Infobrief SGB II - Deutscher Anwaltverlag

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Infobrief SGB II - Deutscher Anwaltverlag
Infobrief SGB II
1. Jahrgang
NOV 2012
Editorial
Inhalt
Herausgeberin:
Corinna Unger, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht, Gera
Unger, Wipper & Kollegen
Thema des Monats
Kurzmitteilungen für Praktiker
Überprüfungsverfahren § 44 SGB X
von RAin Corinna Unger................ 2
Wichtige Entscheidungen
LSG NRW: PKH auch für
Regelleistungsklagen
von RAin Corinna Unger................ 3
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
herzlich willkommen zum zweiten Infobrief SGB II. Auch in dieser Ausgabe erhalten
Sie wieder einen Überblick über aktuelle Rechtsprechung und wichtige Hinweise für
die Mandatsbearbeitung im SGB II.
Im Bundesgesetzblatt wurde nunmehr am 24.10.2012 bekannt gegeben, dass und
wie sich die Regelbedarfe ab dem 1.1.2013 erhöhen. Hierauf sollte bei der Prüfung
aktueller Bescheide geachtet werden. Außerdem hat das BSG eine interessante
Entscheidung zur Kostenerstattung nach § 63 SGB X getroffen, die zwar im Volltext
noch nicht vorliegt, von den Kollegen dennoch bereits berücksichtigt werden sollte.
Hierin wurde die Auffassung der Autorinnen im letzten Newsletter zur Notwendigkeit
der Zuziehung bestätigt.
Wir wünschen Ihnen wieder viele wertvolle Anregungen zur erfolgreichen Bearbeitung von Mandaten im Bereich des SGB II und würden uns freuen, wenn Sie uns
aktuelle Urteile, die Sie selbst an Ihren Heimatgerichten erstritten haben und die nicht
veröffentlicht wurden, aber für Kollegen von Interesse sind, zusenden. Wenn Sie sich
selbst als Autor/Autorin betätigen wollen, dann wenden Sie sich doch einfach an die
Herausgeberin oder den Deutschen Anwaltverlag.
LSG NRW: Kein Leistungsausschluss
für EU-Bürger gem. § 7 Abs. 1 S. 2
Nr. 1 u. 2 SGB II
von RAin Susann Wipper............... 4
SG Berlin: Zwangsgeldantrag bei
fehlender Umsetzung von Beschlüssen im ER-Verfahren
von RAin Corinna Unger................ 6
BSG aktuell
Aktuelle Entscheidungen............. 7
Neue anhängige Rechtsfragen..... 8
Corinna Unger
Infobrief SGB II
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1
Thema des Monats
Einschränkung der Überprüfungszeiträume bei Anträgen nach § 44 SGB X
Ist die Monatsfrist zur Einlegung eines Rechtsmittels (z.B. Widerspruch/Klage)
versäumt, besteht dennoch die Möglichkeit der Abänderung der Entscheidung durch
Stellung eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X.
Die Einleitung von Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X bietet eine wirkungsvolle
Möglichkeit, auch ältere Bescheide der nochmaligen behördlichen Kontrolle zu unterziehen und so die Abänderung rechtswidriger Bescheide zu erwirken oder im Wege
der Widerspruchseinlegung gegen die Überprüfungsbescheide vorzugehen.
Bis zum Jahresende 2010 bestand gemäß § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X die Möglichkeit,
SGB II-Bescheide auch nach Ablauf der Widerspruchsfrist (Monatsfrist) für 4 Jahre rückwirkend überprüfen zu lassen. Diese Regelung wurde für das SGB II durch
Einführung des § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II im Zuge der SGB-II-Neuregelung 2011 stark
eingeschränkt.
Änderung der gesetzlichen
Regelung im SGB II
Gemäß § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II können Leistungen des SGB
II, auf die ein Anspruch bestand, rückwirkend nur noch für 1 Jahr erbracht werden.
