VIDEOPANEL 2008

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VIDEOPANEL 2008
VIDEOPANEL 2008
Judith Albert (Zürich)
Sarah Baker (London)
Samuel Beckett/Marin Karmitz (Paris)
Cordula Ditz (Hamburg)
Karina Nimmerfall (Berlin)
Astrid Nippoldt (Berlin/Bremen)
Jenny Perlin (New York)
Eske Schlüters (Hamburg)
Miri Segal (Tel Aviv)
Amie Siegel (New York)
Nadim Vardag (Wien)
und ist technisch wie entstehungsgeschichtlich zwischen dem analogen Film und
dem digitalen Hypermedium Computer zu verorten. Video profitiert von beiden
Technologien und entwickelt eigene Kennzeichen, ohne seine ‚Konkurrenten’zu
ersetzen. Es hat im Gegenteil das digitale Format heute die elektronische Magnetbandaufzeichnung nahezu vollständig abgelöst. Dennoch prägen die ästhetischen
Errungenschaften von Video weiterhin die visuelle Kultur: Feedback, FoundFootage, Zitat und Aneignung, Loop, Entschleunigung, 3-D Animation und die
räumliche Installation stellen formale Verbindungen zwischen den Medien Film,
Video und Computer her.
Die Ausstellung umfasst Filme und Videos mit den Formaten Second Life,
Digital Video, 16 mm Film, 35 mm Film, Farbe, S/W, mit und ohne Ton, bei einer
Gesamtlänge von 110 Minuten. Eine Jury wählt eine Arbeit für den 2. Internationalen
Videokunstpreis/Hamburg aus, der von Pilsner Urquell gestiftet wurde. Die Besucher
entscheiden über den Feedback-Preis, dotiert von Glashäger.
VIDEOFORM FILMFORM
Stile der Stadt präsentiert das VIDEOPANEL 2008 in einem ehemaligen Weinladen
auf St. Pauli mit einer Ausstellung über wechselseitige Einflüsse zwischen Film,
Video und Kunst. Eingeladen sind elf Künstlerinnen und Künstler, die mit ihren
Stile der Stadt after curating the first Videokunstforum 2006 now presents
Videos auf altbekannte Formate des Kinos zurück greifen wie beispielsweise den
the VIDEOPANEL 2008, this time in a former wine store in Hamburg-St. Pauli.
Dokumentarfilm, Theaterfilm, Revuefilm, Horrorfilm, Autorenfilm, die Filmerzählung
The exhibition is concerned with mutual influences between film, video, and art.
oder das architektonische Filmset. Filmsequenzen werden verlangsamt, zerlegt,
Eleven international artists are invited. They are referring to well-known
rekonstruiert und unter neuem thematischen Blickwinkel zusammen gesetzt.
formats of cinema like the documentary film, theatre film, revue film, horror film,
Sie betreffen filmische Zeitverläufe, Schnittechniken, das Bildgedächtnis, die
independent film, the narrative movie or the architectural film set. Sequences
Erzeugung von Atmosphären und virtuelle Realitäten. Eine Gemeinsamkeit der
of these films are reduced, dissected, cut up, reconstructed, and put together
Filme und Videos der Ausstellung ist der wiederkehrende Impuls, scheinbar
again after selected topics. The subject matter concerns temporal filmic processes,
unverbundenene parallele Ereignisse aufeinander zu beziehen und die Erfahrung
the visual memory, atmospheric generation, virtual reality, gender-trouble or
des Zeit-Raum-Kontinuums durch den Einsatz von Medien zu verändern.
political spying. Inventions of video esthetics are used like feedback, found-
Film hat wie kein anderes Bildmedium die Arbeitsteilung im Kapitalismus an
sich selbst vollzogen und im frühen 20. Jahrhundert zur neuen Industrieform
footage, appropriation, loop, deceleration, 3-d animation, and the videoinstallation.
The exhibition shows film and video in the formats second life, digital video,
entwickelt. Video resultiert, wie das Fernsehen, aus Erfindungen während des
16 mm film, 35 mm film, colour, b/w, with and without sound, and an overall
zweiten Weltkriegs. Es steht als elektronisches Medium der Postmoderne näher
duration of 110 minutes.
Judith Albert
wissen und glauben
2006 DVD, Farbe, Ton, 2:55 Min., Loop
Die Bestimmung der Grenze zwischen Wissen und Glauben wird durch den Film herausgefordert. Seine
Tricktechniken und Apparate ermöglichen die Illusion des bewegten Bildes einerseits und andererseits
wird Film oftmals Beweis führend eingesetzt, selbst im Spiritismus. Nur Poesie und Bildsprache vermögen es, die Parallelen zweier derart gegensätzlicher menschlicher Begabungen, wie die Fähigkeit
zu wissen und das Vermögen zu glauben, anschaulich zu machen.
Die Schweizer Künstlerin Judith Albert stellt aus ihrem umfangreichem Bildmaterial kurze Videos mit
einfachen, einprägsamen und poetischen Bildern zusammen. Sie schläft beispielsweise unter Wasser
(Livingroom, 1998), bändigt Lichter (Handzahm, 2001), oder gießt auf ewig Milch in einen Krug, gezeigt
als Endlos-Loop (Zwischen der Zeit, 2004). Ihre Motive sind malerisch. Meist agiert sie allein vor einer
fest stehenden Kamera mit einer Einstellung. Manches Video ist anschließend digital überarbeitet
worden. Albert vertraut auf die Magie der Bilder, die sie mit großer Präzision und Ruhe wie kurze Verse
aufbaut. Die kristalline Formstrenge japanischer Haiku Lyrik hat ihre Arbeitweise stark beeinflusst.
Landschaften, phantasievolle Beobachtungen und eigene Kindheitserinnerungen werden in ihrem bisherigen Videowerk als ein Mosaik wunderlicher Momente erkennbar.
