Die Westfront 1918 Von Gehorsamsverweigerungen zur Revolution

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Die Westfront 1918 Von Gehorsamsverweigerungen zur Revolution
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ISSN 0940 - 4163
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Heft 3/2008
Militärgeschichte im Bild: 50 Jahre »Gorch Fock«
Die Westfront 1918
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V
zur Revolution
Die Freikorps 1918 bis 1920
60 Jahre Völkermordkonvention
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Impressum
Editorial
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Herausgegeben
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt
durch Oberst Dr. Hans Ehlert und
Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.)
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der aktuellen Ausgabe:
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Hauptmann Klaus Storkmann M.A. (ks)
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»Es war ein Jubeln damals im ganzen Reiche, Kindheit, Jugend, Alter schmückte sich mit roten Zeichen [...] Die große Erlösung war über die Menschheit gekommen: Der Krieg war beendet. Das Bangen um Väter und Brüder im Felde sollte zu Ende
sein, über Millionen kam die große Hoffnung auf
ein Wiedersehen [...] Nie wieder Krieg! Das wurde
ein Schwur, den Hunderttausende in zahllosen
Kundgebungen leisteten. Der 9. November mahnt an diese heilige Pflicht.«
Diese Zeilen fanden sich in der in Magdeburg erscheinenden sozialdemokratischen Zeitung »Volksstimme« vom 6. November 1927. Neun Jahre nach
dem November 1918 gedachten bei Weitem nicht alle Deutschen der Revolution und des Kriegsendes als einer »Erlösung«. Der November 1918 spaltete
die Deutschen. Die Erinnerung an ihn war lange Zeit stark politisch gefärbt.
Die Zeitschrift Militärgeschichte widmet sich dem Kriegsende 1918 mit
einem Schwerpunktheft. Die damaligen Ereignisse waren so vielfältig, dass
der Versuch, sie alle historisch zu würdigen, nur scheitern kann. Die Redaktion traf daher eine Auswahl, die unvollständig bleiben muss. Werner Rahn
blickt auf das Geschehen in Kiel und Wilhelmshaven im Oktober und November 1918 zurück. Kiel war die Initialzündung für die Revolution. Deren
Ursachen lagen jedoch woanders: im verlorenen Krieg, in den Revolutionen
in Russland ein Jahr zuvor und nicht zuletzt im Hunger und Elend in
Deutschland. Dieter Storz schildert den militärischen Zusammenbruch der
Westfront 1918 und die vorausgegangene alliierte Offensive. Beide Aufsätze
greifen somit zwei Hauptstränge jener militärischen Entwicklungen am
Ende des Krieges auf, die schließlich zur Revolution führten. Ein dritter Aufsatz geht zeitlich über den November 1918 hinaus. Rüdiger Bergien stellt die
Zeit der bewaffneten Aufstände und deren Zerschlagung durch ehemalige
Fronttruppen, die Freikorps, vor.
Der 9. November war kein »deutscher Schicksalstag«, wie oft behauptet.
Sehr wohl wurde er zu einem geschichtsträchtigen Tag, zu einem politischen
Symbol, das weit in die Folgejahre ausstrahlte. Hitler geißelte in seinen Reden regelmäßig die vermeintlichen »Novemberverbrecher« : »Ein November
1918 wird sich in der deutschen Geschichte niemals wiederholen.« Mit diesem Satz verweigerte er sich 1945 jeglichem Gedanken an eine Kapitulation
und mehrte damit die Katastrophe. Hitler legte bereits seinen Putschversuch
in München 1923 bewusst auf den Tag der Revolution von 1918. Und auch
die organisierten antijüdischen Ausschreitungen, bekannt geworden unter
dem zynischem Begriff »Reichskristallnacht«, nahmen 1938 nicht zufällig an
diesem Tag ihren Anfang. Ein Jahr später, 21 Jahre nach dem Ende des Ersten
Weltkriegs, begann Deutschland den neuen Krieg.
Aus den schrecklichen Lehren der beiden Weltkriege und den auch in diesem Zusammenhang verübten Völkermorden heraus entstand die Überzeugung der Weltgemeinschaft, dass sich Ähnliches nicht mehr wiederholen
darf. Diesem Ziel verpflichtet, verabschiedete die UN-Generalversammlung
im Dezember 1948 die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des
Völkermords. Sie jährt sich damit zum 60. Mal, ein Grund für Franz-Joseph
Hutter, darauf zurückzublicken.
Für Ihr Interesse an der Militärgeschichte dankt
© 2008 für alle Beiträge beim
Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA)
Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber
ermittelt worden sein, bitten wir ggf. um Mitteilung.
Druck:
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden
ISSN 0940-4163
Klaus Storkmann M.A.
Hauptmann
Inhalt
Die Westfront 1918
4
Dr. Dieter Storz, geboren 1958 in Kempfenhausen bei Starnberg, seit 1991 Wissen­
schaftlicher Mitarbeiter des Bayerischen
Armee­museums in Ingolstadt
Von Gehorsamsverweigerun8
gen zur Revolution.
Der Zusammenbruch der Kaiserlichen Marine 1918
Dr. Werner Rahn, geboren 1939 in
Ilsenburg/Harz, Kapitän zur See a.D.,
Amtschef des MGFA 1995 bis 1997
Republikschützer oder Terroristen? Die Freikorpsbewegung
in Deutschland nach
dem Ersten Weltkrieg
Dr. Franz-Josef Hutter, geboren 1963 in
Griesbach/Niederbayern, Politikwissenschaftler,
Mitherausgeber und verantwortlicher Redakteur des Jahrbuch Menschenrechte
Das historische Stichwort:
Hundert Jahre Motorflug in
Deutschland. Die Frühzeit der
Fliegerei bis 1914
22
Medien online/digital
24
Lesetipp
26
Ausstellungen
28
Geschichte kompakt
30
Militärgeschichte
im Bild
50 Jahre »Gorch Fock«
31
14
Am 17. Dezember 1958 wurde die »Gorch
Fock« an die Bundesmarine übergeben.
Rüdiger Bergien, geboren 1977 in Bad Karlshafen, Doktorand und Wissenschaftlicher
­Mitarbeiter am Historischen Institut der
­Universität Potsdam
60 Jahre Völkermord­
konvention
Service
Foto: PIZ Marine
18
Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:
Dr. phil. Dr. rer.pol. habil. Ulrich van der
Heyden, Privatdozent am Otto-Suhr-Institut
für Politikwissenschaft der Freien Universität
Berlin;
Prof. Dr. Lothar Hilbert, PhD, Seminar für
Zeitgeschichte der Universität Tübingen;
Kapitänleutnant Christian Jentzsch M.A.,
MGFA;
Oberleutnant zur See d.R. Anja ­Wegener,
MGFA.
Bayerisches Armeemuseum
Logo der Reihe »Strategie«
­unter Verwendung eines Bildes
von bpk/Antikensammlung;
Foto: Jürgen Liepe;
Gestaltung: MGFA
Die Westfront 1918
5 Deutscher Fla-MG-Trupp.
Z
u Beginn des Jahres 1918 hatte
sich die Lage Deutschlands in
widersprüchlicher Weise verändert: Durch das Erlöschen der russi­
schen Kampfkraft gelang es erstmals,
die Ressourcen des Reichs im Wesentlichen auf die Westfront zu konzentrieren. Andererseits verschob der Kriegs­
eintritt der USA das Kräfteverhältnis
endgültig und unumkehrbar zu Deutsch­
lands Ungunsten. Die deutsche Obers­te
Heeresleitung (OHL) wollte dieser drohenden Entwicklung durch rasches militärisches Handeln zuvorkommen.
Zur siegreichen Beendigung des Krie­
ges musste sie die Gegner eben schlagen, bevor die Amerikaner da waren.
Der Faktor Zeit, das war klar, arbeitete
dabei gegen die Deutschen.
»Das Wort ›Operation‹ verbitte ich
mir. Wir hauen ein Loch hinein. Das
Weitere findet sich. So haben wir es in
Russland auch gemacht!« So formulierte Erich Ludendorff sein Ziel für
1918. Das war nicht gerade subtil ausgedrückt, aber angesichts der bekannten Schwierigkeiten, eine Stellungsfront zu durchbrechen, durchaus
logisch: Hätte die deutsche Oberste
Die Westfront 1918
Heeresleitung endlich das »Loch«,
käme es zu Operationen, und im Bewegungskrieg hielt sich die deutsche Führung für überlegen. Doch fehlten dafür
unerlässliche Hilfsmittel: Die Ausstattung der deutschen Armee mit Kraftfahrzeugen war wesentlich schlechter
als die der Entente, und die »Pferdelage« war verzweifelt. Ein in der Durchbruchsschlacht erfolgreiches deutsches
Heer wäre zum Operieren kaum in der
Lage gewesen und sozusagen siegreich
liegengeblieben.
Deutsche Frühjahrsoffensiven
Die spektakulären Erfolge der deutschen Frühjahrsoffensiven mit erheblichen Geländegewinnen, vor allem
»Michael« (21.–28. März) und der
zweite Vorstoß an die Marne (27. Mai–
9. Juni), verschleierten den Blick auf
die strukturelle Unterlegenheit der
deutschen Machtmittel. Der operative
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
Gedanke hinter den wechselnden deutschen Offensivstößen war der, die britischen und französischen Reserven
aufzubrauchen. Reserven bildeten ein
Grundelement der Kriegführung in
der Materialschlacht: Divisionen, die
nicht an der Front festgelegt waren und
von der Führung zur Bildung von
Schwerpunkten, zur Krisenbeherrschung oder einfach nur zum »Nähren« langer Kämpfe verschoben werden konnten. Solange der Gegner Reserven besaß, konnte man ihn nicht
überwältigen. Zum heiß ersehnten letzten Erfolg der deutschen Offensiven
wäre es nötig gewesen, die britischen
und französischen Reserven zu erschöpfen oder an einen Frontabschnitt
zu locken, von dem sie nicht schnell
genug an eine überraschend bedrohte
andere Stelle verlegt hätten werden
können.
Am 15. Juli begann eine deutsche Offensive bei Reims, deren Ziel es war, indirekt die feindliche Flandernfront von
Reserven zu entblößen, um dann genau dort anzugreifen. Der Vorstoß
scheiterte allerdings, und den Alliierten gelang es endlich, ihren seit langem
geplanten Gegenstoß zu führen:
Am 18. Juli griffen die Franzosen den
Frontvorsprung, den die Deutschen an
der Marne erkämpft hatten, von zwei
Seiten flankierend an: Was bis dahin
als ein gefährliches Dreieck in die französische Front geragt hatte, drohte nun
zur Falle für die dort eingesetzten deutschen Truppen zu werden. Das wenige
Wochen zuvor eroberte Gebiet musste
daher geräumt werden. Im äußeren
Gang der Dinge markiert diese französische Offensive die Kriegswende an
der Westfront: Ab da befanden sich die
Deutschen in der Defensive, waren in
der damaligen Bildersprache nicht
mehr »Hammer«, sondern »Amboss«.
Alliierte Gegenoffensiven
Immerhin vollzog sich der Rückzug
von der Marne noch kontrolliert: Das
Tempo bestimmten die Deutschen. Die
OHL beurteilte die Lage daher immer
noch unrealistisch günstig und wollte
erneut zur Offensive übergehen, als die
deutsche Front am 8. August bei ­VillersBretonneux, also an der Spitze der Ausbuchtung, welche die deutsche Märzoffensive in die britische Front getrieben
hatte, von einem zweiten schwe­ren Schlag
getroffen wurde. Briten und Franzosen
erzielten dort einen elf Kilometer tiefen
Einbruch, konnten 400 Geschütze erbeu­
ten und 13 000 Gefangene machen. Die
deutsche Armee erlitt hier ihre schwerste
Niederlage seit Kriegsbeginn.
Der 8. August wurde zum »schwarzen
Tag« des deutschen Heeres und leitete
bei der militärischen Führung ein Umdenken ein. Beim Lagevortrag am 10. August sprach der Kaiser selbst die entscheidenden Worte: »Ich sehe ein, wir
müssen die Bilanz ziehen. Wir sind an
der Grenze unserer Leistungsfähigkeit.
Der Krieg muss beendet werden.«
Die Entente setzte ihre am 8. August
begonnene Offensive indessen noch
vier Wochen fort, und jetzt vermochte
der Verteidiger nicht mehr, den Verlauf
der Dinge, wenn auch unter Preisgabe
von Gelände, zu beherrschen. Das bisherige Kampfverfahren, auf Geländeverluste unverzüglich mit einem Gegenangriff zu reagieren, blieb erfolglos
und ging mit einen enormen Kräfteverbrauch einher. Am Ende hatten die
Briten den Frontverlauf aus der Zeit
vor der deutschen Märzoffensive wiederhergestellt. Die Deutschen verschanzten sich in ihrer alten Position,
der »Siegfriedstellung«.
Den nächsten Schlag führten die
Amerikaner, deren Militärpotenzial in
Europa seit dem Frühjahr rasant angewachsen war. Das ihnen gestellte Angriffsziel war der »St. Mihiel-Bogen«
südöstlich von Verdun. Der mit enormer Überlegenheit am 12. September
unternommene Angriff traf auf abgekämpfte deutsche Stellungsdivisionen,
die schon in der folgenden Nacht den
Frontvorsprung räumten. 15 000 Gefangene und 400 Geschütze blieben in
der Hand des Angreifers. Die anhaltend hohen Geschützverluste der Deutschen im Sommer 1918 waren auch
Folge des Pferdemangels, der bei der
Preisgabe von Gelände oft dazu zwang,
das Geschützmaterial stehen zu lassen.
Die markanten Frontvorsprünge waren jetzt beseitigt, und es sah für einige
Tage so aus, als kehre die Westfront
wieder zum »normalen« Stellungskrieg zurück. Indessen traten bei den
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
Die OHL drängt auf
­Verhandlungen
Die OHL verlangte angesichts des gegnerischen Ansturms nun geradezu ultimativ Verhandlungen, um zu einem
Waffenstillstand zu gelangen. In dem
Zusammenhang sollte eine neue Regierung auf der Grundlage einer parlamentarischen Mehrheit gebildet werden, um den Friedenswunsch glaubwürdig erscheinen zu lassen. Am
2. Oktober wurde Prinz Max von Baden zum neuen Reichskanzler ernannt.
Zwei Tage später bat das Deutsche
Reich den amerikanischen Präsidenten
Woodrow Wilson, die Herstellung des
Friedens in die Hand zu nehmen. Darin, dass man diesen Adressaten gewählt hatte, drückte sich bereits der
Wandel aus, den die Weltordnung
durch den Krieg erfahren hatte.
Auf den Gang der militärischen Ereignisse an der Westfront hatte dieser
Schritt keinen Einfluss. Die amerikanischen Erfolge an der Maas zwangen
die Deutschen im Oktober dazu, die
seit 1915 immer wieder schwer umkämpfte und stark befestigte Cham­
pagnefront aufzugeben. Die harten
Kämpfe beiderseits der Maas hielten
bis zum Waffenstillstand an. In Flan­
dern gelang es den Angreifern, die
deutschen U-Bootbasen zu erobern, ein
Ziel, das die Briten 1917 trotz größter
Opfer nicht erreicht hatten. Auch die
»Siegfriedstellung« ging verloren.
5Britische Tanks in einem Bereitstellungsraum hinter der Front.
Die neuen deutschen Positionen erhielten trutzige Namen wie etwa »Brun­
hild-« oder »Kriemhild-Stellung«, waren aber meist nur Linien im Gelände
ohne nennenswerten fortifikatorischen
Ausbau, obwohl ein solcher angesichts
des massiven Tankeinsatzes der Gegenseite nötiger denn je gewesen wäre.
Gegen diese in wachsender Zahl auftretende Waffe musste sich die deutsche Infanterie im offenen Gelände
und ohne geeignete Abwehrmittel verteidigen. 400 Tanks griffen am 18. Juli
an und über 500 am 8. August. Neue,
leichte Typen wie der französische FT-17
bestimmten nun das Bild. Im Januar
1918 besaß Frankreich davon ein Bataillon mit 73 Kampfwagen, im August
15 Bataillone mit 1100 und im November 25 Bataillone mit 2000 Tanks! Weit
überlegen war die Entente aber auch in
allen anderen Kampfmitteln: Dichte
Fliegerschwärme begleiteten die am
Boden angreifenden Truppen, trugen
Tod und Zerstörung in das Gebiet hinter der Front und legten gleichzeitig
die deutsche Luft­aufklärung weitgehend lahm, sodass die höhere Führung
im Dunkeln tapp­te. Dank der Tanks sowie ihrer überlegenen Transportkapazität konnten die Ententemächte Of-
fensiven rasch vorbereiten, ohne wie
früher auf die bis ins Einzelne gehende
und zeitraubende Regelung des Artillerieeinsatzes angewiesen zu sein: Neben der für damalige Verhältnisse reichen Ausstattung mit Lastkraftwagen
war auch das Eisenbahnnetz auf Seiten
der Entente besser ausgebaut als bei
den Deutschen. Dieser Vorteil schwand
allerdings in dem Maß dahin, in dem
die deutsche Front zurückgedrückt
wurde: Auf ihrem Rückzug zerstörten
die Deutschen die Verkehrsinfrastruktur, was der Nachschuborganisation
der Alliierten wachsende Probleme bereitete.
In Deutschland verschlechterte sich
indessen die »Ersatzlage« dramatisch,
also die Fähigkeit, die laufenden schwe­
ren Verluste an Menschen zu ersetzen.
Schon die Verluste der Frühjahrsoffensiven konnten nicht mehr ausgeglichen
werden. Während es bis einschließlich
1917 gelungen war, die Zahl der operativen Verbände zu vermehren, mussten 1918 insgesamt 29 Divisionen aufgelöst werden, davon neun im August,
zwölf im September und fünf im Oktober. Viele Divisionen waren bei Kriegs­
ende nur noch Artillerieverbände mit
einer schwachen Infanteriebedeckung.
Bayerisches Armeemuseum
Verbündeten der Deutschen dramatische Ereignisse ein: Am 19. September begann ein britischer Großangriff
in Palästina, wo die türkische Front sofort zusammenbrach. Dieses Schicksal
ereilte auch die Front in Mazedonien,
sodass das mit Deutschland verbündete Bulgarien am 25. September um
einen Waffenstillstand bitten musste.
In dieser Lage begann eine bis zum
Kriegsende anhaltende britisch-französisch-amerikanisch-belgische Generaloffensive an der Westfront. Den Anfang machte am 26. September ein
französisch-amerikanischer Großangriff zwischen Reims und der Maas.
Am folgenden Tag gingen Briten und
Franzosen gegen die »Siegfriedstellung« vor und noch einen Tag später
schritten Belgier, Briten und Franzosen
in Flandern zum Angriff.
ullstein bild
Die Westfront 1918
5Rastende deutsche MG-Kompanie.
