2010 - Haus der Wannsee
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2010 - Haus der Wannsee
Haus der Wannsee-Konferenz Gedenk- und Bildungsstätte Tätigkeitsbericht 2010 Herausgeber Haus der Wannsee-Konferenz – Gedenk- und Bildungsstätte gefördert vom Land Berlin und dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages Redaktion: Michael Haupt Haus der Wannsee-Konferenz Gedenk- und Bildungsstätte Am Großen Wannsee 56-58, 14109 Berlin Telefon: Telefax: eMail: Internet: 030 – 80 50 01 0 030 – 80 50 01 27 info@ghwk.de www.ghwk.de, www.ghwk.eu © Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin, März 2011 Trägerverein Erinnern für die Zukunft – Trägerverein des Hauses der Wannsee-Konferenz e.V. (Vereinsregister Berlin VR 10493 Nz) Vorsitzender: (bis August 2010) Richard Dahlheim, Senatskanzlei, Berlin Vorsitzende: (seit Oktober 2010) Staatssekretärin Barbara Kisseler, Chefin der Senatskanzlei, Berlin Gemäß letztem Bescheid des Finanzamts für Körperschaften I Berlin ist der Trägerverein der Gedenkstätte als besonders förderungswürdig zur Förderung der Bildung und Förderung der Völkerverständigung als gemeinnützig anerkannt. Bankverbindungen Konto 1000 7345, Deutsche Bundesbank, Filiale Berlin, BLZ 100 000 00, BIC: MARKDEF1100; Konto 44 60 200 00, Commerzbank Berlin AG, BLZ 100 400 00, BIC: COBADEFFXXX - IBAN: DE85 1004 0000 0446 0200 00. Kontoinhaber: Erinnern für die Zukunft e.V. 2 Tätigkeitsbericht 2010 Inhalt Vorwort – Dr. Norbert Kampe 5 Bericht des Leiters der Gedenkstätte 10 Bildungsabteilung – Bericht über das Jahr 2010 14 Besucherstatistik 20 Joseph Wulf Mediothek – Berichtsjahr 2010 27 Die Sammlung Werner T. Angress in der Joseph Wulf Mediothek 29 Kulturstaatsminister Bernd Neumann: Zusammenarbeit der NS-Gedenkorte im Raum Berlin wird gestärkt (Pressemitteilung vom 22. März 2010) 30 Berliner NS-Gedenkstätten verstärken Zusammenarbeit (Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Pressemitteilung vom 22. März 2010) 31 „Man war Däne mit einer anderen Religion“ – Gespräch mit Salle Fischermann 32 Bildungsarbeit mit Zeitzeugen 40 „Zentralisierung und Politisierung des Gedenkens? – Zur Zukunft der Erinnerungskultur an die NS-Verbrechen in Deutschland und Europa“ (Podiumsdiskussion am 18. November 2010) 42 „The Diversity of the audience – Teaching about the Holocaust at Memorial Sites, Museums and in educational Centers“ (Tagungsbericht, August 2010) 44 Vorträge am Sonntag 2010 46 “…vor 80 Jahren …” 49 “…vor 70 Jahren …” 49 “…vor 20 Jahren …” 51 Bau- und Sanierungsmassnahmen 2010 54 Publikationen der Gedenkstätte 55 Der Trägerverein der Gedenkstätte und der internationale Beirat 56 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 57 Pressespiegel 2010 (Auswahl) 58 Kontakt (Innenseite Umschlag hinten) Tätigkeitsbericht 2010 3 4 Tätigkeitsbericht 2010 Vorwort Seit dem Eichmann-Prozess in Jerusalem 1960/61 ist die „Villa am Wannsee“ der Inbegriff für den von deutschen Bürokraten kaltblütig organisierten Völkermord an den Juden. Viele Juden aus aller Welt wollen deshalb einmal in ihrem Leben diese Villa und den Konferenzraum sehen. Darunter sind Überlebende und Familien, die Angehörige verloren haben. Diese Besucher wollen auch von uns wissen, wie hier junge Deutsche über den Holocaust unterrichtet werden und welche Konsequenzen junge Menschen daraus ziehen. Die Gedenkstätte ist damit zugleich ein viel beachtetes internationales Aushängeschild und ein Indikator für die Art des Umgangs der heutigen Deutschen mit den NS-Verbrechen geworden. Die Gedenk- und Bildungsstätte, seit ihrer Eröffnung 1992 in hälftiger Trägerschaft vom Land Berlin und der Bundesrepublik Deutschland, ist ein wichtiger Ort der historischen und politischen Information über die Verbrechen