Vorsicht Falle: Ausschreibungen bei KNX-Projekten

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Vorsicht Falle: Ausschreibungen bei KNX-Projekten
GEBÄUDE + KOMMUNIKATION
Vorsicht Falle: Ausschreibungen
bei KNX-Projekten
OFT LÜCKENHAFT Was kostet ein intelligentes Haus? Eine aus Kundensicht mehr als berechtigte
Frage. Doch einfache Antworten darauf gibt es nicht. Wer hier als Elektrohandwerker bzw.
Systemintegrator nicht aufpasst, hat sich schnell verkalkuliert – mit fatalen Folgen.
AUF EINEN BLICK
INDIVIDUELLES LV Bei Gebäudeautomationslösungen sollte für jedes
Projekt ein eigenes, individuelles Leistungsverzeichnis erstellt werden
R
echt haben und recht bekommen sind
zwei Paar Stiefel. Das musste auch ein
Systemintegrator aus der Gegend von Düsseldorf erfahren, der sich mit einem Bauherren vor Gericht wieder traf – obwohl er einwandfreie Arbeit ablieferte. Angefangen hatte
alles wie so oft sehr harmonisch. Der Bauherr
war bereit, in moderne Gebäudesystemtechnik zu investieren. Der Systemintegrator gab
ein Angebot über rund 40 000 € ab, was der
Bauherr auch akzeptierte.
Im Laufe des Baufortschritts hatte der
Bauherr dann noch eine Reihe von Sonderwünschen und bat um Realisierung dieser
zusätzlichen Funktionen, die der Systemintegrator auch programmierte. Dieser erhebliche Zusatzaufwand mündete am Ende
in eine Rechnung über 80 000 €. Der Bauherr war zwar mit der Leistung des Systemintegrators zufrieden, weigerte sich aber, mehr
als die vereinbarten 40 000 € zu bezahlen,
und so ging die Angelegenheit vor Gericht.
Der damals selbstständige Systemintegrator
verlor den Prozess, was ihm finanziell
das Genick brach. Heute arbeitet er als Angestellter.
»Dieser Fall zeigt geradezu typisch, wieso
es bei Aufträgen mit einem nennenswerten
Anteil an Gebäudesystemtechnik immer
wieder zu Unstimmigkeiten zwischen Bauherr und Ausführendem kommt«, erläutert
Rechtsanwalt Rainer Hinkes (Bild 1): »Der
Umfang der zu leistenden Programmierarbeiten ist nur äußerst mangelhaft dokumentiert. Und der Systemintegrator hätte seine
Ansprüche vor Gericht nur dann durchsetzen können, wenn sie nachvollziehbar dokumentiert gewesen wären.«
Die im Beitrag erwähnte Angebotstext-Liste
steht im Excel-Format zum Download bereit
unter: www.gira.de → Gebäudetechnik →
Systeme → KNX System → Homeserver →
(nach unten Scrollen zu »Homeserver/Facilityserver – Funktionaler Ausschreibungstext«),
oder Direktlink: http://download.gira.de/
data2/hs-angebotstext_funktional_v1.1.xls.zip
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Quelle: Gira
DOWNLOADS
Quelle: Stöcklhuber
VORSICHT BEI PAUSCHALEN FORMULIERUNGEN Pauschale Formulierungen zur Gebäudeautomation im LV können zu erheblichen Risiken für den Systemintegrator/Elektrohandwerker führen
Bild 1: Rechtsanwalt Rainer Hinkes: »Durchsetzen können Sie vor Gericht nur, was Sie
auch nachweisen können«
Vorsicht Leistungsverzeichnis
Erhebliche Lücken bei der Funktionsbeschreibung tun sich oft schon im Leistungsverzeichnis auf. Dort sind zwar in der Regel
die Hardwarekomponenten vergleichsweise
ausführlich beschrieben, wie das seit vielen
Jahren üblich ist.
Doch zum Beispiel bei KNX-Projekten
kommt neben der Hardware noch ein erheblicher Teil an Software bzw. Programmierung
bzw. Parametrierung hinzu (Bild 2). Darüber
findet sich im Leistungsverzeichnis oft nur
wenig bis gar nichts, weiß Marcel Aulenbach
(Bild 3), der in seiner Funktion als Sachverständiger schon viele derartige Fälle für das
Gericht begutachtet hat.
