während ihrer Tour unter anderen auch gemeinsame Auftritte mit „Santigold“,
„Rye Rye“, „Buroka Som Sistema“ und eine Eröffnungsshow für „Björk“.72
66
The fader, Video+Interview: M.I.A., „Jimmy“, 07.08.2007 http://www.thefader.com/2007/08/07/videointerview-mia-jimmy/#ixzz22ZWFpdsI (17.10.12).
67
Vgl. Wikipedia, http://en.wikipedia.org/wiki/Boyz_%28song%29 (17.10.12).
68
Vgl. KIIS FM, M.I.A. Interview, 09.11.2009
http://www.youtube.com/watch?v=_H6tEjNdhQk&feature=relmfu (17.10.12).
69
Vgl. http://web.archive.org/web/20070809112524/http://www.miauk.com/info/?m=200705 (17.10.12).
70
Dirty South Joe: What‘s up with ... M.I.A.?, 06.09.2006 http://web.archive.org/web/20071013165645/
http://philadelphiaweekly.com/view.php?id=12933 (17.10.12).
71
Vgl. http://www.guardian.co.uk/music/2011/jun/16/mia-paper-planes (17.10.12).
72
Vgl. http://web.archive.org/web/20070701062748/http://www.pitchforkmedia.com/article/news/43913mia-adds-us-dates-to-summer-tour (17.10.12).
17
Ihre zweite Tour „People vs. Money“ startet im April 2008 um „Kala“ weiter
vorzustellen. Sie tritt jedoch nur in den USA und in Kanada auf und sagt die weiteren
Auftritte in Europa mit der Begründung ab, sich anderen Projekten widmen zu müssen
und eine Pause zu brauchen.73
Im Herbst 2008 gründet Maya ihr eigenes Label „N.E.E.T.-Recordings“ (Akronym für
Not in Education, Employment or Training)74 und gibt bekannt, dass sie gemeinsam mit
ihrem sieben Jahre jüngeren Verlobten Benjamin Bronfman ein Kind erwartet. Zuvor
besucht sie jedoch mehrere TV-Shows, in denen sie auf eine kommende Offensive der
singhalesischen Regierung gegen die tamilische Bevölkerung aufmerksam macht und
dazu aufruft, den drohenden Genozid zu verhindern. Am 8. Februar nimmt sie noch
hochschwanger an der Grammy-Verleihung 2009 teil, auf der sie gemeinsam mit den
US Rappern und Produzenten „Jay Z“, „Lil Wayne“ und „Kanye West“ auftritt und
ebenfalls versucht, die Aufmerksamkeit auf den drohenden Völkermord zu lenken. Am
13. Februar 2009 wird ihr Sohn Ikhyd Edgar Arular Bronfman geboren.75
Während dieser Zeit verfolgt sie vornehmlich den Aufbau ihres N.E.E.T. Labels als
Plattform für unterschiedliche Kunstschaffende und deren Kollaborationen. Die
Rapperin „Rye Rye“, mit der Maya die Songs „Sunshine“ und „Tic Toc“ gestaltet hat,
ist eine der ersten Künstlerinnen, die sie auf dem Label platziert.76 Weiterhin gewinnt
sie den Rapper, DJ und Produzenten „Blaqstarr“, sowie die Indie-Rockband „Sleigh
Bells“.77
Die Zusammenarbeit mit diesen Künstlern wird zu einem wichtigen
Impulsgeber für Maya und spielt auch bei den Produktionen für das neue Album eine
entscheidende Rolle. Ende 2009 wird auch der Fotograf und Bildende Künstler Jaime
Martinez von Maya auf ihrem Label unter Vertrag genommen.78
Sechs Monate nach der Geburt ihres Sohnes im August 2009 beginnt sie an ihrem
dritten Album zu arbeiten. Ihre Pläne, die USA zu verlassen und wie für „Kala“ ihre
73
Vgl. http://www.spin.com/articles/mia-rebel-yell (17.10.12).
74
Vgl. Sasheem Reid: M.I.A. has a fan in Kanye West, 08.09.2008 http://www.mtv.com/news/articles/
1594197/t-pain-proves-his-rap-skills-on-pr33-ringz-mixtape-monday.jhtml (17.10.12).
75
Vgl. NME, Slumdog Millionaire‘ composer: ,M.I.A. wants to play Oscars‘, 17.02.2009 www.nme.com/
news/mia/42835 (17.10.12).
76
Vgl. beatsandbombs, Rye Rye ft. M.I.A. - „Bang“ (Prod. Blaqstarr), 16.03.2008 http://
www.beatsandbombs.com/tag/neet-records/ (17.10.12).
77
Vgl. Cam Lindsay: Sleigh Bells Talk Spike Jonze, M.I.A. and Being Years Ahead of Their Dreams,
07.06.2010 http://exclaim.ca/News/
Sleigh_Bells_Talk_Spike_Jonze_MI_Being_Years_Ahead_of_Their_Dreams (17.10.12); http://
drownedinsound.com/in_depth/4140724-dis-meets-sleigh-bells (17.10.12).
78
Vgl. Malik Meer: M.I.A. takes on Google, Youtube and Wikipedia, 07.08.2010 http://
www.guardian.co.uk/music/2010/aug/07/mia-google-youtube-wikipedia (17.10.12).
18
Soundrecherche für das neue Album global zu verfolgen, kann sie aus aufenthaltsrechtlichen Gründen nicht verwirklichen, da ihr Visum nicht verlängert wird.79
Ihre Inspirationen sammelt sie daher in Amerika. Die meisten Aufnahmen entstehen in
ihrem eigenen Studio in einem Haus, dass sie gemeinsam mit Ben Bronfman und ihrem
Sohn bewohnt. 80 Maya betont, dass sie ihrem neuen Album ein Gefühl von Intimität
verleihen möchte. Sie gestaltet es in einem überwiegend persönlichen und familiären
Rahmen:
„It was made at home in a commune environment, just because at the moment, that's what
was possible to me. I had a child, and the baby monitor only goes for 200 meters or
whatever, so I couldn't go further than that (...) I built a room under the house that was
kind of like a cave; you had to go down into it. And then I just sort of made it as creative
as possible for me — I was just sort of making the furniture and making the pictures,
covered all the walls with stuff that I made, (...)“ 81
Sie arbeitet viel mit den Produzenten und Komponisten „Blaqstarr“ und „Rusko“
zusammen. Ihre langjährigen Mitstreiter „Diplo“ und „Switch“, sowie ihr Bruder Sugu
Arulpragasam als Songwriter und Produzent, sind ebenso beteiligt an der Entstehung
der Platte. 82
Neben Mayas Haus war „Ruskos“ Studio auf Hawaii die zweite
Produktionsstätte des Albums.83
Im Januar 2010 veröffentlicht Maya ein Video zu ihrem Song „Space“.84 Zur gleichen
Zeit arbeitet sie an der Komposition des Songs „Elastic Love“ für Christina Aguileras
neues Album „Bionic“ mit.85
Am 26. April 2010 taucht im Internet ein Video zu ihrem neuen Song „Born Free“ auf.
Es ist ihre erste Zusammenarbeit mit dem Video-Künstler Romain Gavras, der bei
79
Vgl. Jian Ghomeshi: Interview with M.I.A. on QTV, 18.10.2010 http://www.youtube.com/watch?
v=uaK0YBA8Lss (17.10.12)
80
Vgl. MTV Newsroom, M.I.A.‘s New Album Was Made In A Cave, 13.07.2010 http://
newsroom.mtv.com/2010/07/13/mia-new-album/ (17.10.12)
81
Ebd.
82
Vgl. Matthew Bennett: M.I.A.‘s spectacular third album has much to offer an inquisitive and open
mind., 24.06.2010 http://www.bbc.co.uk/music/reviews/2cb6 (17.10.12)
83
Vgl. Georgie Rogers: M.I.A.‘s call for titel help, 27.04.2010 http://www.bbc.co.uk/6music/news/
20100427_mia.shtml (17.10.12)
84
Vgl. Julianne Escobedo Shepherd: We Think M.I.A. Just Posted a New Song/Video But We‘re Not
100% Positive, 12.01.2010 http://www.thefader.com/2010/01/12/we-think-mia-just-posted-a-newsongvideo-but-were-not-100-positive/ (17.10.12)
85
Vgl. Rap-Up, Christina Aguilera Wraps New Album, Collaborates With Flo-Rida, www.rap-up.com/
2009/10/01/christina-aguilera-wraps-new-album-collaborates-with florida/ (17.10.12)
19
diesem kurzfilmartigen Videoclip Regie führte.86 Der Titel „Born Free“, den Maya mit
Dave „Switch“ Taylor komponierte und produzierte, war die erste Auskopplung und
Vorschau ihres neuen Albums.
„Born Free“ ist eine Reaktion auf die im ersten Halbjahr 2009 von der singhalesischen
Regierung verübten Massenmorde an der tamilischen Bevölkerung. In dem Video greift
sie am Beispiel der Verfolgung und Ermordung rothaariger Jugendlicher das Motiv
ethnischer Säuberungen auf, um diese politisch anzuprangern. 87 Nachdem sie Mitte des
Jahres erfahren hatte, dass inzwischen 50.000 Menschen innerhalb der tamilischen
Zivilbevölkerung ermordet wurden, twittert sie fast täglich Weblinks, Bilder und
Videos, auf denen die reale Gewalt des Krieges zu sehen ist, mit denen sie die schwer
zugängliche Berichterstattung über den Genozid öffentlich weiterleitet. 88
In einem Interview spricht M.I.A. über die Bewegründe und ihre Motivation, Titel wie
„Born Free“ auch visuell radikal umzusetzen:
„The real execution video I twitted, like, 2 months before, no one even really twitted
back to me (…) they were totally down for watching naked dead bodies being shot in the
head, blindfolded and with arms tied behind and executed bodies lying on the field. And
no one even gave a shit, no one even talk about it. - Two weeks later I refilmed that with
some ginger people and some fake blood from china, and it‘s the most horrific thing that
people have seen“ 89
Kurz nach der Veröffentlichung wurde das Video von der Internet - Plattform Youtube
gesperrt. Zu den angegebenen Gründen gehören die explizite Darstellung von Nacktheit
und Gewalt.90 Maya wird von MedienvertreterInnen vorgeworfen, Provokation als
Selbstzweck zu betreiben und reagiert darauf mit Gegendarstellungen. Sie führt eine
öffentliche Auseinandersetzung mit der New York Times, deren Korrespondentin Lynn
Hirschberg ihre Aussagen in einem gemeinsamen Interview falsch zitiert und
86
Vgl. NME, M.I.A. releases violent video for new song ,Born Free‘, 26.04.2010 http://www.nme.com/
news/mia/50823 (17.10.12)
87
Vgl. Jian Ghomeshi: Interview with M.I.A. on QTV, 18.10.2010 http://www.youtube.com/watch?
v=uaK0YBA8Lss (17.10.12).
88
Vgl. M.I.A. twit vom 11. 01.2010 http://twitter.com/MIAuniverse (17.10.12).
89
Vgl. Jian Ghomeshi: Interview with M.I.A. on QTV, 18.10.2010 http://www.youtube.com/watch?
v=uaK0YBA8Lss (17.10.12).
90
Vgl. Stuart Muckton: M.I.A.‘s radical clip banned by YouTube in the US, 03.03.2010 http://
www.greenleft.org.au/node/43936 (17.10.12).
20
kontextualisiert.91
92
Als Reaktion auf die Behauptung, sie versuche lediglich mediale
Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, konfrontiert sie die Zeitung mit deren
Nichtzurkenntnissnahme des Genozids in Sri Lanka und greift deren Darstellung des
Landes als empfehlenswertes Urlaubsziel mit dem Hinweis an, ihrer journalistischen
Verantwortung nicht gerecht zu werden. Sie veröffentlicht ihre eigenen Tonmittschnitte
des Interviews und zwingt die New York Times zur Richtigstellung von Aussagen und
Kontext.93
Am 10. Mai 2010 veröffentlicht Maya den Titel „XXXO“ als digitalen Download. 94 Im
September 2010 erscheint der offizielle Videoclip zu diesem Titel. Anschließend werden
die Songs „Steppin Up“, „Tell me why“ und „Teqkilla“ ebenfalls als Vorschau auf das
neue Album zum Download bereitgestellt.
Ihr 3. Album „/\/\ /\ Y /\“ („Maya“) wird am 23. Juni 2010 auf ihrem eigenen Label
„N.E.E.T“, auf „XL Recordings“ und „Interscope Records“ veröffentlicht.95 Auf dem
Album thematisiert Maya den heutigen Einfluss der Medien. Sie versucht auch auf
visueller Ebene die Mängel in deren Repräsentationsfähigkeit, beispielsweise durch die
Schreibweise des Albumtitels darzustellen. Gemeinsam mit Jaime Martinez entwickelt
sie auch gif-animierte 3D-Fotografien, die sie zur Signatur der visuellen Darstellung
ihres künstlerischen Profils machen will.
Am 31.12.2010 veröffentlicht Maya ein neues Mixtape mit dem Namen „Vicki Leekx“
auf dem bereits der Titel „Bad Girls“ zu finden ist. 96 Am 3. Februar 2012 erscheint die
Single „Give me all your lovin‘“ von „Madonna“, die Maya gemeinsam mit der
Rapperin „Nicki Minaj“ featured, und die auch von ihnen mitgeschrieben wurde.97 Bei
der gemeinsamen Performance des Songs während der Halbzeitshow des
amerikanischen Super Bowl im Februar 2012 verursacht Maya großes Aufsehen, indem
91
Vgl. Pearson: M.I.A.‘s radical Music & Postmodern Absorption, S.14 ff.
92
Link zum Artikel von Lynn Hirschberg, M.I.A.‘s Agitprop Pop, 30.05.2010: http://www.nytimes.com/
2010/05/30/magazine/30mia-t.html?pagewanted=all&_r=0 (17.10.12).
93
Vgl. Pearson: M.I.A.‘s radical Music & Postmodern Absorption, S.16
94
Vgl. Zane Lowe: Hottest Record - M.I.A. - XXXO, 11.05.2010 http://www.bbc.co.uk/blogs/zanelowe/
2010/05/hottest_record_mia_xxxo.html (17.10.12).
95
http://pitchfork.com/news/38757-mia-names-lp-bumps-release-date/ (17.10.12).
96
Vgl. http://pitchfork.com/reviews/tracks/12074-bad-girls/ (17.10.12).
97
Vgl. Homepage MADONNA, The Material Girl Is Back On The Dancefloor, http://madonna.com/
news/title/the-material-girl-is-back-on-the-dance-floor (17.10.12).
21
sie ihren Mittelfinger in die Kamera hält.98 Angeblich habe diese Geste ihrem ExPartner und Vater des gemeinsamen Kindes Benjamin Bronfman gegolten.99
Das Video zu ihrem Song „Bad Girls“, dass sie wieder gemeinsam mit dem Regisseur
Romain Gavras erarbeitet, wird Anfang Februar 2012 auf verschiedenen
Webplattformen veröffentlicht.100 Es wurde in Marokko gedreht und zeigt sie und
verschleierte Personen beim so genannten Drifting, eine akrobatische Technik aus dem
Motorsport, die von Frauen und Männern in Marokko unter Einsatz von Lebensgefahr
betrieben wird.
"It was dope to have so many people from so many different backgrounds speaking so
many different languages come together to create something that we believed in. I
thought I was gonna die on the shoot when I saw the drifting. (...) In my mind I was
thinking how I was gonna deliver the video to Vice with no legs." 101
2.4 Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird nicht der Versuch unternommen M.I.A.s Biographie als
gelungene Integration eines Flüchtlings in den westlichen und popkulturellen
Repräsentationsmodus nachzuvollziehen. Die Biographie sowie die folgende
Kontextualisierung und Interpretation ihres Schaffens im Rahmen dieser Arbeit soll
vielmehr den Versuch eines Menschen beschreiben, unter widrigen Umständen
Möglichkeiten des gemeinschaftlichen und selbstbestimmten Ausdrucks zu finden.
M.I.A. erlebt seit ihrer Geburt viele lebensgefährdende und freiheitsbeschränkende
Formen von Herrschaft, staatliche Repression gegen Minderheiten und andere Staaten,
wirtschaftliche Not, Xenophobie und patriarchale Strukturen. Die verschiedenen
Konstellationen, in denen ihr Herrschaft und Gestaltungsvorgaben einer dominanten
Ideologie begegnen, haben wesentlichen Einfluss auf ihre Sozialisation. Dennoch trifft
sie in jeder Nische der Marginalisierung auf kulturelle Praxen, die hegemoniale Normen
und Gestaltungsvorgaben zu ignorieren versuchen, in Frage stellen oder gar konstruktiv
außer Kraft setzen.
98
Vgl. Sasha Frere-Jones: M.I.A. Shouldn‘t Have Apologized, 06.02.2012 http://www.newyorker.com/
online/blogs/culture/2012/02/im-sorry-mia-apologized.html (17.10.12).
99
Vgl. MTV.UK, M.I.A. Love Split To Blame For Super Bowl Finger Gesture? http://www.mtv.co.uk/
news/mia/346536-madonna-mia-super-bowl-middle-finger-love-split?s_cid=424 (17.10.12).
100
Vgl. Luke Slater: Watch: New M.I.A. video for ,Bad Girls‘, 03.02.2012 http://drownedinsound.com/
news/4144435-watch--new-m-i-a-video-for-bad-girls (17.10.12).
101
Ebd.
22
In ihrer Kindheit erlebt sie den Ausbruch des Bürgerkriegs in Sri Lanka, verbunden mit
den Konflikten zwischen der tamilischen Minderheit und der singhalesischen
Regierung. Doch finden Angehörige des tamilischen Untergrunds und deren Familien
sich zu Nachbarschaftstreffen zusammen, auf denen M.I.A. die Runde mit
musikalischen Darbietungen unterhält. Während ihrer Jugendzeit in England ist es
zunächst das Abhängen mit anderen Jugendlichen in Mitcham im Rahmen der Hip-HopKultur und ihrer hybrid identitätsstiftenden Qualität. Diese Kultur gibt ihr eine Zuflucht
und Verortungsperspektive im Alltag in England, wo sie mit Rassismus und
Ausgrenzung konfrontiert ist. Zudem erfährt sie aufgrund patriarchaler Strukturen
Zurückweisungen durch andere Flüchtlinge.
Ihre Möglichkeiten der Identifizierung werden durch ihr Eintauchen in unterschiedliche
Sphären der Subkulturen erweitert. Sie erlebt die Rave-Kultur als weiteren
Einflussbereich, in der sich Menschen verschiedener identitärer Verortung zum
gemeinsamen Feiern versammeln. In ihrer Zeit an der Kunsthochschule St. Martin sucht
sie den Kontakt zu Menschen, die ihr den Eindruck einer erfolgreichen künstlerischen
Arbeit vermitteln, und verschafft sich so einen Zugang in den Kontext kreativer
Bereiche wie Mode, Musik und Design. Dafür begibt sie sich auf kulturelle
Veranstaltungen und in die Londoner Clubszene.
Das politische Desinteresse und die konsumorientierte Beliebigkeit, die ihr Umfeld
während ihrer Ausbildung als Künstlerin prägen, kollidieren mit der politischen und
persönlichen Realität, als ihr Cousin als Tamil Tiger auf Sri Lanka stirbt; mit dem
Erinnertwerden an das Leben, wie es auch hätte verlaufen können. Dies schafft für sie
eine Perspektive, die nach neuen Ausdrucksformen verlangt, nach einer gemeinsamen
Räumlichkeit zwischen den Entfernungen auf der Landkarte, zwischen den Leerstellen
im Ausdruck und zwischen den verschiedenen Positionen im weltweiten hegemonialen
Gefüge.
Anhand ihrer Biographie werden jedoch die Diskrepanzen gerade zwischen
widersprüchlichen Positionen deutlich. Um ihre Verortung näher zu beschreiben,
nehmen im Rahmen dieser Arbeit die Begriffe subaltern und Hegemonie eine zentrale
Rolle ein. Die theoretischen Grundlagen, aus denen diese beiden Begriffe hervorgehen,
sollen im folgenden Kapitel näher erläutert werden. Dabei werden sie in ihren
akademischen Kontext eingebettet und darauf folgend auf die Arbeit von M.I.A.
bezogen.
23
3. Begriffsklärung und Einordnung: Subaltern vs.
Hegemonie
Um Dynamiken der Identitätsfindung und Fremdbestimmung unter den Bedingungen
von gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen herauszufinden, werden die
Begriffe Hegemonie und subaltern im Bereich der Cultural-, Postcolonial- und EthnicStudies verwendet. Sie begreifen Kultur als ein Konfliktfeld, in dem Bedeutungen
zugeschrieben, errungen und verhandelt werden, und mit diesen gesellschaftliche
Positionen hergestellt, beherrscht und in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden. Die
Populärkultur wird als ein besonderer Austragungsort von Kämpfen um Macht,
Einflussnahme und Repräsentation innerhalb herrschaftlicher Strukturen identifiziert.102
In diesem Kontext untersuchen die Cultural Studies auch die Möglichkeiten, jene in
Frage zu stellen oder in ihrer Wirkung einzuschränken. Dazu schreibt Grossberg:
„Folglich sind ihre Projekte immer politisch, immer parteiisch, aber ihre Politik ist immer
kontextuell definiert. Darüber hinaus versuchen Cultural Studies nicht nur die Strukturen
der Macht, sondern auch die Möglichkeiten des Kampfes, des Widerstands und der
Veränderung zu verstehen.“ 103
Die Cultural Studies beziehen sich auf Antonio Gramsci, der die Begriffe Hegemonie
und Subalterne in seinen Schriften entwickelte.104 Auf dieser theoretischen Grundlage
untersuchen sie konstituierende Faktoren für den Machterhalt einer herrschenden
Schicht oder Klasse über die Gesellschaft, ohne auf direkte Formen der Repression oder
Gewalt angewiesen zu sein.105 Demzufolge ist Hegemonie als ein Herrschaftsverhältnis
zu verstehen, welches nicht nur auf gewaltmäßiger Machtausübung, sondern auch auf
der Zustimmung der Beherrschten beruht. Es legitimiert sich also auch durch einen
gesellschaftlichen Konsens, der bei Gramsci durch organische Intellektuelle vermittelt
wird, unter denen er eine breite Schicht der in gesellschaftlichen Organisationen wie
102
Vgl. auch Marchart: Cultural Studies. S. 51-56.
103
Grossberg: Was sind Cultural Studies? In: Hörning/Winter (Hrsg.) Widerspenstige Kulturen, S.55.
104
Diese militärischen Formulierungen waren auch der Tatsache geschuldet, dass diese Texte im
Gefängnis einer faschistischen Militärdiktatur entstanden und wohl deren Zensur entgehen sollten.
(Gramsci, Antonio: Selections from the Prison Notebooks, London 1971). Gramsci spricht von einer
Herrschaft die auch in der Zustimmung durch die Beherrschten zum Ausdruck kommt.
