forschung - TU Berlin
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Neuö Zürcör Zäitung Mittwoch, 19. Oktober 2011 U Nr. 244 FORSCHUNG UND TECHNIK 59 Was tun gegen Ölteppiche? Die «Oil Spill Cleanup X Challenge» bringt wenig Neues In einem Wettbewerb in den USA haben zehn Firmen neue Techniken zur Beseitigung von Ölteppichen präsentiert. Kritiker bezweifeln, dass diese sich auch im Ernstfall bewähren werden. Hanna Wick Die Szenarien sind immer wieder dieselben: riesige Ölteppiche auf dem Meer, verendende Vögel, verklumpte Strände, willige Helfer, entrüstete Politiker und ratlose Experten. So ist es jetzt in Neuseeland nach der Havarie der «Rena», so war es auch vergangenes Jahr nach der Explosion der «Deepwater Horizon» im Golf von Mexiko. Offensichtlich ist die Menschheit für den Kampf gegen Ölfilme auf dem Meer technisch nicht gut gerüstet. Die üblichen Hilfsmittel – Ausleger zur Begrenzung der Ölteppiche und Gefährte, die das Öl aus dem Wasser abschöpfen (Skimmer) – funktionieren oft mehr schlecht als recht. Dispersionsmittel wiederum sind zwar wirkungsvoll, aber umstritten. Sie verteilen das Öl rasch in tiefere Wasserschichten, wo es für Vögel und Meeressäuger weniger gefährlich ist. Doch beides – Öl und Chemikalie – verbleibt in der Umwelt. Erfolg mit Althergebrachtem Diese unbefriedigende Situation wollte die Amerikanerin Wendy Schmidt ändern und lancierte deshalb 2010 die «Oil Spill Cleanup X Challenge». Schmidt ist die Frau des Ex-CEO und heutigen Verwaltungsrats von Google Eric Schmidt. Der Wettbewerb wurde durchgeführt mithilfe der X-Prize Foundation, die mit anderen Technologie-Wettbewerben wie dem «Ansari X Prize» für suborbitale Raumflüge bereits einiges Aufsehen erregt hat. Dem Erstplacierten des Öl-Wettbewerbs winkte eine stattliche Preissumme von 1 Million Dollar. Die Anforderung war, pro Minute über 2500 Gallonen Öl zu sammeln, und das mit einer Effizienz von mindestens 70 Prozent (nicht mehr als 30 Prozent Wasser im Sammelgut). Vergangene Woche sind nun die Gewinner gekürt worden. Den ersten Platz belegt das Team Elastec / American Marine aus Illinois, das für den Wettbewerb sein bestehendes Skimmer-System weiterentwickelte. Dieses basiert auf einem Satz von schwimmenden Rollen, die sich durch das verschmutzte Wasser drehen. Das Öl bleibt an den Rollen kleben, wird automatisch abgeschabt, in eine Mulde geleitet und von dort in Sicherheitsbehälter umgefüllt. Für den Wettbewerb vergrösserte das Team die Oberfläche der Rollen mit Furchen, so dass sich mehr Öl anlagern konnte. So sammelte es im Test 4670 Gallonen pro Minute (Effizienz: 90 Prozent). Laut der X-Prize Foundation ist das dreimal mehr, als herkömmliche Skimmer erreichen. Die zweitplacierte Firma Nofi aus Norwegen präsentierte herkömmliche Skimmer, kombiniert mit einer Weiterentwicklung ihrer V-förmigen Ausleger. Das Team sammelte 2712 Gallonen pro Minute (Effizienz: 83 Prozent) und gewann dafür 300 000 Dollar. Keiner der anderen zehn Finalisten erreichte die geforderten Werte. Darum wurde der dritte Preis von 100 000 Dollar nicht vergeben. Test im Salzwasserbecken Schauplatz des Wettkampfes war die Testanlage Ohmsett (kurz für Oil and Hazardous Materials Simulated Environmental Test Tank) im Gliedstaat New Jersey – ein Salzwasserbecken von 120 Metern Länge, 20 Metern Breite und 3,4 Metern Tiefe, in dem Wellen mit einer Höhe von 30 