Magazin Nr. 60
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Magazin Nr. 60
AUSGABE 60 MAUERN ABBAUEN – BRÜCKEN BAUEN ! TABOR MAGAZIN Strafgefangene und Entlassene schreiben über ihr Leben Wenn ich ans Sterben denke ... Begegnungen und Erfahrungen mit dem Sterben Gedanken zum Tod 2 Liebe Freunde, Mitglieder und Förderer des Tabor e.V., besonders liebe Freunde in den Gefängnissen! Tod und Sterben verdrängen viele Menschen ganz, wollen es nicht wahrhaben. Und doch ist er immer präsent – der Tod. Täglich sterben Menschen - auch Kinder. In vielen Gegenden der Welt sterben sogar viele Menschen schon als Kind. Und dann gibt es unseren Kontinent – Europa, den Teil der Erde, in dem wir erwarten, alt zu werden. Unsere Lebensbedingungen haben sich stark verbessert. Wir leben mit einer guten medizinischen Versorgung, bei uns gibt es reichlich Nahrung, mit viel Abwechslung. Wir alle können Vitamine und Enzyme zu uns nehmen, die wir brauchen, wir haben hohe Hygienestandards, gutes und reichlich Wasser, wir können Sport treiben und haben viel Freizeit. Unsere Arbeit dient nicht nur der Existenzsicherung, zumindest bei den meisten. Vom Tod wollen wir nichts mehr wissen. Ganz reiche Menschen arbeiten auf ihre Unsterblichkeit hin. Tod. Er ist in Wirklichkeit aber auch nicht unser Feind. Erst in den letzten Wochen lehrte uns ein Freund, wie gutes Sterben - und davor, wie gutes Leben geht. Er ist von uns gegangen mit einer großen Hoffnung. Von ihm dürfen wir uns in diesem Magazin verabschieden, er hatte uns immer wieder mit seinen Beiträgen beschenkt. Und dann gibt es noch Menschen, die das Leben nicht aushalten und sterben wollen. Vielleicht halten sie aber auch die Realität des Todes nicht aus. Ich denke schon, dass manche Menschen, die den Suizid wählen, sich nicht vom Tod bestimmen lassen wollen. Vielleicht haben sie soviel Angst vor dem Leben, vor dem Leid und vor dem Tod, dass Trotzdem haben wir ihn nicht besiegt, den Tod! Bis jetzt trifft er immer noch uns alle! Wir sind sterblich. Nicht wenig Menschen werden aus dem Leben gerissen, obwohl sie noch gar nicht so alt sind und obwohl sie immer gesund gelebt haben. Er ist nicht besiegbar – der 3 sie einfach das Wann und Wie selbst bestimmen wollen? Wer oder was ist TABOR e.V. Im Juristendeutsch sind wir ein Verein zur ganzheitlichen Unterstützung strafentlassener und anderweitig sozial belasteter Menschen. Im normalen Sprachgebrauch sind wir eine Gemeinschaft von Christen, die sich ein wenig um Menschen in Not, insbesondere um strafgefangene und strafentlassene Menschen annehmen will. ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ ist unser Prinzip. Einige von uns (z.Zt. sind wir 17 Leute) wohnen in einer Wohngemeinschaft außerhalb von München (Moosach bei Glonn) zusammen. Dort versuchen wir uns gegenseitig Stütze auf dem manchmal beschwerlichen Weg ins und durchs Leben zu sein. Wer nach der Haft oder aus einer anderen sozialen Notlage heraus neu anfangen will, sein Leben ohne Alkohol, Drogen und Kriminalität zu gestalten, der kann sich, wenn er/sie bei uns leben will, bewerben. Wir sind eine christlich-katholische Gemeinschaft. Wir versuchen darauf zu vertrauen, dass ER, Jesus Christus, der Weg zum Leben ist. Zum täglichen Abendgebet, zur Frühmesse und zum monatlichen ,Hausgottesdienst‘ laden wir ein; der Besuch ist aber freiwillig! Einige Male im Jahr besuchen wir die umliegenden Gefängnisse, um den Menschen dort im Gottesdienst mit Liedern und persönlichen Lebenszeugnissen Mut zu machen. In manchen Gefängnissen bieten wir wöchentliche Gesprächsgruppen an. Auch in Pfarrgemeinden gestalten wir schon mal den Gottesdienst mit, um so die Christen dort auf manche Not in unserem Land hinzuweisen und Vorurteile und Berührungsängste abzubauen. Manchmal besuchen uns in unserer Wohngemeinschaft Jugend- oder Firmgruppen, um zu sehen, wie wir miteinander leben. Wir besuchen auch im Religionsunterricht Schüler/innen ab dem 9. Jahrgang, um von Knast, Drogen, Kriminalität, Neuanfang und beginnender Heilung zu erzählen. Das sind oft tiefe Begegnungen. Alle Leute in unserer Tabor-Gemeinschaft und im Verein arbeiten ehrenamtlich und ohne Bezahlung. Unser Verein erhält keinerlei staatliche oder kirchliche finanzielle Unterstützung und trägt sich weitgehend aus Eigenleistungen und Spenden. Wenn Du Interesse hast, melde dich, mach’ mit, leb’ mit oder besuch uns! Vorstand: Ingrid Trischler, Josef Six, Konrad Brand Hausleitung: Norbert Trischler Altenburg 33, 85665 Moosach Tel.: 08091/558615 info@tabor-ev.de Manchmal sind wir ja auch schon lebendig tot. Und dies passiert wahrscheinlich am häufigsten in einer Gesellschaft wie der unseren. In einer Gesellschaft, in der wir zwar alles haben, aber mehr als anderswo unter Einsamkeit und Unzufriedenheit leiden. Das Leben gibt uns nichts mehr – und der Tod? In diesem Magazin berichten die Schreiber davon, wie es ihnen mit Tod und Sterben geht und wie es ihnen mit dem Tod nahestehender Menschen gegangen ist. Vielleicht lebt es sich leichter und besser, wenn der Tod sein darf, wenn wir mit ihm leben und die Vergänglichkeit als Chance erkennen. Ein Leben vor dem Tod gibt es wahrscheinlich nur für den, der Tod, Sterben und Vergänglichkeit akzeptieren kann und dadurch fröhlich und gelassen wird. Wahrscheinlich gäbe es auch kein Raffen und keine Kriege mehr, wenn wir den Tod hinnehmen könnten und wenn wir mit ihm leben könnten. Wir würden wissen, dass wir nicht für den großen Reichtum leben, sondern für das Glück, für uns selbst und für die anderen, für das Fest und die Einfachheit. Einen nachdenklichen Monat November und einen frohen Advent wünscht Euch/Ihnen Ingrid Vorsitzende des Tabor e.V. 4 digung für unsere Augen. Menschen beginnen zu sterben, wenn sie nicht mehr angesehen werden. Ohne Ansehen kann keiner sein. Der soziale Tod ist oft noch schmerzlicher als das reale Sterben. Der Tod vor dem Tod Petrus Ceelen war viele Jahre Gefängnisseelsorger und Seelsorger für Menschen am Rande. Er hat viele kranke Insassen, Drogenabhängige, Wohnsitzlose, Aidskranke auf der letzten Strecke begleitet und auch ihre Trauerfeier gehalten.-- Ein Plädoyer für die Armen! Am Straßenrand sitzt ein Bettler. Er macht uns hilflos. Wie helfen? Was geben? Habe wir uns auch schon einmal gefragt: Was gibt uns der Bettler? Der Bettler am Boden gibt uns einen anderen Blickwinkel. Er lässt uns das Leben von unten sehen. ... Von unten siehst du mehr als von oben. Die Bettlerin hält mir meine Bedürftigkeit vor Augen. Der Straftäter zeigt mir meinen dunklen Bruder. Der Mörder führt mich hin zu meiner Leiche im Keller. Durch die Drogenabhängigen komme ich meiner Sucht auf die Spur. Auch ich habe das Todesurteil in der Tasche, sagen mir die Aidskranken. Die Obdachlosen zeigen mir, dass auch ich eigentlich ofw = ohne festen Wohnsitz bin. Menschen, die keine Bleibe und oft nicht einmal das Geld für eine Brille haben, verhelfen mir zum Durchblick: Ich bin nur auf der Durchreise. Die Menschen am Rand führen mir vor Augen, was mir auf meinem Lebensweg alles erspart geblieben ist. Von Kindesbeinen an. Ich hatte das große Glück, dass ich in einer ,normalen‘ Familie aufwachsen durfte, Nestwärme erfahren habe. Andere dagegen waren schon auf der Verliererstraße, bevor sie auf die Welt kamen. Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie gewissermaßen an die Hand nehmen und zu den Menschen führen, die keine Damen und Herren sind. Zwischen ihnen und uns liegen Welten, und trotzdem sind sie uns nahe. Männer und Frauen, die am Rande unserer Gesellschaft stehen, an den Rand gedrängt, gedrückt werden. Manche sind richtig draußen, ohne ein Dach über dem Kopf. Aber nicht nur Obdachlose, auch Bettler, Fixer, Gefangene, Aidskranke, Straßenmädchen, Stricher sind Außenseiter. Menschen am Rande - sagen wir in der Mitte. Dabei sind wir selbst außenstehende Betrachter. Manchmal tun wir so, als ob wir nichts sehen. Oder wir verschließen die Augen und wollen nicht sehen. Oft schauen wir weg, als wären die armen Schlucker eine Belei- Herbert wurde als uneheliches Kind hinund hergeschoben zwischen Mutter, Oma und Tanten. Als ihn keiner mehr haben wollte, blieb nur noch das Heim. Nach einigen Jahren holte Herberts Mutter ihn nach Hause und sagte: „Jetzt hast du einen neuen Vater.“ Und was für einen! Er missbrauchte den Jungen, aber Herbert dachte: Dein Vater darf das. Er hat dich lieb. Später 5 wurde Herbert Stricher; Stadtpark: rein und raus. Ihn hat es oft angeekelt, wie die Freier um ein paar Euro feilschen. Herbert lebte eine Zeit lang sowohl mit einer Frau als mit einem Mann zusammen. Er wusste selbst wohl nicht, wo er eigentlich hingehört. „Ich habe alles mitgenommen, was ich kriegen konnte. Hauptsache ein wenig Wärme!“ Als es Herbert ganz schlecht ging, gab er seinem besten Freund Geld, damit er ihm den Stoff für den ,goldenen Schuss‘ besorgt. Doch der Freund gab ihm eine lebensgefährliche Mischung, u.a. mit Strychnin und Rattengift. Als Herbert mit 46 Jahren an einer kaputten Leber starb, war das noch ein relativ gnädiger Tod im Vergleich zu den vielen Toden, die Herbert bis dahin gestorben war. rückgeholt?“ schreit Doris den Rettungsarzt nach erneuter Überdosis an. Auch ein ,richtiger Suizid‘ kann am Ende die letzte Lösung sein. Nadine hatte sich schon mehrere Male die Pulsadern aufgeschnitten, um feststellen zu wollen, ob sie noch lebt. „Dieses Mal“, so schreibt sie in ihrem Abschiedsbrief, „will ich nur noch sterben. Ich empfinde mein Leben nicht nur unaushaltbar. Ich finde es unerträglich. Wenn das Blut fließt, spüre ich Erleichterung.“ Auch Nadines Angehörige waren erleichtert, als es dann endlich vorbei war. Manchen scheint nichts zu fehlen. Aber sie können nicht mehr lachen. Als wäre kein Leben mehr in ihnen. Der Tod ist mehr als ein biologisches Phänomen, viel mehr als der Exitus. „Für uns bist du gestorben“, bekommt der kriminelle Sohn aus gutem Hause zu hören. - „Für mich bist du tot“, sagt der Vater, als seine Tochter sich als Lesbe outet. Es ist schwer, mit dem Todesurteil der eigenen Familie zu leben. Tödlich ist auch das Gefühl, von Anderen abgeschrieben zu sein. Selbst der ,hoffnungslose Fall‘ braucht noch Menschen, die ihn nicht fallen lassen. Manches Leben ist ein langes, langsames Sterben. Der ,Lebenslängliche‘ Max meint: „Du lebst und bist doch schon tot. Du stirbst jeden Tag und lebst weiter.“ Auch viele Suchtkranke sterben jeden Tag ein bisschen mehr. ‘Senf‘, ein alter Fixer sagt: „Ich bin zu feige, mir einen Strick zu nehmen, und darum begehe ich Selbstmord auf Raten.“ Die letzte Rate ist oft auch eine Er-lösung, die einzige Lösung von einem unlösbaren Problem. Länger leben heißt vielfach auch länger leiden. „Wieso habt ihr mich wieder in dieses Scheiß-Leben zu- Gestorben wird nicht erst am Ende, sondern mitten im Leben. Ein Unfall, eine Krankheit, ein Schicksalsschlag ist bei vielen der Anfang vom Ende. „Als mein Bruder tödlich verunglückt ist, da begannen meine 6 Eltern zu sterben. Meine Mutter bekam Krebs und mein Vater Parkinson.“ Die Franzosen sagen: ,Jeder Abschied ist ein kleiner Tod.‘ Das haben wir alle wohl schon erfahren. Bei manchem Begräbnis tragen wir einen Teil des eigenen Lebens zu Grabe. „Ein Teil von mir stirbt mit dir!“ „Seit deinem Tod bin ich nur noch die Hälfte!“ Wie soll ein Mensch weiterleben, wenn er sein ,Ein und Alles‘ verloren hat? halb verwest in seiner Wohnung liegt. Meist macht erst der überfüllte Briefkasten Nachbarn darauf aufmerksam, dass da etwas nicht stimmt. Oder der starke Verwesungsgeruch. Manchmal kriechen die Maden schon unter der Tür hervor. Das kommt nicht nur in Hochhäusern und Wohnsilos vor, sondern auch in Mehrfamilienhäusern. In Stuttgart lag ein Mann 15 Monate tot in seiner Wohnung. Niemand hatte ihn vermisst. Und auch die Rente wurde weiter gezahlt. Auch ein Suizid kann Nahestehenden das Leben nehmen, erst recht wenn sie sich am Tod (mit-) schuldig fühlen. Unter seinen Schuldgefühlen ist schon mancher zusammengebrochen. Selbsttötung geschieht vielfach nicht so freiwillig, wie das Wort Freitod vermuten lässt. Nicht wenige sind so verzweifelt, dass sie am Ende keinen anderen Ausweg mehr sehen, als in den Tod zu gehen. Manchmal sind es die ,lieben Mitmenschen‘, die jemanden in den Tod treiben. Auch Ausgrenzung und Missachtung führen dazu, dass Frauen und Männer langsam aus der Gesellschaft heraussterben. „Nur der ist tot, der vergessen ist“, heißt es. Demnach sind manche schon vor ihrem Tod tot. Menschen, für die sich kein Nachbar interessiert. Frauen und Männer, die niemandem noch etwas bed e u t e n . G eschweige denn, dass irgendjemand sich um sie kümmert. Der Tod vor dem Tod fing bei manchen schon vor der Geburt an - mit Fußtritten in den Bauch oder mit einer versuchten Abtreibung. Einmal auf der Welt, ging es mit der Gewalt erst richtig los: Schläge, Prügel, Misshandlung, sexueller Missbrauch. Bertold Brecht sagt: „Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg füh- Mitten unter uns vergehen Menschen vor Vereinsamung, sie gehen ein in ihren vier Wänden. Immer wieder hören oder lesen wir, dass jemand wochen-, ja monatelang 7 ren usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“ wir den Tod wieder ins Leben zurück. Das Bewusstsein unserer Endlichkeit hilft uns, endlich zu leben. Und leben ist mehr als existieren. Am Leben sein ist noch nicht leben. Leben ist mehr als überleben. Zum