Diese rückwirkende Jahresfrist beginnt am 1.1. des Jahres, in dem der Antrag gestellt
wurde. Es ist daher unbedingt noch vor Jahresende zu prüfen, ob ggf. noch entsprechende Anträge an die Behörden zu richten sind.
Die rückwirkende Überprüfung gemäß § 44 SGB X ist für Bescheide nach dem
SGB II, mit welchen höhere Leistungen nach dem SGB II begehrt werden –also
begünstigende VA –, nunmehr nur noch ein Jahr rückwirkend möglich.
Einschränkung nur für
begünstigende VAe
Die Nachzahlung zu Unrecht nicht erhaltener Sozialleistungen wird damit auf das
laufende Kalenderjahr und das vorhergehende beschränkt.
Rücknahme-/Aufhebungs- und Erstattungsbescheide sowie Sanktionsbescheide sind
von der verkürzten Überprüfungsfrist nicht betroffen, da es sich hierbei nicht um begünstigende Verwaltungsakte handelt. Eine Überprüfung nach § 44 SGB X ist daher
für diese Bescheide weiterhin rückwirkend für einen Zeitraum von 4 Jahren formlos
möglich und sollte durch den Anwalt geprüft und durchgeführt bzw. dem Mandanten
gegenüber angeraten werden.
Sollten in Folge des Überprüfungsverfahrens Leistungen nachgezahlt werden, ist im
Interesse des Mandanten darauf zu achten, dass auch eine Entscheidung gemäß § 44
SGB I (Verzinsung) getroffen wurde. Diese erfolgt regelmäßig nicht, ist aber bis auf
Ausnahmefälle von Amts wegen zu treffen.
Verzinsung
Anzumerken ist hierzu, dass durch die Amtsgerichte zunehmend keine Beratungshilfe
für die Stellung von Überprüfungsanträgen gewährt wird. Es ist daher ratsam, den
Überprüfungsantrag durch den Mandanten stellen zu lassen und erst im Widerspruchsverfahren anwaltlich tätig zu werden.
Gebührenoptimierung
RAin Corinna Unger, Gera
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Entscheidungen
LSG gewährt PKH, da Ungleichheit im Kenntnisstand der Parteien und
schwierige Rechtsfrage
LSG NRW, Beschl. v. 26.10.2012 – L 12 AS 1689/12 B
I. Der Fall
Die Kläger stellten am 23.2.2012 einen Antrag auf Überprüfung eines Bescheides,
durch den Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum April bis September 2011
bewilligt worden waren. Sowohl der Überprüfungsantrag als auch der anschließende
Widerspruchsbescheid wurde negativ verbeschieden.
PKH-Ablehnung für
Regelleistungsklage
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das anschließende Klageverfahren mit der Begründung, dass die ab Januar 2011 geltenden Regelsätze nicht den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprächen und daher verfassungswidrig
seien, wurde vom Sozialgericht abgelehnt. Eine hinreichende Erfolgsaussicht der
Klage bestehe nicht. Die von den Klägern geltend gemachte Verfassungswidrigkeit
des neuen Regelbedarfs sei nicht ersichtlich.
Gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe richtete sich das Beschwerdeverfahren.
II. Die Entscheidung
Auf die Beschwerde der Kläger hin wurde der Beschluss des SG Dortmund geändert.
Den Klägern wurde für das Klageverfahren PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts bewilligt. Kosten hatten die Beteiligten einander im Beschwerdeverfahren nicht
zu erstatten.
Das LSG führte aus, dass Voraussetzung für die Gewährung von PKH sei, dass die
beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig ist sowie die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.
Voraussetzungen
nach der ZPO
Der Klageerfolg braucht dabei nicht sicher zu sein, muss aber nach den bisherigen
Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Ist die Erfolgschance
jedoch nur eine entfernte, ist der Antrag auf Gewährung von PKH abzulehnen. Wird
eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt, aber
klärungsbedürftig ist, muss PKH ebenfalls bewilligt werden.
