Sachenrecht II Rn 197 und 198 Anwendungsfall 1 (Baumwurzeln
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Sachenrecht II Rn 197 und 198 Anwendungsfall 1 (Baumwurzeln
Sachenrecht II Rn 197 und 198 Anwendungsfall 1 (Baumwurzeln auf Nachbargrundstück)1: A und B sind Grundstücksnachbarn. Auf dem Grundstück des A führte ein aus drei großen Betonplatten bestehender Weg von der Straße zum Eingang des Wohnhauses. A ließ diesen Weg aufbrechen und durch einen mit Kleinpflastersteinen befestigten Weg ersetzen. Hierfür zahlte er 1.120,- €. Mit der Behauptung, dass die Wurzeln eines auf dem Grundstück des B ungefähr 1 m von der Grundstücksgrenze entfernt stehenden Kirschbaums in sein Grundstück hineingewachsen seien und dort innerhalb der letzten drei Jahre eine der drei Betonplatten des früheren Wegs um 25 bis 30 mm angehoben hätten, sodass ein Versatz entstanden sei, verlangt A von B Erstattung der 1.120,- €. B wendet ein, ihn treffe kein Verschulden am Eindringen der Wurzeln. Selbst wenn die Erneuerung des Plattenwegs eine Maßnahme zur Beseitigung der von den Wurzeln ausgehenden Störung gewesen sei, stehe einem Anspruch des A entgegen, dass der Gläubiger eines auf die Vornahme einer vertretbaren Handlung gerichteten Anspruchs im Wege der Zwangsvollstreckung nach § 887 ZPO vorgehen müsse, nicht aber zur Selbsthilfe greifen und dann die Kosten bei dem Schuldner liquidieren dürfe. Zudem kämen erstattungsfähige Beseitigungskosten deswegen nicht in Betracht, weil aus der von A vorgelegten Rechnung hervorgehe, dass sämtliche Betonplatten des ursprünglichen Wegs aufgebrochen und der Betonbruch abgefahren wurden. Das sei für die Feststellung der Störungsursache nicht erforderlich gewesen. Kann A von B die Kosten ersetzt verlangen? I. Der von A geltend gemachte Anspruch ergibt sich jedenfalls nicht aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes aus § 823 I BGB, weil es an einem Verschulden des B bezüglich der bei A eingetretenen Eigentumsverletzung fehlt. II. Auch kommt nach Auffassung des BGH ein Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 683 S. 1, 670 BGB (berechtigte GoA) nicht in Betracht. Dieser setzt nämlich zunächst voraus, dass A mit der Erneuerung des Plattenwegs gemäß § 677 BGB ein fremdes Geschäft mit Fremdgeschäftsführungswillen besorgt hat. Dafür sieht der BGH jedoch keine Anhaltspunkte.2 III. In Betracht kommt aber ein Anspruch gem. § 812 I S. 1 Var. 2 BGB (allgemeine Nichtleistungskondiktion).3 Denn nach h.M. kann der durch vom Nachbargrundstück hinüberwachsende Baumwurzeln gestörte Grundstückseigentümer eine vom Störer nach § 1004 I BGB geschuldete Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung selbst vornehmen und die dadurch entstehenden Kosten nach Bereicherungsgrundsätzen erstattet verlangen. Damit wird der Störer von einer ihm obliegenden Verpflichtung befreit und ist deshalb „in sonstiger Weise“ bereichert.4 Auch im vorliegenden Fall ist der BGH dieser Rechtsauffassung. Aus § 267 BGB folge der für alle Schuldverhältnisse geltende Grundsatz, dass wenn der Schuldner nicht in Person zu leisten habe, ein Dritter für ihn leisten könne. Dieser Grundsatz gelte - wie § 910 I BGB zeige - auch hier; die Pflicht zur Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung sei keine persönliche Leistungspflicht des Störers. Es gehe 1 Nach BGH NJW 2004, 603 ff. Das überrascht. Denn auch sonst erkennt der BGH das sog. „auch-fremde Geschäft“ an. Die Fremdheit eines solchen Geschäfts begründet der BGH zumeist damit, dass das geführte Geschäft eigentlich das des Inanspruchgenommenen gewesen sei, das der Geschäftsführer nur für diesen geführt habe. Das betrifft in erster Linie die Problematik der (in Mode gekommenen) Abmahnvereine: Nach BGHZ 52, 393 ff. (vgl. zuletzt BGHZ 115, 210 ff.) soll jemand, der unlauteren Wettbewerb betreibt, einem den Schutz des Wettbewerbs bezweckenden Verein die Kosten einer vorprozessualen Abmahnung ersetzen müssen. Diese helfe nämlich im Interesse des Abgemahnten, einen kostspieligen Prozess zu vermeiden und stelle daher eine berechtigte GoA dar. Warum der BGH im vorliegenden Fall nicht näher auf die GoA eingeht, ist nicht ersichtlich. Das Urteil des BGH dürfte jedenfalls verdeutlicht haben, dass es kaum möglich ist, den Ausgang eines Verfahrens vor dem BGH vorauszusehen. 3 Darin liegt die „Krux“ der vorliegenden Entscheidung. Denn sofern ein Verschulden und damit eine Deliktshaftung ausscheiden, kann sich (nachdem vom BGH auch eine GoA nicht in Betracht gezogen wurde) ein Erstattungsanspruch nur aus § 812 I S. 1 Var. 2 BGB (allgemeine Nichtleistungskondiktion) ergeben, und zwar unter dem Gesichtspunkt „Befreiung von einer Verbindlichkeit“. 4 BGHZ 97, 231, 234; 106, 142, 143; BGH NJW 1995, 395; Medicus, in: MüKo, § 1004 Rn 75; Bassenge, in: Palandt, § 1004 Rn 30; a.A. Gursky, NJW 1971, 782 ff.; JZ 1992, 310, 313 ff.; Picker, JuS 1974, 357, 361 f. Zur Bereicherung „in sonstiger Weise“ durch Befreiung von einer Verbindlichkeit vgl. R. Schmidt, SchuldR BT II, Rn 263. 