2/2010 salus Friedberg
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2/2010 salus Friedberg
salus klinik Friedberg EDITORIAL Vom Abschied und Neubeginn…. Nicht nur PatientInnen werden neu aufgenommen und zu einem späteren Zeitpunkt (hoffentlich: regulär und erfolgreich) aus der Klinik wieder entlassen, auch MitarbeiterInnen stellen sich neuen Herausforderungen ihres Lebens beziehungsweise beginnen ihre Tätigkeit in der Klinik: Zum 01.04.2010 verließ uns unsere langjährige Internistin Frau Dr. Frederike Rose, um sich in der Nähe Giessens in eigener Praxis niederzulassen. Wir wünschen ihr hierzu ein gutes Gelingen und viel Glück. Im April 2010 verließ uns auch unsere Krankenschwester im Nachtdienst Frau Daniela Hoffmann. Begrüßen und „Herzlich Willkommen“ heißen wir zum 01.04.2010 als neue Mitarbeiterin: Herrn Dipl.- Psych. Wasem Betar, Jahrgang 1984, der als Postgraduierter Psychologe bei uns tätig sein wird. Wir freuen uns insbesondere darüber, mit Herrn Betar einen palästinensischen Mitarbeiter gefunden zu haben, der in seiner eigenen Biographie gewisse Migrationsthemen kennt. Zum 01.05.2010 haben wir mit Frau Dr. Ulrike Kisbye-Hansen, Jahrgang 1960 eine Nachfolgerin für Frau Dr. Rose gefunden. Frau Kisbye-Hansen ist FÄ für Allgemeinmedizin, arbeitete zuvor beim Gesundheitsamt Friedberg und wird uns hoffentlich viele Jahre treu sein. Zum 01.06.2010 haben wir außerdem mit Frau Ursula Schenk-Nickel, Jahrgang 1958 eine neue Krankenschwester gefunden, die unser Pflegeteam verstärkt. Den „Neuen“ wünschen wir viel Erfolg und eine gute Zusammenarbeit nach innen wie außen. Bedanken möchten wir uns an dieser Stelle auch bei den vielen Psychologie-PraktikantInnen, die unsere Alltagsaufgaben kontinuierlich aktiv und engagiert unterstützen! Dipl.- Psych. Michael Stehr salü In dieser Salü – Ausgabe greifen wir das Thema auf, inwieweit unterschiedliche kulturelle, religiöse und anthropologische Herkünfte entscheidend zu berücksichtigen sind in der psychotherapeutischen Behandlung und dem diagnostischen wie therapeutischen Verständnis von Störungsbildern, Therapiezielen und –strategien, inwieweit sind entscheidende Korrekturen bzw. Ergänzungen vonnöten. Dass die Geschichte und die Traditionen des Herkunftslandes, die Sitten und Riten der anderen Kultur, die Rollendefinitionen in den Herkunftsfamilien und die spirituell-religiösen Orientierungen entscheidend zum Verständnis der individuellen Persönlichkeit beitragen, dass sie bisweilen in deutlichem Unterschied zu mitteleuropäischen Konventionen stehen ist unübersehbar. Die Bedeutung der Familie ist bereits bei südeuropäischen Menschen eine andere, Begriffe wie Stolz und Ehre spielen in islamischen Kulturen eine sehr wichtige Rolle, die Vorstellung, sein „Gesicht zu verlieren“ ist im asiatischen Raum die größtmögliche Kränkung und so weiter… Vor vielen Jahren lehrte mich einmal ein kurdischer Patient folgendes: er war in der Bezugsgruppe einer Diplompsychologin – eh schon ein schwieriges Konstrukt: männlicher Moslem mit weiblicher Therapeutin – und angesichts irgendeines therapeutischen Themas konnte er seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Die Therapeutin wertete dieses Ereignis als wichtigen Therapiefortschritt ( „der Patient in emotional berührt und jetzt gewinnt die Therapie eine neue Tiefe“), der Patient dagegen weigerte sich konsequent, mit dieser Therapeutin weiter zusammen zu arbeiten…Was war geschehen?...Natürlich… er hatte sein Gesicht verloren…noch dazu vor einer Frau…die ihm noch dazu wichtig war…dieses Privileg ist allein der eigenen Mutter vorbehalten! Ende! Jahrgang 4, Dezember 2011 MULTIKULTI IN DER KLINIK Dipl. Psych. Michael Stehr Nach unserer Erfahrungen in der Klinik gibt es drei grob voneinander unterscheidbare Subgruppen. 