Leben gehört die Liebe, die uns einfach da sein lässt für die Menschen in Not, die unsere Hilfe vielfach brauchen. Der Tod gilt als der große Gleichmacher. Arme, Reiche, Klofrauen, Königinnen, ,Messis‘, Millionäre, Päpste, ,Penner‘ ... Für den ,Schnitter‘ sind alle gleich. Endlich Gleichberechtigung! Und doch ist das Gleiche ungleich anders. Auf der Intensivstation, umgeben von Apparaten und Pieps-Geräten, stirbt ein Mensch ganz anders als daheim, im Kreis seiner Lieben. In den Armen seines Partners einzuschlafen ist kein Vergleich zu dem einsamen Sterben der Ungezählten, die im Angesicht des Todes mit ihrer Angst allein sind. Es ist wie Tag und Nacht, ob ein Mensch im Hospiz ,gepflegt‘ sein Leben beendet oder auf einer Parkbank elend verendet. Oder der Fixer, der mit der Spritze im Arm und dem Kopf in der Kloschüssel tot aufgefunden wird. Petrus Ceelen, in: Am Rand - mitten unter uns, Esslingen: der Hospizverlag, 2015, S.12-22 Hautnah erzählen Hartmuts Narben von seinen vielen Toden. Narben am Handgelenk von durchschnittenen Pulsadern. Narben auf dem Arm von Selbstverletzungen. Hilfeschreie. Sich ins eigene Fleisch schneiden, schnipseln: Verzweifelte Notrufe um Aufmerksamkeit und Zuwendung. Narben an der Oberlippe und über dem linken Auge. Andenken, an die Schläge des Vaters. Narben am Kiefer von einem doppelten Kieferbruch. Narben an Oberschenkel und Bauch -überlebte Messerstiche. Und dann sind da noch die vielen Narben von den Löchern, die er sich mit einer Zigarette in die Haut gebrannt hat. Und auch die Abszesse von Heroin und Kokain haben Narben hinterlassen. „Aber die größte Narbe bin ich“, sagt der 1 Meter 85 große Hartmut mit 32 Jahren. Und auch nach dem Tod macht ,Freund Hein‘ noch große Unterschiede zwischen Menschen am Rande und denen in der Mitte. Der arme Schlucker liegt im Flügelhemd in der billigsten Kiste. Oder er wird gleich in einem Zinnsarg abgelegt und verschwindet sang- und klanglos. Es muss ja keine pompöse Trauerfeier mit einer teuren Truhe sein, aber jeder Mensch hat es verdient, dass er am Ende seines Lebens noch einmal in die Mitte genommen und gewürdigt wird. Nein, es ist nicht gleich-gültig, ob ein Mensch anonym unter den Rasen kommt oder sein eigenes Grab bekommt. Meine Damen und Herren! Stellen wir die Frauen und Männer am Rand in die Mitte. Nehmen wir die Vergessenen in den Blick. Sie öffnen uns die Augen für den Tod mitten im Leben. Mitten unter uns. Wir verdrängen den Tod ans Ende unserer Tage, drängen den Friedhof an den äußersten Rand unserer Gemeinden. Holen Petrus Ceelen 8 Nun, liebe Freunde, es gibt immer eine Verbindung mit dem Sterben und der Trauer. Jedoch auch ein bisschen einen Grund zu feiern. In der aktuellen Situation danke ich meiner Mutter, dass sie mir mit Hilfe von Gott das Leben schenkte. Ich danke ihr, dass sie immer an meiner Seite war, mich nie fallen hat lassen, eher getragen. Ich war mit Sicherheit kein Sohn, den man sich unbedingt wünscht, aber meine Mutter hat immer um mich gekämpft und letztendlich dazu beigetragen, dass sie noch einen anständigen und liebevollen Sohn seit 27 Jahren erleben durfte. Gott gebe uns die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die wir nicht ändern können, den Mut, Dinge zu ändern, die wir ändern können und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Ich danke Euch, liebe Tabor-Freunde! In diesem Sinne, liebe Freunde, will ich Euch meine Erfahrungen mit dem Sterben und dem Tod mitteilen. Euer Herbert 1987 ist während einer meiner vielen Gefängnisaufenthalte mein Vater an Krebs gestorben und ich durfte in Begleitung von zwei Beamten der Beerdigung beiwohnen. Die Tage davor und danach begleiteten mich große Schmerzen. Ich legte damals ein Versprechen ab, dass ich mich ernsthaft bemühe, nicht mehr straffällig zu werden. Dies gelang mir bisher seit 27 Jahren. Memento Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang, nur vor dem Tode derer, die mir nah sind. Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind? Allein im Nebel tast‘ ich todentlang und lass mich willig in das Dunkel treiben. Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben. Der weiß es wohl, dem Gleiches widerfuhr; Und die es trugen, mögen mir vergeben. Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der andern muss man leben. Am 12. Januar diesen Jahres hatte ich einen Herzinfarkt mit Herzstillstand und war für kurze Zeit tot. Dies war ein friedliches und sehr glückliches Erlebnis. Seit diesem Tag habe ich keine Angst mehr vor dem Sterben, jedoch Angst leiden zu müssen. Dies musste meine Mutter, die am 27. Juli 2015 gestorben ist, nicht. Sie durfte friedlich und schmerzfrei mit 87 Jahren einschlafen. Inzwischen ist sie nach ihrem Wunsch verbrannt worden und die Beisetzung ist am 13.08.2015. Da sie keinen Pfarrer etc. wollte, werde ich wohl die Grabrede halten und bitte Gott um die nötige Kraft. (Mascha Kaleko) 9 Ja, manchmal denke ich, das habe ich doch schon einmal erlebt. Das Ganze fing mit dem Tod meiner Mutter an, da war ich siebeneinhalb Jahre. Meine Mutter kam damals durch meinen Vater um - laut Gericht durch Gift. Ich steh‘ am Grab meiner Tochter Wenn ich ans Sterben denke, so begleitet es mich schon lange. Und doch ist es wieder ganz neu durch das Sterben unserer Tochter, die im August letzten Jahres ihr Leben vor der S-Bahn beendete. Sicher wusste sie nicht, was sie da tat, und welche brutale Folgen es hat. Doch wir müssen damit weiter leben. Seitdem fehlt mir etwas im Leben. Innerlich ist etwas in mir tot. Ich war gefangen in Selbstmitleid, Neid, Anhänglichkeit. Ich suchte nach Anerkennung und hatte große Selbstzweifel. Ich brauchte für mein Leben viele Helfer. In einem Seminar lernte ich, dass ich mich für das Leben entscheiden muss. Nachdem ich mit vierzig Jahren mein Leben Jesus übergeben hatte, setzte ein gewaltiger Prozess des Wandels in mir ein. Ich betete, dass ich vergeben konnte, und nach zehn Jahren schenkte mir Jesus diese Gnade. Es war, als zog mir jemand einen Stachel aus dem Fleisch. Mit meinem Vater konnte ich mich nie versöhnen. Ich war damals dazu unfähig, denn er nahm sich das Leben - auf den Bahngleisen. Viele Male starb ich innerlich, doch durch die Gnade Gottes konnte ich wieder aufstehen. Nichts schien so schlimm zu sein wie der Verlust der Mutter. Doch jetzt bin ich selber Mutter und stehe vor dem Grab meiner Tochter. Juliane 10 ne Verbitterung über dieses Urteil zu ertragen. Einfach so! Aus einer Todeszelle in Arizona/USA Ich finde, das die Deutschen besondere Menschen sind. Amerika könnte sehr viel von diesen starken, gelassenen Deutschen lernen, die wirklich verstehen, wie man sich fühlt, unschuldig verurteilt zu sein. Das tut mir sehr gut, und ich fühle mich heute sogar besser als vorher. Ich liebe die Deutschen, und durch die Toedts habe ich Menschen kennen gelernt, durch deren Briefe ich Kraft bekommen. Wenn die Post durch meine Tür kommt mit einer internationalen Briefmarke, dann weiß ich, sie kommt aus Deutschland mit Liebe. Ich fühle mich an keinem Tag unglücklich, ich richte meinen Blick auf das falsche amerikanische Rechtssystem, denn unser Land ist auf einem Auge blind. 142 unschuldig Verurteilte wurden aus den Todeszellen in den letzten Jahren entlassen. Kein Wunder, dass wir zu diesem Thema sogar eine Fernsehserie haben, die von Robert Redford produziert wurde. Erst kürzlich berichtete CNN, dass über 2000 falsche DNA-Tests an die Gefängnisse verschickt wurden, darunter viele von Menschen, die unschuldig in den Todeszellen saßen. Etliche waren schon hingerichtet worden. Es gibt Menschen auf dieser Welt, die sind wie Säulen auf dieser Erde. Sie geben uns Kraft und Liebe. Nicht weil wir sind wie sie sondern auf Grund dessen, was wir sind Kinder Gottes. Mein Name ist Shawna Forde, und ich sitze ein in der Todeszelle in Arizona/USA, verurteilt zum Tode. Nicht weil ich jemanden umgebracht habe, sondern weil ich als Komplizin verdächtigt werde, obwohl ich nicht am Tatort gewesen bin. Ich habe keine kriminelle Vergangenheit, es gibt keine Beweise für eine Tatbeteiligung. Doch nun sitze ich hier in meiner kleinen Zelle in Erwartung meiner Gerechtigkeit. Das hätte ich mir vorher niemals vorstellen können. Ich lebe in Einzelhaft, d.h. keinen menschlichen Kontakt, keine menschliche Gesellschaft. Briefe sind die einzige Brücke zur Außenwelt für mich. Europa lehnt es ab, Giftstoffe für die Todesinjektionen an die USA zu liefern. Trotzdem sind manche Staaten wild entschlossen zu töten. Sie greifen dabei mit Macht zurück auf alte Methoden. So wie beispielsweise der Bundesstaat Utah: Dort wurde ein Gesetz verabschiedet, das den Einsatz eines Exekutionskommandos vorsieht! Arizona, wo ich einsitze, brauchte 2014 einmal zwei Stunden, um einen Mann hinzurichten und nannte das einen Erfolg! Wenn ich nun hier sitze und darüber nachdenke, wie Amerika so drakonisch sein Recht auf Durchführung der Hinrichtungen beibehalten will, schaue ich auf große Na- EinesTages erreichte mich ein Brief aus Deutschland, mit viel Liebe geschrieben. Er kam ohne Vorankündigung, ohne dass ich eine Ahnung davon hatte. Monika und Henry Toedt aus Hammelburg kamen in mein Leben und umarmten mich. Sie wollten mir helfen, meine Einsamkeit und mei11 tionen wie Deutschland. Ich wundere mich darüber, wie Deutschland es geschafft hat, dass Hinrichtungen nicht mehr eine rechtsstaatliche Art der Bestrafung sind. Wir Amerikaner versuchen der Welt zu erzählen, wir seien ein fortschrittliches Land. Und doch stecken wir Menschen ohne die kleinsten Beweise in Todeszellen mit der Androhung, sie nach 20 oder 25 Jahren zu töten. W i r b ezahlen Millionen von Dollar für jeden Fall, und am Ende werden zur Zeit 24% dieser Menschen hingerichtet - ja 24%! Bei über 50% der zum Tode verurteilten Menschen werden die Urteile gekippt. Die Weisheit daraus ist, dass wir von Ländern wie Deutschland lernen könnten. Es wäre ein riesiger Vorteil, wenn wir gerade in dieser Beziehung etliches von Deutschland übernehmen würden. Deutsche Menschen wie die Toedts segnen mich mit dem Strahl der Liebe, sodass ich heute auf Deutschland mit Liebe schaue. Wer traut sich „Der Sommer ist vorüber und du willst noch raus? Wir sind hier am Sterben.“ - „Aber die Sonne scheint, es ist warm! Es duftet so verlockend und süß.“ - „Wenn du rausfliegst, wirst du bald sterben. Die Dunkelheit wird dich überraschen. Du hast kein Gefühl für diese späten Herbsttage. Da wird es kühl, schnell kühl. Du könntest erstarren. Wir sind hier, um unseren Lebensabend zu verbringen. Wir haben alles gehabt“. - „Aber das Leben ist doch noch nicht vorbei. Ich könnte Herbstfarben sehen, letzten Nektar schlürfen.“ - „Das ist zu gefährlich! So mancher Artgenosse ist von so einem späten Flug nicht heimgekehrt. Die Tage werden kürzen, die Nächte länger. Neulich hat es schon mal kurz geschneit. Du wagst zu viel, wenn du rausfliegst.“ - „Ihr traut euch nur nicht, weil ihr Angst habt“ - „Es ist nur vernünftig, sich im November einzuwintern“. - „Aber ich rieche so einen verlockenden Duft, wie ich ihn noch nie in meinem Leben aufgenommen habe! Ich glaube, das ist von einer Pflanze, die ihr noch gar nicht kennt.“ - „Ja, der Duft ist neu. Aber die Erfahrung lehrt, daheim zu bleiben, nichts zu riskieren, sein Leben nicht aufs Spiel zu setzen.“ „Ich will es aber wagen!“ Und nach diesen Worten verließ die Hummel den Winterplatz ihrer Gefährten und flog hinaus in die herbstliche Landschaft. Wie groß war das Wunder, als sie zurückkam. Ihr Körper duftete über und über nach einer Rosenart, wie sie alle es noch nie erschnuppert hatten. Da gab es kein Halten mehr. „Mammi, Mammi guck mal, da fliegen lauter Hummeln in unserem Garten“ „Das verwundert mich aber sehr, diese Insekten noch im November fliegen zu sehen.“ „Sie alle stürzen sich auf die letzte blühende Rose im Garten!“ - „Welch ein Wunder!“ Shawna Forde, übersetzt von Henry Toedt Vielleicht möchte mir noch jemand schreiben (in Englisch), meine Adresse lautet: Shawna Forde # 260830 Unit Lumly ASPC Perryville P.O. Box 3300 Goodyear, AZ 85395 Arizona/USA (verfasst von Gerhard Karrer) 12 bei Ihnen durchgeführten Bluttest wurde nachgewiesen, dass Sie kein Drogenkonsument sind. Auch kann man Ihnen keine Lagerung oder Verkauf von Drogen nachweisen. Der Drogenhund hat nur im Zimmer Ihres Sohnes angeschlagen, es wurden aber keine Drogen gefunden. Nun ist es wohl so, dass Sie wegen Mitwisserschaft angeklagt werden könnten und darauf gibt es bis zu fünf Jahren Haft.“ Anwaltsbesuch beendet! Ich muss dazu sagen, dass Biggi einer der treuesten und ehrlichsten Menschen war, die ich je kannte. Sie kam vom Anwalt zurück, rannte in meine Arme und war am Ende. Der Anwalt sagte nichts von Zeugnisverweigerungsrecht oder dass man nicht verpflichtet ist, einen Verwandten anzuzeigen und sie damit aus der Nummer raus wäre. Meine liebe Freundin weinte die ganze Nacht. Am Samstag früh weckte sie mich. ,Moni, komm mal runter, mir geht es nicht gut!‘ sagte sie. Etwas genervt stand ich auf und erschrak, weil ihr schlumpfblauer Schlafanzug dunkelblau vom Schwitzen war. Sie bekam Durchfall. (,Gott sei Dank, das Abführmittel wirkt!‘) Sie fing an, sich zu übergeben (Scheiß Übelkeit), sie lief unruhig hin und her (Scheiß innere Unruhe!), sie lag über meinen Beinen, während sie sich übergab, ich massierte sie und machte kalte Umschläge. Ich wollte auf den Notknopf, doch sie sagte: ,Nein, geht gleich wieder!