Hochzeitsfotografie: Analyse eines Rituals
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Hochzeitsfotografie: Analyse eines Rituals
Universität Hamburg Institut für Medien und Kommunikation Veranstaltung: Rituale in gegenwärtigen Medienkulturen (MUK V1) – Seminar II Dozentin: Prof. Dr. Kathrin Fahlenbrach WiSe 2013/14 Hochzeitsfotografie: Analyse eines Rituals Vorgelegt von: Valentina Hammer Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Inhaltsverzeichnis E inleitung 3 1. Z u T heorie und M ethode 1.1 Ritualbegriff 4 1.2 Fotografie im sozialen K ontext 5 1.3 D rei E benen ritueller Praxis nach Bergesen 7 1.3.1 M ik roriten 8 1.3.2 M esoriten 8 1.3.3 M ak roriten 9 1.3.4 Z usammenfassend zu den drei E benen 9 2. Hochzeitsfotografie: A nalyse eines Rituals 2.1 E inordnung der Hochzeitsfotografie als Ritual 9 2.2 M ik roebene 10 2.3 M esoebene 13 2.4 M ak roebene 14 3. Hochzeitsfotografie heute 16 4. Schluss 19 5. L iteraturverzeichnis 20 6. Bildquellen 21 2 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. E inleitung Fotografie „ist heute die verbreitetste Sprache unserer Zivilisation [sic!]“ (Freund 1989: 231). Wir benutzen sie, um die Welt zu verstehen und um diese außerdem aus unserer Sicht zu dokumentieren. Man kann sich ihr kaum entziehen, da sie oft in Rahmen gesellschaftlicher Gepflogenheiten als selbstverständlich und verbindlich gilt. Unser Leben lässt sich mittlerweile anhand von Fotos ganz genau rekonstruieren: Fotografien „belegen die einzelnen Phasen der menschlichen Existenz, von der Geburt bis zum Tod“ (Frizot 1998: 749). Auch bestimmte Zeremonien und Rituale begleiten unser Leben „von Anfang bis Ende“ (Michaels 2007: 201). Sie markieren Tiefen und Höhen, an den man sich anders verhält, man anders handelt und man das Ganze in Form von Fotos als Dokumente der entscheidenden Ereignisse fotografiert (vgl. ebd.). Die Hochzeit stellt einen Höhepunkt im Leben eines Menschen dar und wird genauso ernst genommen wie die Geburt und der Tod. Mit der Zeremonie der Hochzeit sind viele rituelle Handlungen und Vorgehensweisen sowie hohe Erwartungen verbunden. Seit dem Aufkommen der Fotografie gilt auch das Hochzeitfoto als ein unmittelbarer Bestandteil dieser Zeremonie. Man kann sogar sagen, dass das Hochzeitsfoto selbst zu einem Ritual geworden ist, das bestimmten Konventionen unterliegt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist, das Ritual der Hochzeitsfotografie sowie genau diese Konventionen unter die Lupe zu nehmen und ihre Bedeutung zu entschlüsseln. Dazu wird eine Ritualanalyse nach Albert Bergesen vorgenommen, der ein Ritual in seiner Funktionalität und Ordnung auf drei Ebenen zu analysieren vorschlägt: Mikro-, Mesound Makroebene. Dabei reicht die Analyse von scheinbar unwesentlichen symbolischen Details bis hin zur Bedeutungen für die gesamte soziale Gesellschaft. Im ersten Abschnitt dieser Arbeit liegt der Fokus auf den theoretischen Voraussetzungen und Methoden: Der Begriff des Rituals wird erläutert, der soziale Kontext der Fotografie an sich wird beleuchtet, die Analyse nach Bergesen wird vorgestellt. Der zweite Abschnitt wird durch eine Einordnung des Rituals der Hochzeit eingeleitet. Im Anschluss wird das Ritual des Hochzeitsfotos Ebene für Ebene (Mikro-, Meso-, Makro-) analysiert. Der dritte Abschnitt befasst sich mit der Hochzeitsfotografie heute. Es werden Neuerungen, Änderungen und Tendenzen untersucht. Zum Schluss sollen die Ergebnisse der Analyse zusammengefasst werden. 3 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 1. Z u T heorie und M ethode 1.1 Ritualbegriff Je nach wissenschaftlichem Bereich wird der Begriff des Rituals anders gedeutet, definiert und unterschiedlich beleuchtet. Lange galten Rituale u.a. wegen ihrer unveränderlichen wiederholbaren Struktur als „äußerlich“, „starr“, „und eben nicht fortschrittlich“ (Michaels 2007: 5), was einer immer progressiveren Gesellschaft nicht eigen sein kann. Erst im Laufe der Zeit, im Laufe der Auseinandersetzung mit den Ritualen und neuen Begriffen in diesem Bereich wurden Rituale „mehr und mehr als kulturelle (Sub-)Systeme wahrgenommen“ (ebd.: 6) und anerkannt. Wichtig ist, dass nicht nur kirchliche bzw. religiöse Zeremonien und Liturgien als Rituale angesehen werden dürfen, sondern auch rituelle Ordnungen und Handlungen außerhalb der Religion, denn auch ihnen sind typische Merkmale eines Rituals wie Wiederholbarkeit, symbolhafte Codes, fest strukturierte Handlungsabläufe, hierarchische Anordnung der Teilnehmer und die Gemeinschaft stabilisierende Kraft eigen. