Erfahrungsbericht Acht Wochen PJ – Innere Medizin Northwestern
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Erfahrungsbericht Acht Wochen PJ – Innere Medizin Northwestern
Erfahrungsbericht Acht Wochen PJ – Innere Medizin Northwestern Feinberg School of Medicine, Chicago, Illinois, U.S.A. „Geriatric Medicine“ & „Acute Cardiac Care“ Vorbereitungen Fast alle für die Bewerbung wichtigen Informationen findet man der Feinberg-Website für Visiting Students: http://www.feinberg.northwestern.edu/AWOME/visitingstudents/index.html. Zusätzlich zu den dort zum Download bereitstehenden Formularen muss man unter anderem ein auf Englisch verfasstes Empfehlungsschreiben eines Klinikers und einen aktuellen Impfnachweis mit auf Englisch dokumentierten Antikörpertitern einreichen. Im Übrigen ist Jennifer Banys (j-banys@northwestern.edu) als „Visiting Student Coordinator“ immer die erste Ansprechpartnerin bei Fragen. US-Visa bekommt man nach dem Ausfüllen eines langen Online-Fragebogens in Berlin, Frankfurt/M oder München ausgestellt. Medizinstudenten benötigen kein F- oder J-Visum, ein B1-Visum reicht. Die Gesamtkosten für mein Visum betrugen 125 €. Meine Flüge habe ich bereits vier Monate im Voraus gebucht; ich bin mit KLM von Berlin über Amsterdam geflogen und habe insgesamt 630 € bezahlt. Aber Achtung: überlegt Euch gut, ob Ihr wie ich im Winter fliegen wollt! Mein Rückflug nach Berlin Mitte Dezember hat sich wegen Schnees in Europa um vier Tage verzögert, und dabei hatte ich noch Glück! Meine Auslandskrankenversicherung hieß „Educare World“; für 48 € im Monat habe ich eine Krankenversicherung (plus Gepäckversicherung) bekommen, die auch von Northwestern akzeptiert wurde. Da man nach seiner Ankunft zuallererst im Krankenhaus auf Tuberkulose getestet werden muss, sollte man unbedingt ein paar Tage im Voraus anreisen. Achtung: jegliche medizinische Leistung, die über den durch eine Krankenschwester verabreichten und ausgewerteten Tuberkulin-Hauttest hinausgeht, wird von Northwestern nicht bezahlt – auch nicht, wenn man die Northwestern-Versicherung abgeschlossen hat! Da meine Tuberkulinreaktion wegen einer BCG-Impfung, die ich als Kind bekommen habe, womöglich positiv gewesen wäre, musste ich mich einem Arzt vorstellen und einen Bluttest machen lassen – und wurde dafür mit $ 750 belangt: $ 306 für das ärztliche Gespräch (!) und $ 444 für den Quantiferon-Bluttest. Meine Auslandskrankenversicherung bezahlte natürlich nur Leistungen im Zusammenhang mit akuten Erkrankungen, sodass ich die $ 750 aus eigener Tasche bezahlen musste. Unterkunft Ich habe mich auf die Empfehlung einer Kommilitonin in derselben Unterkunft eingemietet wie sie: in einem Zimmer einer Privatwohnung in der Gegend von Wicker Park. Monatlich $ 950 (bzw. $ 1260) für das kleinere (bzw. größere) Zimmer, alles inklusive samt Internet-Flatrate, mit geteilter Küche und Bad, bei zwei supernetten Leuten, die ein sehr angenehmes und immer wieder hilfreiches soziales Umfeld darstellten. Die beiden wohnen noch bis Mai 2011 in Chicago, ich kann guten Gewissens für sie Werbung machen: hotelryan@yahoo.com. Mit CTA Blue Line und Bus waren es 35 – 45 Minuten bis zum Northwestern Campus, wo Northwestern Graduate Housing auch eigene Unterkünfte zur Verfügung stellt; allerdings war für mich dort kein Zimmer frei. Nahverkehr Man kann sich in Chicago wohl günstig Fahrräder mieten, der Straßenverkehr ist allerdings tückisch – und für meine Zeit dort (Herbst / Winter) hätte sich ein Fahrrad sowieso nicht angeboten. Stattdessen lohnte sich die Investition in zwei 30-Tage-Tickets der CTA (à $ 86), die freie Fahrt in Bus und Bahn ermöglichen. Jede größere Straße dieser schachbrettartig angelegten Stadt hat ihre eigene Buslinie; die Bushaltestellen sind