‘ Biggi legte sich mit dem Kopf in meinen Schoß, ich streichelte sie, wechselte den kalten Lappen und versuchte sie zu beru- Sterben im Knast Wenn ich ans Sterben denke, dann denke ich an meine Freundin Biggi. 2004 saß ich in der JVA Würzburg. Oft bilden sich in Gefangenschaft für die Zeit der Inhaftierung ganz enge Freundschaften, die einem die Zeit erleichtern. In meinem Fall war es so. Biggi und ich teilten eine Zelle, unser Essen, Post von draußen. Wir träumten von der Zukunft und gaben uns Halt. Biggi war in Untersuchungshaft, weil ein Drogendealer hochgenommen wurde. Dieser war der Meinung: ,Je mehr Namen ich nenne und Leute hinhänge, desto weniger Strafe bekomme ich!‘ So brachte er meine damals 52-jährige Freundin Biggi und ihren 19-jährigen Sohn in den Knast. Die U-Haft war die Hölle für sie. Ihr krebskranker Ehemann kam in ein Pflegeheim, ihr treuer Hund ins Tierheim und ihr zweiter Sohn wandte sich ab. Ihr Körper reagierte mit Verstopfung, Übelkeit, innerer Unruhe, Alpträumen und Heulanfällen. Ich war da, hörte zu, machte Mut und tröstete. Sie bekam Abführmittel, Antidepressiva, Medikamente gegen Übelkeit und am 26. 11.04 Besuch von ihrem Anwalt. Dieser teilte ihr mit: „Frau L., durch einen Drogenhund, der Ihre Wohnung durchsuchte, und durch einen 13 higen. Plötzlich drehte sie ihren Kopf nach hinten, rollte ihre Augen nach hinten und bekam Atemnot. Ich war im Stockbett eingeklemmt, rechts von mir die Leiter, links die Schüssel mit Wasser und in meinem Schoß lag Biggi. Irgendwie kam ich raus und ging auf den Notruf. Es dauerte ewig, Samstag morgen 8.30 Uhr, kein Beamter weit und breit. Dann meldete sich die Torwache: ,Ja?‘ - Ich stammelte: , Frau L. geht es nicht gut!‘ - ,Ja, kommt gleich jemand!‘ Gefühlte 100 Jahre später kam der Sanitäter, sperrte auf und ich konnte raus. Eine Beamtin sperrte mich zum Hausmädchen und das war es dann. Vier Stunden später wurde ich geholt. In der Küche saßen zwei Männer, vor der Küche standen wie im Kino alle, die was zu sagen haben: Erster und zweiter Chef der JVA, erste und zweite Chefin der Beamten, evangelischer und katholischer Pfarrer. Ich betrat die Küche und einer der beiden Herren sagte: ,Guten Tag, Kripo Würzburg. Sie haben ja gehört, dass Frau L. verstorben ist?‘ ,Was, tot?‘ Darauf folgte der totale Zusammenbruch. Das Leben ging weiter, ohne Biggi. Im April 2005 bekam ich dann auf Grund des Traumas Halbstrafe mit der Auflage, Therapie zu machen. 2014 wurde ich wieder verhaftet. Auf dem Weg von Frankfurt nach Aichach musste ich eine Woche in Würzburg bleiben. Panik, Erinnerungen und Wut - alles war wieder da. Auf der Krankenabteilung traf ich nach zehn Jahren den Sanitäter von damals wieder. Er erkannte mich sofort. Ich erzählte ihm von meinen Schuldgefühlen und der Panik vor verschlossenen Zellen. Er erzählte mir, dass Biggi nicht mehr leben wollte. Man hat sie sieben mal wieder belebt. Beim achten mal ließ man sie gehen. Sie starb an einem Herzinfarkt. Ihr gebro- chenes Herz wollte keine fünf Jahre in Haft bleiben, nur weil sie ihren Sohn nicht an die Polizei verriet, ein anderer aber ihren Namen verriet, um besser davon zu kommen. Wenn ich ans Sterben denke, dann denke ich an Biggi und den Song ,tears in heaven‘. Monika, JVA Aichach Es gibt nichts, was uns die Abwesenheit eines lieben Menschen ersetzen kann, und man soll es auch gar nicht versuchen. Man muss es einfach aushalten und durchhalten. Das klingt zunächst sehr hart; aber es ist zugleich doch ein großer Trost: Denn insofern die Lücke wirklich unausgefüllt bleibt, bleibt man durch sie miteinander verbunden. Es ist verkehrt, wenn man sagt, Gott füllt die Lücke aus. Er füllt sie gar nicht aus, sondern hält sie vielmehr gerade unausgefüllt und hilft uns dadurch – wenn auch unter Schmerzen –, unsere Gemeinschaft miteinander zu bewahren. Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual in eine stille Freude. Man trägt das Vergangene in sich wie ein kostbares Geschenk, wie einen verborgenen Schatz, dessen man sich gewiss ist. Dann geht Kraft und dauernde Freude von dem Vergangenen aus. Dietrich Bonhoeffer 14 Tunnel bewegt. Danach befindet er sich plötzlich außerhalb seines Körpers, jedoch in derselben Umgebung wie zuvor. Als ob Nah-Tod-Erfahrungen er ein Beobachter wäre, blickt er nun aus einiger Entfernung auf seinen eigenen KörZusammen mit Elisabeth Kübler-Ross gilt per. In seinen Gefühlen zutiefst aufgewühlt, Raymond Moody als Pionier der Sterbefor- wohnt er von diesem seltsamen Beobachschung. Mit seinem Bestseller „Leben nach tungsposten aus den Wiederbelebungverdem Tod“, in dem er Fälle von Nahtoder- suchen bei. fahrungen schilderte, weckte er 1975 welt- Nach einiger Zeit fängt er sich und beginnt, sich immer mehr an seinen merkwürdigen weit das Interesse für dieses Phänomen. Zustand zu gewöhnen. Wie er entdeckt, besitzt er noch immer einen "Körper", der sich jedoch sowohl seiner Beschaffenheit als auch seinen Fähigkeiten nach wesentlich von dem physischen Körper, den er zurückgelassen hat, unterscheidet. Bald kommt es zu neuen Ereignissen. Andere Wesen nähern sich dem Sterbenden, um ihn zu begrüßen und ihm zu helfen. Er erblickt die Geistwesen bereits verstorbener Verwandter und Freunde und ein Licht und Dieses Bild hat Anne zur Linden kurz vor ihrem Tod gemalt. Wärme ausstrahlendes Wesen, wie er es noch Raymond Moody fasste die geschildernie gesehen hat, ein Lichtwesen, erscheint ten Nahtoderfahrungen exemplarisch vor ihm. Dieses Wesen richtet ohne Wort zusammen: zu gebrauchen eine Frage an ihn, die ihn "Ein Mensch liegt im Sterben. Während dazu bewegen soll, sein Leben als Ganzes seine körperliche Bedrängnis sich dem Höhepunkt nähert, hört er, wie der Arzt ihn zu bewerten. Es hilft ihm dabei, indem es für tot erklärt. Mit einem Mal nimmt er ein das Panorama der wichtigsten Stationen unangenehmes Geräusch wahr, ein durch- seines Lebens in einer blitzschnellen Rückschau an ihm vorüberziehen lässt. dringendes Läuten oder Brummen, und zugleich hat er das Gefühl. dass er sich Einmal scheint es dem Sterbenden, als ob sehr rasch durch einen langen, dunklen er sich einer Art Schranke oder Grenze Der Weg ins Licht 15 nähere, die offenbar die Scheidelinie zwischen dem irdischen und dem folgenden Leben darstellt. Doch ihm wird klar, dass er zur Erde zurückkehren muss, da der Zeitpunkt seines Todes noch nicht gekommen ist. Er sträubt sich dagegen, denn seine Erfahrungen mit dem jenseitigen Leben haben ihn so sehr gefangen genommen, dass er nun nicht mehr umkehren möchte. Er ist von überwältigenden Gefühlen der Freude, der Liebe und des Friedens erfüllt. Trotz seines inneren Widerstandes - und ohne zu wissen, wie - vereinigt er sich dennoch wieder mit seinem physischen Körper und lebt weiter. befindet, zu dem es den Sterbenden hinzieht: das Tunnel-Erlebnis. Sie werden mit hoher Geschwindigkeit zum Licht gezogen, das sehr hell, aber nicht blendend ist. - Wahrnehmung einer außerweltlichen Umgebung, einer wundervollen Landschaft mit herrlichen Farben, schönen Blumen und manchmal auch Musik. - Begegnung und Kommunikation mit Verstorbenen. - Begegnung mit einem strahlenden Licht oder einem Wesen aus Licht. Die Erfahrung vollkommener Akzeptanz und bedingungsloser Liebe. Man tritt mit tiefem Wissen und Weisheit in Kontakt. - Lebensschau, Lebenspanorama oder Rückblick auf den Verlauf des Lebens seit der Geburt. Alles wird noch einmal durchlebt. Man überblickt das ganze Leben in einem einzigen Augenblick, es gibt weder Zeit noch Distanz, alles ist gleichzeitig, man kann tagelang über diese Lebensschau sprechen, die nur einige Minuten dauerte. - Vorausschau. Man hat das Gefühl, einen Teil des Lebens, der vor einem liegt, zu überblicken und zu betrachten. Auch hier gibt es weder Zeit noch Distanz. - Das Wahrnehmen einer Grenze. Man erkennt, dass nach dem Überschreiten dieser Grenze keine Rückkehr in den eigenen Körper mehr möglich ist. - Die bewusste Rückkehr in den Körper. Es erfordert große Anstrengung, diese schöne Umgebung wieder zu verlassen. Nach der Rückkehr in den kranken Körper empfindet man tiefe Enttäuschung darüber, dass einem so etwas Herrliches genommen wurde. Bei einer Nahtoderfahrung müssen nicht zwangsläufig alle genannten Elemente auftreten, doch ist in der Regel eine Einordnung in dieses Muster möglich. Bei seinen späteren Versuchen, anderen Menschen von seinem Erlebnis zu berichten, trifft er auf große Schwierigkeiten. Zunächst einmal vermag er keine menschlichen Worte zu finden, mit denen sich überirdische Geschehnisse dieser Art angemessen ausdrücken ließen. Da er zudem entdeckt, dass man ihm mit Spott begegnet, gibt er es ganz auf, anderen davon zu erzählen. Dennoch hinterlässt das Erlebnis tiefe Spuren in seinem Leben; es beeinflusst namentlich die Art, wie der jeweilige Mensch dem Tod gegenübersteht und dessen Beziehung zum Leben auffasst." Moody teilte die Nahtoderfahrungen systematisch in verschiedene Elemente auf: - Das Unaussprechliche der Erfahrung. - Ein Gefühl des Friedens und der Ruhe. Der Schmerz ist verschwunden. - Die Erkenntnis, tot zu sein. Manchmal ist danach auch ein Geräusch zu hören. - Ein Verlassen des Körpers oder eine außerkörperliche Erfahrung. Die eigene Reanimation oder Operation wird von einer Position außer- und oberhalb des eigenen Körpers aus wahrgenommen. - Aufenthalt in einem dunklen Raum, an dessen Ende sich ein kleiner Lichtfleck Andreas 16 Krankenhaus benachrichtigt. In diesem Moment ist meine Welt zusammen gebrochen und liegt heute noch in Millionen von Einzelteilen vor mir. Mein geliebter Papa Gitti schreibt ihrem verstorbenen Vater einen Abschiedsbrief. Du weißt, ich habe dich sehr geliebt und liebe dich heute noch sehr. Egal, was war: ob Streit oder Ärger - du warst immer für mich da. Du hast mir den rechten Weg gezeigt und mich ein großes Stück darauf begleitet. Du hast mich nie aufgegeben und mir stets eine neue Chance gegeben. Dafür danke ich dir von ganzem Herzen. Es ist jetzt fast vier Jahre her, seitdem du nicht mehr bei uns bist. Ich vermisse dich so sehr. Kann es nicht in Worte fassen, wie sehr du mir fehlst. Ich träume oft von dir und höre deine Stimme. Manchmal, wenn ich in den Himmel schaue, denke ich, dass ich dich auf einer Wolken sitzen sehe. Du Ich weiß: Ich war nicht immer eine einfache Tochter und habe dir Kummer und Sorgen bereitet, war manchmal auch gemein zu dir, dachte nur an mich. Das tut mir heute unendlich leid und ich bitte dich dafür um Vergebung. Einmal war ich eine Woche lang böse auf dich, weil du mir eine Ohrfeige gegeben hast. Ich war mit 14 Jahren eine Nacht nicht nach Hause gekommen, du hast mich zur Rede gestellt, ich habe dir patzige Antworten gegeben und dich provoziert, bis dir die Hand ausrutschte. Nach einer Woche hielten wir beide das Sich-Anschweigen nicht mehr aus und haben uns wieder vertragen. Gut, du hattest auch deine Schwächen, warst kein Übermensch und machtest auch Fehler. Vielleicht mag ich gerade das an dir. schaust zu mir herunter, lächelst und winkst mir zu. Wenigstens in meinen Träumen kann ich dir ganz nahe sein. Wenn ich dann wach werde, riecht es überall nach dir, nach deinem Parfum, und mir ist ganz warm. Ich möchte dann gar nicht aufwachen, weil ich einfach bei dir sein möchte. Ich hätte noch so viele Fragen an dich, würde so gerne noch einmal mit dir sprechen deine Stimme hören, dich noch einmal umarmen. Jetzt bleibt mir nur noch das AbschiedNehmen. Ich will dich gehen lassen in deine neue Welt. Ich weiß, dass es dir dort gut geht. Dort werden wir uns irgendwann wieder sehen. Bis dahin hast du in meinem Herzen einen festen Platz, in meinem Herzen bist du immer da. Ich denke an dich! Ich vermisse dich! Ich liebe dich! An dem Tag, an dem du starbst, war ich zu Hause und lief den ganzen Tag auf und ab. Um 19.15 Uhr bin ich auf einmal von der Couch aufgesprungen und wusste, dass du stirbst. Um 22.40 Uhr hat mich dann das Deine Tochter Gitti 17 drei Titanblättchen im Schädel erwachte ich aus der Narkose. Ich habe mir die Seele aus dem Leib gekotzt, mir ging es wirklich nicht gut. Aber ich habe dieses Martyrium überlebt, obwohl ich nicht daran geglaubt habe. Zur Vorsorge habe ich eine Art Testament hinterlassen, falls doch etwas schief gelaufen wäre. Meine Kinder und meine Familie sollten gewisse Anweisungen haben, falls etwas passiert wäre. Der Neurologe meinte, ich hätte tausend Schutzengel gehabt. We r we i ß? Vi e l l e i c h t stimmt das wirklich. Wenn ich ans Sterben denke ... ... dann verbinde ich das mit sehr viel Leid und fürchterlichen Schmerzen am eigenen Leib. Alles begann nach meinem Arbeitsunfall. Ich hatte zwei Wochen danach extreme Schmerzen in meiner rechten Schädelseite. Ich hatte schon mehrere Ärzte aufgesucht, ein CT war gemacht worden, niemand hatte etwas gefunden. Meine letzte Anlaufstelle war der Gang zu einem Neurologen, da meine Schmerzen unerträglich wurden und meine Augen - rot unterlaufen - ständig tränten. Ich konnte nichts mehr lesen, es war alles verschwommen. Beim Arzt machten wir sofort eine MRT. Nachdem die Untersuchungsergebnisse da waren, sofort wieder ins Arztzimmer. Der Arzt wertete die Bilder aus, und an seinem Blick konnte ich erkennen, dass da irgendetwas war. Er sagte zu mir, ich hätte da was im Schädel. Er können mir aber nicht sagen, was das ist. Ich müsse umgehend ins Krankenhaus. Schock! Mein Körper erstarrte. Tränen schossen mir in die Augen, und ich dachte: ,Das war‘s!