1. die PatientInnen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken 2. die Patienten aus dem islamischen Kulturkreis ( Türken, Kurden, Iraner, Araber) 3. die Patienten aus dem südostasiatischen Raum …und dann gibt es noch die PatientInnen, mit Elternteilen aus verschiedenen Regionen dieser Welt. Ad 1: Trotz aller Differenzierungen innerhalb der Gruppe – was hat eine Frau aus der Ukraine mit einem Mann aus Kirgisien gemein – gibt es doch eine überzufällige Typisierung dieser meist „russlanddeutschen“ PatientInnen: • sie wuchsen in ihren Heimatländern auf – oft ohne religiöse Bezüge, ohne die in unserer christlichen Kultur gängigen ethisch-moralischen Dimensionen -, • sie wurden im späten Kindes- bis mittleren Jugendalters – meist ohne eigene Entscheidungsmöglichkeit – nach Deutschland „verbracht“, • sie fühlten sich fremd und ausgegrenzt – sprachen kein Wort Deutsch -, • sie schlossen sich Menschen ihres Kulturkreises und ihrer Sprache an, bildeten eine Subkultur und wurden als solche kollektiv ausgegrenzt oder grenzten sich selbst aus, • sie konnten sich nicht integrieren in Schule, Ausbildung oder Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt, • sie entwickelten eine eigene „Identität in Abgrenzung“ und „machten ihre eigenen Geschäfte“, • sie wurden im deutschen Bezugsrahmen kriminell und • irgendwann kamen „die Drogen“ ins Spiel… • sie konzentrieren sich auf „äußere, materielle Aspekte“ ( Wohnung, Arbeit, Geld), • sie stehen oft verständnislos vor den therapeutischen Fragen nach „innerer, emotionaler Befindlichkeit, Träumen und Visionen“. • die bevorzugte Hauptdroge ist nicht überraschend Heroin – also „Gefühle wegmachen“ – maximale Sedierung… Ad 2: Auch hier gibt es nicht „die“ Subgruppe – welche biographischen Erfahrungen teilt ein allevitischer Kurde mit einem Türken, welche Entwick- salü salus klinik Friedberg 2 MULTIKULTI IN DER KLINIK lungsbedingungen teilt ein Iraner aus einer gebildeten Familie dieser „Hochkultur“ mit einem Bauernsohn aus der tunesischen Sahara – und dennoch gibt es auch hier eine Typisierung, die sich in ihrer Gemeinsamkeit aus der islamischen Tradition ergibt: • die hohe Bindung an Vater, Mutter, Geschwistern und überhaupt dem Konstrukt einer – uns fremd gewordenen – Großfamilie, • die herausragende Bedeutung von Stolz und Ehre – und die komplementäre Qualität eines immensen Schamgefühls • die Bedeutung, die dem Zeigen von Emotionalität zugemessen wird, • die hohe emotionale Beteiligung in allen Lebensbezügen, • die Erwartungen an eine Partnerschaft, die Definition der Geschlechterrollen… • meist sind diese Patienten in zweiter oder dritter Generation in Deutschland geboren, • sie sprechen zumeist die Sprache gut und verfügen über ganz besondere Netzwerke • bevorzugte Hauptdrogen sind oft Cannabis, Amphetamine und Kokain – letztere auch wenig überraschend: „sich stark fühlend“ im Angesicht der Zerrissenheit… Ad 3: Bei dieser Gruppe handelt sich nach unseren Erfahrungen um einzelne Patienten ( Indien, Pakistan, Indonesien), die sehr unterschiedliche Traditionen und Riten „mitbringen“, bei denen es aber umso wichtiger ist, sich mit den Themen intensiv zu befassen und die Hintergründe zu verstehen und einzuordnen. Gemeinsam ist den (süd) • Wo gehöre ich eigentlich hin? Der „türkische Deutsche“ und der „deutsche Türke“ – er sitzt zwischen zwei Stühlen…und dieses Dilemma durchzieht die gesamte Biographie… und jetzt auch hier in der Therapie! ostasiatischen Kulturen die Vorstellung, „sein eigenes Gesicht nicht zu verlieren“ aber auch dem Gegenüber dieses nicht zuzumuten. Das Ergebnis ist in diesem Kontext beispielsweise die Unmöglichkeit „Nein zu sagen“ – ein Aspekt, der vielen anderen PatientInnen ein wichtiges Therapieziel ist. Allen Unterschieden zum Trotz gibt es dennoch ein allen Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen dieser Welt gemeinsames „Migrationsdilemma“: • Was macht meine Identität aus? Und eine weitere Gemeinsamkeit ist bei den Migranten dieser Subgruppen gehäuft zu beobachten: massive Traumatisierungen in der Biographie mit einer „anderen“ Qualität als die Gewalt- und Mißbrauchstraumata, die PatientInnen aus unseren Regionen auch gehäuft aufweisen. Es handelt sich vermehrt um brutalste Todes-, Kriegs-, Folter- und Entführungserlebnisse in einer objektiven Realität der Bedrohung ( teilweise Zeit und Raum überdauernd). Wir sind in der salus klinik nicht so klug, als dass wir für alle diese Aspekte Lösungen parat hätten, aber wir sind für diese Themen sensibilisiert und versuchen mit großem Respekt die religiösen und kulturspezifischen Tönungen zu verstehen und in die Beziehung zu unseren PatientInnen mit einfließen zu lassen. Wir glauben zu verstehen, wie doppelt wichtig – interaktionell wie innerpsychisch – ein „sicherer Ort hier und heute“ in Anbetracht des „wackligen biographischen Bodens“ wäre. Zwei Ansätze sind uns sehr wichtig dabei: 1. Wir begegnen unserem multikulturellen Klientel mit einem multikulturellen Behandlungsteam; d.h. wir beschäftigen TherapeutInnen aus Polen, Kolumbien, Türkei, Iran, Spanien und Palästina/Israel. Diese MitarbeiterInnen kennen die Migrationsthematik aus ihrer eigenen Biographie, sprechen die jeweiligen Landessprachen und garantieren auf therapeutischer Seite einen offenen Umgang in dem Thema. 2. Wir haben in das Behandlungsangebot im Rahmen unserer Indikativen Gruppen eine Gruppe „Migration“ aufgenommen, innerhalb derer die betreffenden PatientInnen sich diesem Aspekt ihres Lebens gezielt, vorurteilsfrei, alltagsbezogen und ressourcenorientiert annähern. Für das Wichtigste halten wir eine humanistische Haltung unsererseits, die in Respekt und Neugier „Ja“ sagt zu dem „Andersartigen“…, die sich ihrerseits „vertraut machen“ will…, die „Fremdheiten“ als Bereicherung versteht…und die in alledem einer uralten Sufi-Weisheit folgt „…Bete zu Allah, aber vergiß´nicht, Dein Kamel anzubinden“ – die Integration „Hier & Jetzt“ fördert und fordert!. "DER DOM" EIN BESONDERES PROJEKT Aus Patientensicht: "Wir möchten eine Besinnungsstätte errichten, in der man zur Ruhe kommen kann. Hier soll man sich Gedanken über sein bisheriges (Drogen-)Leben machen und den Sinn der Veränderung und der Therapie erkennen. Als Anstoß dienen die Namen verstorbener PatientInnen, denen hiermit ein bleibender Platz in der Gemeinschaft Drogenabhängiger geschaffen wird. Man sieht, wie schnell doch so ein Leben vorbei sein kann und wie wenig man doch davon mitnimmt. PatientInnen unserer Einrichtung kamen gemeinsam mit den TherapeutInnen auf diese Idee, als im letzten Jahr mehrere Bekannte und Ex-Patienten an einer Überdosis oder Suizid in kurzer Folge verstarben. Ihrer Ansicht nach darf so etwas nicht vergessen werden und man soll sich ihrer auf diesem Wege erinnern. Das „Mahnmal“ soll von Patienten in eigener Regie und mit vereinten Kräften errichtet werden, auch um zu zeigen das man etwas Positives und Nutzvolles schaffen kann, wenn man nur will. Der Bau soll eine runde Form erhalten, in dessen Mitte sich der „Todesbaum“ erhebt, an dem Namensschilder der Verstorbenen angebracht werden. Dieser stützt das Dach das in Trapezform gefertigt wird und aus (Plexi) Glas besteht. Das Ganze wird mit indirekter Beleuchtung versehen, was ihm einen besinnlichen Ausdruck verleihen wird." Und aus MitarbeiterInnensicht: – Dipl.- Psych. Eliana Velez – "Alle unsere PatientInnen berichten bei der Erhebung der Suchtanamnese, dass sie Drogen zuerst aus Neugier probiert haben und dass sie am Anfang Spaß daran hatten, Drogen zu konsumieren. Später machte es ihnen keinen Spaß mehr, aber es war zu spät, sie waren schon Sklaven ihrer Sucht. Das die Sucht ein Selbstmord auf Raten ist, nehmen die meisten von ihnen „abgespalten“ in Kauf. Nach dem Motto „ich weiß, es bringt mich vielleicht um, aber nur vielleicht“. Der Vergleich mit dem Spiel „Russisches Roulette“ ist kein Zufall. Drogen sind oft für unsere PatientInnen jahrelang das Allheilmittel gewesen und umso erstaunlicher ist es, dass manche freiwillig aufhören wollen. Ende