2 197 nicht um den Ersatz von Kosten, die dem betroffenen Grundstückseigentümer durch die Ausübung seines Selbsthilferechts entstanden sind, sondern um den Ersatz der Kosten, die der Störer für die Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung hätte aufwenden müssen. Mit der Bejahung des Bereicherungsanspruchs werde auch nicht eine reine Kausalhaftung des Störers begründet. Seine – verschuldensunabhängige – Haftung stütze sich nicht auf das bloße Unterhalten des Baumes, sondern darauf, dass er seine Pflicht verletzt habe, ein Hinüberwachsen der Wurzeln zu verhindern. Dieser Auffassung stehe auch nicht § 887 ZPO entgegen. Diese Vorschrift des Zwangsvollstreckungsrechts setze einen vollstreckbaren Titel, in welchem der Störer zur Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung verpflichtet wird, voraus; sie greife jedoch nicht in das materielle Recht ein. Hinzu komme, dass sich die Ursache einer durch eingedrungene Baumwurzeln hervorgerufenen Eigentumsbeeinträchtigung nicht ohne weiteres erkennen lässt. Sie müsse erst durch das Aufgraben des Bodens oder andere Maßnahmen ermittelt werden. Deshalb könne von dem Eigentümer nicht verlangt werden, sogleich von seinem Nachbarn die Beseitigung einer Beeinträchtigung, deren Ursache nicht bekannt ist, zu verlangen; vielmehr müsse er zunächst selbst tätig werden. Erkenne er sodann die Störungsursache, rechtfertige sein Interesse an einer zügigen Störungsbeseitigung das Fortführen der begonnenen Arbeiten. 1. Kommt demnach ein Anspruch gem. § 812 I S. 1 Var. 2 BGB in Betracht, ist Voraussetzung, dass A von B nach § 1004 I S. 1 BGB die Beseitigung der Baumwurzeln verlangen konnte, die von dem Grundstück des B in das Grundstück des A eingedrungen sind. a. Der Beseitigungsanspruch aus § 1004 I S. 1 BGB könnte jedoch durch das Selbsthilferecht nach § 910 I S. 1 BGB ausgeschlossen sein. Von einem Teil der Literatur wird bei grenzüberschreitendem Wachstum § 910 I S. 1 BGB als Spe- zialregelung angesehen. Der beeinträchtigte Nachbar sei nur berechtigt, die Wurzeln an der Grundstücksgrenze zu kappen und sie zu behalten; ein verschuldensunabhängiger Beseitigungsanspruch aus § 1004 I S. 1 BGB bestehe daneben nicht.5 Demgegenüber bestehen nach h.M. das Selbsthilferecht aus § 910 I S. 1 BGB und der Beseitigungsanspruch nach § 1004 I S. 1 BGB nebeneinander.6 Für die h.M. spricht neben dem Grundgedanken des § 903 BGB der Umstand, dass dem durch Baumwurzeln beeinträchtigten Grundstückseigentümer dasselbe Abwehrrecht zustehen muss wie demjenigen, dessen Eigentum in anderer Art beeinträchtigt wird. Das wäre nicht gewährleistet, wenn der Beseitigungsanspruch nach § 1004 I BGB durch das Selbsthilferecht nach § 910 I S. 1 BGB ausgeschlossen wäre. Denn wenn der Eigentümer von seinem Selbsthilferecht Gebrauch macht und die eingedrungenen Baumwurzeln abschneidet, ist damit die Beseitigung der Eigentumsstörung noch nicht abgeschlossen. Vielmehr beeinträchtigen die Wurzeln weiterhin die Sachherrschaft des Grundstückseigentümers, zu der es gehört, fremde Gegenstände von seinem Grundstück fernzuhalten (vgl. § 903 BGB). Zur Beseitigung der Eigentumsstörung ist also mehr als nur das bloße Abschneiden der eingedrungenen Baumwurzeln erforderlich. Dieses „Mehr“ kann der gestörte Eigentümer von dem Störer jedoch nicht nach § 910 I S. 1 BGB, sondern nur nach § 1004 I S. 1 BGB verlangen.7 Das Selbsthilferecht aus § 910 I S. 1 BGB schließt also den Beseitigungsanspruch nach § 1004 I S. 1 BGB nicht aus. 5 Canaris, Festschrift für Medicus, 1999, S. 25, 53 ff; Armbrüster, NJW 2003, 3087, 3089. BGH NJW 2004, 603, 604; BGHZ 60, 235, 241 f; 97, 231, 234; Bassenge, in: Palandt, § 910 Rn 4; Picker, JuS 1974, 357, 359 ff; Gursky, JZ 1992, 312, 313; Roth, JZ 1998, 94. 6 7 BGH NJW 2004, 603, 604. Die praktische Bedeutung der Anwendbarkeit des § 1004 I BGB neben § 910 BGB ist sehr groß, denn der beeinträchtige Grundstückseigentümer kann nur von demjenigen, der nach § 1004 I BGB beseitigungspflichtig war, Ersatz der Beseitigungskosten (= vom Störer ersparte Aufwendungen) über das Bereicherungsrecht verlangen. b. Voraussetzung eines Beseitigungsanspruchs aus § 1004 I S. 1 BGB ist zunächst eine Eigentumsbeeinträchtigung. Die Vorschrift erfasst alle Beeinträchtigungen, die nicht in § 985 BGB geregelt sind. Demnach ist unter einer Beeinträchtigung jeder dem Inhalt des Eigentums widersprechende Eingriff in die rechtliche oder tatsächliche Herrschaftsmacht des Eigentümers zu verstehen, der unterhalb der vollständigen Besitzentziehung liegt.8 Vorliegend stand der von der Straße zum Hauseingang führende Weg im Eigentum des A. Dieses Eigentum wurde durch das Eindringen der Wurzeln des Kirschbaums und das damit verbundene Anheben der Betonplatte beeinträchtigt. c. Der dem Eigentumsinhalt widersprechende Eingriff (nicht: Handlung) muss auch rechtswidrig sein. Die Rechtswidrigkeit wird allerdings durch die Beeinträchtigung indiziert. Vorliegend sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die die Eigentumsbeeinträchtigung rechtfertigen könnten (zu § 1004 II BGB siehe unter e.). Ein Verschulden ist von vornherein nicht erforderlich. d. Des Weiteren ist Voraussetzung eines Beseitigungsanspruchs aus § 1004 I S. 1 BGB, dass derjenige, von dem die Beeinträchtigung ausgeht, verantwortlicher Störer ist. Als Störer kommen Handlungsstörer und