The definition of the relation between knowing and believing is challenged by the film. Its animation
and its apparatus afford the illusion of a moving image on the one hand and on the other hand it
is used as evidence, even in spiritism. Just poetry and imagery are able to capture the parallels of
these apparently separated human gifts, the capability of knowing and the power of believing.
The swiss artist Judth Albert compiles from her notable video material short films with simple,
memorable and poetic images. She is sleeping underwater (Living Room, 1998), restraining lights
(Handzahm, 2001), or is for ever pouring milk into a jar shown as an endless loop (Zwischen der Zeit,
2004). Her motives are painterly. Mostly she films as well as acts on her own in front of the camera.
One shot, one fixed angle. Many videos are carefully edited with the computer. Albert relies on
the magic of images, built with patience and precision like a short verse. The crystalline japanese
Haiku lyric is very influential for her artistic approach. Her videowork whether landscapes, phantastic
observations und memories of childhood become momentary capricious mosaics.
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Judith Albert *1969, lebt in Zürich www.likeyou.com/judithalbert
Ausstellungen (Auswahl):
2007 Promenade, davel 14, Cully
2006 marks blond, Project - Raum für zeitgenössische Kunst in Bern
2005 Kein Wasser, kein Mond, Nidwaldner Museum, Stans
2003 Bad Hotel – Videokünstler schlafen mit ihren Videos, Zürich
2000 Still Reality, Stadtgalerie Bern
Stipendien/Preise (Auswahl):
2007 Cité International des Arts, Paris
2006 Swiss Art Award, Schweiz
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Sarah Baker
Portrait of Bill May
2004 DVD, Farbe, Ton, 7:12 Min., Loop
Bill May ist wahrscheinlich der beste Synchronschwimmer der Welt in einer Disziplin, die eigentlich nur
Frauen offen steht. Austrainiert wie ein Griechengott, gleitet er mit der Grazie einer Ballerina scheinbar
schwerelos durch den Pool. Sarah Baker kennt ihn seit ihrer Jugendzeit als Synchronschwimmerin
vom gemeinsamen Training. Im Alter von 17 Jahren hörte sie auf mit dem Leistungssport, Bill May ist
heute Trainer der amerikanischen Olympiaauswahl der Frauen. Das Video portraitiert Bill mit der unverhohlenen Lust am amerikanischen Erfolgstraum, an Louis-Vuitton-Glamour und der No.1-Attitude, und
schließlich am Sexappeal des Wasserballetts zum Rap von D12, Usher und Obie Trice.
Synchronschwimmen gibt es als Wettkampfsport seit dem frühen 20. Jahrhundert. Die Aqua-Musicals
in Hollywood und der Filmstar Esther Williams machten es in den 1950er Jahren weltweit populär als
perfekte Einheit von Show, erotischem Glamour und weiblicher Anmut. Sarah Baker, die sich spielerisch
mit den Attitüden des Starkults zwischen Fake und Girlie-Centrefold selbst in Szene setzt, dreht für
Bill May das Gender-Problem der badenden Venus um 180 Grad und zeigt einen wettbewerbstauglichen Athleten der Konsumgesellschaft, der bewundernswürdig mit den Geschlechterrollen spielt.
Baker kreiert mit einfachen Bearbeitungstechniken des digitalen Videos ein Ornament der Körper, das
die Ambivalenz zwischen Affirmation und Kritik an der grenzenlosen Künstlichkeit in Leistungsport und
Unterhaltungsindustrie aufzeigt.
Bill May was probably the best Synchronised Swimmer in the world in a discipline accessible for
women only. Shaped like a Greek-god and with the grace of a ballerina he is sliding apparently
means of digital technology, showing the ambivalence between affirmation and critique of the artificiality
agravic through the swimming pool. Sarah Baker has known him since her time as a Synchronised
of competitve sport and entertainment industry.
Swimmer, when they competed against one another. At the age of 17 Baker left competitive sports,
Bill May continued to compete and later became an assistant coach to the American Olympic
women's team, and now you can see Bill May in Las Vegas at the water Cirque du Soleil „O“. Baker´s
video portrays Bill May with a hedonistic lust for the American dream, the Louis Vuitton glamour and
No. 1 attitude, and finally the sex-appeal of aqua-ballet set to the rap of D12, Usher, and Eminem.
Synchronised Swimming has been a competitive sport since early 20th century. The aqua-musicals
of movie star Esther Williams made it worldwide popular in the 1950s as the perfect embodiment of
performance, erotic glamour and feminine grace. Sarah Baker, who enacts herself playfully with the
attitude of a star between fake and girlie-centrefolds, turns upside down the gender problem of the
bathing Venus and shows in this video a competitive athlete of a consumer's society, who plays an
Sarah Baker *1977, lebt in London www.sarahbaker.com
Ausstellungen (Auswahl):
2006 LOOP, Video Art Fair, Barcelona
2005 Picture This, Museum Dhondt-Dhaenens, Belgium
2004 A Portrait of Bill May, 1 000 000 mph project space, London
Stipendien/Preise (Auswahl):
2006 Arts Council England’s Own Art commission
2004 Arts Council England individual grant
1999 Merit Scholarship, San Francisco Art Institute
1985-94 Synchronschwimmerin, Gold, Silber, Bronze Medaille, USA
admirable game with the gender casts of our society. Baker creates an ornament of bodies by simple
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Samuel Beckett / Marin Karmitz
Comédie
1966 35 mm Film übertragen auf DVD, S/W, Ton, 18:43 Min.
Regie: Marin Karmitz Mit: Eléonore Hirt, Michael Lonsdale, Delphine Seyrig
Courtesy carlier | gebauer, Berlin
Für die Venedig Biennale des Jahres 1966 hat Samuel Beckett in Zusammenarbeit mit Marin Karmitz
ein großartiges „bildskeptisches Werk“ erarbeitet, die Verfilmung Comédie nach seinem Theaterstück Play. Die Aufführung geriet zu einem Skandal. Der Film war anschließend für Jahrzehnte
verschollen und wurde erst 2001 auf der Biennale wieder aufgeführt.