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Dem Ende entgegen
Die täglich demonstrierte enorme Über­
legenheit des Gegners ließ am Kriegsausgang keinen Zweifel mehr. Der Anteil der Gefangenen an den anhaltend
hohen deutschen Verlusten seit dem
Sommer 1918 machte fast die Hälfte
aus und zeugt vom rapiden Nachlassen des Kampfwillens der auch nach
den Maßstäben dieses Krieges völlig
überanstrengten Truppe, die zwischen
den schweren Kämpfen keine Zeit
mehr erhielt, sich zu erholen. Soldaten
gingen aber nicht nur nach vorn verloren, sondern entzogen sich auch im
Hinterland als »Abgekommene« und
»Versprengte« den militärischen Strukturen. Die Zahl derjenigen, die solcherart für den Militärapparat nicht mehr
verfügbar waren, lässt sich nicht mehr
feststellen, betrug aber sicher mehrere
Hunderttausend. Jede Armee beruht
auf der Herrschaft über Menschen, die
durch das Prinzip von Befehl und Gehorsam hergestellt wird. Im Sommer
1918 wurde die Kriegsmüdigkeit so
groß, dass die Führung dieses Machtverhältnis nicht länger durchsetzen
konnte. Mit der sorgfältig gedrillten
Friedensarmee von 1914 hatten die
Truppen des Herbstes 1918 nur noch
wenig gemeinsam.
In der letzten großen Abwehrschlacht
des Krieges folgte die OHL dem Prinzip, um jeden Fußbreit Boden zu kämpfen. Dafür gab es zwei Gründe: Zum
einen hoffte sie, bei Friedensverhandlungen umso besser dazustehen, je
mehr Gebiet man noch besetzt hielt,
und zum anderen fürchtete sie den verheerenden Eindruck, den ein Rückzug,
auch wenn er militärisch geboten war,
auf die Stimmung im eigenen Land
und bei den Verbündeten machen
würde. Diese Kampfweise war aber
mit einem rasanten Verbrauch der
Deutschland noch verbliebenen Ressourcen verbunden. Das Verlangen der
Front, sich vom Gegner abzusetzen,
um der Truppe ein wenig Ruhe zu geben und günstigere Verteidigungspositionen einzunehmen, lehnte Ludendorff bis zuletzt ab. Seine Tage an der
Spitze der OHL waren allerdings gezählt. Nach einem schweren Zusammenstoß mit dem neuen Reichskanzler
erbat und erhielt Ludendorff am
26. Oktober den Abschied. An seine
Stelle trat General Wilhelm Groener.
»Während meines stundenlangen Wartens auf dem Bahnhof Bohain sammelte
sich ein merkwürdiges Gemisch von Verwundeten und ›Verstreuten‹ an, die offenbar auf eigene Faust in die Heimat zurückzukehren beabsichtigten. Unvergesslich bleibt mir das Verhalten eines Unteroffiziers vom pommerschen Grenadierregiment, dem ein Auge ausgeschossen war. Ich hatte Mühe, ihn zu
überreden, mitzufahren. Er wollte zurück zur Front, dort den Tod suchen, weil
er die Schande des Aufgebens der Siegfried-Stellung an ihren entscheidenden
Punkten nicht überleben wollte.«
Heinrich Brüning, Memoiren. 1918–1934, Stuttgart 1970, S. 21 f.
Brüning war im letzten Kriegsjahr Kompanieführer in einer MG-Scharfschützenabteilung. Die von ihm beschriebene Episode lässt sich auf den 30. September datieren. Von 1930 bis 1932 war Brüning Kanzler des Deutschen Reichs.
Dieser lehnte zunächst aus ähnlichen
Gründen wie Ludendorff jeden Rückzug ab. Während des Notenwechsels
mit Wilson sollte der Eindruck deutscher Schwäche vermieden werden.
Weitere Schlappen bei Vorstößen des
Gegners erzwangen aber schließlich
eine großräumige Absetzbewegung:
Am 4. November leitete die OHL den
Rückmarsch in die sogenannte Maas–
Antwerpen-Stellung ein. Damit wurde
noch einmal soviel Gebiet aufgegeben,
wie seit dem September verloren gegangen war.
Wenn der Rückzug in die Antwerpen-Maas-Stellung auch die Aussicht
auf eine befristete Entspannung im
Westen eröffnete, so hatte sich die Lage
des Deutschen Reiches insgesamt im
Oktober weiter drastisch verschlechtert: In diesem Monat brach ÖsterreichUngarn auseinander, dessen Soldaten
sich jetzt nach Nationalitäten sortierten
und in die neu sich bildenden Staaten
zurückströmten. Am 28. Oktober bat
Wien um Waffenstillstand. Am 31. Oktober schied das Osmanische Reich aus
dem Krieg aus. Deutschland stand jetzt
ohne Verbündete und mit einer ungeschützten Süd- und Südostgrenze da.
Wenige Tage später brach die bisherige innere Ordnung des Deutschen
Reichs zusammen. Ausgehend von der
Marine breitete sich eine revolutionäre
Bewegung wie ein Naturereignis im
ganzen Land aus. Throne und Thrön­
chen stürzten. Der Reichskanzler, immer noch Max von Baden, forderte
dringend die Abdankung Wilhelms II.,
um einen Bürgerkrieg zu verhindern.
Als dieser zögerte, verkündete der
Kanzler am 9. November eigenmächtig
den Thronverzicht des Kaisers. Zugleich wurde an diesem Tag in Berlin
die Republik ausgerufen. SPD und
USPD bildeten eine neue Regierung.
Der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, den noch Max von Baden zum
Leiter der deutschen Waffenstillstandskommission ernannt hatte, musste am
11. November im Wald von Com­piègne
die alliierten Waffenstillstandsbedingungen unterschreiben. Faktisch handelte es sich dabei um eine bedingungs­
lose Kapitulation.
 Dieter Storz
Literaturtipps
Peter Graf Kielmansegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, 2. Aufl., Stuttgart 1980.
Jörg Duppler und Gerhard P. Groß (Hrsg.), Kriegsende
1918. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, München 1999.
6 Westfront 1918:
Erschöpfter deutscher Soldat.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
ullstein bild
Von Gehorsamsverweigerungen zur Revolution
ullstein bild
Von Gehorsamsverweigerungen zur Revolution
Der Zusammenbruch der
Kaiserlichen Marine 1918
5 Ansprache Gustav Noskes zu den U-Boot-Besatzungen in Kiel am 29. November 1918.
»Die Gehorsamspflicht muss als hohe
Notwendigkeit in die Leute hineinge­
legt werden, wenn wir von ihrer Pflicht­
erfüllung Großes erwarten wollen. Da­
raus ergibt sich, dass der Vorgesetzte
dem Mann Vertrauen einflößen muss,
Vertrauen in sein Können und Ver­
trauen als Mensch. Erst das gegensei­
tige Vertrauen von Offizieren und
Mannschaften gibt einer Besatzung
die feste, frohe Überzeugung, alles
leisten zu können. Im Vertrauen wur­
zelt die freudige Disziplin.«
S
o heißt es in einem für Fähnriche
der Marineschule bestimmten
»Leitfaden für den Unterricht in
Dienstkenntnis«, der im März 1914 erschienen war. Ab Sommer 1917 konnte
auf vielen Einheiten der Hochseeflotte
von einer »freudigen Disziplin« der
Mannschaften nicht mehr die Rede
sein. Ende Oktober/Anfang November
1918 brach innerhalb weniger Tage die
innere Struktur der so mächtigen Kaiserlichen Marine wie ein Kartenhaus zusammen. Wie konnte das geschehen?
Die mit großen Erwartungen gebaute
Hochseeflotte bewirkte im Ersten Weltkrieg als modernes Kriegsinstrument
keine strategische Entscheidung, sondern erfüllte in erster Linie die Funktion einer »Fleet in being«, die allein
durch ihre Präsenz britische Kräfte in
der Nordsee band, die Ostseezugänge
blockierte und den U-Booten die Auslaufwege freihielt. Dieser defensive
Einsatz mit der Schwerpunktverlagerung des Seekrieges auf die leichten
Streitkräfte und U-Boote erschütterte
das Selbstbewusstsein des Seeoffizierkorps, das sich intensiv auf eine »Entscheidungsschlacht« vorbereitet hatte.
Nunmehr standen die Offiziere vor der
schwierigen Führungsaufgabe, den Bereitschaftsdienst der Flotte so zu gestalten, dass die Leistungsfähigkeit der
Schiffe und Verbände über längere Zeit
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
erhalten blieb. Die Behandlung und
Motivation der Mannschaften, die als
Wehrpflichtige teilweise schon jahrelang in den beengten Verhältnissen an
Bord lebten, spielten dabei eine entscheidende Rolle. Diese Führungsprobleme wurden von den verantwortlichen Befehlshabern und Kommandanten erheblich unterschätzt. Es gelang ihnen nicht, den ereignisarmen
Bereitschaftsdienst an Bord der großen
Einheiten mit mehr als 1000 Mann Besatzung so abwechslungsreich zu gestalten, dass Disziplin und Zuverlässigkeit der Mannschaften auf einem
hohen Stand blieben.
Ein häufiger Personalwechsel, der
durch die vermehrte Indienststellung
von U-Booten notwendig wurde, hatte
zur Folge, dass viele Einheiten jüngere
Offiziere abgeben mussten, die im täglichen Dienstbetrieb den engsten Kontakt zu den Mannschaften hatten. Als
Ersatz kamen oft Reserveoffiziere oder
6Admiral Reinhard Scheer (1863–1928),
seit 30. Oktober 1918 Gouverneur von Kiel.
1918 Chef der Seekriegsleitung.
Beide ullstein bild
6Admiral Wilhelm Souchon (1864–1946),
junge Fähnriche bzw. Leutnante. An
Bord der großen Einheiten nahmen die
Offiziere eine Sonderstellung ein, zum
Beispiel erhielten sie eine andere, meist
bessere Verpflegung als die Mannschaften. Dadurch verschärften sich
die Gegensätze, was wesentlich dazu
beitrug, dass die Vertrauensbasis allmählich verloren ging. Demgegenüber
traten diese Gegensätze bei den
kleineren Einheiten wie U-Booten, Torpedobooten und Minensuchbooten
nicht auf. Auf diesen Einheiten lebte
der Offizier mit seinen Leuten, war
ständig der gleichen Gefahr ausgesetzt
und erhielt auch keine gesonderte Verpflegung. So entstand ein kameradschaftliches Gemeinschaftsgefühl, das
eine wesentliche Grundlage für Zuverlässigkeit und Erfolg war.
Im Sommer 1917 kam es auf einigen
Einheiten der Flotte aus geringfügigen
Anlässen zu ersten offenen Gehorsams­
verweigerungen. Die Marineführung
griff mit Kriegsgerichtsverfahren scharf
durch und ließ am 5. September 1917
die Todesurteile gegen den Heizer Albin Köbis und den Matrosen Max Reich­
pietsch vollstrecken [siehe S. 12]. Dies
war – nicht nur juristisch – eine schwerwiegende Fehlentscheidung. Die tieferen Ursachen, die zu dem Vertrauensverlust zwischen Offizieren und Mannschaften geführt hatten, wur­den nicht
erkannt geschweige denn beseitigt. Die
Härte des Vorgehens löste bei den
Mannschaften Verbitterung aus. Mehr
und mehr setzte ein schleichender Verfall der Disziplin auf den Schiffen ein.
»Endkampf« statt
­Waffenstillstand
Im Sommer 1918 gelang es der Marineführung, eine »Seekriegsleitung«
durchzusetzen, deren Chef der bisherige Flottenchef, Admiral Reinhard
Scheer wurde. Als Scheer – in Verkennung der inneren Lage der Marine – in
der Schlussphase des Krieges seine
neue Kompetenz für einen Flotteneinsatz nutzen wollte, manövrierte er sie
in die Krise.
Im Herbst 1918 stand das Reich an allen Fronten vor der militärischen Niederlage, was die Oberste Heeresleitung
allerdings wochenlang verschleiert
hatte. Zur Überraschung der Reichsleitung forderte sie Ende September 1918
einen sofortigen Waffenstillstand, um
einen Zusammenbruch der Front zu
vermeiden. Jetzt wurde führenden Seeoffizieren bewusst, dass die Marine
den Krieg beenden musste, ohne dessen Verlauf wesentlich beeinflusst zu
haben. Die künftige Existenz der Flotte
schien in Frage gestellt. Aus dieser
Überlegung entstand der Gedanke
eines letzten Flotteneinsatzes, den die
Seekriegsleitung wie folgt begründete:
»Es ist unmöglich, dass die Flotte alsdann in dem Endkampf, der einem baldigen oder späteren Waffenstillstand
vorausgeht, untätig bleibt. Sie muss
eingesetzt werden. Wenn auch nicht zu
erwarten ist, dass hierdurch der Lauf
der Dinge eine entscheidende Wendung erfährt, so ist es doch aus moralischem Gesichtspunkten Ehren- und
Existenzfrage der Marine, im letzten
Kampf ihr Äußerstes getan zu haben.«
Der geplanten Flottenvorstoß sollte
am 30. Oktober entlang der holländischen Küste in den Ärmelkanal und
die Themsemündung führen, um Abwehrmaßnahmen der britischen Flotte
zu provozieren. Man hoffte, am Abend
des zweiten Operationstages Teile der
feindlichen Flotte zur Schlacht stellen
zu können. Eine derartige Operation
musste jedoch schwerwiegende Auswirkungen auf die bevorstehenden
Waffenstillstandsverhandlungen haben. Eine Abstimmung mit der Reichsleitung wäre daher zwingend erforderlich gewesen. Das geschah jedoch nicht.
Mit der irrationalen Vorstellung, dass
die Marine einen Waffenstillstand nicht
nötig habe, sahen führende Seeoffiziere
das Schicksal der Marine völlig isoliert
von der Gesamtlage des Reiches. Ihr
Vorgehen stand im Widerspruch zu
der auf Kriegsbeendigung abzielenden
Politik der neuen, ab Oktober auf parlamentarischer Grundlage gebildeten
Regierung des Reichskanzlers Prinz
Max von Baden, an der erstmals auch
Sozialdemokraten beteiligt waren.
Im Sommer 1918 hatte ein umfassender Personalwechsel bei den Offizieren die innere Struktur der Flotte
geschwächt. Fast die Hälfte aller Großkampfschiffe und Kreuzer erhielten
neue Kommandanten bzw. I. Offiziere.
Doch der Chef des Stabes des Kommandos der Hochseestreitkräfte, Konteradmiral Adolf von Trotha, erklärte
am 16. Oktober, die Flotte sei für eine
größere Operation personell und materiell uneingeschränkt einsatzbereit.
Diese Lagebeurteilung war für den
weiteren Verlauf der Ereignisse verhängnisvoll.
Gehorsamsverweigerungen auf
den Schiffen vor Wilhelmshaven
Die Operationsplanung für den Flottenvorstoß lief wie üblich unter
strenger Geheimhaltung. Eine auch
nur allgemein gehaltene Unterrichtung
der Besatzungen über die Lage unterblieb, was sich als ein folgenschweres
Versäumnis erwies, denn bestimmte
Vorbereitungen (z.B. Beladung mit Minen, Zusammenziehung der Verbände
auf der Jade) konnten nicht geheim
bleiben. Da die Mannschaften von ih-
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ullstein bild
Von Gehorsamsverweigerungen zur Revolution
5 Besatzungen entladen Munition von den Großkampfschiffen in Wilhelmshaven, ­Anfang November 1918.
ren Vorgesetzten keine Informationen
erhielten, sie durch die Presse jedoch
über den deutschen Wunsch nach Waffenstillstand unterrichtet waren, sahen
sie in der geplanten Operation ein eigenmächtiges Vorgehen der Offiziere,
das mit den eigenen Friedenserwartungen nicht mehr zu vereinbaren war.
Erneut wurde die Vertrauensbasis erschüttert. Es verbreitete sich schnell
das Gerücht von einem bevorstehenden riskanten Einsatz. Verhalten und
Äußerungen einzelner Offiziere verstärkten noch den Eindruck von einer
geplanten »letzten Schlacht« oder »Todesfahrt«. So ließ der Kommandant
des Schlachtkreuzers »Derfflinger«,
Kapitän zur See Hans Carl von Schlick,
einen Tag vor dem geplanten Auslaufen sein gesamtes persönliches Eigentum von Bord schaffen. Diese Maßnahme verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch das Schiff.
Bereits am 27. Oktober 1918 verweigerten Teile der Besatzungen der vor
Wilhelmshaven auf Reede liegenden
Einheiten der Flotte den Gehorsam
und leisteten passiven Widerstand, um
ein Auslaufen zu verhindern. Obwohl
den Befehlshabern diese Vorfälle bekannt waren, setzten sie die Einsatzvorbereitungen fort und trafen keine
ernsthaften Maßnahmen, um diesen
Schwierigkeiten zu begegnen. Die Gehorsamsverweigerungen erreichten
am Abend des 29. Oktober, d.h. wenige
Stunden vor dem geplanten Auslaufen, ihren Höhepunkt, sodass der Chef
10
des III. Geschwaders, Vizeadmiral
Hugo Kraft, dem Flottenchef, Admiral
Franz Ritter von Hipper, melden musste,
dass sein Geschwader (fünf Großkampfschiffe) nicht auslaufen könne.
Als auch noch andere Befehlshaber die
Zuverlässigkeit ihrer Verbände bezweifelten, ließ Hipper am 30. Oktober
den Operationsplan fallen und befahl
einen Vorstoß der U-Boote mit dem
I. Geschwader (sieben Großkampfschiffe) als Rückhalt. Gleichzeitig ließ
er an die Mannschaften einen Aufruf
verbreiten, in dem die Absicht eines
»nutzlosen Kampfes« abgestritten, die
Notwendigkeit der Abwehr feindlicher
Angriffe hervorgehoben und der gemeinsame Friedenwille von Regierung,
Volk und Offizieren betont wurden.
Doch dieser Appell hatte keine beruhigende Wirkung mehr. Im I. Geschwader verhinderten am 31. Oktober die
Mannschaften verschiedener Schiffe
ebenfalls das Auslaufen, sodass Hipper sich gezwungen sah, auch diesen
Auslaufbefehl zu widerrufen. Um die
Verbindungsaufnahme der meutern­
den Besatzungsteile untereinander zu
verhindern und um Ordnung und Disziplin wieder herzustellen, entschied
sich Hipper für eine Auflockerung der
Verbände. Darüber hinaus befahl er,
den Widerstand der Besatzungen des
I. Geschwaders unter Androhung von
Waffengewalt durch Torpedoboote
und U-Boote zu brechen. Eine blutige
Auseinandersetzung blieb jedoch aus,
da sich die meuternden Besatzungs-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
teile im letzten Moment widerstandslos festnehmen ließen. Allein von dem
Linienschiff »Thüringen« (24 000 t,
1200 Mann Besatzung) wurden etwa
400 Mann, bewacht von Seesoldaten,
mit einem Dampfer nach Wilhelmshaven gebracht. Doch die angestrebte
Beruhigung der aufgebrachten Gemüter schlug fehl. Die noch teilweise
vorhandene Autorität der Offiziere
schwand von Stunde zu Stunde. Für
den weiteren Gang der Ereignisse
spielte die Verlegung des III. Geschwaders mit fünf Linienschiffen und etwa
5800 Mann von Wilhelmshaven nach
Kiel eine zentrale Rolle.