Zustandsstörer in Betracht. Handlungsstörer ist, wer durch seine Handlung oder durch sein pflichtwidriges Unterlassen die Beeinträchtigung in zurechenbarer Weise adäquat kausal verursacht hat.9 Zustandsstörer ist der Eigentümer/Besitzer/Verfügungsbefugte einer Sache, von der eine Beeinträchtigung ausgeht. Diese Art der Verantwortlichkeit besteht jedoch nicht schon allein aufgrund der Rechtsstellung, sondern nur dann, wenn die Beeinträchtigung wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers/Besitzers/Verfügungsbefugten zurückgeht.10 Das setzt voraus, dass er die Beeinträchtigung durch eine Handlung adäquat mitverursacht hat oder ihre Beseitigung entgegen einer Handlungspflicht (insbesondere aus einer Rechtsvorschrift11, Verkehrssicherungspflicht12 oder aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis13) und bestehender Einwirkungsmöglichkeit unterlässt. B hat es unterlassen, das Hinüberwachsen der Baumwurzeln zu verhindern. Gleichzeitig ist er Eigentümer des Grundstücks, von dem die Beeinträchtigung ausging. Er könnte daher sowohl Handlungsals auch Zustandsstörer sein. In jedem Fall muss ihm die Beeinträchtigung aber zuzurechnen sein. Nach der Rspr. des BGH können auch durch Naturereignisse ausgelöste Störungen dem Eigentümer des Grundstücks, von dem die Störung ausgeht, zuzurechnen sein. So hat der BGH in Fällen des Hinüberwachsens von Baumwurzeln in das Nachbargrundstück den Eigentümer für verantwortlich gehalten, weil er den Baum gepflanzt14 bzw. unterhalten hat15. Ferner hat der BGH bei dem Einwirken von Naturkräften darauf abgestellt, ob die Störung auf einem pflichtwidrigen Unterlassen beruht, ob sich also aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Störung ausgeht, eine „Sicherungspflicht“, d.h. eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen der Nachbargrundstücke, ergibt.16 Auch sei entscheidend, ob sich die Nutzung des störenden Grundstücks im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung halte. Nicht zurechenbar seien daher Natureinwirkungen, denen alle Grundstücke aufgrund der natürlichen Eigenart von Anpflanzungen aller Art ausgesetzt seien und für die keine konkrete Gefahrenquelle geschaffen worden sei, z.B. Schädlingsbefall, sofern nicht eine Schädlingsbekämpfungsvorschrift verletzt wurde17. Auch bestehe für das Umstürzen eines widerstandsfähigen Baumes bei einem außergewöhnlichen Sturm keine Verantwortung.18 Vor diesem Hintergrund ist die Störereigenschaft des Eigentümers eines Baumes, dessen Wurzeln in das Nachbargrundstück hinüberwachsen, zu bejahen. Denn nach dem in § 903 BGB enthaltenen Grundgedanken, der in der Spezialregelung des § 910 BGB eine besondere Ausprägung gefunden hat, 8 BGH NJW-RR 2003, 953. Zur umfangreichen Kasuistik von Eigentumsbeeinträchtigungen vgl. Bassenge, in: Palandt, § 1004 Rn 6 ff. 9 BGH NJW-RR 2001, 232. 10 BGH NJW 2003, 2377. 11 Etwa die Vorschriften der Landesnachbargesetze. 12 BGH NJW 2003, 1732 (Nichtentfernen eines altersschwachen Baumes, der dann umstürzte und Schäden verursachte). 13 BGH NJW-RR 2001, 1208; kritisch Roth, JuS 2001, 1161, 1164 f. 14 BGHZ 97, 231, 234; 106, 142, 144; 135, 235, 242. 15 BGH NJW 1995, 395. 16 BGH NJW 1995, 2633 („Wollläuse“); BGH NJW-RR 2001, 1208, 1209 („Mehltau“). 17 BGH NJW 1995, 2633. 18 BGHZ 122, 283, 285. muss der Eigentümer dafür Sorge tragen, dass die Baumwurzeln nicht über die Grenzen seines Grundstücks hinauswachsen.19 B ist somit Störer. Merke: Die bloße Stellung als Eigentümer des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, reicht grundsätzlich nicht aus, um die Störereigenschaft zu bejahen. So kann eine durch ein von außen einwirkendes besonderes Naturereignis ausgelöste Beeinträchtigung – wie etwa Sturmschäden durch umstürzende, grundsätzlich aber widerstandsfähige Bäume – dem Grundstückseigentümer nicht zugerechnet werden, wenn sie nicht auf einem pflichtwidrigen Unterlassen oder einer nicht ordnungsgemäßen Bewirtschaftung beruht. Allerdings muss der Eigentümer eines Baumes dafür Sorge tragen, dass dessen Wurzeln nicht in das Nachbargrundstück hinüberwachsen; verletzt er diese Pflicht, ist er hinsichtlich der dadurch hervorgerufenen Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks „Störer“ i.S.v. § 1004 I BGB. e. Der Anspruch aus § 1004 I BGB ist – unabhängig von der konkreten Rechtsfolge – jedoch ausgeschlossen, wenn der beeinträchtigte Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist, § 1004 II BGB (= Einwendung des Störers20). Eine solche Duldungspflicht kann sich aus dem Gesetz oder einer Parteivereinbarung ergeben. Beispiele gesetzlicher Regelungen sind: §§ 227, 229, 904 BGB; §§ 906 ff. BGB (= allgemeine Rechtfertigungsgründe); Vorschriften des AbwasserR, BauordnungsR, DenkmalschutzR, VermessungsR, NaturschutzR, StraßenR, TelekommunikationsR (§§ 68, 76 TKG) und des EnergieversorgungsR.21 Im vorliegenden Fall ist Maßstab für eine Duldungspflicht § 910 II BGB, der auch für den Beseitigungsanspruch nach § 1004 I S. 1 BGB gilt. Danach kann der betroffene Eigentümer die Beseitigung hinüberwachsender Baumwurzeln nicht verlangen, wenn sie die Benutzung seines Grundstücks nicht beeinträchtigen. Vorliegend lag jedoch eine Beeinträchtigung vor, weil die Baumwurzeln eine Gehwegplatte angehoben hatten. Eine Duldungspflicht scheidet somit aus. A stand daher ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 I S. 1 BGB zu. Merke: Der durch von dem Nachbargrundstück hinüberwachsende Baumwurzeln gestörte Grundstückseigentümer kann die von dem Störer geschuldete Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung selbst vornehmen und die dadurch entstehenden Kosten nach Bereicherungsgrundsätzen erstattet verlangen. 