‘ Niemand kann sich vorstellen, was mir da durch den Kopf ging. Im Bruchteil einer Sekunde sah ich mein ganzes Leben an mir vorbei laufen, eine Sekunde, die für mich eine ganz andere Bedeutung bekam. Im Krankenhaus wurde ich weiter untersucht und über die Risiken aufgeklärt.Man fand eine Gehirnblutung, drei Aneurysmen. Die Diagnose: Schlaganfall. Nach einer mehrstündigen Operation und mit drei Titanclips sowie Meinen Glauben habe ich elf Monate danach verloren. Mein Neffe, den ich sehr lieb hatte, starb nach langer Krankheit. Er war noch sehr jung und hatte sein ganzes Leben vor sich. Nach seinem Tod ging es mir noch schlechter als zu der Zeit nach meiner schweren Schädel OP. Ich sah es als Strafe an, diese OP überlebt zu haben. Warum musste ich erneut leiden und zerstörerische Schmerzen ertragen? Wenn ich nicht zwei so wunderbare Töchter hätte, die mich damals nach alldem so unterstützt hatten und auch heute noch an mich glauben, dann würde ich die Haftzeit nicht so gut überstehen. Ich glaube daran, dass meine gesundheitlichen Probleme irgendwann einmal weg sind und hoffe, dass ich dann anders über das Sterben denke. Denn wer dem Sterben schon so nahe war, lebt anders. Und mir wurde bereits ein Teil meines Lebens genommen. Hätte ich nicht gekämpft, hätte ich verloren. Ich wünsche euch allen viel Kraft und DJ-Swini, JVA Aichach Glauben. 18 Der Tod war mir ein ständiger Begleiter niemand mehr von meinen Freunden und den Menschen, die mir in dieser Zeit nahe waren, die mit mir Drogen nahmen. Kuno erzählt über seine Tod-Erfahrungen Der Tod hat für mich einen Namen und ein Gesicht, darum will ich die Menschen, die mir sehr nahe waren, nicht namenlos lassen. Der erste, der mir sehr nahe stand, war Meik, 1985 gestorben, ich hatte ihn noch besucht, zwei Tage später war er tot. Michael, drei kleine Kinder und eine liebe Frau, hat sich vor den Zug geworfen, weil er keinen anderen Ausweg mehr sah. Sigi ist an einer Leberzirrhose elendig zu Grunde gegangen, ich habe seine letzte Zeit noch mitbekommen. Seine Schwester Monika haben sie tot vor die Türe ihrer Mutter gelegt: Überdosis. Mit ihr war ich auch eine Zeit lang zusammen. Heute darf ich euch mal an einem anderen Aspekt meiner Lebensgeschichte teilhaben lassen. Manche kennen mich und Teile meiner Lebensgeschichte schon aus anderen Beiträgen. Noch mal kurz zu meiner Person: Ich heiße Kuno und war selbst über zwanzig Jahre schwerst drogenabhängig und durch meine Sucht und deren Kriminalisierung in den verschiedensten Gefängnissen. Als Kind hatte ich immer schon sehr große Ängste; wo kamen sie her? Vielleicht, weil ich mich nicht geliebt gefühlt habe und schon früh rebellierte. Auch habe ich sehr viel gelogen. Eigentlich suchte ich Liebe und Aufmerksamkeit, aber es entstanden Ängste und Verhaltensstörungen, die mich sehr blockierten. So habe ich damals schon in einer gewissen Weise im Tod gelebt. Diese Ängste, meine Art, alles nur schwarz zu sehen und totale Minderwertigkeitskomplexe begleiteten mich durch den größten Teil meines Lebens. Das war eine Art Tod für mich, denn ich habe ja nicht wirklich gelebt. Bernd ist vom dritten Stock seiner Wohnung auf eine sehr befahrene Straße gesprungen, weil zwei Polizisten vor seiner Tür standen. Er hat gemeint, dass sie ihn wieder verhaften würden. Dabei wollten sie ihn nur darauf hinweisen, dass sein Auto vor seinem Haus im Parkverbot steht. Ich könnte noch so weiter erzählen, aber ich will euch von meinen eigenen Todeserfahrungen erzählen. Das erste Mal, dass ich so richtig den Tod mit Todesangst erlebte, war, als ich eine größere Menge an Drogen und Bargeld zu In meiner Drogenabhängigkeit habe ich dann den sichtbaren, realen Tod erlebt und auch selbst erfahren. Es lebt heute fast 19 Hause hatte und ein Bekannter mich überfiel. Mitten in der Nacht stand er plötzlich als Frau verkleidet in meiner Wohnung an meinem Bett und würgte mich. Es ist zu einem Kampf gekommen, bei dem es nur noch ums Überleben gegangen ist. Ich hatte wirklich Todesangst. Zum Glück konnte ich ihn dann nach langem Ringen überwältigen, und er floh aus meiner Wohnung. Drogen. Ich konnte den Entzug nicht ertragen. Ich war so hoch dosiert, dass für mich ein unüberwachter Entzug lebensgefährlich war. Das Schlimmste aber war es, die Realität zu sehen, dass mein Leben keinen Sinn hatte. Mein Leben war auf nichts aufgebaut, meine Vergangenheit nur eine Last, keine Perspektive für die Zukunft, nicht der leiseste Ansatz, wie ich mein Leben je auf die Reihe bekäme. So ging meine Drogenabhängigkeit weiter. Gefängnis rein, Gefängnis raus, wieder auf Drogen - der einzige Zustand, der mich das Leben überhaupt ertragen ließ. Aber man stirbt innerlich. Es ist kein Leben, und man wünscht sich eigentlich, dass es bald zu Ende ist. Einmal hatte ich einen Selbstmordversuch unternommen, der nicht geglückt ist und viele Male hatte ich eine Überdosis, in denen ich dem Tod ganz nahe war. Ein weiteres Erlebnis möchte ich noch erzählen: Ich wurde zweimal kurz hintereinander mit Drogen erwischt, in Frankfurt und in Bremen, wurde aber nicht eingesperrt, weil es ja nicht in Bayern war, wo ich wohnte. Ich wollte aufhören und habe drei Tage nichts genommen. Die Folgen waren, dass ich mich nicht mehr bewegen konnten und eine totale Atemlähmung hatte. Ich wurde sofort ins Krankenhaus auf die Intensivstation gebracht. Die Ärzte verständigten meine Eltern und teilten ihnen mit, dass ich im Sterben läge. Für mich war das ein eigenartiges Erlebnis. Ich konnte nichts mehr bewegen, mich nicht mehr rühren und habe doch alles um mich herum wahrgenommen. Ich habe mitbekommen, wie die Ärzte mit meinen Eltern sprachen, ihnen sagten, dass sie sich keine Hoffnung machen sollten, dass ich das überleben würde. Ich habe meinen Vater und meine Mutter weinen gesehen, habe alles gehört und gesehen. Man hat mir später gesagt, dass ich zu dieser Zeit im Koma gelegen habe. Das war eine seltsame Erfahrung. Zwei Tage später, ich war noch im Krankenhaus, nahm ich schon wieder 20 Heute weiß ich um das wahre Leben. Ich habe mir ein normales Leben gewünscht, einfach leben, mich und mein Leben annehmen können, ich konnte und wollte nicht mehr so weiter machen. Ich habe es mit einer Therapie versucht, die mir geholfen hat, mich aber nicht von meiner Drogensucht befreit hat. Die Hoffnungslosigkeit, die innere Zerrissenheit, die Vergangenheit, die Ängste ... Wohin mit dem alten Leben? habe viele wieder fallen gesehen, drei starben an einer Überdosis, obwohl sie schon länger auf einem guten Weg waren. Ich sehe und erlebe oft das Scheitern und die Hoffnungslosigkeit, die sie begleitet: ,Woher nehme ich Kraft, was gibt Hoffnung, woher nehme ich Leben?‘ Für mich ist der Glaube an Gott das größte Geschenk, denn ER gibt mir wirklich Kraft zum Leben, ER befähigt mich, immer wieder neu aufzustehen. Der Glaube gibt mir auch hier und jetzt schon Leben. Jesus Christus ist für mich dieses Leben. ER hat sein Leben hingegeben, dass ich nicht im Tod bleiben muss, sondern dass ich das Leben auch jetzt schon in Fülle habe. Wie in der Bibel geschrieben ist: Für viele ist der Glaube an Jesus Christus eine Torheit, dem anderen ist er ein Ärgernis, für die aber, die glauben, ist er Gottes Kraft. Ich hatte in meiner Gefängniszeit schon mal eine sehr starke Glaubenserfahrung machen und erleben dürfen, als ich anfing, nach dem Sinn des Lebens und nach Gott zu fragen. Gott gibt Antwort. Das war auch für mich der Grund, mich nach meiner langen Odyssee an Gott zu wenden. Ich habe erlebt, wie Gott mir im Verborgenen näher war als all die Menschen um mich herum. Wenn mir das früher jemand erzählt hätte, hätte ich ihn belächelt. Aber ich habe diese Erfahrung selbst machen dürfen. Ich wünsche Euch allen den Trost, den Gott verheißt, die Hoffnung, die ER schenkt und das neue Leben, das schon heute gegenwärtig ist. Seit ich meinen Glaubensweg gehe, habe ich eine ganze Menge Menschen kennen gelernt, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben; Menschen, die heute frei sind. Ich bin vom Tod ins Leben gegangen. Wo früher alles grau und finster, hoffnungslos und leer war, da ist heute Leben, Licht und auch Trost. Für mich war sehr wichtig, dass ich Versöhnung und Vergebung erleben durfte. Gott segne Euch! Kuno Der Tod, den die Menschen fürchten, ist die Trennung der Seele vom Körper. Ich arbeite in einer kleinen Gartenbaufirma. Mit der Emmaus-Gemeinschaft gehe ich regelmäßig als ehrenamtlicher Mitarbeiter in die JVA Bernau. Ich sehe sehr viele Menschen scheitern. In unserer Firma arbeiten viele Menschen, die Therapie gemacht haben und jetzt in München Außenorientierung machen. Einige machen bei uns ein Praktikum und manche können auch bei uns fest zu arbeiten anfangen. Ich Der Tod aber, den die Menschen nicht fürchten, ist die Trennung von Gott. (Hl. Augustinus) 21 starb 1999 an Knochenkrebs. Zum Zeitpunkt ihres Todes (morgens um 4.30 Uhr) wurde es ganz hell. Seitdem bin ich überzeugt, dass sie ins Licht gegangen ist. Für mich heißt das: zu Gott. Das macht mich froh, und ich bin fest davon überzeugt, dass auch ich ins Licht gehen werde. Aus meinem Glauben ist Gewissheit geworden. Dafür bin ich Gott sehr dankbar. Meine Angst vor dem Tod ist nicht mehr da. Natürlich denke ich manchmal an den Sterbeprozess und weiß, dass er sehr schmerzhaft und leidvoll sein kann, wahrscheinlich auch ist. Letztendlich aber weiß ich, dass Gott mich erlöst und ich ins Licht gehen werde. Ins Licht gehen Vor einigen Tagen wurde das Erntedankfest in den Kirchen gefeiert. Während der Messe kamen mir meine Großeltern in den Sinn. Ich hatte auf einmal das Bedürfnis, ihnen und auch meinen Eltern für mein Leben zu danken. Gleichzeitig war der Gedanke da, dass sie ja alle nicht mehr leben. Und mich überfiel eine Traurigkeit, dass ja auch mein Leben hier auf dieser Welt zeitlich begrenzt ist. Diese Traurigkeit war im nächsten Augenblick wieder vorüber. Mir kam der längere Leidensweg meiner Lebensgefährtin Edelgard in den Sinn. Sie Erich, 63 Jahre, ehem. Tabor-WG Vielleicht ist es kein Weggehen, sondern Zurückgehen? Sind wir nicht unterwegs mit ungenauem Ziel und unbekannter Ankunftszeit, mit Heimweh im Gepäck? Wohin denn sollten wir gehen wenn nicht nach Hause zurück? (Anne Steinwart) An einer alten Brücke in Wien steht die Inschrift: Alles ist nur Übergang Merke wohl die ernsten Worte, von der Stunde, von dem Orte treibt dich eingepflanzter Drang, Tod ist Leben, Sterben Pforte, alles ist nur Übergang. 22 STERBEN IN WÜRDE Der Wert, den wir dem Menschen und seinem Leben zumessen, auch dann, wenn es leidvoll ist und sich dem Ende neigt, sollte – für Befürworter wie Gegner gleichermaßen – der Ausgangspunkt jeglicher Überlegungen bezüglich der Sterbehilfe sein. Eine Stellungnahme der Deutschen Bischöfe Viele Menschen fürchten sich davor, dass sie am Lebensende unnütz und einsam sind und nicht mehr über sich selbst bestimmen können. Sie fürchten sich vor Schmerzen und einem schwer ertragbaren Schwebezustand zwischen Leben und Tod. Sie möchten in Würde sterben können. Das Leben eines jeden Menschen ist kostbar Aus Sorge um den Menschen setzen sich Christen dafür ein, dass das Leben eines jeden Menschen – gerade auch in der Nähe des Todes – zu jedem Zeitpunkt ge- Verbot der Hilfe bei der Selbsttötung aufheben? Seit einiger Zeit ist eine Debatte entbrannt, ob aktive Sterbehilfe und assistierter Selbstmord erlaubt werden sollten. Dürfen wir der Erlösung von Leid und Schmerz nachhelfen? Eine Gruppe von Medizinern hat die Forderung an die Politik gestellt, das Verbot von Hilfe bei der Selbsttötung aufzuheben und dies Ärzten unter bestimmten Umständen zu erlauben. Die Frage, ob wir aktiv am Tod eines anderen Menschen mitwirken dürfen, auch wenn er sich dies wünscht, ist nur oberflächlich eine. Sie sprengt den Rahmen der staatlichen Regulierungsmöglichkeiten, denn sie berührt im Wesentlichen unsere Einstellung zur Würde des Menschen; ihre Beantwortung ist auf das Engste verknüpft mit unserem grundlegenden Menschenbild. schützt wird. Sie glauben daran, dass wir alles, was ist, Gott verdanken. Gott hat den Menschen als sein Abbild geschaffen und ihm eine unantastbare Würde verliehen. Diese Würde gründet nicht in seiner Leistung oder in dem Nutzen, den er für andere hat. Die Würde des Menschen folgt daraus, dass Gott ihn bejaht. Aus dem Wissen um Gottes Zuwendung und Liebe heraus darf und kann der Mensch auch im Leiden und im Sterben sein Leben bejahen und seinen 23 Tod aus Gottes Hand annehmen. Aus der Überzeugung, dass das menschliche Leben von Gott geschenkt ist, folgt auch die, dass der Mensch keine volle Verfügungsgewalt über sein Leben haben kann. Christen müssen bekennen: In Würde stirbt, wer anerkennt, dass sein Leben als solches unverfügbar ist. Es hat einen Wert in sich, auch wenn der Körper keine Leistung erbringt oder nicht voll funktionsfähig ist. Die Entscheidung gegen das eigene Leben, auch wenn es durch Schmerzen und Leid geprägt ist, widerspricht fundamental dem Wesen des Menschen. Anfang und Ende des Lebens sind der Verfügung des Menschen entzogen. Daraus folgt, dass der Tod nicht herbeigeführt werden sollte. notwendig, die Palliativversorgung und die Hospizarbeit in ambulanten und stationären Einrichtungen zu fördern und auszubauen. Sie stellen eine