So trifft er in seiner täglichen Praxis immer
wieder auf Leistungsverzeichnisse mit Formulierungen wie
❮ Bild 2: Die Visualisierung ist ein wesentlicher Bestandteil und sollte separat im LV
aufgeführt sein
de 13-14.2014
• »Programmierung unter Ausnutzung aller
Möglichkeiten des Reglers«
• »Programmierung der Gebäudesystemtechnik nach dem neuesten und modernsten Stand der Technik«
• »Programmierung pauschal«
– und warnt eindrücklich davor. »Wenn Sie
hierauf als Elektrohandwerker oder Systemintegrator bieten, laufen Sie Gefahr, sich dem
Bauherren bedingungslos auszuliefern.«
Nach aktuellem Stand der Technik bedeutet
nämlich, dass alle marktüblichen Funktionen
zu realisieren sind, welche die Hardware
theoretisch bietet – und das kann zu einem
Fass ohne Boden werden.
In einem von Marcel Aulenbach zu begutachtenden Fall hat ein Elektrohandwerker
auf solch eine Formulierung im LV ein Angebot in Höhe von 825 € abgegeben. »Das
kann man bestenfalls als naiv bezeichnen«,
so der Sachverständige. Denn die zu erbringende Leistung lag hier etwa beim Fünfzigfachen.
Der Teufel steckt hier auch im Detail: So
bedeutet zum Beispiel im Leistungsverzeichnis die Formulierung
• »nach anerkannten Regeln der Technik«
etwas ganz anderes als
• »nach aktuellem Stand der Technik«:
Ersteres entspricht der Installation nach den
derzeit gültigen VDE-Bestimmungen, sollte
also eigentlich Standard sein. Die zweite Formulierung jedoch sagt aus, dass der Elektrohandwerker die neuesten am Markt angekündigten Produkte verbauen muss, was
unkalkulierbare Risiken birgt.
www.elektro.net
Quelle: Stöcklhuber
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Bild 3: Marcel Aulenbach, Sachverständiger,
warnt vor pauschalen Formulierungen zur
Gebäudeautomation im Leistungsverzeichnis
Auf Ursachenforschung
Ein Grund für die beschriebenen Unwägbarkeiten liegt in dem zunehmenden Einzug
von Software-basierten Funktionen in die
Gebäude(system)technik. Während sich reine Hardwarekomponenten und deren Funktionalität noch recht einfach beschreiben
lassen – vielfach begnügt man sich hier bei
der Erstellung des Leistungsverzeichnisses
mit einem simplen Copy & Paste aus den
Vorlagen des Herstellers – reicht das bei
Software-Funktionen nicht mehr aus.
Vielfach wird jedoch nach wie vor einfach
nur der Geräte-Ausschreibungstext des Herstellers eingesetzt. Doch der sagt beispiels-
weise bei einem Homeserver von Gira
(Bild 4) nichts darüber aus, für welche Anwendungen das Gerät in dem konkreten
Projekt dienen soll. Auch die Bedienungsanleitung des Geräts kann zwar dessen Möglichkeiten aufzeigen, aber nicht beschreiben, was letztlich in welchem Umfang umgesetzt wird. Der Preis für die Programmierung kann schnell ein Vielfaches des
Hardwarepreises betragen.
Hier sind intensive Gespräche mit dem
Bauherren erforderlich, um dessen Vorstellungen und Wünsche in ein Mengengerüst
und eine funktionale Beschreibung im Leistungsverzeichnis zu fassen. Doch das passiert nach Ansicht von Rainer Hinkes heute
nur sehr sporadisch. »Der Aufwand dafür ist
relativ hoch, und nicht jeder Planer kann
oder will den treiben.« Denn Planer werden
heute oft nicht mehr nach HOAI und damit
prozentual an der Bausumme beteiligt, sondern erhalten eine pauschale Vergütung.
Dabei ist die Erstellung des Leistungsverzeichnisses normativ geregelt: Die Richtlinie
VDI/VDE 3694 »Lastenheft / Pflichtenheft für
den Einsatz von Automatisierungssystemen«
regelt die Vorgehensweise. Das Lastenheft –
erstellt vom Bauherren oder in dessen Auftrag – beschreibt dessen Wünsche und bildet
letztlich die Grundlage für die Programmierung. »Doch leider wird diese Richtlinie in
der Praxis viel zu selten angewandt«, so Rainer Hinkes. Bestenfalls werden Gebäudeautomationslösungen heute im Leistungsverzeichnis anhand der Anzahl der Datenpunkte beschrieben.