Zentimetern erzeugt werden können. Die Tests wurden hier durchgeführt, um allen Teams dieselben Bedingungen zu bieten. Ausserdem hätte man schlecht zu Testzwecken Öl in ein offenes Gewässer leeren können. Die Wahl der Testumgebung hat aber auch Nachteile, wie Florian Sprenger von der TU Berlin erläutert: «Viele Systeme konnten gar nicht am Test teilnehmen, weil sie für das Becken zu gross sind und skalierte Modelle nicht zugelassen waren.» Das gilt auch für das Skimmer-Schiff «SOS», das er und seine Kollegen entwickelt haben. Ausserdem sei der Seegang bei Ölkatastrophen oft viel höher als im Becken, so Sprenger. Dann würden die prämierten Systeme wohl nicht mehr so gut funktionieren. Und auch chemisch verhält sich Öl unter realen Bedingungen anders als im Test. «Was auch immer sich im Test als das Beste bewährt, ist nur das Beste für genau diese Situation», kommentierte Edwin Levine von der amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration gegenüber dem «National Geographic». Zu behaupten, die neuen Techniken würden den Kampf gegen Ölteppiche deutlich erleichtern, nennt Sprenger deshalb Augenwischerei. Schwarzer Tod unter der Lupe Der mittelalterliche Erreger der Pest wurde sequenziert lsl. U Innerhalb von 5 Jahren starb schätzungsweise ein Drittel der europäischen Bevölkerung infolge der Pestepidemie. Diese brach im Jahr 1347 aus und wurde später als der schwarze Tod bekannt. Nun haben Forscher das Genom des mittelalterlichen Erregers Yersinia pestis sequenziert und es mit jenen von heutigen Stämmen verglichen, die gelegentlich immer noch zu Pestausbrüchen führen.1 Die Forscher gewannen das damals kursierende Bakterium aus Zähnen von Skeletten, die aus einem Massengrab in London stammen (East Smithfield), das eigens für die Pestopfer angelegt worden war. Es sei das erste Mal, dass ein historischer Erreger sequenziert worden sei, sagte der Mitautor Johannes Krause von der Universität Tübingen an einer Pressekonferenz. Die Forscher nutzten dafür eine Sequenzier-Methode, die sie zur Entschlüsselung des NeandertalerGenoms entwickelt hatten. Damit konnten sie 99 Prozent des Genoms bestimmen. Es zeigte sich, dass die damaligen Erreger mit den heutigen fast identisch sind – es hat also nur wenig Evolution stattgefunden. Ausserdem sind sie dem letzten gemeinsamen Vorfahren aller heute kursierenden Stämme sehr ähnlich. Die Forscher schlossen aus dem genetischen Vergleich, dass der Pesterreger irgendwann zwischen 1280 und 1340 erstmals von Tieren auf den Menschen übersprang. Dies widerspricht allerdings Berichten von Pestepidemien aus der Zeit der alten Griechen und der Römer. Entweder handle es sich dabei um einen gänzlich ausgestorbenen Pesterreger-Stamm oder um eine andere Art von Pathogen, erklärte Krause. Dies dürfte in der Forschergemeinde wohl noch zu reden geben. Die Wissenschafter suchten bei ihrer Genomanalyse auch nach Genen, die das Bakterium besonders gefährlich machen. Offenbar unterscheiden sich die mittelalterlichen Erreger diesbezüglich nicht von den heutigen. Es muss deshalb andere Gründe dafür geben, dass damals so viele Menschen an der Pest starben. Laut den Forschern ereignete sich gleichzeitig ein starker Kälteeinbruch, und die Menschen litten Hunger. Auch seien sie nicht auf eine solche Krankheit vorbereitet gewesen, man habe weder Behandlungsmethoden noch die Quarantäne gekannt, sagt Krause. Zudem haben die Verstorbenen, die genetisch bedingt anfälliger für den Erreger waren als andere, ihre Gene nicht weitergegeben. Heute kann man Pestpatienten mit Antibiotika gut behandeln. Und wie die Genomanalyse zeigt, hätte auch der mittelalterliche Erreger darauf angesprochen. 