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff des Rituals im sozialen Kontext verstanden, der selbstverständlich das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Kollektiv impliziert. Funktionen eines Rituals im sozialen Sinn stehen im Fokus. Diese Funktionen bestehen nach Wulf (2007: 190-198) u.a. darin, die soziale Gemeinschaft zu stabilisieren, einem Individuum zur Identifikations- und Identitätsbildung sowie zur Selbsteinordung in der Gemeinschaft zu verhelfen, gesellschaftliche Hierarchien zu erzeugen und zu sichern, das soziale Gedächtnis zu kontrollieren. In diesen Funktionen spiegelt sich der Kern eines Rituals wider. Der besteht nämlich in der Interaktion mehrerer Individuen, die in ihrer sozialen Gemeinschaft durch ein Ritual bestätigt und stabilisiert werden, wobei aber ein Individuum auch eine gewisse Bestätigung seiner Identität erfährt. Dies ist auch ganz im Sinne von Bergesen, wenn er von einer „kollektive(n) Identität“ (Bergesen 2003: 50) spricht, die durch das Zusammenkommen von Individuen zu einer Gruppe bewirkt wird. Jedes Individuum nimmt an dieser Identität teil, wenn es am Ritual teilnimmt. So wird soziale Einheit geschaffen, die als identitätsstiftend für jedes Individuum gilt. Da diese Identität am intensivsten bei einem Ritual erfahrbar ist, ist die Bestätigung der Gemeinschaft und des Individuums als Teil dieser Gemeinschaft für Rituale typisch (vgl. Bergesen 2003: 50). Jede Gemeinschaft weist bestimmte Hierarchien auf. Auch diese werden in einem Ritual sichtbar bzw. sichtbar gemacht und bestätigt, so dass jedes Individuum seines Platzes in der Gemeinschaft bzw. in der Gesellschaft gewiss sein oder werden kann. 4 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 1.2 Fotografie im sozialen K otext „So verdankt die photographische Praxis in ihrer allgemeinsten Va riante der sozialen Funktion, mit der sie ausgestattet ist, das und nur das zu sein, was sie ist“ (Bourdieu 2006: 43).1 Diese Behauptung von Bourdieu verdeutlicht seine Einstellung gegenüber dem Phänomen der Fotografie. Er lehnt strikt ab, die Fotografie nur als eine Art Instrument zur Befriedigung psychologisch angelegter Bedürfnisse des Menschen zu betrachten. Viel wichtiger erscheint ihm der Zusammenhang zwischen Fotografie und dem Sozialen: Die gesellschaftliche Funktion der Fotografie soll seiner Meinung nach zentral für geisteswissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Fotografie und fotografischer Praxis werden (vgl. ebd.: 26-27). Diese Meinung teilen auch angesehen Autorinnen wie Susan Sontag und Giséle Freund. Die letzte sieht die Fotografie „als genaustes und unbestechlichstes Verfahren zur Abbildung des sozialen Lebens“ (Freund 1989: 6). Obwohl heutzutage die fotografische Praxis sich in Form der Mobilfotografie noch fester in unserem Leben verankert hat und ihre soziale Funktionen u.a. dank Internet und Social Web erweitert hat, gelten Überlegungen Bourdieus als grundlegend und als in ihrem Kern auch heute noch aktuell. Die Bedeutung der Fotografie im sozialen Kontext soll auch für die vorliegende Arbeit ausschlaggebend werden. Bourdieu sieht den stärksten Einfluss der Fotografie auf das Soziale und den Ursprung ihrer Popularität in der Familie, die die Fotografie erst so „lebendig“ gemacht hat. Bourdieu bezeichnet Familienfotografie als „Ritus des Hauskultes“ (Bourdieu 2006: 31). Die Familie bedient sich der Fotografie, um die Integrität der Familie und einzelner Familienmitglieder zu stärken, die Einheit der Familie zu bestätigen, um schließlich „die hohen Zeitpunkte des kollektiven Lebens einzufangen und auf Dauerhaftigkeit zu stellen“ (ebd.).2 Nicht nur diejenigen Familienmitglieder werden ihrer Integrität in der Familie gewiss, die bei Festlichkeiten teilnehmen, sondern auch diejenigen, die physisch nicht dabei sein konnten. Diese bekommen Fotos zugeschickt und nehmen so an dem Geschehen in 1 In dieser Arbeit werden nur die Zitate kursiv hervorgehoben, die zwei Zeilen lang oder länger sind 2 Da die Hochzeitsfotografie u.a. als eine Sonderart der Familienfotografie angesehen werden kann, eignet sich der Ansatz Bourdieus hervorragend für die Ausführungen im späteren Verlauf der vorliegenden Arbeit. 5 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. der Familie teil und können sich der Einheit der Familie sicher sein (vgl. Bourdieu 2006: 34). Familienfotos dienen aber auch als ein genealogisches Archiv: Kindern werden anhand von Fotos Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern klar gemacht, so dass die Kinder sich selbst in das Gefüge der Familie besser einordnen können (vgl. ebd.). Es ist auch möglich, auch diejenigen Mitglieder der Familie kennen zu lernen, die längst verstorben sind, die Kindheit unserer Eltern auf den Fotos zu verfolgen: „Die Kamera ermöglicht eine alle Lebensalter umfassende Dokumentation“ (Sontag 1992: 157). So wird also auch das kollektive Wissen der Familien anhand von Fotos weitergegeben. Dabei kommt auch das kollektive Gedächtnis nicht zu kurz. Familienfeste werden durch die Fotografie verlängert: Sie erfasst „die ‚schönen Augenblicke‘, die sie in ‚schöne Erinnerungen‘ verwandelt“ (vgl. Bourdieu 2006: 38). Die außergewöhnlichen Momente der Feierlichkeit können so wieder (gemeinschaftlich) erlebt und innerhalb der Familie geteilt werden. Es ist auch wichtig zu beachten, dass viele Fotografien eine bestimmte Anordnung der Personen aufweisen. In dieser Anordnung wird die soziale Rolle des Individuums sichtbar: „Das, was photographiert wird und was der ‚Leser‘ der Photographie erfaßt, sind strenggenommen keine Individuen in ihrer Besonderheit, sondern soziale Rollen […] oder soziale Beziehungen [sic!] “ (ebd.: 35). Die Hierarchie sozialer Ordnung wird also deutlich. Zugegeben, im ländlichen Bereich ist der Einfluss des Fotos auf die Institution der Familie stärker als im städtischen Bürgertum. Doch trotzdem bleibt ihre Hauptaufgabe, egal, ob