Drei Köpfe, drei Urnen, kein Dekor. Zwei Frauen (F1 und F2) und ein Mann (H1), ergehen sich in
einem unverständlich schnellen Parlando über ihre Dreiecksbeziehung und reden aneinander vorbei.
Sie stecken bis zum Nacken in Urnen, die nur ihre weiß geschminkten Gesichter und Haare frei
geben. Wann immer eine Person das Wort ergreift wird sie durch einen Scheinwerfer angestrahlt.
Der Spot scheint das Kauderwelsch der Sprache zu dirigieren. Harte Schnitte und wechselnde
Brennweiten rücken dem Betrachter die Personen in Großaufnahme übernah oder in die Ferne eines
unbestimmten dunklen Raumes. Die unfilmische Bildsprache, der rüde Schnitt und das unverständliche Stakkato der Stimmen, die im Tonstudio von Nachhall und Pausen befreit wurden, erzwingen
eine einmalige „‚optical experience‘ (Beckett)“, die nicht zu allen Zeiten goutiert werden konnte.
Manches Stilelement der Populärkultur in Sound Poetry, Cut Up, Hip Hop und Musikvideo wurde mit
diesem Film vorweg genommen. (www.carliergebauer.com, Zugriff 29.12.2007).
For the Venice Biennial in 1966 Samuel Beckett realized in cooperation with Marin Karmitz a splendid
„image sceptical work“, the film Comédie after his Play. The world premiere became a scandal.
The movie was subsequently lost for decades and was eventually re-shown at the Biennial in 2001.
Three heads, three vases, no decoration. Two women (F1 and F2) and one man (H1) are talking past
each other in an incomprehensible fast parlando about their triangle relationship. They are hidden
up to the neck in vases, presenting their white painted faces and hair only. Whenever one person
starts talking, she or he will be lit by a spot. These spots seems to conduct the gibberish. Rough
cuttings and changing focal distances show the person in a close-up view, almost too close, or from
a distance in a dark and indistinct space. The tough, non-filmic visual imagery, the rude cuttings, and
the inscrutable staccato of the voices, cleared from its echoes and breathing breaks by final sound
editing, enforce an „optical experience“ (Beckett) for the spectator, which has not been amusing at
all times. Some stylish element of popular culture in Sound Poetry, Cut Up, Hip Hop and music clips
Samuel Beckett 1906-1989
Marin Karmitz *1938, lebt in Paris
Ausstellungen (Auswahl):
1977 documenta 6, Kassel
1974 Gründung der Filmgruppe MK2, Paris, später Produzent
1966 Biennale di Venezia, Venedig, Film-Uraufführung von „Comédie“
Filme (Auswahl):
1972 Coup pour coup
1969 Camarades
1968 Sept jours ailleurs
1966 Adolescence
1966 Comédie,
1964 Les Idoles
1964 Nuit Voire, Calcutta
has been anticipated by this film. (www.carliergebauer.com, 29.12.2007).
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Cordula Ditz
Nightmare on Elmstreet 02:36:21
2007 DVD, Farbe, Ton, 2:37 Min.
Das Schreckliche am Horrorfilm ist billigerweise die Erwartung des Menschenopfers, die streiflichternden irren Augen und aufgerissenen Münder, die Masken und der Schock vis-à-vis mit dem Killer.
Es ist einem nur selten bewusst, wie eng diese Effekte des Films mit der Präsenz von Personen
verknüpft sind, insbesondere in einem Horror-Kultfilm der 1980er Jahre, dessen eigentliches Thema
die ausschweifenden Phantasien von Teenagern ist. Was aber geschieht, wenn alle diese Seelen
herausgeschnitten werden, wenn alle Menschen und Tiere im Film systematisch ausgelöscht
werden? Das Erzählformat schrumpft von 91 Minuten Länge auf exakt 2 Minuten, 36 Sekunden
und 21 Frames. Der Effekt haschende Schrecken wird zum unheimlichen menschenleeren Filmset.
Der Rhythmus gewinnt an Tempo, die Bilder stürzen übereinander, sie geraten ins Stolpern, aber,
erstaunlich, ohne ihr Ziel zu verfehlen, denn die Atmosphäre des guten Films bleibt erhalten:
‚sprechende’ Einstellungen, Töne, Architektur, Kamerabewegungen, Farbigkeit und düsteres Licht.
Der zerhackstückte Horror wirkt unverstellt, wie befreit von den quälenden Bildern, den pubertären
Angstprojektionen und adulten Phobien. Als ob man die Augen öffnete und weiter träumte.
The frightening effect of horror films simple as it seems, is the expectation of a human victim, funky
lunatic eyes, and torn open mouths, the masks, and the shock of a killer face to face. The close
connection between the personal and the effect scarcely comes to mind, especially in a cult horror
movie of the 1980s whose hidden subject is the excessive phantasy of teenagers. What happens if
all these souls are cut out, if every human and each animal is systematically erased? The narration
time shrinks from 91 minutes to 2 minutes, 36 seconds and 21 frames. The effective fright takes
on the uncanny look of an evacuated filmset. The rhythm accelerates, the images rush upon each
other, they tumble, but, astonishingly, they don’t fall short of their intention, since the good film’s
atmosphere stays: expressive pictures, sounds, architecture, pan shots, colour, gloomy lights.
The chopped up horror appears undisguised, freed from torturing images, the teen angst and adult
phobia. Like awakening and dreaming on.