1 Nature, Online-Publikation vom 13. Oktober 2011. Frisches Obst und Gemüse sind die besten Vitaminlieferanten. Im Bild eine Schulklasse in den 1940er Jahren. THEODOR STRÜBIN / KEYSTONE Vitaminpillen bergen Risiken Neue Hinweise für eine Häufung von Prostatakrebs und ein erhöhtes Sterberisiko Dass regelmässig eingenommene Vitaminpräparate in gewissen Fällen schaden, wird immer deutlicher. Zwei neue Studien liefern weitere Hinweise. Nicola von Lutterotti Die regelmässige Einnahme von Vitaminpräparaten und anderen Mikronährstoffen scheint oft mehr zu schaden als zu nützen. Was schon früher beobachtet wurde, legen nun auch die Ergebnisse zweier neuer Langzeitstudien nahe.1, 2 In der Arbeit mit dem Kürzel «Select» (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) war geprüft worden, ob die tägliche Aufnahme von Vitamin E – allein oder in Kombination mit Selen – das Prostatakrebsrisiko senke. Wichtige Aufgaben In pflanzlicher Nahrung in ausreichenden Mengen enthalten, erfüllt Vitamin E im Organismus wichtige Aufgaben. So sorgt es dafür, dass die in den Zellwänden eingelagerten Fette nicht oxidieren. Ein Mangel an Alpha-Tocopherol, einem Hauptvertreter der E-Vitamine, hat daher schwerwiegende Folgen. Diese reichen von Unfruchtbarkeit über vorzeitige Alterung bis zu erhöhter Anfälligkeit für Krebs. Anders als bisher vermutet trifft der Umkehrschluss aber nicht zu. Jedenfalls verhindert die regelmässige Versorgung mit Vit- amin-E-Präparaten nicht die Ausbildung solcher Erkrankungen. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein, wie die «Select»-Studie vor Augen führt. Die daran beteiligten Probanden, mehr als 35 000 zunächst nicht an Prostatakrebs leidende Männer, waren zu je einem Viertel mit täglich 400 Einheiten Vitamin E (Alpha-Tocopherol), 200 Mikrogramm Selen, einer Kombination der beiden Stoffe oder einem Scheinpräparat behandelt worden. Wie der Urologe Eric Klein von der Cleveland Clinic in Ohio und Kollegen berichten, erkrankten innert 7 bis 12 Jahren knapp 2300 (6,5%) der Studienteilnehmer an einem Prostatakarzinom. Am häufigsten waren Männer betroffen, die Vitamin E eingenommen hatten. Bei ihnen lag der Anteil an Erkrankten bei über 7%, bei den mit Placebo behandelten Personen indes «nur» bei 6% und bei den Probanden der beiden übrigen Kollektive bei 6% bis 7%. Keinen erkennbaren Einfluss hatte die Vitamin-E-Zufuhr dagegen auf die Entstehung anderer Tumoren. Als schädlich erwies sich die Aufnahme von Vitaminpräparaten und anderen Mikronährstoffen grösstenteils auch in der zweiten Studie. Die Iowa Women’s Health Study umfasste knapp 39 000 ältere Frauen, die Fragen über ihre Ernährungsgewohnheiten beantwortet hatten. Im Verlauf von 19 Jahren starben knapp 16 000 (40%) der Probandinnen. Wie die Analysen des finnischen Wissenschafters Jaakko Mursu von der Universität in Kuopio und seiner Kolle- gen ergaben, hatte ein auffallend grosser Anteil der Verstorbenen zu Lebzeiten Mikronährstoffpräparate eingenommen, darunter Multivitaminpillen, Vitamin B6, Folsäure, Kupfer, Zink und Eisen. Kalzium ist die Ausnahme Die Anwendung solcher