nun in der Stadt oder auf dem Lande, die „Verstärkung der Familienbande“ (vgl. ebd.: 37). Ein Bauer würde einen Photographen einladen und sich von diesem aufnehmen lassen, so dass das Aufnehmen dabei sehr zeremoniell ablaufen würde. Die Bürgerlichen haben meist ein eigenes Apparat. Die Fotografie wird zu einer kollektiven Aktivität der Familie. Wer die Kamera zu seinen eigenen autonomen Zwecken nutzt, sondert sich von der Einheit der Familie ab, distanziert sich (vgl. ebd.: 52). Ein Zeichen für Lockerung familiärer Bande wäre zum Beispiel auch, dass man eher und mehr Fotos von Landschaften macht und präsentiert (in der Wohnung, als Unterstützung eines Gesprächs) (vgl. ebd.: 37). Wer die Fotos von Familienmitgliedern wegwirft, begeht eine „grausame Zurückweisung“ (Sontag 1992: 153). Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Fotografie die Macht besitzt, die soziale Gemeinschaft der Familie zu formen, zu bestätigen, zu stärken. Doch diese ihre 6 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Kraft wirkt sich auch auf andere soziale Gefüge und gar auf die Gesellschaft an sich aus. Ganz zutreffende hat es Giséle Freund (1989: 6-7) formuliert: „Die Bedeutung der Photographie besteht also […] darin, dass sie eines der wirksamsten Mittel zur Formung unserer Vorstellungen und zur Beeinflussung unseres Verhaltens darstellt“. 1.3 D rei E benen ritueller Praxis nach A lbert Bergesen Wie bereits erwähnt, stützt sich Bergesen in seinen Überlegungen zur rituellen Praxis stark an den sozialen Kontext und nimmt diesen als Ausgangspunkt für seine Ausführungen. Dabei fokussiert er seinen Blick auf das Verhältnis bzw. auf den Zusammenhang zwischen Individuum und Gemeinschaft. Diese beiden sind voneinander abhängig: „Der Kern des rituellen Prozesses besteht darin, die individuellen Teilgefühle zu sammeln und daraus ein kollektives Gefühl zu machen, denn nur im gesammelten und konzentrierten Zustand kann sich die spezifisch kollektive Natur dieser Gefühle manifesti eren“ (Bergesen 2003: 49). Das „kollektive Gefühl“ wirkt dann aber auf Individuum zurück. Die Abhängigkeit äußert sich auch in der Stiftung „kollektiver Identität“, die durch kollektive Begegnung mehrerer Individuen in einer Gruppe geschaffen wird und genauso wie das „kollektive Gefühl“ auf jedes Individuum zurückwirkt (vgl. ebd.: 50). Die beschriebenen Abhängigkeitsmodalitäten könnte man sich wie eine Kreiszirkulation vorstellen: Gefühle und identitätsstiftende Empfindungen werden vom Individuum an die Gruppe gegeben, von der Gruppe ans Individuum. In dieser Zirkulation spielt ein Ritual den „Vermittlungsmechanismus, der regelmäßig eingesetzt wird, um isolierte Individuen zu sammeln und sie symbolisch in eine soziale Gemeinschaft zu transformieren“ (ebd.: 51). Ein Ritual beinhaltet viele kleine und scheinbar wenig bedeutsame Aspekte, die jedoch in Wirklichkeit sehr wesentlich für die Präsentation von „Bindungen sozialer Zusammengehörigkeit“ (ebd.: 52) sind. Dabei stellt nicht nur eine große Zeremonie ein Ritual dar. Genau so wie es in der Gesellschaft kleinere und größere Formen von Gemeinschaften gibt, gibt es auch dementsprechend kleinere und größere rituell geordnete Praktiken, die die entsprechende Gruppe ihrer Zusammengehörigkeit gewiss macht, diese bestätigt und stabilisiert. Rituelle Praktiken unterliegen also auch einer hierarchischen Ordnung. Diese versucht Bergesen widerzuspiegeln, indem er drei „Typen des Rituals“, „drei Formen des Rituals“ (vgl. ebd.) präsentiert: Mikro-, Meso- und Makroriten. Die Mikroriten sind mit der „linguistischen Codierung“ identifizierbar. Die Mesoriten bezeichnen „geordnete Verhaltensformen sozialer Interaktion“ und die Makroriten zielen auf die „Gemeinschaft als Ganzes“ ab (ebd.: 53). 7 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 1.3.1 M ik roriten Die erste Form ist auf der sprachlichen Ebene wiederzufinden. Sie bezieht sich auf linguistische Codierungen und Nutzung dieser. Diese Form ist die „einfachste Form ritueller Praxis“ (Bergesen 2003: 54). Die Sprache stellt eine Konvention dar, auf die sich eine Gemeinschaft geeinigt hat. Die Verwendung dieser Sprache bzw. die Verwendung bestimmter Codes impliziert bereits, dass ein Individuum sich auf eine Interaktion mit dem Kollektiv einlässt. Es verlässt den privaten Zustand und begibt sich auf die gemeinschaftliche Ebene, indem es durch das Sprechen an „einer codierten Struktur“ (ebd.: 55) teilnimmt. Und obwohl man etwas ganz Individuelles ausdrücken möchte, bedient man sich dabei allgemein anerkannten Codes, Symbolen, Zeichen. „Die Verwendung gewisser linguistischer Codes verwandelt Sprechakte in Ritualakte“ (ebd.: 56). Entwicklung spezifischer linguistischer Codes findet nicht nur auf der Ebene von Völkern und Nationen statt. Auch kleine Gruppen wie z. B. Arbeitskollegen, enge Freunde oder ein Ehepaar entwickeln eigene Codes, die die Kommunikation der entsprechenden Gruppe vereinfacht, spezifiziert und Mitgliedern dieser Gruppe ein Gefühl von Zusammengehörigkeit verleiht (vgl. ebd.: 58). Solche Codes beinhalten eine bestimmte Botschaft. Diese muss von den anderen Gruppenmitgliedern natürlich auch decodiert werden können. Die Decodierung „verlangt, dass die gemeinsame Kultur aktiviert wird“ (ebd.: 59). So wird die Kultur der Gruppe immer wieder reproduziert und bestätigt. Die linguistische Codierung kann sich unterschiedlicher Kanäle bedienen. Dazu gehören zum Beispiel Tanz, Musik, Kunst (vgl. ebd.: 60). Es scheint, als könnte man an dieser Stelle das Spektrum erweitern und auch bestimmte Handlungsmuster, einen bestimmten Kleidungsstil oder eine bestimmte Symbolik, bestimmte symbolhafte Gegenstände als Codes verstehen. 