letzten Jahres haben wir nach mehr als 8 Todesfällen von ehemaligen Patienten innerhalb eines Jahres ein Projekt ins Leben gerufen, das wir bisher „Denkmalgruppe“ genannt haben. Wir wollten ein Objekt konstruieren, was einerseits ein Ort ist, wo wir an die Verstorbenen erinnern können, andererseits sollte dieses Objekt eine Art Mahnmahl darstellen; aber nicht an eine bestimmte Religion gebunden sein, sondern eher multikulturell verstanden werden. Das Objekt soll etwas abgelegen auf unserem Gelände stehen, aber gleichzeitig in unserer Klinik integriert sein. Im November 2009 haben wir unseren Patienten die Idee vorgestellt und einige haben sich sofort bereiterklärt mitzumachen. Dies sollte freiwillig sein, denn für manche von Ihnen ist es besonders schmerzhaft, die Verbindung zwischen der Sucht und dem Tod zu realisieren. Anfang Dezember 2009 haben wir angefangen zu bauen, aber durch den langen Winter hat sich unser Projekt verzögert. Wir werden so bald es möglich ist weiter daran arbeiten und hoffen, dass die Gedenkstätte bis zu unserem diesjährigen Sommerfest fertig ist." salü salus klinik Friedberg 3 MAKIN' THE BAND Roland G. (Patient in der Adaptionsphase) A nders als es in der „SoapSerie“ des bekannten MusikSenders MTV dargestellt wird, möchte ich hier beschreiben, wie eine „Band“ entstehen kann. Angefangen hat alles mit zwei musikbegeisterten Klienten hier in der Salus-Klinik in Friedberg. Peter D. hatte sich für die Zeit seiner Therapie zwei E-Gitarren mitgebracht. Außerdem hatte er einen 4-Watt-Verstärker dabei, um auf seinem Zimmer vor sich hin klimpern zu können. Das war auf die Dauer natürlich recht unbefriedigend, zumal er seine Fähigkeiten weiterentwickeln wollte. Irgendwann schlug er mir vor, mit ihm gemeinsam zu musizieren. Zuerst wollte ich dankend ablehnen. Vor 25 Jahren hatte ich zuletzt einen „Holzeimer“ in der Hand. Mein Können beschränkte sich auf etwa drei Griffe, die ich mehr schlecht als recht beherrschte. Als ich erzählte, dass ich Noten lesen könne, Akkordeon gelernt habe und durchaus bereit sei meine Musikbegeisterung auch in die Praxis umzusetzen, gingen mir die Ausreden aus. Der erste Schritt war getan. Wir hielten im ganzen Haus Ausschau nach Leuten, die ein Instrument spielen konnten oder zumindest mal in der Hand gehabt hatten. Nach und nach kristallisierte sich ein „Harter Kern“ von fünf Leuten heraus: Peter D. an seiner Gitarre, Roland G. an einer geliehenen Gitarre, Thorsten S. am eigenen Schlagzeug, Frank H. am Bass des Hauses und Erik L.P. Gesang. Eine „Band“, mit wenig Können aber viel Enthusiasmus war gegründet. Jetzt fehlte nur noch ein Übungsraum. Unser Klinikleiter, Herr Stehr, ließ uns dabei jede nur erdenkliche Hilfe zukommen. Es fand sich ein Kellerraum, den wir uns dann auch einrichteten. Wir bekamen die hauseigene Gesangsanlage, Mikrofone und Bass- und E-Gitarre aus dem Privatbestand des Leitenden Arztes Herrn Bange. In eigener Regie legten wir den Raum mit Teppichresten aus. Damit war alles vorhanden, was eine Schülerband braucht. Der Grundstein dieser „therapeutischen Zusatzmaßnahme“ war gelegt. Der Chef des Nachtdienstes, Herr Biesterfeld (begeisterter Schlagzeuger und Könner) und Herr Bange (an Bass und E-Gitarre ein Meister) standen uns mit Rat und Tat zur Seite. Sie halfen uns dabei, musikalische wie auch persönliche Differenzen innerhalb der Band zu lösen. Denn Auseinandersetzungen bei derart unterschiedlichen Biografien, Charakteren und Musikinteressen sind unvermeidbar aber auch hilfreich. Peter D. zum Beispiel war bekennender und praktizierender Choleriker; nicht offen für Anregungen anderer. Für Thorsten S. als Narzissten wiederum war es schwer, sich innerhalb eines Bandgefüges unterzuordnen, in der Peter D. eindeutig die „Alphatierrolle“ innehatte. Erik L.P. als Depressiver, litt in den ersten Wochen nach seiner Entgiftung unter einem permanenten Stimmungstief. er zartfühlende Frank H. war mit dem