105
Vgl. Schultze: Hegemonie In: Nohlen, Dieter; Schultze, Rainer-Olaf: Lexikon der
Politikwissenschaft. Bd. I: A-M, 3.Aufl., München: C. H. Beck, S. 336-337 http://www2.leuphana.de/
medienkulturwiki/medienkulturwiki2/index.php/Hegemonie (24.10.12)
24
Parteien, Behörden, Vereinen, Medien usw. tätigen Akademiker versteht.106 Unter dieser
Form herrschaftlicher Integration versteht Althusser in ähnlicher, aber politisch
prononcierter Weise existenzsichernde und Ideologische Staatsapparate (ISAs):107 Eine
Gruppe von Institutionen organisiert die Bereitstellung von materiellen und
lebensnotwendigen Ressourcen wie beispielsweise Lebensmittel, Energie oder
Wohnraum; eine andere Gruppe (ISAs) besteht aus sozialen Institutionen, dem
Bildungssystem sowie administrativen, politischen und konfessionellen Einrichtungen
und nimmt Einfluss auf die Gestaltung von Medien.108 Die ISAs vermitteln die
ökonomische und soziale Funktionslogik einer Gesellschaft und prägen durch die Form
ihrer Zugänglichkeit und Machtausübung die Sprache und das Verhalten. Die
vermittelten Wertvorstellungen und Weltanschauungen werden zu Bedingungen für eine
gelungene gesellschaftliche Integration und erhalten durch ihre scheinbare
Alternativlosigkeit einen quasi naturwüchsigen Charakter.109
Die hier erworbenen Kompetenzen zur Repräsentation fungieren als Bedingung für
wirksames Sprechen und Handeln. Nicht in dieser Sprache repräsentierte Positionen und
Ausdrucksformen werden im Rahmen der Postcolonial Studies als subaltern
identifiziert. Der Begriff subaltern hat sich seit seiner erstmaligen Kontextualisierung
durch Antonio Gramsci in verschiedenen Diskursen weiterentwickelt, verändert und hat
eine Mehrdeutigkeit erlangt. Der Terminus wird heute oft synonym für unterdrückte
und/oder marginalisierte Gruppen verwendet.110 Während Gramsci in seinen Schriften
die Gruppen als subaltern beschreibt, denen der Zugang zu hegemonialen Teilen der
Gesellschaft verschlossen ist, charakterisiert beispielsweise Gayatri Chakravorty Spivak
in ihrem Essay „Can the subaltern speak?“ mit Subalternität einen Zustand der durch
Herrschaft verursachten Sprachlosigkeit.111 Die subalterne Position ist demnach jene
Stelle, von der aus eine Repräsentation in ein hegemoniales Verständnis nicht gelingen
kann oder soll.112
106
Vgl. Haug: Hegemonie. In: o.A.: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus, S. 1-25 http://
www2.leuphana.de/medienkulturwiki/medienkulturwiki2/index.php/Hegemonie (24.10.12).
107
Vgl. Fiske: Die britischen Cultural Studies. In: Winter, Rainer/Mikos, Lothar (Hg.): Die Fabrikation
des Populären. Der John Fiske Reader S.20.
108
Ebd.
109
Ebd.
110
http://userpage.fu-berlin.de/~glossar/de/view.cgi?file=dat_de@168&url=/~glossar/de/menu3.cgi?
l1=workarea@@ (17.10.12)
111
Vgl. Spivak: Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation.
112
Vgl. auch Ebd., S. 106.
25
Spivak identifiziert einen herrschaftlichen Sprachgebrauch in der Transparenz einer
hegemonialen Subjektposition. Diese Position entstehe durch das Unsichtbarmachen
des Selbst bei dem Versuch das Andere zu betrachten. Die Transparenz sei das Mittel
herrschaftlicher Konstruktion des Anderen.113 Das Subjekt der Hegemonie schafft so
keine gemeinsame Gestaltungssphäre, sondern verfolgt die Absicht, Sachverhalte und
Möglichkeiten gemäß hegemonialer Repräsentationsmodi zu identifizieren und
hervorzubringen.
„Ausserhalb (wenn auch nicht gänzlich) des Kreislaufs der internationalen Arbeitsteilung
gibt es Menschen, deren Bewusstsein wir nicht erfassen können werden, solange wir
unser Wohlwollen mit Konstruktionen eines homogenen Anderen verriegeln, die lediglich
auf unseren eigenen Platz an der Stätte Desselben oder des Selbst verweisen. (...) Ihnen
ins Auge zu sehen heißt nicht, sie zu repräsentieren (vertreten), sondern zu lernen uns
selbst zu repräsentieren (darstellen)“. 114
Spivak unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Repräsentationsmodi; der
Darstellung als ein Sprechen von und Vertretung als ein Sprechen für.115 Sie sieht den
Versuch hegemoniale Unterdrückung zu überwinden nicht in der Repräsentation
unterdrückter Positionen im hegemonialen Kontext. Stattdessen schlägt sie eher einen
selbstbewussten Dialog vor. Der sprachliche Raum, der so entsteht, soll die eigene
Subjektposition ins Spiel bringen, anstatt sie hinter der dominanten Ideologie zu
verbergen oder sie lediglich aus der Abgrenzung zu dem Anderen hervorzubringen. Dies
bietet eine Möglichkeit herrschaftliches Sprechen zu boykottieren und nichtherrschaftliches Handeln vorstellbar zu machen. Sie verdeutlicht dabei die
Notwendigkeit, die Sprache der Herrschaft zu verlernen, die das Gegenüber zum
Gegenstand der Betrachtung und zum Objekt benötigter Repräsentation erklärt.
„In dem die postkolonialen Intellektuellen zu lernen versuchen zu dem historisch zum
verstummen gebrachten Subjekt der subalternen Frau zu sprechen (anstatt ihm zuzuhören,
oder für es zu sprechen), „verlernen“ sie systematisch die Privilegierung des weiblichen.
Dieses systematische Verlernen schließt auch mit ein, dass man den postkolonialen
Diskurs mit den besten Mitteln, die er zur Verfügung stellt, zu kritisieren lernt, anstatt
einfach die verlorene Figur der kolonisierten einzusetzen.“ 116
113
Ebd., S. 39-42.
114
Ebd., S. 60.
115
Vgl. Varela, Maria Do Mar Castro/Dhawan, Nikita: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung,
S.73.
116
Ebd. S. 75.
26
Sie beschreibt das Objekt der benötigten Repräsentation am Beispiel der sogennanten
„Frau der Dritten Welt“.117 Ein Umbau der hegemonialen narrativen Struktur, die das
Erzählen des Anderen als ein Nicht-Erzählen des Selbst festschreibt, kann nur durch die
Hervorbringung des Selbst im Dialog bewerkstelligt werden. Dieser kann dann als die
Quelle einer gemeinsamen Wissensproduktion angesehen werden.
Hall beschreibt eine andere Möglichkeit diesen sprachlichen Raum aus seiner
Forschungsperspektive zu betreten. Er nutzt dafür fiktionale Techniken, die an die
Möglichkeiten differenzierter, kollektiver Formationen appellieren.
„Nun, ich weiß nicht, ob es organische Intellektuelle im Sinne Gramscis überhaupt noch
geben kann (...). Aber ich habe stets die Fiktion aufrecht erhalten, als ob es immer noch
organische Intellektuelle gäbe. Schreiben und denken, als ob es noch (...) kollektive
Tendenzen gäbe, als ob das Geschriebene materielle Konsequenzen in der politischen
Welt nach sich ziehen würde “ 118
Der von Gramsci geprägte Begriff der organischen Intellektuellen kann nach Hall so
verstanden werden, dass auch Menschen in den nicht herrschenden Klassen intellektuell
arbeiten. Diese sind, obwohl sie in der Sprache der Hegemonie nicht als Intellektuelle
gelten, strategisch wirksame und kompetente VertreterInnen ihrer kulturellen Kontexte.
Anhand der organischen Intellektuellen, die für eine subalterne Position im
hegemonialen Sprachgebrauch stehen, wendet er sich an ein Gegenüber, in welchem er
eine Instanz vermutet, die offen für Bündnisse ist.
Homi K. Bhabha, ein weiterer Vertreter der Postcolonial Studies, setzt mit seinem
Konzept des Dritten Raums ebenfalls eine Form von neugedachter sprachlicher
Räumlichkeit als Schauplatz der Überwindung herrschaftlicher Zuschreibungen und
Hierarchien voraus.
„Das Dazwischentreten des dritten Raumes der Äußerung, das die Struktur von
Bedeutung und Referenz zu einem ambivalenten Prozess macht, zerstört diesen Spiegel
der Repräsentation, der kulturelles Wissen gemeinhin als integrierten, offenen, sich
ausdehnenden Code zeigt. Die Einführung dieses Raumes stellt unsere Auffassung von
der historischen Identität von Kultur als einer homogenisierenden, vereinheitlichenden
Kraft (...) sehr zu recht in Frage.“ 119
Wie Spivak schließt Bhabha die Repräsentation als Praxis wirksamer Veränderung
hegemonialer Verhältnisse aus. Vielmehr beschreibt er einen Dritten Raum, der die
117
Vgl. Spivak: Can the Subaltern Speak?, S. 74.
118
Ebd. S. 121.
119
Vgl. Bhabha: Die Verortung der Kultur, S. 56.
27
selbstbestimmte und gemeinsame Verhandlung hegemonialer Gestaltungsvorgaben
umreißt, selbst als eine Sphäre, die in der hegemonialen Sprache nicht vorkommt.
„Eben jener dritte Raum konstituiert, obwohl „in sich“ nicht repräsentierbar, die
diskursiven Bedingungen der Äußerung, die dafür sorgen, das die Bedeutung und die
Symbole von Kultur (...) neu belegt, übersetzt, rehistorisiert und gelesen werden
können.“ 120
Die Populärkultur als Austragungsort von Kämpfen um Macht und Bedeutungen bildet
in diesem Sinne eine Schnittmenge zwischen der Praxis des hegemonialen Sprechens
und der von Spivak und Bhabha angedeuteten Sphäre des Nichtrepräsentierbaren und
deren Verhandlung mit all ihren Widersprüchen und Möglichkeiten. So ist die Popkultur
als Bereich der Populärkultur heute sowohl Sinnbild der hegemonialen Vereinnahmung
von kulturellen Praktiken als auch Spielfeld neuer Ausdrucksformen, die sich zwischen
dem Akt der Repräsentation und der Präsenz der Gemeinschaft verorten. Bhabha sieht
in dieser Zwischenräumlichkeit einen „Schwellenraum zwischen den
Identitätsbestimmungen, die den Prozess symbolischer Interaktion“ als die Bedingung
der „Möglichkeit einer kulturellen Hybridität [eröffnet], in der es einen Platz für
Differenz ohne eine übernommene oder verordnete Hierarchie gibt.“
121
Der Politikwissenschaftler Kien Nghi Ha führt Beispiele des Gebrauchs populärkultureller Strategien auf, um die Produktion von Zuschreibungen und identitärem
Essentialismus zu durchbrechen. Durch einen spielerischen Umgang mit Grenzen und
Konnotationen gelingt es nach seiner Darstellung, die kapitalistisch organisierte
Kulturindustrie im Sinne von Bhabhas Drittem Raum und Spivaks solidarischem
Sprechen sowie im Sinne Halls fiktionaler Annahme der Möglichkeit zur gemeinsamen
Verortung zu nutzen, wenn nicht sogar zu unterwandern. Er zitiert beispielsweise den
Ethnologen Lipsitz in seinen Ausführungen über die feministische Künstlerin Marisela
Norte.
„Obwohl Norte sich vor ihrem besonderen ethnischen Hintergrund begreift gehört das
ethnische für sie lediglich mit zu einer komplexen stets wandelbaren Identität. In ihrer
Welt erscheinen die Wertigkeiten ethnischer Herkunft, Geschlecht und Klasse rein
situtional bestimmt, und die Grenzen der Solidarität können - je nach Bedürfnissen und
Wünschen - innerhalb oder zwischen ethnischen Gruppen gezogen werden.“ 122
120
Ebd., S.57.
121
Vgl. Bhabha: Verortungen der Kultur. In: Hybride Kulturen. Bronfen/Marius/Steffen (Hrsg.), S.
126/127
122
Vgl. Ha: Ethnizität und Migration Reloaded, S. 129.
28
Ha stellt in diesem Kontext auch die Künstlerin Gloria Anzaldua als Referenz vor.
„Andere KulturarbeiterInnen wie Gloria Anzaldua, die in und zwischen verschiedenen
kulturellen Geographien aufgewachsen ist und heute mit mehreren kollektiven
Geschichten und Sprachen als lesbisch-feministische Chicana lebt, haben an dem sich
durchdringenden und sich vereinigenden Schnittflächen der Grenzbereiche einen dritten
Raum eröffnen können.“ 123
In dem Schaffen von Künstlerinnen wie Norte oder Anzaldua kommt der Einsatz von
Bricolage zum tragen. Die Bricolage ist eine Technik, bei der verschiedene kulturelle
Zeichen, Stile und Praktiken zusammengeführt und in ihrer Bedeutung mitunter radikal
umgestellt, unterminiert und erweitert werden.124 Durch improvisierte Kombinationen
derselben kann ein völlig neuer Sinngehalt entstehen. Sie scheint in der Form des
kulturellen Wirkens ein wichtiges Werkzeug zu sein, um einerseits Zuschreibungen in
einen neuen Kontext zu stellen und andererseits inhaltliche und strukturelle Innovation
zu betreiben. Somit kann Bricolage als strategisches Mittel eingesetzt werden, um
hegemoniale Gestaltungsvorgaben zu unterminieren. Spivak beschreibt ihr Verhältnis zu
dieser Technik in Bezug auf ihre geisteswissenschaftliche Arbeit:
„Ich wähle indisches Material, weil mir der Zufall von Geburt und Bildung, ohne das ich
über eine disziplinenspezifische Ausbildung verfügen würde, ein Gefühl für den
historischen Gesamtzusammenhang, sowie die Kenntnis einiger der relevanten Sprachen
an die Hand gibt, die für einen Bricoleur hilfreiche Instrumente sind, besonders dann,
wen man mit einem marxistischen Skeptizismus bezüglich der konkreten Erfahrung als
letztgültiger Instanz (...) bewaffnet ist.“ 125
M.I.A. nutzt die Technik der Bricolage in einer vergleichbaren Weise, um hegemoniale
Vorstellungen und Vorgaben in der Populärkultur in Frage zu stellen und um
Möglichkeiten des selbstbestimmten und dialogfähigen Ausdrucks zu verwirklichen. Sie
nutzt ihre persönlichen Erfahrungen und die Zuschreibungen, mit denen sie konfrontiert
ist, als Aufforderung ihr gestalterisches Werk in einer Opposition zu den herrschenden
Verhältnissen zu formulieren.
Zusammenfassend lässt sich also schlussfolgern, dass eine hegemoniale Praxis über
dominante Ideologien (bzw. ISAs) ein herrschaftliches Gefüge herstellt, in dem
bestimmte Formen des Lebens und des Ausdrucks sich nicht entwickeln oder zum
123
Ebd., S. 129.
124
Hebdigde: Subkultur - Die Bedeutung von Stil, Abschnitt Stil als Bricolage http://www2.hu-berlin.de/
fpm/texte/subcult.htm (24.10.12).
125
Spivak: Can the Subaltern Speak?, S. 43.
29
Vorschein kommen können. Der Begriff subaltern bezieht sich in diesem Kontext auf
jene Positionen im hegemonialen Gefüge, die von der Möglichkeit des Ausdrucks, (des
Sprechens nach Spivak) und der Repräsentation ausgeschlossen werden.
Die Annahme ist, dass es M.I.A. durch ihre Strategien im popkulturellen Kontext
gelingt, das Verhältnis zwischen subalternen und hegemonialen Positionen zu
untergraben. Hierzu gehört es auch, die Rolle hegemonialer Gestaltungsvorgaben zu
verhandeln. Sie verkörpern jene überdeterminierten Vorgaben, nach denen die
Repräsentation eines Ausdrucks im hegemonialen Kontext gelingt und dort seine
Wirkung entfaltet. Diese werden insbesondere von der nach europäisch-amerikanisch
tradierten Werten und Normen agierenden transnationalen Musikindustrie etabliert. Statt
der hierbei erzeugten Vermassung steht im Kontext von M.I.A.s Schaffen eine Form der
Versammlung. Letztere geht aus einem Verständnis populärkultureller Praktiken hervor,
die das künstlerische Potential enthalten, Zuschreibungen aufzuheben, zu verhandeln
und Versammlung zu ermöglichen. In ihrem Werk bedeutet dies zudem, die Popkultur
als ein Ort zu begreifen, in dem Identitäten spielerisch verhandelt werden. Dazu
gehören beispielsweise Techniken wie die Bricolage, die Zeichen, Praktiken und
Ressourcen zu Konstellationen zusammenführen, welche die Möglichkeiten des
Ausdrucks in der Repräsentation aufzeigen. Lipsitz beschreibt passend dazu in einem
Vortrag, dass künstlerische Arbeit verstanden werden kann, als eine Möglichkeit
Segregation in Versammlung zu verwandeln.126
4. Komponentenanalyse: Bricolage, Ästhetik und
popkulturelle Merkmale im Werk von M.I.A.
In diesem Kapitel werden Teile von M.I.A.‘s Werk auf musikästhetischer,
produktionstechnischer und inhaltlicher Ebene betrachtet und analysiert. Dabei werden,
im Kontext der hergeleiteten Begriffe, strategische Aspekte ihres Schaffens untersucht
und beleuchtet.
Die Technik der Bricolage gilt seit langem als geeignetes Mittel um Aussagen zu
treffen, die in der Sprache der Hegemonie nicht für eine Artikulation vorgesehen sind.
Sie kann auch diesen Einfluss der Hegemonie auf Ausdrucksmöglichkeiten
126
George Lipsitz at the L.A. Xicano Symposium, 06.11.2011
http://www.youtube.com/watch?v=Pmmh9pSd6yA (20.10.12).
30
thematisieren und zu verstehen geben. Hebdige zitiert hierzu Max Ernst um die
soziopolitische Dimension dieses selbstbestimmten Bastelns mit Zeichen zu erläutern:
„Der Bricoleur der Subkultur veranstaltet die gleiche typische « Gegenüberstellung von
(...) scheinbar unvereinbaren Realitäten (...) auf einer scheinbar unpassenden Skala ... und
genau dort findet--der explosive Zusammenschluß statt.»“ 127
In diesem Kapitel soll diese Methodik in M.I.A.s Schaffen nachvollzogen werden. Hier
wird gezeigt, dass die Zusammenstellung nicht bloß im und für den subkulturellen
Rahmen erfolgt, sondern auch Zeichen der Popkultur selbst in den Verhandlungskontext
mit einbezogen werden. Dabei wird die eklektische Erscheinungsform ihrer Werke nicht
nur auf eine Weise gelesen, welche ihre individuelle Vermischung von Stilen und
Genres zurückverfolgt. Darüber hinaus findet hier der Versuch statt ihre
Zusammenführung als Rekontextualisierungen und semiotische Neuschöpfungen zu
verstehen, die erweiterte Perspektiven auf soziale Realitäten ermöglichen. Die
methodische Verwendung von Ästhetik als Mittel der Kommunikation, Wissensproduktion, sowie der selbst-bestimmten und gemeinsamen Gestaltung von
Zusammenhängen wird hier in den Dialog mit M.I.A.s Texten und deren semantischen
Gehalt gestellt.
4.1 M.I.A.s Vokalstil
In diesem Kapitel werden die Vokaltechniken von M.I.A. beleuchtet. Im weiteren
Verlauf der Arbeit wird dieses Thema wieder angesprochen, insbesondere wenn im
Rahmen der jeweiligen Alben spezifische Merkmale des Vokalstils in Erscheinung
treten.
M.I.A. versucht sich zu Beginn ihres musikalischen Schaffens im Kontext
verschiedener Vokalstile populärer Musikrichtungen zu verorten. Bereits im Kindesalter
in Sri Lanka hatte sie Zugang zu den dort populären Musikstilen vor Ort 128, und rituelle
und brachte diese im familiären Kreis zur Darbietung.129
Durch die Hip-Hop-Kultur, die sie in ihrer Jugend prägte, machte sie sich mit dem
Vokalstil des Rap und mit der Identität des Master/Mistress of Ceremony (MC) vertraut.
127
Hebdigde: Subkultur - Die Bedeutung von Stil, Abschnitt Stil als Bricolage http://www2.hu-berlin.de/
fpm/texte/subcult.htm (24.10.12).
128
Zum Beispiel Popmusik aus Bollywoodfilmen, vgl. Cam Lindsay, M.I.A., 09.2007 http://exclaim.ca/
Interviews/WebExclusive/mia (17.10.12) und rituelle Tempelmusik, vgl. http://exclaim.ca/Interviews/
WebExclusive/mia (17.10.12).
129
Vgl. Cam Lindsay, M.I.A., 09.2007 http://exclaim.ca/Interviews/WebExclusive/mia (17.10.12).
31
Das ermöglichte ihr, ihren Flüchtlingshintergrund nicht als Mangel, sondern als
potentielle Kompetenz zu begreifen. Dank dieser Einflüsse konnte sie selbstbewusst,
ohne eine schulisch-traditionelle Gesangsausbildung, einen Vokalstil generieren, der ihr
die Möglichkeit gab, die appellierenden und zusammenbringenden Anteile populärer
Gesangspraktiken sowohl tonal als auch verbal in sich zu vereinen.130
Zu den verschiedenen musikkulturellen Einflüssen, die sich aus ihrem Vokalstil
vernehmen lassen, gehören Elemente der transnationalen und urbanen Hip-Hop-Kultur
wie dem US-amerikanischen Rap, dem englischen Grime und dem karibischkreolischen Dancehall. Ihr Vokalstil zitiert traditionelle südasiatische Gesangstechniken
und in ihre Aussprache des Englischen mischt sich mit Akzente der Sprachräume, die
mit den aufgezählten Stilen in Verbindung gebracht werden. Desweiteren ist die
Übertragung von synthetischen Sounds aus der elektronischen Tanzmusik in der
klanglichen Inszenierung ihrer Stimme zu hören. Ebenso spielen die technischen
Möglichkeiten moderner Musikproduktion eine wichtige Rolle. 131
Hieraus ergibt sich eine eklektische Vorgehensweise aus der sich ihr individueller und
innovativer Vokalstil entwickelt hat, in dem die Grenzen zwischen Rap und tonalen
Gesang teilweise stark verschwimmen.
Die Einordnung ihres Vokalstils in die Praktik des Toasting132 , Deejaying133 und
Rappens ist besonders an dem Sprachgebrauch ihrer Texte identifizierbar. In ihrem
Track „Galang“ auf dem Album „Arular“ lassen sich beispielsweise sowohl
musikalische Zitate, als auch Hinweise in den Lyrics auf die oben genannten Genres
nachvollziehen. Mit dem Ausdruck „Galang“ kodiert sie die Möglichkeit einer
Wortschöpfung, die durch die musikalische und orale Popularisierung zu einem
übergreifenden Sprachgebrauch führen kann.
Neben der tamilischen Vokabel, die das Wort „Galang“ darstellt, bildet es zusätzlich
eine Verkürzung von go along, einem Idiom, das im jamaikanischen Rasta-Slang
130
Vgl. Pearson: M.I.A.‘s radical Music & Postmodern Absorption, S.4.
131
Vgl. ebd.
132
Toasting ist die Bezeichnung für den Sprechgesang im Reggae, beziehungsweise Dancehall.
Vgl. Rappe: Under Construction Band 2, S. 149.