1.3.2 M esoriten Den Mesoriten können bestimmte Verhaltensformen zugeordnet werden, die mit alltäglichen Benehmen und Manieren zu tun haben, wobei die Anerkennung dieser sowie gegenseitige (Rollen- bzw. Status-)Anerkennung seitens interagierender Akteure entscheiden sind. Immer wenn wir einer anderen Person einen bestimmten Grad an Respekt und Ehre erweisen, erkennen wir damit eine soziale Hierarchie an und bestätigen diese. Auch hier gilt: Prozess symbolischer Reproduktion findet statt (vgl. ebd.: 61). Die Mesoriten sind also solche, bei welchen es um interpersonale Beziehungen geht und darum, wie und auf welche Art und Weise diese gepflegt und durch kleine alltägliche Zeremonien bestätigt werden. Die Mesoriten spiegeln die soziale Ordnung einer Gemeinschaft wieder. 8 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 1.3.3 M ak roriten Bei Makroriten handelt es sich um „formelle“ „öffentliche“ Zeremonien, bei denen es darum geht, eine Gemeinschaft, egal wie groß diese auch sein mag, „als Ganzes“ zu konstituieren (vgl. Bergesen 2003: 63). Typisch für Makroriten ist, dass sie durch Grenzen und Übergänge gekennzeichnet sind: Während so eines Rituals überschreitet man eine Grenze, man geht von einer sozialen Situation bzw. Position in eine andere über. Van Genneps pflegte in diesem Zusammenhang den aktuell allgemein anerkannten Begriff „Übergangsriten“. Dabei kann es sich um einen Übergang in eine andere Gemeinschaft handeln, um Erweiterung der bereits konstituierten oder um einen Wechsel innerhalb einer Gemeinschaft. Die prominentesten Beispiele hierfür sind Geburt, Tod, Konfirmation, Heirat (vgl. ebd.). 1.3.4 Z usammenfassend zu den drei E benen Zusammenfassend lässt sich noch sagen, dass die drei Ebenen, wie es bei jeder hierarchischen Ordnung der Fall ist, voneinander abhängig sind: „Die drei verschiedenen Ebenen des Rituals sind ineinander integriert“ (ebd.: 66). Die höhere Ebene setzt die niedrigere voraus. Erst muss auf der Mikroeben ein Selbstverständnis für allgemeine Konventionen gebildet werden, damit die Meso- und schließlich die Makrobene aktiviert werden können (vgl. ebd.: 66-67). Wichtig ist auch, dass die Ebenen jeweils einen unterschiedlichen Grad an Potenzial zur Veränderung aufweisen. Während sich die Mikroriten ständig unter Einfluss jedes einzelnen Akteurs ändern können, sind die Makroriten tief in der Geschichte einer Gemeinschaft verwurzelt, wodurch sie stabil sind und nur durch Transformationen historischer Natur, also im Laufe der Zeit, verändert werden können (vgl. ebd.: 73). „Im Allgemeinen gilt: Riten ändern sich mit der Schnelligkeit jener sozialer Strukturen, die sie reproduzieren“ (ebd.: 71). 2. Hochzeitsfotografie: A nalyse eines Rituals 2.1 E inordnung der Hochzeitsfotografie als Ritual Bergesen ordnet die Hochzeit an sich der Makroebene zu, denn bei der Hochzeit bestätigt das Brautpaar seine „Ehe als kooperatives Ganzes“ (ebd.: 63). Die Hochzeit stellt außerdem eine formelle Zeremonie dar. Sie beinhaltet Mikro- und Mesoriten: Eine bestimmte Art von Kleidung wird getragen (z.B. das Brautkleid, feierliche Roben der Gäste), bestimmte Sprachcodes gelten (z. B. Ehe-Gelöbnis/-Versprechen), bestimmte Handlungsmuster werden befolgt (z. B. der Gang in die Kirche, der Eröffnungstanz), wobei auch bestimmte Hierarchien und Rollen belegt werden (ein Zeremonienmeister ist anwesend, das Brautpaar steht im Mittelpunkt). Die Hochzeit ist aber auch ein Übergangsritual. Die Braut und der Bräutigam lösen sich in gewisser symbolhafter Weise von eigenen Familiengemeinschaften ab und gehen in die 9 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Familiengemeinschaft des jeweils anderen über, um auch dort ein Familienmitglied zu werden, sich anzupassen. Gleichzeitig erfolgt aber auch die Integration von den beiden Familien zwischen einander. Außerdem verlässt das Paar aber die Familiengemeinschaft an sich, um eine neue eigene zu gründen. Diese Schemata entsprechen einem Übergangsritual: Erst kommt die „Ablösung“ (bzw. „Trennung“), dann die „Umwandlung“ und schließlich die „Angliederung“ (bzw. „Integration“) (vgl. van Gannep nach Michaels 2007: 240). Und obwohl Michaels die Hochzeit nur eingeschränkt als Übergansritual sieht, da man heutzutage auch mehrmals heiraten kann oder vielleicht nur einmal in hohem Alter (vgl. Michaels 2007: 239), bleibt der Übergang bestehen, den man als einzelner Akteur oder gar als ganze Familiengemeinschaft überwinden muss, egal ob einmalig oder mehrmals. Die Hochzeitsfotografie kann auf allen drei Ebenen wiedergefunden werden. Sie beinhaltet selbstverständlich bestimmte Codes, die der Mikroebene zuzuordnen sind. Sie zeigt bestimmte interpersonale Beziehungen auf und dient dazu diese zu bestätigen. Sie manifestiert aber auch eine Ehe als Ganzes und markiert das