Der Geschwaderchef, Vizeadmiral
Hugo Kraft, hatte gegenüber Hipper
die Auffassung vertreten, dass seine
Besatzungen in letzter Zeit zu wenig in
ihrem Heimathafen Kiel gelegen hätten. Wenn er seine Schiffe dorthin verlegen könnte, würde er die Mannschaften schon wieder fest in die Hand
bekommen. Hipper ging darauf ein
und entließ das Geschwader am 31. Ok­
tober nach Kiel. Schon während der
Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal
ließ Kraft etwa 47 Mann als vermeintliche Rädelsführer verhaften und in
Kiel am 1. November in Arrestanstalten
abführen. Diese Einschüchterungsmaßnahme bewirkte jedoch, dass sich
die Unruhe und Gehorsamsverweigerungen unter den Besatzungen weiter
ausdehnten. Die noch teilweise vorhandene Autorität der Vorgesetzten
ging völlig verloren.
Die Ereignisse in Kiel
nen und auf den Schiffen die Initiative
an sich. Gleichzeitig traten die Werftarbeiter in einen Sympathiestreik.
Ohne Rückhalt bei der Bevölkerung
und ohne zuverlässige Truppen sah
sich Admiral Souchon gezwungen, mit
Vertretern des Soldatenrates und der
Arbeiterschaft zu verhandeln, um
durch Zugeständnisse, zum Beispiel
Freilassung eines Teils der Inhaftierten
des III. Geschwaders, eine weitere Eskalation der Unruhen zu verhindern.
Noske greift ein
Noch am 4. November entsandte die
Reichsregierung den Staatssekretär
Conrad Haußmann und den SPD-Abgeordneten Gustav Noske nach Kiel.
Sie sollten die Vorfälle untersuchen
und möglichst die Ordnung wiederherstellen. Als sie am Abend in Kiel
eintrafen, wurden sie von den revoltierenden Matrosen und streikenden Arbeitern stürmisch begrüßt. Zunächst
gelang es ihnen nicht, einen klaren
Überblick über die verworrene Lage in
der Stadt zu gewinnen. Noske bewährte sich sogleich in spontanen Ansprachen, in denen er die Soldaten und
Arbeiter zur Aufrechterhaltung von
Ruhe und Ordnung aufforderte. Am
nächsten Tag (5. November) wehten
auf allen Schiffen die roten Flaggen als
Siegessymbol der Soldatenräte. Ledigullstein bild
Während es in Wilhelmshaven bis zum
5. November noch relativ ruhig blieb,
überstürzten sich in Kiel die Ereignisse.
Dort hatte sich bereits im Laufe des
Oktobers die Disziplinarlage zugespitzt, da zahlreiche Mannschaften aus
den inzwischen geräumten Stützpunkten in Flandern eingetroffen waren.
Der Gouverneur und Stationschef, Admiral Gustav Bachmann, hatte schon
am 18. Oktober mit ernster Besorgnis
ein Nachlassen der Disziplin festgestellt und daher die Offiziere seines Befehlsbereichs ermahnt, dass sie als Vorgesetzte gerade in schwieriger Zeit
durch ihre Persönlichkeit und das eigene gute Beispiel auf ihre Untergebenen einzuwirken hätten. Doch seine
Ermahnungen blieben ohne Wirkung.
In Verkennung der kritischen Lage
hatte das Kaiserliche Marinekabinett
für Ende Oktober 1918 eine Ablösung
Bachmanns durch Admiral Wilhelm
Souchon veranlasst, der am 30. Oktober seinen Posten als Gouverneur antrat. Mit der Ankunft des III. Geschwaders am 1. November eskalierte die Rebellion, da das Geschwader nicht isoliert wurde, sondern die wachfreien
Mannschaften Landgang erhielten. Sie
konnten somit unverzüglich Kontakt
mit anderen Truppenteilen sowie mit
der Arbeiterschaft aufnehmen und auf
Protestversammlungen Maßnahmen
zur Befreiung ihrer inhaftierten Kameraden beraten.
Angesichts der kritischen Lage entschloss sich das Stationskommando
am 3. November, alle Militärangehörigen durch einen Stadtalarm an ihre
Einheiten und Kommandos zu binden.
Gleichzeitig ging ein erster Bericht
nach Berlin, in dem um die Entsendung eines »hervorragenden sozialdemokratischen Abgeordneten« gebeten
wurde, »um im Sinne der Vermeidung
von Revolution und Revolte zu sprechen«. Allein diese Wortwahl zeigt, welche Dimension von Unruhen das Stationskommando bereits befürchtete. Der
am Nachmittag ausgelöste Stadtalarm
wirkte nicht beruhigend, sondern heizte
die Stimmung weiter an. Es kam zu einer großen Protestversammlung und zu
einem Demonstrationszug von Soldaten und Arbeitern durch die Innenstadt.
Nachdem bereits mehrere Patrouillen
und Offiziere von Demonstranten entwaffnet worden waren, gab es einen
blutigen Zwischenfall, als eine Militärpatrouille nach einigen wirkungslosen
Warnschüssen direkt in die Menge feuerte: acht Tote und 29 Verwundete fielen der Schießerei zum Opfer.
Der Zwischenfall löste bei den Mannschaften einen spontanen Solidarisierungsprozess und die Flucht nach vorn
aus. Am 4. November 1918 bewaffneten sie sich, bildeten Soldatenräte
und rissen in der Stadt, in den Kaser-
5 Mannschaften nach der Erstürmung des Marine-Militärgefängnisses in Wilhelmshaven, Anfang November 1918.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
11
4Albin Köbis
(1892–1917).
Marineschule Mürwik/WGAZ
Von Gehorsamsverweigerungen zur Revolution
3Max
Reichpietsch
(1894–1917).
­Die Marineunruhen 1917
Anfang 1917 befand sich Deutschland im dritten Kriegsjahr und die vor dem Krieg
gefeierte Hochseeflotte war -– bis auf die Skagerrakschlacht – kaum zum Einsatz gekommen. Auf den Großkampfschiffen waren bis zu 1000 Matrosen und Heizer in
sehr bedrängten Verhältnissen untergebracht und verrichteten einen meist monotonen Dienst, um die Flotte einsatzbereit zu halten. Die Untätigkeit der Flotte frustrierte das Offizierkorps. Unter dem Eindruck der scheinbaren Nutzlosigkeit des
Dienstes wuchs unter den Mannschaften ein Gefühl der Unzufriedenheit. Als Folge
der schlechten Versorgungslage im »Steckrübenwinter« 1916/17 gab es auch bei der
Bordverpflegung Probleme, was sich dramatisch auf die Stimmung der Mannschaf­
ten auswirkte. Dies wurde zum Katalysator für eine weit verbreitet Missstimmung,
die im Frühsommer 1917 auf einigen Einheiten zu ersten Unruhen führte. Um die
Ver­sorgungsprobleme in den Griff zu bekommen, setzte die Marineführung Menagekommissionen unter Beteiligung der Unteroffiziere und Mannschaften ein; auf
einigen Einheiten sind die Kommissionen auch von den Besatzungen gewählt worden. In diesen Gremien wurden auch aktuelle politische Probleme diskutiert. Einige
Mannschaften nahmen während ihres Urlaubs Kontakte zu Politikern der USPD –
die sich 1917 von der SPD abgespaltet hatte – in Berlin auf und trugen dort ihre
Probleme vor. Die Vertreter dieser pazifistisch geprägten Partei rieten jedoch zur
Vorsicht.
Auf dem Flottenflagschiff »Friedrich der Große« bildete sich um den Matrosen
Max Reichpietsch und den Heizer Willy Sachse eine Gruppe, welche die Mannschaftsbeschwerden aufgriff und Friedenspropaganda betrieb. Auf »Prinzregent
Luitpold« entstand um die Heizer Wilhelm Beckers und Albin Köbis eine ähnliche
Gruppierung. Der gärende Unmut schlug Anfang Juni auf diesem Linienschiff in einen Hungerstreik um, der jedoch von der Schiffsführung noch beigelegt werden
konnte. Die eigentlichen Unruhen brachen dann am 1. August wieder auf diesem
Schiff aus, nachdem 49 Heizer mit einer für sie ungünstigen Dienstplanänderung
nicht einverstanden gewesen waren und daraufhin eigenmächtig von Bord gingen.
Nach ihrer Rückkehr wurden elf Heizer in Arrest genommen, was den Unmut der
Besatzung nur noch steigerte. Am 2. August verließen 400 bis 600 Mann die »Prinzregent Luitpold«, begaben sich nach Rüstersiel, wo Köbis eine flammende Rede gegen den Krieg hielt. Noch innerhalb der Bereitschaftszeit von drei Stunden kehrten
die Matrosen und Heizer geordnet an Bord zurück, um sich nicht der Meuterei
schuldig zu machen. Weitere Sympathiebewegungen auf anderen Schiffen der
Hochseeflotte wurden im Keim erstickt.
Das Kommando der Hochseestreitkräfte eröffnete am 25. August die ersten
Kriegsgerichtsverfahren gegen die vermeintlichen Rädelsführer unter den Mannschaften. Die Anklage lautete auf Landesverrat und »kriegsverräterische Aufstands­
erregung«. Von fünf verhängten Todesurteilen bestätigte der Flottenchef, Admiral
Reinhard Scheer, als Gerichtsherr trotz erheblicher Bedenken seitens der Marinejus­
tiz, zwei Urteile und milderte die anderen Urteile in hohe Zuchthausstrafen ab.
Max Reichpietsch und Albin Köbis wurden am 5. September 1917 auf dem Schießstand der Wahner Heide bei Köln erschossen. Die Marineführung erfasste nicht die
eigentlichen Ursachen für den Zerfall der Disziplin unter den Mannschaften, sondern vermutete die USPD und deren Anhänger als Urheber der Unruhen. Diese Haltung führte noch im Oktober 1917 zu innenpolitischen Verwicklungen. Marineführung und Offizierkorps bemühten sich kaum um eine Lösung der Führungsprobleme; so wurde die Kluft zwischen Offizieren und Mannschaften noch nicht einmal
im Ansatz überbrückt, wie die Ereignisse im Oktober/November 1918 zeigen
sollten.
Erinnerung und Gedenken an die Unruhen vom Sommer 1917 und ihre Opfer setzen erst sehr viel später ein. 1947 wurde das Berliner Tirpitzufer in Reichpietschufer
umbenannt, an dem heute auch das Verteidigungsministerium liegt. Köbis und
Reichpietsch stellten auch einen wichtigen Teil der Traditionslinie der Volksmarine
der NVA dar. Erst 1999 wurde in Kiel ein Platz nach Reichpietsch benannt. Auf dem
Gelände des Luftwaffenamtes in Köln-Wahn steht heute ein Gedenkstein für die
dort hingerichteten zwei Matrosen.
Christian Jentzsch
12
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
lich an Bord des in einem Dock liegenden Linienschiffes »König« (28 000 t,
etwa 1200 Mann Besatzung) kam es
morgens vor der üblichen Flaggenparade zu einem blutigen Zwischenfall,
als der Kommandant, Kapitän zur See
Karl Weniger, mit einigen Offizieren
die von ihm vorzeitig gesetzte Kriegsflagge verteidigte. Zwei seiner Offiziere wurden durch Gewehrschüsse
von Land aus tödlich verletzt. Der
ebenfalls schwer verwundete Weniger
erschoss noch einen Obermatrosen, als
dieser versuchte, die Kriegsflagge niederzuholen, und brach dann bewusstlos zusammen. Dieser Zwischenfall ist
in zweierlei Hinsicht bemerkenswert:
Weniger war der einzige Kommandant
der gesamten Hochseeflotte, der in diesen kritischen Tagen das Setzen der
roten Flagge unter Einsatz seines Lebens zu verhindern suchte. Dieses singuläre Verhalten zeigt, dass das übrige
Offizierkorps offensichtlich bereits
weitgehend resigniert und jegliche Initiative und Führungskraft verloren
hatte. Es war nicht mehr bereit, sich für
die bisherigen Ideale, wie Monarchie
und »Flaggenehre«, einzusetzen. Zum
anderen ist hervorzuheben, dass bei
den Mannschaften und Soldatenräten
kein Rachegefühl mit Selbstjustiz aufkam, obwohl Weniger einen Matrosen
getötet hatte. Der Soldatenrat veranlasste vielmehr den Abtransport der
Verwundeten in das Lazarett und unternahm auch später nichts gegen Weniger, als dieser wieder genesen war.
Die Ereignisse in Wilhelmshaven
Nachdem in Wilhelmshaven die Kieler
Vorgänge bekannt geworden waren,
erlosch auch hier die letzte Befehlsgewalt der Offiziere. Am 5. und 6. November verließen die Mannschaften
ihre Schiffe, zogen gemeinsam mit
Werftarbeitern in Demonstrationsmärschen durch die Stadt und befreiten
ihre Kameraden aus den Arrestanstalten, ohne auf ernsthaften Widerstand zu stoßen. Als der Chef der Marinestation, Admiral Günther von Krosigk, erkannte, dass ihm keine Machtmittel mehr zur Verfügung standen,
verhandelte er umgehend mit einer
Abordnung der Mannschaften und
übermittelte ihre Forderungen, die
noch keine politische Zielsetzung hat-
Süddeutsche Zeitung Photo
5 Ein Matrose der Hochseeflotte mit einer roten Fahne an der Spitze eines Demon­stra­­
tionszuges in Berlin, November 1918.
Zeit existierte und von der neuen provisorischen Regierung in Berlin, dem
Rat der Volksbeauftragten, nicht anerkannt wurde.
Ruhe in Kiel, Revolution in
Deutschland
Obwohl die revoltierenden Mannschaften die rote Fahne zu ihrem Symbol erhoben hatten und ihnen die
Macht in Kiel ohne große Kraftanstrengung in den Schoß gefallen war, blieben ihre ersten spontanen politischen
und militärischen Forderungen gemäßigt: Die Matrosen forderten zwar die
Abdankung der Hohenzollern, doch
Süddeutsche Zeitung Photo
ten, an die Reichsregierung. Nach
Übernahme der vollziehenden Gewalt
durch einen Arbeiter- und Soldatenrat
(21er-Rat) am 7. November konnte der
Stationschef zwar in seiner Dienststellung verbleiben, musste aber den sozial­
demokratischen Vorsitzenden des 21erRates, den Oberheizer Bernhard Kuhnt,
als politischen Beigeordneten akzeptieren.
Bei den übrigen Kommando- und
Verwaltungsbehörden der Marine lief
der Dienstbetrieb unter Aufsicht des
21er-Rates weiter. Im Laufe der weiteren Entwicklung kam es am 11. November in Wilhelmshaven zur Ausrufung einer »Republik Oldenburg-Ostfriesland«, die allerdings nur kurze
dachten sie anfangs weder an die Errichtung einer Republik noch gar an
die Einführung des Sozialismus. Militärische Führungsprobleme, wie »sachgemäße Behandlung der Mannschaften
durch Vorgesetzte«, standen im Mittelpunkt ihrer ersten Forderungen.
Nachdem Noske bereits am 5. November in Kiel festgestellt hatte, dass
es eine zentrale Führung der Revolte
und Streikbewegung nicht gab, fiel
ihm wegen seines energischen Einsatzes für Ordnung und Disziplin die
Leitung wie von selbst zu. Es gelang
ihm am 7. November, Souchon zum
Rücktritt zu bewegen und mit Unterstützung des Soldatenrates als Gouverneur die gesamte Befehls- und Regierungsgewalt in Kiel zu übernehmen.
Aufgrund seiner Tatkraft, seines Elans
und persönlichen Einsatzes verschaffte
er sich in kurzer Zeit sowohl bei den
Mannschaften und Arbeitern als auch
bei den Offizieren die notwendige Autorität, um in Kiel wieder halbwegs geordnete Zustände herzustellen, die für
die kurzfristige Erfüllung der Waffenstillstandsbedingungen, d.h. vor allem
für die Überführung großer Teile der
Hochseeflotte nach Scapa Flow, erforderlich waren. Noske »bildete gewissermaßen die Klammer zwischen den
verschiedenen Kräften des neuen Systems, [er] war aber auch das entscheidende Bindeglied zu den Exponenten
der alten Ordnung« (Dähnhardt). Allerdings hatten bereits zahlreiche Angehörige der Marine inzwischen die
Stadt verlassen und die Unruhen auf
andere Teile des Reiches übertragen.
Die Wellen der Revolution erreichten
eine Stadt nach der anderen, am 9. November auch Berlin. Aus dem Kaiserreich wurde eine Republik.
 Werner Rahn
Lesetipps:
5Revoltierende Matrosen übernehmen die Schlosswache am Berliner Stadtschloss,
November 1918.
Dirk Dähnhardt, Revolution in Kiel. Der Übergang vom
Kaiserreich zur Weimarer Republik 1918/1919, Neumünster 1978.
Wolfgang Günther, Die Revolution von 1918/19 in Oldenburg, Oldenburg 1979.
Jörg Duppler und Gerhard P. Groß (Hrsg.), Kriegsende
1918. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, München 1999
(= Beiträge zur Militärgeschichte, Bd. 53).
Wolfram Wette, Gustav Noske. Eine politische Biographie. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt,
2. Aufl., Düsseldorf 1988.
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ullstein-bild – SV-Bilderdienst
Freikorps 1918–1920
Nach der Niederschlagung der
Münchner Räteregierung durch
­Freikorps werden gefangene Angehörige der »Roten Armee« durch
München abgeführt, Mai 1919.
W
aren die Freikorps der Jahre
1918 bis 1920 für die Weimarer Republik Fluch oder Segen? Einerseits stellten die Freiwilligenverbände in der prekären innenund außenpolitischen Situation der
ersten Hälfte des Jahres 1919 die Überlebensgarantie der republikanischen
Staatsform dar. Andererseits waren es
Freikorps, welche die Republik im
März 1920 durch die Unterstützung
des Kapp-Lüttwitz-Putsches an den
Abgrund brachten, und es waren ehemalige Freikorpssoldaten, die in den
1920er- und frühen 1930er-Jahren den
aktivistischen Kern jener paramilitärischen Wehrbewegung bildeten, die
maßgeblich zur inneren Auflösung der
Republik beitrug.
Doch eine echte Alternative zum
Freikorpssystem gab es vor dem Hintergrund von Revolution und der rasanten Auflösung des Feldheeres nicht.
In den Wochen nach dem 9. November
1918 konnte kein neues, gar republikanisches Militärsystem eingeführt werden. Auf lokaler Ebene, in den Kasernen und Garnisonsstädten wurden bereits seit Ende November Freiwillige
für militärische Einheiten angeworben.