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Cordula Ditz *1972, lebt in Hamburg www.corduladitz.de
Ausstellungen (Auswahl):
2007 EHF, Konrad Adenauer Stiftung, Berlin
2006 From Top To Bottom and from End To End, Westbau, Wien
2005 Nomadenoase, Hamburg
2005 Real Presence, Museum of Applied Art, Belgrad
Stipendien/Preise (Auswahl):
2007 Else Heiliger Fond der Konrad Adenauer Stiftung
2005 Ditze Begabtenförderung, Hamburg
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Karina Nimmerfall
Executive Office (Contemporary Modern)
2007 2-Kanal Raum-Videoinstallation, Farbe, kein Ton, Loop
Sie nutze die „Bildökonomie Hollywoods, um Raum-Bilder zu konstruieren“, sagt die österreichische
Künstlerin Karina Nimmerfall. Sie analysiert so genannte ‚Establishing Shots‘, wohl kalkulierte
Überblicksbilder zu Beginn eines Films, die eine Stimmung charakterisieren sollen. Ausgehend von
der Geometrie solcher Bilder errichtet sie Wandbauten. Die projizierten Aufnahmen basieren zumeist
auf Stills aus populären Fernsehserien. Nimmerfall übersetzt ebenso deren Farbigkeit und Farbtemperatur in die präzise räumliche Anordnung. Die Installation ist begehbar. In Bewegung verändern sich die Perspektiven und vervielfältigen den Fluchtpunkt. Man steht nicht vor einem Bild sondern wird ein Teil davon. Durch einfachste Architektur werden die Gegensätze Innen – Außen, echt –
nachgemacht, Vorstellung – Wirklichkeit zu unscharfen Parametern. Das klassische Bildtableau ist
aufgesprengt in viele Einstellungen durch den Betrachter, der sichtbare Oberflächen und Strukturen in eine
visuelle und räumliche Beziehung zueinander bringt. Die Bildmotive sind von Nimmerfall zum Teil am
Computer überarbeitet oder auch vollständig simuliert und bekannten Fernsehatmosphären angeähnelt:
Executive Office sieht aus wie beispielsweise ein Büro aus der TV-Serie Dallas. Die eingestreuten
Stimmungsbilder in Hollywoodfilmen sind kein Stück ‚echter’ als Nimmerfalls angeeignete Motive, sondern
beide sind mediale Artefakte und beanspruchen ihre eigene Wirklichkeit. In Nimmerfalls schweigsamem,
leergefegtem Büro-Raum-Bild sind die Gespenster der Postmoderne zu Hause. (Zitiert nach Ausst.-Kat.
Karina Nimmerfall, Diamonds on Velvet, Wien 2004, o. P.)
She is using „Hollywood´s economy of images to build spatial-images“, says the austrian artist Karina
real than Nimmerfalls appropriated motifs, both are medial artfacts and lay claim their own reality.
Nimmerfall. She combines scenery walls with projected images often based on filmstills appropriated
Nimmerfalls silent empty and blank office-space-images are ghosthaunts for the Postmodern.
from popular tv-sequels. The so called establishing shots are well calculated panoramic views shown at
the beginning of a film in order to embed a specific atmosphere. Nimmerfall translates the internal
geometry of these shots as well as its colour and colour temperature into a precise spatial arrangement.
The installation is accessible. While moving through the installation the perspectives are changing and
multiply the vanishing point. One does not stand in front of an image but becomes part of it. By use of
basic architecture, inside – outside, original – fake, imagination – reality become blurry parameters. The
classical tableau is burst into many takes by the observer, bringing surfaces and structures into a visual
and spatial relation. The images are partly reworked at the computer or even completely simulated and
liken well-known tv-atmospheres: Executive Office resembles the look of a building in the tv-serial
Dallas for example. The images of ambient dispositions strewn in Hollywood movies are no more
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Karina Nimmerfall *1971, lebt in Berlin
Ausstellungen (Auswahl):
2007 Power Play, Landesgalerie Linz
2006 Double Location, Bucket Rider Gallery, Chicago
2005 Second Unit, Galerie Grita Insam, Wien
2004 Day for Night (Amerikanische Nacht), Bucket Rider Gallery. Chicago
2000 Video Home, KX.Kampnagel, Hamburg
STIPENDIEN/PREISE (AUSWAHL):
2007 Cité Internationale des Arts, Paris
2003/04 Auslandsstipendium BKA Wien, Artist in Residence, Chicago
2002 MAK Schindler Stipendium. Artist in Residence, MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles
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Astrid Nippoldt
Fog on Nov. 2
2004/2007 Webcam übertragen auf DV, übertragen auf 16 mm Film, Farbe, kein Ton, 16:12 Min., Loop
Immer wieder steht zu befürchten, dass der majestätische Mount St. Helens, im Süden des Bundesstaats Washington in den USA gelegen, erneut ausbricht. Der Vulkan gehört zu der Kette der Kaskaden
im pazifischen Feuergürtel. Er hat für die Indianer der Nordwestküstenkultur mythische Bedeutung. Sie
nannten ihn Louwala-Clough, Feuerberg, und schrieben ihm weiblichen Geist zu, wegen seiner schönen
Form. Später hieß der Berg auch Fuji-san of America. Ein Ausbruch zerstörte 1980 seine Ebenmäßigkeit. Im Oktober 2004 kam es zu weiteren seismischen Aktivitäten. Ranger stellten eine Überwachungskamera auf, die alle fünf Minuten ein Status-Bild per Internet in die Welt sandte.
Am 2. November 2004 fanden die U.S. amerikanischen Präsidentschaftswahlen statt. Astrid Nippoldt
speicherte die Vulkanbilder dieses Tages auf ihrer Festplatte, bearbeitete sie als Digital Video und
kopierte die Daten anschließend auf 16 mm Film. Zu sehen ist die umgekehrte Übertragungsrichtung:
mit einem 16 mm Filmprojektor wird das transferierte Video aus Einzelbildern einer Webcam in einer
Endlosschlaufe abgespielt. Der Berg im Nebel aus elektronischen Artefakten zeigt Erhabenheit und
Schönheit neben der ratternden Melancholie eines Projektors. Das Bild könnte direkt auf Hokusai oder
europäische Vulkanbilder des 18.-19. Jahrhunderts verweisen, wenn es nicht so technisch erzeugt und
in den aktuellen politischen Kontext gerückt worden wäre. Es braucht ein gutes Händchen, um parallele
Ereignisse lapidar miteinander zu verknüpfen.