während der NS-Herrschaft in Deutschland und Europa wie auch über die Folgen von Rassismus und Antisemitismus. Dabei stehen die WannseeKonferenz vom 20. Januar 1942 und die Organisation des Völkermordes an den europäischen Juden im Mittelpunkt. Tätigkeitsbericht 2010 Die systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten der Sowjetunion und im Baltikum begann bald nach dem deutschen Angriff am 22. Juni 1941. Im Zusammenhang mit der deutschen Kriegserklärung an die USA im Dezember 1941 gab Hitler dem Reichsführer SS Heinrich Himmler den Auftrag zur Deportation aller europäischen Juden im deutschen Einflussbereich mit dem Ziel ihrer Tötung bis zum Kriegsende. Der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, der bereits die Massenmorde der Einsatzgruppen in der Sowjetunion organisiert und sich am 31. Juli 1941 vom Reichsmarschall Hermann Göring den Auftrag zur „Endlösung der Judenfrage“ geholt hatte, erhielt im Dezember 1941 den Auftrag zur Durchführung der europaweiten Deportationen nach dem Osten in die dort errichteten Ghettos und Konzentrationslager. Zur Durchsetzung seiner alleinigen Zuständigkeit lud er zu einer Besprechung ein, die am 20. Januar 1942 stattfand und nach dem Ort in der Strasse am Großen Wannsee 56-58 heute die „Wannsee-Konferenz“ genannt wird. 5 Das Protokoll der Wannsee-Konferenz ragt aus der Vielzahl der überlieferten Dokumente der Täter über die eigenen Verbrechen heraus, weil diese „Besprechung der Staatssekretäre“ auf hoher Hierarchieebene belegt, was schon im Januar 1942 feststand: Die Deportation aller Juden im deutsch beherrschten Europa sollte noch während der andauernden militärischen Operationen gegen die Sowjetunion erfolgen; kein Jude in Europa sollte auf lange Sicht Deportation und Zwangsarbeit überleben können, die “Widerstandsfähigsten“ sollten „entsprechend behandelt“ (d. h. ermordet) werden, um „einen neuen jüdischen Aufbau“ im Gegensatz zu früheren Phasen der Judenverfolgung definitiv zu verhindern (Protokoll Seite 8; die zentralen Dokumente sind in Faksimile und Übersetzungen in vielen Sprachen leicht erreichbar unter www.ghwk.de). Die Teilnehmer der „Wannsee-Konferenz“ besprachen die Zusammenarbeit ihrer jeweiligen Behörden bei der bevorstehenden Deportation der Juden. Der SD rechnete mit der Deportation von bis zu 11 Millionen Menschen (Protokoll Seite 6). Die Beamten der Ministerien erfuhren hier nicht nur das eigentliche Ziel der Deportationen, sondern – so berichtete Eichmann in Jerusalem – auch Einzelheiten der seit 1941 erprobten Mordmethoden, die sie unter Konsum alkoholischer Getränke und beim Verzehr eines zweiten Frühstücks lebhaft begrüßten. Sie machten Vorschläge im Interesse ihrer Dienststellen. 6 Tätigkeitsbericht 2010 So bat der Vertreter der deutschen Regierung im besetzten Polen mit der „Endlösung“ im Generalgouvernement zu beginnen (Protokoll Seite 14f). Kein Konferenzteilnehmer meldete grundsätzliche Bedenken an gegen diese Verabredung zu einem bis dahin unvorstellbaren Staatsverbrechen. Von den insgesamt 15 Konferenzteilnehmern waren sieben promovierte Juristen und stammten aus „guten“, auch christlichen Elternhäusern. Der ungeheuerliche Konferenzgegenstand wurde von Adolf Eichmann im Bürokratendeutsch als Ergebnisprotokoll festgehalten. Ungeachtet der üblichen Tarnsprache sollten nämlich die Teilnehmer als Mitwisser und Mitverantwortliche durch eindeutige Formulierungen „festgenagelt“ werden. Eine Staatssekretärskonferenz war für Heydrich die höchste erreichbare interministerielle Ebene, denn Kabinettssitzungen fanden schon seit Jahren nicht mehr statt und Hitler hatte den Ministern ein Treffen hinter seinem Rücken verboten. Die Wannsee-Konferenz war nicht der Zeitpunkt und Ort der Entscheidung zur