Als das preußische Kriegsministerium
am 24. Dezember 1918 die Generalkommandos anwies, die Aufstellung
von Freiwilligenverbänden mit allen
14
Republikschützer oder
Terroristen?
Die Freikorpsbewegung
in Deutschland nach
dem Ersten Weltkrieg
Mitteln zu fördern, hatte die paramilitärische Selbstmobilisierung »von unten« bereits eine beachtliche Dynamik
entwickelt. Diese Dynamik bestimmte
die Entscheidungen der Übergangsregierung des Rats der Volksbeauftragten, der sich aus Vertretern von SPD
und USPD zusammensetzte, und der
Obersten Heeresleitung (OHL).
Anwerbung von Freiwilligen
Bereits Mitte Dezember wurden reichsweit in Bahnhöfen, Gasthäusern oder
Hotels Freiwilligenannahmestellen ein­
gerichtet. An Litfaßsäulen und Hauswänden warben Werbeplakate für Freikorpsformationen. Deren Aufstellung
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
selbst lief, wie Reichswehrminister Gus­
tav Noske später zugestand, »nicht anders als bei Wallenstein« ab: Ein pro­
minenter Frontoffizier, beispielsweise
der »Held von Verdun« und Pour-le­Mérite-Träger Hauptmann Cordt von
Brandis, quartierte sich in einem Gasthaus oder einer Garnison ein, schrieb
seine Kriegskameraden an und bat
diese darum, in sein Freikorps einzutreten, das in aller Regel den Namen
des Gründers erhielt. Um die Verbände
mit Mannschaften aufzufüllen, wurden
Handgelder gezahlt, wobei es nicht
ausblieb, dass Freiwillige innerhalb
weniger Tage bei mehreren Freikorps
das Handgeld abgriffen. Verpflichtet
wurden die Geworbenen – ehemalige
Frontsoldaten, aber auch viele Stu-
denten und sogar Oberschüler – per
Handschlag; teils legten sie ein Treuegelöbnis auf die Republik ab, häufiger
aber auf die Person des Freikorpsführers. Doch so archaisch dieses Mobilisierungssystem auch anmutet, in der
historischen Situation der Jahreswende
1918/19 erwies es sich als ungemein
wirkungsvoll. Bis Januar 1919 bestanden bereits über 50, bis Mai 1919 über
120 Freikorps, die insgesamt 200 000
bis 250 000 Mann umfassten.
Grenzschutz gegen Polen
ullstein-bild – Archiv Gerstenberg
Als Katalysator dieser Selbstmobilisierung wirkten noch im Dezember 1918
weniger die innenpolitischen Spannungen zwischen Mehrheitssozialdemokraten und der radikalen Linken als
vielmehr die Gefahr für die Ostgrenze
des Reiches. Die Expansion des neugegründeten Nationalstaates Polen in die
preußischen Provinzen Posen, Westpreußen und Oberschlesien mit ihren
starken polnischen Minderheiten wurden als Bedrohung empfunden. Im Dezember entbrannte dort ein guerillaähnlicher Kleinkrieg zwischen deutschen Freiwilligenverbänden und polnischen Aufständischen, der Ende des
Jahres zu einem offenen paramilitärischen Krieg eskalierte. Mit dem sogenannten Posener Aufstand vom 25. Dezember 1918, der 40 Tote kostete und in
den folgenden Wochen große Teile der
Provinz Posen unter polnische Kon-
5»Schützt die Heimat! Tretet ein in die
Freikorps des Generalkommando Lüttwitz oder den Grenzschutz Ost!« So der
Aufruf 1919.
trolle brachte, schufen polnische Na­tio­
na­listen vollendete Tatsachen.
Die Reaktion der Regierung unter
Reichskanzler Friedrich Ebert war ein
Aufruf zur Bildung von Freiwilligeneinheiten zum Grenzschutz im Osten
vom 9. Januar 1919. Die neu formierten
Truppenkörper bestanden zwar, wie es
der in Ostpreußen eingesetzte General
Otto von Below formulierte, größtenteils aus »Strauchdieben und Schmugglern«, vermochten aber bis Februar
eine geschlossene Frontlinie aufzubauen und Teile der Provinz Posen zurückzuerobern. Die Lage im Osten verbesserte sich Anfang Februar 1919 auch
dadurch, dass die noch immer bestehende OHL die Führung des Ostschutzes übernahm und dazu von Kassel in das hinterpommersche Kolberg
übersiedelte. Doch zur von den Freikorps ersehnten Rückeroberung Posens und Westpreußens kam es nicht.
Mitte Februar erzwangen die Alliierten
einen Waffenstillstand zwischen Deutschen und Polen und drohten für den
Fall einer deutschen Ablehnung mit
einem Einmarsch in Deutschland. Die
Freikorpsangehörigen im Osten beklagten das Einlenken der deutschen
Regierung als »Verrat« und »Feigheit«.
Hier zeichnete sich bereits die Auflösung der »Einheitsfront« zwischen republikanischer Regierung in Berlin
und der alten und neuen militärischen
Elite ab, die sich in den ersten Einsätzen der Freikorps manifestiert hatte.
Im Reichsinneren, bei der Niederschlagung linksrevolutionärer Aufstände,
blieb diese »Einheitsfront« jedoch noch
bis in das Frühjahr 1919 hinein gewahrt.
Einsatz im Inneren
Zeitgleich mit dem Posener Aufstand,
Ende Dezember 1918, hatten sich die
Spannungen zwischen den Mehrheitssozialdemokraten und der radikalen
Linken entscheidend verschärft. Die
Berliner »Weihnachtskämpfe«, der Versuch der Regierung, das von der sogenannten Volksmarinedivision besetzte
Berliner Stadtschloss sowie den Marstall stürmen zu lassen, endete in einem
Debakel: Die Regierungstruppen wurden von Arbeitern und revolutionären
Matrosen entwaffnet und zersprengt.
Vor den Augen der Öffentlichkeit hatte
sich gezeigt, dass die SPD-/USPD-Regierung nicht einmal in der Hauptstadt
ihren Willen durchsetzen konnte. Die
Weihnachtskämpfe führten jedoch
auch zum Austritt der Unabhängigen
Sozialdemokraten aus dem Rat der
Volksbeauftragten, was die Handlungsfähigkeit dieser provisorischen
Regierung stärkte und vor allem die
Ernennung des Gouverneurs von Kiel,
des SPD-Politikers Gustav Noske, zum
»Volksbeauftragten für Heer und Marine« ermöglichte.
Mit Noske hatte sich Regierungschef
Ebert für eine harte Linie gegenüber
der radikalen Linken entschieden, und
Noske enttäuschte die »Erwartungen«
Eberts nicht. Berührungsängste mit der
alten Militärelite des Kaiserreichs plagten Noske nie. So ließ er Anfang Januar
1919 die Freikorpswerbungen intensivieren und Freikorps um das weitgehend von »Spartakisten« genannten
Kommunisten kontrollierte Berlin
­herum zusammenziehen. Den Schritt
zum offenen Bürgerkrieg machten allerdings am 6. Januar Unabhängige Sozialdemokraten und Kommunisten,
die einen Revolutionsausschuss konstituierten, die Regierung Ebert für abgesetzt erklärten und das Regierungsviertel sowie die Berliner Kasernen gewaltsam zu stürmen versuchten. In
den folgenden Tagen entbrannten in
ganz Berlin Kämpfe, wobei das regierungstreue Freikorps des Oberst Wilhelm Reinhard seine Schlüsselposi­
tionen zu halten vermochte. Die Wende
leitete am 10. Januar der Einmarsch des
Freikorps Potsdam ein, das überwiegend aus ehemaligen Angehörigen der
Garderegimenter bestand. Das Freikorps Potsdam stürmte am 11. Januar
mit Artillerieunterstützung das besetzte Verlagsgebäude des »Vorwärts«
und nahm zusammen mit dem Freikorps Reinhardt das schwer umkämpfte Polizeipräsidium am Alexanderplatz ein. »Einer muss der Bluthund
sein«, so Noske über seine Rolle. Am
13. Januar ließ er die um Berlin bereitstehenden übrigen Freikorps in die
Hauptstadt einrücken. Freikorpsoffiziere waren am 15. Januar an der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl
Liebknechts beteiligt.
Die Bilanz dieser als »Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes« bekannt gewordenen Aktion war für die
Linksradikalen verheerend: Verlusten
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Freikorps 1918–1920
Jahren in der Geschichtswissenschaft
auf besondere Aufmerksamkeit gestoßen ist: ihre Neigung zu extremer Gewalt. Diese lässt in der Tat auf ein kompromissloses Freund-Feind-Denken
schließen, das, wie in der jüngeren Forschung behauptet, als eine der Kontinuitäten zwischen den Freikorps und
nationalsozialistischen Organisationen
wie der SA gelten kann. Dennoch muss
man differenzieren: nicht alle der
250 000 Freikorpsmänner waren »weiße
Terroristen«, die aus ideologischen
oder, wie der Kulturtheoretiker Klaus
Theweleit argumentiert hat, psychopathologischen Gründen mordeten und
folterten. Die Mehrzahl leistete in den
Freikorps einen, soweit die Umstände
dies zuließen, ›normalen‹ Militärdienst,
motiviert stärker durch die Aussicht
auf regelmäßigen Lohn als durch radikalnationalistische Überzeugungen.
Allerdings hatte die Freikorpsbewegung einen radikalen Kern, dessen Angehörige nicht nur die Republik, sondern auch die bürgerliche Gesellschaft
und deren Werte scharf ablehnten, einen »soldatischen Nihilismus« kultivierten und nach 1920 nur noch sehr
eingeschränkt in die Zivilgesellschaft
integrierbar waren. Dieser radikale
Kern der Freikorpsbewegung aber war
ganz überwiegend geprägt durch den
Einsatz auf dem dritten Schauplatz des
»deutschen Nachkriegs«: durch den
Einsatz im Baltikum.
ullstein-bild – histopics
von acht Mann der Freikorps standen
200 getötete Aufständische gegenüber.
Doch das war erst der Anfang; noch erheblich blutiger verliefen die Berliner
Märzkämpfe, auch »Berliner Blutwoche« genannt, in deren Verlauf die Freikorps nicht nur Artillerie, sondern
auch Flugzeuge, Panzerwagen und Minenwerfer einsetzten und denen 75
Freikorps-Angehörige und 1200 Arbeiter und Revolutionäre zum Opfer fielen. Im Februar und März gingen Freikorps vor allem im Ruhrgebiet und in
den mitteldeutschen Industriegebieten
mit großer Härte gegen die roten »Si­
cher­heitswehren«, Streiks der Arbeiterschaft oder schlicht Hungerunruhen
vor. Den Höhepunkt der Freikorps-Gewaltexzesse bildete die Niederschlagung der Münchner Räterepublik unter anderen durch die Freikorps Epp
und Oberland im April und Mai 1919
mit über 550 durch »scheußlichste Bürgerkriegsgräuel« (Hagen Schulze) Ermordeten, wobei die Ermordung von 21
unbeteiligten katholischen Hand­werks­
gesellen sogar internationale Proteste
auslöste.
Das durchgängig zu beobachtende
extreme Missverhältnis von getöteten
Freikorps-Soldaten und Arbeitern beziehungsweise Aufständischen und
die Gräueltaten wie Misshandlungen
und Verstümmelungen von Gefangenen weisen auf einen Aspekt des Freikorpswesens hin, der seit den 1980er-
5Das Plakat von 1918 warb für das Freikorps Hülsen.
16
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
Einsatz im Baltikum
Der Kampf deutscher Freikorps im Baltikum beruhte auf gemeinsamen Interessen zwischen den alliierten Siegermächten und der deutschen Regierung: Beiden ging es darum, dem Vormarsch der Roten Armee im Russischen
Bürgerkrieg in das Baltikum etwas entgegenzusetzen. Seit Januar strömten,
gelockt durch die Versprechungen der
halbstaatlichen »Baltischen Werbestelle«, denen zufolge jeder BaltikumFreiwillige für seinen Dienst ein Anrecht auf Siedlungsland in Lettland erhalten sollte, Tausende von Freiwilligen nach Norden über die ostpreußische
Grenze. Ende Februar standen 40 000
Mann an der sogenannten KurlandFront und Anfang März 1919 begannen
die »Eiserne Division« unter Major
Josef Bischoff, die Baltische Landeswehr und die 1. Garde Reservedivision
mit der Eroberung Lettlands, wobei sie
die Weisung der Reichsregierung, die
ostpreußische Grenze zu schützen,
sehr weitgehend auslegten. Am 22. Mai
1919 konnte die lettische Hauptstadt
Riga erobert werden. Der Befehlshaber
der Kurlandfront, General Graf ­Rüdiger
von der Goltz, träumte bereits von
einem deutschen Baltikum, von dem
aus die »nationale Wiedergeburt« eingeleitet werden sollte.
So unrealistisch derartige Pläne auf
der Grundlage einer Streitmacht von
gerade einmal 40 000 Mann auch waren, so verheerend wirkte sich die deutsche Freikorps-Kriegführung zwischen
April und November 1919 auf die lettische Zivilbevölkerung aus. Denn gerade bei den »Baltikumern« handelte
es sich um nichts anderes als um den
»kriminellen Bodensatz der wilhelminischen Armee« (Boris Barth). Hatten
die Freikorps in den preußischen Ostprovinzen und im Reichsinneren bereits eher Landsknechtshaufen als militärischen Einheiten geähnelt, so kann
man für das Baltikum nur noch von einer schwer kontrollierbaren Soldateska
sprechen. So geriet der Baltikumkrieg
zu einem »Krieg ohne Fronten«, zur
völligen Auflösung der Grenzen zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten, wahllosem Requirieren,
Plündern und Brandschatzen. Allein
bei der Eroberung Rigas am 22. Mai
1919 kamen über 7000 Zivilisten ums
Leben.
ullstein-bild – Archiv Gerstenberg
5 Reichswehrminister Gustav Noske (mit Hut) bei der Besichtigung der Truppen des Freikorps Hülsen, das während der Revo­
lutions­kämpfe in Berlin zum Einsatz kam.
Gegen die Republik und gegen
­Aufstände von links
Es passt in das Bild, dass dieser »Krieg
nach dem Krieg« mit einer Meuterei
endete. Im Oktober 1919 verweigerte
Major Bischoff den unter dem Druck
der Alliierten ausgesprochenen Rückzugsbefehl. Als die Reste der »Eisernen
Division« im Dezember 1919 dennoch
die ostpreußische Grenze überschritten und der Baltikumkrieg beendet
war, zeigte sich die Reichsregierung
großzügig und verzichtete auf eine
Verfolgung der Meuterer. Indes nutzte
die Großzügigkeit wenig. Bei der
nächsten Gelegenheit, dem Kapp-Lüttwitz-Putsch im März 1920, wandten
sich die verbliebenen Freikorps geschlossen gegen die Republik. Dieser
dilettantisch vorbereitete Staatsstreich
scheiterte vor allem am passiven Widerstand der Beamtenschaft, weniger
an dem von der Reichsregierung am
17. März ausgerufenen Generalstreik.
Erneut zeigte sich jenes ambivalente
Verhältnis von Freikorps und Republik, als kurze Zeit später die Regierung wieder Freikorps einsetzte: zur
Niederschlagung der im Ruhrgebiet
aus dem Generalstreik gegen Wolfgang
Kapp erwachsenen linksrevolutionären Aufstände. Darunter befanden
sich auch jene Freikorps, die sich zuvor
mit ihren Waffen gegen die Republik
gestellt hatten.
Der »Ruhrkrieg«, auch »Ruhrkampf«
genannt, verlief aufgrund des hohen
Anteils von ehemaligen Frontsoldaten
in den Reihen der Arbeiterschaft für
die Revolutionäre zunächst durchaus
erfolgreich. Doch die Freikorps schlu­
gen gegen die »Rote Ruhrarmee« hart
zurück, die Gewalt eskalierte in einem,
zumindest im Reichsgebiet, bisher unbekannten Ausmaß. Die Worte eines
Angehörigen der Brigade Epp, des Studenten Max Ziller, belegen dies: »Pardon gibt es überhaupt nicht. Selbst die
Verwundeten erschießen wir noch. Die
Begeisterung ist groß, fast unglaublich.
Unser Bataillon hat 2 Tote. Die Roten
200 bis 300. Alles, was in die Hände
kommt, wird mit dem Gewehrkolben
zuerst abgefertigt und dann noch mit
einer Kugel.«
Dieser Krieg sollte große Teile der
Arbeiterschaft dauerhaft von der Republik von Weimar entfremden ohne
dass die Republik dafür die Loyalität
der Rechten gewonnen hätte. Denn die
Auflösung der Freikorps unter alliiertem Druck im Frühjahr 1920 galt dem
»nationalen Lager« wiederum als
schlagendes Beispiel für die »Schwäche« der Republik und der »Erfüllungspolitiker«.
Freikorps-Mythos und Nationalsozialismus
Noch folgenreicher als die Freikorpsgewalt und die durch diese vertieften
Polarisierungen war die Erinnerung an
die Freikorps, wie sie in den sich im
Laufe der 1920er-Jahre zu Bestsellern
entwickelnden Memoiren einer Reihe
von prominenten Freikorpsangehörigen vorgegeben wurde. Dazu zählten
die Veröffentlichungen von Ernst von
Salomon (»Die Geächteten«), Kurt von
Heydebreck (»Wir Wehr-Wölfe«) und
des Generals von der Goltz (»Meine
Sendung im Baltikum«). Die Schaffung
des »Freikorps-Mythos« bildete gerade
für die Nationalsozialisten ein Propagandavorbild. Der »Freikorps-Mythos«
diente damit als publizistische Waffe
gegen die vermeintliche »schwächliche
Erfüllungspolitik« der Republik von
Weimar. Weniger die durchaus vorhandenen personellen Kontinuitäten
von den Freikorps zur SA als vielmehr
diese propagandistische Deutungsarbeit machten die Freikorpsbewegung
zu einem »missing link« zwischen dem
wilhelminischen Radikalnationalismus
und dem Nationalsozialismus.
 Rüdiger Bergien
Literatur
Boris Barth, Dolchstoßlegenden und politische Desintegration: Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten
Weltkrieg 1914–1933, Düsseldorf 2003 (= Schriften des
Bundesarchivs, 61)
Heinz Hürten, Der Kapp-Putsch als Wende: über Rahmen­
bedingungen der Weimarer Republik seit dem Frühjahr
1920, Opladen 1989
Hagen Schulze, Freikorps und Republik 1918–1920,
­Boppard a.Rh. 1966
Matthias Sprenger, Landsknechte auf dem Weg ins Dritte
Reich? Zu Genese und Wandel des Freikorps-Mythos,
Pader­born [u.a.] 2008
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
17
60 Jahre Völkermordkonvention
ullstein bild
4Anklagepunkt
Verbrechen
gegen die
Menschheit:
der Nürnberger
Hauptkriegsverbrecherprozess
1945/46.
