Selbst Ancelotti musste Carl Zeiss schon kennenlernen
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Selbst Ancelotti musste Carl Zeiss schon kennenlernen
SPORT CARL Z EI SS JENA Selbst Ancelotti musste Carl Zeiss schon kennenlernen Carl Zeiss war einst eine Macht im DDR-Fußball, das bekam sogar der Trainer des Gegners im DFB-Pokal zu spüren. Doch wie fast alle Ostklubs kämpft Jena ums Überleben. VON Frank Willmann | 19. August 2016 - 12:18 Uhr © Marc Tirl/dpa Die Jacke des ehemaligen Spielers und Trainers von Carl Zeiss Jena, Hans Meyer, liegt im Museum. An diesem Freitag um 20.45 Uhr erlebt der FC Carl Zeiss Jena endlich wieder einen Glanzpunkt in seiner langen und leider flatterhaften Geschichte. Bayern München nebst neuem Trainer Carlo Ancelotti betritt in der 1. Runde des DFB-Pokals das erlauchte ErnstAbbe-Sportfeld. Für Ancelotti ist das etwas Besonderes, nämlich ein Wiedersehen. Er war schon einmal zu Gast, am 1. Oktober 1980 erfuhr er als Mittelfeldspieler mit seinem AS Rom eine charmante 0:4-Pleite im Europapokal der Pokalsieger. Ein unvergessenes Spiel. Seither halten sich die Erfolge Jenas tief im Thüringer Wald verborgen. In der ewigen Tabelle der DDR-Oberliga steht der FC Carl Zeiss zwar für immer mit drei Meistertiteln, sieben Vizemeistertiteln und fünf Pokalsiegen auf dem ersten Platz. Doch seit dem Abstieg aus der 3. Liga im Jahr 2012 kickt der Club in der Regionalliga Nordost. Für mich existiert der FC Carl Zeiss Jena seit 1975. Ich war zwölf und kannte bis dahin nur die Bolzer von Motor Weimar, unserer lokalen Zweitligatruppe, die vom Mähdrescherwerk Weimar ausgehalten wurde. Weimar ist bis heute fantechnisch eine geteilte Stadt. Der familiäre Hintergrund bestimmt die Farben. Entweder sind die blaugelbweiß für Jena oder rotweiß für Erfurt. Die immerwährende Zwietracht zwischen den beiden Städten hat mit Fußball, aber auch Religion und Politik zu tun. SERIE: OSTBLOCK Im Sommer 1990 begann die letzte Saison der DDR-Oberliga. Der Staat war schon am Ende, doch der Fußball machte noch ein Jahr weiter. Ein Vierteljahrhundert später trifft sich die halbe Oberliga in der Dritten Liga wieder. Dynamo Dresden, Chemnitzer FC, Hallescher FC, Rot-Weiß Erfurt, 1. FC Magdeburg, Energie Cottbus und Hansa Rostock waren damals alle dabei. Zudem ist Erzgebirge Aue aus der Zweiten Liga abgestiegen. Dieses Klassentreffen der DDR-Fußballelite werden wir in der Serie Ostblock begleiten, hier werden regelmäßig Fans, Liebhaber, Experten des ostdeutschen Fußballs zu Wort kommen. Es soll aber nicht nur um Sport gehen, sondern auch um politische, soziale, wirtschaftliche, historische und gesellschaftliche Fragen. Wir geben uns zudem Mühe, der Ostalgiefalle zu entkommen. Mein Vater nahm mich in unserem Trabant mit ins benachbarte Erfurt zum Thüringenderby gegen Jena. Damals stand das Abknicken von Antennen und Abtreten von feindlichen Autospiegeln hoch im Kurs. Die meisten Jenafans kamen deshalb mit dem Zug oder 1 SPORT parkten ihre Autos weit entfernt vom Stadion. In der DDR-Mangelwirtschaft konnte es Monate dauern, bis man an die entsprechenden Ersatzteile kam. Wir marschierten ins Stadion und suchten uns einen sicheren Platz