2. A steht damit dem Grunde nach ein Anspruch aus § 812 I S. 1 Var. 2 BGB auf Erstattung der notwendigen Kosten für die Beseitigung der Beeinträchtigung zu. a. Zu den erstattungsfähigen Kosten gehören die Aufwendungen des A für die Feststellung der Störungsursache und für die Reparatur des Wegs.22 Denn der Störer schuldet dem Berechtigten nicht nur die isolierte Beseitigung der Störung (hier: störende Baumwurzeln), sondern auch die anschließende Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands (hier: des Wegs), weil die Beseitigungspflicht auch diejenige Eigentumsbeeinträchtigung erfasst, die zwangsläufig durch das Beseitigen der Störung eintritt.23 Dies verwischt nicht die Grenze zwischen Beseitigungsanspruch und Schadensersatzanspruch, sondern führt nur zu einer partiellen Überlappung beider Ansprüche.24 b. Fraglich ist allerdings, wie es sich auswirkt, dass A sämtliche Betonplatten des ursprünglichen Wegs hat aufbrechen und den Betonbruch hat abfahren lassen. Dieses war für die Feststellung der Störungsursache nicht erforderlich. Es hätte ausgereicht, die von der Baumwurzel angehobene Betonplatte aufzunehmen, die Wurzel abzuschneiden, den Untergrund wiederherzustellen und die Beton19 BGH NJW 2004, 603, 604. Zur Rechtsnatur von Einwendungen und Einreden vgl. R. Schmidt, BGB AT, Rn 108 ff. 21 Dazu ausführlich Hütte/Hütte, SachenR I, Rn 680 f. 22 Vgl. BGH NJW 2004, 603, 604; BGH NJW 1995, 395, 396. Damit nähert sich der BGH – wie ausgeführt – an den nur sonst vom Schadensersatzrecht her bekannten Anspruch auf Wiederherstellung des früheren Zustands (status ex ante) an. 23 Vgl. BGHZ 135, 235, 238. 24 BGH NJW 2004, 603, 604. 20 platte wieder hinzulegen. Die über diese Arbeiten hinausgehenden Rechnungspositionen betreffen weder die Feststellung der Störungsursache noch die Reparatur des Wegs, soweit sie durch die Beseitigung der Beeinträchtigung erforderlich geworden ist.25 Der von A geltend gemachte Gesamtanspruch ist nicht nach § 812 I S. 1 Var. 2 BGB begründet. Er hat lediglich einen Anspruch aus § 812 I S. 1 Var. 2 BGB auf Erstattung der notwendigen Kosten für die Beseitigung der Beeinträchtigung. Diese Kosten wären separat festzustellen. 3. Fraglich ist schließlich, ob A ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 II S. 2 BGB zusteht. Nach st. Rspr. ist ein solcher subsidiärer Anspruch – der auch bei grenzüberschreitendem Eindringen von Baumwurzeln in ein Grundstück in Betracht kommt26 – gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überschreiten, sofern der Betroffene aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen rechtzeitig zu unterbinden.27 Beim grenzüberschreitenden Eindringen von Baumwurzeln in ein Grundstück gleicht dieser Anspruch gerade wegen seiner Subsidiarität allerdings nur solche Beeinträchtigungen aus, für die der betroffene Eigentümer keinen anderweitigen Ersatz erlangen kann. An dieser Voraussetzung fehlt es vorliegend; A kann – wie ausgeführt – von B die Kosten für die Beseitigung der Baumwurzeln und die Wiederherstellung des Wegs verlangen. Dass darüber hinausgehende, durch das Hinüberwachsen der Baumwurzel verursachte Kosten entstanden sind, ist weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich.28 Anwendungsfall 2 (Baumzweige und -immissionen auf Nachbargrundstück)29: N und die Eheleute E sind Grundstücksnachbarn in einem Wohngebiet in Niedersachsen mit teilweise hohem Baumbestand. Auf dem Grundstück der E stehen in einem Grenzabstand von 2 m zwei ca. 14 m hohe Kiefern. Von einem der Bäume ragen Zweige in einer Höhe von ca. 9 m ungefähr 2,3 m, von dem anderen Baum Zweige in einer Höhe von ca. 5 m ungefähr 0,4 m auf das Grundstück des N herüber. Wegen der abfallenden Nadeln und Zapfen muss N das Dach, die Dachrinnen und Dacheinläufe seines Wohnhauses sowie seinen Garten mehrmals im Jahr säubern und wegen des starken Nadelfalls einen Gartenteich verschließen. N hat von E das Zurückschneiden der Kiefern auf die Höhe, die sie vor 6 Jahren hatten, sowie Beseitigung der auf sein Grundstück herüberragenden Zweige verlangt. Weiter macht er die Zahlung eines jährlichen Ausgleichsbetrags von 185,- € für den zusätzlichen Reinigungsaufwand geltend. Daraufhin haben E die Bäume auf eine Höhe von 10 m bzw. 11 m gekürzt und die in ca. 9 m Höhe auf das Grundstück des N herüberragenden Zweige entfernt. N erhebt nunmehr Klage gegen die E. Das Gericht möge diese verurteilen, die Kiefern durch jährliches Zurückschneiden auf einer Höhe von 10 m bzw. 11 m zu halten, die noch von einer der beiden Kiefern in ca. 5 m Höhe auf sein Grundstück herüberragenden Zweige zu entfernen und ihm Ersatz des erhöhten Reinigungsaufwands zuzusprechen. Die E erwidern, dass