Deutschland. Ein Wintermärchen
Transcription
Deutschland. Ein Wintermärchen
Heinrich Heine Deutschland. Ein Wintermärchen Materialmappe für Lehrer Theater der Altmark Deutschland. Ein Wintermärchen Monolog nach dem Versepos von Heinrich Heine Es spielt................................Volker Wackermann Gitarre...................................Robert Grzywotz Inszenierung..........................Louis Villinger Bühne und Kostüme..............Sofia Mazzoni Dramaturgie...........................Cordula Jung Produktionsassistenz.............Miroslaw Antosik Regieassistenz.......................Kristin Klein Technischer Direktor..............Andreas Lerch Bühnenmeister.......................Sirko Sengebusch Beleuchtungsmeister..............Ronald Gehr Ton..........................................Tilo Block / Michael Baeslack Kostümwerkstattleitung...........Kirstin Versümer Werkstattleitung......................Steffen Poitz Premiere: 2. November 2013 | Rangfoyer Dauer der Vorstellung: ca. 1 Stunde | ohne Pause Bild- und Tonaufnahmen der Aufführung sind nicht gestattet. 2 Inhalt Seite Inhaltsangabe Biographie Heinrich Heine Grabinschrift Heine Deutschland. Ein Wintermärchen – Ein Abend über die Suche nach der Heimat Besonderheiten der Textfassung Dokumente zur Entstehungs- und Druckgeschichte „Rheinlied“ – Nikolaus Becker (1840) Die Wacht am Rhein Herzog Friedrich III. alias König Friedrich I. alias Kaiser Barbarossa Göttin Hammonia Einzelne Zeitereignisse Der Fall Heine – Marcel Reich-Ranicki Flüchtlinge Impressum: Teresa Böger Cordula Jung Kristin Klein Eva Vogel 3 4 7 8 9 10 12 14 15 16 17 18 18 20 Inhaltsangabe Vorwort : Im Vorwort des Wintermärchens erläutert Heine die Entstehungsbedingungen seines Buches, wie zum Beispiel die Unterwerfung unter die Zensur, welche auch sein Werk nicht verschont habe. Ebenso wehrt er sich gegen den Vorwurf eines fehlenden Patriotismus und beteuert sein politisches Glaubensbekenntnis der bürgerlichen Freiheit. Caput I: Das Wintermärchen beginnt im November mit dem Grenzübertritt des Reisenden von Frankreich nach Deutschland. In seiner Heimat wird er von Rührung überfallen, welche jedoch nur kurz anhält, denn er hört ein Lied, das Entsagung für die einfachen Leute preist und Widerstand macht sich in ihm breit. Viel lieber will er Lieder von Wohlstand und Glück singen. Caput II: Er befindet sich in der Grenzkontrolle, wo sie ihn nach verbotenen Waren und Büchern durchsuchen, jedoch hat er seine Schmuggelwaren allein geistig in seinem Kopf versteckt. Dagegen preist ein anderer Grenzübergänger die Zensur als Stifterin der geistigen Einheit und den preußischen Zollverein als Stifter der äußeren Einheit Deutschlands. Caput III: Die erste Reisestation ist die Stadt Aachen, die für den Reisenden der Inbegriff von Langeweile ist. So ist das preußische Militär immer noch unverändert in seiner Uniform und Steifheit, nur die Reiteruniformen haben sich verändert, erinnern ihn aber an das längst vergangene Mittelalter. Caput IV: Am Abend trifft er in Köln ein und genießt die rheinischen Spezialitäten. Bei einem anschließenden nächtlichen Spaziergang durch die Gassen rufen die Steinhäuser und der Kölner Dom in ihm das Bild mittelalterlicher Inquisition hervor und er wünscht dem Dom, dass er als Pferdestall enden wird. Caput V: Der reisende spricht mit dem „Vater Rhein“, welcher sich über die nationalistische Verherrlichung beklagt, insbesondere durch das Lied von Niklas Becker. Er geht sogar so weit, dass er sich die Franzosen zurück wünscht. Der Reisende versucht den Rhein zu trösten, in dem er ihm erzählt, dass selbst die Franzosen nun spießbürgerlich und sehr deutsch geworden wären, denn auch Dichter wie Musset, welcher Beckers Gedicht parodiert hat, sind nun zum Schweigen verurteilt. Caput VI: In Köln begegnet er zum ersten Mal seinem geheimnisvollen, schattenhaften Begleiter, welcher sich hier als Nachfolger der altrömischen Liktoren (Leibwache des Königs im Römischen Reich) vorstellt, die den Konsulen immer das Beil als Machtsymbol vorantragen. Nur geht der „Liktor der Reisenden“ nicht voraus, sondern läuft hinterher, um dessen Gedanken in die Tat umzusetzen. Caput VII: Der Schattengeselle spielt den Erfüllungsgehilfen, dies aber nur im Traum, da dieser Zustand der einzige ist, in dem die Deutschen die Gelegenheit zum Höhenflug haben, nach dem Reisenden. Ebenso erhält er den Auftrag die Figuren der Heiligen Drei Könige im Kölner Dom zu zerschlagen. 4 Caput VIII: Der Reisende befindet sich auf der Fahrt nach Hagen und ihn überkommt bei den schlammverdreckten Wegen wieder ein Gefühl von Heimat. In Mülheim erinnert er sich an seine politischen Hoffnungen und seine Gedanken wandern über die Beisetzung Napoleons bis zur Rückkehr des Kaisertums. Caput IX: Eingetroffen in Hagen isst der Reisende zu Mittag und verbindet die kulinarischen Inhalte mit patriotischen und politischen Kommentaren. Caput X: In Unna übernachtet er in einem Wirtshaus und singt ein Loblied auf die Westfalen. Caput XI: Als er durch den Teutoburger Wald fährt, erinnert er sich an die Niederlage der Römer unter Varus und bemerkt ironisch die Rettung der deutschen Kultur vor den Römern durch Hermann den Cherusker. Caput XII: Mitten im Wald erleidet der Reisende eine Kutschenpanne und beginnt mit den heulenden Wölfen in der Ferne zu reden, welchen er beteuert, dass er sich nicht politisch angepasst habe und nicht lammfromm geworden sei. Caput XIII: Die Sonne geht auf in Paderborn und beim Anblick einer Kreuzigungsfigur empfindet der Reisenden