emotionalen Sodom und Ghomorra der Anfangszeit überfordert. Ich selbst wiederum erduldete all diese Auswüchse in stoischer Ruhe. Daher konnte zu diesem Zeitpunkt von einem kreativen Schaffensprozess noch keine Rede sein. Der musikalische Output, sofern von „musikalisch“ überhaupt die Rede sein kann, war rein kakophonischer Natur. Wie nur sollte sich ein derart wirrer Haufen zu einer „Band“ zusammenfinden? Weihnachten stand vor der Tür. D Was lag näher, als zu dieser Gelegenheit einen Auftritt der „Band“ zu organisieren. Gesagt, nicht unbedingt getan. "Es braucht Mut, sich vor etwa 90 Leute zu stellen und etwas zum Besten zu geben, das zu lernen man erst seit wenigen Wochen begonnen hatte. Etwa drei Wochen vor Weihnachten begannen wir damit, unser „Repertoire“ zusammen zu stellen. Wir kamen auf vier Songs. Eine sehr freie und sehr brachiale Interpretation einer „Cypress Hill“Nummer, eine Funk-Variation aus der Feder Herrn Banges, einer sehr eigenen Version des „Depeche Mode“-Klassikers „Personal Jesus“ und eine holpriges „AC/ DC“-Cover. Zu der „Cypress Hill“-Nummer und der Funk-Variation dichtete Erik L.P. einen eigenen Text, „total wirres Zeug“, wie er es nannte. Thorsten S. krächzte den Originaltext von AC/DC lauthals ins Mikrofon. Dank der tatkräftigen Unterstützung von Herrn Bange war der Weihnachtsauftritt ein voller Erfolg. n der Zwischenzeit war uns jedoch der Übungsraum im wahrsten Sinne des Wortes abgesoffen. Eine Alternative musste gefunden werden. Die erste Räumlichkeit zu finden war schon schwer und ein Umzug aussichtslos, denn alle Räume des Hauses wurden bereits für die unterschiedlichsten Dinge genutzt. Außerdem ist die Lärmbelästigung bei einer Anfängerband nicht zu unterschätzen. Mangelndes Können wird oft mit Lautstärke kompensiert. Schließlich fand sich der ideale Raum für unsere Zwecke. Dieser war leider vollgestopft mit ausrangierten Möbeln. I Da mittlerweile klar war, dass das Projekt „Band“ mehr als nur eine Eintagsfliege sein sollte, unterstützte uns die Klinikleitung weiterhin. Aus einer unbeachteten Rumpelkammer wurde ein optimaler Übungsraum. In der Zwischenzeit stießen weitere Klienten dazu, die die „Band“ weiterleben ließen. Die anfallenden Umbauarbeiten wie Möbelentsorgung, neue Decke, Fußboden und Wände streichen wurden von den Mitklienten aus dem Arbeitstherapiebereich „Schlosserei“ erledigt. Außerdem installierte man einen neuen Heizkörper. Jetzt verfügt die salus klinik in Friedberg über einen Musikraum, der keine Wünsche offen lässt. Über die Anschaffung eines Schlagzeuges wird zurzeit noch verhandelt. Bei aller Liebe zu handgemachter Musik, verfügt das Haus nicht über unbegrenzte finanzielle Mittel. Ich hätte vor sechs Monaten niemals geglaubt, wie weit ich mich selbst musikalisch entwickeln würde. Es ist erstaunlich, welche Dynamik es annehmen kann, wenn zwei, drei Musikbegeisterte sich mit Elan für etwas einsetzen und am Ball bleiben. An diesem Punkt kommt das Konzept dieses Hauses ins Spiel. Die Einrichtung fordert und fördert die Eigenverantwortung und Motivation eines jeden Einzelnen. Herr Biesterfeld wollte schon seit längerem ein Musik-Projekt ins Leben rufen. Erst in dieser Konstellation jedoch kam es auch dazu. Auch die beiden neuen Mitglieder der „Band“, Tamara P. und Thomas R., lieferten ihren Beitrag. Es wurde ein Rahmen geschaffen, an dem man Konflikte lösen lernen kann. Therapie-Frust, der unweigerlich aufkommt, kann an einem Instrument ausgelassen werden. Es bleibt jedem selbst überlassen, wie man diesen Rahmen für sich nutzt. ir wichtig zu erwähnen ist, dass keiner der „Band“Klienten bis jetzt irregulär oder gar disziplinarisch entlassen wurde. Dies scheint mir ein Indiz dafür zu sein, wie wichtig solche und ähnliche Projekte für Klienten in Einrichtungen dieser Art sind. Es liegt nun mal in der Natur einer solchen Einrichtung, dass Klienten kommen und gehen. Zwangläufig kommt ein solches Projekt im Laufe der