A sense of permanent suspense surrounds the majestic Mount St. Helens, south of Washington state,
as further eruptions can be expected. The volcano is part of the Cascade range, a segment of the
pacific ring of fire. It is of a great importance for the legends of the northwest native americans. They
called it Louwala-Clough, which means „smoking or fire mountain“ and dedicated it to a female spirit
due to its harmonious form. The eruption of 1980 destroyed its well formed proportions. In October
2004 more seismic activities were registered and the park rangers installed a video camera to transmit
via internet one picture every 5 minutes.
On November 2nd 2004 the day of the U.S.presidential elections, Astrid Nippoldt saved all the internet
pictures of the volcano on her hard drive, reworked it to digital video and copied it to a 16 mm film.
What you see is the transmission reversed: from a 16 mm film projector the transfered video consisting
of single shots with a webcam is now presented as an endless loop. The foggy mountain consisting of
electronic artefacts shows the sublime and the beautiful beside the melancholically clattering projector.
Astrid Nippoldt *1973, lebt in Bremen und Berlin www.astridnippoldt.de
Ausstellungen (Auswahl):
2007 Made in Germany, Kunstverein Hannover
2007 Kunstpreis der Böttcherstraße, Kunsthalle Bremen
2006 New Narratives/Strangely Familiar, Centre Culturel de Suisse, Paris
2003 Festival International d’Art Vidéo de Casablanca, Villa des Arts, ONA Foundation, Marokko
Stipendien/Preise (Auswahl):
2007 ars viva 07/08 Sound, Preis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft im BDI
2006 Künstlerstipendium Villa Massimo Rom
2006 Stipendium der Kulturstiftung der Länder
2004-2005 Jürgen-Ponto-Stiftung, Frankfurt am Main
2004 Atelierstipendium Cité Internationale des Arts Paris
The picture could maintain the tradition of a Hokusai or european volcano paintings if it were not so
technical and political. Nippoldt shows a lucky hand to associate parallel events in such a pithy way.
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Jenny Perlin
Transcript
2006 16 mm Film übertragen auf DVD, Farbe, Ton, 11:25 Min.
Regie und Kinematographie: Jenny Perlin
Mit: Kittson O’Neill als Vivian Pataki, Ross Beschler als Ernest Pataki, David Brooks als Max
Finestone, Rachel Schwartz als Annette Finestone, Lanna Joffrey als Erzähler.
Sound Design: Bill Seery-Mercer Media, New York, Jenny Perlin, Daniel Perlin
Sound mix: Bill Seery-Mercer Media, New York
Courtesy Galerie M+R Fricke, Berlin
„Das Archiv The Perlin Papers befindet sich in der Juristischen Fakultät an der Columbia Universität
(USA) und enthält 250.000 Dokumente, die mit dem Fall Julius und Ethel Rosenberg zu tun haben, die
1953 wegen Sowjetspionage angeklagt und zum Tode verurteilt wurden. Noch zwei Jahrzehnte danach
wurden hunderte von Leuten vom FBI ausspioniert, die mit diesem Fall in Verbindung gebracht wurden.
Das Archiv wurde nach dem Cousin meines Großvaters benannt, dem Anwalt Marshall Perlin, der in
den frühen 1970er Jahren bei der U.S. Regierung durchsetzte, dass diese Papiere der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht wurden, und ist eine der ersten Fälle freier Nutzung von Regierungs-Informationsquellen. Der Text entstammt einer Abschrift einer Dinner Party vom Oktober 1953, die vier Monate nach
der Exekution der Rosenbergs stattfand. Am 30. Oktober belauschte Agent NY-964-S zwei Paare bei
einer Dinner Party in einem Apartment im West Village in NY. Beide Paare waren mit den Rosenbergs
befreundet und mussten vor dem Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten über ihre Rolle im
‚Commie-Spionagering‘ aussagen. NY-964-S kann etliche Details der Unterhaltung nicht hören und
ersetzt die Worte, die er akustisch nicht versteht. Obwohl der größte Teil nicht gehört werden kann,
spürt man, dass die Gäste der Dinner Party wissen, dass sie belauscht werden.“ (Galerie M+R Fricke,
©Jenny Perlin).
inaudible, but one gathers that the guests at the dinner party know they are being spied on.“ (Galerie M+R
Fricke, ©Jenny Perlin).