extrem nah beieinander, entsprechend geht die Fahrt nur in kleinsten Etappen voran; die Fahrer sind übrigens ziemlich zuvorkommend. Die „L“-Bahn fährt wie die Busse nicht nach einem ausgehängten Zeitplan, sondern etwas unregelmäßig und zu Stoßzeiten häufiger als etwa in der Mittagszeit oder nachts. Lebenshaltung Über die zahlreichen Läden und Restaurants in der Umgebung konnte ich mich gut versorgen; allerdings sind Nahrungsmittel (und vor allem frische!) in Chicago ziemlich teuer. Ich habe etwa $ 100 pro Woche ausgeben müssen. In den Läden kommt auf den ausgeschilderten Preis übrigens immer noch eine Steuer von 13% oben drauf. Das Krankenhaus Was mir zuerst auffiel: Das Northwestern Memorial Hospital ist sehr luxuriös ausgestattet. Die Schwesternkanzeln ähneln Hotelrezeptionen, die Patientenzimmer (allesamt Einzelzimmer) erfüllen 4- bis 5-Sterne-Kriterien, jedes Gebäude und fast jeder einzelne Raum ist nach einem generösen Stifter benannt. Wer die Chance hat, einmal die verschwenderische Einrichtung der VIP-Station und des Dean’s Office zu besichtigen, sollte sich das nicht entgehen lassen. Um den exquisiten Standard zu finanzieren, müssen die Patienten entsprechend viel für ihre Behandlungen zahlen - siehe die horrende Rechnung für mein Tbc-Screening – entsprechend wohlhabend ist die Mehrheit des Patientenklientels. Andererseits ist auch die Qualität der Medizin in Northwestern ausgezeichnet, das NMH gehört zu den besten der USA. Alles strebt nach Exzellenz – die Wissenschaftler, die Ärzte, das Pflegepersonal. Ebenso die Studenten. In den USA ist man als Medizinstudent allein schon privilegiert, denn es bedeutet, sich gegen eine Übermacht von Mitbewerbern durchgesetzt und einen Platz an einer Medical School bekommen zu haben. Northwestern wiederum gehört zur Elite unter den Med Schools – und natürlich wird auch vom einzelnen Studenten erwartet, dass er sich profiliert und von seinen Kommilitonen abhebt. Die Anforderungen sind hoch: Tadellose Kleidung (für Männer Hemd und Krawatte, niemals Jeans), korrektes Verhalten und natürlich Fleiß werden vorausgesetzt, für herausragende Leistungen gibt es verschiedene Auszeichnungen. Der alltägliche Umgangston ist allerdings freundlich, inhaltliche Fragen sind gerne willkommen – es sei denn, man fragt einen überarbeiteten Resident (Assistenzarzt) fünf Minuten vor Visitenbeginn. Als Student lohnt es sich, immer ein Lehrbuch für freie Minuten bei sich zu haben, denn Leerlauf gibt es auch immer mal wieder. Das Pflegepersonal ist fachlich top und grundsätzlich sehr hilfsbereit. Patientenakten existieren eigentlich nur digital. Sämtliche Patienteninfos, Berichte, Laborwerte etc. werden in das „Power Chart“-System eingespeist und können von jedem Computer im Krankenhaus abgerufen und ergänzt werden. Als Medical Student habe ich täglich umfangreiche und vom System bereits vorstrukturierte „Notes“ über meine Patienten verfasst – ob sie je jemand gelesen hat, weiß ich nicht. Auch jeder Resident schreibt tägliche Notes über seine Patienten - insgesamt ist der Dokumentationsaufwand in den USA offensichtlich noch höher als in Deutschland. Neben dem Verfassen der Notes besteht die Hauptaufgabe von Studenten darin, die eigenen Patienten in der täglichen Visite vorzustellen. Diese „Presentation“ läuft nach einem fixen, zügig durchgezogenen Schema ab, an das ich mich erst gewöhnen musste: „Short Patient Info – Overnight Events – Vital Signs – Ventilator Settings / Infusions – Physical Examination – Lab Results – Studies – Assessment – Plan“. Besonders was den weiteren „Plan“ angeht, war ich anfangs etwas hiflos; da lohnt es sich durchaus, den Resident seines Vertrauens anzusprechen und ihn um Rat zu fragen. Eine zusätzliche Herausforderung für den ahnungslosen