entscheidende Moment des Übergangs. Die Hochzeitsfotografie kann also als ein Makroritual verstanden werden. Die Hochzeitsfotografie ist selbst zu einer Zeremonie geworden und der Fotograf ist der neue Zeremonienmeister, der die frisch vermählten Liebenden mit seinem Schuss segnen soll, damit sie von dem Rest der Gemeinschaft akzeptiert werden. Das Ritual der Hochzeitsfotografie gilt international und wird immer wieder durch prominente international anerkannte Häuser (z. B die britische Königsfamilie) bestätigt. Im Folgenden wird die Hochzeitsfotografie als rituelle Praxis Ebene für Ebene untersucht. Dabei werden zunächst Hochzeitsfotografien aus dem zeitlichen Rahmen zwischen ca. 1900 und 1950 als Beispiele eingeführt und untersucht. Das traditionelle bzw. typische Ritual der Hochzeitsfotografie steht dabei im Fokus. Erst im Kapitel drei werden moderne Tendenzen privater Hochzeitsfotografie aufgegriffen. 2.2 M ik roebene Die Fotografie eignet sich perfekt dazu, bestimmte Codes abzubilden, diese unterschwellig zu kommunizieren. Für den „Leser“ einer Fotografie spielen diese eine enorme Rolle fürs Verständnis des Bildes. Die Hochzeitsfotografie ist keine Ausnahme. Auch sie kommuniziert mit uns durch Codes und Details. Diese Codes können einerseits unmittelbar zur Zeremonie der Hochzeit an sich angehören. So verrät ein weißer Schleier sofort, um welchen Anlass es sich auf dem Foto handelt. Andererseits kann die Fotografie vielmehr Details aufzeigen, die eine weitere Dimension des Verständnisses möglich machen. Strohdächer und Kleidung mit Elementen traditioneller Tracht auf einem Hochzeitsfoto deuten daraufhin, dass die Hochzeitsgesellschaft auf dem Lande aufgenommen wurde (vgl. Foto 1). Reklameplakate, ein Treppenhaus, gepflasterter Bürgersteig sind eindeutige Hinweise auf eine städtische Gemeinschaft (vgl. Foto 10 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 2). Die Plakate können außerdem beim genauen Hinsehen die ungefähre Zeit der Aufnahme verraten. Aufnahmen in Fotoateliers geben keine eindeutigen Hinweise preis. Doch im Atelier kann das Paar sich selbst entscheiden, welche symbolhafte oder persönliche Gegenständen oder Motive ins Bild dürfen. So kann jeder Fotografie eine „persönliche Note verliehen werden. […] Auf diese Weise ist die – auf den ersten Blick unveränderliche - Aussage einer Fotografie tausendfach zu beeinflussen“ (Frizot 1998: 751). So hat sich das Paar auf dem Foto 3 für einen Hintergrund entschieden, der eine Wohnzimmerwand nachahmt, als wäre das Paar bereits in seinem neuen Zuhause angekommen, als würde es sich als eine Einheit in eigenen vier Wänden präsentieren und sich so von der Gemeinschaft ablösen wollen, um eine eigene zu bilden. Beim „Lesen“ von diesen Codes, die allgemein verständliche bildhafte Sprache sprechen, fällt es dem „Leser“ leichter, sich mit dem Abgebildeten zu identifizieren oder sich davon zu distanzieren. So würde ein Bauer sich eher der Hochzeitsgesellschaft vom Lande näher fühlen als der aus der Stadt. Ein Mikroritual, das außerdem unmittelbar zu der Hochzeitsfotografie gehört ist die Geschichte, die mündlich dazu erzählt wird. Oft erfährt ein Kind anhand von Hochzeitsfotografien, wer wer in der Familie ist und wo in dieser Familie der Platz vom Kind selbst ist: „Kurz, die Hochzeitsfotografie ist ein veritables Soziogramm und wird auch so verstanden“ (Bourdieu 2006: 34). Foto 1 (Deutschland, Zeit unbekannt) 11 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Foto 2 (Deutschland, in der Zeit des Nationalsozialismus) Foto 3 (Land unbekannt, 1920-1930) 12 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 2.3 M esoebene Die Hochzeitsfotografie weist folgenden Mesomerkmale auf: Die Hierarchie einer Gemeinschaft wird deutlich, so dass soziale Rollen und interpersonale Beziehungen aufgezeigt werden; Fotoerwerb oder Fotoaustausch innerhalb einer Gemeinschaft gehören längst zu Benimmregeln und gelten als Respekterweisung. Es gibt nicht viele unterschiedliche Varianten einer typischen Hochzeitsfotografie: Das Brautpaar wird halb und ganz aufgenommen, ein Gruppenfoto vom Paar und Trauzeugen, Gruppenfotos vom Paar und den beiden Elternpaaren. Doch ein bestimmtes Foto ist am wichtigsten und darf auf keinem Fall fehlen. Das ist das Foto von der gesamten Hochzeitsgesellschaft. Dieses Foto ist entscheidend, denn es bezeugt nicht nur den Übergang, den das Brautpaar und die beiden Familien machen, sondern es bezeugt auch die Hierarchie der Gemeinschaft, die sozialen Rollen. Die Aufstellung von Personen auf so einem Foto unterliegt bestimmter konventioneller Ordnung und darf gar als ein Abbild der Hierarchie der Gesellschaft an sich interpretiert werden (vgl. Frizot 1998: 750). Schaut man sich die Beispielfotos 1 und 2, so entdeckt man ganz schnell die wesentlichsten Gemeinsamkeiten. Das Brautpaar wird in die Mitte gesetzt bzw. gestellt. Hinter dem Brautpaar stellen sich die Bekannten und Freunde sowie Familienmitglieder wie Tanten, Onkels, Cousinen auf, also Menschen, die eine Gemeinschaft mit dem Brautpaar teilen, die Gemeinschaft als Masse ausmachen In der ersten Reihe um das Brautpaar sitzen die Großeltern und die Eltern der beiden Vermählten. Diese Personen stehen dem Brautpaar am nächsten