der von N geltend gemachte Anspruch auf Zurückschneiden der Kiefern wegen Fristablaufs gem. § 54 II des Niedersächsischen Nachbarrechtsgesetzes (NdsNachbG) ausgeschlossen sei. Einen Anspruch auf Beseitigung der in ca. 5 m Höhe herüberragenden Zweige habe N ebenfalls nicht, weil der Überhang so geringfügig sei, dass - was zutrifft - hiervon keine bemerkenswerte Beeinträchtigung ausgehe. Ein Ausgleichsbetrag wegen erhöhten Reinigungsaufwands stehe N nicht zu, da es an einer wesentlichen und unzumutbaren Beeinträchtigung seines Grundstücks fehle. Der Nadel- 25 26 27 28 29 Zutreffend BGH NJW 2004, 603, 604. BGH NJW 1990, 3195, 3196. Vgl. dazu auch Wenzel, NJW 2005, 241, 246. Vgl. BGH NJW 2004, 603, 604; NJW 2003, 2377, 2378; Wenzel, NJW 2005, 241, 246 f. BGH NJW 2004, 603, 604. Nach BGH NJW 2004, 603 ff. 198 und Zapfenfall sei angesichts der überragenden Nützlichkeit von Bäumen für die Gesellschaft entschädigungslos hinzunehmen. Hinweis: § 50 I NdsNachbG (der über Art. 124 EGBGB anwendbar ist) bestimmt, dass bei Bäumen bis zu 15 m Höhe ein Grenzabstand von 3 m einzuhalten ist. Gem. § 53 II NdsNachbG sind Bäume, welche über die in § 50 zugelassenen Höhen hinauswachsen, auf Verlangen des Nachbarn auf die zulässige Höhe zurückzuschneiden, wenn der Eigentümer sie nicht beseitigen will. Nach § 54 II NdsNachbG ist der Anspruch auf Zurückschneiden ausgeschlossen, wenn die Anpflanzungen über die nach diesem Gesetz zulässige Höhe hinauswachsen und der Nachbar nicht spätestens im 5. darauf folgenden Kalenderjahr Klage auf Zurückschneiden erhebt. A. Anspruch des N auf Kürzen der Kiefern I. Da N nicht innerhalb von 5 Jahren nach dem Hinüberwachsen der Bäume Klage auf Zurückschneiden erhoben hat, besteht wegen § 54 II NdsNachbG jedenfalls kein Anspruch aus § 53 II NdsNachbG auf Zurückschneiden auf die zulässige Höhe. II. Möglicherweise kann die Vorschrift aber auch so verstanden werden, dass sich ein Anspruch des N auf künftiges regelmäßiges Zurückschneiden auf die Höhe ergibt, die die Bäume im Zeitpunkt der Klageerhebung hatten, oder dass die Bäume auf die Höhe zurück geschnitten werden, die sie 5 Jahre vor Klageerhebung hatten. Aber auch hier ist nach Auffassung des BGH der Gesetzeswortlaut eindeutig und lässt keine diesbezügliche Interpretation zu. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift geböten es, dem Nachbarn nach Fristablauf jeden Anspruch auf Zurückschneiden der Bäume zu versagen. Denn mit der Ausschlussfrist solle innerhalb eines Zeitraums, der die Interessen des Nachbarn und des Eigentümers der Bäume gleichermaßen berücksichtige, grundsätzlich eine abschließende Klärung der nachbarlichen Verhältnisse in Bezug auf das Höhenwachstum herbeigeführt werden. Die Frist gebe dem Nachbarn genügend Zeit zu überlegen, ob er seinen Anspruch aus § 53 II NdsNachbG durchsetzen wolle. Es sei ihm ohne weiteres möglich, innerhalb von 5 Jahren nach dem Hinauswachsen von Bäumen über die gesetzlich zulässige Höhe hinaus den jährlichen Zuwachs und die daraus gegebenenfalls folgenden Beeinträchtigungen seines Grundstücks wie z.B. den Entzug von Licht, die Bildung von Windzirkulationen und das Abwerfen von Blättern, Nadeln oder Früchten zu beobachten. Auch lasse sich - notfalls mit Hilfe von fachmännischer Beratung - ermitteln, wie lange das Wachstum der Bäume andauern werde, sodass auch der Umfang späterer Beeinträchtigungen eingeschätzt werden könne. Der Nachbar könne somit (nur) innerhalb der Frist entscheiden, ob er das Zurückschneiden der Bäume verlangen wolle.30 Auf der Grundlage dieser Auffassung ist auch ein Anspruch des N aus § 53 II NdsNachbG auf künftiges regelmäßiges Zurückschneiden auf die Höhe, die die Bäume im Zeitpunkt der Klageerhebung hatten, sowie darauf, dass die Bäume auf die Höhe zurück geschnitten werden, die sie 5 Jahre vor Klageerhebung hatten, ausgeschlossen. III. Fraglich ist, ob sich trotz Ablaufs der Ausschlussfrist des § 54 II NdsNachbG ein Anspruch des N auf Zurückschneiden der Bäume unter dem Gesichtspunkt des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses unter Heranziehung des Grundsatzes von Treu und Glauben ergibt. Zwar ist zweifelhaft, ob dieses Gemeinschaftsverhältnis eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellt, nach st. Rspr. begründet es jedoch ein gegenseitiges Rücksichtnahmegebot über die geschriebenen nachbarrechtlichen Normen (auch der §§ 905 ff. BGB) hinaus.31 Da eine aus diesem Gebot resultierende Pflicht jedoch mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine Ausnahme darstellt, kann sie nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint, der Nachbar anderenfalls ungewöhnlich schweren und nicht mehr hinzunehmenden 30 31 BGH NJW 2004, 1037, 1038 f. BGH NJW 2004, 1037, 1038; NJW 2004, 775, 776; NJW 2003, 1392, 1393; BGHZ 28, 225, 230. Vgl. dazu ausführlich Rn 91. Beeinträchtigungen ausgesetzt wäre. Ist dies der Fall, kann die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig werden.32 Vorliegend geht es zwar nicht um die Versagung einer Rechtsausübung, sondern um die Gewährung eines Rechts über die gesetzlich normierten Ansprüche hinaus. Aber auch für diesen Fall kann nach dem Sinn und Zweck