Mitgefühl, denn der gekreuzigte Menschheitsverbesserer kommt ihm vertraut vor, wie ein Verwandter. Caput XIV: Erinnerungen an seine Amme werden wach und damit auch an die Geschichte vom Kaiser Rotbart (Barbarossa), die sie ihm immer erzählt hat. Dieser lebt im Berg Kyffhäuser und wartet darauf mit einer großen Streitmacht zurückzukehren und das deutsche Reich wiederherstellen zu können. Caput XV: In seinem Traum wird der Reisende von Kaiser Rotbart durch dessen Höhle geführt, wobei er die tief schlafenden Soldaten besichtigt. Auf sein Drängen, Rotbart solle zu einem sofortigen Angriff zur Befreiung Deutschlands ausholen, beschwichtigt dieser, es habe noch genug Zeit. Caput XVI: Um Rotbart weiter zu überzeugen, berichtet der Reisende ihm von der aktuellen, politischen Situation. Nach der Erklärung einer Guillotine ist Rotbart entsetzt, denn solch eine Hinrichtungsart für Monarchen empfindet er als Majestätsbeleidigung. Danach platzt dem Reisenden der Kragen, denn mit so einer Einstellung Rotbarts sieht er seine Hoffnungen auf eine politische Modernisierung schnell dahinschwinden. Caput XVII: Der Reisende erwacht aus seinem Traum und nimmt seine Forschheit gegen den Kaiser zurück, denn wenn man sich die deutsche, politische Realität genauer anschaue, sei selbst Rotbarts Einstellung ein Fortschritt. Caput XVIII: In der Nacht in Minden wird der Reisende von einem Albtraum geplagt, in dem ihn Zensoren, Gendarmen und der Preußenadler verfolgen. 5 Caput XIX: In Hannover besichtig er den Palast des regierenden Königs Ernst August. Caput XX: Der Reisende ist bei seiner Mutter angekommen, wo er bekocht und mit Fragen gelöchert wird, bei denen er ausweichend antwortet, wenn sie um politische Einstellungen gehen. Caput XXI: Durch das zerstörte Hamburg wandernd, stellt der Reisende mit Entsetzen fest, was sich alles nach dem Großbrand verändert hat. Er warnt vor einer Einflussnahme der Preußen, was er für eine politische Gefahr hält. Caput XXII: Dem Reisenden werden Veränderungen in seinem alten Bekanntenkreis bewusst. Caput XXIII: Zu einem ausgiebigen Speise- und Weingenuss trifft er sich mit seinem Verleger Campe und begibt sich danach auf die Drehbahn, wo er der Schutzgöttin Hamburgs, Hammonia, begegnet, Caput XXIV: Hammonia und der Reisende gehen zu ihr aufs Zimmer, wo sie ihm gesteht, dass er ihr Lieblingsdichter sei. Darauf gibt er zu, dass das Heimweh ihn nach Deutschland zurückgetrieben habe. Caput XXV: Um den Reisenden zum Verbleib in Deutschland zu bewegen, umhüllt Hammonia ihn mit beschönigten Argumenten, wie dem Nachlassen der Zensur und der Verbesserung der politischen Verhältnisse, denn sie könne in die Zukunft des Landes sehen. Wenn der Reisende schweigen könne, würde sie ihm einen Blick in diese Zukunft gewähren. Caput XXVI: Um die Zukunft Deutschlands zu sehen, sieht der Reisende in den Nachttopfkessel von Karl dem Großen, wo ihm schreckliche Gerüche in die Nase steigen. Hammonia trägt weitere Liebesschwüre an ihn heran, doch in ihrer Vision des Hochzeitstages, nähert sich auch der Zensor Hoffmann mit einer großen Schere und entmannt den Dichter. Caput XXVII: Abschließend wird der König ermahnt, die Zensur zu beschränken und ihm wird gedroht in die Hölle zu kommen, in welche die Dichter ihre Feinde verdammen und aus dieser gibt es keine Erlösung. 6 Biographie Christian Johann Heinrich Heine (13. Dezember 1797 bis 17. Februar 1856) Als erstes von vier Kindern des jüdischen Textilhändlers Samson Heine und seiner Frau Peira wurde Heinrich Heine am 13. Dezember 1797 in Düsseldorf geboren. Heinrich, seine Schwester Charlotte und seine Brüder Gustav und Maximilian wuchsen in einem von der jüdischen Aufklärungsbewegung „Haskala“ geprägten Elternhaus auf, welches weitesgehenden an Deutschland angepasst war. Ab dem Alter von sechs Jahren besuchte Heine eine israelitische Privatschule. Dank der kürfürstlichen Gesetzgebung, die es jüdischen Kindern ab 1804 erlaubte christliche Schulen zu besuchen, wechselte er 3 Jahre später auf die städtische Grundschule und von dieser 1810 auf das ehemalige Jesuitengymnasium, in welchem er besondere Förderungen in Rhetorik, Verslehre und Philosophie erhielt und außerdem ein intensives Studium der französischen Klassiker, aber auch der deutschen Literatur betrieb. Einer Familientradition folgend, die ihn dazu bewegte sich an einer Handelsschule auf einen kaufmännischen Beruf vorzubereiten, verließ er 1814 im Alter von 16 Jahren das Gymnasium ohne Abgangszeugnis. Nachdem er zwei Jahre als Volontär bei dem Frankfurter Bankier Rindskopff gearbeitet hatte, wechselte er ins Bankhaus seines Onkels Salomon Heine, von dem er bis zu dessen Tod finanzielle Unterstützt wurde, obwohl der Onkel wenig Verständnis für die literarischen Interessen seines Neffen aufbringen konnte. Ebenfalls von seinem Onkel wurde ihm sein Jurastudium ermöglicht, welches er an der „Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität“ in Bonn, der „Georg-August Universität“ in Göttingen und der „Friedrich-Wilhelms Universität“ in Berlin absolvierte und im Jahr 1825 abschloss. Während dieser Jahre seines Lebens begegnete er Personen wie August Wilhelm Schlegel, Ernst Moritz Arndt, Georg Wilhelm Hegel. Auch beschäftigte er sich in dieser Zeit erstmals intensiv mit dem Judentum, war Mitglied im „Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“ und begann an de Roman „Der Rabbi von Bacherach“ zu arbeiten, der jedoch ein Fragment blieb. Trotz seiner ausführlichen Beschäftigung mit der Religion seiner Eltern wollte Heinrich Heine selbst sich mit dieser nicht identifizieren, schrieb an seine Freund Immanuel Wohlwill sogar: „ Auch ich habe nicht die Kraft einen Bart zu tragen, und mir Judemauschel nachrufen zu lassen, und zu fasten etc.