und stellen den Kern der Gemeinschaft dar. Die Kinder werden meist ganz vorne platziert. Vermutlich nicht nur weil sie so klein sind, sondern weil sie auch die Zukunft der Gemeinschaft symbolisieren. So sieht nicht nur eine typische Hochzeitsfotografie aus, sondern unsere gesamte Gesellschaft: Die Institution der Familien besteht aus einem Kern und einer Masse, die durch Verwandtschaft und Freundschaft zusammengehalten wird und die Kinder haben immer eine Sonderstellung als Träger der Gemeinschaftszukunft. So wird auch das Brautpaar einst den Kern bilden, um den sich eine weitere familiäre Gemeinschaft bildet, die wiederum ein Teil der Gesellschaft ist. Der Erwerb einer Hochzeitsfotografie durch die Anwesenden ist Pflicht. Wer kein Bild mitnimmt, schließt sich aus der Gemeinschaft aus. So eine Geste gilt als taktlos und kann als persönliche Beleidigung gegenüber dem Brautpaar aufgefasst werden (vgl. Bourdieu 2006: 32). Doch auch diejenigen, die nicht anwesend waren, können sich 13 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. beleidigt füllen, wen Sie kein Hochzeitsfoto zugeschickt bekommen. Die Gemeinschaft will um die Neuankömmlinge wissen, um diese als Teil der Gruppe akzeptieren zu können (vgl. Bourdieu 2006: 34). Oft wird durch den Versand von Hochzeitfotos Kontakt zu fast vergessenen Familienmitgliedern neu aufgenommen, intensiviert (vgl. ebd.: 34). So wird die Einheit der Gemeinschaft bestätigt und stabilisiert. 2.4 M ak roebene Die Hochzeitsfotografie manifestiert nicht nur ein Ehepaar als eine Einheit. Eine Fotografie von der ganzen Hochzeitsgesellschaft manifestiert die entsprechende Gemeinschaft als eine Einheit. Die Hochzeitsfotografie als ein allgemein anerkanntes Ritual manifestiert unsere Gesellschaft als Einheit. Die Konventionen, die bei der Hochzeitsfotografie gelten, sind jedem bekannt. Sie gelten religions-, kultur- und zeitübergreifend sowie international. Fotos 4 und 5 liefern gute Beweise dafür. Nur die Codes der Mikroebene weichen voneinander ab: Die Kleidung und die Umgebung lassen auf die Herkunft der Gemeinschaft schließen. Die Aufstellung der Personen nach sozialer Hierarchie bleibt beibehalten. Die symbolhafte Vereinigung zweier Familien zu einer Einheit ist die zentrale Botschaft der beiden Bildern und der Hochzeitsfotografie an sich. „Im Falle der Hochzeit gehört das Bild, das die versammelte Gruppe, genauer: die Versammlung zweier Gruppen, für die Ewigkeit festhält, notwendig zu einem Ritual, das den Bund zweier Gruppen, der auf dem U mweg über den Band zweier Individuen geschlossen wird, weiht, d. h. sanktioniert und heiligt“ (ebd.: 32). Der Inszenierung einer Gemeinschaft als ein Ganzes bedienen sich oder besser gesagt folgen auch die Adeligen (vgl. Foto 6). Wieder einmal stechen die mikrorituelle Elemente hervor: Kleidung, Accessoires deuten auf eine höhere Gesellschaftschicht hin. Doch auch die Adeligen bestätigen die Struktur unserer sozialen Gesellschaft in ihren Hochzeitsfotografien nochmal und funktionieren gar als Vorbild für tausende Hochzeitsgesellschaften weltweit. Das Traditionelle, das Makrorituelle wird aktiviert. Die wiederholte Visulisierung von bestimmten Mustern auf allen sozialen Ebenen der Gesellschaft lässt diese Muster als einzig richtig erscheinen. Die von allen gesellschaftschichten Schichten anerkannte Muster haben eindeutig einen makrorituellen Charakter. 14 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Foto 4 (Indien, unsere Zeit) Foto 5 (Japan, unsere Zeit) Foto 6 (Hochzeit von Victoria und Daniel von Schweden, 2010) 15 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 3. Hochzeitsfotografie heute Wie bereits erwähnt unterliegen Rituale selbstverständlich gewissen Veränderungen. Je nach Ebene brauchen die Veränderungen ihre Zeit: Auf der Mikroebene setzen sie sich viel schneller durch als auf der Makroebene. Doch sich ganz loszulösen von Ritualen, schafft die Menschheit nicht. Häufig wird angenommen, dass in der modernen Zeit zunehmender Individualisierung Rituale nutzlos und ersetzbar seien. Doch sie bleiben trotzdem bestehen, denn sie dienen heute genauso wie früher der sozialen Sicherheit. Im Wandel zum Individuellen kompensieren die Rituale den Verlust von Gemeinschaft. Sie rufen in jedem von uns das Gefühl der Stabilität hervor und werden dazu trotz ihrer angeblichen Ersetzbarkeit immer und immer wieder betätigt, inszeniert, wiederholt (vgl. Wulf 2007: 180). Besonders unveränderbar und besonders dauerhaft sind die Rituale auf der Makroeben. Die Hochzeit gehört dazu. In jeder Religion, in jeder Kultur bildet die Zeremonie der Hochzeit ein Ritual von enormer Wichtigkeit. So bleibt auch die Hochzeitsfotografie als Ritual dauerhaft bestehen. Das Ritual der Hochzeitsfotografie hat sich mit der Zeit dahingehend verändert, dass sich die mikrorituelle Elemente vervielfacht haben, so dass neue Codes entwickelt wurden; dass sich die Mesoebene dieses Rituals Bedürfnissen und Manieren der modernen Gesellschaft angepasst hat; dass das Ritual sich als ein Makroritual global und international endgültig etabliert hat. Da Hochzeitsfotografie heute ein eigenständiges Genre ist und der Beruf des Hochzeitsfotografen einer speziellen Ausbildung oder zumindest eines speziellen