des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses nichts anderes gelten. Demnach steht N der Anspruch auf Zurückschneiden der Bäume zu, wenn er wegen der Höhe der Bäume ungewöhnlich schweren und nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigungen ausgesetzt ist. Dann könnte er von E unter dem Gesichtspunkt der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme einen Rückschnitt auf eine beiden Interessen gerecht werdende Höhe verlangen, wenn dies wiederum den E zumutbar ist. Nach Auffassung des BGH liegen diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall jedoch nicht vor. Zwar beeinträchtigten die Kiefern den Lichteinfall und die Windzirkulation auf dem Grundstück des N, der Nadel- und Zapfenfall führten zu zusätzlichen Reinigungsarbeiten an dem Wohnhaus und dem Garten des N und dieser habe auch einen Gartenteich verschließen müssen, dies reiche jedoch nicht aus, um eine Verpflichtung der E zum Zurückschneiden der Bäume unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses anzunehmen.33 Folgt man dieser Auffassung, ist der von N geltend gemachte Anspruch auf Kürzen der Kiefern auch unter dem Gesichtspunkt des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses unbegründet. Merke: Das sog. nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis kann nach st. Rspr. einen Anspruch auf Zurückschneiden von Bäumen auch nach Ablauf der durch die landesrechtlichen Nachbargesetze bestimmten Frist begründen. Voraussetzung ist aber eine ungewöhnlich schwere und nicht mehr hinzunehmende Beeinträchtigung. B. Anspruch auf Beseitigung der herüberragenden Zweige Möglicherweise hat N wenigstens einen Anspruch auf Beseitigung der herüberragenden Zweige. Dieser Anspruch könnte sich aus § 1004 I BGB ergeben. Unabhängig vom Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen und der Frage, ob das Selbsthilferecht aus § 910 I BGB den Beseitigungsanspruch nach § 1004 I S. 1 BGB ausschließt, ist ein diesbezüglicher Anspruch ausgeschlossen, wenn der Anspruchsteller die Störung bzw. Beeinträchtigung dulden muss (§ 1004 II BGB). Solche Duldungspflichten können aus einem Vertrag, einer Einwilligung, aus einem beschränkten dinglichen Recht (§ 1018 BGB) oder aus dem Gesetz (§§ 904 ff., 227, 229 BGB) resultieren. Vorliegend kommt eine Duldungspflicht nach § 910 II BGB in Betracht, der dem Grundstückseigentümer das Selbsthilferecht nach § 910 I BGB nicht zubilligt, wenn die herüberragenden Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen. In welchen Fällen keine Beeinträchtigung vorliegt, entscheidet nicht das subjektive Empfinden des Grundstückseigentümers; maßgebend ist vielmehr die objektive Beeinträchtigung der Grundstücksbenutzung.34 Nach Auffassung des BGH ist im vorliegenden Fall eine Beeinträchtigung des Grundstücks des N gerade durch die Zweige, deren Beseitigung er noch verlangt, ausgeschlossen. Somit scheidet auf der Grundlage der (m.E. fraglichen) Auffassung des BGH ein Beseitigungsanspruch aus. Merke: Die Duldungspflicht nach § 910 II BGB gilt auch für den Anspruch des Grundstückseigentümers gegen den Nachbarn auf Beseitigung herüberragender Zweige gem. § 1004 I BGB. C. Anspruch auf Ersatz des erhöhten Reinigungsaufwands Fraglich ist nunmehr, ob N ein Anspruch auf Ersatz der erhöhten Reinigungskosten zusteht. Anspruchsgrundlage könnte § 906 II S. 2 BGB sein. Gehen von der ortsüblichen Benutzung eines Grundstücks Einwirkungen i.S.v. § 906 I S. 1 BGB auf ein anderes Grundstück aus und beeinträchtigen sie dessen Benutzung wesentlich, muss der betroffene Grundstückseigentümer die Einwirkungen nach 32 33 34 BGH NJW-RR 2003, 1313, 1314. BGH NJW 2004, 1037, 1038 f. BGH NJW 2004, 1037, 1038 f. unter Bezugnahme auf Säcker, in: MüKo, § 910 Rn 6. § 906 II S. 1 BGB dulden, wenn die Beeinträchtigungen nicht durch Maßnahmen verhindert werden können, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. In diesem Fall kann der Grundstückseigentümer von dem Benutzer des anderen Grundstücks nach § 906 II S. 2 BGB einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigen. I. Das Abfallen von Kiefernnadeln und -zapfen auf ein Nachbargrundstück müsste demnach zunächst zu den „ähnlichen Einwirkungen“ i.S.d. § 906 I S. 1 BGB gehören. Das ist nach Auffassung des BGH der Fall. Denn die von § 906 BGB erfassten Einwirkungen kennzeichneten sich dadurch, dass sie in ihrer Ausbreitung weithin unkontrollierbar und unbeherrschbar seien, in ihrer Intensität schwankten und damit andere Grundstücke überhaupt nicht, unwesentlich oder wesentlich beeinträchtigen könnten. Das treffe auf das Abfallen von Laub, Nadeln, Blüten und Zapfen von Sträuchern und Bäumen zu.35 II. Des Weiteren ist Voraussetzung eines Ausgleichsanspruchs nach § 906 II S. 2 BGB, dass derjenige, von dem die Beeinträchtigung ausgeht, verantwortlicher Störer ist. Als Störer kommen Handlungsstörer und Zustandsstörer in Betracht. Handlungsstörer ist, wer durch seine Handlung oder durch sein pflichtwidriges Unterlassen die Beeinträchtigung in zurechenbarer Weise adäquat kausal verursacht hat.36 Zustandsstörer ist der Eigentümer/Besitzer/Verfügungsbefugte einer Sache, von der eine Beeinträchtigung ausgeht. Diese Art der