Ermordung aller Juden – diese Entscheidung fiel vorher mündlich durch Hitler im engen Führungskreis –, sondern es handelte sich um eine Organisationskonferenz auf Staatssekretärsebene. Durch diese Konferenz wurden der gesamte deutsche Staatsapparat und seine leitenden Beamten zu Mitwissern und Mittätern beim Völkermord an den Juden. Die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 steht heute als Symbol für den bürokratisch, arbeitsteilig und mit dem gesamten Machtapparat eines modernen Staates geplanten und durchgeführten Völkermord. Aus den zuvor schon stattgefundenen grauenhaften Massenmorden wurde ein systematischer Genozid an den europäischen Juden, dessen konkrete Umsetzung auch im besetzten West- und Süd-Europa unmittelbar nach der Wannsee-Konferenz begann. Die Ausstellung Die Ausstellung im Erdgeschoß des Hauses, in dem die Wannsee-Konferenz stattfand, thematisiert nicht nur die Organisation der Verbrechen und die Geschichte der Täter, sondern sie fragt auch nach dem Verhalten der Zuschauer und nach den Handlungsspielräumen. Juden werden nicht nur als Opfer, sondern – soweit sie eine Chance dazu hatten – als Handelnde gezeigt. Das Schicksal von vier jüdischen Familien, die in der großen Eingangshalle vorgestellt werden, wird über mehrere Themenräume verfolgt. Die einzige Überlebende einer polnischen Familie, Frau Esther Reiss geb. Yoskowitz, schildert ihre Erlebnisse eindrucksvoll in zwei Videostationen. Es hat sich bewährt, besonders bei Führungen und Seminaren mit jüngeren Schülern, von einem konkreten Einzelschicksal auszugehen. Tätigkeitsbericht 2010 Es soll damit ein multiperspektivischer Zugang zu den Ereignissen ermöglicht werden. Audio-, Video- und Lesestationen in den verschiedenen Räumen bieten die Möglichkeit zur vertieften Information. Die historische Ausstellung ist in sechzehn Themenräume gegliedert (vgl. Kasten mit Grundriss, Seite 8). Beginnend mit den vier jüdischen Familiengeschichten und einer Karte zur jüdischen Bevölkerung in Europa, mit Informationen über die christliche Judenfeindschaft, Emanzipation, Rassismus und Eugenik, wird die Erfolgsgeschichte der Integration der Juden in der Gesellschaft der Weimarer Republik vorgestellt – kontrastiert mit dem Aufstieg der NSDAP. Der Raum für die Vorkriegsphase im NS-Deutschland thematisiert die Konstituierung der „Volksgemeinschaft“ und verweist auf die davon Ausgeschlossenen, zeigt die jüdische Selbstbehauptung und Selbsthilfe und leitet mit dem Krankenmord („Euthanasie“) zur Vernichtungspolitik im Krieg über. Der Kriegsverlauf in Polen, der UdSSR und auf dem Balkan zeigt die Eskalationsstufen bis zum systematischen Massenmord an den sowjetischen Juden und das Zusammenspiel von Einsatzgruppen und Wehrmacht. Die vorgestellten kritischen deutschen Stimmen und die deutschen Judenretter verdeutlichen die ungeachtet aller Propaganda durchaus vorhandene Möglichkeit der Wahrnehmung der Vorgänge als ein ungeheures Verbrechen. 7 Die von Besuchern angesichts der Dokumente und Fotos in der Ausstellung am häufigsten gestellte Frage lautet: Was haben die durchschnittlichen Deutschen vom Judenmord gewusst? Dazu versucht der Raum 7 Antworten zu geben. Er zeigt anhand von Videos und Zeitungstexten, dass der Massenmord nicht nur öffentlich angekündigt, sondern auch dessen laufender Vollzug öffentlich gemeldet wurde. Die Beschreibung der Ereignisse vor der Wannsee-Konferenz mit der Verdeutlichung der Diskrepanz von öffentlicher Ankündigung und Bestätigung des Judenmords bei gleichzeitig versuchter Geheimhaltung der Details leitet über zur Information über Personen und Ämter, die bei der Wannsee-Konferenz vertreten sind. Der Raum 9, das ehemalige Speisezimmer der Industriellenvilla, ist als historischer Raum der