60 Jahre Völkermordkonvention
M
it der Gründung der Vereinten Nationen (UN) begann
ein grundlegender Wandel
des Völkerrechts, der bis heute nicht
abgeschlossen ist. Seit dem Westfälischen Frieden von 1648 waren nur die
Beziehungen zwischen den Staaten
von völkerrechtlichem Interesse. Nach
innen konnten sie, zumindest theoretisch, uneingeschränkt souverän agieren. Dies wurde freilich im Laufe der
Zeit schon durch die immer dichter
werdenden internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen relativiert. Doch
für die engere politische Ebene blieb
das Souveränitätspostulat bestehen.
Die nach Beendigung des Zweiten
Weltkrieges geschaffenen UN bekräftig­
ten es ausdrücklich in Artikel 2 ihrer
Charta vom 26. Juni 1945. In eben diesem Dokument allerdings wurde es
auch erstmals völkerrechtlich relativiert, da bereits in Artikel 1 – also noch
vor dem Souveränitätspostulat – die
Achtung vor den Menschenrechten
und Grundfreiheiten für alle« als we-
18
sentliche Ziele der Organisation definiert wurden.
Der Holocaust als Jahrhundertverbrechen
Während noch über die Gründung der
UN beraten wurde, bestand unter den
»großen vier« alliierten Siegermächten
USA, UdSSR, Großbritannien, Frankreich und einigen Verbündeten bereits
Klarheit darüber, die Spitzen des nationalsozialistischen Deutschlands für
ihre im Inneren wie in den von ihnen
angegriffenen und besetzten Staaten
begangenen Verbrechen vor Gericht zu
stellen. Hierzu zählte auch der Völkermord an den europäischen Juden, der
unter dem Anklagepunkt »Verbrechen
gegen die Menschheit« (crimes against
humanity – häufig irreführend übersetzt als »Verbrechen gegen die
Menschlichkeit«) verhandelt wurde.
Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess endete mit der Urteilsverkündung am 1. Oktober 1946. Interes-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
santerweise spielte der Anklagepunkt
»Verbrechen gegen die Menschheit«
darin nur im Zusammenhang mit dem
Anklagepunkt »Kriegsverbrechen«
eine Rolle. Dennoch hatte sich die Erkenntnis Bahn gebrochen, dass ein
Schweigen über die Behandlung der
Juden durch das nationalsozialistische
Deutschland nicht tragbar war, weil es
einer Zustimmung zu diesen Verbrechen gleichgekommen wäre.
Die Völkermordkonvention
In der Folge kam es bereits im Dezember 1946 zu einer – rechtlich nicht bindenden – Resolution der UN-Vollversammlung, in der Völkermord (griechisch-lateinisch: Genozid) als ein völkerrechtliches Verbrechen bezeichnet
und mit den Zielen der UN für nicht
vereinbar erklärt wurde. Zu dieser Zeit
hatte schon ein eigens eingerichteter
Ausschuss des Generalsekretärs mit
der Ausarbeitung eines rechtlich bin-
5 Der deutsche Völkermord an den europäischen Juden: Opfer auf dem Weg in die
Gaskammern, Auschwitz-Birkenau 1944.
6 Deutsch-Südwestafrika 1905/06:
­Deutscher Marinesoldat bewacht eine
Gruppe von Frauen und Kindern in
einem Lager für Hereros..
ullstein bild
die geeignet sind, ihre körperliche
Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen;
d)Verhängung von Maßnahmen, die
auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind;
e)gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere
Gruppe.«
Zu bestrafen sind jedoch nicht nur
diese Handlungen, sondern auch die
Verschwörung sowie die öffentliche
Aufreizung zu ihrer Begehung, der
Versuch dazu oder die Teilnahme daran (Artikel III). Ferner wird in solchen
Fällen ausdrücklich zur Bestrafung
auch von regierenden Personen aufgefordert (Artikel IV) und betont, dass
im Falle von Genozid selbst in Auslieferungsverfahren nicht auf das ansonsten schützende Moment der »politi­
schen Straftaten« rekurriert werden
kann (Artikel VII). Für die Bestrafung
zuständig sein sollte entweder der
Staat, in dem die Taten begangen wurden, oder ein internationales Strafgericht – das es damals allerdings nicht
gab und für weitere 50 Jahre nicht geben sollte.
All dies darf als Ausdruck eines ernstlichen »Nie wieder!« gewertet werden,
von dem damals viele Menschen durchdrungen waren. Sie waren bereit, politische und rechtliche Konsequenzen aus
den Katastrophen des vergangenen halben Jahrhunderts zu ziehen.
ullstein bild
denden Dokumentes begonnen, das
dann am 9. Dezember 1948 von der
UN-Vollversammlung verabschiedet
wurde – die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (kurz: Völkermordkonvention). Es ist von weit mehr als nur symbolischem Wert, dass dieses Übereinkommen einen Tag vor der Verkündung
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erfolgte, die freilich den
angesprochenen Wandel des Völkerrechts seither weit mehr beeinflusst
hat.
Die Völkermordkonvention ist seit
dem 12. Januar 1951 (für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 22. Februar 1955) in Kraft und damit rechtlich verbindlich. Bis zum Mai 2008 hatten sie 140 Staaten ratifiziert. Die Definition von Völkermord, zu dessen
Verhütung und Bestrafung sich die
Mitgliedstaaten verpflichten, ist in Artikel II ausführlich niedergelegt: »In
dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen,
die in der Absicht begangenen wird,
eine nationale, ethnische, rassische
oder religiöse Gruppe als solche ganz
oder teilweise zu zerstören:
a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;
b)Verursachung von schwerem körperlichen oder seelischen Schaden
an Mitgliedern der Gruppe;
c)vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe,
Das 20. Jahrhundert als
­»Jahrhundert des Völkermords«
Bereits vor dem deutschen Völkermord
an den europäischen Juden und, oft
vergessen, den Sinti und Roma, war es
zu Genoziden oder genozidähnlichen
Taten gekommen. Dazu sind auch zahlreiche Vernichtungsaktionen der europäischen Kolonialmächte gegen indigene Bevölkerungsgruppen zu zählen.
Erinnert sei hier nur an das deutsche
Vorgehen gegen die Herero und Nama
im damaligen Deutsch-Südwestafrika
(heute Namibia) zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Den Aufstand eines Hererostammes im Jahr 1904 beantworteten
die deutschen Schutztruppen mit
einem drei Jahre dauernden Krieg gegen die Zivilbevölkerung, der schätzungsweise 60 000–70 000 Menschen
das Leben kostete. Die Überlebenden
wurden zum großen Teil in Lager verbracht, wo unter miserablen Lebensund Arbeitsbedingungen nochmals
rund die Hälfte der Gefangenen starb.
Ein ähnliches Vorgehen wurde um die
Jahrhundertwende auch Großbritannien im »Burenkrieg« gegen die südafrikanischen Siedler angelastet.
Lange Zeit mit dem Mantel des
Schweigens bedeckt blieb auch der türkische Völkermord an den Armeniern
im Ersten Weltkrieg. Im Zusammenhang mit der Schaffung eines türkischen Nationalstaates ab 1915 trat
die in Anatolien lebende armenische,
liberal geprägte, städtische Mittel-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
19
3 Der türkische Völker­
mord an den
­Armeniern:
Ermordeter
Armenier,
Istanbul
1915 oder
1916.
schicht in Opposition zu den türkischen Nationalisten, den »Jungtürken«. Daraufhin kam es zuerst zur Verhaftung und Folterung, dann zur Deportation von Armeniern im ganzen
Land. Während die Männer häufig außerhalb von Städten erschossen wurden, mussten Frauen und Kinder den
Weg in Lager antreten, die vor allem
am Rande der syrischen Wüste errichtet wurden. Die Überlebenden dieser
Todesmärsche fanden dort katastrophale hygienische Verhältnisse und einen eklatanten Mangel an Nahrungsmitteln vor. Insgesamt kamen bis zu
1,4 Millionen Menschen ums Leben.
Schon früh hatte das 20. Jahrhundert
das Etikett eines »Jahrhunderts des
Völkermords« bekommen. Nach der
Erfahrung des Holocaust sollte Genozid wo möglich verhindert, zumindest
dessen Begehen aber unter Strafe gestellt werden.
Unerfüllte Hoffnungen
Bereits zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Völkermordkonvention
zeichnete sich der beginnende Kalte
Krieg deutlich ab. Unter diesen Bedingungen einer Konfrontation der Supermächte waren weder die Schaffung
eines internationalen Strafgerichtes –
das von der Völkermordkonvention in
Artikel VI ausdrücklich vorgesehen
wurde – noch die Verabschiedung einer umfassenden Menschenrechtskonvention politisch durchsetzbar. Erst
1966 kam es zur Verabschiedung von
20
zwei Menschenrechtsübereinkommen,
dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie dem
Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.
Damit wurde die von US-Präsident
Franklin D. Roosevelt in seinen berühmten »vier Freiheiten« geprägte und
noch in der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte betonte Unteilbarkeit
der Menschenrechte praktisch unterlaufen. Während mit den Menschenrechtsverträgen der kommenden Jahre zu den
wichtigsten Themen auch eigene Vertragsausschüsse eingerichtet wurden,
die Staatenberichte und gegebenenfalls
auch Beschwerden über Vertragsverletzungen prüfen konnten, unterblieb die
Schaffung eines solchen Gremiums für
die Völkermordkonvention, die fortan
eher ein Schattendasein im Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Natio­
nen fristete.
So konnte das Grauen weitergehen.
Immer wieder sahen sich Minderheiten
völkermordähnlichen Taten der Herrschenden ausgesetzt, seien es indigene
Völker in Lateinamerika, seien es Minoritäten in den sich gerade entkolonialisierenden Gebieten Afrikas, die im
Westen gerne als bloße »Stammesfehden« verharmlost wahrgenommen
wurden. Den unrühmlichen Höhepunkt lieferte sicherlich der kambodschanische Staatschef Pol Pot mit seiner Vernichtungspolitik gegen das eigene Volk, der Millionen Menschen
zum Opfer fielen. Während sich die internationale Gemeinschaft auch in diesem Fall nicht zu einem Eingreifen aufgefordert sah, konnte schließlich Vietnam mit seinem militärischen Vorgehen gegen Kambodscha 1979 diese
Massaker beenden.
Ruanda und Bosnien
Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts
1989/91 schien es vielen Beobachtern
möglich, dass eine neue Weltordnung
entstand, in der auch den Menschenrechten endlich ein angemessener Rang
zukommen und Völkermord aus der
Geschichte verbannt werden würde.
Doch diese Hoffnungen wurden im
Verlauf der 1990er Jahre bitter enttäuscht. Während einige afrikanische
Staaten nach der Erlangung ihrer Unabhängigkeit eine Demokratisierungs-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
welle erlebten, flammten unter anderem in Liberia und in Somalia Bürgerkriege auf, in denen es zu völkermordähnlichen Taten gegen dortige
Minderheitsbevölkerungen kam. Im
ostafrikanischen Ruanda geschah,
praktisch unter den Augen der Vereinten Nationen, im Frühsommer 1994 ein
groß angelegter Völkermord an den
Tutsi und moderaten Angehörigen der
Hutu. Täter waren Hutu aus dem eigenen Land. Heute schätzen Experten,
dass schon eine kleine UN-Truppe mit
rund 5000 Soldaten ausgereicht hätte,
diesen Völkermord zu verhindern.
Doch kein Staat war bereit, den UN
diese Soldaten (und das nötige Geld)
zur Verfügung zu stellen.
Noch dramatischer gestaltete sich die
Lage auf dem Gebiet des ehemaligen
Jugoslawien. Seit Beginn der 90er Jahre
fand hier Völkermord statt, euphemistisch verbrämt als »ethnische Säuberung« – ein Ausdruck aus dem Wörterbuch des Unmenschen, der gleichwohl
rasante mediale Verbreitung fand und
häufig sogar ohne Anführungszeichen
benutzt wurde. Der Höhepunkt dieses
Genozids wird für immer mit dem Namen Srebrenica verbunden bleiben.
Dort hatten die UN eine Schutzzone für
Bosnier eingerichtet und mit Blauhelmsoldaten gesichert, die sich gleichwohl
nicht in der Lage sahen, ein Massaker
bosnischer Serben an 8000 bosnischmuslimischen Männern im Juli 1995 zu
verhindern. Es ehrt den ehemaligen
UN-Generalsekretär Kofi Annan, dass
er sowohl im Fall Ruanda als auch im
Fall Srebrenica das Versagen der Vereinten Nationen offen eingestanden
und öffentlich bedauert hat. Erneut hat6 Ruanda 1994: Schädel von ungefähr
5000 Tutsi, die im April 1994 auf dem Gelände einer Kirche getötet wurden. Extremistische Hutu töteten zwischen April und Juni
1994 während des Genozids an den Tutsi
schätzungsweise 800 000 Menschen.
ullstein bild
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60 Jahre Völkermordkonvention
ullstein bild
ten sich die UN nicht zur Verhütung
von Völkermorden in der Lage gesehen.
Doch sowohl mit Blick auf das ehemalige Jugoslawien als auch mit Blick
auf Ruanda konnte sich der UN-Sicherheitsrat nun dazu durchringen, die
Verantwortlichen für diese Taten strafrechtlich zu verfolgen und vor Gericht
zu stellen. Zwei Sondertribunale wurden eingerichtet, die in den letzten Jahren zahlreiche Urteile gefällt und das
Geschehene ausführlich dokumentiert
haben. Sie sind bis heute mit der Anklage und Bestrafung der Völkermörder befasst. Eine wichtige Vorgabe der
Völkermordkonvention wurde damit
erfüllt: Die Täter werden angeklagt
und vor ein internationales Gericht gestellt. Mit den beiden Sondertribunalen
wurde darüber hinaus an die internationalen Militärtribunale von Nürnberg
und Tokio angeknüpft.
Der Internationale
­Strafgerichtshof
Von der Menschenrechtsbewegung
schon lange gefordert, von immer mehr
Diplomaten und dann auch Regierungen unterstützt, wurde schließlich
ein ständiger Internationaler Strafgerichtshof (ICC) zur Behandlung der
schwerwiegendsten Menschenrechtsverletzungen geschaffen. Am 17. Juli
1998 wurde von einer Staatenversammlung das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs verabschiedet. Seit dem 1. Juli 2002 ist es in Kraft,
aktuell haben 105 Staaten das Statut ratifiziert – freilich weder die USA noch
Russland oder China. Seither hat der
ICC mit Sitz in Den Haag Anhörungen
zu Uganda, der Demokratischen Republik Kongo (früher Zaire) und neuerdings auch Darfur (Sudan) und Zentralafrika durchgeführt und inzwischen erste Anklagen erhoben sowie
Verfahren eröffnet. Laut Artikel 5 des
Römischen Statuts unterstehen seiner
Gerichtsbarkeit »Verbrechen des Völkermords, Verbrechen gegen die
Menschheit, Kriegsverbrechen und
Verbrechen der Aggression«, wenn
Staaten nicht willens oder nicht in der
Lage sind, selbst strafverfolgend tätig
zu werden. Die Vereinten Nationen haben also deutlich gemacht, dass Völkermord künftig, wie schon von der
Konvention 1948 vorgesehen, bestraft
4 Opfer des Massakers von Srebrenica.
werden wird. Doch auch die Verhütung von Genoziden ist in den letzten
Jahren verstärkt ins Zentrum der UNBemühungen gerückt. Insbesondere
der frühere Generalsekretär Kofi Annan hat sich dafür besonders engagiert,
gab es doch für ihn »kein wichtigeres
Thema und keine bedeutendere Verpflichtung als die Verhütung von Völkermord«. Und diesen Worten folgten
Taten. Zwar wurde Annans Vorschlag,
einen Ausschuss zur Verhütung von
Völkermord für die Vertragsstaaten
der Völkermordkonvention einzurichten, bisher noch nicht von den Staaten
in die Tat umgesetzt. Doch im engeren
Umfeld des Generalsekretärs kam es
zu einigen bemerkenswerten Reformen. So wurde das Amt eines Sonderberichterstatters für die Verhütung
von Völkermord geschaffen, das seit
2007 von dem sudanesischen Politikprofessor Francis Deng ausgeübt wird.
Ferner ernannte Annan einen Sonderberichterstatter für Prävention und
Konfliktlösung – den norwegischen
Diplomaten Jan Egeland.
Verantwortung der Völker­
gemeinschaft
Bereits im Jahr 2000 hatten die Vereinten Nationen, auf Vorschlag Kofi Annans und anschließende diplomatische
Initiative Kanadas, eine Internationale
Kommission über Intervention und staatliche Souveränität eingerichtet, die 2001
ihren Abschlussbericht »The Responsibility to Protect« vorlegte. Darin wurde
eine dreifache Schutzverantwortung der
internationalen Gemeinschaft propagiert: zur Prävention, zur Reaktion und
zum Wiederaufbau. Dabei liegt das
Hauptaugenmerk auf der Verantwortung zur Prävention; eine militärische
Reaktion soll nur im Ausnahmefall in
Übereinstimmung mit Kapitel VII der
UN-Charta und als das äußerste Mittel,
als ultima ratio, in Betracht gezogen
werden, wenn alle anderen Möglich-
keiten der Konfliktbeilegung fruchtlos
geblieben sind. Im 2004 veröffentlichten
Abschlussbericht von der von Annan
eingesetzten »Hochrangigen Gruppe
für Bedrohungen, Herausforderungen
und Wandel« wird diese Schutzverantwortung bereits als eine sich entwickelnde Norm bezeichnet, die immer
mehr Akzeptanz finde. Immerhin hat
der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1674 vom 28. April 2006 über den
Schutz von Zivilisten in bewaffneten
Konflikten erstmals explizit auf die
Schutzverantwortung Bezug genommen.
In den vergangenen Jahren ist die
Völker­mordkonvention praktisch zu
neuem Leben erwacht. Endlich nehmen
die Vereinten Nationen und zahlreiche
ihrer Mitgliedstaaten den Konventionstext ernst, wonach Völkermord zu
verhüten und zu bestrafen sei. Dabei
sind auf dem Gebiet der Bestrafung bis
heute mehr Fortschritte erkennbar als
im Bereich der Verhütung. Das geht bis
hin zu der paradoxen Situation, dass
der Internationale Strafgerichtshof bereits gegen sudanesische Völkermörder
ermittelt, während dort, in der westsudanesischen Provinz Darfur, der Genozid seit 2003 unvermittelt weitergeht.
Dazu noch einmal Kofi Annan: »Als internationale Gemeinschaft haben wir
die klare Verpflichtung, Völkermord zu
verhüten. Ich glaube, dass wir gemeinsam die Macht dazu haben. Die Frage
ist: Haben wir auch den Willen dazu?«
 Franz-Josef Hutter
Literaturtipps
Kofi Annan, Verhütung von Völkermord. In: Jahrbuch
Menschenrechte 2005, S. 259–262
Wolfgang Benz, Ausgrenzung, Vertreibung, Völkermord.