“. Um seine Chancen auf eine Anstellung als Jurist zu erhöhen, hatte Heine sich unmittelbar nach einem Abschluss protestantisch taufen lassen und seinen ursprünglichen Vornamen Harry durch Christian Johann Heinrich ersetzt. Er musste jedoch bald feststellen, dass er auch als christlich getaufter Jude oft nicht als Gleichgestellter akzeptiert wurde, wodurch er seinen Übertritt zum Christentum später bereute. Die Tatsache, dass er keine Arbeitstelle finden konnte, veranlasste ihn zu der, zu damaligen Zeiten eher ungewöhnlichen Entscheidung, sich als freischaffender Schriftsteller sein Brot zu verdienen und konnte bald darauf erste literarische Erfolge verzeichnen und ab Anfang der 1830er Jahre wurde er als literarisches Talent in Deutschland und sogar Europa wahrgenommen. 7 Am 1. Mai 1831 siedelte Heine fluchtartig nach Paris über, weil er wegen seiner politischen Ansichten immer wieder angefeindet wurde. Dort verdiente er sich seinen Unterhalt als Korrespondent der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“, die die meist gelesene deutschsprachige Tageszeitung war. In Paris begegnete er auch seiner Ehefrau Crescence Eugenie Mirat, die er am 31. August 1841 in der katholischen Kirche St. Sulpice heiratete. Seine jüdische Herkunft verschwieg er ihr zeitlebens. Nur 7 Jahre später, im Februar 1848 erlitt Heinrich Heine einen Zusammenbruch, in folge dessen er die letzten 8 Jahre seines Lebens bettlägerig in seiner, wie er es nannte „Matratzengruft“, verbrachte. Am 17. Februar 1856 starb Heinrich Heine in Paris im Alter von 58 Jahren. Drei Tage später wurde er auf dem Friedhof Montmartre beerdigt. Grabinschrift Heine Wo wird einst des Wandermüden Letzte Ruhestätte seyn? Unter Palmen in dem Süden? Unter Linden an dem Rhein? Werd ich wo in einer Wüste Eingescharrt von fremder Hand? Oder ruh ich an der Küste Eines Meeres in dem Sand. Immerhin mich wird umgeben Gotteshimmel, dort wie hier, Und als Todtenlampen schweben Nachts die Sterne über mir. 8 Deutschland. Ein Wintermärchen – Ein Abend über die Suche nach der Heimat Heinrich Heine (1797-1856) gilt als der letzte große Dichter der Romantik und zugleich als deren Überwinder. Seine romantischen Gedichte sind bis heute weltberühmt. Genauso bewundert, vor allem aber auch gefürchtet war er als politisch engagierter Journalist, Essayist und Satiriker, der sich auf ironische Weise mit den politischen Verhältnissen seiner Zeit auseinandersetzte. Wegen seiner kritischen Äußerungen und nicht zuletzt wegen seiner jüdischen Herkunft wurde er angefeindet und ausgegrenzt. Vor allem die strenge Zensur machte ihm das Leben und Schreiben in Deutschland so unerträglich, dass er 1831 nach Frankreich emigrierte. Dort konnte er ungestört arbeiten und musste keine Angst haben, aus politischen Gründen verhaftet zu werden. 1843, also nach zwölf Jahren im Exil, unternahm Heine von Heimweh geplagt eine Reise nach Deutschland. Dort wollte er unter anderem seine Mutter und seinen Verleger Julius Campe besuchen. Die Eindrücke und Erlebnisse dieser Reise verarbeitet er ein Jahr später in dem satirischen Versepos „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Er macht sich lustig über Rückwärtsgewandheit, übertriebene Religiösität, die restriktive preußische Restaurationspolitik, Engstirnigkeit und Duckmäusertum, prangert Zensur, Verlogenheit und Bigotterie mit scharfen Worten an. Gleichzeitig erlaubt er sich geradezu sentimentale Gefühle, er blickt liebevoll auf seine Heimat und träumt von einem Deutschland, in dem alle Menschen frei leben und denken dürfen. Schon vor der eigentlichen Veröffentlichung musste Heine sein Werk mehrfach umarbeiten um der Zensur zu entgehen. 1844 wurde es dennoch verboten und beschlagnahmt und gegen Heine wurde erneut Haftbefehl erlassen. „Heimat“ war für Heine ein Lebensthema. Er liebte Deutschland, hatte Heimweh danach und fühlte sich trotz seiner langen Zeit in Paris immer als deutscher Dichter. Gleichzeitig war er in seinem Heimatland zeitlebens ein Außenseiter, ein Ausgegrenzter, ein Opfer von Zensur und Feindseligkeit. So wie es Heine Mitte des 19. Jahrhunderts erging, ergeht es auch heute noch zahllosen politischen Flüchtlingen. Die Inszenierung setzt sich anhand Heines Versepos mit dem Thema Heimat aus Sicht derer auseinander, die ihr Heimatland aus den unterschiedlichsten Gründen verlassen mussten. Wie verändert die Distanz den Blick auf die Heimat? Wie empfindet man aus der Ferne die politischen Umstände, die Gebräuche, die gesellschaftlichen Ereignisse daheim? Welche Sehnsüchte bleiben? Schärft der Abstand den kritischen Blick? Oder verklärt das Heimweh die Realität? Um diese Fragen aufzugreifen, hat Regisseur Louis Villinger im Vorfeld der Inszenierung Interviews mit Bürgern unterschiedlichster Herkunft geführt. Er hat Menschen aus Mali, der Türkei, dem Iran, Russland, Aserbaidschan und Syrien zu ihren Erlebnissen und ihrem Verhältnis zur ehemaligen Heimat befragt. Ihre Antworten sind während des Abends vom Band zu hören. Heines Text vermischt sich auf der Bühne mit den Stimmen von Menschen, die sich heute in einer ähnlichen Situation befinden wie er damals. Entstanden ist ein vielschichtiges Stimmenkonzert, das sich mit dem Begriff Heimat auseinandersetzt und Heines Kampf um Freiheit in den Kontext heutiger gesellschaftlicher Ereignisse stellt. 