„The Perlin Papers, an archive located at Columbia University Law School, contains 250,000 documents
related to the case of Julius and Ethel Rosenberg, who were tried and executed in 1953 for alleged
espionage for the Soviet Union. For two decades after the execution, the FBI spied on hundreds of people
tangentially connected to the case. The archive is named for my grandfather´s cousin, lawyer Marshall
Perlin, who forced the U.S. government to release the papers in the early 1970s, in one of the first
successful uses of the Freedom of Information Act. The text comes from an October 1953 transcript of
a dinner party that took place four months after the Rosenbergs´ execution. On October 30, informant
NY-964-S eavesdropped on two couples having a dinner party at an apartment in the West Village, New
York. Both of these couples had been friends of the Rosenbergs, and were being called to testify in front
of the House Un-American Activities Committee about their roles in the „Commie spy ring.“ NY-964-S
Jenny Perlin *1970, lebt in New York www.nilrep.net
Ausstellungen (Auswahl):
2007 Possible Models, Museum of Modern Art, New York
2006 Transcript, Galerie M+R Fricke, Düsseldorf
2006 Jenny Perlin, The Kitchen, New York
2002 Sight Reading, Museum of Fine Arts, Houston
2002 White Noise, Annet Gelink Gallery, Amsterdam
Stipendien/Preise (Auswahl):
2007 Awarded Grant and Residency for Summer, Stockholm
2006 American Center Foundation, Geneva, Production Funding
2002 New York St. Council on the Arts Finishing Funds Grant
cannot hear many details of the conversation and fills in words he cannot understand. Most of the text is
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Eske Schlüters
Involuntary Memory. Moebiusloop
2005 DVD, Farbe, Ton, 4:25 Min., Loop
Eske Schlüters untersucht die heutige visuelle Kultur in ihrem ureigensten Medium, dem audiovisuellen Bewegungsbild. Sie arbeitet mit vorgefundenen Filmbildern und Tönen aus ihrem ‚Lieblingskino‘,
dem von großartigen Regisseuren geprägten Autorenfilm. Kurze, scheinbar nebensächliche Filmsequenzen nimmt sie auseinander und montiert sie zu eigenwilligen Bildfolgen über das Verschwinden und das Gedächtnis. Der Titel ihres Videos Involuntary Memory geht zurück auf den Literaten
Marcel Proust, der mit dem unwillkürlichen Gedächtnis eine Erinnerungsform beschrieben hat, die
ausgelöst wird durch Sinneswahrnehmungen wie Geschmack oder Geruch. Dieses Körpergedächtnis
beschreibt eine neue Form von unbewusster Subjektivität für die Moderne. Der Titelzusatz
Moebiusloop weist das Video darüber hinaus als einen echten Loop aus, in dem das letzte Bild nahtlos in das erste übergeht und die Geschichte auf der Stelle tritt. Die mathematische Moebiusschleife
besteht trotz zweier Seiten nur aus einer Oberfläche mit einer Kante.
Schlüters überträgt die in der Wiederholung aufscheinende Differenz, ein Kennzeichen des Kinos,
auf die inhaltliche Ebene der visuellen Erinnerung. Ihre Arbeitsweise wäre daher ebenso dekonstruktiv
wie feministisch, wenn man die Transformation der Bilder von Autorenfilmern als feministischen
Standpunkt behaupten will. Treffender ist es aber, die Aneignungen von Schlüters in einer definitorischen Unschärfe zu belassen, denn ihre gesellschaftspolitische Aussage lastet nicht auf dem plakativen Einzelmotiv oder der Schlüsselszene, sondern sie steckt im Anschluss zwischen den Bildern,
dort wo es weniger zu sehen, als vielmehr auf poetische Weise zu verstehen gibt.
to regard the appropriative works of Schlueters as a deliberate ambiguity, since the political aspects are
Eske Schlueters explores the visual culture of today in its most characteristic medium, the audio-
not given by a striking shot, her work lying between the images, where there is less to see, but more to
visual moving image. She reworks the sound and footage often made by brillant directors, from
understand in poetry.
her favourite films of the independent cinema. She cuts up short and marginal film sequencies and
reassembles it to peculiar and spatial images of disappearance and visual memory. The title
Involuntary Memory refers to Marcel Proust, who recognized the involuntary memory as a mnemonic
Eske Schlüters *1970, lebt in Hamburg www.eske-schlueters.de
repetition to visual memory. Her working process in this regard is as much deconstructive as feminist,
Ausstellungen (Auswahl):
2007 Kronacher Videopreis
2007 ZwischenFiguren or dependency is a marvelous thing, (mit Katrin Mayer) White Space, Zürich
2006 Sehen als Denken sehen, Museum für Gegenwartskunst, Siegen
2005 22. Kasseler Dokumentarfilm und Videofest, Kassel
2004 ACADEMY. Teaching Art, Learning Art, Kunstverein in Hamburg
Stipendien/Preise (Auswahl):
2007 Förderpreis 2008 Arthur-Boskamp-Stiftung M1 Hohenlockstedt
2007 Stipendium Künstlerstätte Bleckede, Lüneburg
if you see the transformation of images by male directors as a feminist point of view. But it is better
2004 Stiftung Kunstfonds Bonn für institutionelle Einzelausstellung
form activted by a sensual perception like taste or smell. This kind of bodily commemoration desribes
a new form of unconscious subjectivity for modernity. The supplement Moebiusloop indicates the
video as an authentic loop, where the last picture generates the first picture and the plot marks time.
The moebius strip is mathematically non-orientable.
Schlueters transcribes an attribute of cinema, namely the presence of apparent difference through
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Miri Segal
Just a Second, Life
2007 2-Kanal Videoinstallation. no matter what?, online-streaming, Monitor, Spiegel
BRB (Be Right Back), Harddisc, Farbe, Ton, 28:16 Min. Creator: Miri Segal, Iris Domany, Doron
Starinsky. Photography, Editing: Miri Segal, Iris Domany. Fine Cut Editing: Vidi Bilu
Sound Track Advisor: Sami Lifsches
Courtesy Dvir Gallery, Tel Aviv
Das Leben ein Traum – Pedro Caldéron de la Barcas Barockdrama wird nicht nur als Theaterklassiker
von Zeit zu Zeit wieder aufgeführt, sondern sein Leitmotiv erfüllt sich mittlerweile täglich in den Parallelwelten des Internet. Fans sagen, es gebe keinen Unterschied zwischen dem virtuellen Second Life
(SL) und dem Real Life. Es gebe vergleichbare Gesetze, Moralcodes, soziale Kontakte, eine Währung,
erfundene Biografien und vieles ähnliches mehr. Die Nagelprobe auf den Wirklichkeitsgehalt des
Virtuellen sind in der Regel Sex und Geld. Beides gibt es im Second Life. Aber in erster Linie ist es ein
Spiel nach den Regeln des Real Life mit einigen Ausnahmen, wie die territoriale Grenzenlosigkeit oder
die Verkörperung freier Phantasie, die Entlastung des Körpers von seinem irdischen Aussehen, seiner
Schwere und Erdgebundenheit.