Wissens bedarf, ist es nicht verwunderlich, dass das Spektrum der Hochzeitsaufnahmen gewachsen ist. Heutzutage ist alles von klassischer Hochzeitsfotografie mit typischen traditionellen Motiven, über eine detaillierte Hochzeitsreportage bis hin zum Trash-TheDress möglich und buchbar (vgl. Roggemann 2012). Den Beobachtungen von professionellen Hochzeitsfotografen zufolge geht die Tendenz immer weiter in Richtung der Individualisierung: „modern“, „unkonventionell“ (vgl. Roggemann 2012: 18), „persönlich“ und „informell“ (vgl. Evans 2004: 70, 72) sind dabei die Stichwörter. Es war früher ein kleiner Luxus, sich im Atelier ganz individuell mit einem speziellen Hintergrund fotografieren zu lassen (vgl. Kapitel 2.2 in dieser Arbeit). Heute ist es verwunderlich, wenn bei einer Hochzeit keine persönlichen, einzigartigen und möglichst detaillierten Aufnahmen gemacht werden. Was früher ein Luxus war, ist heute zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die Paare legen Wert auf Drama und 16 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Emotion (vgl. Evans 2004: 70). Jedes Lächeln, jede Träne wollen aufgenommen werden. Natürlich ist dabei zu bedenken, dass diese Tendenz auch der Technik zu verdanken ist. Früher war die Belichtungszeit sehr lang. Daher sieht man auf alten Fotos meist sehr versteifte Gesichter (vgl. Gutsche/Kegler/Prinzen/Suceveanu 2006: 73). Die neue Technik machte es möglich, Hochzeitsaufnahmen spontaner und lebendiger zu machen. Die Individualisierung soll hier verstanden werden als Tendenz, den Fotografen die Einzigartigkeit der Augenblicke dokumentieren zu lassen, damit man sich später auf etwas ganz Persönliches erinnern kann, damit man die intensiven Momente der Freude noch einmal erleben kann. Die Aufgabe des Fotografen besteht also darin, „intensive Erinnerungen zu schaffen“ (Roggemann 2012: 20). Doch die Individualisierung äußert sich auch auf eine andere Art. Viele Paare wollen das Konventionelle überwinden und lassen sich aus ungewöhnlichen Perspektiven, in ungewöhnlichen Posen, an ungewöhnlichen Orten aufnehmen, um damit ihre modern Einstellung, ihre Originalität zu bezeugen. Man will sich heutzutage von anderen Paaren abheben und von der spießigen Gesellschaft da draußen distanzieren. Nicht nur die Emotionen wurden zum Objekt, sondern auch die vielen Details, die früher immer in den Hintergrund gerückt waren. Die Codes wurden zur Tradition. Man kann heute das Kleid der Braut in den Mittelpunkt stellen (Trash-The-Dress). Eine Aufnahme von den Schuhen der Braut ist zur Pflicht geworden: „Die Brautschuhe sollte man bei der Vorbereitung immer einmal ‚solo‘ fotografieren“ (ebd.: 46). Doch die neue Art der Aufnahmen verdrängt nicht die typischen und traditionellen Gruppenfotos. Einige Paare lassen Gruppenfotos zu, um den Eltern ein Gefallen zu tun (vgl. Evans 2004: 72). Dies ist schon ein Zeichen dafür, dass die Mesoriten bewahrt werden: Man erfüllt die Erwartungen der Gemeinschaft, um diese zu sichern. Die Fotos sollen allen gerecht werden, denn sie sind ja nicht nur da, um das Paar originell darzustellen, sondern um zwei Familien harmonisch zu vereinen (vgl. Roggemann 2012: 18). Oft werden Fotografen nicht nur unmittelbar zur Hochzeit eingeladen, sondern schon zum Abend der Vorbereitung. An so einem Abend kommen die beiden Familien vielleicht zum ersten Mal vollständig zusammen, lernen sich näher kennen (vgl. Roggemann 2012: 43). Die an so einem Abend entstandenen Fotos legen den ersten Stein auf dem gemeinsamen Wege der neu zusammengestellten erweiterten Gemeinschaft, die am Tag der Hochzeit in einem Gruppenfoto ihre offizielle Entstehung manifestiert. 17 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. Zusammenfassend kann man also sagen, dass die moderne Hochzeitsfotografie den Anspruch hat, dem Zeitgeist aber auch der traditionellen Sichtweise gerecht zu werden. Nicht nur das Bedürfnis nach Originalität wird gestillt, sondern auch die rituelle Ordnung wird bewahrt. Als Makroritual ist die Hochzeitsfotografie international und interkulturell anerkannt. Sie bezeugt mittlerweile nicht nur eine bestimmte Familiengemeinschaft als Ganzes und repräsentiert die Ordnung der sozialen Gesellschaft, sondern sie schweißt die ganze Gesellschaft zusammen. Die Hochzeiten von Royals und Stars sind längst zu Medienereignissen geworden. Schaut man sich die Live-Übertragung so einer Hochzeit im Fernsehen an, hat man das Gefühl, man nimmt unmittelbar an der Hochzeitszeremonie teil. Die Hochzeitsfotos der Mächtigen dieser Welt gehen um die Welt. Wenn solche Fotos durch die Medien gehen, fühlt sich jeder angesprochen, denn jeder versteht die Botschaft dieser Bilder. Solche Bilder sichern die Tradition, das Ritual der Hochzeitsfotografie. Doch sie sichern auch die Stabilität der Gesellschaft durch das Gefühl der Einheit und der Zugehörigkeit, die durch diese Bilder ausgelöst werden. Jeder erklärt sich mit diesen Bildern einverstanden, identifiziert sich mit ihnen, fühlt sich als Teil der Hochzeitsgesellschaft und somit der Gesellschaft an sich (vgl. Foto 7). So wird das kollektive Wissen unserer Gesellschaft kontrolliert und gesichert. Foto 7 (Deutschland: Hamburg, 2011)3 3 Die Ostfriesische Tee Gesellschaft in der Hafen City in Hamburg nahm die Hochzeit des Prinzen von Wales als Anlass für eigene Hochzeitsfeier mit dem entsprechenden Brautpaar aus Pappe (vgl. Bildquelle). Das Foto zeigt die „Hochzeitsgesellschaft“. 