Zeit zum Erliegen. Um dies zu verhindern, haben Thorsten S. und ich uns bereit erklärt, die „Band“ auch weiterhin zu begleiten und am Leben zu erhalten. Dies ist sicher auch im Sinne zukünftiger Klienten. M salü salus klinik Friedberg 4 SPRACHBARRIEREN ÜBERWINDEN nikation (GfK) von Marshall B. RoFolgendes Beispiel zeigt, wie eine senberg sollte es um die vier Schritte Technik, die für die Arbeit mit Kindern Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und und Jugendlichen beschrieben wurde, Bitte um eine Veränderung gehen. Die auch im interkulturellen Kontext sinnAlkohol, denkann. jeder Bei mit einer herkömmliche Methode ist es, die vier voll eingesetzt werden einem Trunkenheitsfahrt in der MPU Schritte auf einem Flipchart vorzupakistanischen Patienten, der sich haben sollte. Weiter werden stellen, zu besprechen und schriftlich immer wiedergutachterliche von anderenSchlussfolgeMitpatienMit kreativen Techniken rungen nachvollziehbar auften infrage gestellt fühlte, wollte ich Sprachbarrieren in der Therapie über- festzuhalten. Viele Patienten schalgeschlüsselt, so dass wirklich ten allerdings meiner Erfahrung nach das Thema Selbstwert und winden Licht in dasbesprechen Dunkel kommt, was viele Betroffene im Nachdabei schnell ab, weil die Methode die damit verbundenen Gedanken und Dipl. Psych. Gholam-Reza Yeganeh hinein erleben, wenn sie das sehr schriftlastig ist. Ich habe daher Gefühle. Die Sprachbarriere verhinderte Ergebnis ihrer Begutachtung nichtdaher nachvollziehen können. einen spielerischeren Zugang gewählt. lange Gespräche, entschied ich In unserer täglichen Arbeit als TheraIm vierten Kapitel „Das psyIch will meinen Anstatt das Konzept am Flipchart zu mich für ein symbolhafteres Vorgehen, peutInnen finden wir uns immer öfter chologische UntersuchungsFührerschein zurück gespräch – Fragen, präsentieren, habe ich vier Stühle das ich in einem Seminar von Antworten Danie in interkulturellen Settings wieder und und deren Bedeutung“ geht Briehler, Paul, als Stellvertreter für die vier Schritte Beaulieu im Zusammenhang mit den haben es dann gelegentlich auch mit es um das „Herzstück“ der Grunow, Peter; genommen. Jeder Stuhl hatteRororo, seine ei- Selbstwertproblemen JugendliPatientInnen zu tun, die SchwierigkeiMPU, das eines Gespräch mit dem Der(s. Typauch von ihr 2007;chen kennen Psychologen. gene Rolle. Der Patient sollteSeptember dann sein gelernt hatte ten haben, Therapiesitzungen in deutFrage, mit dem Betroffene in 285 Seiten; Buch „Impact-Techniken fürkonfrontiert die Psyscher Sprache zu folgen. Besonders hier Problem beschreiben und sich je nachder MPU häufig wird nachvollziehbar dem, auf welchem Stuhl er sich befand, chotherapie“).werden, Dem Patienten wird ein können sehr kognitiv orientierte und erläutert. Ich habe es selber auf den jeweiligen Aspekt fokussieren. Geldschein inschon die Hand gedrückt und „sprachlastige“ Vorgehensweisen viele oft erlebt, dass Personen Die beiden Autoren dieses Diese spielerische Art führte brandneuen zu Aufhei-und er wird nach dem Wert des Geldscheins dieser Patienten überfordern. Es stellt sich gewundert oder gar geäraktuellen Ratgert haben über vermeintlich gebers sind erfahrene Verkehrgefragt. Danach zerknüllt der Therapeut sich also die Frage, wie man die Thera- terung und dazu, dass sich die Patienspsychologen und sprechen aus unnötige oder „zu persönliche“ ten besser an die Vorgehensweise und Schein, wirft ihn„die aufmit den pie sinnvoll gestalten kann, um diese Fragen, denBoden Delikten der langjährigen den Praxis. nichts zu tun haben“. Hier die Inhalte erinnern konnten. Eine inund tritt mit dem Fuß darauf (Abb. Patienten zu erreichen. Dieser in erster Linie für Laien finden Sie Antworten! als in 2-4). Am Ende wird der Patient aufgeGenerell eignen sich hier in besonderem teressante Situation ergab sich, und Betroffene geschriebene Das Kapitel schließt ab mit fordert, wieder in die Hand Maße spielerische, kreative