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Quelle: Gira
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Quelle: Gira
Bild 4: Bei komplexen Gebäudeautomationslösungen
übersteigen die Programmierkosten die Hardwarekosten
oft um ein Mehrfaches
❯ Bild 5: Ein Auszug aus der Angebotstext-Liste
zum Homeserver von Gira
Um hier für mehr (Rechts-)Sicherheit für alle
Beteiligten zu sorgen, hat Gira nun eine umfangreiche Tabelle entwickelt, die viele wesentliche Elemente einer Programmierung der
Gebäudesystemtechnik enthält (basierend auf
dem Homeserver oder dem Facilityserver).
Die Angebotstexte kann man zeilenweise zusammen mit dem Bauherren durchgehen
und die von ihm gewünschten Optionen markieren. Anschließend kann der Systemintegrator für jede Position die zu erwartenden Kosten eintragen – das muss er selbst tun, hier
gibt Gira natürlich nichts vor (anders als z.B.
in der Kalkulationshilfe der KFE).
Die Liste (Bild 5) ist ca. seit Anfang 2014
online und wird sowohl von Planern als auch
Elektrohandwerkern/Systemintegratoren rege
genutzt, freut sich Michael Weber, technisches Vertriebsmarketing bei Gira (Bild 6).
»Bisher sind wir in Deutschland der einzige
Hersteller, der seinen Partnern eine derartige
Hilfestellung anbietet.«
Eine gewisse Erfahrung setzt die Benutzung der Angebotstext-Liste voraus. Dennoch kann der Vordruck das Beratungsgespräch mit dem Kunden zwar begleiten,
aber weder ersetzen noch als alleinige
Grundlage dafür dienen. Denn die sehr technisch gehaltenen Formulierungen der Liste
(z. B. »Erstellen eines dynamischen Textes,
der in Abhängigkeit des Werts eines Kommunikationsobjekts vordefinierte Textanzeigen darstellt«) dürften dem Bauherren eher
nichts sagen.
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Daher geht es nach wie vor darum, zunächst im Beratungsgespräch – z. B. unter
Zuhilfenahme einer Checkliste (siehe »de«
4.2014, S. 57) – die Kundenbedürfnisse abzufragen (im Sinne eines Lastenhefts). Anschließend lässt sich daraus jedoch mit der
Angebotstext-Liste ein belastbares Angebot
ableiten (Pflichtenheft), das viele Streitigkeiten im Nachgang vermeiden bzw. im Fall der
Fälle für klare Verhältnisse sorgen dürfte.
Aufgrund der vielfältigen und komplexen
Möglichkeiten ist auch die Angebotstext-Liste
keineswegs vollständig, ein reines Abhaken
vordefinierter Elemente reicht nicht aus. So
müssen z. B. die Logikfunktionen separat als
Quelle: Stöcklhuber
Abhilfe ist möglich
Bild 6: Michael Weber von Gira bietet Elektrohandwerkern und Systemintegratoren
Hilfsmittel zur rechtssicheren Erstellung von
Gebäudesystemtechnik-Angeboten
Freitext beschrieben werden. Allerdings gibt
die Liste eine Gliederung anhand der Komplexitätsgrade vor – beginnend mit einfacher
binärer Logik bis zur Einbindung von Fremdlösungen wie z. B. einer Gartenbewässerung.
Einige Systemintegratoren nutzen die Liste
bereits im Vorfeld eines Beratungsgesprächs.
Typischerweise kommen Kunden z. B. in ein
Studio eines Gira Partners und sehen dort
Gebäudeautomation live. Um auf die dann
oft unvermeidliche Frage »Was kostet denn
nun eine Gebäudeautomation?« eine Antwort
parat zu haben, geben Systemintegratoren
dem Kunden dann eine Angebotstext-Liste
eines bereits ausgeführten Projekts in ähnlicher Größenordnung. So sehen Kunden, welche Kosten bei welchem Funktionsumfang
auf sie zukommen könnten.
Diese oben beschriebenen Maßnahmen
und Hilfsmittel können dazu beitragen, das
Risiko bei komplexen Gebäudeautomationsprojekten ein Stück weit zu reduzieren. Eine
gewisse »Rest-Unschärfe« wird jedoch immer bleiben – das bringt die Komplexität dieser Technologie einfach mit sich. Auf der
anderen Seite sind solche Projekte, wenn sie
geordnet ablaufen, herausfordernder und in
der Regel auch lukrativer als das reine »Strippenziehen«.
AUTOR
Dipl.-Ing.
Andreas Stöcklhuber
Redaktion »de«
de 13-14.2014