18 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 4. Schluss Die Analyse des Rituals der Hochzeitsfotografie führte zum Ergebnis, dass dieses Ritual alle der Ebenen eines Rituals nach Bergesen abdeckt. Es beinhaltet wie Elemente der Mikro- so auch Elemente der Mesoebene. Das Ritual insgesamt ist der Makroebene zuzuordnen. Die mikrorituellen Elemente findet man auf einer Hochzeitsfotografie in Form von allgemein bekannten Symbolen der Hochzeit sowie auch in weiteren Details, die die Herkunft, die soziale oder die kulturelle Zugehörigkeit verraten. Auf der Mikroeben wird die Gemeinschaft angesprochen, die diese Codes kennt. Einerseits werden also alle angesprochen, die das Ritual der Hochzeit kennen und andererseits diejenigen, die der speziellen Gemeinschaft angehören, deren Mitglieder abgebildet sind. In der heutigen Zeit gewinnen Codes immer mehr an Bedeutung. Durch bestimmte materielle Details und körperliche sowie emotionale Einzelheiten lässt sich eine Hochzeitsfotografie individueller gestalten. Diesen Anspruch haben viele junge Paare der heutigen Generation, da sie sich von der grauen Masse abheben möchten und an das Unkonventionelle glauben. Der Mesoebene ist die Aufstellung der Personen zuzuordnen. Die Aufstellung auf allen Gruppenfotos aller Hochzeiten ist von einem bestimmten Muster geprägt. Dieses Muster verrät nicht nur die soziale Ordnung in der abgebildete Gemeinschaft, sondern auch die soziale Hierarchien, die allgemein in der Gesellschaft wiederzufinden und akzeptiert sind. Ein Foto der gesamten Hochzeitsgesellschaft ist auch heute noch Pflicht und darf neben den ganzen kreativen und originellen Aufnahmen nicht vergessen werden. Um von der Gemeinschaft akzeptiert zu werden, muss sich jedes Paar dem Ritual der klassischen Hochzeitsfotografie unterwerfen. Die Eltern und andere Verwandten erwarten diese Form von Respekt und Benehmen. Die Hochzeitsfotografie markiert nicht nur einen Übergang für das Brautpaar, sondern auch einen Übergang für die beiden Familien, die sich vereinen. Ein Foto der gesamten Hochzeitsgesellschaft manifestiert das Ehepaar als ein Ganzes und die Gemeinschaft der beiden Familien als ein Ganzes. Heutzutage manifestiert die Hochzeitsfotografie oft auch die ganze Gesellschaft als ein Ganzes, indem sie durch die Medien an der entsprechenden Hochzeit quasi teilnehmen lässt, alle Welt anspricht, von jedem verstanden und akzeptiert wird. Die Botschaften der Hochzeitsfotografie bleiben unabhängig von Kultur, Religion, Zeit und gesellschaftlichem Status dieselben. 19 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird. 5. L iteraturverzeichnis Bergesen, Albert (2003). „Die rituelle Ordnung“. Ritualtheorien: Ein einführendes Handbuch. Belliger, Andrea/Krieger, David J. (Hrsg.). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag/GWV Fachverlage GmbH. S. 49-76). Bourdieu, Pierre (2006). „Kult der Einheit und kultivierte Unterschiede“. Eine illegitime Kunst: Die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie. Bourdieu, Pierre/Boltanski, Luc (Hrsg.). Hamburg: EVA | Europäische Verlagsanstalt. S. 25-59. Evans, Duncan (2004). Digitale Porträtfotografie . Reinbek bei Hamburg: Rowolth Taschenbuch Verlag. S. 70-73. Freund, Giséle (1989). Photographie und Gesellschaft. Reinbek bei Hamburg: Rowolth Taschenbuch Verlag GmbH. 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Bildquellen: Foto 1: <http://www.museum-wahlstedt.de/wb/media/.gallery/main35.jpg> Foto 2: <http://1.bp.blogspot.com/as7cdEYxn0U/Tk98j8h0mXI/AAAAAAAASEI/M_Jw5uNaBtA/s1600/Doernach_1940 9999_ca_Wezel.jpg> Foto 3: <http://www.google.de/imgres?start=299&biw=1366&bih=674&tbm=isch&tbnid=5xZ DZbt1jTmTPM%3A&imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.allerleih.com%2Fproduct%2Fhochzeitsfoto-1920er%2F&docid=SBGCSB49B5qTM&imgurl=http%3A%2F%2Fwww.allerleih.com%2Fstatic%2Fimages%2Fproductimage-picture-hochzeitsfoto-1920er8956_jpg_200x200_q85.jpg&w=129&h=200&ei=w5sIU5v2BombtQbAYHYCA&zoom=1&iact=rc&dur=314&page=13&ndsp=25&ved=0CEIQrQMwFDisAg > Foto 4: <http://img.welt.de/img/panorama_ipad/crop102072543/9610718856-ci3x2l-w580aoriginal-h386-l0/mittal-guests-DW-Politik-Stralsund.jpg> Foto 5: <http://www.rtd-reisen.de/galerie/japan/00152.jpg > Foto 6: <http://image.gala.de/v1/cms/If/21-jun-8-get_4804820-ORIGINALimageGallery_standard.jpg?v=6742675> Foto 7: <http://www.google.de/imgres?start=144&biw=1366&bih=674&tbm=isch&tbnid=8Q4 EUiswOLkjM%3A&imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.hafencitynews.de%2F%3Fp%3D1527& docid=hL0vp_tuEI5B-M&imgurl=http%3A%2F%2Fwww.hafencitynews.de%2Fwpcontent%2Fthemes%2Fresponz%2Fthemify%2Fimg.php%253Fsrc%253Dhttp%3A%2 F%2Fwww.hafencitynews.de%2Fwpcontent%2Fflagallery%2Fhcn%2Fgastronomie%2Fmomentum%2Froyalviewing%2F_ DSC0040.jpg%2526w%253D642%2526h%253D263%2526zc%253D1%2526q%253D 100%2526a%253Dc&w=642&h=263&ei=HvIJU9ndBYXRtQaDyoGYBg&zoom=1&i act=rc&dur=398&page=7&ndsp=25&ved=0CMYBEK0DMEA4ZA> 21 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt. Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.