Die israelische Künstlerin Miri Segal ist fasziniert von den philosophischen und psychologischen
Fragen, die Second Life aufwirft. Sie hat sich unter dem Namen Muzza gemeinsam mit Iris Domany
alias Roga, auf eine Reise durch die virtuelle Welt begeben. Der Videofilm BRB (Be Right Back)
dokumentiert ihre Erlebnisse mit anderen Avataren. Parallel dazu, ist über einen Spiegel eine
SL-Galerie auf einem Monitor zu sehen. Die Technik für einen interaktiven Besuch der virtuellen
Galerie in der Ausstellung ist aufwändig, ‚zu Hause‘, mit eigener Avatar-Identität, geht das leichter.
gallery. The technical equipment to provide an interactive access to Second Life in the showroom
Life is A Dream – the baroque drama of Pedro Caldéron de la Barca is not just performed from time
to time as a classic on stage, but its leitmotif is fulfilled meanwhile day by day in the parallel worlds
of the internet. Fans say there is no difference between the virtual Second Life and Real Life. There
were comparable laws, ethic codes, socializing, a currency, fictive biographies and many more akin
phenomenons. The acid test of the real in the virtual worlds is generally made with sex and money.
You’ll find both in Second Life. But foremost it is a game being played after the rules of real life
except the boundless territories, the embodiment of free phantasies, the release of the body, its
mundane look, and its gravity for example.
The Israeli artist Miri Segal is intrigued by the philosophical and psychological questions evoked by
Second Life. Under the name of Muzza she travelled with Iris Domany aka Roga through the worlds of
Second Life. The video BRB (Be Right Back), 2007, is the documentation of her adventures with other
avatars. Parallel with the videoprojection there is a monitor to be seen in a mirror showing a virtual
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is complex, you get in easier with your own avatar identity ‚at home‘.
Miri Segal *1965, lebt in Tel Aviv
Ausstellungen (Auswahl):
2007 Just a second, Life, Dvir Gallery, Tel Aviv
2006 Bon Voyage, Galerie Kamel Mennour, Paris
2005 place de la bonne heure, Dvir Gallery, Tel Aviv
2004 Capital Hill, Lisson Gallery, London
2002 Interfaces, Tel Aviv Museum of Art, Tel Aviv
2001 Closed Circuit, PS1, New York
Stipendien/Preise (Auswahl):
2005 Artist in residence, Centre International d'accueil et d'échanges des Récollets, Paris
2004 Israeli Ministry of Science, Culture & Sports Prize
2002-2003 Villa Arson, Nizza
2001-2002 The Nathan Gottesdiener Foundation Israeli Art Prize, Tel Aviv Museum of Art
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Amie Siegel
Berlin Remake
2005 2-Kanal Videoinstallation, verschiedene Filmformate auf DVD,
Farbe und S/W, Ton, 18 Min., Loop
Eine verblüffende Parallelwelt über historische Zeitspannen hinweg lässt sich mit Amie Siegels
2-Kanal Videoprojektion Berlin Remake betrachten. Aus alten DEFA-Filmen der Nachkriegszeit bis
in die 1980er Jahre hinein hat sie Sequenzen in Schwarz/Weiß und in Farbe ausgewählt und 2005
im wieder vereinigten Berlin detailgenau am Originalschauplatz nachgestellt. Gleiche Bewegungen
der Protagonisten damals und heute, Kameraschwenks, synchrone Unschärfen der Brennweite,
zwei mitunter zögernde und wie suchend wirkende Kameraaugen nebeneinander wecken den Jagdinstinkt des vergleichenden Beobachters.
Ein Remake bezeichnet nach Umberto Eco im Grunde das ‚Wiedererzählen einer erfolgreichen
Geschichte‘, das Vergangenes wiederholt im neuen Look, oder anders gesagt eine Wiederholung als
Differenz. Siegel belebt manche Filmszenen mit Schauspielern, am stärksten sind ihre Remakes aber
dann, wenn die neuen Bilder menschenleer bleiben. Das Dirigentenspiel der Kamera, ursprünglich auf
Personen ausgerichtet, macht das Stadtbild und das Filmen selbst erkennbar. Man mag dann nicht
von einer Erfolgsgeschichte sprechen, die neu erzählt würde, sondern man sieht ein überzeugendes
Ton-Bild, das Dokumentarisches als untrennbar von der Fiktion behauptet und gleichrangig miteinander stehen lässt.
A striking parallel world crossing historic periods is enacted within Amie Siegel´s 2-channel videoprojection Berlin Remake. Selected sequences from former DEFA-films in colour and black & white
from the post-war period to the 1980s (right screen), Siegel reconstructed in 2005, in detail, at the
original locations (left screen). The same movements of the protagonists then and now, tracking shots,
synchronous blurrings, two camera eyes beside each other, sometimes appearing doubtfully and
searching, rouse the hunter's instinct within the comparing observer.
A remake basically means the „re-telling of a succesful story“ following Umberto Eco, i. e. reenacting
past events by giving them a new look or, in other words, a reenactment as difference. Several scenes
of her remake are made vivid with actors, but even more compelling are the new shots evacuated
by people. The orchestrated play of the camera, originally focused on the persons, brings into mind
the city and the filming itself. One won't speak of a succesful story here but of a striking audio-image,
stating the inseparable co-existence of the document within the fictional, and vice versa.