und körper- der Gruppentherapie ein Patient Helferstänin Buchform liefert den um- Schein einer knackigen und humorfassende und praxisrelevante dig Vorwürfe in den Raum warf anstatt zu nehmen und zu überprüfen, ob der orientierte Techniken sowie die Arbeit Informationen zu den Themen- vollen Zusammenfassung von Wir habenmit denen Scheinman dadurch seinen verloren mit Symbolen, Metaphern und Figuren. seine Bedürfnisse zu äußern.komplexen, die Wert garantiert zu einem im Wegen, negativen Gutachtenergebnis Umfeld des deutschen Systems in unserem Gruppentherapieraum einen hat. Diese Metapher machte meinem Es lohnt sich hierbei auch, einmal ei„Fahreignung“ und damit MPU führen, sowie einer ebenso schwarzen Hocker, den ich neben den der Patienten deutlich, dassdamit andere zwar nen Blick auf Techniken zu werfen, die netten und lesenswerten nach Entzug Fahrerlaubnis Zusammenfassung, sicherer wird: Bedürfnisstuhl gestellt habe konfrontiert (Abb. versuchen können, ihn z.B. durch sich in der Therapie mit Kindern und zu einem positiven Be1). Jedes Mal, wenn der Patient einen Vorwürfe und Wege Beleidigungen zu verletJugendlichen bewährt haben, schließIn dem ersten Kapitel „Recht- gutachtungsergebnis. zen,auch sich dadurch aber sein Wert nicht lich sind diese oft spielerischer Art und Vorwurf statt eines Bedürfnisses liche oder Fragen“ werden Das Kapitel 5 macht die veramtsdeutsche Begriffe wie sich ändert. insgesamt nicht so stark sprachbezogen einer Bitte äußerte, musste er relative oder absolute Fahrun- kehrsmedizinische Untersuauf diesen Hocker setzen undtüchtigkeit es noch „übersetzt“ Diese Technik wende ich den auch erfolgwie in der Therapie mit Erwachsenen. chung durch Arzt transund parent. Auch kommen der damitein fürBeden interessierten einmal versuchen. Falls er dann reich in der Gruppentherapie an, hier wenn Umgang und die Bedeutung Leser verständlich gemacht. dürfnis oder eine Bitte äußerte, durfte es um Beleidigung und SelbstwertgeDie Arbeit in interkulturellen Settings einer erfolgreich abgeschlosseEingangs geht um schwernen Entwöhnungsbehandlung er den schwarzen Hocker (Symbol für fühl geht. So lassen sich in der Gruppe fordert also den Therapeuten heraus, punktmäßig Alkohol im Strabei Abhängigen offen zur ßenverkehr, danninteressante die wichtige Gespräche Vorwurf) verlassen. Interessanterweise und Schlussfolkreativ zu werden und individuelle Sprache. Unterscheidung zwischen haben wir bis zum Ende seiner Therapie gerungen anregen. Lösungen für seinen Behandlungsalltag Verkehrsordnungswidrigkeiten Das sechste Kapitel schildert und Verkehrsstraftaten, die in der Gruppe immer wieder über den zu suchen. Dies will ich an einigen die psychophysiologischen TesSache mit der gerichtlichen schwarzen Hocker geredet und für fast Beispielen aus meiner therapeutischen 3, 4 tungen, die auf einen ProbanSperrfirst und dieABB. Höhe2,des Punktestandes jeden war diese Assoziation wieder ak- und dergleichen den zukommen, im Volksmund Arbeit verdeutlichen. „Reaktionstests“ genannt. mehr. Auch tiv. Manchmal konnte der Patient selbstganz konkrete Fragen werden in dem Ratge- Das siebte Kapitel widmet sich erkennen, wenn er sich im „SchwarzenIn einem gruppentherapeutischen ber präzise beantwortet, bspw. ganz dem Bereich der illegawelche Möglichkeiten gibt es, len Drogen. Hier findet auch Setting zum Thema Gewaltfreie Kommu- Hocker-Modus“ befand. den Führerschein für rein be- der regulär entlassene EntEine ähnliche Vorgehensweise habenFahrten zu behalten. wöhnungspatient zahlreiche rufliche Antwortenist aufdie dieArbeit sich ihm wir auch bei der Verhaltensanalyse in Ein weiteres Beispiel Nach diesem einleitenden Teil stellenden Fragen. So muss Bezug auf Situation, Gedanken, Gemit sehr Figuren In einer sichSpielzeugen. die geforderte einjährige nehmen die Autoren kon- und nach einer erfolgfühle und kurzfristige und langfristige Einzelsitzung mit einem Patienten aus kret