Verbindungen ging zwar nur mit einem geringen, aber doch nennenswerten Anstieg der Sterblichkeit einher. Bei Eisen galt zudem: Je höher die tägliche Menge, desto grösser das Sterberisiko. Eine Ausnahme bildete Kalzium. Die Zufuhr dieses Mineralstoffs verringerte die Wahrscheinlichkeit, vorzeitig zu sterben – allerdings nur, wenn die Dosis 1300 Milligramm am Tag nicht überschritt. Weshalb die Behandlung mit Vitaminen oft nicht den erhofften Nutzen bringt, lässt sich bis jetzt nicht sagen. Wie man jedoch weiss, können diese Stoffe selber oxidieren und somit gleichsam vom Freund zum Feind mutieren. Unter welchen Umständen sie die Fronten wechseln und wie sich ihr verhängnisvoller «Gesinnungswandel» abwenden lässt, liegt derzeit noch im Dunkeln. Wenig Zweifel besteht dagegen daran, dass die mit der Nahrung aufgenommenen Mikronährstoffe die Gesundheit fördern. Eine ausgewogene Kost ist daher der sicherste Weg, um den Körper mit ausreichenden Mengen dieser Verbindungen zu versorgen. JAMA 306, 1549–1556 (2011); 2 Archives of Internal Medicine 171, 1625–1633 (2011). 1 Bakterien im Tarnanzug Wie Chlamydien in die Wirtszellen gelangen Mirko Bischofberger U Chlamydien sind die häufigste Ursache für sexuell übertragbare Infektionen in der westlichen Welt. Unbehandelt können sie zu Unfruchtbarkeit führen. Laut dem Bundesamt für Gesundheit sind in der Schweiz 3 bis 10 Prozent der sexuell aktiven Bevölkerung mit dem Erreger infiziert, 70 Prozent davon sind Frauen. Obwohl die Infektion mit Antibiotika gut behandelt werden kann, ist noch weitgehend unbekannt, wie sich die Bakterien im Menschen vermehren. Nun zeigen Forscher von der University of California in San Francisco, dass sie sich mit menschlichen Proteinen schmücken und so einfacher in die Wirtszellen gelangen.1 Für eine Infektion müssen Chlamydien in die Wirtszellen eindringen, sonst können sie sich nicht reproduzieren. Einmal in der Wirtszelle drin, beginnen sie sich rasch zu vermehren. Dies führt zur Zerstörung der Zelle und zur Freisetzung der Erreger, die sich dann wieder an nahe gelegene Zellen heften und in diese eindringen. Es war bereits bekannt, an welche Oberflächenmoleküle die Bakterien dafür andocken. Die Forscher wollten aber wissen, wie sie dies tun und warum sie von den Zellen eingelassen werden. Da bestimmte Wachstumsfaktoren oft an diese Art von Oberflächenmolekülen andocken, lag die Vermutung nahe, dass die Erreger diese Proteine zu Hilfe nehmen. Die Forscher testeten ihre Hypothese, indem sie Chlamydien jeweils mit verschiedenen Wachstumsfaktoren zu Zellen hinzugaben, die in einer Kulturschale wuchsen. Es zeigte sich, dass ein bestimmter Wachstumsfaktor namens FGF2 nötig war, damit die Bakterien in die Zellen eindringen können. Unter dem Mikroskop sahen die Forscher zudem, dass FGF2-Proteine über die gesamte Oberfläche der Bakterien verteilt waren. Ähnlich wie ein trojanisches Pferd den Griechen zur Tarnung diente, schmücken sich die Chlamydien also mit menschlichen Proteinen auf ihrer Oberfläche, um von den Zellen eingelassen zu werden. In weiteren Experimenten fanden die Forscher heraus, dass die Bakterien, sobald sie in der Wirtszelle drin sind, die zelleigene Produktion des Wachstumsfaktors stark ankurbeln. Auf diese Weise steht ihnen immer genügend Material zur Tarnung und Eroberung weiterer Zellen zur Verfügung. 1 PLoS Pathogens 7, e1002285 (2011) .