133
„(...) diese Terminologie führt häufig zu Verwirrung, denn im Rest der Welt ist der DJ der
Plattenaufleger, während man (die Person) mit dem Mikrophon je nach Genre eher als MC (Master of
Ceremony), Sänger oder Rapper bezeichnen würde (...) der Deejay (DJ) moderiert, animiert, erzählt,
singt mit, (toastet) (...) kommentiert die Platten und feuert das Publikum an – er kann das entscheidende
Markenzeichen eines (jamaikanischem) Soundsystems und Bindeglied zum Publikum sein.“
Aus: Lorenz Rhode: „Remix in der Dance-Musik – Ursprünge, Entwicklung und heutiger Stand“,
Diplomarbeit, September 2010.
32
benutzt wird.134 Beschrieben wird damit eine Herangehensweise, die im Kontext mit
dem Konsum von Cannabis eine subversive Haltung der Gelassenheit affirmiert.135
Wie beim Toasting des Dancehall DeeJays adressiert sie eine Menge (crowd) um, mit
dieser Gemeinschaft den Gebrauch eines Begriffs zu reflektieren, der ein gemeinsames
Lebensgefühl beschreibt. Die umgangssprachliche Betrachtung eines Sachverhalts
gewährleistet den Zugriff auf Ambivalenzen, die dem hegemonialen Repräsentationsmodus verschlossen bleiben.
„London Calling / Speak the slang now / Boys say what / Girls say what what ... / What
slang? / Galang Galang Galang ...“ 136
Gemäß der jamaikanischen Deejay-Tradition vermittelt sie weiterhin eine Botschaft, die
dazu dienen soll, eine Form der Zusammenkunft zu ermöglichen und das daraus
entstehende Ereignis zu feiern.
Neben dem Toasting orientiert sie sich an den performativen Gestaltungsmöglichkeiten
der Hip-Hop-Kultur und einem typischen umgangssprachlichen Wortgebrauch des Rap:
„Who the hell is huntin' you? / In the BMW / How the hell they find you? / 1 4 7'd you /
Fed´s gonna get you / Pull the string on your hood / One paranoid youth / Blazin‘ through
the hood“ 137
Hip-Hop-MCs bedienen sich des Slangs üblicherweise als Authentizitätsmittel, mit dem
sie sich als Sprecher einer subkulturellen Gemeinde identifizieren. M.I.A. nutzt den
Slang darüber hinaus auch als terminologischen Fundus, um lokale und transglobale
Phänomene festzustellen und von diesen in einem neuen Zusammenhang berichten zu
können. Sie vermittelt diese Phänomene in ihrem Vokalstil, in dem sie urbane und
transnationale Kodes zusammenwirken lässt. Auf diese Art kann sie distinktiv zum
Beispiel mit dem Begriff galang mehr sagen, als ihn zu beschreiben oder bloß zu
verwenden. Sie kann vielmehr von der Komplexität und den Widersprüchen eines
solchen Begriffes aus einer Welt heraus berichten, in der sich dessen Wirksamkeit
entfaltet und erschließt.
134
Vgl. Pearson: M.I.A.‘s radical Music & Postmodern Absorption, S.4.
135
Vgl. urbandictionary.com (online slangwörterbuch), Einträge „Galang“ http://
www.urbandictionary.com/define.php?term=galang (19.10.12).
136 Album
137
„Arular“: Titel 12 „Galang“ (ab 0:14).
Ebd. (ab 0:47).
33
Eine weitere musikalische Ausdrucksform, die ihren Vokalstil prägt und in deren
lokalen Kontext sie sich aufhält, ist der Anfang der Nullerjahre in Großbritannien
entstandene Grime. Im Gegensatz zum US-Hip-Hop bedient sich dieser Rapstil des
britischen Cockney-English und wird von gebrochenen, Up-Tempo-Beats (um 130
bpm) unterlegt.138 Der rohe und avantgardistische Charakter dieser Musik taucht in
M.I.A.s Kompositionen auf. Zusätzlich sind in ihrem Vokalstil Einflüsse des für dieses
Genre typischen Rap-Flows zu erkennen. Grime verbindet für M.I.A. die Hip-Hop
Kultur mit der Rave-Kultur, die für sie einen wichtigen Sozialisationsrahmen mit dem
Kontext der elektronischen Tanzmusik darstellte. In ihrem Song „XR2“ zeichnet sie
eine direkte Spur zwischen dem Lebensgefühl des Grimes und dem des Raves nach:
„Brick lane massive / We were like grime / Labrynth, world dance / Bagleys time / High
top fades / We aint never paid / Roll up jeans e 's lucozade / Versaci jeans shades and
chains / We roll in there like we late / Dj mcs private raves / Keep it secret, light it
mate.“ 139
Ein weiteres musikalisches Beispiel für den Einfluss des Grime auf M.I.A.s Vokalstil ist
der Song „Teqkilla“ auf dem Album „/\/\ /\ Y /\“. Die Refrainzeile „I got sticky sticky
ikky ikky weeed / I got a shot of tequila in me“ intoniert sie in einer stiltypischen Weise,
in dem sie die Worte in einem hohen Stimmenregister artikuliert/ausspricht und das
Silbenende von „(we)-ed“ 140 in einer Art kurzem Glissando hochpitcht. In ihrem Werk
verwendet sie diese Vokal-Technik, die von David Pearson „pitching“ genannt wird.141
Er beschreibt diese Technik als eine Art tonalen Knick nach oben zum Silben- oder
Versende hin.142 Diese Technik kann als ein Markenzeichen von M.I.A. angesehen
werden und findet, wie bereits beschrieben, auch im Vokalstil des Grime Anwendung.
Zudem übernimmt sie Funktionen eines Synthesizers mit ihrer Stimme und nutzt diese
Effekte, um neben der verbalen auch zur rhythmischen Akzentuierung des Beats
beizutragen. In ihrem Song „Pull Up the People“ nimmt ihre Stimme direkt zu Beginn
in einem rhythmischen Zwiegespräch mit den Synthesizersounds und dem Beat eine
138
Vgl. scribd.com (online lexikon) http://www.scribd.com/doc/2389520/Grime-Music-Explained.
139 Album
140
„Arular“: Titel 12 „Galang“ (ab 1:06).
Ebd. (ab 1:17).
141
Weitere Beispiele: Album „Arular“: Titel 10 „10 Dollars“ (ab 1:20), Titel 2 „Pull up the People“ (ab
1:05), Titel 3 „Bucky done gone“ (ab 0:28); ,,Album „Kala“, Titel 8 „World Town“ (ab 0:00), Titel 1
„Bamboo Banga“ (ab 0:10), etc.
142
Vgl. Pearson: M.I.A.‘s radical Music & Postmodern Absorption, S.2.
34
instrumentale Funktion ein.143 Gesangsfetzen erhalten auch durch die rhythmische
Anordnung und Intonation von Konsonanten eine perkussive Qualität, die phasenweise
an einen Drum Computer erinnert. Diese werden wie Samples benutzt, um mit anderen
rhythmischen Bausteinen sogenannte Layers zu bilden.144 Die Stimme wird so in ihrer
hybriden Funktion als Instrument und Sprachrohr Teil der musikalischen Gesamtkomposition.
Der Titel „Pull up the People“ veranschaulicht diese Strategie bereits zu Beginn ihres
Debut Albums. Die Refrainzeile selbst („Pull up the People, pull up the poor“)
verzeichnet einen jähen tonalen Anstieg, der sich bei dem Wort people durch einen
Oktavsprung alarmierend zuspitzt. 145 Der tonale Anstieg beziehungsweise das pitching
kann mit den Bearbeitungsmöglichkeiten der Klangerzeugung eines Synthesizers
verglichen werden. M.I.A. vollzieht diese Funktionen in ihrem Vokalstil nach.
Die Technik des pitchings ist auch angelehnt an die Funktion Glide, die ein Glissando
zwischen den manuell oder digital angesteuerten Stimmen eines Synthesizers
produziert. Eine andere Bearbeitungsmöglichkeit stellt das switchen durch verschiedene
Oktaven desselben gehaltenen Tons mit Hilfe eines Drehreglers dar. Der Einsatz beider
Funktionen kann genutzt werden, um an den alarmierenden Charakter einer Sirene zu
erinnern. Dieser Effekt findet häufig Anwendung als dissonanter, energetischer,
anheizender Impuls im Kontext der elektronischen Tanzmusik und als Soundeffekt mit
einer starken Signalwirkung in diversen Hip-Hop Beats. 146
Eine typisches Element in ihren Songs sind auf Silben basierende Hooks.147 Hier findet
sich eine Verbindung zur südasiatischen Musik, in deren Tradition die Repetition von
Silben verwendet wird, um rhythmische und melodische Konzeptionen begreifbar zu
143 Album Arular:
Titel 2 „Pull up the People“ (0:00).
144
Die Technik des Layering, oder auch Multi-Layering in der modernen Musikproduktion, bezeichnet
das Schichten von verschiedenen Klängen, Samples oder Loops. Dies kann simultan auf einzelnen
Zählzeiten, durch die Kombination von Klängen geschehen, oder auch durch die polyphone Anordnung
von mehreren Audiospuren erreicht werden.
Ein Beispiel: Eine Snare-Drum klingt wie eine Snare-Drum, sie kann jedoch ein Klang aus verschiedenen
übereinandergestapelten Klängen sein. Diese Technik findet besonders in Produktionen des Hip-Hops und
der elektronischen Tanzmusik Verwendung.
145 Album Arular:
146
Titel 2 „Pull up the People“ (0:30)
Beispiel Hip-Hop: Missy Elliott - „Work it“
147
Beispiele: Album „Arular“ Titel 12 „Galang“ (ab 2:30), Titel 8: „Hombre“ (ab 0:37), Titel 10 „10
Dollars“ (ab 0:16); Album „Kala“: Titel 9 „The Turn“ (ab 0:43), Titel „Far Far“ (ab 0:53); Album „Maya“
Titel 3„XXXO“ (ab 0:43) etc.
35
machen.148 Diese Technik erleichtert den Zugang zu den musikalischen Strukturen und
der Praxis des gemeinsamen Musizierens.
M.I.A. gestaltet Hooklines und Refrainmelodien eingängig, so dass sie ins Ohr gehen,
beziehungsweise leicht nachzusingen sind. Zudem erschafft sie Klangräume, die auf
unterschiedliche Schauplätze subkultureller Wirkungsbereiche verweisen. Mit dieser
Strategie entwickelt sich die Konzeption einer Kollektivität und des gemeinschaftlichen
Ausdrucks.
Ihr Aufwachsen im südasiatischen Kulturraum machte sie zudem mit dem
Selbstverständnis von Mikrotonalität in der Musik vertraut. Daher ist die Gestaltung
ihres Vokalstils in Bezug auf Mikrotonalität vermutlich auf deren intuitive Kenntnis
zurückzuführen. Beispielsweise geben der Song „The Turn“ auf dem Album „Kala“ und
der Umgang mit der Technik des phasenverschobenen Unisono-Overdubbings
(Erläuterung folgt) Hinweise darauf.
M.I.A.s vokale Performance ist zudem geprägt von technischen und computerbasierten
Aufnahme- und Bearbeitungsmöglichkeiten der Produktion und Postproduktion149 im
Studio. M.I.A.s Produzenten150, die teilweise an allen drei Alben beteiligt waren,
entwickelten in Zusammenarbeit mit der Künstlerin ein immer vertrauteres Gefühl für
den produktionstechnischen Umgang mit ihrer Stimme. 151
Zunächst fallen beim Hören der Soundrepräsentation der Stimme Praktiken der
Verdopplung bzw. Vervielfältigung der Vokalspuren auf. Bestimmte Doppelungen
werden eingesetzt, um rhythmische und inhaltliche Akzente zu setzen, beispielsweise
durch die Betonung eines Versendes.152 Bei einer mehrfachen Überlagerung wird eine
Vielstimmigkeit erzeugt. Dies tritt in M.I.A.s Schaffen besonders häufig in den bereits
beschriebenen Refrainmelodien und Hooklines auf.
Durch diese Technik des „Overdubbings“ wird die Wirkung erzielt, wie wenn ein
größerer Klangkörper (Chor) diese Melodien unisono vorträgt. Gleichzeitig erwecken
die von ihr eingesetzten
148 Album
Samples, shouts und die call and response-Technik den
„Kala“, Titel 12 „Come Around“ (0:25), Album „Kala“, Titel 3 „Boyz“ (0:21).
149
In diesem Zusammenhang umfasst Postproduktion sämtliche Arbeitsschritte der Nachbearbeitung in
Musikproduktionen.
150
Hier ist besonders Dave „Switch“ Taylor hervorzuheben, auf dessen Zusammenarbeit mit M.I.A. im
Kapitel „Kala“ noch näher eingegangen wird.
151
Vgl. Lily Moayeri: Out On A Whim, 01.09.2007 http://www.emusician.com/news/0766/out-on-awhim/142834 (17.10.12).
152
Beispiel: Album „Maya“, Titel 3 “XXXO“ (Text:„thinking about“) (0:24).
36
Eindruck eines Raumes in dem weitere Stimmen anwesend sind und resonieren.153
Neben der textlich immer wieder auftretenden Verwendung der erste Person Plural
gelingt ihr und ihren Produzenten durch diese Form der Vielstimmigkeit
möglicherweise auch akustisch die Vermittlung eines Wir-Gefühls.
Bei der Technik des Overdubbing werden beim Aufnahmeverfahren mehrere
Vokalspuren derselben Silben, Wörter oder Phrasen durch ein- bis mehrmalige
Wiederholung angefertigt. Werden diese Spuren gemischt, beziehungsweise
übereinandergelegt und gemeinsam abgespielt, entstehen phasenverdoppelnde oder
phasenverschobene Überlagerungen der Stimme, die einen Effekt hervorbringen der
Phasing oder Flanging genannt wird. Die Stimme klingt dadurch insgesamt
„dynamischer, räumlich breiter und voluminöser“. 154 Diese Effekte können auch digital
erzeugt werden, um einzelne aufgenommene Vokalspuren in der Postproduktion mit
diesen Überlagerungseffekten zu versehen.
Der Gebrauch der Dopplungseffekte ist ein gängiges Mittel innerhalb der modernen
Popmusikproduktion. In der Regel geht es dabei hauptsächlich um eine gefällige
Verbreiterung bzw. Verdichtung der Stimme. Je nach Grad der Phasenverschiebung der
verdoppelten Stimme entsteht ein stärkerer oder schwächerer Effekt. M.I.A. reizt dieses
Prinzip insofern aus, als dass die zweite eingesungene Stimme soweit phasenverschoben
ist, dass die mikrotonalen Schwebungen sehr breit sind. Teilweise liegen die beiden
Stimmen um einen ganzen Viertelton auseinander. Die Grenzen der Einstimmigkeit
werden dadurch auf extreme Weise ausgereizt, wodurch diese an vielen Stellen sehr
dissonant erscheint. Ihre vokale Performance bekommt somit einen sehr eigenen und
intensiven bis verstörenden Charakter. Dies spiegelt sich sowohl bei eher gesprochenen
Passagen wie auch bei eher gesungenen Passagen wieder.155
M.I.A. gestaltet ihren Vokalstil unter Verwendung dieser Effekte, wodurch er an Kraft
und Eindringlichkeit gewinnt. Die Verbindung dieser Bearbeitungsmöglichkeiten der
Postproduktion mit ihren Texten und ihrer individuellen musikalischen Stilbricolage
ermöglichen Gefühle und Assoziationen, die ihre Tracks zwischen Dancefloor und
Untergrund verorten und ihnen einen anheizenden und politisierenden Charakter
verleihen.
153
Beispiele: Album „Arular“ Titel 10: „10 Dollars“ (ab 1:36); Album „Kala“, Titel 1: „Bamboo
Banga“ (ab 0:48), Titel 2: „Bird Flu“ (0:19), Titel 4: „Jimmy“ (ab 2:27) etc.
154
155
Rappe: „Under Construction“ Band 1, S. 206.
Beispiele für Sprechgesang: Album „Arular“, Titel 2: „Pull up the People“ (ab 1:05), Titel 10:„10
Dollars“ (ab 1:04) Album „Kala“ Bamboo Banga (ab 0:10......), etc.
Beispiele für Gesang: Album „Kala“ (Special Edition), Titel 2: „Far Far“ (ab 0:15), Titel 4 „Jimmy“ (ab
2:11), etc.
37
Im Laufe ihres Schaffens kamen auch neue Aspekte in ihrem Vokalstil zum tragen. Auf
dem zweiten Album „Kala“ und dem dritten Album „ /\/\ /\ Y /\ “ entwickelt sich der
ästhetische und technische Umgang des Klangs ihrer Stimme in manchen Punkten,
insbesondere durch andere Ansätze bei der Produktion im Studio. Während auf dem
ersten Album „Arular“ die Stimmdoppelungen sehr präsent sind, wird diese Technik auf
den anderen beiden Alben strategischer, beziehungsweise bewusster, als Effekt
eingesetzt.
Auf dem Album „Kala“ entstehen im Zusammenhang mit den ständig wechselnden
Orten und Situationen der Produktion eine Vielzahl von den „Outdoor“-Aufnahmen, die
ausschlaggebend für den räumlichen Klang ihrer Stimme sind.156 Insgesamt wird auf
„Kala“ mehr mit der Räumlichkeit in Bezug auf M.I.A.s Stimme gespielt, sowohl die
gegebenen Aufnahmesituationen/-Räume betreffend, als auch durch den Einsatz von
Effekten die künstlich Raum erzeugen, wie etwa Hall und Delay.
Dies findet seine Zuspitzung auf dem Album „/\/\ /\ Y /\“, wo mit dem natürlichen
Klang ihrer Stimme gespielt wird. Dieser wird in der Nachbearbeitung produktionstechnisch teilweise stark verändert und gewinnt phasenweise einen maschinellen
Charakter.157 Dies ist auf die überbordende Anwendung von Effekten auf diesem Album
zurückzuführen. Neben der vermehrten Verwendung von Hall- und Delay-Effekten
kommt der Autotune-Effekt 158 häufiger zum Einsatz, der die Stimme artifiziell und
computerverzerrt erscheinen lässt und sie nahezu unkenntlich macht.159 Hinzu kommt
eine Erweiterung ihres Vokalstils auf „/\/\ /\ Y /\“. Während sie sich auf „Arular“ und
„Kala“ mehr ihrer speziellen eklektischen Technik des Sprechgesangs widmet, gibt es
auf ihrem dritten Album deutlich mehr gesungene Parts oder Songs, in denen ein
melodiöserer Einsatz ihrer Stimme vernehmbar ist.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Entwicklung ihres Vokalstils über die
Zeitspanne der drei Alben zu verzeichnen ist. Auf „Arular“ etabliert sich ihr distinktiver
Rapstil - pur und zur rohen Ästhetik des Albums passend. Der wesentliche Effekt auf
dem Album ist die Dopplung ihrer Stimme. Auf „Kala“ wird bewusster mit
Räumlichkeit und Effekten umgegangen.
156
Vgl. Lily Moayeri: Out On A Whim, 01.09.2007 http://www.emusician.com/news/0766/out-on-awhim/142834.
157
Beispiele: Album „/\/\ /\ Y /\“, Titel 2: „Steppin Up“ (ab 0:07), Titel 9: „Born Free“ (ab 0:37)
158
Der Autotune-Effekt wurde ursprünglich dafür entwickelt Intonationskorrekturen bei der
Postproduktion von Vokalaufnahmen zu vollziehen. Durch Überreizung dieses Effekts wird der Stimme
ihre Natürlichkeit genommen und sie klingt artifiziell und synthetisch.
159
Zum Beispiel: Album „/\/\ /\ Y /\“, Titel 2: „Steppin‘-Up“ (ab 1:05), Titel 7 „It takes a muscle“ (ab
0:43), Titel 12: „Space“ (ab 1:45).
38
So facettenreich das Album „/\/\ /\ Y /\“ ist, so variabel ist auch ihr Umgang mit
verschiedenen Vokaltechniken. Ihre Vocals klingen mitunter aggressiv und
anpeitschend, teilweise zart und kindlich gesungen und dann wieder distinktiv und
ihrem individuell-eklektischen Rapstil angepasst. Zudem kommen in besonderem Maße
produktionstechnische Verfahrensweisen in Bezug auf die Stimme mit einem breiten
Spektrum an Modulations-, Raum- und maschinenartigen Verzerrungs-Effekten zum
Einsatz.
4.2 Arular
M.I.A. kreiert mit ihren Produzenten einen individuellen Sound, der sich in eklektischer
Weise aus einer Vielzahl von musikalischen Genres zusammensetzt, die hauptsächlich
in einem subkulturellen und urbanen Kontext zu verorten sind. Sie erschafft eine ganz
eigene Version elektronischer Clubmusik, die als „Konferenzschaltung globaler
Ghettosounds“ 160 einer translokalen und urbanen Basskultur angesehen werden kann.161
Zu den wesentlichen Einflüssen, die sich seit Beginn ihres musikalischen Schaffens
durch ihr gesamtes Werk ziehen, gehören der jamaikanische Dancehall, Hip-Hop,
Grime und Elemente elektronischer Tanz- und Popmusik.
Die Inspirationen und Gestaltungsgrundlagen ihres ersten Albums lassen sich anhand
ihrer postmigrantischen Sozialisation in und um London und ihrer Eindrücke von der
Reise in die Karibik mit Justine Frischmann nachvollziehen. London gilt in der
westlichen Welt als Schmelztiegel unterschiedlicher Kulturen und Musikstile. Im
Kontext von M.I.A.s frühem musikalischen Schaffen ist dabei besonders die Tatsache
hervorzuheben, dass sich in der Hauptstadt Großbritanniens eine kollektive, nichtweiße
Identität unterschiedlicher Ethnizitäten herausgebildet hatte.162 Die musikkulturellen
Einflüsse aus karibischen, afroamerikanischen und asiatischen Herkunftsländern trafen
in dieser Subkultur zusammen und erweiterten ihre soziale und kulturelle Vielfalt. Dies
sorgte darüber hinaus für die Entstehung und Ausdifferenzierung einer Vielzahl von
Genres und Musikpraktiken.163
Aus diesem Grund sind „Arular“ und London untrennbar miteinander verbunden, denn
M.I.A. hat diese verschiedenen innovativen Genres und die polyglotten Stile und
160
Vgl. Tobias Rapp: taz Nr. 7643 vom 19.4.2005, Seite 15, 330 Zeilen (Kommentar).
161
Vgl. ebd.
162
Vgl. George Lipsitz: Dangerous Crossroads, S.191.
163
Vgl. auch ebd., S.178 ff.
39
Sounds der Stadt absorbiert und in ihr kompositorisches und kompilierendes Schaffen
einfließen lassen.164
Auf ihrem Debut-Album „Arular“ lässt sich bereits dieser „global Mash of Sounds“
identifizieren, der in verschiedenen Formen in ihrer Musik zum Ausdruck kommt.
Neben den bereits erwähnten musikalischen Einflüssen sind auf „Arular“ Einwirkungen
der Stile Reggaeton165, Electro, dem brasilianischen Baile-Funk und Samples von
Videospielen und Spielzeuginstrumenten zu bemerken, die zu einer Lo-Fi Soundästhetik
beitragen.166 Einem Großteil der Songs liegen typische Rhythmen/Beats aus dem
Dancehall oder Reggaeton zugrunde.