zunehmend wichtige Antwort auf die Lebenslage und Bedürfnisse der Menschen dar. Viele haupt- und ehrenamtliche Hospizhelfer leisten einen wertvollen Dienst, indem sie Menschen im Sterben beistehen. Die Gesellschaft darf nicht zulassen, dass der künstlich herbeigeführte Tod in der Endphase eines Lebens zu einer ärztlichen Dienstleistung wird. Eine gesetzliche Reglung, die derartige Angebote duldet, würde dazu führen, dass der innere und äußere Druck auf alle Alten, Schwerkranken und Pflegebedürftigen zunimmt, von derartigen Optionen Gebrauch zu machen – um keine Last für Angehörige zu sein. Sterbende begleiten und den Tod zulassen Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass der Tod zugelassen werden darf. Sterben in Würde zu ermöglichen, bedeutet aus christlicher Sicht, dass der Sterbende an der Hand eines Menschen stirbt und nicht durch sie. Gerade in seinem letzten Lebensabschnitt braucht der Mensch Zuwendung, Schutz und Trost. Ein Sterben in Würde für jeden Menschen zu ermöglichen, ist daher auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ein Klima der selbstverständlichen Solidarität schaffen Ein würdevolles Sterben kann die Gesellschaft aber nur dann gewährleisten, wenn sie ein Klima der selbstverständlichen Solidarität und Hilfe schafft, in der sich Sterbende nicht als Last empfinden. Wer die Humanität schützen und die Freiheit des Sterbenden wahren will, muss gleichsam einen Schutzraum eröffnen, in dem umfassende palliativmedizinische Betreuung und helfende, liebende Annahme stattfinden. Die Kirche setzt sich dafür ein, dass anerkannt wird: Der Mensch ist Mensch bis zuletzt. Aus christlicher Sicht soll der Tod eines Menschen nicht künstlich hinausgezögert werden, wenn es keine Chance mehr auf Heilung oder ein erträgliches Leben gibt. Den Tod willentlich herbeizuführen aber kann aus christlicher Perspektive keine Alternative zu einer liebevollen und mitfühlenden Begleitung des Menschen auf seiner letzten Wegstrecke sein. Die katholische Kirche spricht sich nachdrücklich gegen alle Formen der aktiven Sterbehilfe und der Beihilfe zur Selbsttötung aus. Sie ist der Überzeugung, dass der Staat dann ein würdevolles Sterben ermöglicht, wenn er die flächendeckende medizinische und pflegerische Begleitung Schwerstkranker und Sterbender in den Mittelpunkt stellt und nach Kräften fördert. Die Kirche beteiligt sich hier mit einer intensiven seelsorglichen Betreuung der Sterbenden und ihrer Angehörigen. Es ist www.dbk.de/themen/sterben-in-wuerde/ 24 wurde ich wach mit einem komischen Gefühl. Als ich die Augen öffnete, stand mein Opa am Bettende und weinte. Da spürte ich, dass es ein Abschied war, und zwar für immer. Ich sah ihn nie wieder, aber ich spüre ihn oft. Gerade wenn ich Sorgen und Ängste habe oder traurig bin, spüre ich ihn in meiner Nähe und rieche sein extrem duftendes Aftershave. Es erfüllt den ganzen Raum. Dann weiß ich, er ist da, passt auf mich auf, und das spendet mir Trost. Meine Erfahrungen mit dem Tod Als ich 14 Jahre alt war, bekam ich eine Herpes-Enzephalitis. Diese Krankheit manipuliert und zerstört die Gehirnzellen extrem. Sie kann bis zum Gehirntod führen. Dank meines Bruders Björn, der sie rechtzeitig erkannte und den Rettungswagen rief, konnte ich behandelt werden. Gerade noch rechtzeitig. Einige Zeit später hätte ich einen Gehirntod erlitten. Somit bin ich dem Tod entwischt. Vielleicht habe ich deshalb die Gabe, die Seelen von Verstorbenen zu spüren und ihren Schmerz und ihre Trauer zu fühlen. Es heißt in einigen Geschichten und Märchen: „Der Tod hüllte sie ein. Sie nahmen ihn wie einen Freund an und er nahm sie fest in seine Arme.“ Ich habe mittlerweile keine Angst mehr vor dem Tod. Denn ich glaube fest daran, dass der Tod nicht das Ende, sondern vielmehr ein Neuanfang ist. Ich muss ihn nur annehmen, dann spendet er Trost. Als ich mit meiner damaligen Schulklasse einmal ins Konzentrationslager nach Dachau fuhr, fröstelte es mich die ganze Zeit über, obwohl es draußen sehr warm war. Ich glaube, es war an diesem Tag über 30° war, aber ich spürte nur Kälte, Angst und Trauer. Ich hörte innerlich die Schreie der hier getöteten und verstorbenen Menschen und vernahm in meinem Inneren lautes Kinderweinen. Nach einer halben Stunde musste ich das Gelände des KZ verlassen. Ich war nervlich am Ende, und mir liefen die Tränen die Wangen herunter. Als mein Opa Josef starb - er lebte in der Nähe von Magdeburg schlief ich in meinem Bett in München. Plötzlich Astrid, JVA München Manchmal scheint es wie das Ende eines Tages zu sein. Doch es ist nicht Sonnenuntergang - es ist die Morgendämmerung, die uns zu einem neuen Anfang führt. 25 n segne e h von c i l it e , das t Z r o s Da s W das be „ tiefe ha und – t, er utes g g gnen a s n i en he se t e n c i e l s t b e i r e d Es is o n sZ Verst “. Da e Sin t t m l e l e n o n l i g t e gew ris i gese es ch Gott iche d l t n n i n n o e i i Z er v der S Gott ist d s in bens, n e e L nddas b e r n Ste zum liche s h s i c e b s d n ir me ens ns, den w s Leb h terbe e c S r d u n k d che nblic odes, Auge des T k hen. c e i l g jedem ein genb s u n e A b n r Le liche d Ebne d ins rdinan m To e e F d s au Sterben ist ein Teil des Lebens, der letzte Weg für die Sterbenden - mit den Lebenden. Die Zeit zum Sterben ist eine intensive, letzte Lebenszeit. Die Begegnung mit dem Tod ist die Auseinandersetzung mit dem Leben. Mit allem, was war, was ist und was nicht mehr sein wird. Mit allem, was dennoch bleibt. Es ist schwer, Abschied zu nehmen - für die Sterbenden und die, die weiterleben. Es ist wichtig, sich dafür Zeit zu nehmen. Wenn ic h an d ie Aufe der Tot rstehun en glaub g e, dann an das g la ube ich Leben. Dann gla dass nic ube ich hts tot , bleibt, sentlich w as weist. Dan n glaube die Auf ich an erstehu ng abge Gefühle s t o r bener , vergr abener gen, ver Hoffnun spielter Chancen ner Mö , vertaglichkeit en, ver Ideale, v lorener erschüt teter Kr Dann gla ä fte. ube ich an die L keit des e bendigGeistes Gottes, Endgült an die igkeit d es Leb daran, d e n digen, ass am Ende gü und nich lt ig ist, ts ander es zählt Auferst , als die ehung v om Tod Leben. hin zum Martin Se idenschw 26 ang „Ich muss mich vom Hass fern halten“, das ist ihr Rezept in der Stadt, die Juden, Muslimen und Christen heilig ist und in der die Spannungen explodieren. 1889 gegründet, liegt das Hospital an der Nahtstelle zwischen dem jüdischen Westteil und dem arabischen Ostjerusalem. Von Saint Louis aus sieht Monika Düllmann die jüdische Neustadt, den islamischen Felsendom und die Grabeskirche. „Wir sind kein echtes Hospiz und keine Palliativeinrichtung, aber doch ein Haus für Menschen in der letzten Lebensphase“, sagt die Fünfzigjährige mit den kurzen grauen Haaren im schlichten Rock mit Bluse. Seit 1999 arbeitet die Düsseldorferin hier, seit 2004 leitet sie das Haus mit fünfzig Betten. Unter den Patienten sind Krebskranke, Schlaganfallopfer und Komapatienten, aber auch alte Menschen ohne Angehörige. Die meisten sind Juden, zwanzig Prozent sind Christen und zwanzig Prozent Muslime. Ein Leben gegen den Hass Monika Düllmann arbeitet in einem Haus für Sterbende in Jerusalem Gleich im ersten Jahr ihres Einsatzes in Jerusalem sagte ein Palästinenser zu ihr: „Wir erwarten von Euch, dass ihr Brücken offenhaltet“. Das, so Düllmann, „ist so etwas wie das Programm meiner Arbeit geworden“. Denn aus der menschlichen Not heraus können politische und religiöse Gegensätze überwunden werden. „Das geht ganz schnell“. Wenn jemand an Krebs im Endstadium leidet und im Nachbarzimmer auf jemanden mit dem gleichen Schicksal trifft, verschwinden die oft so zähen Vorbehalte. Unter den sechzig Angestellten sind Palästinenser wie Israelis, außerdem helfen 25 Freiwillige aus aller Welt. Auch Monika Düllmann war einmal Freiwillige im Saint Louis, danach trat sie in den Orden ein. Monika Düllmann ist ein optimistischer Mensch. Doch wie es in Jerusalem weitergehen kann, weiß auch sie nicht. Dabei fand das Gespräch mit ihr ein paar Tage vor dem Mordanschlag auf Betende in einer Synagoge statt. Monika Düllmann ist Krankenschwester, Ordensfrau vom „Orden des heiligen Josef“. Sie leitet das französische „Saint-Louis-Hospital“ für Menschen in der letzten Lebensphase. „Wer nicht mehr allein essen kann, braucht jemanden, der sich zu ihm setzt und ihn achtsam füttert“, sagt die Schwester. „Das 27 können wir nur dank der vielen Freiwilligen“. Finanziert wird das Krankenhaus zu 80 Prozent aus den Tagessätzen der israelischen Krankenversicherung, den Rest steuern Spender aus aller Welt bei … „Bei uns wird viel gelacht, wir machen viele Witze“. Sie feiern gemeinsam das islamische Opferfest mit Lamm für alle, zu Ostern gibt es Ostereier und an Pessach Mazzenbrot. Es werden Grenzen überwunden, die im so genannten Heiligen Land sonst oft unüberwindlich erscheinen. Zum Beispiel wenn ein Rabbiner mithilft, ein islamisches Trauerritual vorzubereiten. „Wenn mich ein Rabbiner fragt, wo bekomme ich denn das Brot, um einem schwerkranken Katholiken die Kommunion zu bringen, dann sind wir wirklich weit“; dennoch: jede und jeder soll bis zuletzt nach den Regeln seiner Religion leben dürfen. Meine Mutter starb am 9.5.2011 im 84. Lebensjahr. Beim Aufräumen ihres Schreibtisches fanden wir diese letzte Uli Bitte: Meine letzte Bitte! Alle, die ihr mich lieb habt und mich überlebt - seid nicht traurig! Weint nicht, dass ich von dieser Welt in eine andre gehen durfte. Ich hoffe mit Sicherheit, in ein neues Leben zu kommen, wo es nichts Negatives gibt, wo alle menschlichen Versagen aufgehoben, vergeben und bereinigt sind. Und darum bitte ich Euch: Seid dankbar und fröhlich, denn mir geht es dann nur noch gut! Tragt bitte nach meinem Tode keine Trauerkleider. Diese Sitte lehne ich ab, sie gehört zu den Gesetzen, die die Menschen gemacht haben und nicht von Gott sind. Politik ist in Saint Louis tabu. Was zählt ist Menschlichkeit. Im Sommer, nach dem Mord an den drei Talmudschülern, kam ein palästinensischer Angestellter zu seinem jüdischen Kollegen, der in einer Siedlung auf der Westbank lebt. „Das muss sehr schwer für dich sein“, sagte der palästinensische Kollege. Doch außerhalb des Krankenhauses wachsen Hass und auch religiöser Extremismus in letzter Zeit spürbar an. „Meine Mutter hat Araber gehasst“, erzählt die Tochter einer kürzlich verstorbenen Patientin. Doch am Ende ihres Lebens hatte sich der Hass aufgelöst. Denn da begegnete die alte Dame dem palästinensischen Pfleger Adel; er sei “der beste Pfleger der Welt“, habe sie oft erklärt. Wenn Sterbende so Frieden und Versöhnung schenken, empfindet Monika Düllmann ihre Arbeit als zutiefst sinnvoll. Elisabeth Zimmermann Claudia Mende in: Publik Forum 1 / 2015, 32 28 Ich will für dich beten, noch etwas für dich tun in meiner augenblicklichen Hilflosigkeit. DER SELBSTMÖRDER „Gott, warum?“ stammle ich. „Warum hat keiner seine Verzweiflung bemerkt? Warum hat er sich keine Hilfe gesucht? Es gibt doch hier Seelsorger, Psychologen, Sozialarbeiter, auch einfühlsame Beamte, verständnisvolle Mitgefangene!“ Ich stehe in deiner Zelle. Sie haben mich zu dir gerufen. Du könntest eventuell noch kirchlichen Segen brauchen. Du liegst am Boden. Nackt ausgezogen! Erstarrt. Die Augen weit aufgerissen! Wo schauen sie hin? Sie haben kein irdisches Ziel mehr. Schauen sie ins Leere, ins Nichts? Oder haben sie bereits das Jenseitige im Blick? In mir kommen Schuldgefühle auf. Ich hab’ dich zwar nur flüchtig gekannt. Small talk vor der Zellentür. Nebensächlichkeiten ausgetauscht! Ein „Hallo, wie geht’s?“ Nicht viel mehr! Hätte ich genauer hinschauen sollen, deine Not sehen, Anzeichen erkennen? Du seist bereits seit ca. fünf Stunden tot, meint der Notarzt. Du hättest dir das Leben genommen, vermutlich Tabletten eingewor- Er hätte in den letzten Tagen seine Schulden bei den Kumpels bezahlt, ein paar Habseligkeiten verschenkt; er wäre auffallend nachdenklich und zurückgezogen gewesen, wissen jetzt seine Mithäftlinge auf dem Gang. Auch sie machen sich Vorwürfe: ‚Hätte ich doch …!’ Hinterher ist man immer klüger! Und sie sind tief betroffen. Denn da ist keiner unter ihnen, der nicht auch selbst schon mal daran gedacht hätte …! Wird deine Tat zum Nachdenken oder zum Nachahmen ermuntern? fen, eine Plastiktüte über den Kopf, zugebunden, dich hingelegt … Ich stehe bei dir in der Zelle, allein. Ich versuche zu beten. Doch meine Gedanken schweifen ab: Wie nüchtern und kühl seine Worte klingen! Routinearbeit für ihn! Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Ich bin erschüttert. Mir ist kalt. Du bist der dritte in diesem Jahr, der ‚so einfach’ sein Leben wegwirft und kapituliert. Was werden sie sagen: Deine Frau draußen, deine Kinder, deine Freunde …? Wie werden sie mit der Last, die du ihnen durch deinen Selbstmord aufbürdest, fertig werden? Ist es nicht für ein Kind eine lebens29 lange irre Belastung zu wissen: Mein Vater, der mir hätte Kraft geben sollen, hat mich im Stich gelassen und hat sich umgebracht? Werden auch sie daran zerbrechen? Wolltest du das? War es nicht feige und verantwortungslos von dir, dich einfach davonzuschleichen? Der Wind der Vergangenheit Er weht durch mein Gehirn Entfacht das längst vergessene Feuer Die Vernunft versucht zu löschen Die Triebe holen Brennholz Der Teufel reicht mir sein Streichholz Das Gewissen versteckt die Zündholzschachtel Sehnsucht bringt das Feuerzeug Der Verstand stößt es weg Die Triebe reichen mir Benzin Die Augen funkeln Oooh nein... Zisch! Eine kurze Stichflamme. Übrig bleibt nur Asche... Meine Asche... War deine Verzweiflung so unermesslich, deine Angst so quälend, deine Leere so schwer auszuhalten, deine Dunkelheit so erdrückend, dass du in diesen Abgrund gesprungen bist? Ich stehe da in deiner Zelle und verstehe nichts. Gleich werden sie dich holen, die Leute vom Bestattungsdienst. Sie werden dich in einen Plastiksack einpacken und zur Gerichtsmedizin bringen. Doch nicht dich werden sie mitnehmen, sondern nur deine irdische Hülle. Das bist nicht mehr ‚Du’, was da am Boden liegt. Nur deine sterblichen Überreste. Es ist der Kokon, der Schmetterling ist geschlüpft und fliegt, wohin auch immer. Nun ist mir kalt. So kalt.... Walter Wipplinger Letzter Versuch Endlich gelingt es mir zu beten: Ich habe mich zu erhängen gesucht: Der Strick ist abgerissen. Ich bin ins Wasser gesprungen: Sie erwischten mich bei den Füßen. „Du, guter Gott, du kennst unser Herz! Du kennst auch die tiefsten Abgründe unseres Lebens. Du weißt, wie finster unsere Nacht ist, wenn wir keine Hoffnung mehr haben; du weißt, wie haltlos wir ins Leere stürzen, wenn wir keinen Sinn mehr erkennen! Und doch können wir nie tiefer fallen als in deine Hände, Gott. Auch Alfred hier ist in deine Hände gefallen. Fang du ihn auf, Gott, und sei seiner Seele gnädig!“ Ich habe die Adern geöffnet mir: Man hat mich noch gerettet. Ich sprang auch einmal zum Fenster hinaus: Weich hat der Sand mich gebettet. Den Teufel! Ich habe nun alles versucht, Woran man sonst kann verderben – Nun werd' ich wieder zu leben versuchen: Vielleicht kann ich dann sterben. Norbert Ada Christen 30 Verständnis von Jesus Christus, dem Sohn und damit auch von Gott, dem Vater, kaum in Worte fassen. JUDAS - der klassische Selbstmörder Biblische Forschung Die biblische Forschung der letzten drei/ vier Jahrzehnte ist zur Erkenntnis gekommen, dass sich Judas in Jesus getäuscht hat. Er hat einen politischen Messias erwartet, der die Römer, die römische Besatzung aus dem Land vertreibt. Nun meint er, er könne der guten Sache einen Dienst erweisen, wenn er Jesus an die Hohenpriester ausliefert. Die sollten ihn dann aus dem Verkehr ziehen. Judas hat nie damit gerechnet, dass Jesus zum Tode verurteilt wird. Seinen Tod hat er nicht gewollt. Das Ende des Judas Judas hatte also Schluss gemacht. Er hatte sich erhängt, weil er verzweifelt war. Aus- In einem Kapitell (vom lat.: capitellum = Köpfchen: Das ist der obere Teil einer Steinsäule, der meist reich verziert oder gestaltet ist!) in der Kirche von Vézelay (Vézelay ist eine kleine französische Gemeinde in Burgund.) sieht man folgendes: Es zeigt zwei Darstellungen des Judas, also des Jüngers, der Jesus verriet. Das erste Relief (hier rechts) stellt das Ende des Verräters dar. Judas hängt am Strick. So hat er nach dem Matthäusevangelium sein Leben beendet. Das zweite Relief auf der Rückseite des gleichen Kapitells (rechte Seite) überrascht über alle Maßen. Da steht Jesus, unverkennbar. Er hat den Strick um den Hals von Judas gelöst und trägt den toten Freund auf seinen Schultern - den, der ihn verraten hat. Dabei entspricht die Armhaltung Jesu der eines Hirten, welcher ein Schaf auf seinen Schultern trägt. Damit wollte der Steinmetz aus dem 12. Jahrhundert an die Worte vom Guten Hirten erinnern. Er lässt die 99 Schafe in der Wüste, um das eine verlorene Schaf zu suchen. Selten ist in einem Kunstwerk gute Theologie so schön dargestellt. Besser kann man das 31 gerechnet den, der ihm meisten bedeutete, hatte er verraten. Und mit einem Mal war ihm klar, dass er mit seinen Absichten den Absichten Gottes entgegenstand. Judas hatte sich selbst das Existenzrecht abgesprochen. - In der Hoffnungslosigkeit war sie plötzlich da, die Hilfe und Unterstützung, der Ausweg. - Mein Glaube gibt mir die Kraft, Dinge zu akzeptieren, die ich nicht ändern kann. Bei Jesus ist kein Mensch wertlos Die Darstellung im Kapitell von Vézelay sieht das anders. Sie lässt erkennen: Kein Mensch ist wertlos, kein Mensch wird wertlos, so dass man nichts mehr auf ihn geben kann. Selbst Judas, so die überraschende, ungewohnte, aber wahre Aussage des Kapitells, selbst Judas wird nicht zurückgelassen, vergessen, übersehen. Selbst Judas wird mit Ehrerbietung und Respekt heim geholt. Tragen kann, wer sich selbst getragen weiß Christus trägt Judas auf seinen Schultern. Ein tröstliches Bild. Es ist schon krass: Christus, der Ermordete, trägt seinen Mörder bzw. den, der ihn ans Messer geliefert hat. Wie ist das möglich? Das Opfer erbarmt sich seines Henkers. Christus kann tragen, weil er sich von Gott getragen weiß. Leben ist von Gott getragen. - Wie der Gute Hirte das verlorene Schaf trägt, so trägt Jesus auf dem Kapitell in Vézelay den toten Judas auf der Schulter. ...und am Ende meiner Reise hält der Ewige die Hände, und er winkt und lächelt leise, und die Reise ist zu Ende. - Judas – der Inbegriff menschlichen Versagens. - Doch stärker als alles Versagen – Jesu Liebe. Matthias Claudius 32 TOD und LEBEN Wenn Millionen Kinder verhungern, Tausende auf der Straße sterben, Hunderte sich umbringen, ist das nur eine Zahl, von der wir in den Medien hören. Es betrifft uns kaum. Wenn ein Kind, mein Partner, ein nahestehender Mensch aus dem Leben gerissen wird, dann bin ich sehr betroffen. Mir wurde das wieder deutlich bewusst, als vor kurzem mein Firmpate und meine Nachbarin starben. Beide waren gerade während meiner Kindheit wichtige Begleitpersonen. Die warme Art meiner Nachbarin gewährte Freiraum. Die Besuche meines Onkels waren aufregende Bereicherung. Jetzt mit ihrem Tod wird mir wieder ganz nah vor Augen geführt: Auch ich werde sterben, zu meinem Leben gehört der Tod. Doch der Tod erinnert mich auch daran: Lebe ich wirklich? Lebe ich bewusst? Worüber mach ich mir eigentlich unnötige Sorgen? Worüber reg ich mich nicht alles auf, was eigentlich belanglos ist? Durch den Tod nahestehender Menschen werde ich auf das Wesentliche meines Lebens verwiesen. Wissen Sie, was für Sie ganz wichtig und bedeutsam für Ihr Leben ist? Was würden Sie noch tun oder lassen, wenn Sie wüssten: Ich sterbe in drei Monaten? Martin Luther sagte: Ich würde heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen. Also leben Sie bewusst, denn heute beginnt der Rest ihres Lebens. Gerhard Karrer, + 06.10.2015 Lieber Gerhard, Du mein Freund, im vorigen Jahr hast du mich gefragt, ob ich deine Beerdigung halten würde, wenn du gestorben bist. Ich habe gelacht und gesagt, dass du jünger wärest als ich, gerade mal 56 Jahre, sportlich und gesund. Ich würde sicher eher sterben als du. Als wir vor acht Wochen zu einem Kurzurlaub in den Bergen waren, hast du gesagt: „Nun habe ich meine Beerdigung fertig vorbereitet.“ Sechs Wochen später hattest du plötzlich deinen Herzstillstand. Mindestens zwanzig Minuten keine Sauerstoffversorgung für das Gehirn. Wiederbelebung und mit Maschinen künstlich am Leben erhalten. Du hattest eine Patientenverfügung: Keine lebensverlängernden Maßnahmen! Zwei Wochen später beendeten die Ärzte diese Maßnahmen. Du konntest loslassen und durftest heimgehen. Gerhard Karrer An diesem Dienstag Abend, an dem du gegangen bist, durfte ich dich im Krankenhaus noch besuchen. Deine Frau und deine Pflegetochter waren nach Hause gegangen und ich saß für eineinhalb Stunden allein an deinem Totenbett. Ich habe viel gebetet und nachgedacht. All die gemein- Es sind die Lebenden, die den Toten die Augen schließen. Es sind die Toten, die den Lebenden die Augen öffnen. Slawisches Sprichwort 33 samen Erlebnisse kamen mir ins Gedächtnis. Urlaubsreisen nach Assisi, deinem Lieblingsort. Du hast uns den Hl. Franziskus mit Geschichten, Gedichten, Gottesdiensten und Naturerlebnissen näher gebracht. nen Körper verlassen und bist heimgekehrt ins Licht, in die Liebe, zu Gott. Ich glaube, dass ER dich mit offenen Armen in Empfang genommen hat und du am Ziel deiner Reise angelangt bist: im Himmel. Leb wohl, mein Freund, ich lasse dich gehen. Die Liebe und Freundschaft zu dir bleibt in meinem Herzen. Wir hier haben noch ein wenig Zeit auf der Erde, um unsere Aufgabe zu erfüllen: zu wachsen in der Liebe. Wenn unsere Zeit gekommen ist, folgen wir. Das wird ein Fest! Ich erinnere mich an herrliche Wanderungen in unseren bayrischen Bergen, bei denen wir beide über die Wunder in Gottes großartiger Natur staunten. Der Blick über die Berggipfel in die Weite des Himmels bei einer Brotzeit auf der Alm machte unsere Herzen weit. Dein Freund Norbert Mir fallen viele gute Gespräche ein, von Mann zu Mann, von Freund zu Freund, über Gott und die Welt, übers Leben und den Tod, übers Lieben und Leiden von uns Menschen. Wir hatten die gleiche Wellenlänge, die Chemie hat gepasst. Tod und Leben – es darf alles geben Auf der Friedhofsmauer des La Verna Klosters verweile ich. Im Blick die Ruhe des Klosters. Ich höre die Stille. Ab und zu schreitet jemand über den Klosterhof und ich höre das Klappern der Schuhe. Doch die Natur der Beschaulichkeit hüllt die Geräusche ein, trägt sie fort, überlagert vom Gezwitscher der Vögel und vom sanften Rauschen des Windes hinein in das Grün des Frühsommers. Zauberhaftes junges Grün bestrahlt die Seele. Dann denke ich an unsere Männergruppe, die sich einmal im Jahr zu einem Austauschwochenende traf. Du hast sie geleitet und begleitet mit all deiner Behutsamkeit und großem Einfühlungsvermögen. Du warst ein Mann, der auch seine weibliche Seite leben konnte. Auch die lustigen Stüberl-Abende bei Wein, Bier und Gesang (oder war es Gegröle?) gehörten dazu. ... „Tot, tot“, sprechen die Grabsteine unter mir im Friedhof. Es darf alles geben: Tod und Leben. Den Tod verarbeiten müssen nur die Zurückgebliebenen. Nur sie brauchen die Totenverehrung, die Grabpflege, das Andenken, den Schmerz, die Trauer, die Trauerarbeit, das Loslassen und Abschied Nehmen. So sitze ich bei deinem Leichnam im Krankenhaus und neben all meiner Traurigkeit kommt eine große Dankbarkeit in mir auf: Danke, dass ich dein Freund sein durfte, danke, dass du mein Freund bist und warst. Traurig darüber, dass die gemeinsame Zeit vorüber ist, spüre ich doch, dass da in mir durch unsere Freundschaft ein großer Schatz herangewachsen ist, der den Tod überdauert. In meinem Herzen wirst du immer einen Platz haben. Es darf alles geben: Tod und Leben. Was bleibt ist die Wärme des Lichtes im Herzen und in der Natur. (Gerhard Karrer, auf dem La Verna 2001) Du bist nicht mehr in dem toten Körper, der vor mir auf dem Sterbebett liegt. Wie ein Schmetterling den Kokon, so hast du dei34 Tod und Leben Ein Zwiegespräch Leben: Steh auf, Jesus, das Kreuz, das Leiden ist vorbei. Alles ist zu Ende. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Bleib nicht liegen. Steh auf! Bring die Hoffnung, das Leben, das Auferstehen in die äußerste Finsternis. Bring das Licht des Lebens, dem Tod neues Leben. Tod, deine Urruhe wird so zum Urgrund des Lebens. Tod: Bleib liegen! Hier liegt es sich doch gut. Endlich Ruhe, Stille. Endlich Frieden. Endlich alles loslassen. Bleib hier. Ruh dich aus. Tod: Ich will mich nicht verändern, verwandeln lassen. Geh weg, Dein Lebenslicht macht mir Angst. Ich will, dass alles so bleibt, wie es ist. Das Nichts, der Tod, der Karsamstag, das Ruhen, die ewige Ruhe, die Bewegungslosigkeit lässt mich leben. Leben: Das hier ist nur Todesstille, Totenruhe. Hier ist kein Leben, nur Tod. Steh auf. Lass alles los. Leben: Hab keine Angst, Bruder Tod. Wir sind Geschwister. Wir gehören zusammen. Wir sind der Kreislauf des Lebens. Tod ist nicht das Ende, nicht das Letzte. Tod ist Neubeginn. Vertraue mir, wage den Aufstand (Leben streckt dem Tod die Hand entgegen). Ich, Jesus, bin das Leben, das Licht, die Wahrheit, der Weg, die Achtsamkeit, das Wort, die Liebe, das Leiden, das Kreuz und die Auferstehung. Lass das Leben in dir aufkeimen, aufleuchten. Nimm meine Hand, Bruder Tod. (Tod zögert, ob er die Hand nehmen soll, hält seine Hand etwas hin, zieht zurück, hält wieder hin) Kann ich dem Leben trauen? Tod: Aller Kampf, alle Anstrengung ist vorbei. Bleib im Grab. Bleib im ewigen, schützenden, bergenden Winter. Du hast es geschafft, hast alles hinter dir gelassen. Komm zu Dir. Alles ist aus. Leben: Du hast deinen Lebensweg geschafft. Doch er ist nicht zu Ende. Mitten in der Nacht, in der Dunkelheit, mitten in der Krise, im Leiden, mitten im Tod beginnt das Leben, der immer währende Frühling. Alles lebt neu auf. Komm zum Leben, zu deiner wahren Bestimmung. Tod: In die tiefste Tiefe geh hinunter. Geh auf den Grund. Da gibt es kein Fallen mehr. Nichts mehr ist haltlos. Du bist am Urgrund angekommen. Bleib im Tod, der alles nimmt, der von allem befreit. Tod ist doch Leben am Urgrund des Seins, in Ur-Ruhe. Leben: (ergreift die Hand des Todes und Tod lässt es zu) Hinabgestiegen in das Reich des Todes, der Finsternis, der Nacht bringe ich das Licht des Lebens. Ich bin das Leben. Leben und Tod: (Zünden gemeinsam die Osterkerze an, sprechen): Jetzt kann es Ostern werden. Leben: Ja, steig hinab in die tiefste Dunkelheit und lass auch dort neues Leben aufkeimen. Gerhard Karrer 35 Fragebogen „Tod“ Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch hat zu verschiedenen Lebensbereichen einen Fragebogen an seine Leser verfasst, auch zum Thema „Tod“. Die z.T. listigen Fragen regen zum Nachdenken an. Hier ein Auszug davon: 2. Was tun Sie dagegen? 