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Amie Siegel *1974, lebt in New York und Berlin
Ausstellungen und screenings (Auswahl):
2007 Les rencontres internationales, Circulo des Bellas Artes, Madrid
2006 Forum Expanded, KW Institute for Contemporary Art, Berlin
2006 Dorit Margreiter/Amie Siegel, Edith-Ruß-Haus, Oldenburg
2005 Pacific Film Archive, Berkeley, California
2005 Museum Of Fine Arts Boston
2004 Film Forum, New York
2004 Andy Warhol Museum, Pittsburgh
2003 Official Selection Jerusalem International Film Festival
2003 Official Selection Berlin International Film Festival
Stipendien/Preise (Auswahl):
2007 John Simon Guggenheim Memorial Foundation Filmmaking Fellowship
2005 Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Oldenburg
2005 Individual Artist Award, Film & Electronic Media, New York State Council for the Arts
2003 DAAD Berliner-Künstlerprogramm
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Nadim Vardag
Excerpt (Le Salaire de la Peur)
2007 DVD, S/W, Ton, 3 Sek., Loop
Eine 3-sekündige Einstellung bei Nacht wird in eine kleine Ewigkeit verlängert. Das extrahierte
Bewegungsbild erzählt nichts über seine Herkunft aus einem unglaublich spannenden Film. Es
wird nicht wieder zu erkennen sein, denn es behauptet, einfach und düster wie es ist, eine Autonomie
des Zitats. Es ist ein „Miniatur-Movie“ (H.-J. Hafner), das seine Spannung in Bilddetails aufbaut und
nicht durch den Plot erlangt. Nadim Vardag arbeitet mit den Mechanismen zur Erzeugung von
Kinoillusionen durch Bewegung, Affektbild und Licht. Er findet im Feld des Kinos sein Material für
Installationen, Projektionen und Videoloops. Vardag reproduziert keine charakteristischen Stills für
einen Film, sondern er nutzt die Aneignung von Vorbildern zur Erzeugung einer neuen Atmosphäre.
Seine gezielte Bildauswahl vermag es, jenseits der Inszenierungen von Filmgefühlen, mit minimalem
Aufwand Neugier zu wecken, einen Moment des Nachsinnens, vielleicht gar das Begehren nach
Bildern zu stimulieren. Vardag baut auf den Errungenschaften der Künste in den 1970er bis 1990er
Jahren auf, die durch Appropriation, Loop, Found-Footage populäre Elemente in die Kunstwelt einschleusten, auch um Bildpolitik und Kunstideologie zu kritisieren. Er profitiert von deren Einsichten
und bildnerischen Verfahren und versteht es, sie mit einer ausgeprägten Ökonomie der Mittel effektiv
zu nutzen. Filmform und Videoform werden hier miteinander ‚verheiratet‘.
A 3 second night scene is extended to a short eternity. The shot, extracted from a pulsating movie,
reveals nothing of its original plot. Gloomy it won´t be recognized, affirming its authority in the quote.
It is a „miniature movie“ (H.-J. Hafner), supplied with suspense by the image’s details instead of a
narration. Nadim Vardag works with the mechanisms of cinematographic illusion as movement, affect
image and light. Within the cinematographic field he finds his material for installation, projections
and video loops. Vardag does not reproduce characteristic stills for a movie, but he employs the
appropriation of images to create a new atmosphere. His well calculated selections rouse curiosity,
a moment of reflection, and perhaps even desire for images. Vardag relies on the inventions of the
arts from the 1970s through to the 1990s, infiltrating the art world with popular elements by the
means of appropriation, loop and found-footage, in order to criticise image politics and art ideologies.
Nadim Vardag *1980, lebt in Wien
Ausstellungen (Auswahl):
2007 Kino wie noch nie, Akademie der Künste, Berlin
2007 This is Happening, Georg Kargl, Wien
2007 Normal Again, Hamburger Hochschule für bildende Künste
2006 Crosskick, Kunstverein Braunschweig
2006 Nadim Vardag, Georg Kargl Box, Wien
2006 Merry go round, Projektraum Schloss Solitude, Stuttgart
2006 Kino wie noch nie, Generali Foundation, Wien
He profits from the preceding critical methods and understands to use them effectively with his
specific economy of means. Filmform and videoform were ‚married‘ here.
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Impressum
Das Projekt wird gefördert von
Stile der Stadt, Videopanel 2008: Videoform Filmform
Clemens-Schultz-Straße 85, 20359 Hamburg
25. Januar 2008 bis 1. Februar 2008
Öffnungszeiten: täglich von 18 – 23 Uhr
Eröffnung: 25. Januar, 19 Uhr
Finissage und Preisübergabe: 1. Februar, 19 Uhr
2. Internationaler Videokunstpreis / Hamburg 2008, gesponsert von Pilsner Urquell.
Feedbackpreis 2008, gesponsert von Glashäger.
Institutionelle Förderer
Jury: Johanna Domke (Preisträgerin 2006, Berlin/Kopenhagen)
Belinda Grace Gardner (Journalistin, Hamburg)
Ralf Schlüter (Stellvertretender Chefredakteur, ART Hamburg)
Ivo Wessel (Software-Entwickler, Kunstsammler, Berlin)
Herausgegeben von Filomeno Fusco und Dirck Möllmann
Österreichisches Generalkonsulat Hamburg
Gestaltung: Thomas Beckmann
Internet: Hartmut Junker
Projektassistenz: Jenny Nachtigall
Pressearbeit: Olaf Bargheer
Übersetzung: James Scott Cabot
Videotechnik: Frank Bode
Sponsoren
Audiotechnik: Simon Scholz (Ltg.), Roman Girisch
Bauten: Michael Hubertus, Oliver Koop, Burk Koller, Hermann Zehle
Dank an: Sören Andersen, Antje Mittelberg, Juana Bienenfeld, Joachim Reck,
Mariann von Redecker, Michael Kleu, Galerie carlier | gebauer, Galerie M + R Fricke,
Dvir Gallery, Stefan Riek, Kim Neumann, Björn Tonndorf
© Bildrechte die Künstler und Künstlerinnen, VG Bild-Kunst 2008
© Textrechte Dirck Möllmann
amie siegel
Karina Nimmerfall
Eske schlüters
sarah baker
samuel beckett
Marin Karmitz
Nadim Vardag
Cordula Ditz
astrid nippoldt
Judith Albert
miri segal
Jenny perlin