Genozid im 20. Jahrhundert, München 2006
Andrea Böhm, Der Wille zur Vernichtung. In: Franz-Josef
Hutter und Carsten Kimmle (Hrsg.), Das uneingelöste Versprechen. 60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Karlsruhe 2008, S. 181–189
Dominik J. Schaller, Rupen Boyadjian, Vivianne Berg und
Hanno Scholtz (Hrsg.), Enteignet, Vertrieben, Ermordet.
Beiträge zur Genozidforschung, Zürich 2004
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21
Das historische Stichwort
ullstein bild
Service
Hundert Jahre Motorflug in Deutschland
A
m 28. Oktober 1908 absolvierte
der Flugpionier Hans Grade
auf dem Cracauer Anger in
Magdeburg den ersten deutschen Motorflug. Er legte mit seinem selbst konstruierten Dreidecker eine Flugstrecke
von ca. 100 Meter zurück, die Flughöhe
betrug acht Meter. Das Unternehmen
endete mit einer Bruchlandung. Der
1879 in Pommern geborene Ingenieur,
der von 1900 bis 1904 an der Technischen Hochschule Charlottenburg
studiert hatte, ließ sich dadurch jedoch
nicht entmutigen. Er konstruierte und
flog weiter. Im Jahre 1909 übersiedelte
er nach Bork in der Mark (heute Borkheide) und errichtete dort eine Flugzeug- und Motorenfabrik, ein Flugfeld
sowie eine Flugschule. Für seine Pioniertaten gewann Grade im Oktober
1909 den mit 40 000 Mark ausgelobten
»Lanz-Preis der Lüfte«. Dieser Preis
war von dem Mannheimer Industriellen Karl Lanz für das erste in Deutschland von einem Deutschen konstruierte und geflogene Flugzeug ausgeschrieben worden. Das dabei verwendete Material musste ebenfalls aus
deutscher Produktion stammen. Es
galt, zwei 1000 Meter voneinander entfernt liegende Markierungen fliegend
in Form einer Acht zu umrunden und
wieder zu landen. Hans Grade schaffte
dies auf dem Flugplatz Johannisthal
bei Berlin mit einem Eindecker in zwei
Minuten und 43 Sekunden. Am nächsten Tag gelang ihm sogar eine mehrmalige Umrundung in einer Flughöhe
von 70 Metern und einer Flugzeit von
sieben Minuten.
Flugpioniere
Hans Grade wurde mit einem Schlag
berühmt, vollführte Schauflüge über
Hamburg, Bremen, Breslau, Nizza und
Kairo. Hans Grade und der Darmstädter Flugpionier August Euler (1868–
1957) erhielten schließlich 1910 die ersten deutschen Fluglizenzen.
Aus heutiger Sicht muten die Konstruktionen Hans Grades abenteuerlich an. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass es sich dabei um
22
5 Hans Grade (1879–1946) mit seinem Dreidecker, mit dem der Flugpionier am 28. Oktober
1908 in Magdeburg zum ersten deutschen Motorflug abhob.
Die Frühzeit der
Fliegerei bis 1914
»High Tech« Anno 1908 handelte. Zur
Zeit des Erstfluges von Hans Grade
steckte die gesamte Fliegerei noch in
den Kinderschuhen. Gerade einmal 17
Jahre waren vergangen, seitdem Otto
Lilienthal nach Hunderten von Beob­
achtungen und Versuchen im Großraum Berlin/Brandenburg mit seinen
Gleitflügen begonnen hatte. Er hatte
theoretisch und praktisch die Grundlagen der Aerodynamik erforscht und
erprobt. Die Brüder Wilbur und Orville Wright nahmen seine 1889 in Berlin formulierten Gedanken »Der Vogelflug als Grundlage der Fliegerkunst«
auf und begannen mit dem Bau von
Gleitern, in die sie ein Triebwerk einbauten. So konnten sie am 17. Dezember 1903 – knapp fünf Jahre vor Hans
Grade – in Kitty Hawk/North Carolina
zu ihrem ersten Motorflug starten.
In den folgenden Jahren verbesserten
die Brüder Wright ihre Konstruktionen
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
und gelangten zum Erfolg, aber zunächst nicht in den USA, sondern im
renn- und geschwindigkeitsverliebten
Frankreich. Die Wrights produzierten
und verkauften in Frankreich und
Deutschland mehr Flugzeuge als in
den USA. Die Sucht nach Geschwindigkeit und die Euphorie für Rennen
mit Fahrrädern, Motorrädern und Automobilen förderten den Siegeszug der
frühen Fliegerei. Schließlich tat die auflagenstarke Presse ein Übriges, die
breite Masse für die Fliegerei zu begeistern. Flugshows waren entsprechend
gut besucht, es entwickelte sich eine regelrechte Andenken- und Filmindustrie rund um die Fliegerei. Zahlreiche
Vereine wurden ins Leben gerufen,
Vorträge gehalten, Sammlungen und
Ausstellungen in ganz Deutschland
gezeigt. Zu nennen sind etwa die Gründung des Deutschen Museums in München 1903 und die erste Internationale
ullstein bild
Luftschifffahrts-Ausstellung (ILA) in
Frankfurt a.M., die vom 10. Juli bis
17. Oktober 1909 ihre Pforten geöffnet
hatte.
Die ersten Flugpioniere starteten und
landeten unweit großer Städte auf
ebenem grasbewachsenen Gelände
ohne festgelegte Startbahnen. Hierzu
boten sich die Exerzierplätze der örtlichen Garnisonen an: Cracauer Anger
(Magdeburg), Tempelhofer Feld (Berlin), Bornstedter Feld (Potsdam), Oberwiesenfeld (München) und Griesheimer Sand (Darmstadt).
Bald entstanden die ersten festen
Flugplätze, die von Flugzeugfirmen
oder von Gesellschaften mit beschränkter Haftung betrieben wurden,
so etwa Darmstadt-Griesheim (August
Euler), Borkheide (Hans Grade), Puchheim bei München oder Johannisthal
bei Berlin. In der Nähe Johannisthals,
in Adlershof, wurde ab 1912 die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt eingerichtet.
Militärisches Interesse
Deutschlands Militär nutzte den Luftraum bereits seit 1884/87 durch Luftschiffertruppen, die mit Gasballonen
ausgestattet waren. Später kamen Luftschiffe der Marken Zeppelin, SchütteLanz und Parseval hinzu. Als am
21. August 1908 das Luftschiff »LZ 4«
des Grafen Ferdinand von Zeppelin bei
Echterdingen »zerschellte«, wurde ein
öffentlichkeitswirksamer Aufruf zur
»Zeppelinspende des deutschen Volkes« gestartet, damit die Luftschifffahrt weitergehen konnte. Auch die
Motorfliegerei fand früh das Interesse
der bewaffneten Macht. Zunächst
stand hier allerdings noch die zivile
Entwicklung im Vordergrund.
5August Euler (1868–1957) mit Prinz Heinrich von Preußen (links) vor einem Zweidecker.
Aufnahme undatiert, veröffentlicht 1928.
Spätestens der spektakuläre Flug von
Louis Blériot von Calais nach Dover
1909 machte allen Beteiligten klar, dass
es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis
das Flugzeug ein ernsthaftes Kriegsmit­
tel sein würde. Die ersten Offiziere wur­
den ab 1910 zu Piloten ausgebildet. Sie
schulten zunächst in zivilen Fliegerschulen, so bei Hans Grade, August
Euler oder Gustav Otto. Ziel war es, einen Stamm von Fliegeroffizieren heran­
zuziehen, um eine eigene Fliegertruppe
aufstellen und ausbilden zu können.
Auf dem Truppenübungsplatz Döberitz bei Berlin und in Schleißheim bei
München entstanden ab 1910/12 die
ersten Militärflugplätze in Deutschland.
Im Jahre 1911 fand im italienisch-türkischen Krieg der erste Bombenangriff
der Weltgeschichte statt. Aus einer
»Rumpler-Taube«, einem der ersten in
größerer Stückzahl gebauten Flugzeugmodelle, warfen die zwei Mann
Besatzung kleine handliche Bomben
auf Tripolis ab. Deutschland entdeckte
öffentlichkeitswirksam, dass es hinsichtlich der Zahl an Flugzeugen dem
Nachbarn Frankreich unterlegen war.
ullstein bild
Hans Grade im Flug mit seinem selbst
konstruierten Eindecker, mit dem er 1909
den »Lanz-Preis der Lüfte« ­gewann.
Die Folge war der Aufruf zur »National-Flugspende« von 1912, die 7,25 Mil­
lio­nen Mark erbrachte. Diese Gelder
ermöglichten es, bis Kriegsbeginn 817
deutsche (Militär-)Piloten auszubilden.
Die Fliegertruppe nahm vor dem Ersten Weltkrieg an den Manövern und ab
1911 sogar an den »Kaisermanövern«
teil. Einige der Wettflüge dieser Zeit,
wie etwa die »Prinz-Heinrich-Flüge«,
waren getarnte Manöver, in denen die
Aufklärung geübt wurde.
Der Flugpionier Hans Grade selbst
geriet trotz weiterer Rekordflüge mit
seinen eigenwilligen leichten Eindecker-Konstruktionen ins Hintertreffen.
Seine Maschinen wurden vom Militär
nicht akzeptiert. Die Firma Rumpler
und die Doppeldecker der Marken Albatros, Euler, Luft-Verkehrs-Gesellschaft (LVG), Otto und Wright machten hier das Rennen. Während des Ersten Weltkrieges fertigte Grade Flugzeuge in Lizenz und wartete sie. Nach
dem Krieg versuchte er sich mit mäßigem Erfolg als Automobilbauer.
Zwar betätigte sich Grade weiter als
Konstrukteur und Erfinder, doch
konnte er nie mehr an seine alten Erfolge anknüpfen. Er starb, von der Öffentlichkeit fast vergessen, 1946 in
Borkheide.
Zwei Maschinen der Flugbereitschaft
des Bundesministeriums der Verteidigung tragen heute die Namen der frühen Flugpioniere Hans Grade und August Euler. In Borkheide gibt es ein
Hans-Grade-Museum, ein Luftfahrtmuseum August Euler in DarmstadtGriesheim befindet sich im Aufbau.
 Harald Potempa
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
23
Service
Medien online/digital
Geschichte zum Hören
Geschichte zum Hören: Regime unter dem Hakenkreuz.
Hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung
2007, 6,00 Euro
Eine Weisheit Ciceros galt und gilt vielen Historikern bis heute als unumstößlich: »Was nicht in den Akten steht,
ist nicht auf dieser Welt.« Bereits seit
längerer Zeit misst man aber Tonaufnahmen als historische Quellen wieder
größere Bedeutung zu. Im Multimedia-Zeitalter und durch die unendlichen Möglichkeiten des Internets steigerten sich die Speicher- und Wiedergabemöglichkeiten.
Der Sender Freies Berlin (SFB)
strahlte 1983 im Hörfunk eine Sendereihe mit Aufnahmen aus der Zeit des
nationalsozialistischen Regimes aus,
insgesamt 25 Sendungen im Umfang
von jeweils knapp 50 Minuten. Dazu
wurden Aufnahmen aus dem Bestand
des Deutschen Rundfunkarchivs (DRA)
von Manfred Rexin mit Kommentaren
versehen.
24
Die Bundeszentrale für politische Bildung, das Deutschlandradio Kultur
und das DRA haben im Jahr 2007 die
Sendereihe auf einer CD-ROM herausgebracht. Dem Charakter einer Rundfunksendung ist es geschuldet, dass
auf der CD Originalaufnahmen und
Kommentare in einem starken Missverhältnis stehen. Den Tondokumenten
wurde deutlich zu
wenig Anteil eingeräumt, teilweise
wur­den sie stark gekürzt. So können sie
leider ihre Stärke,
ihre Authentizität,
nicht voll zur Geltung bringen. Andererseits bietet die
CD neben den Mitschnitten der Sendungen aus dem
Jahr 1983 zahlreiche
Hintergrundinformationen: alle Sendemanuskripte als
PDF-Dateien zum
Nachlesen, detaillierte Arbeitsblätter
und eine sehr umfangreiche, thematisch sortierte Literaturliste. Das Infor­
mationspaket macht
aus der CD einen
erstklassigen und
vielfältig nutzbaren
Helfer für die historische Bildung.
Nicht chronologisch aufgereiht, sondern thematisch geordnet zeichnen die
Tonaufnahmen ein eindrucksvolles,
weil unverfälschtes akustisches Bild
des NS-Regimes. Aus militärhistorischer Perspektive interessieren vor
allem die Kapitel »Generäle des Gefreiten« über die Wehrmacht vor 1939, den
Kriegsbeginn, das besetzte Europa
(»Vergewaltigte Völker«) und den Widerstand. Zu hören sind beispielsweise
die Rede Hitlers vom 1. September
1939 mit der berühmt-berüchtigten
Lüge vom »polnischen Angriff«, weswegen nun »zurückgeschossen werde«;
die düster-bombastische Fanfare vor
der Sondermeldung am 22. Juni 1941
zum Angriff auf die Sowjetunion und
ausgewählte Wehrmachtberichte des
Rundfunks. Die Reportagen der Propagandakompanien (PK) von der Ost-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
front beweisen, dass Teile der Wehrmacht die NS-Ideologie von »Herrenund Untermenschen« verinnerlicht
hatten und lauthals propagierten.
Eindrucksvolle Zeitdokumente sind
die Aufnahmen der Kriegsreporter aus
der Schlacht um Stalingrad, die Rede
Görings vom 30. Januar 1943, worin er
das Sterben der Soldaten im Kessel an
der Wolga mit dem Kampf der Nibelungen »bis zum letzten« gleichsetzte.
Im direkten Kontrast dazu werden
Feldpostbriefe aus Stalingrad verlesen
– vom »Verrecken, Verhungern und Erfrieren«: »Es ist ein viehisches Sterben.«
Nicht ausgespart wurde die Rundfunkansprache Hitlers vom 20. Juli
1944 nach dem gescheiterten Attentat,
in der er die Verschwörer als »ganz
kleine Clique dummer und verbrecherischer Offiziere« beschimpfte. Zu hören ist die Vernehmung von Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben vor
dem »Volksgerichtshof« 1944. Ein bedeutendes Zeitdokument ist die Rede
Witzlebens vom 2. August 1934, die er
als Kommandeur des Wehrkreiskommandos III hielt: Er pries die »Vermählung« der »Tugenden des alten Preußen und der soldatischen Pflichterfüllung« mit dem »Neuen« des Dritten
Reiches und schwor Hitler »auf Gedeih
und Verderb [...] unverbrüchliche Treue«.
Für das Ende des »Tausendjährigen
Reiches« im Frühjahr 1945 steht beispielhaft die Rede von Goebbels vom
11. März 1945 in Görlitz, in der er »neue
Divisionen, die zu Großoffensiven antreten werden«, herbeizureden versuchte. Das letzte Wort hat nach knapp
21 Stunden nochmals Hitler. In einer damals nicht veröffentlichten Rede im
kleinen Kreis in München hatte der Diktator 1938 schwadroniert, das deutsche
Volk habe die »Völkerwanderung [...],
einen Weltkrieg und eine Revolution
überlebt, es werde auch ihn [Hitler]
überleben«. Zu hören ist Gelächter.
ks
Heinrich Mann
Heinrich Mann, Der Untertan (Hörspiel), 5 CDs, 348 Min.,
München: Der Hörverlag 2006. ISBN 978-3-89940-912-3,
29,95 Euro
Heinrich Manns Roman »Der Untertan« ist eine der schärfsten literarischen
Analysen nationalistischer Politik im
Deutschen Kaiserreich der Jahrhun-
digital
Erich Maria Remarque
Erich Maria Remarque, Im Westen nichts Neues, 5 CDs,
367 Min., München: Der Hörverlag 2006. ISBN 97889940-680-1, 29,95 Euro
dertwende. Kurz vor Ausbruch des
Ersten Weltkrieges fertiggestellt, wurde
er 1971 unter der Regie von Ludwig
Cremer als Hörspiel bearbeitet, das seit
2006 auf fünf Audio-CDs als Hörbuch
im Hörverlag erhältlich ist.
Der Roman spielt in der Wilhelminischen Ära vor dem Ersten Weltkrieg.
Die Lebensgeschichte des Protagonisten Diedrich Heßling, grandios gesprochen von Heinz Drache, wird von
der Kindheit bis zu seiner sicheren Stellung in der fiktiven Heimatstadt Netzig dargestellt. Schnell wird dem Hörer Heßlings Doppelrolle als Tyrann
und Untertan deutlich: Heßling ist Untertan im menschenverachtenden, maschinellen Gehäuse des Wilhelminischen Imperialismus. Indem der
diese Rolle erwartungsgemäß ausfüllt,
erwirbt Heßling andererseits persönliche Macht und Ansehen als Fabrik­
besitzer und Familienoberhaupt. Hier
lebt er seine tyrannische Seite aus. Ehe,
Pflicht, Gottesfurcht und Sittlichkeit
werden als Tugenden in der Masse
hochgehalten und sind doch nur Fassade.
»Der Untertan« ist ein Schlüsselroman und gehört zu den besten deutschen Satiren des 20. Jahrhunderts. Unverwechselbar gelingt es Heinrich
Mann, den Zusammenhang zwischen
autoritärem Individualcharakter und
autoritärem Staat herauszuarbeiten.
Die feinsinnige Analyse gesellschaftlicher und politischer Mechanismen
sowie die Umsetzung als Hörspiel machen den »Untertan« zu einem empfehlenswerten Hörgenuss mit durchaus aktuellem Bezug.
ms
Mit »Im Westen nichts Neues« bietet
der Hörverlag einen weiteren literarischen Klassiker an, zeitlich und thematisch ebenfalls im Ersten Weltkrieg
angesiedelt. 2005 wurde der Roman als
Lesung von August Diehl vertont.
Erich Maria Remarque, der ab 1917
selbst an den blutigen Kämpfen an der
Westfront teilgenommen hatte, lieferte
damit einen wesentlichen Beitrag zur
Herausbildung des modernen AntiKriegsromans. Das Buch erschien
1928/29: Das Werk verfehlte seine Wirkung nicht und löste Ende der 1920er
Jahre eine Flut von Schriften in diesem
Genre aus, darunter Ernest Hemingways »A Farewell to Arms« (deutscher
Titel: »In einem anderen Land«).
In der autobiografisch inspirierten
Erzählung werden die Erlebnisse des
jungen Kriegsfreiwilligen Paul Bäumer
und seiner Frontkameraden während
des Ersten Weltkrieges geschildert.