in der Kurve. Im Zeitalter vor der Blocktrennung waren Auswärtsfahrten Expeditionen ins Herz der Finsternis, es gab keinen schützenden Bereiche für Gäste. Jeder Zentimeter des Stadions war Feindesland, das die Krieger bis zum letzten Atemzug verteidigten. Eine Zeitlang fuhr ich mit meinen Freunden mit dem Zug nach Jena, wir sahen jedes Heimspiel. Häufig schwänzten wir die letzte samstägliche Schulstunde, weil wir pünktlich im Stadion sein mussten. Der Fußball unterhöhlte schon früh mein Verhältnis zur Obrigkeit und ließ mich den Charakter des DDR-Sozialismus erkennen. Ein Fanblock voller Helden Später brausten wir mit unseren Mopeds der Marke Simson S50 und unseren Zauberbräuten auf dem Sozius aus Weimar heran. Die rote Fassbrause kostete 25 Pfennig, die Bockwurst 85 Pfennig. "Seid ihr alle da? Jäääää! Wer wird gewinnen? Jääääno!" Bis ins Frühjahr '81 war der FCC alles für mich. Ich ließ mich für ihn bei Chemie Leipzig von den Chemie-Zombies durch die Gärten jagen, erlebte Blockstürme durch modischelegante Berliner und rauflustige Hallenser, musste mich wieder und wieder von den Mitgliedern meines Zirkels der lesenden Arbeiterkinder fragen lassen, was ich nur mit diesen schrecklichen Fans zu tun habe. Dabei waren genau diese schrecklichen Fans meine wahren Helden. Der Fanblock in Jena als ein magischer Ort voll böser Buben, die nur Unfug im Kopf hatten. In der Saison 1980/1981 spielte der FCC eine begnadete Saison im Europapokal der Pokalsieger . Im Pokalfinale des sogenannten Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds (FDGB) war 1980 in Berlin ausgerechnet RW Erfurt getrimmt worden. Auf dem Weg ins Endspiel folgten Fußballfeste gegen den AS Rom, FC Valencia, gegen Newport County und Benfica Lissabon. Besonders der Sieg gegen Rom hat sich ins kollektive Gedächtnis der Fans gebrannt. 0:3 hatte Jena das Hinspiel in Rom verloren, ich verfolgte die Demütigung am Radio. Das DDR-Fernsehen zeigte aus Devisenmangel nur selten Auswärtsspiele in kapitalistischen Ländern. Niemand gab nach diesem Debakel noch etwas auf Jena. Trotzdem war das Stadion im Rückspiel voll. Unter der Knute unseres Trainers Hans Meyer wurde die Roma 4:0 aus dem Stadion gekehrt, geteert, gefedert. Nach dem Abpfiff kletterten die Leute über die Zäune, jeder wollte den Rasen und die Spieler berühren und sich die letzte Gewissheit holen, nicht in einem Traum gefangen zu sein. Das Finale gegen Dinamo Tiflis fand in Düsseldorf statt. Düsseldorf, das war böser Kapitalismus. Wir Fans wurden von den DDR-Funktionären daran gehindert, unseren Verein zu begleiten. Schmerz, Tränen, tiefe Sinnkrisen. 2 SPORT Dabei war auch im DDR-Fußball viel Geld im Spiel. In Jena zahlte "unser Wolf Biermann". Von 1975 bis 1989 war er Generaldirektor des VEB Carl Zeiss Jena Kombinats und zugleich Mitglied des ZK der SED. Sein autoritärer Führungsstil war bekannt. Für den Club tat er alles. Unter seiner Herrschaft kaufte der Club Spieler aus der ganzen DDR ein, sogar aus Erfurt lockte er Fußballer mit Geldtüten, Haushälften, Studienplätzen und was sonst das Herz der Zonenkicker zum Pumpen brachte. Das Kombinat Carl Zeiss schuf blühende Fußballlandschaften. Nach 1989 war es