10. Wenn Sie jemand beneidet oder gehasst haben und zur Kenntnis nehmen, dass er verstorben ist: Was machen Sie mit Ihrem bisherigen Hass auf seine Person bzw. mit Ihrem Mitleid? 3. Möchten Sie unsterblich sein? 11. Haben Sie Freunde unter den Toten? 4. Haben Sie schon einmal gemeint, dass Sie sterben, und was ist Ihnen dabei eingefallen: a) was Sie hinterlassen? b) die Weltlage? c) eine Landschaft? d) dass alles eitel war? e) was ohne Sie nie zustanden kommen wird? f) die Unordnung in den Schubladen? 12. Haben Sie schon Tote geküsst? 1. Haben Sie Angst vor dem Tod und seit welchem Lebensjahr? 13. Wenn Sie an Ihren persönlichen Tod denken: Sind Sie dann erschüttert, d.h. tun Sie sich selbst leid, oder denken Sie an Personen, die Ihnen nach Ihrem Hinscheiden leid tun? 14. Möchten Sie lieber mit Bewusstsein sterben oder überrascht werden von einem fallenden Ziegel, von einem Herzschlag, von einer Explosion usw.? 5. Wovor haben Sie mehr Angst: Dass Sie auf dem Totenbett jemand beschimpfen könnten, der es nicht verdient, oder dass Sie allen verzeihen, die es nicht verdienen? 15. Wissen Sie, wo Sie begraben sein möchten? 16. Wenn Sie an ein Reich der Toten (Hades) glauben: Beruhigt Sie die Vorstellung, dass wir uns alle wieder sehen auf Ewigkeit, oder haben Sie deshalb Angst vor dem Tod? 6. Möchten Sie wissen, wie Sterben ist? 7. Wem gönnen Sie manchmal Ihren eigenen Tod? 17. Können Sie sich ein leichtes Sterben denken? 8. Wenn Sie gerade keine Angst haben vor dem Sterben, dann deswegen, weil Ihnen dieses Leben gerade lästig ist, oder weil Sie gerade den Augenblick genießen? 18. Wenn Sie jemand lieben: Warum möchten Sie nicht der überlebende Teil sein, sondern das Leid dem Andern Überlassen? 9. Was stört Sie an Begräbnissen? 19. Wieso weinen die Sterbenden nie? Max Frisch, Tagebuch II; Frankfurt, 1972 36 blieben alle Versuche sein Leben zu retten erfolglos. Damals habe ich wohl schon diese Erkenntnis gewonnen: Gott hat's (das Leben) gegeben und ER kann's jederzeit nehmen bzw. zurückfordern. Die Erinnerung an den Tod meines Vaters ist für mich auch immer mit dem Beginn meines sexuellen Missbrauchs durch einen meiner Brüder verbunden. Ich hatte kein gutes Verhältnis zu meinem Vater und mit ihm starb damals auch meine Kindheit! Es waren viele Jahre lang sehr schmerzhafte Erinnerungen, doch auch diese hat Jesus geheilt und wenn ich heute an meine Eltern und meinen Bruder denke, bin ich von Frieden erfüllt. Und ich bin oft sprach- und fassungslos, wenn ich auf mein Leben zurückblicke, wie Gott doch mein ganzes Chaos immer wieder zum Guten und Heil gewendet hat. Unglaublich! Erst heute hat mir ein Kollege gesagt: "Sophia, wenn man dich ansieht glaubt man wirklich, dass du glücklich bist! Das Strahlen in deinen Augen und dein Lächeln!" Darauf habe ich ihm nur geantwortet: "Das Leben ist schön!" Ja, obwohl ich doch einen recht schweren Weg gegangen bin, auf dem ich selber viele lebensbedrohliche Situationen erlebt habe und durch viele Täler der Tränen gegangen bin, ist das Leben schön! "Wenn ich ans Sterben denke, denke ich heute ans Heimgehen." Das war nicht immer so. Im Laufe meines Lebens habe ich viele Begegnungen und Erfahrungen mit dem Tod gehabt und sammeln dürfen. Erst vor ein paar Tagen ist ein guter Bekannter ganz plötzlich aus d i e s e r We l t abberufen worden - gerade mal 52 Jahre waren ihm geschenkt worden. Meine erste Erinnerung stammt aus meiner ganz frühen Kindheit. Die Oma unseres Nachbarn wurde auf den Friedhof gefahren und ich saß an unserem Küchenfenster und sah den Sarg auf dem Wagen den Hof verlassen. Meine nächste Erinnerung in Bezug auf Tod und Sterben habe ich, als ich so um die sechs Jahre alt war. Da ich so was wie eine kleine "Anführerin" in unserem Dorf war, habe ich den Kindern das Hochfest Maria Himmelfahrt erklärt. Und ich wollte sie davon überzeugen, dass wir alle so leben müssten wie Maria - ohne Sünde -, damit wir das Fegefeuer umgehen könnten. Schöne Kinderträume! Bis zu meiner Verhaftung vor fast acht Jahren hatte ich immer einen Traum, der mich schweißgebadet erwachen ließ. Er verfolgte mich sogar während meines sorgenfreien Lebens im Diplomatischen Dienst, als Geld wirklich gar keine Rolle spielte und mein Lebensmotto war: Was kostet die Welt? Ich träumte, ich lag auf der Totenbahre, wurde plötzlich wach und stellte mit Entsetzen fest, dass ich nun tot sei und bei all meinem Tun das Leben vergessen hatte! Und ein entsetzliches Bedauern über all das Wichtige, was ich in meinem Leben versäumt hatte, erfüllte mich. Wie Als ich gerade mal acht Jahre alt war, kam eine sehr einschneidende Begegnung mit dem Tod: Mein Vater starb vor meinen und den Augen meiner Familie. Obwohl zwei Ärzte und der Krankenwagen da waren, 37 froh war ich jedesmal, dass es doch nur ein Traum gewesen war. eskandidaten, die einem selbst am Leben hindern. Vergebung ist das Einzige, was wirklich frei macht und wer frei ist, kann das Leben in Fülle haben, wie Jesus uns das verheißen hat. Seit meiner Verhaftung am 28.12.2007 hatte ich diesen Traum nicht mehr. Und ich denke der Grund dafür ist, dass ich seinerzeit im Knast die Entscheidung traf: Ich will leben! Trefft auch Ihr diese Entscheidung.!Macht es nicht wie mein damaliger Freund, der mir aus dem Knast schrieb: "Mausl, die Zeit hier im Gefängnis ist tote Zeit." Für ihn war es wohl tote Zeit, ein Jahr später war er wirklich tot! Und wenn es für einen Christen um den Tod geht, geht es auch um das Thema Märtyrertum. Da werden viele lachen. Für den Glauben sterben geht doch gar nicht hier in Deutschland, wir haben doch Glaubensfreiheit. Das stimmt - noch haben wir das, aber in wie vielen Ländern dieser Erde werden die Christen verfolgt und sterben auf brutalste Weise für ihren Glauben?. Und es gibt ja nicht nur das rote - blutige Märtyrertum, sondern auch das weiße. Und dieses Märtyrertum ist in unserer glaubensfeindlichen Welt nicht so abwegig, zumal ich mich hier in Berlin oft wie ein Schaf fühle, das man unter die Wölfe geschickt hat. Von meinen elf männlichen Arbeitskollegen hat keiner mit Glauben was am Hut. Aber ich nehme dieses Kreuz gerne auf mich, zumal es ja sowieso Jesus trägt. In diesem Sinne: Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben und der Tod ist nicht das Ende sondern der Beginn! In meinem Leben habe ich viele Menschen sterben sehen, manche friedlich, im Reinen mit sich, Gott und der Welt. Aber auch jene, die nicht loslassen konnten, weil noch etwas zu klären war, und das war immer ein sehr schweres Sterben. Aber eine schöne Erinnerung möchte ich Euch noch kurz schildern. Mein Beinah-Schwiegervater war krank und mein Freund und ich haben ihn besucht. Er lag auf der Palliativstation und für meinen Freund war der Anblick seines hilflosen Vaters unerträglich und er ging. Ich blieb und als man ihn zur Bestrahlung abholte und rausschob, bat er mich um einen Schluck Wasser. Er konnte seine Arme und Hände nicht mehr bewegen. Ich gab ihm ein Glas Wasser und sein "Danke" ist das Letzte, was ich von ihm hörte. Am nächsten Morgen war er tot! Ja, und genau dieses "Danke" behalte ich von ihm in Erinnerung, alles Negative lasse ich los. Der Segen und die Allmacht des Vaters bewahre Euch, die Liebe, Weisheit und Barmherzigkeit des Sohnes regiere Euch und die Gnade und Kraft des Heiligen Geistes führe und stärke Euch. Die Volksweisheit "Über Tote spricht man nicht schlecht!" enthält viel Wahrheit. Man soll sich an das Gute erinnern und das Schlechte loslassen und um seiner selbst willen vergeben, damit man selber Frieden findet. Es gibt kaum schlimmere Sätze als: „Dem/der werde ich das nie vergessen!" Damit begibt man sich und nimmt andere in die Gefangenschaft der Unversöhnlichkeit, sprich Hass, Zorn, Verbitterung - alles Tod- Sophia 38 ne dieser "Präambel" umgesetzt bzw. ausgelegt werden. Als Ergebnis davon erwartet also die Gesellschaft mit Recht einen strengen, aber sinnvollen Strafvollzug, an dessen Ende ein resozialisierter ehemaliger Straftäter wieder als vollwertiges Mitglied in die Gemeinschaft eingegliedert werden kann. Plädoyer für einen humaneren und pro-sozialen Strafvollzug Teil 2: Strafvollzug schadet der Gesellschaft, wenn ... Aber durch das zum Teil exzessive Auslegen von "Gummiband-Begriffen und -Bestimmungen" des Gesetzes durch die Vollzugsbürokratie, durch restriktive Verwaltungsbestimmungen sowie rigide Hausordnungen und Einzelweisungen vor Ort wird deren Sinn fast ins Gegenteil verkehrt. Das Ergebnis: Die Mehrzahl der Haftentlassenen wird wieder straffällig, hat sich durch die Haft eher negativ entwickelt und die In Teil 1 wurde dargestellt, warum der Strafvollzug ein "blinder Fleck" mitten in unserem Gemeinwesen ist. Kritikpunkte waren vor allem: - das Fehlen eines staatlichen Konzepts zur positiven Veränderungen von Strafgefangenen, - das für die Verantwortlichen folgenlose Versagen bei ihrem Resozialisierungsauftrag sowie - der große Raum für Willkür beim Umgang mit Inhaftierten. Im Folgenden geht es um Schäden, die der Strafvollzug der Gesellschaft zufügt, wenn er denn so bleibt, wie er überwiegend ist. Als Beispiel dienen erneut persönliche Erlebnisse aus Vollzugsanstalten in Bayern. Das zentrale Korrekturinstrument der Justiz - der Strafvollzug - beugt das Gesetz willkürlich anderen, sowie viele betroffene Familien verursachen dem Sozialstaat hohe Kosten - die verheerenden Folgen für potenzielle Opfer noch gar nicht eingerechnet. Die Strafvollzugsgesetze der Länder formulieren gute Grundsätze und Rahmenbedingungen, nach denen der Freiheitsentzug zu gestalten ist, in Bayern z. B. in den Artikeln 26. Es sind richtungweisende Aussagen, mit ähnlicher Funktion wie die Präambel für das Grundgesetz. Der Gesetzgeber will, dass die sonstigen Bestimmungen im Sin- Weil das gegen den Sinn des Gesetzes gerichtete Handeln und Argumentieren des Strafvollzugs so flächendeckend gleich angewendet wird und weil dies zum Teil 39 auch noch durch erste Gerichtsinstanzen geduldet wird, muss man davon ausgehen, dass es sogar der politische Wille ist, zwar ein schönes Gesetz herzuzeigen, aber einen rigiden Vollzug mit belastenden Folgen für Gefangene zu praktizieren. Wegsperren, Außenkontakte austrocknen und billig verwahren scheinen die eigentliche Präambel für die Entscheider im Alltag zu sein. Der Resozialisierungsauftrag wird zumeist nur geringschätzig belächelt. Das kommt u. a. davon, dass kein Bediensteter dafür verantwortlich gemacht wird, wenn die Wiedereingliederung von Haftentlassenen (zumeist!) misslingt. So wird nicht nur der Anspruch von Gesetzgeber und Souverän missachtet, sondern auch das Gesetz systematisch gebeugt, zum sozialen und finanziellen Schaden der Gesellschaft! Zum Beispiel gibt das Gesetz vor: Bediensteten Ermessenssache. So kann also auch "Behandlung" alles oder nichts sein. Wieder bleiben deshalb die Gefangenen sich selbst überlassen. 3. Nach dem "Angleichungsgrundsatz" soll "das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit wie möglich angepasst werden". Man könnte also meinen, dass es hier z. B. um den Schutz der Familienbeziehungen, die Internetnutzung oder respektvolle Umgangsformen geht. Aber was genau gemeint ist und was "so weit wie möglich" bedeutet, bleibt wieder Ermessenssache. "Möglich" kann also alles oder nichts sein. In der Praxis bleiben deshalb den Gefangenen die "allgemeinen Lebensverhältnisse" verwehrt. So verweigern z. B. Anstalten trotz gähnender Leere in manchen Besucherräumen jegliche weitere Besuchsgewährung über die ein bis zwei Stunden Regelbesuch pro Monat hinaus. Welcher normale Mensch in Freiheit wäre in der Lage, auch nur einen Bruchteil seiner sozialen Beziehungen aufrecht zu erhalten, wenn er dazu nur ein bis zwei Stunden pro Monat verwenden dürfte? 1. Die Aufgabe des Vollzugs (neben dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten) soll es sein, die Gefangenen zu "befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen". Wann "künftig" ist und wer sie wodurch befähigen soll, bleibt für jeden Bediensteten Ermessenssache. Befähigung kann also alles oder nichts sein - in der Regel bleiben deshalb die Gefangenen sich selbst überlassen. Es gibt Gefangene, denen bis zum Entlassungstag verweigert wird, sich durch Vollzugslockerungen um Wohnung und Arbeit zu kümmern. Die Folge: Der erneute Absturz bald nach der Entlassung. 