Bäumer und seine Klassenkameraden
lassen sich anfänglich von der Kriegs­
euphorie anstecken und melden sich
von der Schulbank weg zum Frontdienst. Die Begeisterung wird ihnen
aber spätestens während der Ausbildung durch die Schikanen der als »Kasernenhoftyrannen« berühmt gewordenen Romanfigur des Unteroffiziers
Himmelstoß ausgetrieben. Das massenhafte Sterben im Stellungskrieg
durch Gasangriffe, Schrapnellsplitter
und MG-Feuer wird mit stereotyper
Gleichförmigkeit reportagenartig beschrieben. Aus dem gasgetränkten Nebel des Gefechtsfeldes lässt Remarque
die Sinnlosigkeit des Handelns mit
größter Intensität hervorscheinen. Beispielhaft dafür ist das Schicksal des
Soldaten Bäumer: Er fällt als Letzter
aus seiner Gruppe an einem Tag, über
den es im Heeresbericht heißt, dass es
»im Westen nichts Neues« zu vermelden gebe.
Von den Nationalsozialisten verbrannt und geächtet, ist Remarques
großer Roman wie als Film (USA 1930;
Remake 1979 für das Fernsehen) auch
im Hörbuchformat zeitgenössische Milieustudie und realistischer Kriegsbericht zugleich.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
ms
25
Service
Lesetipp
Napoleons Soldaten
»Farbige« Söldner
Kolonialkrieg in China
I
D
K
n dem hier vorgestellten Buch erhält
der einfache Soldat der napoleonischen Feldzüge Stimme und Gesicht.
Aus den schriftlichen Zeugnissen, die
einige Soldaten hinterlassen haben,
entsteht ein farbiges Bild des Alltags in
der Grande Armée. Alle Facetten des
soldatischen Lebens führt der Verfasser dem Leser vor: Disziplin, Marsch,
Essen und Trinken sowie Kleidung,
Verwundung, Gefangenschaft und
Heimkehr. Karl J. Mayer, Archivar und
Autor von Untersuchungen zur Geschichte der Internationalen Beziehungen der Zwischenkriegszeit und
der Militärgeschichte, schreibt auf gelungene Art eine Geschichte von unten. Mayer beleuchtet unterschiedlichste Aspekte der mörderischen
Schlachten der napoleonischen Kriege.
Die rund 30 zeitgenössischen Abbildungen beleben die Schilderungen der
einfachen Soldaten. Um in die historischen und militärischen Gegebenheiten der Kriege Napoleons einzuführen, werden den jeweiligen Kapiteln
knappe historische Abrisse vorangestellt; das erleichtert dem Leser das
Verständnis so mancher Erlebnisse des
Soldaten. Das Buch bietet viele Hintergrundinformationen zur Kriegsgeschichte der napoleonischen Epoche
und somit dem geschichtlich interessierten Leser eine beachtlichen, handlichen Fundus über jene Zeit.
Lothar Hilbert
Karl J. Mayer, Napoleons Soldaten. Alltag in der
Grande Armée, Darmstadt 2008 (= Geschichte erzählt,
12). ISBN 978-3-89678-366-0; 143 S, 16,30 Euro
26
er Einsatz von nichtweißen Söldnern in deutschen Kolonien war
aus der Not geboren: Deutsche Soldaten in überseeische Gebiete zu verbringen, war teuer. Zudem war das (sub-)
tropische Klima der Gesundheit weißer Soldaten abträglich. Für die teils
»gepressten« Söldner verhieß dagegen
Thomas Morlang, Askari und Fitafita. »Farbige«
Söldner in den deutschen Kolonien, Berlin 2008 (=
Schlaglichter der Kolonialgeschichte, 8). ISBN 978-386153-476-1; 204 S., 24,90 Euro
der Einsatz mitunter gute Verdienstmöglichkeiten. Insgesamt dienten dem
Deutschen Kaiser in 30 Jahren Kolonial­
zeit bis zu 50 000 nichtweiße Soldaten.
Thomas Morlang nimmt Söldner in
­allen deutschen Kolonien in den Blick.
Die Bekanntesten sind wohl die Askari
in Deutsch-Ostafrika. Beinahe unbekannt dürften hingegen die Fitafita
oder Leoleo auf Samoa sein. Schon bald
wurden die rund 30 Mann auf Samoa
für diverse Hilfsdienste eingesetzt,
auch als Diener bei deutschen Beamten. Nach Ablauf der Dienstzeit war
ein Aufstieg in die Landespolizei möglich, die unter anderem die chinesischen Arbeiter zu überwachen hatte;
manchmal verhaftete sie auch betrunkene Weiße, was zu Konflikten über
die Befugnisse der Söldner führte. 1914
wurde die Polizeitruppe nach einem
Amoklauf einiger Polizisten aufgelöst.
Fotos, Dokumente und Kartenmaterial
sowie biografische Skizzen einzelner
Söldner machen die Monografie zu
­einer lohnenden Lektüre.
mt
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
riege und bewaffnete Konflikte
weisen mehr als nur »rein« militärische Aspekte auf. Der Sammelband
»Kolonialkrieg in China« unterstreicht
dies auf eindrucksvolle Weise. In sechs
Abschnitten beleuchten 26 Einzelbeiträge von deutschen, chinesischen und
britischen Autorinnen und Autoren
den Aufstand der »Boxerbewegung« in
China und deren blutige Niederschlagung in vielen Facetten. Deutschland
besaß strategische Interessen im geschwächten China und war mit seiner
Kolonie »Kiautschou« im »Reich der
Mitte« präsent. Die Belagerung des
­Pekinger Diplomatenviertels durch die
»Boxerbewegung« im Sommer 1900
und die Ermordung des deutschen Gesandten rief Deutschland auf den Plan.
Ende Juli 1900 setzte sich ein deutsches
Expeditionskorps als Teil einer multinationalen Expeditionsarmee nach
China in Bewegung. Kaiser Wilhelm II
versuchte durch seine »Hunnenrede«
die Truppen zu motivieren: »Pardon
wird nicht gegeben!« Wie die anderen
Bände der Reihe »Schlaglichter der
Kolo­nialgeschichte« des Verlages Ch.
Links ist auch dieses Buch mit zahlreichen Abbildungen ausgestattet. Gut
lesbar, will es ein breites Publikum ansprechen und genügt darüber hinaus
wissenschaftlichen Ansprüchen.
hp
Mechthild Leutner und Klaus Mühlhahn (Hrsg.),
­Kolonialkrieg in China. Die Niederschlagung der
Boxerbewegung 1900–1901, Berlin 2007 (= Schlaglichter der Kolonialgeschichte, 6).
ISBN 978-3-86153-432-7; 270 S., 24,90 Euro
Nachtschlachtgruppen
Fremdenlegionäre
Inszenierter Terror?
E
E
M
iner ironischen Weisheit zufolge
habe die Deutsche Luftwaffe des
Zweiten Weltkrieges so gut wie keinen
Befehl befolgt, bis auf den letzten, die
eigenen Unterlagen gründlich zu vernichten. Deshalb ist die Quellenlage
heute schlecht und folglich die Geschichte der Luftwaffe schwer zu
Christian Möller, Die Einsätze der Nachtschlachtgruppen 1, 2 und 20 an der Westfront von September 1944 bis Mai 1945. Mit einem Überblick
über Entstehung und Einsatz der Störkampf- und
Nachtschlachtgruppen der deutschen Luftwaffe von
1942 bis 1944, Aachen 2008. ISBN 978-3-938208-67-0;
358 S., 44,50 Euro
schreiben. Die Dissertation von Chris­
tian Möller beweist, dass sich Einzel­as­
pekte der Luftwaffengeschichte trotzdem erforschen lassen, wenn Quellen
aus privater Hand genutzt werden. Er
stellt am Beispiel dreier Nachtschlachtgruppen sehr detailreich die verzweifelte Situation der Wehrmacht an der
Westfront in der Endphase des Krieges
dar. Die Aufstellung von Nachtschlachtgruppen ging auf sowjetische
Vorbilder zurück und resultierte aus
der eigenen Unterlegenheit: Dem Heer
auf dem Gefechtsfeld konnte bei Tage
keine direkte Unterstützung mehr gewährt werden, zu erdrückend waren
alliierte Luftüberlegenheit und deren
bodengebundene Flugabwehr. Der besondere Blick Möllers gilt dabei dem
»Faktor Mensch«, dem Führungsstil
sowie der psychischen und physischen
Belastung, deren Bedeutung die Luftwaffe sträflich unterschätzte.
hp
s dürfte eine kaum bekannte Tatsache sein, dass auf Seiten der vietnamesischen antikolonialen Unabhängigkeitsbewegung Viet Minh nach dem
Zweiten Weltkrieg einige Deutsche
und Österreicher gekämpft haben. Der
in Paris lebende deutsche Historiker
Heinz Schütte hat drei Lebenswege
dieser »Überläufer« nachgezeichnet.
Als junge Burschen waren sie vor den
Nationalsozialisten nach Paris geflohen. Nach ihrer Internierung bei
Kriegsausbruch im Herbst 1939 traten
sie in die französische Fremdenlegion
ein und wurden zunächst in Nord­
afrika und dann in Indochina eingesetzt. Nach 1945 liefen sie zum Viet
Minh über, arbeiteten beim Radio und
verfassten Flugblätter. Die späteren
Überläufer der »zweiten Generation«
aus der Fremdenlegion waren vor
allem ehemalige Angehörige der Wehrmacht oder Waffen-SS. Sie waren zumeist antikommunistisch eingestellt
und wollten mit dem propagierten
kommunistischen Aufbau in Vietnam
nichts zu tun haben. Einige deutsche
Überläufer wurden in der Folge vom
Viet Minh erschossen. Die von Schütte
verfolgten Lebenswege führten die
drei Söldner später in die DDR, wo sie
zunächst als »antifaschistische Kämpfer« hofiert wurden. Zunehmend ins
Visier der Stasi geraten, verließen sie
enttäuscht die DDR und gingen in die
Bundesrepublik Deutschland. In einer
aufwendigen Kleinarbeit hat Schütte
das spannende Leben und Wirken der
drei Überläufer nachgezeichnet.
Ulrich van der Heyden
Heinz Schütte, Zwischen den Fronten. Deutsche und
österreichische Überläufer zum Viet Minh, Berlin 2006
(= Berliner Südostasien-Studien, Bd 6).
ISBN 3-8325-1312-4; 371 S., 22 Abb., 39,00 Euro
it Beginn des Kalten Krieges befürchteten ranghohe westeuropäische und US-amerikanische Politiker und Militärs sowohl einen direkten
Angriff der sowjetischen Streitkräfte
auf Westeuropa als auch eine Beeinflussung der eigenen Bevölkerung
durch kommunistische und sozialistische Parteien. Als eine von vielen Reaktionen auf diese ernst genommenen
Bedrohungen bauten der amerikanische und britische Geheimdienst feDaniele Ganser,
NATO-Geheim­
armeen in
Europa.
Inszenierter
Terror und
verdeckte
Kriegsführung,
Zürich 2008.
ISBN 978-3280-06106-0;
445 S.,
29,80 Euro
derführend verdeckte, streng geheime
paramilitärische Gruppierungen unter
der Tarnbezeichnung »Gladio« auf. Im
Falle einer sowjetischen Besetzung
West- und Südeuropas sollten sie im
Rücken der feindlichen Streitkräfte
Guerillaeinsätze durchführen. 19 NATOMitgliedsstaaten sowie Österreich,
Finnland, Schweden und die Schweiz
beteiligten sich an »Gladio«. Die eigentliche Brisanz der Untersuchungen
von Daniele Ganser liegt jedoch in seiner These, dass die Geheimarmeen gezielt zum Kampf im Innern Westeuropas eingesetzt wurden. Dabei hätten
die Geheimdienste und Militärs systematisch mit Rechtsextremen und Terroristen kooperiert. Die so initiierten
blutigen Anschläge, wie zum Beispiel
in Italien, seien dann linksgerichteten
Organisationen in die Schuhe geschoben worden. Dem Baseler Historiker
Ganser blieb der Zugang zu den
NATO-Geheimunterlagen und weiteren Schlüsseldokumenten verschlossen, sodass er den letzten Beweis für
seine These schuldig bleiben muss.
Dennoch stellt sein Buch eine spannende Lektüre dar und dürfte neue
Forschungen anregen.
mp
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
27
Service
 Artstetten
Feldmarschallleutnant
Freiherr Guido von
Novak Arienti:
»Ein Leben für Gott,
Kaiser und Vaterland«.
Ein Offizier und seine Zeit
Schloss Artstetten
Erzherzog Franz
Ferdinand Museum
A-3661 Artstetten
Telefon:
+43 (0) 74 13 / 80 06-0
Telefax:
+43 (0) 74 13 / 80 06-15
www.schloss-artstetten.at
museum@schloss-artstetten.at
1. April bis
2. November 2008
täglich 9.00 bis 17.30 Uhr
Eintritt: 7,00 €
ermäßigt ab 4,00 €
Verkehrsanbindung:
Pkw: A1 Richtung Linz/
Salzburg Abfahrt »Pöchlarn«.
 Berlin
Afghanistan – Bilder
aus einer anderen Welt.
Photographien von
Helmut R. Schulze
Deutsches Historisches
Museum – Pei-Bau
Hinter dem Gießhaus 3
10117 Berlin
Telefon: 030 / 20 30 40
Telefax: 030 / 20 30 45 43
www.dhm.de
bresky@dhm.de
(Führungen)
10. Oktober bis
14. Dezember 2008
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 5,00 €
(Tageskarte für alle
Ausstellungen)
(Unter 18 Jahren frei)
Verkehrsanbindung:
S-Bahn: Stationen
»Hackescher Markt« und
»Friedrichstraße«;
U-Bahn: Stationen
»Französische Straße«,
»Hausvogteiplatz« und
»Friedrichstraße«;
Bus: Linien 100, 157, 200
und 348 bis Haltstellen
»Staatsoper« oder »Lustgarten«.
28
Ausstellungen
Berlin 68: sichten einer
revolte
Stadtmuseum Berlin/
Ephraim-Palais
Poststraße 16
10178 Berlin-Mitte
Telefon: 030 / 24 00 21 62
www.ephraim-palais.de
info@stadtmuseium.de
10. Juli bis
2. November 2008
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
Mittwoch
12.00 bis 20.00 Uhr
Eintritt: 5,00 €
ermäßigt 3,00 €
Verkehrsanbindung:
U-Bahn: Stationen
»Klosterstr«und,
»Alexanderplatz«;
S-Bahn: Station
»Alexanderplatz«;
Bus: M 48, 248;
Tram: M 2, M 4, M 5, M 6.
Geschichte der
Luftfahrzeugantriebe
Luftwaffenmuseum der
Bundeswehr
Kladower Damm 182
14089 Berlin-Gatow
Telefon: 030 / 36 87 26 01
Telefax: 030 / 36 87 26 10
www.luftwaffenmuseum.com
LwMuseumBwEingang@
bundeswehr.org
12. Oktober 2007 bis
31. Oktober 2008
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt frei
Verkehrsanbindung:
Eingang zum Museum:
Ritterfelddamm / Am Flugfeld
Gatow.
Mythos Germania.
Schatten und Spuren
der Reichshauptstadt
Pavillon Gertrud-KolmarStraße 14 (Ecke HannahArendt-Straße) unmittelbar
am Stelenfeld (Denkmal
für die ermordeten Juden
Europas)
http://berliner-unterwelten.de/
mythos-germania.637.0.html
15. März bis
31. Dezember 2008
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
(24. bis 26. Dezember 2008
geschlossen)
täglich 11.00 bis 19.00 Uhr
Eintritt: 6,00 €
ermäßigt 4,00 €
(Kinder unter 12 Jahre
in Begleitung frei)
Verkehrsanbindung:
S-Bahn: S 1, S 2, S 25
bis Stationen »Potsdamer
Platz« oder »Unter den
Linden«.
 Celle
Nec Aspera Terrent.
Hannoversche
Militärgeschichte
vom Siebenjährigen
Krieg bis zur Schlacht
bei Langensalza.
Zinnfiguren-Ausstellung
in der Ehrenhalle der
Hannoverschen Armee
Bomann-Museum Celle
Schloßplatz 7
29221 Celle
Telefon: 0 51 41 / 1 23 72
Telefax: 0 51 41 / 1 25 35
www.bomann-museum.de
(links unter Museen auf
»Bomann-Museum« klicken)
bomann-museum@celle.de
20. April bis
26. Oktober 2008
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 3,00 €
ermäßigt ab 1,00 €
 Frankfurt (Oder)
»Was für ein Kerl!«
Heinrich von Kleist im
»Dritten Reich«
Kleist-Museum
Faberstraße 7
15230 Frankfurt (Oder)
Telefon: 03 35 / 53 11 55
Telefax: 03 35 / 5 00 49 45
www.kleist-museum.de
info@kleist-museum.de
19. August bis
9. November 2008
Eintritt: 3,00 €
ermäßigt 2,00 €
Verkehrsanbindung:
Wegbeschreibung unter
www.kleist-museum.de,
Menüpunkt Museumsbesuch.
 Koblenz
Mythos Ritter –
Adel & Burgen am
Mittelrhein
Landesmuseum Koblenz
Festung Ehrenbreitstein
56077 Koblenz
Telefon: 02 61 / 66 75 0
Telefax: 02 61 / 70 19 89
www.landesmuseumkoblenz.de
16. Juni bis 9. Nov. 2008
täglich 9.30 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 4,00 €
ermäßigt 3,00 €
Verkehrsanbindung:
Siehe www.landesmuseum­
koblenz.de, Menüpunkt
Besucherinfos.
 Kossa/Söllichau
Militärmuseum
Bunker Kossa
Dauerausstellung zur
NVA-Geschichte
Dahlenberger Str. 1
04849 Kossa/Söllichau
Telefon: 03 42 43 / 2 21 20
Telefax: 03 42 43 / 2 31 20
www.bunker-kossa.de
mmk@bunker-kossa.de
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 16.00 Uhr
(Führungen jeweils
10.00 und 13.00 Uhr)
Eintritt 5,00-10,00 €
Verkehrsanbindung:
Von Bad Düben nach
Söllichau, am Ortsausgang
Söllichau hinter
Bahnübergang links,
der Waldstraße folgen,
Ausschilderung beachten.
 Ludwigsburg
Die Garnison in Zinn
Garnisionmuseum
Ludwigsburg
Asperger Straße 52
71634 Ludwigsburg
Telefon: 0 71 41 / 9 10 24 12
Telefax: 0 71 41 / 9 10 23 42
www.garnisonmuseumludwigsburg.de
info@garnisonmuseumludwigsburg.de
7. September 2008 bis
28. Januar 2009
Mittwoch 15.00 bis 18.00 Uhr
Sonntag 13.00 bis 17.00 Uhr
(und auf Anfrage)
Eintritt: 2,00 €
ermäßigt 1,00 €
Verkehrsanbindung:
Pkw: A 81-B 27; S-Bahn:
S 4 und S 5 (von Stuttgart
bzw. Bietigheim) bis Station
»Ludwigsburg«.