Ungeklärte, klärungs­
bedürftige Rechtsfrage
Dabei ist maßgeblich, ob die entscheidungserhebliche Rechtsfrage schwierig erscheint. Ist dies der Fall, muss die bedürftige Person die Möglichkeit haben, ihren
Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren zu vertreten und ggf. Rechtsmittel einlegen zu können (BVerfG, Beschl. v. 10.12.2001 – 1 BvR 1803/97).
Da es sich bei der Frage, ob auch die ab 1.1.2011 geltenden höheren Regelsätze
verfassungswidrig sind, um eine schwierige, bisher nicht höchstrichterlich geklärte
Rechtsfrage handelt, kann dem Verfahren nicht von vornherein die hinreichende
Erfolgsaussicht abgesprochen werden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass das
BSG mit Urt. v. 12.7.2012 (Verfahren B 14 AS 153/11 R) die Höhe des Regelbedarfs
für Alleinstehende für verfassungsgemäß angesehen und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht abgelehnt hat.
Diese Entscheidung konnte jedoch nicht auf Kläger in einer BG übertragen werden,
zumal diese Entscheidung bei Entscheidungsreife des Antrags noch nicht vorlag.
Infobrief SGB II
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Bislang nur Entscheidung
des BSG zu Einzel-BG
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Entscheidungen
Die Erforderlichkeit der Beiordnung des RA beurteilt sich nach dem Umfang und der
Schwierigkeit der Sache, sowie nach der Fähigkeit des Beteiligten, sich auszudrücken.
Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise
einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon
ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der
Parteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht.
Vergleich Bemittelter –
Unbemittelter
Eine andere Bewertung kann aber dann gelten, wenn der Rechtsuchende mehrere
parallele Verfahren betreibt. Lässt sich nämlich die anwaltliche Beratung ohne wesentliche Änderungen auf die übrigen Fälle übertragen, so verbietet es das Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit, für jeden Gegenstand erneut einen Rechtsanwalt
beizuordnen.
Aus diesen Gründen war den Klägern ein RA beizuordnen. Dass diesbezüglich bereits
Musterverfahren beim BSG anhängig sind, ändert hieran nichts, da den Klägern nicht
generell das Recht abgesprochen werden kann, ein eigenes Verfahren zu führen.
Im Bereich der Leistungsbewilligung nach dem SGB II werden auch in Musterklagen
oft nicht alle Einzelvoraussetzungen geklärt. Auch diesbezüglich bedarf der rechtsunkundige Leistungsempfänger daher der Hilfe eines RA.
III. Der Praxistipp
Bereits im letzten Infobrief hatten wir auf die beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwerden zur Regelleistungshöhe hingewiesen. Nach der nun
hier vorliegenden Entscheidung empfiehlt es sich daher, die Mandanten auf diese
Verfahren hinzuweisen und ggf. Rechtsmittel gegen bislang vorliegende Entscheidungen einzulegen.
Musterverfahren
sind unschädlich
Rechtsmittel prüfen
Sofern die Entscheidungen bereits rechtskräftig sind, können Überprüfungsanträge
nach § 44 SGB X gestellt/empfohlen werden.
Für parallele Verfahren kann PKH abgelehnt werden, dies ist ggf. zu beachten.
RAin Corinna Unger, Gera
Kein Leistungsausschluss für EU-Bürger
gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 u. 2 SGB II
LSG NRW, Beschl. v. 17.9.2012–L 12 AS 761/12 B ER
I. Der Fall
Das LSG hatte darüber zu entscheiden, ob einem griechischen Staatsbürger, welcher
sich in Deutschland ausschließlich zum Zweck der Arbeitssuche aufhält (§ 2 Abs. 2
Nr. 1 Alternative 2 FreizügG/EU), Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen sind.