4.2.1 Galang
Auf dem Track „Galang“ wird einer der typischen Grundrhythmen des Dancehall von
Beginn an etabliert.167
Zusätzlich werden die von einer Snare-Drum gespielten
Zählzeiten von einer zweiten, verzerrten, eindeutig lauteren Bass-Drum am Ende jeder
Zwei-taktigen Phrase überlagert und dadurch akzentuiert. Dieses rhythmische Motiv
wird auch von anderen Instrumenten wie dem Synth-Bass und einer Cowbell
aufgenommen und zieht sich als roter Faden durch den gesamten Track. 168 Der basale
Dancehallbeat wird mit teilweise gefilterten beeps/bleeps und mit perkussiv
anmutenden Sounds von analogen Synthesizern sowie Handclaps unterlegt, die
rhythmisch in Post-Diwali-Manier169 eingesetzt werden. 170
Am Ende des Songs (2:30) stoppt der Beat und es erhebt sich ein Chor aus weiblichen
Stimmen zu einer eingängigen und kraftvollen Melodie (Hook) (“Ya ya heeey, woy oy
ee yo oh oh ya ya yey.“). Der Beat setzt wieder ein und begleitet diese Melodie bis zum
164
Vgl. Richard Harrington: No Loss For Words, 16.09.2005 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/
content/article/2005/09/15/AR2005091500697_pf.html (17.10.12).
165
Raggaeton ist eine Mischung aus Reggae, Dancehall, Hip-Hop und Merengue-Hip-Hop.
166
Vgl. Richard Harrington: No Loss For Words, 16.09.2005 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/
content/article/2005/09/15/AR2005091500697.html (17.10.12).
167
Die Zählzeiten Eins und Drei werden in der Regel von einer Bass-Drum gespielt. Desweiteren gehören
die um eine sechzehntel vorgezogene Zwei und die Zwei-Und zu den wesentlichen Akzenten, die des
Öfteren von der Snare-Drum von Handclaps oder Bongoartigen Samples ausgefüllt werden.
168
Vgl. Michaelangelo Matos: Stormy, Tipsy, Mya, M.I.A.,17.03.2004 http://www.seattleweekly.com/
2004-03-17/music/stormy-tipsy-mya-m-i-a/ (17.10.12).
169
Post-Diwali bezeichnet eine bestimmte Verwendung von rhythmisch komplexen Handclap-Loops.
Entwickelt wurden diese ursprünglich in gewissen Dancehall-Riddims Als typisches Beispiel für den
Einsatz von Post-Diwali-Handclaps ist der Beat aus dem sehr erfolgreichen Song "Get Busy" von Sean
Paul zu nennen.
Vgl.ebd..
170
Vgl. ebd.
40
Ende des Songs. Sasha Frere-Jones beschreibt in einer Rezension in der Zeitschrift
NewYorker diesen Teil des Liedes als eine musikalische Innovation, die das Gefühl
hervorruft, dass Konfliktfähigkeit und Lebensfreude eine gemeinsame Projektionsfläche
teilen.
„It isn’t a pop chorus, or any sound that you’d hear on American radio, even if the station
were playing, you know, world music. It’s a voice from a place where kids throw rocks at
tanks, where people pull down walls with their bare hands. It could be the sound of a
carnival, or a riot.“ 171
Das Musikvideo172 zu ihrer Debut-Single "Galang" unter der Regie von Ruben Fleischer
ist ein gutes Beispiel für die Verwendung von Bricolage-Techniken in ihrem Werk. Zu
Beginn des Videos wird M.I.A. vor dem Hintergrund animierter Schablonenmotive
gezeigt, die sie bereits im Rahmen ihrer Arbeit als Bildende Künstlerin erstellt hatte. Es
handelt sich dabei um die Abbildung von Kriegspanzern, Palmen und Explosionen.
Diese Darstellungen werden immer wieder unterbrochen von ebenso gestencilten
Schriftzügen, die den Namen Arular - den Namen des Albums und von M.I.A.s Vater in typografisch lateinischen Buchstaben zeigen. Daneben taucht auch die Abkürzung
M.I.A. sowie der Ausdruck Galang selbst auf. Die weiterhin durchweg schablonengesprühten animierten Motive wechseln zwischen urbanen und dschungelartigen
Szenerien. Zebrastreifen verschwimmen mit dem Hintergrund und ein Tiger, Symbol für
die tamilische Rebellion, rennt unbeirrt von fallenden Gitterstäben durch das Bild. Die
dargestellten Symbole sind neben den Kriegsgeräten auch Megaphone und Fallschirme,
die in Form von floralen Ornamenten angeordnet werden.
Die grafischen Methoden der Streetart waren für M.I.A. Berührungspunkte mit Kunst,
die ihr, wie auch ihre musikalischen Einflüsse, nicht nur translokal oder -kulturell
zugänglich erschienen. Auch über zeitliche Grenzen hinweg identifiziert sie diese Praxis
als Möglichkeit des gemeinschaftlichen Ausdrucks, wie es in dem Katalogtext ihres
Bildbandes zu lesen ist:
„Wall paintings are man's oldest art form. Throughout human history we expressed
ourselves in public spaces. Graffiti speaks the language of the street and is used to
approach a wide range of issues.“ 173
171
Vgl. Sasha Frere-Jones: Bingo In Swansea - Maya Arulpragasam‘s world., 22.11.2004 http://
www.newyorker.com/archiv2004/11/22/041122crmu_music#ixzz26Xl4wMrw (17.10.12).
172
M.I.A. „Galang“ Musikvideo, 29.10.2007 http://vimeo.com/365227 (17.10.12).
173
M.I.A.: Maya Arulpragasam. London, Pocko-Editions.
41
Aber auch das Collagieren subversiver politischer Zeichen innerhalb westlich urbaner
Gesellschaften wird in dem Katalogtext bereits thematisiert:
„Camouflage and Che have become the uniform of the highstreet, interchangeable with
any other act of decadence.“ 174
M.I.A.s Absicht in Sri Lanka als postmigrantische Londoner Künstlerin das Schicksal
ihres als Freiheitskämpfer bei einem Selbstmordattentat verstorbenen Cousins
dokumentarisch nachzuvollziehen, scheitert an der für sie lebensbedrohlichen Situation
in Sri Lanka. Sie verwendet die visuellen Motive aus ihrer abgebrochenen
Videorecherche und kombiniert sie mit weiteren Motiven. So erschafft sie einen
Zeichenkontext, der durch die Auswahl der politisch dringlichen und relevanten Motive
einerseits und die ästhetische Konnotation der urbanen Street Art andererseits, die Akte
widerständiger Kunst im westlichen transurbanen Raum als alliierte Zeichen weltweiter
Befreiungskämpfe zusammenführt.
M.I.A. tritt in der Funktion einer Mistress of Ceremony auf, die mit ständig
wechselnder, auffälliger Kleidung, modischer Variationen von Frisuren, Make-Up und
Accessoires, die Vortragsweisen einer medial bewussten Jugendkultur zitiert. Die
Neonfarben aus dem Sprühlack der Streetart kehren in ihren preiswert und second-hand
erscheinenden Trainingsanzügen und Hootchie175 -Kostümen wieder. Sie spielt mit dem
Vorwurf der Geschmacklosigkeit eines Modestils, der durch kulturelle und mediale
Gestaltungsvorgaben möglicherweise als kitschig oder provozierend bezeichnet wird.
Zudem zitiert M.I.A. die performativen Verfahrensweisen zur Darstellung eines Stars
(modische Individualität, protagonistische Inszenierung, eigener Tanz- oder
Bewegungsstil), ohne die scheinbaren Imperative der Hochwertigkeit in einer
kapitalistischen Kulturindustrie nachzuvollziehen. Sie tut dies, indem sie die
augenscheinliche Auffälligkeit ihrer Mode nicht unter Gesichtspunkten der
kommerziellen oder markengebundenen Hochwertigkeit und deren Zeichensystem
auswählt und präsentiert. Vielmehr bedient sie sich eines Auswahlverfahrens das, wie
die Wahl ihrer bildenden und musikalischen künstlerischen Mittel, auf Zugänglichkeit
fixiert bleibt. Die Zugänglichkeit zu Kampf- und Ausdrucksmitteln kulminiert in der
Identität der postmigrantischen Künstlerin und ihrem Ringen um Gestaltung.
174
175
Ebd.
Das online Slang Wörterbuch urbanDictionary.com beschreibt hootchies als lustige und selbstbewusste
Frauen, denen es gefällt sich sexy zu fühlen und Spaß zu haben, aber nicht alles mitmachen.
http://www.urbandictionary.com/define.php?term=hootchies
42
Zum Ende des Videos hin löst sich M.I.A. aus dem singulären Image der MC und wird
als tanzende Menge in den Raum multipliziert. Währenddessen singt sie im Chor die
beschriebene Hookline, die zum Ende des Liedes zu hören ist. Diese zerstreut den
zentralen Protagonismus der MC-Funktion in einen Raum versammelter Stimmen, die
gemeinsam mit den arrangierten Schablonenmotiven eine hybride dezentrale Landschaft
bilden.
4.2.2 Bucky done gone
Der Track „Bucky done gone“ ist auf musikalischer Ebene dem Baile-Funk zuzuordnen.
Dieser Stil entwickelte sich auf Tanzveranstaltungen in den brasilianischen Favelas und
wird von seinen RepräsentantInnen als „legitime Nachfolgerin der SambaBewegung“176 angesehen. Es handelt sich hierbei um ein Amalgam aus Funk, Electro,
Miami Bass und Samples afrobrasilianischer Rhythmen. Als metrische Hintergrundstruktur fungiert der Numbers-Breakbeat.177 Baile Funk wird mit einfachen
Produktionsmitteln und -techniken aus einer Subkultur heraus gestaltet, deren
Lebensbedingungen von knappen Ressourcen und Überlebenskämpfen gekennzeichnet
ist.178 Die rohe Energie des Klangs und die subversive Sprengkraft der mit diesem Stil
verbundenen Subkultur tragen den rohen Sound und die Lo-Fi-Klangästehtik des
Albums „Arular“ mit.
M.I.A. und ihr musikalischer Wegbegleiter und Produzent Wesley Pentz alias „Diplo“
teilten die Affinität zu diesem Musikstil.179 „Bucky done gone“ war ihre erste
gemeinsame Zusammenarbeit und erschien nach der Singleveröffentlichung auch auf
ihrem Mixtape „Piracy Funds Terrorism“. 180
Als Inspirationsquelle für diesen Track diente der Song „Injezao“ von Deize Tigrona,
der einen Großteil des musikalischen Materials liefert. So kann „Bucky done gone“ als
eine weiterverarbeitete Version dieses Stückes angesehen werden. 181 Die stiltypischen
176
Rappe: Numbers. Anmerkungen zum globalisierten Gebrauch eines Breakbeats, S. 6.
177
„Der Numbers-Breakbeat basiert auf dem Stück „Nummern“ von Kraftwerk“.
Michael Rappe hat in seinem Aufsatz die weltweite Reise dieses Beats als Grundlage für verschiedene
Genres nachvollzogen.
Siehe Rappe: Numbers. Anmerkungen zum globalisierten Gebrauch eines Breakbeats
178
Vgl. ebd.
179
Vgl. http://pitchfork.com/article/feature/14685-interview-diplo/)(http://en.wikipedia.org/wiki/Diplo_
%28DJ%29 (17.10.12).
180
Vgl. http://www.lastfm.de/music/Diplo/M.I.A.+-+Piracy+Funds+Terrorism+Volume+1 (17.10.12).
181
Rapp: Numbers. Anmerkungen zum globalisierten Gebrauch eines Breakbeats, S.6.
43
perkussiven Patterns des Stückes, die gesampelten Trompetenfanfaren aus dem
Titelthema des Spielfilms „Rocky“ (verändert angeordnet, teilweise gepitched) und der
transformierte „Numbers“-Breakbeat werden durch gehaltene, wummernde Subbässe
und repetitive Synthesizer-Figurationen ergänzt. Zusätzlich werden Gewehrschüsse als
Samples eingesetzt.
Diese Mischung dient M.I.A. als Grundlage für ihren distinktiven Rapstil. Sie nutzt die
rohe Energie des Originals um ihre eigene Definition der Rolle von Waffen und der
Rolle der MC dem herkömmlichen Verständnis dieser Begriffe im Hip-Hop
hinzuzufügen. Sie knüpft an die innerhalb dieses Genres entwickelte Terminologie an
und appelliert an die Bedeutung der Waffe als Metapher für musikalische skills und
styles und deren politische Aussagekraft sowie an die Vorstellung von MCs als
Sprachrohr der „Gleichen“.
„Time to spit new shit / I'm rocking on this new bit / I'm hot now you'll see / I'll fight you
just to get peace (...) Can I get control / Do you like me vulnerable / I'm armed and I'm
equal / More fun for the people“ 182
Auf die Frage was der Titel „Bucky done gone“ bedeutet antwortet M.I.A:
"I don’t know!! [Laughs] I really don’t know. At the time, the concept that I was thinking
of was how far we are going to go with gangster culture in rap music. That’s really what I
was thinking about. I was thinking about 50 Cent. It started off as Public Enemy and
ended with 50 Cent. What was that journey [for rap music] and how did that happen? In
London, Bucky is a slang word for gun. It’s a real British, grime word. So I was thinking,
what is the aftermath of gangster rap? Were they going to get into therapy?" 183
Die strategische Verwendung von Genres beschreibt auch eine ihrer Herangehensweisen
an die Popmusik. Ihre Verwendung einer popkulturellen Infrastruktur, Zeichensprache
und Ikonographie geht, wie auch ihr Verständnis vom Hip-Hop, über eine dominante
Lesart hinaus. Sie spürt die Verbindung von subkulturellen Kodes zu den jeweiligen
politisch drängenden Themen auf und appelliert in diesem Sinne an die Eigenschaften
kultureller Praxen, Bündnisse und Zusammenkünfte zu ermöglichen. Deren Reichweite
umgreift durch den informellen Charakter kultureller Wirkungsbereiche sowohl
persönliche, als auch politische Dimensionen.
182 Album
„Arular“, Titel 3 „Bucky done Gun“ Lyrics.
183 Ashlene
Nand: M.I.A. Real Refugee, 2006 http://www.desiclub.com/desimusic/desimusic_features/
music_article.cfm?id=202 (17.10.12).
44
Zu Beginn des Tracks ruft sie in MC-Manier die Orte London, New York, Kingston und
Brasilien auf zu schweigen, um ihrer Stimme und Darbietung Raum zu geben. Sie ruft
die großen Produktionsstätten subkultureller Populärmusik in den musikalischen battle
und nimmt einen Platz unter ihnen ein, indem sie sie spielerisch herausfordert und
zitiert.
4.2.3. DIY-Ästhetik als Sound und Produktion
Ein wesentliches ästhetisches Element von Arular ist der rohe Charakter und die
unbehandelte Energie, die durch die Herangehensweise do it yourself (DIY) und den
Produktionsstil hervorgerufen wird. Dies verleiht dem Album einen Eindruck von
Unmittelbarkeit. Die Rohfassungen und Skizzen einiger Songs auf der Platte sind in
einem intimen Umfeld entstanden, während sie sich allein und mit befreundeten
Musikerinnen mit der MC-505 beschäftigte. 184 185
M.I.A. und ihre Produzenten versuchen durch ihren Umgang mit der DIY-Ästhetik, dem
Lo-Fi-Gedanken eine erneuerte Akzeptanz und Aufmerksamkeit zu verleihen. In den
letzten Dekaden sind diese Praktiken und Strategien subkultureller Stile wie Punkrock
und Hip-Hop im Mainstream der Populärmusik aufgegangen. Pearson stellt die
Behauptung auf, dass sich solche selbstbestimmten, intuitiven und zugänglichen
Herangehensweisen in diesen Stilen spätestens seit den Nullerjahren durch die
Absorption von Widerständigkeit und Subversion in die Verwertungslogik der
transnationalen Musikindustrie ins Gegenteil verkehrt haben. Dies sei einhergegangen
mit einem Verlust an Kreativität, der Loslösung von politischen Inhalten und dem
fehlenden Bedürfnis sozialgesellschaftliche Themen wie Rassismus, Armut und
Ungerechtigkeit aufzugreifen.186 Anstelle einer solchen Motivation rückt nun eine
Arbeitsteilung von Musikschaffenden, Produzenten und dem zugehörigen Distributionsapparat ins Blickfeld, deren Aufgabe es sein soll, Inspiration, Gefühl, Kreativität und
Provokation in die kulturindustrielle Warenform zu integrieren. Die Zugänglichkeit und
Rohheit subkultureller musikalischer Ausdrucksformen arriviert zu einem kosmetisch
aufbereiteten fertigen Sound, der suggerieren soll, für den Erfolg geeignet zu sein.
184
Vgl. Sasha Frere-Jones: Bingo In Swansea - Maya Arulpragasam‘s world., 22.11.2004 http://
www.newyorker.com/archive/2004/11/22/041122crmu_music (17.10.12).
185
„(...) on Arular, I was in my bedroom for six months writing the album, and then I went out to different
producers and got beats and just worked on it.“
Vgl. John Polly: Exclusive M.I.A. Interview! On Jamaican „Boyz“, New Music, Old Love & Gays!,
25.07.2007 http://www.newnownext.com/exclusive-m-i-a-interview-on-jamaican-boyz-new-music-oldlove-gays/07/2007/ (17.10.12).
186
Vgl. Pearson: M.I.A.‘s radical Music & Postmodern Absorption, S.1.
45
M.I.A. und ihre Produzenten finden - wie auch andere DIY-Künstler - auf „Arular“
Möglichkeiten um Wege aus dieser Dynamik aufzuzeigen und zu umgehen. Die
Akzeptanz, die M.I.A. für die Möglichkeit des Selbermachens und des gemeinsamen
Bastelns an Musik mit Produzenten herstellt, vermittelt Intimität zu der Musik und den
Eindruck einer Chance auf selbstbestimmte Gestaltung. Die Reflexion und Integration
der verschiedenen Einflüsse in ihrem Leben, die zum Entstehen des Albums beigetragen
haben, beschreibt sie als Resultat ihrer eigenen Offenheit und der Zugänglichkeit der
Quellen, die ihr zur Verfügung standen.187
4.2.4. Aussagen und Lesarten
M.I.A. verfolgt in ihrem Debutalbum eine Zeichenpolitik, die von dem Wunsch geprägt
ist, subversive Praktiken moderner Gesellschaften in den Dienst drängender
transglobaler Aufgaben zu stellen. Ihr Zugang zur Kunstszene in London, den sie über
ihre subkulturelle Sozialisation erreichte, und ihre persönliche Beziehung zu
Befreiungskämpfen um existenzielles und politisches Überleben brachte sie in eine
Position, von der aus sie die Möglichkeit hatte, in einer westlichen urbanen Gesellschaft
auf diese Kämpfe aufmerksam zu machen. Sie nutzt dieses Wissen, um mit den Mitteln
der popkulturellen Ästhetik die Konzepte eines weltweiten politischen Untergrunds und
eines subkulturellen Undergrounds wieder zusammenzudenken. Mit ihrem
musikalischen Auswahlverfahren knüpft sie an einen Bereich des Clubsounds an, der
bereits mit widerständigen politischen Positionen assoziiert wird. Sie nutzt die
Schlagkraft dieser Beats um die Geschichten der Unterdrückten und deren Strategien in
ihrer Ambivalenz zu erzählen. So stellt sie zwischen den radikalen und revolutionären
politischen Kämpfen unterdrückter Menschen und der subkulturellen, urbanen Sphäre in
transnationalen Kontexten die Möglichkeit einer Interessengemeinschaft her.188
4.3 Kala
Ihr zweites Studioalbum „Kala“ entsteht in einem gänzlich anderen Kontext. Da sie
aufgrund der Einreisebestimmungen durch die repressiven Maßnahmen der USBehörden nicht auf ihre Materialien und Skizzen in Brooklyn zurückgreifen kann,
187
"I had to draw from influences from lots of places and bring together how life is for me. You do hear
variations of genres and variations of cultures and identities, and I just felt like I was a walking sponge,
and that's what I regurgitated."
Carolyn E. Davis: Her Name May Be M.I.A.- But Her Career Is Anything But, 01.03.2005 http://
www.mtv.com/news/articles/1497639/worldly-singer-mia-anything-but.jhtml (17.10.12).
188
Vgl. Pearson: M.I.A.‘s radical Music & Postmodern Absorption, S.8.
46
beschließt sie, ihre Recherche für das Album neu zu beginnen.189 Sie begibt sich auf die
Suche nach Klängen sowie lokalen und traditionellen Musikpraktiken in Indien, Sri
Lanka, Jamaika, Bequia, Saint Vincent und den Grenadinen, Trinidad und Tobago,
Liberia und Australien.190 „Kala“ ist das Resultat dieser weltweiten Klangreise oder
globalen Sampling-Tour und den damit verbundenen Redaktions- und
Produktionsbedingungen.
Mit „Kala“ erweitert M.I.A. die eklektizistische Herangehensweise ihres musikalischen
Schaffens. Auf „Arular“ waren die Stile Dancehall und Reggaeton maßgeblich für die
rhythmische Gestaltung der Beats verantwortlich. Auf „Kala“ ist die Auswahl der Beats
insgesamt vielseitiger und genreunspezifischer. Auf diesem Album werden Rhythmen
und Stilelemente aus Sri Lanka, Indien, Afrika und der Karibik mit Komponenten des
afroamerikanischen Hip-Hop und der elektronischen Tanzmusik kombiniert.
4.3.1. Bamboo-Banga
In dem Eröffnungstitel „Bamboo-Banga“ wird eine konventionelle Liedstruktur mit der
Linearität eines tanzbaren Clubsound vermischt. Der Track ist inspiriert von einem
Bambus-Stock-Tanz, der Tinikling genannt wird und der auf den Philippinen eine
bekannte und traditionelle Praxis darstellt.(Quelle) Der Grundrhythmus dieses Tanzes,
erzeugt durch auf den Boden und aneinander geschlagene Bambusstöcke, wird mit
einem houseartigen Beat und einer synkopierten Handclap-Figur kombiniert und bildet
die rhythmische Textur dieses Songs. 191 „Bamboo-Banga“ erhält ein zusätzliches
narrativ-illustratives Kolorit durch Effektsamples von einem in rasender
Geschwindigkeit vorbeifahrenden Auto und von bellenden Tieren. Desweiteren nimmt
M.I.A. Bezug auf den Song „Roadrunner“ von Jonathan Richman, dessen Liedtext und
Intonationsmuster und/oder Gesangsrhythmus (flow) sie hier aufgreift und variiert.192
Als Samplequelle dient zusätzlich der Song „Kaattukkuyilu“ vom Soundtrack des
indischen Films „Dalapathi“, in dem unter anderem von sozialen Unruhen in einem
indischen Slum erzählt wird. In „Bamboo-Banga“ tauchen Drum- und Vocalsamples des
189
Dazu M.I.A.: „I haven’t been able to get in [since]. So it wasn’t my own choice or actions that led me
to become more worldly—I mean I live in the US. My apartment’s there. I don’t have any of my artwork,
any of the songs that I’ve been working on. I don’t have my clothes. So everything [on Kala] is built out of
wherever I’ve gone.“ the fader: Video+Interview: M.I.A., „Jimmy“, 07.08.2007 http://www.thefader.com/
2007/08/07/video-interview-mia-jimmy/#ixzz28eiQkg4P (17.10.12).
190
Vgl. Lily Moayeri: Out On A Whim, 01.09.2007 http://www.emusician.com/news/0766/out-on-awhim/142834 (17.10.12).