Verantwortlichkeit besteht jedoch nicht schon allein aufgrund der Rechtsstellung, sondern nur dann, wenn die Beeinträchtigung wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers/Besitzers/Verfügungsbefugten zurückgeht.37 Das setzt voraus, dass er die Beeinträchtigung durch eine Handlung adäquat mitverursacht hat oder ihre Beseitigung entgegen einer Handlungspflicht (insbesondere aus einer Rechtsvorschrift38, Verkehrssicherungspflicht39 oder aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis40) und bestehender Einwirkungsmöglichkeit unterlässt. Vorliegend haben die E es unterlassen, das Hinüberwachsen der Zweige zu verhindern. Gleichzeitig sind sie Eigentümer des Grundstücks, von dem die Beeinträchtigung ausging. Sie könnten daher sowohl Handlungs- als auch Zustandsstörer sein. In jedem Fall muss ihnen die Beeinträchtigung aber zuzurechnen sein. Nach der Rspr. des BGH können auch durch Naturereignisse ausgelöste Störungen dem Eigentümer des Grundstücks, von dem die Störung ausgeht, zuzurechnen sein. So hat der BGH in Fällen des Hinüberwachsens von Baumwurzeln in das Nachbargrundstück den Eigentümer für verantwortlich gehalten, weil er den Baum gepflanzt41 bzw. unterhalten hatte42. Ferner hat der BGH bei dem Einwirken von Naturkräften darauf abgestellt, ob die Störung auf einem pflichtwidrigen Unterlassen beruhte, ob sich also aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Störung ausging, eine „Sicherungspflicht“, d.h. eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen der Nachbargrundstücke ergab.43 Auch sei entscheidend, ob sich die Nutzung des störenden Grundstücks im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung halte. Nicht zurechenbar seien daher Natureinwirkungen, denen alle Grundstücke aufgrund der natürlichen Eigenart von Anpflanzungen aller Art ausgesetzt seien und für die keine konkrete Gefahrenquelle geschaffen worden seien, z.B. Schädlingsbefall, sofern nicht eine Schädlingsbekämpfungsvorschrift verletzt wurde44. Auch bestehe für das Umstürzen eines widerstandsfähigen Baumes bei einem außergewöhnlichen Sturm keine Verantwortung.45 Vor diesem Hintergrund ist die Störereigenschaft des Eigentümers eines Baumes, dessen Zweige in das Nachbargrundstück hinüberwachsen, zu bejahen. Die E sind somit Störer. Ob sie aber auch eine 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 BGH NJW 2004, 1037, 1038 f. unter Bezugnahme auf BGHZ 117, 110, 112, und Bassenge, in: Palandt, § 906 Rn 13. BGH NJW-RR 2001, 232. BGH NJW 2003, 2377. Etwa die Vorschriften der Landesnachbargesetze. BGH NJW 2003, 1732 (Nichtentfernen eines altersschwachen Baumes, der dann umstürzte und Schäden verursachte). BGH NJW-RR 2001, 1208; kritisch Roth, JuS 2001, 1161, 1164 f. BGHZ 97, 231, 234; 106, 142, 144; 135, 235, 242. BGH NJW 1995, 395. BGH NJW 1995, 2633 („Wollläuse“); BGH NJW-RR 2001, 1208, 1209 („Mehltau“). BGH NJW 1995, 2633. BGHZ 122, 283, 285. Sicherungspflicht haben, sodass sie zum Ausgleich gem. § 906 II S. 2 BGB verpflichtet wären, ist fraglich. Maßgebend ist insoweit, ob sich die Nutzung des störenden Grundstücks im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält und dem das Nachbarrecht bestimmenden Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme entspricht. Dies ist nach Auffassung des BGH im vorliegenden Fall zu verneinen. Dabei könne offenbleiben, ob schon allein das Anpflanzen oder Unterhalten der Kiefern als Waldbäume in einem Wohngebiet bei der gebotenen Rücksichtnahme auf die Nachbarinteressen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung entspreche. Jedenfalls würden die Bäume unter Verletzung der einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen über den Grenzabstand unterhalten. Dass N wegen Fristablaufs nicht mehr ihre Beseitigung oder das Zurückschneiden auf die zulässige Höhe verlangen könne, habe nicht zur Folge, dass der Bewuchs nunmehr ordnungsgemäßer Bewirtschaftung entspreche. Diese Auffassung überzeugt. Die E sind für die von den Kiefern ausgehenden natürlichen Immissionen verantwortlich. Merke: Unterhält der Eigentümer von Bäumen diese unter Verletzung der einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen über den Grenzabstand zum Nachbargrundstück, ist er für die von den Bäumen ausgehenden natürlichen Immissionen als Störer verantwortlich. Für einen Ausgleichsanspruch nach § 906 II S. 2 BGB ist aber weiterhin erforderlich, dass die Beeinträchtigung auf eine ortsübliche Benutzung des Grundstücks der E zurückzuführen ist und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahme verhindert werden kann. Vorliegend haben die Kiefern den nach § 50 I NdsNachbG gebotenen Grenzabstand nicht eingehalten. Daher ist zweifelhaft, ob die E ihr Grundstück ortsüblich benutzt haben. Nach Auffassung des BGH können die Ortsüblichkeit und die Verhinderbarkeit jedoch dahinstehen. Denn selbst wenn beides zu verneinen wäre und N die Einwirkungen deshalb grundsätzlich nicht dulden müsste, sondern sie nach § 1004 I BGB abwehren könnte, komme ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 II S. 2 BGB analog in Betracht. Dieser setze voraus, dass von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung auf ein