Bezug auf die MPU, schil- Abstinenz reich abgeschlossenen DrogenAblauf und Redaktion: Konsequenzen angewendet. dern den typischen der Türkei (Diagnose Sucht und Nardie Elemente: Auch nach mei- therapie (also nicht während salus klinik Friedberg Persönlichkeitsstörung) kam der Therapie!) nicht nur auf ner persönlichenzisstische Erfahrung als Warthfeldsiedlung 3 alle illegalen Drogen sondern Verkehrspsychologin sind die kein Gespräch in Gang, der Patient war 61169 Friedberg Kapitel zwei „Die Medizinsch- auch auf Alkohol beziehen! sehr verschlossen und wortkarg. In den psychologische Untersuchung Tel. 06031 7121 - 0 IMPRESSUM Fax 06031 7121 - 10 Mitarbeiter dieser Ausgabe: Roland G., Michael Stehr, Eliana Velez, Gholam-Reza Yeganeh Druck & Versand: Media Print Taunusdruck GmbH, 60437 Frankfurt, www.mediaprint-f.de Gestaltungskonzept & Layout: Helm Renz, 50825 Köln, www.helmrenz.de Abb. 1 (MPU) – Ablauf und Elemente“ und drei „Vor der Untersuchung – was wissen Arzt und Psychologe“ für den Betroffen von unschätzbarem Wert: Der Leser kann sich anhand des Textes gut in die Situation hineinversetzen und besser erkennen, „um was es eigentlich geht“. Was ist dran an den Gerüchten, „dass man eh immer erst mal durchfällt“?! Auch wird für den Leser nachvollziehbarer, wie es den Gutachtern möglich ist, mit wenigen Informationen ein solides Bild einer Person zu bekommen. Ferner vermittelt das dritte Kapitel einen guten Wissensüberblick zum Thema In der MPU werden mit Sicherheit viele Fragen zur Therapie gestellt werden, nämlich die „Aufarbeitung“ der Sucht betreffend. Die Konsummotive vorherigen Sitzungen war zur Sprache gekommen, dass er impulsiv und kritikunfähig sei. Daran wollte ich anknüpfen. Eine kognitive Vorgehensweise hätte ihn an diesem Tag nicht erreicht. Ich habe ihn aufgefordert, spontan aus einer Menge von Spielzeugfiguren zwei Figuren auszuwählen, die am besten zu ihm passen (Abb. 5 und 6.). In dieser Sitzung haben wir uns dann nur über diese beiden Figuren unterhalten. Die erste Figur zeigt einen Krieger in einer Rüstung, der in der einen Hand ein Schild und in der anderen eine Schlagwaffe hat (Abb. 5). Abb. 5 Wir sprachen darüber, warum dieser Mann diese Ausrüstung trägt und wofür sie gut bzw. schlecht ist. Im Gespräch haben wir herausgearbeitet, dass die Figur einen Teil des Patienten symbolisiert. Die zweite Figur war ein Hund (Abb. 6). Abb. 6 Diese Figur interpretierten wir als einen anderen Teil seiner Person, die in Interaktionen stark spürbar ist und ein Symbol für Bindung, Dankbarkeit, Gutmütigkeit, Wachsamkeit etc. sein kann. Die Figuren halfen dem Patienten, sich beider Seiten seiner Person bewusst zu werden (impulsiv-aggressive Seite vs. freundliche, gutmütige und bedürftige Seite). Wir arbeiteten heraus, wie er in Interaktionen verstärkt den „Hund“ aktivieren und den „Krieger“ in den Hintergrund rücken lassen kann. Einige Redaktion: salus klinikspäter Friedberg Sitzungen sprachen wir wieder Warthfeldsiedlung 3 über den „Hund“ und den „Krieger“ und 61169 Friedberg wie er dem Krieger helfen kann, seine Tel. 06031 / 7121 - 0 Ausrüstung ein bisschen abzulegen und Fax 06031 / 7121 - 10 was der „Krieger“ bräuchte, um dies in die Tat umzusetzen. dieser Mitarbeiter Durch die Arbeit mit den Figuren Ausgabe: konnten in einfacher Sprache und Sven Uwealso Bange, Katharina Cless, durch Symbole Probleme aktualisiert, Johanna Kahl, Carola Pijanowski, Michael Stehr, Jörgaktiviert Stenzel, und Lösunviele Ressourcen Eliana Velez gen angeboten werden. IMPRESSUM Druck & Versand: Die Beispiele zeigen, wie besonders Media Print Taunusdruck GmbH, im60437 interkulturellen Kontext kreative Frankfurt, www.mediaprint.de Methoden den Zugang zu Patienten erleichtern können. Ich habe gute Gestaltungskonzept Erfahrungen mit solchen Techniken ge& Layout: macht, gerade bei Patienten, bei denen Helm Renz, 50825 Köln, die sprachliche Barriere die Therapie www.helmrenz.de erschwert.