9 Besonderheiten der Textfassung In die Bühnenfassung des TdA von „Deutschland. Ein Wintermärchen“ sind neben den Interviews zusätzliche Texte von Heinrich Heine eingefügt. Sie verdeutlichen sein Ringen mit Deutschland, seinen Kampf gegen die Zensur, seine Sehnsucht nach Heimat, und geben so einen Einblick in die Persönlichkeit des Dichters. Hier eine Auswahl der verwendeten Texte: Es war nicht eitel Lust meines Herzens, dass ich alles verließ was mir Teures im Vaterland blühte und lächelte – mancher liebte mich dort, aber ich ging. Ich ging weil ich musste. (aus Vorrede zu Salon I, Paris, den 17. Okt. 1833) Ich wollte nicht den geringsten Makel meinem schönen, reinen Namen anheften! Ich wollte mich nicht der preußischen Censur unterwerfen!! Ich lasse mich nicht wie ein Junge, der schweigen muss, behandeln! (Brief an Julius Campe, Paris, den 7. April 1835) Jetzt wohin? Der dumme Fuß Will mich gern nach Deutschland tragen; Doch es schüttelt klug das Haupt Mein Verstand und scheint zu sagen: Zwar beendigt ist der Krieg, Doch die Kriegsgerichte blieben, Und es heißt, du habest einst Viel Erschießliches geschrieben. Das ist wahr, unangenehm Wär mir das Erschossenwerden; Bin kein Held, es fehlen mir Die pathetischen Gebärden. (aus: Jetzt wohin? aus Romanzero – Zweites Buch: Lamentationen) Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht, Ich kann nicht mehr die Augen schließen, Und meine heißen Tränen fließen. Die Jahre kommen und vergehn! Seit ich die Mutter nicht gesehn, Zwölf Jahre sind schon hingegangen; Es wächst mein Sehnen und Verlangen. Deutschland hat ewigen Bestand, Es ist ein kerngesundes Land, Mit seinen Eichen, seinen Linden, Werd ich es immer wiederfinden. Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr, Wenn nicht die Mutter dorten wär; Das Vaterland wird nie verderben, Jedoch die alte Frau kann sterben. (Nachtgedanken aus Zeitstücke – 1844) 10 Solche Bücher lässt du drucken! Teurer Freund, du bist verloren! Willst du Geld und Ehre haben, Musst du dich gehörig ducken. Nimmer hätt ich dir geraten So zu sprechen vor dem Volke, So zu sprechen von den Pfaffen Und von hohen Potentaten! Teurer Freund, du bist verloren! Fürsten haben lange Arme, Pfaffen haben lange Zungen, Und das Volk hat lange Ohren! (Warnung) Wenn ich beseligt von schönen Küssen, In deinen Armen mich wohl befinde, Dann musst du mir nie von Deutschland reden; Ich kann`s nicht vertragen – es hat seine Gründe. Ich bitte dich, lass mich mit Deutschland in Frieden! Du musst mich nicht plagen mit ewigen Fragen Nach Heimat, Sippschaft und Lebensverhältnis; Es hat seine Gründe – ich kann`s nicht ertragen. Die Eichen sind grün, und blau sind die Augen Der deutschen Frauen, sie schmachten gelinde Und seufzen von Liebe, Hoffnung und Glauben; Ich kann`s nicht vertragen – es hat seine Gründe. (Angélique) Denkst du der Heimat, die so ferne, So nebelfrei dir verschwand? Gestehe mir`s, du wärest gerne Manchmal im teuren Vaterland. Denkst du der Freunde, die da sanken An deine Brust, in großer Stunde? Im Herzen stürmen die Gedanken, Jedoch verschwiegen blieb der Mund. Denkst du der Vögel und der Bäume Des schönen Gartens, wo du oft Geträumt der Liebe junge Träume, Wo du gezagt, wo du gehofft? Ich hatte einst ein schönes Vaterland. Der Eichbaum Wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft. Es war ein Traum. 11 Das küsste mich auf deutsch und sprach auf deutsch – Man glaubt es kaum, Wie gut es klang – das Wort: „Ich liebe dich!“ Es war ein Traum. (In der Fremde) Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen. (Zitat aus der Tragödie „Almansor) Dokumente zur Entstehungs- und Druckgeschichte Heines „Wintermärchen“ entstand nach seiner ersten Deutschlandreise im Jahre 1843, seit seiner Übersiedlung im Mai 1831 nach Paris. Beweggrund war ein geschäftliches Treffen mit seinem Verleger Julius Campe und der Besuch von Verwandten, insbesondere seine Mutter, deren Wohnung dem Großbrand in Hamburg 1842 zum Opfer gefallen war. So verlässt Heine am 21. Oktober Paris und erreicht, über Brüssel, Münster, Osnabrück und Bremen reisend, am 29. Oktober Hamburg. Erst bei seiner Rückfahrt passiert Heine die Stationen, die er in seinem Wintermärchen aufführt, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, nämlich Hannover, Bückeburg, Minden, Teutoburger Wald, Unna, Hagen, Köln und Aachen. Mit seinem Brief vom 20. Februar 1844 kündigt Heine seinem Verleger das neue Werk an: „Hab seitdem ich zurück viel gearbeitet z. B. ein höchst humoristisches Reise-Epos, meine Fahrt nach Deutschland, ein Cyklus von 20 Gedichten, gereimt, alles gottlob fertig; werde eine Porzion Prosa hinzuschreiben und Ihnen also recht bald das nothwendige Bändchen geben. Sie werden sehr mit mir zufrieden seyn und das Publikum wird mich in meiner wahren Gestalt sehen. Meine Gedichte, die neuen, sind ein ganz neues Genre, versifizirte Reisebilder, und werden eine höhere Politik athmen als die bekannten politischen Stänkerreime. Aber sorgen Sie frühe für Mittel etwas was vielleicht unter 21 Bogen ohne Censur zu drucken.“ Seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 waren alle Druckschriften mit einer Größe von bis zu 20 Bögen (1 Bogen = 16 Seiten im Oktavformat) der Zensur vor der Veröffentlichung (Präventivzensur) unterworfen. Alle Schriften über 20 Bogen Umfang waren zensurfrei, konnten aber dennoch nachträglich verboten oder eingezogen werden. Campe antwortet am 22. April 1844: „Ihr Werk erwarte ich, ich muss es sehen und würdigen, was es verfängliches führt. Censur muß seyn. Aber Sieveking1 ist ein so sehr gescheuter und wirklich raisonabler Mann, dass ich die Absicht habe, es ihm privatim vorzulegen. Gefällt es ihm, sind keine Bosheiten darin, die höheren Ortes Reclamationen unabweißlich zur Folge haben müßten: dann giebt er das Imprimatur2. Hundert-Male streicht Hoffmann3 in seinem Maulwurfs-Gesichtskreise; Sieveking stellt es wieder her, wenn die Appellation an ihn gerichtet wird. Wie gesagt, es fragt sich, um den Grundgedanken; davon hängt alles ab. Sieveking ist nicht ängstlich, sondern wirklich großartig in Bezug auf solche 1 2 3 Karl Sieveking (1787-1847), der seit 1837 der Hamburger Zensurkommission vorstand. (lat.) Druckerlaubnis Friedrich Lorenz Hoffmann (1790-1871), 1822-48 Zensor in Hamburg 12 Gegenstände. Und ich darf frei zu ihm sprechen; er consultiert mich zu weilen um Gegenstände der Presse. Er steht an der Spitze der Druckerei des Rauhen Hauses, das sich mit Verlag beschäftigt. Natürlich rathe ich ihm nach der redlichsten Weise, zu oder ab, wie ich in derselben Lage in meinem Intereße handeln würde. Daraus sehen Sie, dass ich ihn nicht, wie einer Behörde in einem extra Fall, wie dieser ist, gegenüber stehe, sondern vertraulich über die Sache mich verständigen zu können hoffen darf.“ Im Brief vom 3. Mai 1844 versucht Heine dem Verleger erneut klarzumachen, dass sein Reiseepos die Zensur nicht passieren könne,: „Ihre Briefe vom 13 und 22 April habe ich erhalten und aus letzterem ersehen, dass Sie Alles was ich Ihnen über mein Opus geschrieben, nicht begriffen haben, denn sonst würden Sie mir die Zumuthung nicht machen es durch Siveking durch die Censur zu bringen. Wenn dieser mein Vater wär könnte er mir das Imprimatur nicht ertheilen; dazu kommt, daß das Gedicht am unleidlichsten Preußen und dessen König berührt, wo Siveking also aus Staatsgründen und Privatsympathie nicht gut für mich seyn würde. Von Censur ist keine Möglichkeit. Das Gedicht muss als 21 Bogen ohne Censur gedruckt werden, oder ich muss, wenn Ihnen dies nicht möglich ist, das Gedicht hier oder in der Schweitz herausgeben. Anders sehe ich hier keinen Ausweg. Mit Censur kann es nicht gedruckt werden, obgleich ich bey der Durchsicht noch die grellsten Stellen strich, Ihrentwegen, auch Ihrentwegen bey der Conzepzion mich zügelte und gewiss auch noch jetzt ein Uebriges thäte. Denn ich habe ja das Ganze zunächst Ihrentwegen geschrieben. Melden Sie mir daher umgehend ob Sie das Gedicht, durch Zugabe auf 21 Bogen ausgedehnt, ohne Censur drucken können. Ist dies durchaus nicht möglich, so ist es rein überflüssig, dass ich Ihnen das Manuskript einschicke; können Sie es aber in angedeuteter Weise drucken, so schicke ich Ihnen das Manuskript unverzüglich und es bleibt dann nur die Frage: was ich hinzugebe.“ (Textnachweis: Heinrich Heine: Säkularausgabe (HSA). Werke, Briefwechsel, Lebenserzeugnisse. Hrsg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar und dem Centre National de la Recherche Scientifique in Paris) 13 „Rheinlied“ – Nikolaus Becker (1840) Das Rheinlied entstand 1840 während der Rheinkrise zwischen dem Deutschen Bund und dem Königreich Frankreich, als der französische Regierungschef Adolphe Thiers den Rhein als natürliche Ostgrenze zwischen den beiden Ländern annehmen wollte. Darauf folgte ein Sturm der Entrüstung in allen deutschen Ländern und es entstanden viele patriotische Lieder mit dem freien deutschen Rhein als Sinnbild des deutschen Nationalgefühles. Sie sollen ihn nicht haben den freien deutschen Rhein, ob sie wie gierige Raben sich heiser danach schrein So lang er ruhig wallend sein grünes Kleid noch trägt so lang ein Ruder schallend In seine Woge schlägt Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein, so lang sich Herzen laben an seinem Feuerwein So lang in seinem Strome noch fest die Felsen stehn, so lang sich hohe Dome in seinem Spiegel sehn Sie sollen ihn nicht haben Den freien deutschen Rhein So lang dort kühne Knaben Um schlanke Dirnen freien So lang die Flossen hebet Ein Fisch auf seinem Grund So lang ein Lied noch lebet In seiner Sänger Mund Sie sollen ihn nicht haben Den freien deutschen Rhein Bis seine Flut begraben Des letzten Manns Gebein 14 Die Wacht am Rhein 1840 wurde der Text von Max Schneckenburger verfasst unter dem Eindruck der Rheinkrise und angelehnt an das Rheinlied von Nikolaus Becker. 1854 vertonte Carl Wilhelm das Gedicht neu und führte es auf der Silberhochzeit des späteren Kaisers Wilhelm I. auf, wodurch es an Popularität gewann. Während des Krieges 1870/71 wurde es im Deutschen Kaiserreich zur inoffiziellen Nationalhymne. Es braust ein Ruf wie Donnerhall, Wie Schwertgeklirr und Wogenprall: Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein! Wer will des Stromes Hüter sein? Refrain Lieb! Vaterland, magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein! Durch Hunderttausend zuckt es schnell, Und Aller Augen blitzen hell, Der deutsche Jüngling, fromm und stark, Beschirmt die heil!ge Landesmark. Refrain Er blickt hinauf in Himmelsau!n, Wo Heldengeister niederschau!n, Und schwört mit stolzer Kampfeslust: „Du Rhein bleibst deutsch wie meine Brust.“ Refrain „Und ob mein Herz im Tode bricht, Wirst du doch drum ein Welscher nicht; Reich wie an Wasser deine Flut Ist Deutschland ja an Heldenblut.“ Refrain „Solang ein Tropfen Blut noch glüht, Noch eine Faust den Degen zieht, Und noch ein Arm die Büchse spannt, Betritt kein Feind hier deinen Strand.