anderes Grundstück Einwirkungen ausgingen, die zwar rechtswidrig sind und deshalb nicht geduldet werden müssten, der betroffene Eigentümer jedoch aus besonderen Gründen gehindert sei, solche Störungen nach § 1004 I BGB zu unterbinden. Ferner müsse der Betroffene hierdurch Nachteile erleiden, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überstiegen.46 Ob das der Fall sei, beurteile sich nach dem Empfinden eines „verständigen Durchschnittsmenschen“ und danach, was diesem unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten sei.47 Dabei könnten auch wertende Kriterien wie z.B. die Beachtung des Naturschutzes und des Umweltbewusstseins der Bevölkerung, in die Beurteilung einbezogen werden.48 Vorliegend verstopfen die von den Kiefern der E abfallenden Nadeln die Dachrinnen und Dacheinläufe des Wohnhauses des N. Dieser musste wegen des Nadelfalls seinen Gartenteich verschließen. Ob N danach einen Ausgleichsanspruch hat oder die Beeinträchtigungen entschädigungslos hinnehmen muss, hängt davon ab, in welchem Verhältnis der von ihm geltend gemachte zusätzliche Reinigungsaufwand zu dem Aufwand steht, den er für die Reinigung seines Grundstücks von Laub, Nadeln und ähnlichem sowieso hat. Dabei ist nach Auffassung des BGH zu berücksichtigen, dass sich beide Grundstücke in einem seit vielen Jahren gewachsenen Wohngebiet mit teilweise hohem Baumbestand befinden, weshalb das Grundstück des N – wie auch die benachbarten Grundstücke – dem Abfallen von Laub, Nadeln, Zapfen und anderen pflanzlichen Bestandteilen der eigenen und fremden Bäume und Sträucher ausgesetzt ist. Deshalb müsse N - ebenso wie seine Nachbarn – Reinigungsarbeiten auf seinem Grundstück vornehmen, um das Laub u.Ä. zu entfernen. Dabei müssten auch die Dachrinne und die Dacheinläufe gesäubert werden. Der zeitliche Aufwand dafür hänge von der Art und Größe der eigenen und umliegenden Anpflanzungen, der Jahreszeit sowie den 46 47 48 BGH NJW 2004, 1037, 1038 f.; BGH NJW 2003, 2377, 2378. BGHZ 148, 261, 264; BGH NJW 2003, 3699, 3700. BGHZ 120, 239, 235. Witterungsverhältnissen ab. Bei der erforderlichen Gesichtspunkte unberücksichtigt bleiben: Abwägung müssten allerdings folgende Derjenige, der die mit dem „Wohnen im Grünen“ verbundenen Annehmlichkeiten wie z.B. auf Bäume und Sträucher zurückzuführenden Sicht, Schall und Windschutz sowie reine und sauerstoffreiche Luft in Anspruch nehme, müsse bis zu einem gewissen Grad auch die damit verbundenen Nachteile, jedenfalls soweit sie auf natürlichen Gegebenheiten beruhen, in Kauf nehmen. Auch das gewachsene Umweltbewusstsein weiter Kreise der Bevölkerung, welches das Anpflanzen und Halten von Bäumen auch in Wohngebieten als erstrebenswert ansähen, könne keine Rolle spielen. Für die E bedeute das, dass dadurch, dass die Bäume nicht den gesetzlich vorgegebenen Grenzabstand einhalten, sie gegen das Gebot der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung ihres Grundstücks verstießen. Dies könne durch die genannten Gesichtspunkte nicht kompensiert werden.49 Ergebnis: Demnach steht N ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 II S. 2 BGB analog zu. Es kann nicht angehen, dass ein Grundstückeigentümer, dessen Pflanzen über die Grundstücksgrenzen hinaus wachsen und Nachbarn in ihren Grundstücksnutzungsrechten beeinträchtigen, unsanktioniert bleibt. III. Der Umfang des Ausgleichsanspruchs bestimmt sich nach den Grundsätzen, die für die Bemessung der Enteignungsentschädigung gelten.50 Diese unterscheidet sich vom Schadensersatz darin, dass nicht der Zustand herzustellen ist, der bestünde, wenn die Störung nicht eingetreten wäre, sondern dass der Ausgleich auf die Beseitigung der durch die Störung eingetretenen Vermögenseinbuße beschränkt ist.51 Deshalb kann N höchstens den Betrag erhalten, den er für die zusätzliche Reinigung durch ein Unternehmen aufwenden müsste. IV. Ergebnis: N kann weder die Kürzung der Kiefern noch Beseitigung der Zweige verlangen. Ihm steht jedoch ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 II S. 2 BGB analog zu, der darauf gerichtet ist, die für den erhöhten Reinigungsaufwand infolge des Abfallens von Nadeln und Zapfen der Bäume anfallenden Kosten auszugleichen. Bewertung: Vergleicht man das jeweilige Ergebnis des BGH zum Anspruch des N auf Beseitigung der herüberragenden Zweige nach § 1004 I BGB und zum Anspruch auf Ausgleich nach § 906 II S. 2 BGB, fällt auf, dass der BGH im Rahmen des Beseitigungsanspruchs eine Beeinträchtigung des Grundstücks des N durch die Zweige, deren Beseitigung er noch verlangt, ausgeschlossen hat, jedoch im Rahmen des Ausgleichsanspruchs eine Beeinträchtigung des Grundstücks des N bejaht. Diese unterschiedlichen Ergebnisse sind nicht plausibel. Die Unterscheidung des BGH macht nur dann Sinn, wenn die Beeinträchtigung, die bei N zum Ausgleichsanspruch nach § 906 II S. 2 BGB führt, von dem Teil der Bäume ausgeht, der nicht über die Grundstücksgrenze der E hinausragt. Doch ob der BGH dies gemeint hat, darf bezweifelt werden. 49 BGH NJW 2004, 1037, 1038 f. BGH NJW 2000, 2901, 2903. Nach Bassenge, in: Palandt, § 906, Rn 33 hat eine volle Schadloshaltung nach §§ 249 ff. BGB zu erfolgen. 51 BGHZ 147, 45, 53. 50