191
Vgl. Cam Lindsay: M.I.A., 09.2007 http://exclaim.ca/Interviews/WebExclusive/mia/Page/2 (17.10.12).
192 Vgl.http://www.whosampled.com/sample/view/7413/M.I.A.-Bamboo%20Banga_Jonathan
%20Richman-Roadrunner/ (17.10.12).
47
Soundtracks auf.193 Begleitend zur Textzeile „M.I.A. is coming back with power power“
setzt ein schwerer Big-Beat ein, der dem Song zusätzlich Druck verleiht. Den Enden
dieser und vieler weiterer vokalen Phrasen wird durch gerufene Backgroundstimmen
(„power power“) im Verlauf des ganzen Song Emphase und Akzentuierung verliehen
und ein Raum der Vielstimmigkeit evoziert.
Auf inhaltlicher Ebene bezieht sich M.I.A. mit diesem Song zunächst auf nationale
Kontexte, in denen die Bevölkerung mit Hunger, Unterdrückung, Krieg und Flucht
konfrontiert ist. Sie benennt diese in einer Aufzählung zu Beginn der ersten Strophe
(„Somalia, Angola, Ghana Ghana Ghana“). Der Clubsound und die urbane Hip-HopSprache stellen die dortigen menschlichen Schicksale in einen subkulturellen Kontext,
der zwischen verschiedenen Formen der globalen Prekarisierung eine Verbindung
anklingen lässt.
In dem Vokal-Sample aus dem Soundtrack von "Dalapathi" ist ein Vokalchor zu hören
und im Vordergrund - die Leitstimme ablösend - eingesetzt, um die Stelle zu markieren,
in der der Track die Liedstruktur um den Dialog mit den gesampelten Stimmen
erweitert. Dies evoziert ein Gefühl von Mehrstimmigkeit und unterstreicht die textlich
in der ersten Person Plural dargestellte Kollektivität. Der Text des Liedes kann so
interpretiert werden, dass er die Rückkehr von M.I.A. verkündet (mantrische Rezitation
der Zeile „M.I.A. is coming back with power“), also sowohl das neue Album der
Künstlerin meinen kann, als auch eine Identifikation mit verschollenen Kämpfenden
(Alle, die „Missing in Action“ sind). Deren Eigenschaften sammeln sich - durch M.I.A.
vermittelt - in Bildern des Aufbegehrens. („Yeah I'm knocking on the doors of your
hummer hummer“). M.I.A. beschreibt das Tempo und den Lebenswillen, mit dem die
Abgehängten aufholen. Diese beschreibt sie als Horden hungriger Tiere, als eine
Mehrzahl die kommt um zu feiern und einzufordern. („And we're hitting our records
like a tennis player yeah we‘re hungry like the wolves huntin‘ dinner dinner / And we're
moving with the packs like hyena ena“). So charakterisiert sie den „Bamboo Banger“
als Allegorie, Sound und vereinendes Ereignis.
4.3.2. Bird Flu
In dem Track „Bird Flu“ kommen die in Indien angefertigten Tonaufnahmen der 30köpfigen Trommelgruppe zum Einsatz, die der Produzent und Komponist A.R.
193
Vgl. http://www.whosampled.com/sample/view/26386/M.I.A.-Bamboo%20Banga_S.%20P.
%20Balasubramaniam%20and%20K.%20J.%20Yesudas-Kaattukuyilu/ (17.10.12).
48
Rahmann an sie weitervermittelt hatte.194 Diese Gruppe spielte auf so genannten
Urumee-Trommeln, die bereits seit zweitausend Jahren Verwendung finden und in der
tamilischen Gaana-Musik zum Einsatz kommen.195
Die traditionellen Schlag-
instrumente werden vorwiegend in Tempeln tamilischer Ortschaften gespielt und
besitzen einen sehr druckvollen, metallischen aber auch bassigen Klang. In einem
Interview beschreibt M.I.A. eindrückliche Kindheitserinnerungen an diese Musikpraxis,
welche die Aufnahmen inspirierten.196
Der rhythmisch komplexe Beat des Tracks besteht aus Loops die aus dem
aufgenommen Material zusammengestellt wurden und sich zu einem krachenden TribalBeat vereinen.197 Nahezu das komplette musikalische Material dieses Tracks besteht aus
den eigens angefertigten Tonaufnahmen aus lokalen Kontexten, (ungefilterten /
ursprünglich/teilweise spontan) musikalischen Praktiken und auch spontanen
Situationen innerhalb Indiens.198 Neben der Trommelgruppe und anderen perkussiven
Elementen haben M.I.A. und ihr Team verschiedene vokale und instrumentale Samples
aufgenommen.199 Zu M.I.A.s Vocals gesellen sich in wiederkehrenden Formteilen des
Tracks laute Kinderstimmen, die ihr affirmative und anfeuernde shouts und
Textfragmente zurufen.200 Zudem intonieren die Kinderstimmen in anderen Passagen
ein gemeinsames na, dass wiederholt und in synkopischer Form ein perkussives
staccatoartiges Rhythmuselement bildet. Ebenso werden zahlreiche aufgenommene
194
Vgl. the fader: Video+Interview: M.I.A., „Jimmy“, 07.08.2007 http://www.thefader.com/2007/08/07/
video-interview-mia-jimmy/ (17.10.12).
195
Cam Lindsay, M.I.A., 09.2007: „I went to different places for different reasons. The reason why I went
back to Chennai [India],..., was this sound that you could get from there. Like it wasn’t in Bollywood
songs or Bhangra music, so I went to all of the old Tamil folk music that I knew from having lived in Sri
Lanka for ten years and I used to wake up to it every morning because the temples used to play the
drums. So I went and drew from what I knew, I wanted to go and record temple drums because when I
was a kid it was the sound that I heard every day, and it is kind of what gave me the sense of rhythm.“
http://exclaim.ca/Interviews/WebExclusive/mia (17.10.12).
196
Vgl. Cam Lindsay: M.I.A., 09.2007 http://exclaim.ca/Interviews/WebExclusive/mia (17.10.12).
197
Vgl. the fader: Video+Interview: M.I.A., „Jimmy“, 07.08.2007 http://www.thefader.com/2007/08/07/
video-interview-mia-jimmy/ (17.10.12).
198
Lily Moayeri schreibt in einem Artikel über die Produktion von „Bird Flu“:
“Arul (Maya) procured the talents of some children from four doors down — getting permission from
their parents, who dressed them in their best outfits — for the handclaps on “BirdFlu.” From there,
Switch and Arul created a track that trembles with African-sounding tribal chants, bursting with the
intensity and ferociousness of a burning desert.“
Lily Moayeri: Out On A Whim, 01.09.2007 http://www.emusician.com/news/0766/out-on-a-whim/
142834 (17.10.12).
199
Vgl. Joe Cellini: Dave „Switch“ Taylor: Producing M.I.A. http://www.apple.com/logicpro/in-action/
switch/index2.html (17.10.12).
200
Die hier zugehörigen Textfragmente konnten nicht recherchiert werden. Das Wort „Maya“ ist jedoch
unmissverständlich zu verstehen.
49
Samples von kollektiven und rituellen Gesängen oder Ausrufen in den Track eingefügt,
wie etwa Hintergrundvocals, die durch den Gebrauch von Flatterzungentechnik Töne
produzieren; hinzu kommen gesamplete Hennenrufe. (siehe auch Video Bird Flu).201
202
Diese Elemente korrespondieren mit dem Rhythmus und den Wirbelfiguren der
Schlaginstrumente. Zusätzlich taucht ein Subbass auf, der - einmal angeschlagen - mit
einem absteigenden Glissando im Trubel des Trommel-, Schlag,- und Stimmengewitters
verschwindet. Dieser Subbass ist wohl das einzige Element, das nicht zu den
angefertigten Aufnahmen der Sampling-Tour gehört und erst bei der Arbeit im Studio
beigefügt wurde.
Durch die zusammengestellten, vielfach geschichteten vokalen, rhythmischen und
perkussiven Elemente wird in hohem Maße ein Gefühl von Vielstimmigkeit und damit
auch von Gemeinsamkeit erzeugt. M.I.A. sagt selbst in einem Interview, dass die
Vielzahl von Menschen, die bei der Entstehung dieses Tracks involviert waren, eine
wichtige Inspiration für der Gestaltung des Liedes gewesen ist.203
Dies wird eindrucksvoll durch das dazugehörige Musikvideo unterstrichen. Hier zeigt
sich M.I.A.s Bestreben bestimmte Positionen von Lebenswirklichkeiten und
musikalischen Praktiken nicht in einen hegemonialen Repräsentationszusammenhang zu
integrieren, sondern durch die selbstbewusste Kooperation mit den Menschen
gemeinsame Lebensumstände anzudeuten und innerhalb der Popkultur zu thematisieren.
M.I.A beschreibt diese Form der Zusammenarbeit am Beispiel eines Kindes, welches
die maßgebliche Inspiration für den Tanz und den Namen des Titels beigesteuert hat:
„We discovered an amazing boy who can out dance anything I‘ve ever seen. He invented
me the bird flu dance. I called this bird flu because this beat gonna kill everyone!"204
Die alltäglichen Praktiken und Räume, die Blicke, Tänze und Zusammenkünfte von
Menschen, ihre Straßen, werden mit Zitaten popkultureller Darstellungsweisen
201
Vgl. Pearson: M.I.A.‘s radical Music & Postmodern Absorption, S.6.
202 Auf
der Internetseite des Computerherstellers Apple befindet sich ein Bericht über die Erfahrungen
von „Switch“ bei der Aufnahmeexpedition im Rahmen von „Kala“: „Other promising accidents followed
M.I.A. and Taylor in from the streets, where they recorded the voices of children they’d asked to sing
hooks, hairdressers they pulled out of a barbershop, and a group of disbanded Cricket players. “We were
just there to collect ideas,” says Taylor, “but the songs would progress as we’d stumble across something,
or something would jump out on us.”
Joe Cellini: Dave „Switch“ Taylor: Producing M.I.A., http://www.apple.com/logicpro/in-action/switch/
index2.html (17.10.12).
203
Vgl. the fader: Video+Interview: M.I.A., „Jimmy“, 07.08.2007 http://www.thefader.com/2007/08/07/
video-interview-mia-jimmy/ (17.10.12).
204
Tourdates.com: M.I.A. unveils ,Bird Flu‘ beat, 26.09.2006 http://www.tourdates.co.uk/news/8600-miaunveils-bird-flu-beat (17.10.12).
50
collagiert. Popkulturelle Praktiken dienen hier einer Strategie der Versammlung von
Stimmen, Motiven, Techniken und Botschaften, die im bestehenden Komplex der
transnationalen Musikindustrie einer Vermassung und Konformität des Sounds
entgegensteht.
4.3.3 Boyz
Der Song „Boyz“ ist vom chutney-soca Musikstil beeinflusst, der sowohl west-indische
als auch karibische Wurzeln besitzt und sich besonders auf der Insel Trinidad großer
Beliebtheit erfreut, wo auch die Postproduktion des Songs stattfand. 205
In dem Titel „Boyz“ kommen die in Indien angefertigten Tonaufnahmen, insbesondere
die der Urumee-Trommeln, ebenfalls zum Einsatz. Loops der Urumee mischen sich mit
anderen perkussiven Samples (Tamburin etc.) und mit Vokalsamples südasiatischer
Sängerinnen.206 Hinzu kommen Samples von Trompeten und Klänge von Synthesizern.
Alle diese Elemente fügen sich zu einem Uptempo Dance-Song mit straighten
Baltimore-House-Anteilen und gebrochenen Beats zusammen.207 Die Bass-Drum ist
gelayert und stammt zum Teil von einer Roland TR-909, die wiederum durch einen
Sampler geschickt und gefiltert wurde, um ihren Sound an die tieffrequenten UrumeeTrommeln anzugleichen.208 Durch den Einsatz einer Atmo-Spur, die den gesamten
Track mit der Tonaufnahme einer feiernden und anfeuernden Menschenansammlung
untermalt, wird dem Song eine geschäftige und eventhafte Atmosphäre verliehen.
Das auf Jamaika gedrehte Musikvideo zu der Single zeigt M.I.A. im Vordergrund einer
Gruppe von tanzenden afrokaribischen Männern. Die Machart des Videos invertiert
bewusst die typische Bildsprache von Rapvideos männlicher Hip-Hop-Stars, in denen
der Protagonist in vielen Fällen vor einem Hintergrund gezeigt wird, in dem
übersexualisiert dargestellte, tanzende Frauen abgebildet werden.209
Eine weitere Inversion besteht im billigen Chic des Videos. Dazu gehören neben der
einfachen bunten Kleidung auch die skizzenartigen grafischen Effekte, die als farbig
animierte Ornamente und Schriftzüge mit den Namen von Titel und Künstlerin die
205
Vgl. Tom Breihan: Status Ain‘t Hood Interviews, 18.07.2007 http://blogs.villagevoice.com/
statusainthood/2007/07/status_aint_hoo_28.php (17.10.12).
206
Vgl. Sukant Chandan: M.I.A.: Representing the World Town, 25.01.2008 http://www.greenleft.org.au/
node/38912 (17.10.12).
207
Vgl. Lily Moayeri: Out On A Whim, 01.09.2007 http://www.emusician.com/news/0766/out-on-awhim/142834 (17.10.12).
208
Vgl. ebd.
209
Vgl. Pearson: M.I.A.‘s radical Music & Postmodern Absorption, S. 6.
51
abgefilmten Sequenzen überfluten. Diese zwischen Graffiti und anderen Visuals mit
DIY-Ästhetik oszillierenden Animationen vermitteln dem Video eine Stimmung
spielerischer Ausgelassenheit. Diese konterkariert den aufbereiteten, arrivierten Chic,
mit dem in anderen teuer produzierten Rap- und R‘n’B Videos die hochwertigen
Requisiten, Kostüme und Effekte inszeniert werden. M.I.A. erfüllt die MC-Funktion als
einzige Frau in den Reihen dieser Männer und scheint mit ihnen gemeinsam jene boyz
zu thematisieren und präsentiert sich dabei nicht als Frau mit einem sexuellen oder
genderspezifischen Appell.
M.I.A. hat sich bewusst für Jamaika als Drehort entschieden, wo Frauenfeindlichkeit
und Homophobie insbesonders die Stile Dancehall und Ragga stark geprägt haben. 210
Dies charakterisiert ihre Strategie des Gebrauchs von Populärkultur, die ihre Kritik
dadurch zum Ausdruck bringt, dass sie die multilaterale Verfassung von Konfliktsituationen zu durchbrechen versucht. Durch ihre Interpretation von musikalischen,
visuellen und verbalen Zeichen eines Konflikts in ein gemeinsames künstlerisches
Projekt setzt sie Spannung und Dialog an die Stelle von dichotomen und alternativlosen
Grenzkämpfen. Dadurch wird die Frage aufgeworfen, ob die beteiligten Akteure und die
Populärkultur das Problem sind, oder nicht eher die identitäre Festschreibung dieser
Personen (beispielsweise als homophobe Sexisten oder als Opfer sexistischer
Objektivierung) und die popkulturelle Verbreitung dieser Identitäten und
Begehrensstrukturen durch normative Vorgaben der Unterhaltungsindustrie. Immer
mehr wird sichtbar, dass jeder weitere Verzicht auf identitäre Festschreibung die
Varianten im Spiel mit der Identität vermehrt. Ebenso vergrößert sich die Anzahl der
Menschen und kulturelle Praktiken, die in solch einem Kontext Raum finden
4.3.4 Hussel
Zu Beginn des Tracks „Hussel“ verwendet M.I.A. das eigens angefertigte Sample eines
Gesangs, der in einem Teil Indiens dafür vorgesehen ist, das Zuwasserlassen von
210
In einem Interview beschreibt M.I.A. ihre Beweggründe hierzu:
„I just thought it was interesting - or subversive - to go to Jamaica and get 100 boys in the video… First
of all, I want to be the only chick in the video, and I want to treat men the way they treat us. So, there’s no
girls in the video; it’s just 100 guys. And it’s interesting that they are dancing and singing along to “How
many, how many boys there?” and singing about boys. So… You know what I mean? So we were kind of
subverting things and making them say something or accept something that they wouldn’t otherwise. So I
felt like I’d achieved something with that. They don’t know that. [Laughs.] If you print it, they’re gonna
find out!“
John Polly: Exclusive M.I.A. Interview! On Jamaican „Boyz“, New Music, Old Love & Gays!,
25.07.2007 http://www.newnownext.com/exclusive-m-i-a-interview-on-jamaican-boyz-new-music-oldlove-gays/07/2007/ (17.10.12).
52
Fischerbooten zu begleiten.211
Neben den Raps von M.I.A. und dem anglo-
nigerianischen Gastrapper African Boy bestehen die musikalischen Komponenten
dieses Tracks aus einem schweren Tribal-Beat, von den Urumee-Trommeln gespielt,
und dem flächigen Leadsound eines digital klingenden Synthesizers, der stark an
typische moderne Rn‘B- und Hip-Hop-Produktionen aus den USA erinnert, wie sie in
den Studios der Produzenten Timbaland oder Lil Jon (zum Beispiel Ushers Titel
„Yeah“) entwickelt wurden und ab den Nullerjahren prägend für den Sound dieser
Genres waren. Eine weitere Anlehnung an diese Produktionen ist die synthetische,
vocoderartige Stimmenverzerrung einzelner Vokalpassagen. Diese Effekte und Sounds
antizipieren bereits den Klang ihres dritten, ausschließlich in Amerika produzierten
Albums „/\/\ /\ Y /\“, auf dem diese verstärkt zum Einsatz kommen.
Auffällig in dem Track ist die Hektik, die durch geschnittene, sich wiederholende
Samplefetzen und die vielen echoartigen und submarinen Klänge evoziert wird.
Letzteres lässt sich auf ein Bild zurückführen, das M.I.A. bei der Entstehung des Tracks
in ihrem Kopf hatte. In einem Interview beschreibt sie:
„It [began as] a photo in my head first. The idea for the song was that you have the
bottom deck of a boat: two hundred people getting smuggled in boat, coming over as
refugees. If they banged that beat on the side of a boat, what would it sound like? That’s
why it’s all echo-y and submarine-y. It was refugees coming over on a boat, and we tried
to get that out in music.”212
Die angesprochene Hektik kann auf die textliche Bedeutungsebene dieses Tracks
bezogen werden. Der Begriff hustle ist ein typisches Idiom aus der Hip-Hop-Sprache;
das englische Verb heißt übersetzt „drängen, schnell erledigen“.213 In den afroamerikanischen Hip-Hop-Slang übersetzt ist ein hustler ein Kleinkrimineller214 oder
jemand, der schnellstmöglich Geld verdienen möchte. Viele Rapper assoziieren damit
Reichtum, Ruhm und die Gunst von Frauen.215 Diese Bedeutung des Status im Hip-Hop
kennzeichnet ein problematisches Verhältnis zum Selbstbewusstsein, welches die
strukturelle Diskriminierung gegenüber marginalisierten Kulturen und Menschen
211
Vgl. http://www.thefader.com/2007/08/07/video-interview-mia-jimmy/#ixzz26pYyIEhK (17.10.12).
212
John Polly: Exclusive M.I.A. Interview! On Jamaican „Boyz“, New Music, Old Love & Gays!,
25.07.2007 http://www.thefader.com/2007/08/07/video-interview-mia-jimmy/#ixzz26pYyIEhK
(17.10.12).
213
Vgl. Online Wörterbuch Leo, http://dict.leo.org/ende?
lp=ende&lang=de&searchLoc=0&cmpType=relaxed&sectHdr=on&spellToler=&search=hustle
(23.10.12).
214
Vgl. Rappe: „Under Construction“ Band 2, S. 149.
215
Vgl. Pearson: M.I.A.‘s radical Music & Postmodern Absorption, S.7.
53
hervorgebracht hat. M.I.A. und African Boy geben dem Begriff eine weitere Bedeutung.
Sie beschreiben den Begriff des hustling als den schieren Kampf ums Überleben, der für
viele Menschen, insbesondere Flüchtlinge, innerhalb der globalen Ökonomie Realität
ist. Beispiele hierfür sind die Textzeilen:
M.I.A.:
„We do it cheap / Hide our money in a heap / Send it home to make them study / Fixing
teeth ...“ 216
African Boy:
„You can catch me on the motorway / Selling sugar, water and paper ...“ 217
Sie kritisieren eine globale Ökonomie, die Menschen zum Schuften zwingt, nicht indem
sie die Statussymbolkultur im Hip-Hop-Geschäft angreifen, sondern aus der Hip-HopKultur heraus deren sozioökonomische Wissensproduktion im Slang nutzen, um die
subkulturell geschaffenen Begriffe in einem anderen Kontext zu verwenden. Dadurch
erweitern sie die Inhalte und Rezeption dieser Begriffe mit neuen Perspektiven. Die
Möglichkeiten der Hip-Hop-Kultur, umgangssprachliche und hegemonial nicht
repräsentierte Berichte und Positionen zu überliefern, werden angenommen und
umgesetzt.
Eine vollständige Assimilation der Hip-Hop-Kultur in die kapitalistische oder jegliche
hegemoniale Verwertungslogik erscheint wiederum als eine inhaltliche Frage. Es ist die
Frage danach, ob ein Genre oder eine Ausdrucksform dazu benutzt werden kann, um
subalterne Positionen zur Sprache zu bringen, oder ob das subversive Potential eines
solchen Genres verloren geht, sobald es durch die transnationale Musikindustrie und
ihre globalen Distributionsmechanismen im popkulturellen Kontext aufgeht.
4.3.5. Die Ästhetik der Versammlung in Sound und Produktion
Während „Arular“ von der Rohheit der Energie durch die DIY- und Lo-Fi-Ästhetik
gekennzeichnet ist, lebt „Kala“ von einer enormen Kraft, die durch die aufgenommenen
lokalen Musikpraktiken in Kombination mit M.I.A.s Stimme Ausdruck findet. Der
Klang des zweiten Albums wirkt insgesamt elaborierter, voller und räumlicher
gegenüber dem Sound auf „Arular“. Ein Grund dafür sind neue Techniken der
Postproduktion, die das Klangbild auf dem Album beeinflussen. Die vielfach
216 Album
217
„Kala“, Titel 5, „Hussel“ Lyrics (0:40).
Ebd. (1:32).
54
bearbeiteten Samples und Loops, des an den verschiedenen Orten der globalen
Klangreise eigens angefertigten und auf dem Album omnipräsenten Aufnahmematerials,
schaffen auf musikalischer und soundästhetischer Ebene eine Kontinuität.218
Es ist erstaunlich, dass trotz der Vielzahl an Produktionsorten und der Menge an
unterschiedlichen Soundquellen eine deutliche Kohärenz in der Klangästhetik zu
bemerken ist. Dies ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass M.I.A. in Dave „Switch“
Taylor ihren verbündeten Produzenten gefunden hatte, der sowohl bei den
Soundrecherchen und Tonaufnahmen sowie der Postproduktion eine wichtige Stütze des
Projektes darstellte. Die Zusammenarbeit und die gemeinsamen Vorstellungen von
M.I.A. und „Switch“ hatten großen Einfluss auf die Realisierung der Klangästhetik des
Albums.219 220
„Switch“ entwickelte auch einen elaborierten und durch persönliche Erfahrung
geprägten Umgang mit M.I.A.s vokaler Performance sowohl die Aufnahmesituation
betreffend als auch bei der anschließenden Postproduktion unter Verwendung von
Equalizern, Kompressoren und Modulationseffekten.221
Gemeinsam suchten und
entwickelten sie Verfahrensweisen bei der Produktion, die eine große Bedeutung für den
Klang des Albums hatten. Hierbei ist im Besonderen die Menge der Außenaufnahmen
beachtenswert, die natürlich eine gewisse Mobilität des technischen Equipments
voraussetzte.222
218
„Like so many other tracks on the album „Boyz" has cut-up samples of South Asian singers, and Asian
and African percussion, which gives the album a cohesion and continuity throughout.“
Sukant Chandan: M.I.A.: Representing the World Town, 25.01.2008 http://www.greenleft.org.au/node/
38912 (17.10.12).