“ Refrain Der Schwur erschallt, die Woge rinnt, Die Fahnen flattern hoch im Wind: Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein! Wir Alle wollen Hüter sein! Refrain 15 Herzog Friedrich III. alias König Friedrich I. alias Kaiser Barbarossa Friedrich wurde als Sohn Friedrichs II. von Hohenstaufen, Herzog von Schwaben und der welfischen Herzogstochter Judith als Friedrich der III. im Jahre 1122 geboren und stammt damit von den beiden verfeindeten Hauptadelsgeschlechtern der damaligen Zeit ab. Friedrich, der Neffe des Königs Konrad III., wird 1152 zu dessen Nachfolger bestimmt, da sein eigener Sohn, auch Friedrich, zu diesem Zeitpunkt erst 6 Jahre alt ist und man sich des weiteren durch die staufische und welfische Abstammung Friedrichs III. einen Vorteil für das Reich erhoffte, die sich auch durch Friedrichs Politik des Ausgleichs bewahrheitete. Da er der erste deutsche König mit Namen Friedrich ist, wird er zu Friedrich dem I. 1155 wurde er von Papst Hadrian IV. zum Kaiser gekrönt, mit dem er aber später in Konflikt geriet. Friedrich, auch Barbarossa wegen seines roten Bartes genannt, führte mehrere Feldzüge nach Italien an, unterlag aber 1176 den papsttreuen Lombarden bei Legnano. Als er sich mit dem Papst aussöhnte, erkannten die Lombarden den Kaiser zwar an, behielten aber ihre Rechte. 1189 unternahm Barbarossa seinen dritten Kreuzzug mit Philip II. von Frankreich und Richard (Löwenherz) I. von England. Nach zwei erfolgreichen Schlachten gegen die Muslime ertrank er am 10. Juni 1190 im Fluss Saleph in der heutigen Türkei unter nicht genau geklärten Umständen. Zum Nachfolger wurde sein Sohn Heinrich VI. bestimmt. Die Legende: Nach dem Ertrinken Barbarossas entstanden bald Gerüchte, da das Ende des Kaisers in Deutschland größte Trauer auslöste. So half man sich mit der Legende, dass er gar nicht tot sei, sondern bald wiederkehren würde, um die Deutschen aus ihrer Not zu befreien. Diese Legende ist bis heute bekannt und ihm sowie Kaiser Wilhelm wurde im Jahre 1890-1896 auf dem Kyffhäuser ein Denkmal gebaut, in dem es scheint, als erwache er gerade aus seinem hundertjährigen Schlaf. Er soll, zusammen mit seinem gesamten Hofstaat, verzaubert in den Bergen des Kyffhäusers sitzen und darauf warten, wiederzukommen. In diesem Berg sitzt er an einem Tisch mit seiner goldenen Krone auf dem Kopf, sein Bart ist schon durch den Tisch hindurch gewachsen und reicht zweimal um diesen herum. Alle hundert Jahre erwacht Barbarossa und schickt einen Knaben nach oben um nachzusehen ob die Raben, Zeichen für Unglück und Zwietracht, verschwunden sind. Wenn sie noch fliegen, ist die Zeit für Kaiser Barbarossa noch nicht gekommen und er verfällt für weitere hundert Jahre in den Schlaf. Nach dem Tod des letzten Stauferkaisers Friedrich II. zerfiel das deutsche Reich nach einer etwa einhundertjährigen Blütezeit in viele Kleinstaaten mit teilweise sehr gegensätzlichen Interessen. Die Sage spiegelte die Sehnsucht des einfachen Volkes nach einem einheitlichen Staat und einem weisen und gerechten Herrscher, als der Barbarossa galt, wider. 16 Göttin Hammonia Hammonia wird in der Literatur oft stellvertretend für die Stadt Hamburg genannt und gilt auch als Stadtallegorie in Form einer Frau. Erstmals 1624 wird Hamburg von einem Kupferstecher als Frau dargestellt, welche in den folgenden Jahrhunderten immer wieder auf Stadtansichten und Karten aufgenommen wird alsschmückendes Beiwerk. Am 21. Februar 1710 wird der Name Hammonia zum ersten Mal schriftlich erwähnt und in einem Musikstück für die Petrimahlzeit (Festessen bei der jährlichen Neuverteilung der Ämter im Senat) als Schutzgöttin der Stadt genannt. Dargestellt wird Hammonia meistens mit einer zinnenbewährten Mauerkrone, andere Merkmale wechseln, so wie der Merkurstab, der Anker, das Steuerrad oder das Wappenschild als Requisit. (Bild 1) Anlässlich der Eröffnung der Speicherstadt durch den Kaiser wurden am 02. Oktober 1888 Statuen der Germania und Hammonia auf der Brooksbrücke angebracht, die jedoch im Zweiten Weltkrieg verloren gingen. 2003 stellte man Hammonia und Europa als neu geschaffene Plastiken wieder an die nun auch neu errichtete BrooksBrücke wieder auf. Bild 1 (Bild 2) Dieses Mosaik befindet sich über dem Rathauseingang und im Phönixsaal, welcher dem Hamburger Brand gewidmet ist und zeigt Hammonia über den Trümmern der Stadt. Bild 2 17 Einzelne Zeitereignisse Brand in Hamburg: Zwischen dem 5. und 8. Mai 1842 zerstörte ein großer Brand mehrere Teile der Altstadt von Hamburg, wobei jedoch die genaue Ursache ungeklärt blieb. Fest steht, dass das Feuer in der Deichstraße beim Cigarrenmacher Cohen ausbrach und von Nachtwächtern entdeckt wurde, aber der Versuch erfolglos blieb, das Feuer zu löschen oder sein Übergreifen auf andere Häuser zu verhindern, aufgrund von vorangegangener Trockenheit und anhaltenden Winden. Erst als weitere Feuerwehrleute aus der Umgebung und sogar von weiter entfernten Städten zu Hilfe eilten, konnte das Feuer gelöscht werden. Durch den Brand wurde ein Viertel des damaligen Stadtgebietes vernichtet, wobei 51 Menschen ums Leben kamen, 1700 Häuser zerstört wurden, so wie drei Kirchen, das Rathaus, die Bank und das Archiv und die Zahl der Obdachlosen auf 20.000 Menschen stieg. Der Fall Heine – Marcel Reich-Ranicki „Wenn es um Heine ging, wurde in Deutschland seit eh und je scharf geschossen. Ein geborener Provokateur war er und ein ewiger Ruhestörer... Er ging ins Exil, um nie in Deckung gehen zu müssen. Seine Biographie reicht vom jüdischen Mittelalter bis zur europäischen Neuzeit, sein Werk führt von der deutschen Romantik zur Moderne der Deutschen... Stets setzte er sich zwischen alle Stühle. Und fast will es scheinen, als sei da immer noch sein Platz.