Die von diesem beantragten Leistungen nach dem SGB II lehnte das zuständige JC
unter Berufung auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II ab.
Leistungsversagung
unter Berufung auf
Leistungsausschluss des
§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bzw.
2 SGB II
Gegen diese Entscheidung erhob der Ast. Widerspruch und beantragte Einstweiligen
Rechtsschutz mit dem Ziel der vorläufigen Bewilligung von Leistungen.
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Entscheidungen
Zur Begründung trug er vor, die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II sei europarechtswidrig, da Art. 4 der EG VO 883/2004 allen Unionsbürgern, die sich in einem
anderen Mitgliedstaat aufhielten, Gleichbehandlung bei den Leistungen der sozialen
Sicherheit garantiere. Somit seien ihm, einem Unionsbürger, der seinen Wohnsitz in
Deutschland habe, Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
II. Die Entscheidung
Der Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss des SG auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung gab das LSG teilweise statt und verurteilte das JC, dem Ast. vorläufig
Leistungen (Regelleistung) nach dem SGB II für die Dauer von 6 Monaten, längstens
bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, zu bewilligen.
LSG bejaht Vorliegen eines
Anordnungsanspruchs
Entgegen den Ausführungen des SG bejahte das LSG die Glaubhaftmachung eines
Anordnungsanspruchs durch den Ast. Hierzu führte es sinngemäß aus, dass der Ast.
dem bezugsberechtigten Personenkreis des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4 SGB II zuzurechnen ist. Zudem ist er als griechischer Staatsangehöriger und Altunionsbürger
gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt und berechtigt, ohne Arbeitserlaubnis
eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen. Zudem hat er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik.
Auch der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II steht der
vorläufigen Leistungsgewährung nicht entgegen, obwohl dieser dem Wortlaut der
Vorschrift nach zu bejahen ist.
Leistungsausschluss des
§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und
2 SGB II nach Wortlaut zu
bejahen
Jedoch sieht das LSG Bedenken hinsichtlich der Europarechtskonformität dieser
Norm. Zu diesem Ergebnis kommt es infolge der ausführlichen Auseinandersetzung
mit den Bedenken und dem Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zu
dieser Frage. Hierzu verweist es u.a. darauf, dass die Bedenken gegen die Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht einerseits aus der Streitfrage
resultieren, ob Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II Sozialhilfeleistungen
sind oder ob es sich um Leistungen der sozialen Sicherheit bzw. zur Eingliederung in
Arbeit handelt, die freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern unter Verstoß gegen
das Verbot der Differenzierung nach Staatangehörigkeit und/oder das allgemeine
Differenzierungsverbot vorenthalten werden. Für die Klärung dieser Frage komme es
insbesondere auf die Anwendbarkeit des Art. 24 Abs. 2 der RL 2004/38 an. Auch
sei die Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Gleichbehandlungsgebot nach Art. 4 der
EG VO 883/2004 und insb. die Frage des Verhältnisses dieser VO zur RL 2004/38
umstritten, da es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um besondere beitragsunabhängige Leistungen i.S.v. Art. 70 der EGVO 883/2004 handelt. Zudem sei auch
umstritten, ob das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) die Anwendbarkeit der
Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II im Fall des Ast. ausschließt, obwohl der
Ast. als griechischer Staatsangehöriger dem EFA unterfällt. Die Anwendbarkeit des
EFA könne jedoch daran scheitern, dass Deutschland am 19.12.2011 einen Vorbehalt
zum EFA erklärte, wonach Deutschland keine Verpflichtung übernimmt, die im SGB II
vorgesehenen Leistungen Staatsangehörigen der übrigen Vertragsstaaten in gleicher
Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen
zuzuwenden. Allerdings ist die Wirksamkeit dieser Vorbehaltserklärung selbst höchst
umstritten.