219
vgl. Joe Cellini: Dave „Switch“ Taylor: Producing M.I.A. http://www.apple.com/logicpro/in-action/
switch/?sr=hotnews (17.10.12).
220
„And as co-producer, she was an unerring guide to what was working best. ,If you get lost going round
for an hour listening to a beat loop, you can turn around and look at her and she’ll give you an honest
judgment. She’s really important in the studio.‘” („Switch“ über die enge Zusammenarbeit mit M.I.A.
während der Produktion von „Kala“)
Joe Cellini: Dave „Switch“ Taylor: Producing M.I.A. http://www.apple.com/logicpro/in-action/switch/
index2.html (17.10.12).
221
Vgl. Lily Moayeri: Out On A Whim, 01.09.2007 http://www.emusician.com/news/0766/out-on-awhim/142834 (17.10.12).
222
Die Journalistin Lily Moayeri beschreibt in einem Bericht in der Zeitschrift Electronic Musician die
Szenerie einer Aufnahmesession mit Maya, „Switch“ und ihrem Team folgendermaßen:
„Switch confirms the best performances from Arul (Maya) are when she feels the bone-shatteringly loud
bass. That ties in with her affinity for the gaudy jangle of street sounds. The noisy blare of horns and the
rings, trills and shouts of third-world cities' claustrophobic bustle are at the heart of every track on (her
Album) Kala. More often than not, Arul has to be pulled out of the street where she has run screaming: “I
really need to, like, get the sound,” she says. “I'm like, ‘Can we just record in the street? What's wrong
with you? Come on, let's go. Let's go now!’” But she got her way some of the time. Switch, armed with a
laptop, a microphone and a MOTU soundcard, was better able to approach the sounds heard outside and
capture them. Other times, they used a simple portable recorder in search of “the dirt and the accidents,”
Switch says.“ Lily Moayeri: Out On A Whim, 01.09.2007 http://www.emusician.com/news/0766/out-ona-whim/142834 (17.10.12).
55
Die Vermischung von Außen- und Innenaufnahmen des vielschichtigen Aufnahmematerials223 sorgen für die besondere Atmosphäre auf dem Album. Die Umstände für
M.I.A.s Vokalaufnahmen wurden in diesem Zusammenhang den gegebenen räumlichen
Bedingungen und Situationen gemäß ermöglicht und angepasst.224
Der druckvolle und hervorragende Klang der rhythmischen Elemente auf „Kala“ ist auf
verschiedene Faktoren zurückzuführen. Zum einen gehörte zu der Aufnahmestätte in
Indien ein Team von fähigen Toningenieuren und Technikern.225 Hierdurch war die
Möglichkeit hochqualitativer Aufnahmen der Trommelgruppen gegeben. Die Arbeit der
Produzenten, insbesondere die von „Switch“, während der Postproduktion war durch
Techniken wie dem Multi-Layering, dem Re-Sampling und dem Re-Equalising
gekennzeichnet. 226 Diese Techniken sind ebenfalls ein Grund für den besonderen und
vielschichtigen Klang des Albums.
Der Einsatz der Postproduktion auf „Kala“ dient nicht der objektivierenden Glättung
des Materials, sondern verleiht dem Album Verdichtung und Profil. Daraus lässt sich
schließen, dass der Umgang mit Produktionstechniken weit über die Funktion als
hintergründig kosmetisches Mittel zur Professionalisierung des Klanges hinausgeht und
deutlich grundlegende, künstlerische Anteile in sich trägt.
4.4. /\/\ /\ Y /\
Auf dem dritten Album „/\/\ /\ Y /\“ kommen neue inhaltliche und thematische sowie
klangliche, produktionstechnische und genrespezifische Aspekte zum tragen. Das
223
Es wurden neben den perkussiven Elementen und den Stimmen auch Atmos und zahlreiche Geräusche
aufgenommen. Switch legte besonderen Wert darauf, die Aufnahme oft laufen zu lassen, um
Zwischenfälle und „Accidents“ und „Dirtyness“ auffangen zu können.
Vgl. Lily Moayeri: Out On A Whim, 01.09.2007 http://www.emusician.com/news/0766/out-on-a-whim/
142834 (17.10.12) und
Vgl. Joe Cellini: Dave „Switch“ Taylor: Producing M.I.A. http://www.apple.com/logicpro/in-action/
switch/?sr=hotnews (17.10.12).
224
„Switch“ beschreibt Herangehensweisen und Techniken bei der Zusammenarbeit mit M.I.A. während
der Vokalaufnahmen:
„She sounds so fantastic when she doubles up on herself after it has been processed, and she can hear
how she sounds once it's been mixed and embedded into the record. That was the blueprint for all of the
songs. Once I got my RØde to sound good with her voice, I tended to make her voice sound different with
each track from within the mix. As soon as I had a clean string of her — a lot of the vocals were recorded
outside, hotel rooms, terraces — and once we had that thread running through it to make it sound really
raw, it was then more about getting a really good take of her voice.”
Lily Moayeri: Out On A Whim, 01.09.2007 http://www.emusician.com/news/0766/out-on-a-whim/
142834 (17.10.12).
225
226
Vgl. ebd.
„Switch“ beschreibt seine produktionstechnischen Vorgehensweisen folgendermaßen: „A lot of the
drums are multilayered, sampled, dropped into another and re-EQ'd. That's where the more electronic
feel, like a speed-garage/UK-garage vibe, comes from. It has a similar processing applied to it.”
Joe Cellini: Dave „Switch“ Taylor: Producing M.I.A. http://www.apple.com/logicpro/in-action/switch/
index2.html (17.10.12).
56
Album „Kala“ war sehr stark geprägt durch M.I.A.s Exilstatus zu diesem Zeitpunkt und
den gesammelten Aufnahmen der lokalen Musikpraktiken in vielen Teilen der Welt. Die
Stücke auf „/\/\ /\ Y /\“ sind in einem anderen Kontext komponiert und produziert
worden. M.I.A. plante ursprünglich wieder auf globale Soundrecherche zu gehen, sah
sich aber aufgrund von Ausreiseregelungen und auch wegen ihrer Schwangerschaft
gezwungen, ihr Album in den USA zu produzieren.227 Sie lebte zu der Zeit in einem
Haus in Los Angeles und richtete dort ihr Studio ein.228
Die Vermischung der Genres und die Entwicklung neuer klanglicher Räume erreichen
einen konzeptionellen und perspektivischen Wendepunkt. Die Kompilation von
Musikstilen wie Dub-Step, Hip-Hop, Reggae, Dance, Synth- oder Space-Pop wird zu
einer eigens interpretierten Form von Cyberrock/-punk oder Industrial-Pop. Sie erweckt
den Eindruck einer elektrifizierten Kompilation verschiedenster Klangwelten in einem
digitalen (post-) populärmusikalischen Gewand. Rohe Energie und berstende Klänge im
Dialog mit radikalen Produktionskonzepten weisen auf ein politisches Projekt der
Überbrückung begrenzter Gestaltungsvorgaben und Ausdrucksmöglichkeiten hin.
Insgesamt vollziehen sich heftige und unvermittelte musikalische Stimmungswechsel.
Zum einen radikalisiert sie ihre Musiksprache in Titeln wie „Steppin‘ Up“ und „Born
Free“, in denen Geräusch-, Verzerrungs-, Effekt-, und Synthesizerkaskaden eingesetzt
werden. Zum anderen sind Songs wie, „XXXO“ und „It takes a muscle“ strukturell so
nah am Konzept des Popsongs zu verorten wie selten eines ihrer Lieder davor. Diese
Tracks werden aber mit Texten gefüttert, die stereotype Darstellungen von Romantik
und Hoffnung über die Grenzen ihrer hegemonialen Lesart hinaustreiben.
4.4.1. XXXO
Der Track „XXXO“ 229 bezieht seine musikalischen und stiltypischen Komponenten aus
dem Synth-Pop und dem Industrial und vermischt diese zu einem Sound, der tendenziell
227
Vgl. Jian Ghomeshi: Interview with M.I.A. on QTV, 18.10.2010 http://www.youtube.com/watch?
v=uaK0YBA8Lss&noredirect=1 (17.10.12).
228
“I built a room under the house that was kind of like a cave; you had to go down into it. And then I
just sort of made it as creative as possible for me.”
MTV Newsroom: M.I.A.‘s New Album Was Made In A Cave, 13.07.2010 http://newsroom.mtv.com/
2010/07/13/mia-new-album/ (17.10.12).
Das Kofferwort XXXO, ein Amalgam aus dem zärtlichen gemeinten "Hugs and Kisses"(xoxo) und
XXX der Chiffre für Pornographie oder sexuelle Inhalte. M.I.A. twitterte einmal „excess, sex, oh“ nachzulesen bei www.twitter.com/MIAuniverse.
57
229
an Songs von R‘n’B Größen wie Rihanna erinnert.230 Ganz zu Beginn des Songs wird
der Hörer durch einen krachenden, industrial-angehauchten Uptempo-Beat (120 bpm)
im Unklaren gelassen, in welche Richtung sich der Titel entwickeln wird. Der Beat steht
im 4/4-Takt und erinnert an die Rhythmen einer Marching-Band. Spätestens ab dem
Einsatz der Singstimme und dem raumgreifend-ostinaten Synth-Bass, der in Discotypischen Oktavsprüngen angeordnet ist, verdichten sich diese Komponenten und die
produktionstechnisch erzeugte kalte Atmosphäre zu einem düsteren Popsong.
Ab dem ersten Refrain verbreitert sich der Gesamtklang durch im Hintergrund
erklingende ostinate, arpeggierte Synthesizer-Sequenzen und eine gelayerte, unisono
vorgetragenen Linie bestehend aus einer E-Gitarre und einer Backgroundstimme. Diese
Linie ist einer volkstümlichen, tamilischen Melodie nachempfunden. 231 Zu Beginn der
zweiten Strophe erklingen Synthesizersounds, die an moderne digitale R‘n’B- und
Popproduktionen erinnern. Der formale Ablauf des Titels, eingeteilt in Strophe-BridgeRefrain, gibt zusätzlich Hinweise auf konventionelle Strukturen eines gängigen
Popsongs.
Die düstere Atmosphäre des Liedes wird durch verschieden Faktoren hervorgerufen.
Zum einen ist dies die phrygische Skala, die der Basslinie zugrunde liegt. Der typische
Halbtonschritt zwischen dem zweiten und ersten Ton der Skala wird vom Synth-Bass
am Ende der viertaktigen Phrase in Strophe und Refrain gespielt. Die Melodiestimme
und die Synthesizer-Sequenz bedienen sich jedoch einer anderen Skala, wodurch an
beschriebener Stelle eine Reibung entsteht, die eine Dissonanz hervorruft, die dem
Grundgefühl des Songs einen subtil-disharmonischen Charakter verleiht. Zum Anderen
sind viele der einzelnen musikalischen Komponenten, insbesondere die Gesangsstimme
und der Beat, stark mit Effekten wie Hall und Delay versehen, die dem Song eine
räumliche Tiefe verschaffen.
4.4.2. Born Free
Der Track „Born Free“ repräsentiert auf musikästhetischer Ebene die andere, radikale
Seite des Albums. Wieder ist zu Beginn unklar, in welche Richtung sich der Song
entwickelt. Snaredrum-Schläge verdichten sich von Einzelschlägen zu einem schnellen
Trommelwirbel, der mit dem Beginn der anderen Instrumente stoppt. Der UptempoBeat (96 bpm) ist in einem rock- oder punktypischen Double-time-feel gespielt und
230
Vgl. Spin Magazine: Juni 2010 http://books.google.co.uk/books?
id=V7_Ar8QHqxcC&pg=PA84&dq=MIA+XXXO&hl=en#v=onepage&q=MIA%20XXXO&f=false
(17.10.12).
231
Vgl. Wikipedia: Eintrag „XXXO song“ http://en.wikipedia.org/wiki/XXXO (17.10.12).
58
wird begleitet durch ein stark verzerrtes, ostinates, sich stetig wiederholendes Bass-Riff,
das aus dem Song „Ghost Rider“ der Protopunk Band „Suicide“ aus dem Jahr 1981
übernommen wurde.232 Ein durchgehender, stampfender 4/4 Impuls und der digital
übersteuerte Grundsound verleihen dem Beat einen technoiden, fast schon Gabberartigen Charakter. Der Track erinnert von seinem Gestus an die subversive Energie von
Digital Hardcore Bands wie Atari-Teenage-Riot.233 M.I.A.s Stimme ist beinahe bis zur
Unkenntlichkeit mit Effekten versehen und ihre Inszenierung erinnert an
Lautsprecheransagen auf Massenveranstaltungen. Besonders die digitale Übersteuerung
und ein verzerrtes Reverb und Delay sorgen für den aggressiven Grundklang der
Stimme. Der Textzeile „Born Free“ wird durch die getreckte Artikulation („Born“ ...
Akzent auf „Free“) von M.I.A. und durch die teilweise roboterartige Wiederholung der
ersten Silbe „Bo-“, zusätzlich Ausdruck verliehen. Diese Komponenten führen zu einem
starken Gefühl von Hektik, Wut und Raserei.
Das zu diesem Lied produzierte Musikvideo entstand unter der Regie von Roman
Gavras. Es zeigt Soldaten in US-Uniformen, die in Sozialwohnungen eindringen und
unter Einsatz von roher Gewalt rothaarige Männer zusammentreiben und sie in Busse
zwängen. Diese werden von ihnen in eine Wüste gebracht. Dort wird zunächst ein Junge
unter ihnen ausgewählt und exekutiert und die anderen rothaarigen jungen Männer
werden mit Gewehrschüssen über Tretminen gejagt. M.I.A. bezieht das Video auf den
Genozid an der tamilischen Bevölkerung in Sri Lanka.234 Die Internetplattform Youtube
zensierte das Video wegen seiner Darstellung von Gewalttätigkeit umgehend.
Presseberichte reagieren auf das Video mit dem Vorwurf der Provokation zu
Karrierezwecken. Die Journalistin der New York Times Lynn Hirschberg nennt den
Film „ausbeuterisch und hohl“ und „im besten Falle politisch naiv.“235 Aber auch andere
Lesarten des Videos mit Bezug auf realexistierende Gewalt, so genannte „ethnische
Säuberungen“ und paranoide „Hexenjagden“, gerade im Kontext der von M.I.A. oft
thematisierten Flüchtlingspolitik, werden durch die Rezeption inspiriert.
Pearson recherchiert Sachverhalte, bei denen die US-Uniform in dem Clip nicht allein
allegorisch gelesen werden muss:
232
http://www.whosampled.com/sample/view/32236/M.I.A.-Born%20Free_Suicide-Ghost%20Rider/
(17.10.12).
233
Vgl. Matthias Manthe: Pop, politics & Provokation um des Anliegens willen, 09.Juli 2010 http://
www.laut.de/M.I.A.-UK/Maya-%28Album%29 (17.10.12).
234
Jian Ghomeshi: Interview with M.I.A. on QTV, 18.10.2010 http://www.youtube.com/watch?
v=uaK0YBA8Lss (22.10.12).
235
Vgl. Pearson: M.I.A.’s Radical Music & Postmodern Absorption, S.15.
59
„Given the recent passage of a law in Arizona legalizing racial profiling of Mexicans,
Obama’s ordering of the National Guard to the US-Mexico border, and the recent US
Border Patrol killing of a 15-year-old Mexican boy, one has to ask Hirschberg how the
“Born Free” video is anything but a dramatic depiction of the present reality for
immigrants in Western democracies?“ 236
Auch stellt sich die Frage, warum die Thematisierung realer Gewalt in Kunst und Musik
den Jugendschutzbestimmungen unterliegt während die zu Unterhaltungszwecken
produzierten Darstellungen von physischer Grausamkeit gerade auf Youtube oftmals
frei zugänglich sind. Youtube hat nach Protesten das Video für erwachsene, registrierte
Benutzer wieder freigegeben. 237
4.4.3. Neue Räume in Sound und Produktion
M.I.A. entwirft mit ihrem Produzententeam ein erweitertes und verändertes
Soundkonzept. Verzerrte E-Gitarren, Störgeräusch-Beats, übersteuerte Synthesizer, die
Klänge einer sanften Reggae-Orgel oder wabernde Soundflächen treffen auf
Anhäufungen von effektbeladenen Instrumenten-, Geräusch- und Vokalspuren. Die
Stimme klingt an manchen Stellen sehr künstlich und maschinell übermittelt. Dies wird
in einigen Stücken besonders durch die Stimmentransformation des Autotune-Effekts
ausgelöst (siehe hierzu Abschnitt 4.1.). Das Technologiemotiv zeigt sich auch in
Werkzeugklängen, die zu Samples und rhythmischen Bausteinen werden. 238 Diese
Elemente bilden die extrem unterschiedlichen klanglichen Facetten des Albums.
Auf dem Album ist ein deutlicher Dubstep-Einfluss zu hören, der mitverantwortlich ist
für die teilweise morbide und dunkle Atmosphäre. Dies ist in erster Linie auf die
erstmalige Zusammenarbeit mit dem Produzenten Christopher Mercer alias „Rusko“
zurückzuführen, der durch seine musikalische und produktionstechnische Arbeit
beispielsweise den Tracks „Steppin-Up“, „Teqkilla“ und „Story to be told“ eine düstere
Klangfärbung aus der Subkultur des Dubstep beifügt.239
236
Ebd.
237
Stern.de - Clip, Skandal-Video: „Born free“ von M.I.A. http://www.youtube.com/watch?
v=jqIl2vR9wb0 (22.10.12).
238 Auf
dem zweiten Track des Albums, „Steppin‘ Up“, kommen Samples einer Bohrmaschine (ab 0:00)
als rhythmisches Elment des Beats zum Einsatz.
239
Rusko über das Album „/\/\ /\ Y /\“:
„,It sounds like a rock band trying to play dubstep songs,‘ he said of the album backstage at Coachella
Festival in the States earlier this month.” Georgie Rogers: M.I.A.‘s call for titel help, 27.04.2010 http://
www.bbc.co.uk/6music/news/20100427_mia.shtml (17.10.12).
60
Man kann auf diesem Album von der Transformation einer Lo-Fi-Ästethik sprechen.
Während auf „Arular“ der Lo-Fi-Sound noch von einem spielerischen und analog
klingenden Charme geprägt war, drückt sich dieses Moment auf „/\/\ /\ Y /\“ durch
computergenerierte Übersteuerung und vorsätzliche Dekonstruktion der Klänge aus.
Dies führt zu einer Art effektbeladener Trash-Ästhetik in digitalem Gewand. Der
überbordende und häufig wechselnde Einsatz von Klangbearbeitungsmöglichkeiten, wie
digitalen Hall-, Delay-, und Modulations-Effekten, trägt zu einer konfusen,
verstörenden Atmosphäre bei und unterstreicht die vielen musikalischen
Stimmungswechsel.
4.4.4. Aussagen und Lesarten
Die Klangästhetik des Albums korreliert mit den neuen Themen und Aussagen in den
Texten. M.I.A. beschreibt ihr Album später als das Produkt eines Zeitgeistes der
Überwinterung, der kritischen Reflexion und der Wachsamkeit:
„If you like the record (…) it’s like, one of those things, it’s not like you can get up (...)
and drum on this sound and be like ,it’s so fucking great!‘ It's just not. These are the times
we are going through, you know, people like me and you (…). This time is a type of time
of Hibernation to rebuilt, reboot. I think this time is not as great and optimistic as it is
written.“ 240
Dies lässt darauf schließen, dass sich der Kontext während der Entstehung und die
Inhalte des Albums für sie in einem Kampf ausdrücken, der sich nun auch im Inneren
abspielt und nach Imagination und neuen Raumvorstellungen verlangt. Sie beschäftigt
sich viel mit digitalen Medien und mit ihnen produzierter Kontexten und
Räumlichkeiten. Sie versucht persönlich und künstlerisch in diese Räume
hineinzuwachsen und trifft auch auf den virtuellen und realen Einfluss hegemonialer
Gestaltungs-vorgaben. In einem Interview erzählt sie von der Entwicklung des Albums
„/\/\ /\ Y /\“ als intermediales Werk, das eine Vielzahl von Geschichten mit Bildern,
Musik und virtueller Realität verknüpfen sollte:
„I never saw this record as a record like this, its really 3D you know, I made like special
web 3D moving pages (...) I tried to build an all encomposing sort of reflection of what I
was going through..“ 241
240
Jian Ghomeshi: Interview with M.I.A. on QTV, 18.10.2010 http://www.youtube.com/watch?
v=uaK0YBA8Lss (17.10.12).
241
Ebd.
61
Die künstlerische Darstellung sollte auch einen Eindruck von Räumlichkeit vermitteln,
die mediale Gestaltungsgrenzen sprengen kann. Hierzu gehörte auch ein Plan
Pressefotos neu zu gestalten, der jedoch von Management und Publizisten abgelehnt
wurde:
„I shot my own photos with my artist, I signed to my lable - Ramir Martinez - and he only
takes 3D photographs. And I was like, I want all my press photos to be 3D because
people are only gonna see them on the internet.‘ And I didn’t want all my record industry
money for press promos to be spended on hiring a ,really good photographer‘. They just
needed to go and pitch the cheap photos they made - and they looked ten times better and
it is for the internet. - And I asked: ,Can we got with it?‘ But even the blogs - all of the
blogs - were like: ,No we wanna go with the flat 2 D images‘. But we dont have to !“ 242
Die Verhandlung um eine neue Räumlichkeit zwischen Menschen, die durch digitale
Ressourcen (Internet, Kommunikationstechnologien, virtuelle soziale Netzwerke)
geschaffen und unterbrochen wird, ist sowohl in den Texten als auch in den
Soundlandschaften des Albums nachzuvollziehen. Der Kampf um Erweiterung des
persönlichen Ausdrucks gemeinsam mit der Technologie deutet auch die Möglichkeit
einer Nähe an. Dies wird von ihr in Songs wie „XXXO“ und „Space“ textlich und
musikalisch nachvollzogen.
Einen weiteren Teil der virtuellen Realität, in dem M.I.A. die räumliche Verbindung
zwischen Menschen umkämpft sieht, bildet die Frage um die Macht über das Internet.
In den Texten und Soundarrangements wird das Ungleichgewicht in der Möglichkeit
von Einflussnahme im Bereich der digitalen und virtuellen Realität thematisiert.
Dies bringt M.I.A In dem Eröffnungstitel „The Message“ bringt. durch folgende Zeilen
auf den Punkt:
"Headbone connects to the armbone / Armbone connects to the handbone / Hand-bone
connects to the internet / Connects to the Google / Connected to the government" 243
Die Verbreitung hegemonialer Strukturen im Internet bewertet M.I.A. als
symptomatisch für ein System, das Anpassungsfähigkeit produziert:
„ Owner ship of the Internet has changed hands,“ (...) „Eventually we all get told to sort
of squish it into that mould that fits the, you know, the system that is already in place.“ 244
242
Ebd.