“ „So konnten die Romantiker jenen deutschen Beitrag zur Weltliteratur, um den der alte Goethe bangte, nicht leisten: War ihre Dichtung zu deutsch? Keineswegs, aber sie war nicht europäisch genug. Der die deutsche Literatur aus dieser Sackgasse hinausgeführt hat, war kein anderer als Heine. Nietzsche war nicht kleinlich. Auch in Sachen Heine ließ er sich nicht lumpen. »Den höchsten Begriff vom Lyriker« - erklärte er in seiner philosophischen Autobiographie. (...) Das also sind die Elemente in Heines Schriften, die sich dem Gedächtnis Nietzsches am stärksten eingeprägt haben: die süße, die leidenschaftliche Musik, die göttliche Bosheit und die virtuose Beherrschung des Deutschen. Mit anderen Worten: Der Wohlklang, der Scharfsinn und der Stil – und damit ist schon charakterisiert, was Heines bahnbrechendes Werk von beinahe allen seinen Nachfolgern unterscheidet. Bahnbrechend? Ist das nicht ein gar zu großes Wort? Nein, ich nehme es nicht zurück, ich werde es auch nicht abmildern: Heine hat, um es gleich zu sagen, der deutschen Literatur, der Poesie ebenso wie der Prosa, neue Möglichkeiten eröffnet und neue Wege gewiesen. 18 Ihm ist geglückt, was Europa den Deutschen kaum mehr zutraute: ein Stück Weltliteratur in deutscher Sprache. (...) Geistreich und witzig kritisierte Heine die poetische Welt aus der er gekommen war, es bereitete ihm ein Vergnügen, sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Doch die bösen Attacken sind zugleich beinahe zärtlich. Nicht selten behandelte er diese Welt mit einem Zynismus, weil er die Sicht der Romantiker auf seine Weise relativierte. Am Ende beschlich ihn wieder – er gab es offen zu - »eine unendliche Sehnsucht nach der blauen Blume im Traumlande der Romantik«. Indem Heine die Romantik wie kein anderer reformierte und modernisierte, rettete und bewahrte er sie für eine neue Generation. Mit der vielgescholtenen Innerlichkeit hat er sich konsequent auseinandergesetzt, aber er schämte sich nicht, gelegentlich durchblicken zu lassen, daß er für sie immer noch eine Schwäche habe. Er dachte nicht daran, sich von der Szenerie der romantischen Dichtung, von den Feldern und Wäldern, den Tälern und Hügeln, den Bächen und Flüssen, von den vielen Gräsern und Blumen etwa abzuwenden. Aber ohne die Innerlichkeit ganz zu verbannen, hat er ihre Auswüchse lachend beseitigt. Und er hat ihre Szenerie energisch erweitert, indem er tat, was noch unlängst schwer vorstellbar war – er hatte keine Bedenken, die moderne Stadtlandschaft, Berlin und Hamburg, Köln und Paris, in die Lyrik einzubeziehen. Früher als die anderen europäischen Dichter seiner Zeit hat er ausgiebig von der Umgangssprache profitiert und immer wieder auf das Deutsch des Alltags zurückgegriffen. So hat er die Sprache der Lyrik und der Prosa erneuert, er hat sie ohne Pardon entrümpelt und anmutig verschlankt und damit die dringend notwendige Voraussetzung für die Demokratisierung der Literatur geschaffen. (...) Der gesunde Menschenverstand machte es Heine möglich, stets aufs neue zu zeigen, daß die Dichtung vernünftig sein könne – und die Vernunft dichterisch. Ihm ist es scheinbar mühelos gelungen, jene Synthese zu verwirklichen, die in Deutschland Seltenheit hat – die Synthese aus Witz und Weisheit, Charme und Scharfsinn, Gefühl und Grazie. (...) Er hat in seinen Versen gebetet und gebettelt, geflucht und geflüstert, geträumt und gedroht. Er hat viel gespottet und viel gehöhnt, aber er hat, wie es sich für einen Juden schickt, immer auch sich selbst verspottet und verhöhnt. Er war verliebt in Widersprüche und erst recht in Extreme, aber er hat, wie es sich für einen Künstler schickt, niemals das Risiko gefürchtet. (...) Heine war, wenn man so sagen darf, ein passionierter Skeptiker, ein skeptischer Provokateur. Schon seine frühen Publikationen, zumal das »Buch der Lieder« und die »Reisebilder«, brachten ihm zusammen mit vielen Lesern, Anhängern und Bewunderern auch unzählige Neider, Gegner und Feinde: Es gab recht bald einen Fall Heine – und es gibt ihn immer noch. (...) Alles Engstirnige und Provinzielle war ihm verhasst. Er schwärmte in Deutschland für die Französische Revolution, er schrieb über französische Zustände, französische Maler und die französische Bühne, über England und Italien. In Frankreich erläuterte und rühmte er die deutsche Romantische Schule, er belehrte die Franzosen über die Geschichte der Religion und der Philosophie in Deutschland. Den Blick, der gebildeten Deutschen lenkte Heine auf Europa, und auf ungeahnte, auf überraschende Weise belebte und steigerte er das Interesse Europas an deutschem Geist, an deutscher Kultur. (...) Seine Lyrik ist empfindsam und doch sarkastisch, leidenschaftlich und zugleich ironisch, sie ist oft traurig und dennoch komisch. Sein Humor hat dazu beigetragen, daß der Deutsche und der Jude Heine von ganz Europa akzeptiert und nicht selten soagr geliebt wurde. Mehr noch: In ihm, dem Heimatlosen, dem Emigranten, hat Europa eine Zentralfigur der zeitgenössischen Literatur, einen Weltpoeten gesehen und den Nachfolger Byrons erkannt. (...) Ein geborener Provokateur war er und ein ewiger Ruhestörer. Er traf die schmerzhafteste Wunden seiner Zeitgenossen, ohne die Folgen, die für ihn selber entstehen mussten, zu bedenken. Es kümmerte ihn kaum, daß er den anderen sehr bequeme Angriffziele bot und dies nicht nur deshalb, weil er extreme und also oft anfechtbare Urteile liebte. Er sicherte sich nie ab, Vorsichtsmaßnahmen waren