Bedenken und Meinungsstand in Rechtsprechung
und Literatur zur Europa­
rechtskonformität der
Norm des § 7 Abs. 1 S. 2
Nr. 1 und 2 SGB II
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Entscheidungen
Aufgrund dieser zahlreichen ungeklärten Rechtsfragen zur Wirksamkeit des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II schloss der Senat eine
abschließende Klärung des Anspruchs auf die Gewährung von Leistungen nach dem
SGB II im einstweiligen Rechtsschutzverfahren – wie andere LSGs auch – aus.
Vielmehr erfolgte eine Entscheidung auf der Ebene der Folgenabwägung der Beteiligten. Im Rahmen der Abwägung sah das LSG unter Beachtung der grundrechtlichen
Belange des Ast. zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens, insbesondere
dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde i.V.m. dem Sozialstaatsgebot folgend,
die Interessen des Ast. als überwiegend an. Folglich gab das LSG dem Antrag des
Ast. für die Zukunft – nicht für die Zeit ab Antragstellung und Entscheidung – siehe
hierzu die Ausführungen des LSG- bzgl. der Regelleistung – statt.
III. Der Praxistipp
Sollten Mandanten Leistungen nach dem SGB II unter Berufung auf § 7 Abs. 1 S. 2
Nr. 1 und 2 SGB II versagt werden, raten wir aufgrund der völlig unklaren Rechtslage
immer Rechtsmittel gegen die Versagung einzulegen. Zudem sollten stets die Erfolgsaussichten eines Einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auf vorläufige Bewilligung von
Leistungen geprüft werden. Hierbei ist zu empfehlen, die bereits zu diesem Thema
ergangenen Entscheidungen zu recherchieren und die Gründe der Stattgabe oder
Ablehnung eingehend zu prüfen.
Folgenabwägung
zugun­sten des
Unionsbürgers
Widerspruch/Klage und
Antrag auf Gewährung
Einstweiligen Rechts­
schutzes ratsam
RAin Susann Wipper, Erfurt
Leistungsträger zur Umsetzung von Eilbeschluss innerhalb von 3 Tagen
unter Androhung von Zwangsgeld verurteilt
SG Berlin, Beschl. v. 23.10.2012 – S 37 AS 23126/12 ER
I. Der Fall
Der Ag. wurde im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren verpflichtet, dem Ast. Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen und auszuzahlen. Dieser Anordnung kam er
jedoch nicht (zeitnah) nach.
II. Die Entscheidung
Der Ag. wurde gegen eine Zwangsgeldandrohung von 1.000 EUR aufgefordert, den
Beschluss im ER-Verfahren innerhalb von 3 Arbeitstagen in Form der Erteilung eines
Bescheides unter gleichzeitiger Anweisung der Leistungen umzusetzen.
Fehlende Umsetzung
des Beschlusses
Zutreffende Vollstreckungsart ist § 201 SGG, wonach maximal 1.000 EUR Zwangsgeld angedroht und festgesetzt werden können. Die Zwangsvollstreckung richtet sich
damit auf die Durchsetzung einer unvertretbaren Handlung, nämlich die Erteilung
eines Bescheides.
Richtige Vollstreckungsart:
§ 201 SGG
Bei einer Vollstreckung nach § 883 ZPO trüge der Ast. das Kostenrisiko, da § 41
SGB II keine exakte Fälligkeitsregelung enthält und er müsse zudem die Vollstreckung
jeden Monat neu betreiben.
§ 833 ZPO nicht
anwendbar
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Entscheidungen
Die Stattgabe des Zwangsgeldantrages wurde u.a. damit begründet, dass nur über
eine Auszahlung per Bescheid die Weitermeldung bei der Krankenkasse und die
nahtlose Inanspruchnahme sonstiger Vergünstigungen im Beschlusszeitraum gewährleistet sind.