243 Album
„/\/\ /\ Y /\“, Titel 1 „The Message“ Lyrics.
244
Jian Ghomeshi: Interview with M.I.A. on QTV, 18.10.2010 http://www.youtube.com/watch?
v=uaK0YBA8Lss (17.10.12).
62
In einem Interview äußerte sie sich zu den Potentialen der Realitätsverzerrung durch
den Einfluss hegemonialer Politik im World Wide Web:
„You can Google the words "Sri Lanka" and it doesn't come up that all these people have
been murdered or bombed, it's pages of: ‘Come to Sri Lanka on vacation, there are
beautiful beaches.‘ You're not gonna get the truth 'til you hit like page 56....“ 245
Ihre Auseinandersetzung mit diesem Thema drückt sich auch in ihrer Sympathie für die
Arbeit des Wikileaks - Gründers Julian Assange aus.246
Die durch hegemoniale Einwirkung erzeugten räumlichen Leerstellen zwischen
menschlichem Ausdruck und der Möglichkeit ihn zu teilen, drückt sich auch in der
Leetspeak 247- Schreibweise des Albumtitels „/\/\ /\ Y /\“ aus. M.I.A. gibt ihrem dritten
Album ihren Rufnamen auf eine Art, der ihn nicht googlebar macht, d.h. sich durch die
Suchmaschine nicht aufrufen lässt.248 Sie spielt mit den Grenzen der Repräsentationsfähigkeit einer hegemonial geprägten Populärkultur und versucht in dieser Maschine
einen Dritten Raum zu erkämpfen, in welchem in Homi K. Bhabhas Sinne die Zeichen
und Werte gemeinsam neu verhandelt werden, und wo das persönliche Ziel sich
mitzuteilen und zueinander vorzudringen durch den selbstbestimmten und kreativen
Umgang mit Identitäten und den neuen virtuellen Räumen gelingen kann.
Die Entwicklung einer solchen Kompetenz hält auch Spivak im Zusammenhang mit den
digitalen Ressourcen für eine wichtige Voraussetzung, um einen humanen Gebrauch
damit zu gewährleisten oder deren Möglichkeiten zu nutzen, auf menschliches Leid
aufmerksam zu machen und es zu verhindern:
„I think more and more, since I‘m not a technophobe, I think we ought to be able to use
the resources of the digital and so on for advancing humanity‘s education. I felt that,
strangely enough, in order to be ready to use the resources for the world as we find it
now, we should also focus on training the imagination in a way that could help the world
remain ready, also for ethical intervention.“ 249
245
Nate Denver: Back in Action (2010 Cover Story), 20.04.2012 http://www.complex.com/music/
2012/04/mia-2010-cover-story/page/3 (17.10.12).
246
Vgl. Jason MacNeil: M.I.A. Attended Julian Assange‘s Wikileas Speech at Ecuadorian Embassy,
Defends Him Against Rape Accusations, 22.08.2012 http://www.spinner.com/2012/08/22/m-i-a-julianassange-wikileaks/?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter (17.10.12).
247
„Leetspeak bezeichnet im Netzjargon das Ersetzen von Buchstaben durch ähnlich aussehende Ziffern
sowie (... )Sonderzeichen.“ http://de.wikipedia.org/wiki/Leetspeak (17.10.12).
248
Vgl. Malik Meer: M.I.A. takes on Google, Youtube and Wikipedia, 07.08.2010 http://
www.guardian.co.uk/music/2010/aug/07/mia-google-youtube-wikipedia (17.10.12).
249
Gayatri Spivak on An Aesthetic Education in the Era of Globalization, 20.01.2012
http://www.youtube.com/watch?v=YBzCwzvudv0 (17.10.12).
63
5. M.I.A. und der Weltmusikdiskurs
„,World music‘ is a category that does nobody any favors. Entirely disparate performers,
like the dapper Brazilian singer-songwriter Caetano Veloso and the African blues
guitarist Ali Farka Toure, get lumped together in American record stores simply because
they don’t sing exclusively in English. Also, European and American pop have saturated
the world to such an extent that Kylie Minogue and Tupac are now more world music
than, say, the Malian singer Oumou Sangare. Finally, most of what you find in the worldmusic section tends toward the gentle, melodious, and uplifting, as if the world were that
way.“250
5.1. Konstruktion anderer Musik
Die exotistischen und klischeeproduzierenden Perspektiven auf nicht-weiße Kultur und
deren Aneignungen im Sinne einer (weißen) dominanten Ideologie haben eine lange
Tradition. Diese begründet die Stagnation bei den Bemühungen „die tiefsitzende
Strömung des weißen Überlegenheitsgefühls, das unter den oberflächlichen Pluralismen
und Assimilationen liegt“, aufzudecken und zu verändern, beziehungsweise zu
bekämpfen.251
Maureen Maisha Eggers spricht von einer hierarchisierenden Positionierungspraxis, in
der weiße Positionen erst aufgrund und durch die „Markierung und Setzung von
rassistisch markierten Anderen definiert werden“. 252 In dem Gefüge der Hegemonie, das
damit beschrieben wird, bedeutet weiß eine nichtmarkierte, in Spivaks Sinne
transparente Position. Auch Lipsitz führt am Beispiel der USA an, dass die
Konstruktion einer weißen Identität immer abhängig sei von der Identifikation des
Weißen mit den Anderen. Dies sei tief in der Geschichte Amerikas verankert, wobei er
als Beispiel die Praxis des Black Facings in den Minstrel-Shows anführt, die im Laufe
des 19. Jahrhunderts einen großen Zulauf verzeichneten.253 Auch nachdem die MinstrelShow als Gattung der Volksbelustigung verschwunden ist, sei der US-Popkultur nach
wie vor das Bedürfnis schwarze Kultur aufzunehmen und zu kontrollieren inhärent.254
250
Sasha Frere-Jones: Bingo In Swansea - Maya Arulpragasam‘s world., 22.11.2004 http://
www.newyorker.com/archive/2004/11/22/041122crmu_music#ixzz29eIfp7j9 (22.10.12).
251
Lipsitz: Dangerous Crossroads, S. 101.
252
Vgl. Eggers: Rassifizierte Machtdifferenz. Mythen Masken & Subjekte, S. 61.
253
Vgl. Lipsitz: Dangerous Crossroads, S. 102 ff.
254
Lipsitz: Dangerous Crossroads, S. 103, führt hierzu ein bemerkenswertes Beispiel an:
Es sei der amerikanische Gesellschaft gelungen, weiße Musiker an die Spitze von Musikstilen zu
inthronisierten, die von Schwarzen geschaffen wurden: „Paul Whiteman als „König des Jazz“, Benny
Goodman als „König des Swing“ und Elvis Presley als „König des Rock‘n‘Roll“.
64
Diese Prägung liegt der westlichen Popkultur zugrunde, die über die kapitalistische,
transnationale Musikindustrie und die Medien das weltweite Geschehen auf dem
Musikmarkt bestimmen. Dies führt zu der Erkenntnis, dass die globalen und lokalen
nicht-weißen Musikpraktiken nur das Potential haben, im Strom dieser Musikindustrie
populär zu werden, wenn sie sich dem internationalen Sound, unter der Verwendung
des vorherrschenden Ton- und Rhythmussystems, angleichen oder von westlichen
Popgrößen unter Verwendung des Stempels Weltmusik mit einbezogen und somit
repräsentiert werden.255
Während der letzten Jahrzehnte hat sich in vielen Teilen der westlichen Demokratien
eine Art liberaler Multikulturalismus herausgebildet. In diesem lebt jedoch die
Vorstellung fort, dass verschiedene Kulturen nicht in einer Verbindung, sondern
nebeneinander her existieren. Dies erhält sowohl die Vorstellung ethnischer
Festschreibung und exotisierender Stereotypen, als auch die Transparenz moderner
Gesellschaften, die ihre neutrale, integrierende Rolle über die essentialistische
Konstruktion des Anderen generieren. Diese Vorstellung von Toleranz und wohltätigem
Interesse für die nichtwestlichen Kulturen hat jedoch tatsächlich zu einer Verschleierung
der Ursachen unterschiedlicher Positionen im globalen Herrschaftsverhältnis zwischen
westlichen Demokratien und ehemals kolonialisierten Ländern geführt. 256 Unter der
Prämisse der Völkerverständigung findet eine weitverbreitete, musikalische Aneignung
nicht-westlicher Elemente durch westliche MusikerInnen statt, wie anhand von Popstars
und deren Alben wie Paul Simons „Graceland“ und David Byrnes „Rei Momo“
beispielhaft festzustellen ist.257 Hierbei entsteht ein Bild von Weltmusik, das ein
konfliktfreies, fast schon zärtliches Verhältnis zwischen den unterschiedlichen (Hoch-)
Kulturen evoziert. 258
Häufig ist dabei zu beobachten, dass die Zusammenarbeit an eine Vorstellung
karitativen Handelns appelliert, die auf der einen Seite die distributiven
Rahmenbedingungen der Popkultur offenbart und andererseits genutzt wird, um den
Kontext der Popkultur als ethnisch eigene Kultur zu generieren. Dies bewirkt eine
Position, die sich auf eine transparente Weise dem entwicklungs- und integrationsbedürftigen Anderen gegenüber verortet. Die Musikpädagogin Dorothee Barth spricht
davon, dass eine „hartnäckig tradierte ethnische Bestimmung von fremden (Musik-)
255
Vgl. Lipsitz: Dangerous Crossroads, S.113.
256
Pearson: M.I.A. s Radical Music & Postmodern Absorption.
257
Lipsitz: Dangerous Crossroads, S.106.
258
Pearson: M.I.A. s Radical Music & Postmodern Absorption.
65
Kulturen auch in einer ethnisch bestimmten Sichtweise der eigenen (Musik-)Kultur
gründet.“ 259
Diese Erkenntnis lässt die Schlussfolgerung zu, dass auch VertreterInnen moderner
Musik, sobald sie sich dem Folkloristischen, Exotischen und Ethnischen zuwenden, in
sich selbst indigene VertreterInnen einer Ethnie des Modernen vermuten. Die Moderne
wiederum wird von der abendländischen, westlichen Tradition als Produkt ihrer
Geschichtsschreibung und Aufklärung gehandelt. Diese Vorstellung einer geographischen Lokalisierbarkeit des Modernen impliziert ebenfalls einen zeitlichen
Vorsprung einer Kultur gegenüber jenen, die sich anderswo aufhalten.
M.I.A. untergräbt diese Vorstellung nicht nur, indem sie in vermeintlich zeitlich und
kulturell rückständigen Kontexten hochwertige Quellen für moderne Musik vermutet.
Sie spricht von Musik, die nicht der westlichen Tradition der Moderne zugerechnet
wird, als einer Musik, die progressiver sei als die des Westens selbst.
„We have such a preconceived idea of a kid in Africa, like all they listen to is cultural
music, like african drums and the dudes wear african clothes (...) Like, sitting under the
tree with a stick or something!? But it‘s not like that. It’s way more progressive. And it’s
way more progressive than music in the west.“ 260
M.I.A. betritt mit ihrer Musik einen Weg, der diese liberale Haltung des
Multikulturalismus von sich weist, indem sie sich offen den bestehenden Antagonismen
stellt und die Kämpfe zwischen unterdrückten Positionen, kulturellen Praktiken und
Menschen und den dominanten Machtstrukturen thematisiert und weltweit verortet.261
Pearson geht davon aus, dass ihre Herkunft und ihr Aufwachsen im Kontext des
Befreiungskampfes inmitten des Bürgerkrieges in Sri Lanka M.I.A. gelehrt habe, die
Welt als einen Ort zu begreifen, in dem Unterdrückung und Herrschaft ausgeübt wird.262
Diese Sensibilität für globale Hierarchien und autoritäre Repression motiviert sie, in
ihrer Musik politische Dringlichkeit zum Ausdruck zu bringen, mit der sie eine Form
der Ausgewogenheit anstrebt. Diese Ausgewogenheit bezieht sie nicht nur auf die nichtwestlichen Quellen, sondern auch auf die Rolle der modernen Produktionstechniken,
mit deren Akteuren sie einen künstlerischen Austausch auf Augenhöhe sucht. Insgesamt
259
Vgl. Barth: Ethnie, Bildung oder Bedeutung?, S. 110.
260
Spike Jonez: Spends Saturday with ... M.I.A., 08.11.2008 http://www.youtube.com/watch?
v=_MC2TmFIkNM&feature=relmfu (18.10.12).
261
Vgl. Pearson: M.I.A. s Radical Music & Postmodern Absorption.
262
Vgl. ebd.
66
erwächst aus dieser Vorgehensweise das Gefühl, sie beziehe sich nicht auf ethnische,
sondern auf musikalische und inhaltliche Quellen.
5.2. M.I.A.s globale und politische Musik
Am Beispiel eines ihrer längeren Interviews mit dem Arthur Magazin lässt sich zeigen,
dass M.I.A.s Motivation politische und persönliche Verhältnisse zum Gegenstand
künstlerischer und ästhetischer Verhandlung zu machen, sie dazu befähigt, Vorschläge
anzubieten, anstatt bei den Identitätspolitiken der Race- und Genderdiskurse stehen zu
bleiben.
„Whereas in film, we were still working with [texts from] the 1970s, lecturers coming in
to talk about being black, gay, or feminist in Britain and how that felt. I could not take it
anymore. I thought: ‘Why don’t you go out and do something exciting and break all those
stereotypes? Don’t teach us to whine about our problems, tell us to be excited about
trying to solve our problems.“
Bereits auf ihrem ersten Album „Arular“ erstellt sie einen Zusammenhang, indem sie
eine Allianz zwischen Subkulturen westlicher Gesellschaften und den Positionen von
Menschen andeutet, die global von Repression betroffen sind. Auf ihrem Album „Kala“
gelingt es ihr darüber hinaus, auch weltweit nach musikalischen Quellen zu fahnden, die
sie in einen Dialog mit den musikalischen Ausdrucksformen westlicher Subkultur
einbinden konnte. Dabei wirkt ihre Vermischung von nichtwestlicher Musik mit
Musikstilen transglobaler Subkulturen in Verbindung mit ihrem Vokalstil und den
politisch aufgeladenen Texten nicht erzwungen. Nach der Lektüre von Erfahrungsberichten ihres Produzententeams und aus Interviews mit M.I.A. entwickelt sich eher
der Eindruck, dass der subjektive Geschmack, der aus ihrer Lebenserfahrung und
Sozialisation entspringt, im Resultat einer gemeinschaftlichen global orientierten Arbeit
zum Ausdruck kommen kann.263
Große Teile der Produktion des Albums spielen sich in einem transitären Rahmen ab,
den M.I.A. folgendermaßen beschreibt:
„On this one, because I was having all the visa issues and stuff, I’d record all the drums in
India, and then I’d be in Trinidad and record a different layer, and then I’d go somewhere
else. So every song is recorded in layers, and each layer is a different country, and then I
263
Vgl. Lily Moayeri: Out On A Whim, 01.09.2007 http://www.emusician.com/news/0766/out-on-awhim/142834; Joe Cellini, Dave „Switch“ Taylor: Producing M.I.A. http://www.apple.com/logicpro/inaction/switch/; the fader, Video+Interview: M.I.A., „Jimmy“, 07.08.2007 http://www.thefader.com/
2007/08/07/video-interview-mia-jimmy/ (17.10.12).
67
cut it into songs. It was like making a big layered marble cake. And then I separated it out
into songs and stuff.“ 264
Wenn sie sagt, dass jede Ebene ein anderes Land darstellt, meint sie also nicht eine
ethnische Repräsentation des Landes, sondern die Repräsentation der lokal vollzogenen
Arbeitsschritte, seien es Tonaufnahmen, redaktionelle Prozesse oder die Postproduktion.
Die weltweite Suche nach Klängen und Musikpraktiken ist für M.I.A. nicht die Suche
nach integrierbaren Exoten, sondern die Möglichkeit von Begegnungen und
Zusammenarbeit, die aus dem Wunsch heraus entstehen, sich von etwas Unbekanntem
angesprochen zu fühlen und darauf zu antworten. Ihre Herangehensweise ist von
Neugier und dem Interesse an kreativen und hilfreichen Beziehungen motiviert. Lily
Moayeri schreibt in ihrem Erfahrungsbericht zur Produktion von „Kala“:
„Arul collected individuals with no set ideas about what she wanted to do with them (...)
Not shedding her propensity to drag people off the street for their contributions, Arul
(Maya) procured the talents of some children from four doors down — getting permission
from their parents, who dressed them in their best outfits — for the handclaps on
“BirdFlu.”265
5.3 Neue Politik
M.I.A. entdeckt durch ihren subkulturellen Zugang zur Populärkultur diese als einen
Fundus performativer und identitärer Produktion, deren Versatzstücke in beliebiger
Anordnung einen unterhaltenden und versammelnden Charakter vermitteln. Hier
bestände die Möglichkeit künstlerisch auch politische Sachverhalte auf eine Weise
auszudrücken, dass sie von vielen Menschen vernommen und kulturell verhandelt
werden können.
Sie bezieht sich auf die Populärkultur mit ihren Kanälen und der Möglichkeit,
transglobale Allianzen zu schaffen als Ort der Verhandlung und der Gestaltung. Lipsitz
beschreibt die Populärkultur in diesem Zusammenhang folgendermaßen:
„Die Mainstream-Kultur ist nicht einfach eine euroamerikanische Mittelschichtskultur,
sondern eher ein kreativer und oft sehr inhaltsreicher Dialog zwischen all diesen
Gruppen, der jeden ermutigt, seine Subjektposition zu verschieben, in wie geringem
Maße auch immer, um von den anderen gehört zu werden“ 266
264
John Polly: Exclusive M.I.A. Interview! On Jamaican „Boyz“, New Music, Old Love & Gays!,
25.07.2007 http://www.newnownext.com/exclusive-m-i-a-interview-on-jamaican-boyz-new-music-oldlove-gays/07/2007/ (17.10.12).
265
Lily Moayeri: Out On A Whim, 01.09.2007 http://www.emusician.com/news/0766/out-on-a-whim/
142834 (17.10.12).
266
Lipsitz, Dangerous Crossroads, S. 105.
68
In seinem Buch „Dangerous Crossroads“ beschreibt er die Praktiken und Strategien
vieler Musikschaffender unterschiedlichster Stile und Genres. Sie nehmen die
kapitalistisch-industrielle Warenkultur als gegeben hin und nutzen diese um durch ihre
Musik eine Botschaft zu verbreiten, die politische und identitätsverhandelnde
Ansprüche hat.267
„In einer Welt, die von Zirkulation von Warenströmen geprägt ist, kann die kommerzielle
Kultur ein effizientes Mittel darstellen, um Botschaften auf unerwartete Weise zu senden
wie zu empfangen.“ 268
Lipsitz spricht hier von einer neuen Politik, die sich Kunstschaffende marginalisierter
Positionen auf der ganzen Welt zueigen machen.269 Für sie besteht die Herausforderung
darin, sich mit ihrer Musik aus einer marginalisierten Position zwischen einer
gesättigten kommerziellen Kultur und der Entstehung neuer öffentlicher Sphären zu
verorten. Die Musik, die sie dabei produzieren, erreicht ihr popkulturelles Potential
oftmals, nicht um dem Warenbetrieb zu entsprechen, sondern um zu zeigen, dass die
Auseinandersetzung und Begegnung mit marginalisierten Positionen sich auch im
Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung und des Lebens ereignen kann. Diese
Kunstschaffenden nutzen dabei oftmals die globalen Kanäle der Warenproduktion und
-zirkulation der transnationalen Musikindustrie. Hierbei geht es ihnen darum, neue
Bedeutungen zu schaffen, Orte der Begegnung zu erzeugen und für sie zu arbeiten.270
Bhabhas Vorstellung des Dritten Raumes als Vorgang und Sphäre, wo kulturelle Zeichen
selbstbestimmt und in Beziehung zu einander geschaffen, kontextualisiert und
verhandelt werden, kommt in dieser Praxis ebenso zum Vorschein, wie auch in der
Bricolage.
Künstlerinnen wie M.I.A. nutzen die globale Zirkulation neuer öffentlicher Sphären in
erster Linie als Möglichkeit, neue semiotische Kontexte zu ermitteln und zu verbreiten.
Die Priorität der persönlichen und politischen Aussage gegenüber dem Anspruch,
sogenannte kommerzielle warenförmige Musik zu liefern, widerspricht dabei nicht der
popkulturellen Erscheinungsform. Diese soll dabei in den Dienst der Verbreitung jener
Erkenntnisse gestellt werden, die marginalisierte Positionen über ihre identitäre
Verhandlungen mit der Masse in Erfahrung bringen. Diese neue Politik ist in M.I.A.s
267
Ebd., S. 53.
268
Ebd.
269
Vgl. ebd., S. 53.
270
Vgl. ebd., S. 52.
69
Schaffen erkennbar. Sie berichtet über diese Kanäle von den zeichenpolitischen
Freiräumen, die es ermöglichen, die Kämpfe unterdrückter Menschen und
Ausdrucksformen mit den versammelnden Qualitäten populärkultureller Praktiken
zusammenzudenken. Eines der besten Beispiele ist ihre Single „Paper Planes“, die zur
Hymne des oskarprämierten Films „Slumdog Millionaire“ geworden ist. In diesem
Song drückt sie die alltäglichen Auseinandersetzungen und Kämpfe von Flüchtlingen
von einer Position her aus, die deren Handlungen und Strategien als Kompetenzen
begreifen, die unter widrigen Umständen erkämpft wurden und sich in der Sprache des
Pop beinahe schon als Superkräfte darstellen lassen. („I fly like paper (...)/ If you catch
me at the border I got visas in my name“). Gerade eine Künstlerin wie M.I.A., die,
selbst nachdem sie internationale Bekanntheit erreicht hat, weiter mit aufenthaltsrechtlichen Hürden kämpfte, weiß um die Macht nationaler Autorität. Sie bezeichnet
sich in dieser Hinsicht als ewigen Flüchtling.271 Thomas Burkhalter beschreibt in
seinem Artikel Weltmusik 2.0:
„Klänge und Klangformen mögen weltweit schweifen, aber für die Musiker ist noch
immer die nationale und politische Grenze bindend. Im Visa- und Passbüro entscheidet
sich, ob ein Künstler aus Afrika, Asien oder Lateinamerika auch physisch in der weltweit
vernetzten Szene der Weltmusik 2.0 mitmachen kann – oder ob er bloß ein Lieferant von
Sound-Samples bleibt.“ 272
M.I.A.s Fall macht deutlich, dass selbst eine Musikerin, die es von Asien über England
in die USA geschafft hat, trotzdem nicht davor gefeit ist, Probleme mit ihrem Visum zu
bekommen, gerade wenn sie - im Sinne von Burkhalter - die neue Weltmusik 2.0
mitprägen will.
5.4. Weltmusik 2.0? 273
Burkhalter vollzieht in seinem Artikel Weltmusik 2.0 eine Neu-, beziehungsweise ReDefinierung des Begriffes Weltmusik. Er subsummiert eine Reihe neuer musikalischer
Werke die sich auf nichtwestliche Produktionsstätten, Praktiken und Ikonographien
beziehen unter dem Titel Weltmusik 2.0. Den Musikpraxen dieser Strömung weist er
eine Definition des Avantgarde-Begriffs zu:
271
Jian Ghomeshi: Interview with M.I.A. on QTV, 18.10.2010 http://www.youtube.com/watch?
v=uaK0YBA8Lss (17.10.12).