4. Nach dem "Gegenwirkungsgebot" ist schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs (die der Gesetzgeber eingesteht) entgegenzuwirken. Es handelt sich hier sogar um einen der leider seltenen IST-ZUGrundsätze, d. h. es MUSS so verfahren werden. Dennoch sind Beziehungsabbrüche, schlechte Einflüsse durch die Subkultur und Kommunikationsverweigerung an der Tagesordnung für Gefangene. Wer versucht, dagegen anzugehen, hört höchstens: "Sie wissen doch, wo Sie hier sind", "das ist halt kein Wunschkonzert" oder ähnlich dümmliche Geringschätzungen. Man bekommt zu spüren, dass oft gar kein Wille vorhanden ist, entgegenzuwirken - im Gegenteil: Wo der kleine Machtbereich einzelner Bediensteter es zulässt, wird gerne 2. Der "Behandlungsauftrag" definiert Behandlung leider nur als "alle geeigneten Maßnahmen", deren Art und Umfang an den Defiziten der Gefangenen orientiert werden sollen. Der Vollzug interessiert sich aber zumeist weder für deren Defizite, noch für deren Stärken oder gar deren Pläne. Was also "geeignet" ist, bleibt für jeden 40 noch eine Repression draufgesetzt. Die Gefangenen sehen sich einer Grundhaltung des Misstrauens und von ihnen als schikanös empfundener Maßnahmen gegenüber. Spricht man das an, kann man zu hören bekommen: "Mit einem …..... diskutiere ich nicht!" Als letztes Beispiel die Vorgaben zur "Planung des Vollzugs", wonach "die Planung der Behandlung mit dem Gefangenen erörtert wird". Dazu wird ein Vollzugsplan erstellt und jährlich fortgeschrieben. Das liest sich so, als würde sich der Vollzug planerische Gedanken machen und diese dann mit dem Gefangenen synchronisieren. Weit gefehlt. So kann es schon mal passieren, dass ein Gefangener nach vier Jahren Haft gesagt bekommt, dass noch gar kein Vollzugsplan erstellt wurde! Die "Erörterung" kann z. B. so aussehen, dass man vor eine Art Tribunal zitiert wird, wo der fertig ausgedruckte Vollzugsplan auf dem Tisch liegt. Man kann ihn dann entweder mitnehmen oder liegen lassen. Eine Erörterung ist spürbar unerwünscht, weil man lieber über Betroffene hinweg entscheidet, als sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Zudem wäre eine Diskussion ja auch vergebens, denn das Dokument ist bereits ausgefertigt. Liest man Vollzugspläne, so findet sich darin fast nie das Wort Planung oder gar konkrete konstruktive Maßnahmen mit Zeitplan. Das Papier beschränkt sich in der Regel auf die Aufzählung dessen, was war und was ist, z. B. die inhaltsschweren Aussagen, was der Gefangene für einen Zivilberuf hatte und dass er nun in einer Einzelzelle untergebracht ist. Selbst zahlreiche und beanstandungsfrei absolvierte Lockerungsmaßnahmen werden nicht zwangsläufig aufgenommen. Auf Nachfrage hört man: "Wen das interessiert, der kann ja in der Gefangenenakte 41 nachschauen". In die Zukunft gerichtete Aussagen finden sich zumeist nur in der verwehrenden Form, z. B.: "Ist noch verfrüht", aber ohne den Zusatz, was man denn tun könnte, um das zu ändern oder ab wann es nicht mehr verfrüht wäre. Die guten Gesetzesvorgaben zur Vollzugsplanung werden vom Apparat eher als lästiges 5. Der "Eingliederungsgrundsatz" gibt dem Vollzug auf, den Gefangenen zu helfen, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. Von Hilfe (gar freiwilliger) ist aber kaum etwas zu spüren. Die dafür bezahlten Fachdienste sind, wenn sie denn zu den Willigen gehören, personell so unterbesetzt, dass nicht mal diejenigen Gehör bekommen, die sich nach Kräften darum bemühen, geschweige denn, dass jedem Gefangenen aktiv Hilfe angeboten würde. So kann es Wochen dauern, bis man zu einem Gespräch vorgelassen wird und viele Anliegen sind bis dahin allein durch Zeitablauf den Bach hinunter gegangen. 6. Nach dem "Mitgestaltungsgrundsatz" sollen Gefangene an der Gestaltung ihrer Haftzeit mitwirken. Es ist sogar "ihre Bereitschaft hierzu zu wecken und zu fördern". Man kann aber kaum beschreiben, wie krass gegenteilig verfahren wird! Wer zu erkennen gibt, dass er eigene Ideen in die Gestaltung der Haftzeit einbringen will (zumeist schriftlich, denn Gespräche mit Betroffenen werden wo immer möglich vermieden), wird schnell Gegenwind spüren und dass das System erwartet, dass der Gefangene schweigt, hinnimmt und keine Arbeit verursacht - schon gar keine Ansprüche stellt, so begründet oder legitim sie auch sein mögen. Wer dennoch mitwirken will, ggf. auch unter der Nutzung von Rechtsmitteln, wird als Querulant abgestempelt und noch schlechter behandelt, als wenn er einfach alles hätte mit sich machen lassen. 41 Übel betrachtet und verkommen zu einem folgenlosen Papiertiger. ländern?) geben, in denen grundsätzlich anders verfahren wird, aber das macht die Analyse nicht besser - letztlich ist auch das (positive) Willkür im System. Tote Zeit Es ist beeindruckend, wie der Gesetzgeber (der Souverän) dem Vollzug Inhalt, Sinn und Perspektive geben will und darauf abhebt, die Entlassung und reibungslose Wiedereingliederung bestmöglich vorzubereiten. Aber im Alltag würgt der Strafvollzug diese Zielrichtung sukzessive ab. Was bleibt, beschreiben die meisten Gefangenen als "vertane Zeit", "Langeweile" oder "Zeit totschlagen" - mit oft unwürdiger, menschenfeindlicher Behandlung, der Arroganz und Willkür von Mächtigeren ausgeliefert. Ohne die Schuld von Straftätern zu verkennen, aufgrund derer sie mit Freiheitsentzug bestraft werden - aber so schadet der Strafvollzug mehr als er nutzt. Das "Objekt" Strafgefangener, der Problemfall von damals, wird mit so einer "Behandlung" höchstens konserviert oder entwickelt sich sogar negativ, bis er dann mit der Entlassung zum noch größeren Problem für die Gesellschaft wird. Fazit: Teil 3 wird aufzeigen, wie Strafvollzug mehr Sinn machen und der Gesellschaft besser dienen könnte: Dieser Strafvollzug schadet der Gesellschaft, verschwendet Steuergelder und ist schuldig der unterlassenen Hilfeleistung für künftige Opfer! Strafvollzug als konstruktive Herausforderung - human und pro-sozial Zwei Betroffene aus dem Strafvollzug in Bayern Die Namen sind der Redaktion bekannt. Sicher, es gibt viele Bedienstete, die ihr Bestes geben oder gerne geben würden, es soll auch Anstalten (in anderen Bundes42 Mein Gott für immer O Herr, ich bitte dich nach dieser langen Zeit. Ich frage mich: Ist es nun so weit? So viele Jahre Einsamkeit, Glieder müde, Haar wird grau. Sehnsucht macht sich in mir breit. Ich will den Himmel sehn in blau. Fast 30 Jahre ist es her, als ich in Freiheit lebte. Ich wünscht‘, ich hätt‘ vom Leben mehr, kein Blut, das an den Händen klebte. Das Dasein fristen in der Haft, nur Mauern, Einschluss, Gitter. Es saugt aus meinem Körper Kraft, ist öde, trist und bitter. Schenke Du mir neues Leben, gib mir all das, was mir so fehlt. Deine Liebe will ich weiter geben. Das ist es, was jetzt wirklich zählt. Du hast mich auf die rechte Bahn gelenkt, hast mich gestützt, getragen. Mit festem Glauben mich beschenkt. Nun will ich neues Leben wagen. Zerbrich die Mauern um mich rum, schließ auf verschlossne Türen! Lass es werden - bleib nicht stumm! Du wirst mich in die Freiheit führen. Ich will Dir noch mal Danke sagen, für alles, was Du mir gegeben. Nun werd ich niemals mehr verzagen. Du bist und bleibst mein Segen! Dirk, JVA Straubing 43 Wieso? Wieso kann ein Mensch gleichzeitig "lebendig" und doch "tot" sein? Wieso verschwende ich so viel Lebenszeit in einer selbst gemachten Gefängniszelle der Angst, der Unmöglichkeiten, der Hoffnungslosigkeit, des Alleinseins? Wieso fühle ich mich gefangen, unbeteiligt und leblos, obwohl ich in Freiheit lebe? Wieso bin ich noch lebensresistent und damit todgeweiht? Wieso lasse ich ein Sterben auf Raten zu? Wieso verweigere ich das Leben und die Liebe? Wieso widerstehe ich nicht dem Tod alter Gewohnheiten, zugemüllter Gedankengebäude, alter lebloser Rituale? Wieso ergreife ich nicht mit Offenheit das Neue? Wieso bin ich eher todesmutig und nicht lebensmutig und lebensfroh? Wieso glaube ich eher den Angeboten der Welt und nicht den Versprechungen und Zusagen Gottes auf das wahre Leben? Wieso verweigere ich noch den Weg zum Licht, da es doch heißt: ICH bin der Weg, die Wahrheit und das Leben? Wieso glaube ich noch nicht, dass der Tod besiegt ist, durch Jesus Christus? Wieso … Dieses Bild hat Anne zur Linden kurz vor ihrem Tod gemalt. Ella Anders 44 Br ie f k on e su g e t k ta ch t Hallo, ic h heiße T uran und eine net suche te und u n k omplizie Brieffre r te undin. Ic h bin we und lieb ltoffen e Sport genauso interess wie eine ante Dis kussion. te auf d I ch wareinen Br ief. Turan Ü nlü Äußere P assauer Str. 90 94315 S traubing 61 Jahre Toni, bin t n n a n e g n, n weibliche Ich, Anto ehrlichen e h c er u s A d n akt im lt jung u Briefkont n e h c e li B n n e n (kein oder mä 60 Jahre d n ) u 0 e z 4 e (Kat n zwischen auch Tier u d t s r b e ie L od ziehung!) en Briefsonst kein e b a mich H e ? u h e r wie ic takt. F n o K n e r amiliä anderen f t von dir! n auf Pos o h c s t z t je hl Anton Mu r. 90 ssauer St Äußere Pa raubing 94315 St dnan, me ist A a N in e M 2m ahre, 1.7 bin 36 J e liesuche ein h ic . ß o r g , bin freundin be Brief in Haft. Monate 1 1 h c o n hamo Adnan S Str. 90 assauer P e r e ß u Ä traubing 94315 S Ein Brief ist ein Weg zu Dir! Ich möchte m it Dir in Brie fkontakt treten. Wenn du, männlich oder weiblich, eine Person suchst , die brieflich wäh rend der Gef än gniszeit dir eine gläubige Begl ei terin sein soll, trau e dich, mir zu schreiben. Ich bin 68 J ahre jung, pe nsionierte Apothekerin , ev.freikirch l. Christin Ella Anders Pfarrstr. 72, 82140 Olchin g 45 Herzzelle Mein Herz ist gefangen in einer Zelle, mit meinen Gefühlen trete ich auf derselben Stelle. Auf der Stelle, an der wir uns das letzte Mal gesehen, und ich wusste, dass die Zellen unserer Herzen sich blind verstehen. In deinem Wesen konnte ich immer meine Gefühle, die ich für dich habe, widergespiegelt lesen. Nun habe ich manchmal Angst, dass mir dein Wesen fremd, während die Zellwand mein Herz einklemmt und jedes Gefühl, das sich mir trotzdem aufdrängt. Es ist die Zelle, die mich beengt und nach und nach die Fähigkeit des Fühlens einschränkt. Es ist jede Zelle in meinem Herzen, die sich teilt vor Schmerzen. Gefangene meiner Gefühle, die ich noch fühle, gibt es endlose Schichten der Erinnerungen, durch die ich mich gedanklich wühle. Und jede Zelle meines Herzens pocht - toch - toch, wenn das Gefühl zu dir hochkocht und hinaus zu dir will und drängt bis ins letzte Loch. Ins letzte Loch der Zelle, gegen deren Wände ich mit meinem Herzen prelle: tonk - tonk So weiß ich, es gibt keinen Weg da raus und ich komme auch meinen Gefühlen nicht aus. So höre ich auf, nach außen zu drängen und mich dadurch nur zu beengen. Deshalb such ich in mir den kleinsten Teil von dir. Denn in meinem Herzen da ist eine Stelle, da gehört dir jede einzelne Zelle. Wenn ich denke, gefangen zu sein, dann schau ich in mein Herz hinein und spüre: Es pocht: toch - toch -, da ist noch kein Loch. Mit vielen Zellen meines Herzens muss es nicht mehr schmerzen, bin ich bei dir. Auch wenn ich dich mal verlier, mich - gefangen in einer Zelle zu dir - distanzier. Lass ich es zu und was ich in meinem Herzen finde, ist was mich mit dir verbindet. So schau ich nach innen und lasse die Zeit verrinnen, so bin ich frei, habe dich im Herzen immer dabei. Du hast mich eingefangen und ich lasse mich gefangen nehmen, bis meine Herzzellen ableben und keine Liebe mehr geben. Doch noch bist du in meinen Herzzellen, bis unsere Wesen wieder aufeinander prellen. Noch bist du in meiner Herzzelle gefangen, bis wir uns wieder sehen dann. Dann... Natascha, JVA München 46 TERMINE 28.10.15 13.12.15 27.12.15 20.01.16 17.04.16 17.30 Uhr Firmgruppe Poing Tabor WG 8.00 Uhr Gottesdienst in Stadelheim und Schwarzenberg 15.00 - 18.00 Weihnachtsfeier in der Tabor WG 17.30 Uhr Firmgruppe Gelting, Tabor WG 10.00 Gottesdienst St. Josef, Puchheim Weihnachtsfeier TABOR e.V. Wie jedes Jahr laden wir auch heuer wieder Freunde und Bekannte, Neugierige, ehemalige Bewohner ... zu einem weihnachtlichen Nachmittag in unsere Wohngemeinschaft ein: Sonntag, 27.12.15, 15.00 - 18.00 Uhr Bei gemeinsam gesungenen Liedern, Geschichten, Plätzchen, Tee, Kaffee wollen wir das Weihnachtsfest nachklingen lassen. Wenn Ihr etwas von Eurem Weihnachtsgebäck übrig habt, könnt ihr gerne davon mitbringen. Auch eigene weihnachtliche Geschichten oder Gedichte freuen uns. Abholdienst von S-Bahn Kirchseeon ist möglich! Das nächste Tabor-Magazin erscheint zu Ostern 2016 zum Thema: "Barmherzig sein? - Kann ich mir nicht leisten!?" Wenn Du einen Beitrag (eigener Bericht, eine eigene Geschichte, ein Gedicht, ein gemaltes Bild etc.) veröffentlichen willst, dann schreibe an: Tabor-Rundbrief-Redaktion, Altenburg 33, 85665 Moosach Einsendeschluss: 1.März 2016 47 IMPRESSUM Herausgeber: Redaktion: Anschrift: Telefon: E-Mail: Homepage: Druck: Auflage: Fotos: Erscheinungsdatum: TABOR e.V. Josef Six, Norbert Trischler Altenburg 33, 85665 Moosach 08091-5586-15/-0 info@tabor-ev.de www.tabor-ev.de Jugendwerk Birkeneck 1600 Stück N. Trischler Herbst, November 2015 An diesem Heft haben mitgearbeitet: Sophia Brandl, Dirk Landwehr, Gitti, Ella, Marcel. Natascha, Andreas, Natascha, Astrid, Juliane, Kuno, Herbert M., Josef Six, Ingrid und Norbert Trischler, A., H.Martin, Tyson Monika, Zimmermann Uli, Sabine, Shawna, Gerhard Die Artikel geben grundsätzlich die Meinung der Verfasser wieder, was nicht unbedingt der Meinung des Tabor e.V. entspricht. Wir konnten nicht alle uns zugesandten Beiträge ins Heft aufnehmen und bitten um Verständnis. ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ o Ich unterstütze TABOR e.V. als Förderer mit einer einmaligen Spende von € ............................ einer monatlichen Spende von € .................. o Ich möchte aktiv mitarbeiten & bitte um Aufnahme als Vereinsmitglied (Jahresbeitrag 30.-€) Zahlungen bitte an: Tabor e.V. Liga Bank eG München: IBAN: DE 81 7509 0300 0002 3114 37 BIC: GENODEF1M05 Name:............................................................................ Adresse:......................................................................... 48 Das Buch des Lebens geschrieben erloschen des Lebens Licht Das Kreuz - Hoffnung auf ,drüben‘ Noch seh‘ ich die Grenze nicht. Doch ich vertrau‘ auf IHN, den ,Ich-bin-da‘. 49 ER ist mir hier und drüben nah! Vlasta Levorová JVA Aichach