Frage nach Verbleib der
Beschlussleistung als
Vollziehungshandlung
ausreichend
Die Vollziehungsfrist nach § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO (Eingang
des Vollstreckungsantrags vor Ablauf eines Monats nach Fälligkeit der insoweit zuerkannten Leistungen) ist eingehalten worden. Hierbei genügt das ernsthafte Verlangen
auf Auszahlung bzw. die Frage nach dem Verbleib der Beschlussleistung als hinreichende Vollziehungshandlung.
Das Verhalten des Antragsgegners gab Grund zu der Annahme, dass die Entscheidung des erkennenden Gerichts bewusst und in Kenntnis der Rechtswidrigkeit dieser
Verzögerung ignoriert wurde, sodass schon bei der erstmaligen Zwangsgeldandrohung die Obergrenze von 1.000 EUR auszuschöpfen und angesichts der verstrichenen
Zeit von einer vorherigen Anhörung, die im Verfahren nach § 201 SGG generell nicht
gefordert ist, abzusehen ist.
Vollstreckungsfristen
notieren und ggf.
Zwangsgeldantrag stellen
III. Der Praxistipp
Bei Anordnungen im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren sind neben den Rechtsmittelfristen auch Vollstreckungsfristen zu notieren. Soweit Beschlüsse im Eilverfahren
nicht fristgerecht umgesetzt werden, ist ein Zwangsgeldantrag an das erkennende
Gericht nach § 201 SGG richtige Vollstreckungsart. Nicht selten werden die Beschlüsse, die im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren erstritten wurden, nicht (zeitnah)
umgesetzt. Da insbesondere im Bereich der Grundsicherung jede Zeitverzögerung zu
einem weiteren Unterschreiten des Existenzminimums führt, sollte im Interesse der
Mandanten dieser Weg daher bestritten werden.
Die Kosten sind durch den Leistungsträger zu erstatten.
RAin Corinna Unger, Gera
BSG aktuell
1. Aktuelle Entscheidungen
– B 4 AS 97/11 R –
Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen. Die Voraussetzungen der in § 63
Abs. 1 S. 1 SGB X geregelten Anspruchsgrundlage für eine Erstattung der für den
Widerspruch entstandenen Aufwendungen sind erfüllt. Der erfolgreiche Widerspruch
richtete sich jedenfalls auch gegen die Mahngebühr und damit gegen einen Verwaltungsakt i.S.d. § 31 SGB X (vgl. schon BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr. 3).
Schließlich war die Zuziehung eines Rechtsanwalts auch notwendig i.S.d. § 63 Abs. 2
SGB X. Die Notwendigkeit einer Zuziehung kann nur ausnahmsweise verneint werden, da dem Widerspruchsführer rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer
Behörde gegenüberstehen. Ein derartiger Ausnahmefall liegt nach den hier vorliegenden Gesamtumständen nicht vor.
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Zuziehung in der
Regel notwendig
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BSG aktuell
– B 4 AS 39/12 R –
Das verwerfliche, strafrechtlich relevante Verhalten des Klägers ist nicht sozialwidrig
i.S.d. § 34 SGB II. Nicht jedes – hier in hohem Maße gegebene – verwerfliche Verhalten, das Hilfebedürftigkeit verursacht, führt zugleich zu einer Erstattungspflicht. Erfasst wird nur ein Verhalten mit spezifischem Bezug, d.h. „innerem Zusammenhang“,
zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bzw. Leistungserbringung.
Kostenerstattung nur bei
engem deliktähnlichem
Ausnahmetatbestand
Die Kostenersatzpflicht beschränkte sich auf einen „engen deliktähnlichen Ausnahmetatbestand“ und setzte ein sozialwidriges Verhalten voraus, das durch einen spezifischen Bezug zwischen dem Verhalten selbst und dem Erfolg gekennzeichnet war.