 Munster
Unverschämtes Glück
Deutsches Panzermuseum
Munster
Hans-Krüger-Str. 33
29633 Munster
Telefon: 05 19 / 22 55 2
Telefax: 05 19 / 21 30 21 5
www.munster.de
(links Verlinkung zum
»Panzermuseum«)
panzermuseum@munster.de
5. Juni bis
1. November 2008
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
Montag geschlossen
(letzter Einlass 17.00 Uhr)
An den Feiertagen auch
montags geöffnet
Eintritt: 5,00 €
ermäßigt 2,50 €
Verkehrsanbindung:
Pkw: Eine Anfahrtsskizze gibt
es auf der Internetseite unter
»Kontakt«, dann »Anfahrt«;
Bahn: Vom Bahnhof Munster
entweder mit Taxi oder zu
Fuß über Bahnhofsstraße,
Wagnerstraße und Söhlstraße
zur Hans-Krüger-Straße (ca.
15 Minuten Fußweg).
 Nordholz
Manfred von Richthofen
AERONAUTICUM
Deutsches Luftschiff- und
Marinefliegermuseum
Peter-Strasser-Platz 3
27637 Nordholz
Telefon: 0 47 41 / 18 19 - 13
(oder -11)
Telefax: 0 47 41 / 18 19 - 15
www.aeronauticum.de
info@aeronauticum.de
10. April 2008 bis
11. Januar 2009
Februar bis November
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
Dezember bis Januar
täglich 10.00 bis 16.00 Uhr
Eintritt: 6,50 €
ermäßigt 2,50 €
Verkehrsanbindung:
Anfahrtsbeschreibung per Kfz:
www.aeronauticum.de
(Menüpunkt Besucher­
information, Anfahrt).
Willy Messerschmitt
(1898‑1978) – ein
Konstrukteur und
seine Flugzeuge
AERONAUTICUM
(siehe oben)
22. November 2008 bis
29. März 2009
»Narben bleiben – die
Erinnerung lebt weiter.«
Veranstaltung, anlässlich
des bevorstehenden
Volkstrauertages
AERONAUTICUM
(siehe oben)
9. November bis
30. November 2008
 Prora
Zeuge und Opfer der
Apokalypse
Dokumentationszentrum
Prora
Objektstraße, Block 3/
Querriegel
18609 Prora
Telefon: 03 83 93 / 1 39 91
Telefax: 03 83 93 / 1 39 34
www.proradok.de
info@proradok.de
4. Oktober bis
30. November 2008
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 3,00 €
ermäßigt 2,00 €
(Kinder unter 14 Jahren
freier Zutritt)
Verkehrsanbindung:
Bahn: Regionalbahn von
Stralsund bzw. Binz bis
zur Station »Prora-Nord«
oder »Prora-Ost«; Pkw:
Von Stralsund über den
Rügendamm auf der B 196
und weiter auf der B 196a
Richtung Binz nach Prora.
Verführt, Verleitet,
Verheizt – Das kurze
Leben des Nürnberger
Hitlerjungen Paul B.
Dokumentationszentrum
Prora (siehe oben)
8. November 2008 bis
31. März 2009
NVA-Museum
Objektstraße Block 3/
Treppenhaus 2
18609 Prora
Telefon: 03 83 93/ 32 69 6
Eintritt: 6,50 €
ermäßigt 3,50 €
 Speyer
Die Wikinger
Historisches Museum
der Pfalz
Domplatz
67346 Speyer
Telefon: 0 62 32 / 1 32 50
Telefax: 0 62 32 / 1 32 54 0
www. museum.speyer.de
info@museum.speyer.de
14. Dezember 2008 bis
12. Juli 2009
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 10,00 €
ermäßigt 7,00 €
Verkehrsanbindung:
Anfahrtsbeschreibung
per Bus und Kfz unter
www.museum.speyer.de
(Menüpunkt Informationen,
Anreise).
Militärhistorisches Institut
Arsenal, Objekt 1
A-1030 Wien
Telefon: +43 (1) / 79 56 1-0
Telefax:
+43 (1) / 79 56 1-17 70 7
www.hgm.or.at
bmlv.hgm@magnet.at
11. Juni bis
9. November 2008
täglich 9.00 bis 17.00 Uhr
Freitag geschlossen
Eintritt: 5,10 €
ermäßigt 3,30 €
(bis 10 Jahre frei)
Verkehrsanbindung:
Schnellbahn: Bis Station
»Südbahnhof«; Straßenbahn:
Linien 18, D, O; Autobus:
Linien 13 A, 69 A; U-Bahn:
U 1 bis Station »Südbahn­
hof«, U 3 bis Station
»Schlachthausgasse«.
 Wilhelmshaven
Meuterei – Revolution
– Selbstversenkung. Die
Marine und das Ende des
Ersten Weltkrieges
Deutsches Marinemuseum
Südstrand 125
26382 Wilhelmshaven
Telefon: 0 44 21 / 4 10 61
www.marinemuseum.de
info@marinemuseum.de
25. April bis
9. November 2008
April bis Oktober
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
November bis März
täglich 10.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 8,50 €
ermäßigt 5,00 €
 Wien
Einmarsch ’38
Heeresgeschichtliches
Museum
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
29
Militärgeschichte kompakt
ullstein bild - R. Dietrich
6. November 1958 Beschaffung der F-104 G »Starfighter«
Die ersten Strahlflugzeuge der fliegenden Verbände von
Luftwaffe und Marine ab 1956 waren sehr schnell veraltet.
Gesucht wurde nun ein modernes Überschallflugzeug, dass
in mehreren Rollen eingesetzt werden konnte und vor allen
Dingen fähig war, als Nuklearwaffenträger zu dienen. Die
Entscheidungsfindung seitens der Luftwaffe zu Gunsten
der F-104 »Starfighter« des amerikanischen Herstellers
Lockheed fiel in das Jahr 1958. Am 6. November billigte der
Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages ein
5 F-104 G »Starfighter« umfangreiches Flugzeugbeschaffungsprogramm, das auch
der Luftwaffe 1968 mit die Bestellung von zunächst 300 F-104 beinhaltete. Insgesamt wurden für Luftwaffe und Marine 916 Flugzeuge
dem Flugzeugführer
und dem kompletten
dieses Typs beschafft. Die Einführung in die Truppe erfolgte
­Sicherungs- und
ab 1961, die letzten Maschinen waren beim LuftwaffenverWartungs­team.
sorgungsregiment 1 in Erding bis 1987 im Einsatz.
Die F-104 G wurde in Teilen von der jungen westdeutschen Flugzeug- und Triebwerksindustrie in Lizenz gefertigt. Die Maschine stellte die
Bundeswehr vor große Probleme. Es galt, einen amerikanischen Tagjäger mit nur
einem Triebwerk für europäische Wetterbedingungen und den Einsatz in mehreren
Rollen fit zu machen. Die neu aufgebauten Teilstreitkräfte Luftwaffe und Marine
mussten lernen, dass sie es nicht nur mit einem Flugzeug, sondern mit einem modernen hochkomplexen Waffensystem zu tun hatten. Damit waren sie anfangs organisatorisch, technisch und mental überfordert. Erst die entsprechenden Änderungen und
ein intensives Pilotentraining in Luke Air Force Base (Arizona), aber auch in Deutschland schufen hier Abhilfe. Insgesamt verunglückten 292 Starfighter der Bundeswehr,
108 deutsche Flugzeugführer ließen dabei ihr Leben.
hp
ullstein bild
25.
Dezember 1978 Ende der Terrorherrschaft in Kambodscha
1970 geriet das Königreich Kambodscha in den Sog des
Vietnamkrieges. Die USA installierten ein ihnen verbundenes Regime und weiteten ihren Krieg gegen die Vietcong
auf das Nachbarland aus. Nach fünf Jahren Krieg und Flächenbombardements übernahm die sich selbst »Khmer
Rouge« nennende Guerilla 1975 die Macht im Land. Alle
Stadtbewohner wurden innerhalb von Tagen auf die Dörfer
und Felder getrieben und mussten auf den »killing fields«
Sklavenarbeit leisten. »Intellektuelle«, wie Lehrer und
Ärzte, und sogar Brillenträger wurden ermordet. Unter der
Terrorherrschaft der Roten Khmer und ihres Führers Pol Pot
starben nach UN-Schätzungen ca. 3 Millionen Menschen.
5 Grausiges Zeugnis
Am 25. Dezember 1978 starteten über 100 000 vietnamesi­
der ­Herrschaft der
sche Soldaten die Besetzung des Nachbarlandes. Am 7. Januar
Roten Khmer:
1979 marschierten sie in Phnom Penh ein und beendeten zubis zu drei Millionen
mindest dort die Schreckensherrschaft der Roten ­ Khmer.
Tote in vier Jahren.
Deren Führung und Truppen flüchteten in die Grenzgebiete
zu Thailand und begannen einen Guerillakrieg. Der kambodschanische Bürgerkrieg wurde weiterhin vom Kalten Krieg der Supermächte und
von der sowjetisch-chinesischen Feindschaft genährt: Hinter Vietnam standen die Sowjetunion und der Ostblock. China und die USA blieben Schutzmächte der Roten
­Khmer. Als vermeintliche »Strafaktion« überschritten chinesische Truppen im Februar
1979 die nordvietnamesische Grenze und wurden in harten Kämpfen zurückgeschlagen.
Erst das nahende Ende des Kalten Krieges und die Annäherung zwischen Moskau
und Peking ermöglichten 1988/89 eine politische Lösung für das geschundene Land.
China und die USA beendeten ihre Hilfe für die Roten Khmer, 1989 zogen die Vietnamesen ab. Pol Pot starb 1997 in seinem Dschungelcamp unter ungeklärten Umständen.
Ein UN-Tribunal erhob 2007 erste Anklagen gegen die überlebenden Führer der Roten
Khmer wegen Genozides am eigenen Volk.
ks
30
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
Heft 4/2008
Service
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
 Vorschau
Das Ende des Ersten Weltkrieges und die folgenden Jahre nehmen auch im nächsten Heft
der Militärgeschichte einen breiten Raum
ein.
Der 1929 erschienene Roman »Im Westen
nichts Neues« von Erich Maria Remarque
schildert die Schrecken des Ersten Weltkrieges an der Westfront aus der Sicht eines
jungen Soldaten, der kurz vor Kriegsende
tödlich getroffen wurde, »an einem Tag, der
so ruhig und so still war, dass der Heeresbericht sich auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.« Der Roman
sorgte nach seinem Erscheinen für heftige
Kontroversen. Remarques Buch entwickelte
sich dessen ungeachtet zum Literaturklassiker, der bis heute weltweit millionenfach verkauft wurde. Matthias Rogg stellt den einst
umstrittenen Roman und vor allem seine Rezeptionsgeschichte vor.
Peter Lieb richtet den Blick auf die deutsche
Herrschaft und Partisanenbekämpfung in
der Ukraine von Februar 1918 bis März 1919.
Dabei zieht er auch einen Vergleich zwischen
dem deutschen Vorgehen 1918/19 und 1941–
1944 und stellt Gemeinsamkeiten, aber auch
Unterschiede heraus.
2008 jährt sich nicht nur das Kriegsende
1918: 1968 wurde die Abteilung Militärarchiv
des Bundesarchivs als Bundesarchiv-Militärarchiv nach Freiburg i.Br. verlegt. Das Militärarchiv verwahrt Archivgut der preußischen und der deutschen Armeen von 1867
bis zur Gegenwart. Andreas Kunz verschafft
Einblicke in das Innenleben dieser Institution. Er beschreibt, wohin das von der Bundeswehr abgegebene Schriftgut (z.B. Einsatztagebücher) gelangt und wie es – sofern es
nach Prüfung durch den Archivar nicht »kassiert«, d.h. vernichtet wird – aufbewahrt und
zugänglich gemacht wird.
Ein Beitrag aus der Feder von Klaus Jürgen
Bremm über Eisenbahnen und Festungen in
den militärischen Planungen Preußens im
19. Jahrhundert rundet schließlich die nächs­te
Ausgabe der Militärgeschichte ab.
mp
ullstein bild
Militärgeschichte im Bild
50 Jahre
»Gorch Fock«
3 Die »Gorch Fock« auf der
Werft Blohm & Voss kurz vor
der Indienststellung im
­Dezember 1958: Seeleute
schlagen die Segel an.
PIZ Marine
6 Der Albatros am Bug.
D
ie hohen Masten und der
schlanke Bug der »Gorch Fock«
ziehen seit nunmehr 50 Jahren
Unteroffiziere und Offizieranwärter
auf See − zunächst der Bundesmarine
und später der Deutschen Marine.
Die »Gorch Fock« wurde als Dreimastbark nach den neusten Sicherheitsstandards in der Hamburger Werft
Blohm & Voss gebaut und am 17. Dezember 1958 in Dienst gestellt. Stapellauf und Taufe hatten schon am 23. August desselben Jahres stattgefunden.
Taufpatin war die damals 14-jährige
Nichte des Namensgebers Gorch Fock,
Ulli Kinau.
Hinter dem Pseudonym Gorch Fock
verbirgt sich der deutsche Schriftsteller
Johann Wilhelm Kinau. Bekannt wurde
Kinau durch Romane wie »Seefahrt ist
Not« , die er in niederdeutscher Sprache (Platt) verfasste. Er selbst nahm als
Soldat im Ersten Weltkrieg zunächst
als Infanterist in Serbien, Polen und
Russland und später als Marinefreiwilliger teil. Am 1. Juni 1916 ging er mit
dem kleinen Kreuzer »SMS Wiesbaden«
im Skagerrak unter. Kinau wurde nur
36 Jahre alt und liegt heute auf der schwedischen Insel Stensholm begraben.
Am 23. August 1958 hörten die knapp
10 000 Gäste auf der Schiffstaufe in
Hamburg folgenden Taufspruch: »Boben dat Leben steiht de Dood. Ober boben den Dood steiht wedder dat Leben! Ick däup di up den Nom Gorch
Fock!« (»Über dem Leben steht der
Tod. Aber über dem Tod steht wieder
das Leben. Ich taufe dich auf den Namen Gorch Fock!« ).
Seit ihrer Existenz trägt die »Gorch
Fock« als Galionsfigur den Albatros.
In 50 Jahren musste er immerhin fünf
Mal ersetzt werden: zuerst 1969, dann
1970, schließlich noch einmal 2002 und
2003. Dem Gerücht, dass die seit 1997
als Sanitätsanwärter und ab 2001 als
Offizieranwärter des Truppendienstes
an Bord gekommenen Frauen daran
Schuld hätten, kann der Wind aus den
Segeln genommen werden. Einzig die
raue See im Englischen Kanal und in
der Biskaya verlieh dem Albatros oftmals »Flügel«.
Nun mag es dem einen oder anderen
altmodisch erscheinen, im 21. Jahrhundert ein Segelschulschiff zu unterhalten, zumal die Marinesoldaten später
doch auf hochtechnisierten Schiffen
und Booten ihren Dienst leisten. Doch
700 000 zurückgelegte Seemeilen und
unzählige Aufenthalte in ausländi­
schen Häfen gaben der »Gorch Fock«
und ihrer Besatzung den Beinamen
»Botschafter in Blau« . Sie trugen maßgeblich zum positiven Erscheinungsbild der Bundesmarine und der Deutschen Marine im Ausland bei.
Ein Indiz für die Bedeutung des Segelschiffes für die seemännische Ausbildung sind die vier Schwesterschiffe
der »Gorch Fock«. Alle vier wurden
zwischen 1933 und 1938 bei Blohm &
Voss gebaut und werden bis auf die
»Gorch Fock I« , heute »Towarischtsch«,
für die seemännische Ausbildung des
Marinenachwuchses genutzt. So fährt
die US-Küstenwache die ehemalige
»Horst Wessel« unter dem Namen
­»Eagle« . Die portugiesische Marine segelt mit der »Sagres II« , früher »Albert
Leo Schlageter« , um die Welt, und die
Rumänen werden bis heute auf der
»Mircea« ausgebildet.
In all diesen Jahren wurde Messing
poliert, das Deck geschrubbt, mit dem
Seegang gekämpft, wurden Segel gesetzt und wieder eingeholt und Nächte
nicht mit Schlafen, sondern mit Potacken drehen (Kartoffeln schälen) verbracht. Und doch bleibt neben den Entbehrungen für viele der erste Sonnenuntergang auf See oder der nächtliche
Sternenhimmel in bleibender Erinnerung. Nicht ohne Grund heißt es im
Gorch-Fock-Lied, das der ehemalige
Kommandant (1972–1978) des Schiffes,
Kapitän zur See a.D. Hans Freiherr von
Stackelberg, schrieb: »Weiß ist das
Schiff, das wir lieben, weiß seine Segel,
die sich bläh´n, stets hat der Wunsch
uns getrieben, hoch vom Mast weit auf
die See hinaus zu seh´n.«
Anja Wegener
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008
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Die »Wegweiser zur Geschichte« setzen sich gezielt mit der Geschichte von Krisengebieten
auseinander. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen erläutern in verständlicher
Form sowohl historische Entwicklungslinien als auch aktuelle Strukturen, Konflikte
und Versuche ihrer Lösung. Die Reihe, die Bände zu Afghanistan, Kosovo, BosnienHerzegowina, dem Horn von Afrika, Sudan, der DR Kongo und dem Nahen Osten
umfasst, richtet sich an alle, die Hintergrund- und Orientierungswissen über jene
Krisenzonen suchen. Zu ihnen gehören Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz
ebenso wie die breite politisch und historisch interessierte Öffentlichkeit.
Alle Wegweiser-Beiträge in Volltextversion (PDF, mit Bildern und Karten) sowie zusätzliche Schlüsseldokumente finden Sie auf dem ständig aktualisierten Einsatzportal des
MGFA im Internet, und zwar unter http://www.mgfa.de/html/einsatzunterstuetzung/.
www.mgfa.de
In seiner Reihe »Wegweiser zur Geschichte«, die im Verlag Ferdinand Schöningh erscheint, veröffentlicht das MGFA einen neuen Band zur Krisenregion Kaukasus. Der
Region zwischen Asien und Europa, Schwarzem und Kaspischem Meer kommt seit
Jahrhunderten strategisches Interesse zu. Ihre reichen Bodenschätze stellen bis heute
einen Motor für Wachstum und den Grund für Verteilungskämpfe gleichermaßen dar.
Seit dem Ende der Sowjetunion 1991 und der Entstehung der unabhängigen Staaten
Armenien, Georgien und Aserbaidschan geriet der Kaukasus vor allem als Konfliktherd
in die Weltpresse: Abchasien, Ossetien und Nagorny Karabach stehen für ungelöste
nationale und territoriale Auseinandersetzungen in ethnischen Mischgebieten. Das
zu Russland gehörende Tschetschenien im Nordkaukasus wurde zum Sinnbild eines
Krieges, den der russische Staat und muslimische Separatisten mit großer Grausamkeit
führen.