Ausländer sind die Myriaden von Abkürzungen, die einem von Anfang bis Ende des Tages um die Ohren fliegen. Eine lange, aber bei weitem nicht vollständige Liste findet man in dem Von-Studenten-fürStudenten-Leitfaden „Success on the Wards“ (http://www.feinberg.northwestern.edu/AWOME/visiting-students/documents/Success %20on%20the%20Wards-Final09%20w%20cover.pdf). Dort gibt es auch eine Menge anderer hilfreicher Informationen über Northwestern und den Stationsalltag, Hinweise zur Etikette – und reichlich Motivation nach dem Motto: „Sei der Beste! Streng Dich an! Du bist hier, um zu lernen!“ 25. 10. 2010 – 19. 11. 2010: Geriatric Medicine Dies war meine erste Rotation – und es war eine gute Wahl. Die Geriatrie ist eine kleine Abteilung; innerhalb der ersten Woche habe ich alle Gesichter kennengelernt. Die Geriater sind allesamt freundlich und geduldig, nicht nur mit ihren Patienten. Ich bekam einen Stundenplan, der mich über die ganze Woche verteilt immer verschiedenen Ärzten zugeordnet hat und vormittags meist konsularische Visiten im ganzen Krankenhaus sowie nachmittags die Mitarbeit in einer Spezialsprechstunde vorsah. Darüber hinaus hatte ich fast jeden Tag Fortbildungen oder speziellen Unterricht über geriatrische Problemfelder. Geriatrische Patienten sind ja fast schon per se multimorbide und komplex zu behandeln, sodass ich einiges über Innere Medizin lernen konnte, dazu über Delirium, Stürze und Funktionelles Assessment – und dass weniger Tabletten meist mehr sind. Außerdem habe ich das Rehabilitation Institute of Chicago kennenlernen können, das seit Jahren als bestes Reha-Krankenhaus der USA ausgezeichnet wird. Die Stimmung in der Geriatrie war entspannt und das Tempo niedrig, sodass ich mich außerdem gut in Arbeitsweise, Fachtermini, Abkürzungen, Computersysteme und überhaupt den Campus einfinden konnte. Ich habe sehr viel zu sehen bekommen, allerdings wenig selbst Hand angelegt. Tägliche Anwesenheitszeit in etwa von 8:30h bis 17:00h. 22. 11. 2010 – 17. 12. 2010: Acute Cardiac Care CCU = Coronary Care Unit = Kardiologische Intensivstation = Kontrastprogramm zur Geriatrie. Hier war das Tempo hoch. Hochtechnisierte Spitzenmedizin statt umfassendem geriatrischen Assessment. Kein Stundenplan, sondern Stationsarbeit. Kein entspanntes Hospitieren in Sprechstunden, sondern lange Visiten und das Präsentieren eigener Patienten. Der Tag beginnt mit dem Pre-Rounden, also dem eigenständigen Aufsuchen der eigenen Patienten und dem Notieren aller neuen Daten. Dann Fortbildung oder gleich Visite. Es gibt zwei Visiten mit je eigenen Patienten, zum einen „Heart Failure“, zum anderen „Coronary Care“. Jeder Visite steht ein eigener Attending (Oberarzt) vor, der wöchentlich wechselt. Mittags empfahl es sich häufig, zum „Noon Report“ für die Residents zu gehen: bunt gemischte Vortragsthemen plus kostenloses Mittagessen. Nachmittags habe ich dann umfangreiche „Notes“ über meine Patienten verfasst bzw. neue Patienten aufgenommen. Insgesamt habe ich viel zu sehen bekommen, nur an intensivmedizinischen Prozeduren war ich kaum beteiligt. Meine Anwesenheitszeiten waren in etwa 7:00h bis 16:00h. Die Residents „on call“ arbeiteten hingegen in 30-StundenSchichten, von 7:00h des einen bis 13:00h des nächsten Tages; und wenn sie Pech hatten, dann ohne Schlaf während der Nacht. Für diese Verhältnisse, die ich mich in Europa gar nicht vorstellen möchte, waren sie auch nach durchgearbeiteten Nächten noch bewundernswert ausgeglichen und leistungsfähig. Mittags dann nach Hause und ins Bett – und am nächsten Morgen wieder ins Krankenhaus. Bis zu 80 Stunden pro Woche. Mich hat dies mit einer Mischung aus Bewunderung für die Residents und Ablehnung dem System gegenüber erfüllt. Residency in den USA ist kein Zuckerschlecken … und anderswo sind die Arbeitsbedingungen wohl noch deutlich härter als in Northwestern … Ich als Student hatte die Wochenenden jedenfalls frei und war froh darüber. Touristisches Chicago bietet viele viele Möglichkeiten. Bei gutem Wetter bieten sich der Millennium Park, der Lincoln Park samt frei zugänglichem Zoo, der North Avenue Beach, der Strandweg entlang des Lake Shore Drive am Ufer des Lake Michigan, der Navy Pier, der Museum Campus oder die Prachtmeile Michigan Avenue an – und noch so einiges mehr. An Museen seien das Shedd Aquarium mit seinen Baby-Belugas, das Field Museum mit Sue, dem größten und vollständigsten T Rex-Skelett der Welt, das Museum of Science and Industry mit der U-505, dem einzigen gekaperten nazideutschen U-Boot, das Adler Planetarium und das riesige Art Institute empfohlen. Alle diese berühmten Museen haben viel mehr zu bieten, als ich bei meinem jeweiligen Besuch hätte würdigen können. Ich habe mir übrigens den Chicago City Pass gekauft, mit dem man innerhalb von 9 Tagen Planetarium, Aquarium, Field Museum und Science Museum besuchen kann. Für $ 69, was ungefähr die Hälfte von dem ist, was man sonst insgesamt zahlen würde. Und: man kann mit dem City Pass auf das Hancock-Observatrium oder auf den Willis Tower, das höchste Gebäude der westlichen Hemisphäre. Tolle Aussicht da oben – bei gutem Wetter! Sportfans mit Interesse an Basketball, American Football, Eishockey oder Fußball können die Chicago Bulls, Bears, Black Hawks oder Fire besuchen. Wer sich selber sportlich betätigen möchte, rennt oder radelt den Lake Shore Drive rauf oder runter, geht in den Park vor der Haustür oder in ein Fitnessstudio – oder kommt gezielt im Herbst nach Chicago und läuft den Marathon mit. Fazit Dies war mein erster Aufenthalt in den U.S.A. – und sie werden mir in Erinnerung bleiben als das Land des Prinzips „Survival of the Fittest“. Wer clever ist, hart arbeitet und das nötige Quäntchen Glück hat, kann schnell und weit aufsteigen und gerade als Arzt enorm viel Geld verdienen. Wer nicht so clever ist, nicht so hart arbeitet und / oder Pech im Leben hat, ist selber schuld, wird arm und muss die Konsequenzen tragen. Northwestern steht für das erste Extrem: ein exquisit ausgestattetes Elitekrankenhaus, Medizin ganz am oberen Ende der Fahnenstange, Professionalität, Arbeitsmoral und Exzellenzstreben auf auf allen Ebenen, hohe Arbeitsbelastung und Leistungsdruck. Dem anderen Extrem, nämlich den übergewichtigen, arbeitslosen, unversicherten Verlierern des Systems, begegnet man in Northwestern so gut wie gar nicht. Chicago selbst ist ein faszinierender Großstadtkern inmitten einer riesigen Metropolregion – multikulturell selbst für US-amerikanische Verhältnisse, als Stadt pleite wie Berlin, aber schillernd – und alles ist zwei Nummern größer. Weltberühmte Museen, eine Vielzahl an Galerien, Bars und Restaurants, dazu der American Way of Life mit den omnipräsenten Stars and Stripes, dem Kapitalismus, dem Wegwerfplastik und den Drehtüren. Ich bin viel befragt worden zu unseren „sozialistischen“ Gesundheitssystemen in Europa, zu unseren kurzen Arbeitszeiten, zu unserer langen Ausbildungszeit und zu unseren hohen Steuern und Abgaben. Und ich habe immer wieder festgestellt, dass die USA, obwohl wir in Deutschland doch so westlich orientiert sind, in vielem einfach eine ganz andere Welt darstellen. Ich habe wunderbare Menschen kennengelernt, viele erhellende Gespräche geführt, und kehre beeindruckt, mit vielfältigen Erfahrungen und Erkenntnissen nach Deutschland zurück. Und ich bin sehr dankbar, dass ich die Gelegenheit hatte, dies alles zu erleben. Jedem anderen, dem sich die Chance ebenfalls bietet, möchte ich zurufen: nutze sie! Bernd Vorderwülbecke (bernd.vorderwuelbecke@charite.de)