aber vorbei, wie überall im Osten. Mein einstiger DDR-Topklub spielt nach halbwegs erfolgreichen Jahren in der zweiten und dritten Liga nun im fünften Jahr in der Regionalliga. Erfolglose sportliche Leitungen, dauernder Geldmangel, kleingeistiger Dauerzank im Vorstand, überforderte Präsidenten und Aufsichtsräte, die Liste der Totschläger des Jenaer Fußballs ist lang. Nach Jahren der Starre rappelt sich der Club wieder zusammen und besinnt sich neuerdings auf Wirklichkeit und Bescheidenheit. Jena ist, steuergemäß, eine der reichsten Städte Ostdeutschlands. Jena ist Wissenschaftsstandort, doch vom Vorsprung durch Technik ist im Ernst-Abbe-Sportfeld nichts zu spüren. Seit Jahren redet die Stadt über ein neues Stadion. Inzwischen hat das letzte Saalehochwasser die Flutlichtmasten vergammeln lassen und Kaninchenbauten führten zur Sperrung eines Teils der Kurve. Seit drei Jahren ist der belgische Fußballunternehmer Roland Duchâtelet, den einige Fußballfreunde für eine Heuschrecke halten, Anteilsnehmer des Clubs aus dem Stadtteil Jena-Paradies. Die Mitglieder des FCC übergaben ihm mit großer Mehrheit den Schlüssel des Vereins. Es folgte ein vielmonatiger Stimmungsboykott der Fanszene. Inzwischen suchen Fans und Verein nach Jahren der Fehde wieder den Dialog. In der Regionalliga Nordost steht Jena nach vier Spieltagen auf Platz 1. Die Menschen kommen wieder ins Stadion. Die Fans kämpfen um ihre Heimat, die Südkurve Ein seit zehn Jahren zerredeter Stadionneubau scheint so nah wie selten. Und was planen die kommunalen Ordnungshüter, Ordnungsamtsbonzen und Immobilienversager? Die Zwangsumsiedlung der aktiven Fanszene von ihrer Südkurve in den kalten Norden des Stadions. Aus Gründen der Sicherheit. Sehen hier bestimmte Leute eine Chance, es diesen aufmüpfigen Halbstarken und Fußballrebellen mit ihren frechen Gesängen und Spruchbändern endlich heimzuzahlen? Die Männer und Frauen der Jenaer Südkurve haben die Situation kreativ angenommen. Welcher Fan gibt schon gern kampflos seine Fußballheimat preis? Gemeinsam mit Leipziger Forschern des Fraunhofer-Instituts für Internationales Management und Wissensökonomie, entwickelten sie crowdFANding , eine Art virtuelle Bürgerbewegung, die 120.000 Euro Spenden gesammelt hat und bis Mitte September läuft. 3 SPORT Toni, einer der Organisatoren, sagt: "Das ist eine neue Art der Bürgerbeteiligung. Die Südkurve ist das Symbol der Jenaer Fankultur. Wir wollen über die Schwarmfinanzierung Geld sammeln, um den Erhalt der Südkurve zu finanzieren. Wir wollen auf ehrliche Art Geld für den Club erwirtschaften." Gegen die Bayern werden die Aktivisten wieder mit der Sammelbüchse anzutreffen sein. Extra für dieses Spiel hat der Verein eine temporäre Zusatztribüne errichtet und die Stadionkapazität verdoppelt. 18.800 Zuschauer werden erwartet, ich bin auch dabei. Wir freuen uns auf die Rückkehr Carlo Ancelottis. Frank Willmann ist Autor, Herausgeber und Experte für ostdeutschen Fußball. Er stammt aus Weimar, ist Fan und Mitglied des FC Carl Zeiss Jena sowie der Autorennationalmannschaft. COPYRIGHT: ZEIT ONLINE ADRESSE: http://www.zeit.de/sport/2016-08/carl-zeiss-jena-bayern-muenchen-dfb-pokal-carlo-ancelotti 4