272
Thomas Burkhalter: Weltmusik 2.0, 27.01.2011 http://norient.com/academic/weltmusik2-0/
(17.10.12).
273
Dieses Kapitel ist ein essayistischer Entwurf und Beitrag zum Weltmusikdiskurs und bezieht sich auf
den Artikel von Thomas Burkhalter: Weltmusik 2.0, 27.01.2011, http://norient.com/stories/
weltmusik20/ (17.10.12).
70
„Laut dieser suchen Avantgarde-Künstler den Bruch mit dem jeweils dominanten
musikalischen Kanon; sie wollen Musik (und Kunst) neu in der Gesellschaft
positionieren; und sie re-definieren die Rolle von Musik zyklisch neu – mal ist Musik
Abbild des realen Lebens, mal eine Form von Protest, dann setzt sie entweder auf
Schocktherapie oder Ironie, und schliesslich dient sie als Flucht in imaginäre Welten.“ 274
Die Kunstschaffenden seien damit Teil einer „weltumspannenden multi-lokalen
Avantgarde“ 275 des 21. Jahrhunderts, die selbstbewusste nach-koloniale
Positionen
zeigen, sich andererseits aber auch immer wieder gefangen in den alten post-kolonialen
Strukturen befinden. Auf der künstlerischen Ebene kennzeichnet er diese an einem
dialektischen Umgang mit Exotika, Gewalt und Krieg als Konstrukt einer
postkolonialen
Ästhetik. Dennoch erkennt er in der musikalischen Praxis die
Etablierung einer Kunst des Alltags, „die Geräusche ihrer lokalen Umgebungen und
ihrer technologisierten, post-industriellen Medienwelt beinhaltet“ 276 und isoliert so diese
Anteile als „postmoderne Ästhetik“ von den Aspekten die auf soziale Missstände und
koloniale Ikonographien hinweisen.
Burkhalter grenzt die beiden Weltmusikbegriffe 1.0 und 2.0 voneinander ab. Weltmusik
1.0 sei immer für das „westliche Mittelklasse-Ohr“ konzipiert worden. Sie würde
„unversehrte musikalische Formen und Idiome hochleben lassen, mische dann aber
Sounds der vollständig kommerzialisierten Gegenwart mit der pseudohistorischen
„Patina“ anderer Zeiten und Orten“.277
Resümierend stellt er fest, dass die alte, saubere und sanfte Weltmusik attackiert werde
und durch neue, unbequemere Sounds ersetzt würde. Er formuliert seine Bedenken, in
dem er konstatiert, dass die „Vision einer Welt der multiplen Modernen weiterhin ihre
Risse hat“ und auf den „alten Machtstrukturen“ eines hegemonial-normierenden
„Westens“ aufbaut. Burkhalter sieht diese beispielsweise in den kommerziellen und
urheberrechtlichen Erfolgschancen der Kunstschaffenden im Kontext der globalisierten
Ökonomie. Dabei sei das Thema der wirtschaftlichen Ausbeutung nach wie vor akut.278
Anschließend formuliert er eine Kritik an den Weltmusik 2.0 -Musikschaffenden:
„Im Fall der Weltmusik 2.0 sind das oft nicht zwingend Marketingabteilungen, sondern
Musiker, die versuchen, mittels Strategien ihre eigenen Karrieren voranzutreiben. Der
274
Ebd.
275
Ebd.
276
Ebd.
277
Vgl. ebd.
278
Vgl. ebd.
71
neue Fokus auf Exotika kann aus dieser Perspektive auch als ein strategischer
Essentialismus verstanden werden. (...) Der Trend zur Inszenierung von Krieg und
Gewalt provoziert ähnliche Fragen. M.I.A. und Mazen Kerbaj sind zwei von vielen
Beispielen: Die jamaikanische Sängerin Terry Lynn zum Beispiel inszeniert sich auf ihrer
CD «Kingstonlogic 2.0» als stolze Slum-Bewohnerin mit Pistole in der Hand. Sie rappt
über tiefe Subbässe, Gewehrschüsse und abstrakte Beats.“ 279
Durch die Feststellung eines strategischen Essentialismus unterstellt er den
Kunstschaffenden, anhand des Gebrauchs exotistischer Zeichen, persönliche
Erfolgszwecke zu verfolgen. Durch die „internationale“ Perspektive, die Burkhalter in
seinem Aufsatz wiederholt aus der ersten Person Plural heraus sprechen lässt, vermeidet
er eine Selbstverortung in der neuen globalen Sphäre und beteiligt sich an der
Konstruktion anderer Musik. Auf die gleiche Weise schafft er eine Distanz zu den
Lebenswirklichkeiten der Kunstschaffenden, indem er die Thematisierung von Krieg
und sozialem Elend aus seiner „internationalen“ Perspektive als exotisch markiert.
Diese Perspektive erweckt selbst den Eindruck eines strategischen Essentialismus. Hier
wird der analytische Versuch unternommen den Musikpraxen Kategorien oder einen
kanonisierten Überbau zuzuweisen. Dabei drängt sich die Frage auf, ob diese
Vorgehensweise nicht von dem ablenkt was Musikschaffende thematisieren wollen,
oder auf welche Möglichkeiten der Selbstbestimmung sie hinweisen. Er identifiziert
„den Krieg“ als neues strategisches Mittel des Erfolgs:
„Aus der internationalen Perspektive haben Musiker wie Kerbaj das exotische Element
der Weltmusik 1.0 (die orientalische Musik) durch ein neues exotisches Element ersetzt,
den Krieg. Im Libanon hingegen bricht Kerbaj mit einem Tabu, indem er öffentlich über
den libanesischen Bürgerkrieg diskutiert. Und er verarbeitet traumatische
Erfahrungen.“ 280
Lynn Hirschberg übt dieselbe Kritik wie Burkhalter an M.I.A. In ihrem New YorkTimes - Artikel unterstellt sie ihr eine kommerzielle Strategie durch Provokation
verfolgen zu wollen. Hirschberg betrachtet zudem die Verbindung zwischen politischem
Inhalt und tanzbaren Beats als höchst fragwürdig. Es scheint nicht so recht in die
Vorstellung einer Unterhaltungsindustrie zu passen, die Professionalität als Verzicht auf
künstlerischen Ausdruck jenseits einer Spaßkultur versteht. Die Paradoxie liegt in der
Unterstellung kommerzieller Strategien und Erfolgsmodelle, die den Kunstschaffenden
ausgerechnet dann vorgeworfen werden, wenn sie sich unbehaglichen Themen
279
Ebd.
280
Ebd.
72
zuwenden. Gerade Themen, die in einer Verdrängungsgesellschaft unpopulär sind,
sollen in den Verdacht geraten populistisch instrumentalisiert zu werden. Weder
Burkhalter noch Hirschberg reflektieren den politischen Gehalt der Kunst und stellen
ihn mitunter als bloße Behauptung dar.
„Im Video zum Track „Born Free“ - von der 2010 erschienenen CD «Maya» - inszeniert
M.I.A als Aktivistin radikalste Gewalt, indem sie rothaarige Männer exekutieren lässt stellvertretend für Gefangene im Bürgerkrieg von Sri Lanka, wie sie behauptet.“ 281
M.I.A. selbst wird dabei sowohl mit dem Vorwurf der Eigennützigkeit konfrontiert, als
auch mit der Frage, warum sie nach ihrem internationalen Durchbruch keine
popkulturelle Massenware produziert, sondern, wie Burkhalter es ausdrückt, avantgardistische Kunst. In einem Interview gibt sie darauf folgende Antwort:
„I don't understand why I have to represent my success in the same way as a corperations
growth, I don't see it like that. Growth to me is growth to me in my own way. (...) You
expect music to be a personal thing“ 282
Auf der anderen Seite übt Burkhalter eine Kritik an den neuen globalen Netzwerken, die
sich an mangelnden Erfolgschancen ihrer Protagonisten in der herrschenden Industrie
orientiert, anstatt die Vertriebsbedingungen dieser Industrie in Frage zu stellen und
deren Einfluss auf die Kunst zu thematisieren. Er ermittelt stattdessen Erfolgsmodelle ,
die sich auf die Vermarktbarkeit von Musik beziehen, spricht aber beispielsweise nicht
über den politischen oder künstlerischen Erfolg einer Botschaft oder ästhetischen
Verfahrensweise.
„Das Musizieren ohne Copyright-Beschränkungen fördere Austausch und Kreativität:
Dieses oft gehörte Argument stimmt nur, wenn sich die Künstler des Nordens und Südens
auf Augenhöhe treffen – wenn etwa Schlachthofbronx aus München, Spoek Mathambo
und Gnucci Banana aus Südafrika und ihr Label Man Recordings ihren Track «Ayoba»
offiziell freigegeben: Jetzt finden wir auf der Plattform Soundcloud über 100 Remixe des
Tracks. Eine zeitgemässe Erfolgsstrategie.“ 283
M.I.A. und anderen Kunstschaffenden ein Desinteresse an ökonomischer Sicherheit
nachzusagen wäre bestimmt nicht richtig. Jedoch äußert M.I.A. sich in Interviews
positiv über die Bootlegkultur, und das es für eine Künstlerin wie sie wichtig sei, dass
ihre Werke Verbreitung finden und einem größeren Publikum zugänglich werden. Eine
281
Ebd.
282
Jian Ghomeshi: Interview with M.I.A. on QTV, 18.10.2010 http://www.youtube.com/watch?
v=uaK0YBA8Lss (24.10.12).
283
Ebd.
73
ihrer Tourneen hieß gar „Bootleg vs. Download“. Ein aktueller Tweet von ihr lautet:
„The heart of art is make it / the art of art is share it.“ 284
Der Artikel von Burkhalter ist eine sehr gut recherchierte Zusammenstellung der
„neuen“ globalen Musikpraxen und Vorgehensweisen von Musikschaffenden aus den
Zentren Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Er gibt einen detailgetreuen Einblick in die
Arbeit der, wie er sie selbst zusammenfasst, „selbstbewussten nach-kolonialen“
Vertreter.
Der Fokus auf der Identifizierung einzelner Phänomene und deren
kategorialer Festschreibung scheint jedoch die Annäherung an die Intention von
Kunstschaffenden und deren Werk zu blockieren.
Die Leerstellen, die durch die
Zusammensetzung von Zeichen in diesen Arbeiten entstehen, erwirken eine
Deutungsaufforderung, mit der diese Kunst zu einer selbstbestimmten Beantwortung
herausfordert. Diese Beantwortung bleibt aus der Perspektive des Artikels aus,
stattdessen werden die Verfahrensweisen der Kunstschaffenden vergegenständlicht und
nicht mit einer strategischen Intention in Verbindung gebracht, die außerhalb einer
kommerziellen Erfolgsabsicht liegen könnte.
Diese Kunst selbst aber bezieht ihre Kraft aus dem Spiel mit den Zuschreibungen. Sie
zeigt auf, dass der selbstbestimmte Umgang mit Zeichen in einen Kontext führen kann,
in dem spielerisch und gestalterisch mit Identität verfahren wird. Durch einen eigenen
strategischen Bezug auf identitäre Ressourcen kann auch die Sensibilität für die
Botschaften wachsen, die hinter „fremden“ und „anderen“ symbolischen
Konstellationen stehen und diese motivieren. Das wiederum stärkt die Kritikfähigkeit
gegenüber hegemonialen Gestaltungsvorgaben und ermöglicht es, sich der eigenen und
„anderen“ Positionen anzunähern und diese konstruktiv zu verhandeln. Der souveräne
Umgang mit der Identität, die selbstbestimmte Gestaltung und Anordnung von Zeichen
und Kontexten, setzt allerdings auch ein Bewusstsein für die eigene Perspektive voraus.
Die Cultural Studies haben in ihrer Art, kulturelle Phänomene zu untersuchen in dieser
Hinsicht einen wichtigen Beitrag geleistet. Lipsitzs Identifikation einer neuen
wirksamen Politik, die er in der Arbeit global und sozial bewußt arbeitender
Kunstschafffenden feststellt, ist ein Versuch der Kulturarbeit eine Wertschätzung
entgegenzubringen, die ihre ProtagonistInnen in ein kollegiales Verhältnis zur
akademischen Wissensproduktion rücken möchte.
In unserer Zeit stützen Politik und Ökonomie ihre Entscheidungen immer mehr auf
Sachzwänge, und Handlungen in diesem Kontext werden eher administrativ als
gestalterisch begründet. Dies wirft die Frage auf, wo dann politische und ökonomische
284
https://twitter.com/MIAuniverse (24.10.12).
74
Verhältnisse eine Dringlichkeit erzielen, reflektiert werden und menschliche
Handlungen motivieren. Burkhalters Artikel zeigt, dass die Kultur weltweit ein Ort ist,
wo diese Dringlichkeit zumindest beginnt, eine vernehmbare Gestalt anzunehmen und
verhandelt zu werden. M.I.A.s Werk ist neben vielen anderen ein Beispiel für den
Versuch, Populärkultur nicht als Verdrängungs- oder Absorptionssphäre zu begreifen,die
verwendet wird, um sich von der Realität zu erholen oder sie distanziert betrachten zu
können. Hier wird die Popularisierung als die Bevölkerung der Kultur durch die
Menschen verstanden, als Stunde der Begegnung und Stelle der Versammlung. Die
Authentizität dieser Einladung gelingt gerade deshalb, weil es nicht das Ziel einer
solchen Kultur ist die gegenseitigen Realitäten auszublenden oder sich in gesicherte
Lebenswirklichkeiten und Positionen zurückzuziehen. Die Möglichkeit einer wirklichen
Annäherung wird hier gefeiert und tanzbar gemacht.
Auch wenn viele Kunstschaffende Gefahr laufen, aus einer „internationalen“
Perspektive nicht ernst genommen zu werden, wird es aus einer globalen Perspektive
zunehmend schwierig, sie zu ignorieren.
6. Zusammenfassung und Ausblick
Der Kontext in dem M.I.A. aufgewachsen ist, war geprägt von einem tiefsitzenden
Ungleichgewicht der Machtverhältnisse. Während ihrer Zeit in Sri Lanka inmitten des
Bürgerkriegs und ihrer Sozialisation in England, bekommt sie dies zu spüren. Ihre
Biographie zeigt auf, wie sich ihre Zerrissenheit zwischen den Kulturen entwickelt hat
und an welchen Stellen ihrer identitären Entwicklung sie Verortungsperspektiven findet
und Allianzen schmiedet um diesen repressiven Verhältnissen zu entkommen. Der Tod
ihres Cousins löst letztlich ihren Willen aus, an Möglichkeiten ihrer Infragestellung und
Veränderung zu arbeiten. An diesem Punkt ist die Populärkultur ihre Wirkungs- und
Ausdrucksstelle. Hier entwickelt sie ihre persönliche Darstellungsweise und Handschrift
für eine konstruktive Konfrontation mit hegemonialen Strukturen innerhalb ihres
populär-kulturellen Kontextes.
Anhand der Betrachtung und Analyse von M.I.A.s Schaffen wurden Vorgehensweisen
und Strategien aufgezeigt, mit denen die Künstlerin sowohl spielerisch wie auch radikal
Vorstellungen und Gestaltungsvorgaben im Bereich der Popkultur zur Diskussion stellt.
Hier wurde deutlich, wie an verschiedenen Stellen hegemonial-narrative Normen von
ihr hinterfragt und unterminiert wurden.
75
Die Techniken der Bricolage und eklektische Vorgehensweisen sind dabei ihre
Werkzeuge. Dies geht aus der Konzeption ihres Vokalstils hervor sowie aus ihrer
kooperativen und innovativen Zusammenstellung von Musikstilen und -praktiken.
Zusätzlich entwickelt sie eine selbstbestimmte Art mit der kodierten Sprache und den
Texten von Subkulturen umzugehen. Dies kommt in der Musik, den Lyrics und ihrer
videographischen Bildsprache zum Vorschein. Im Besonderen sei in diesem
Zusammenhang auf die besprochenen Tracks und den dazugehörigen Videos „Galang“,
„Bucky done gone“, „Hussel“ oder „Boyz“ hingewiesen. In der Analyse wurde dabei
ein individueller und innovativer Umgang mit Begriffen und Zeichen festgestellt. Auf
diese Weise erreicht sie eine Erweiterung der vorgesehenen Bedeutungszusammenhänge
und Zuschreibungen. Es gelingt ihr so, eine Neuverhandlung von Themen wie Gewalt,
Unterdrückung und Rollenverteilungen ins Spiel zu bringen und durch eine kontroverse
Position zum Umdenken anzuregen.
Ihre vielschichtige Sozialisation in den Wirren des Bürgerkriegs auf Sri Lanka,
zwischen den Sozialbauten der Londoner Peripherie und dem urbanen Zentrum London
selbst hat ihr ein einzigartiges multidimensionales Verständnis von globalen
Gesellschaften gegeben.285 Hieran lässt sich ein weiterer wichtiger Aspekt ihres
Schaffens aufzeigen. Bei der Arbeit an ihrem zweiten Album „Kala“, verbunden mit der
globalen Soundrecherche, realisiert M.I.A. ihre Vorstellungen von einer globalen Musik.
Ihr Enthusiasmus subalterne Stimmen mit einzubeziehen und unterschiedlichste
kulturelle Praxen und Stimmen als nennenswerte Quellen zu begreifen, zeugen von
einer Neugier auf kooperative Ausdrucksmöglichkeiten und ihre Motivation Interaktion
und Austausch zu fördern. M.I.A.s Musikerkollege, der anglo-nigerianische Flüchtling
Afrikan Boy drückt es im Kontext des Albums so aus:
„ (...) the reason, it is becoming so large, is that because nobody is doing what Maya
is doing. No one is expanding their musical knowledge to other cultures.“ 286
Ihr globales Verständnis verbunden mit ihrer Zerrissenheit liefert auch die Begründung
für ihr schrankenloses/entgrenztes Denken bei der Vermischung von Stilen und ihrer
Herangehensweise an moderne Musikproduktionstechniken mit ihren verbündeten
Produzenten. Auf ihrem dritten Album „Maya“ ist diesbezüglich ein Höhepunkt
erreicht. Durch ihren wilden Stilmix, den unvermittelten Stimmungsbrüchen und
285
Vgl. Pearson: M.I.A. s Radical Music & Postmodern Absorption, S.8.
286
Vgl. Spike Jonez: Spends Saturday with ... M.I.A., 08.11.2008 http://www.youtube.com/watch?
v=_MC2TmFIkNM&feature=relmfu (22.10.12).
76
(massiven) Störklängen, spielt sie mit den Grenzen des Geschmacks und der
Strapazierfähigkeit von Rezipienten innerhalb der Popkultur. Hier werden sukzessiv
Geschmacksgrenzen und -empfindungen in Frage gestellt. Hörer werden dadurch in
ihrer Wahrnehmung irritiert und angeregt, sich mit normativen Vorgaben innerhalb der
Popmusik auseinanderzusetzen und dem industriellen Angebot möglicherweise
kritischer zu begegnen. Ebenso reflektiert M.I.A. mit der Musik, den Texten und den
Videos zu ihrem dritten Album Kämpfe um neue Räume und öffentliche Sphären, wie
dem Internet. Mit dem Motiv Informationspolitik und der Frage nach den Macht-und
Herrschaftsverhältnissen, der Selbstbestimmung und -organisation in der virtuellen Welt
greift sie eine internationales Thema auf, die durch die gegenwärtigen Bewegungen wie
dem arabischen Frühling, WikiLeaks oder Occupy hohe Aktualität und Relevanz besitzt.
Hinweis darauf gibt auch der Schriftzug im Booklet ihres Albums Maya:
„...They can rewrite history / But we can re re write it back faster / We have
speed on our hands / Amphetamins in our system / And the system is corrupt / But we can
do it without money ...“287
Mit Sicherheit ist es ein schwieriger Balanceakt zwischen dem Willen, politische und
sozial drängende Themen anzusprechen und einem dauerhaften Überleben in der
saturierten Popkultur. Aber ihr Schaffen hat seit acht Jahren einen bemerkenswerten
Wirkungs- und Aufmerksamkeitsradius und ihre Signierung auf einem der größten
Labels Amerikas spricht für ein Fortdauern ihrer Präsenz. Popstars wie Madonna sind
so berühmt geworden oder haben sich solange gehalten, weil es ihnen gelungen ist, die
Popkultur durch ihre Strategien der Inszenierung und ihrer Wandelbarkeit an sie zu
binden und sie zu prägen. M.I.A. hat mit ihren Strategien auf eine andere Weise
ebenfalls das Potential Popkultur zu beeinflussen. Durch die Aufforderung der
Konsumenten zu einem Umdenken, zur Selbstermächtigung und zu einem reflektierten
Handeln kann sie Veränderung bewirken. Sie möchte im Sinne von Spivak zum
Verlernen von Herrschaft anregen. Ihr Anliegen ist ein fiktionaler und darstellerischer
Appell an die differenzierte und heterogene Gemeinschaft der Populärkultur. Es geht
dabei um das zueinander Sprechen, und das Erinnern an die Kraft, selbst kulturelle
Räume zu schaffen und Zeichen umzudeuten und neu zu verhandeln.
M.I.A.s Musik thematisiert weltweite Unterdrückung, macht sie aber gleichzeitig tanzund genießbar. Dieser scheinbare Widerspruch bietet eine große Chance den Drang des
Menschen in vorgefassten Kategorien zu denken, zu überwinden und eine
287
M.I.A. Album /\/\ /\ Y /\: CD-Inlet.
77
selbstbestimmte Identität herauszubilden. Die Grenzen zwischen Bereichen wie
Unterhaltung, Kunst, Avantgarde, Politik, Subkultur und Popkultur geraten dabei
genauso ins Wanken, wie ethnische und geographische Trennung. Globale Ressourcen
und Verständigungsmöglichkeiten gewinnen für die Kunstschaffenden ihrer Generation
eine neue Bedeutung, wie M.I.A. in einer Dokumentation von Spike Jonze beschreibt:
„No one really heard the third world or what people come from and stuff, it has always
been black/white, urban, in the west. When you hear music, it always comes from the
hood, an american hood, or british hood. And its about those experiences. But no one has
really come from this, like, first generation. Like - overthere - and then come -here-, you
learn the language of the west, and the first world, and then you articulate the third world.
(...) Culturally its important to abridge that gap, and to make communication possible. It
seems like, this is the next phase. Once you have already ..done.. where you come from,
with irony and deconstructed everything, and commented on everything, and digested
then you still got the whole other section of the pile that hasn‘t really been digested, even
by them - and I think this is kind of what I represent.“ 288
7. Quellenverzeichnis
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Bird Flu: http://www.dailymotion.com/video/x15h2h_m-i-a-bird-flu_music
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Born Free: http://vimeo.com/11219730
83
„Ich versichere, dass ich die schriftliche Hausarbeit - einschließlich beigefügter
Zeichnungen, Kartenskizzen und Darstellungen - selbstständig verfasst und keine
anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Alls Stellen der
Arbeit, die im Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken entnommen sind, habe ich
in jedem Fall unter Angabe der Quelle deutlich als Entlehnung kenntlich gemacht“:
25.10.2012
84