Diese einschränkende Auslegung gilt sinngemäß auch für die Anwendung des § 34
Abs. 1 SGB II, weil es sich um existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen
handelt, auf die ein Rechtsanspruch besteht und die grundsätzlich unabhängig von
der Ursache der entstandenen Notlage und einem etwaigen vorwerfbaren Verhalten
in der Vergangenheit zu leisten sind. Dieser Grundsatz darf nicht unterlaufen werden. Das SGB II enthält detaillierte Regelungen zur Refinanzierung von „zu Unrecht“
erbrachten SGB II-Leistungen bzw. zu Leistungskürzungen bei diversen Verhaltensweisen.
Zwischen den Straftaten besteht kein spezifischer Bezug zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit. Das mit der Straftat in Zusammenhang stehende Verhalten des Klägers
war nicht auf die Herbeiführung von Bedürftigkeit bzw. den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder -möglichkeit gerichtet.
– B 14 AS 11/12 R –
Hinsichtlich der Höhe der bei privat krankenversicherten Leistungsempfängern zu
übernehmenden Prämie für die private Krankenversicherung wurde sich der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 18.1.2011 (B 4 AS 108/10 R) angeschlossen.
Danach ist die Hälfte des Höchstbeitrages für den Basistarif in der privaten Krankenversicherung zu gewähren. Für darüber hinaus gehende Forderungen fehlt es an
einer Rechtsgrundlage. Der Wechsel in den Basistarif ist zudem zumutbar. Darüber
hinausgehende Kosten der privaten Krankenversicherung können auch nicht als
angemessene Versicherung nach § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II a.F. vom Einkommen
abgesetzt werden.
Der Beklagte hat zudem die Prämie zur privaten Pflegeversicherung in voller Höhe
zu übernehmen. Nach § 26 Abs. 3 S. 1 SGB II a.F. hat der Grundsicherungsträger die
Aufwendungen für eine angemessene private Pflegeversicherung im notwendigen
Umfang zu übernehmen. Notwendig ist der Betrag, den das private Pflegeversicherungsunternehmen unter Beachtung von § 110 Abs. 2 S. 4 SGB XI nach § 55 SGB XI
von einem privat Pflegeversicherten fordern kann. § 110 Abs. 2 S. 4, 2. Hs. SGB XI,
der eine Begrenzung der Zahlungspflicht des Grundsicherungsträgers vorsieht, bleibt
bei verfassungskonformer Auslegung unbeachtlich.
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Verhalten muss auf
Herbeiführung der
Hilfebedürftigkeit
ausgerichtet sein
Übernahme nur zur
Hälfte des Basistarifs
Prämie zur privaten
PV in voller Höhe
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BSG aktuell
2. Neue anhängige Rechtsfragen
– B 14 AS 68/12 R –
Sind – nach Änderung eines angegriffenen Bescheides zugunsten des Widerspruchsführers – die Vorverfahrenskosten gemäß § 63 SGB X nur im Verhältnis einer durch
Vergleich der Anspruchshöhe vor und nach dem Widerspruch zu berechnenden Erfolgsquote zu erstatten, wenn der Widerspruch vom Bevollmächtigten nicht begründet bzw. der geltend gemachte Anspruch nicht der Höhe nach beziffert wurde?
– B 14 AS 71/12 R –
Zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II bei einer gemischten Bedarfsgemeinschaft, bei der das nach § 7 Abs. 4 SGB II ausgeschlossene Mitglied in einem
Pflegeheim untergebracht ist, Altersrente sowie nicht kostendeckende Leistungen der
Pflegekasse bezieht und dessen Antrag auf Leistungen nach SGB XII bestandskräftig
abgelehnt wurde.
Widerspruchskosten nach
Erfolgsquote bei fehlender
Begründung/Bezifferung
Berechnung
bei gemischter BG
(Quelle: www.BSG.de)
Impressum
Herausgeber:
RAin Corinna Unger
Heinrichstr. 86, 07545 Gera
unger@unger-wipper.de
www.unger-wipper.de
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Beate Eschbach
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