mit seinem Temperament schlecht vereinbar. Er 19 kämpfte tatsächlich mit offenem Visier. Man könnte sagen: Er ging ins Exil, um nie in Deckung gehen zu müssen. (...) Da haben wir schon Heines ganze Misere. Er bildet sich nicht ein, man würde ihn als einen Deutschen mosaischen Glaubens anerkennen. Er weiß sehr wohl, daß man ihm ein Vaterland verweigert – und er protestiert nicht. Aber er kapituliert auch nicht. Nicht ein Deutscher will er sein, sondern weniger und mehr – nämlich ein deutscher Dichter. Ausgestoßen und zur Heimatlosigkeit verurteilt, will er sich um jeden Preis dort einen Platz sichern, wo er glaubt, eine Ersatzheimat, eine Art Vaterland gefunden zu haben: in der deutschen Sprache, in der deutschen Literatur. Mit diesem Ziel vor Augen debütiert er in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit Versen und mit Prosa, die ihn beinahe über Nacht berühmt machen. Und hier, in dem dichterischen Kampf ums Dasein, sind die tiefsten Wurzeln seiner berüchtigten Aggressivität. (...) »Ich weiß nur zu gut, daß mir das Deutsche das ist, was dem Fische das Wasser ist, daß ich aus diesem Lebenselement nicht heraus kann...Ich liebe sogar im Grunde das Deutsche mehr als alles auf der Welt, ich habe meine Lust und Freude dran, und meine Brust ist ein Archiv deutschen Gefühls...« (Heine) (Textnachweis: Die Zitate von Marcel Reich-Ranicki sind seinem Buch „Der Fall Heine“ entnommen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2005) Flüchtlinge Schätzungen zufolge sind weltweit 45 Millionen Menschen auf der Flucht. Dabei gibt es noch verschiedene Kategorien. 80-85% der Flüchtlinge gehören zu den „Binnenvertriebenen“, sie bleiben in ihrer Herkunftsregion und entfernen sich nicht über die Staatsgrenze hinaus. Die restlichen 20-15% suchen Schutz in anderen Ländern, welche jedoch meistens außerhalb Europas liegen. Im Jahr 2012 wurden die meisten Flüchtlinge in Kenia, Iran und Pakistan aufgenommen, statt in den reichen Staaten des Westens, wo 2012 nur 300.000 Asylanträge gestellt wurden. Die Gründe, die Menschen zu einer Flucht bewegen, können dabei die unterschiedlichsten Motive haben: Menschenrechtsverletzung, Diskriminierung, Verfolgung, (Bürger-)Krieg, Folter, Vergewaltigung, eine drohende Todesstrafe und die Bedrohung der Existenz sind nur einige davon. Um in die EU einzureisen, benötigt man ein Einreisevisum, doch genau dies bleibt einem Flüchtling verwehrt. Mit falschen Papieren oder über heimliche Wege über die Grenze schaffen sie sich in ihrer Not zutritt, was die EU zu verhindern versucht. Unter Einsatz von Grenzsoldaten, Radartürmen. Nachtsichtgeräten, Schnellbooten, Hubschraubern und Wärmebildkameras an den Außengrenzen der EU sollen illegale Grenzgänger verhindert werden. Resultat ist eine hohe Sterberate vor den Toren Europas durch gescheiterte Fluchtversuche. Sie ertrinken oder erfrieren bei dem Versuch das Mittelmeer oder Grenzflüsse zu durchschwimmen, ersticken in ihren Verstecken in LKW-Containern oder kommen in griechisch-türkischen Minenfeldern um. Ebenso fließt aus der EU Geld in Flüchtlingslager in vielen Kriegs- und Krisengebieten, um sie bereits in ihren Herkunftsländern von ihrer Weiterflucht zu hindern oder sie führen in den betroffenen Ländern Schulungen für Polizei und Militär durch zum Thema „Grenzschutz“. Wenn es trotz aller Widrigkeiten Flüchtlingen gelingt, die Grenzen der EU zu überschreiten, steht ihnen ein einziges Asylverfahren zu, wobei dies in dem Land stattfinden muss, welches sie als erstes betreten haben. 2012 stellten 64.539 Menschen einen Asylantrag in Deutschland, die meisten davon aus Syrien, Afghanistan, dem Iran, Serbien und der Türkei. Ca. 2.000 von ihnen sind dabei 20 Minderjährig und kommen ohne Eltern nach Deutschland. Nach der Ankunft werden sie in eine Erstaufnahmeeinrichtung geschickt und dort zu ihren Fluchtgründen befragt. Nach der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung werden sie nach 3 Monaten einem bestimmten Landkreis oder einer Stadt zugewiesen und je nach Ort unterschiedlich untergebracht, mal nur ein Bett im Lager oder eine eigene Wohnung. Unter-16-Jährige werden in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht und erhalten einen Vormund, Schwierig verhält es sich dabei bei den 16- und 17-Jährigen, welche ausländerrechtlich als „handlungsfähig“ eingestuft werden und so wie Erwachsene ohne Vormund in Sammellager untergebracht werden und allein ihr Asylverfahren durchstehen müssen. Zuständig für die Asylanten ist in Deutschland das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), welches entscheidet, ob überhaupt auf einen Asylantrag eine Anhörung durchgeführt wird. Ist dies der Fall, muss der Betroffene alle Gründe für seinen Asylantrag mündlich vortragen. Ein Drittel aller Asylanträge werden aber gar nicht inhaltlich geprüft, sondern von Anfang an abgelehnt. Auch beim Thema Arbeit gibt es einige Einschränkungen, denn ohne Arbeitserlaubnis dürfen sie erstmal keine Ausbildung machen oder arbeiten. Für Geduldete und Asylsuchende gilt in den ersten neun Monaten ein Arbeitsverbot, aber auch danach gestaltet sich die Suche schwierig, da es „bevorrechtigte Arbeitnehmer“ gibt, nämlich Deutsche, EU-Ausländer und anerkannte Flüchtlinge. Sozialleistungen, die über dem in Deutschland geltenden menschenwürdigen Existenzminimum liegen, erhalten anerkannte Flüchtlinge erst seit 2012. Dennoch wird ein Großteil dieser Leistungen als Sachleistungen ausgezahlt, in Form von Einkaufsgutcheinen oder sogar fertige Lebensmittel- und Hygienekartons. 21