Staatssekretärs-Besprechung über die „Endlösung der Judenfrage“ ganz diesem Ereignis gewidmet. Der Raum wird dominiert von einer Tischvitrine mit einer Kopie des Konferenzprotokolls und zeigt die zentralen Dokumente aus dem Reichssicherheitshauptamt mit der Beauftragung Reinhard Heydrichs zur Deportation aller europäischen Juden. Im unmittelbar anschließenden Raum 10, dem Wintergarten, befinden sich Hörstationen, die Adolf Eichmanns Ausführungen zur Wannsee-Konferenz und seiner eigenen Funktion im Originalton und in Englisch vorgelesen anbieten. Es folgen die Räume mit Informationen über die unmittelbar nach dem 20. Januar 1942 beginnenden Deportationen von Juden aus West-, Nordund Südeuropa, die Räume zu den Ghettos und Lagern. Der Raum 15 mit dem Titel „Die Gegenwart der Vergangenheit“ soll anregen zum Nachdenken über die auch nach der Befreiung fort-dauernden Beschädigungen der Überlebenden und deren Kinder und sogar Enkel. Dr. Norbert Kampe, Leiter der Gedenkstätte 8 Tätigkeitsbericht 2010 DDDie AusstellungDD Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden Raumplan der Ausstellung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Einführung in die Ausstellung Rassismus und Judenfeindschaft Integration und Antisemitismus in der Weimarer Republik Rassistische Politik und Judenverfolgung in Deutschland 1933-1939 Krieg und Völkermord im Ost- und Südosteuropa Handlungsspielräume unter deutscher Besatzung Der Weg zum Völkermord An der Konferenz beteiligte Behörden Die Wannsee-Konferenz Konferenz-Teilnehmer und Protokoll nach 1945 Deportationen Die Ghettos Konzentrations- und Todeslager Zwangsarbeit und Tod im KZ Die Gegenwart der Vergangenheit Bisher nur im Katalog: 16 Villa und SD in Wannsee Tätigkeitsbericht 2010 9 Bericht des Leiters der Gedenkstätte Die Besucherstatistik Die beigefügte Jahresstatistik 2010 gibt detailliert Auskunft über die Anzahl der Besucher und über die Frequenzen innerhalb des pädagogischen Angebots. Im Jahre 2010 haben insgesamt 106.177 Personen die Gedenk- und Bildungsstätte besucht. Im Vergleich zu den 104.400 Besuchern im Jahre 2008 und zu den 93.600 Besuchern im Jahre 2009 - durch den monatelangen Ausfall der S-Bahnverbindung aus der Innenstadt nach Berlin-Wannsee kam es in 2009 zu einem Besucherrückgang – zeigt sich die Frequenz wieder auf hohem Niveau stabilisiert. Nur im Jahr 2006 war die Besucherzahl mit 108.437 höher. Im Jahre 2010 fanden 891 Führungen in der Ausstellung statt. Es fanden 309 Studientage, 79 Kleingruppenarbeiten und 22 sonstige Veranstaltungen statt. Der auch im Ausland verbreitete gute Ruf der Gedenkstätte schlägt sich im Anteil von nunmehr 60% nichtdeutschen Besuchern (von allen pädagogisch betreuten Besuchern) nieder. Der Anteil von ausländischen Besucherinnen und Besuchern ist seit dem Jahre 2000 (30%) kontinuierlich gestiegen; er lag erstmal 2005 und 2006 bei 50%. Der Anteil ausländischer Besucherinnen und Besucher wäre noch deutlich größer, wenn wir die Herkunft der nicht pädagogisch betreuten touristischen Einzelbesucher statistisch erfassen könnten. 10 Tätigkeitsbericht 2010 Zahlenmäßig führend sind bei den betreuten Gruppen derzeit Besuchergruppen aus Israel (2010 mit 13.627 Personen) und aus Großbritannien (2010 mit 7.643 Personen); dicht gefolgt von vor allem jüdischen Besuchern aus den USA (2010 mit 1.442 Personen). Die Ausstellung ist deshalb von vornherein gleichberechtigt in deutscher und englischer Sprache gestaltet. Deutsche, hebräische und englische Kataloge liegen vor, welche die gesamte Ausstellung mit allen Texten und Objekten dokumentieren. Kurzgefasste Katalogbroschüren mit den wichtigsten Dokumenten und Informationen liegen in Spanisch, Französisch, Griechisch, Niederländisch, Polnisch und Russisch vor. Die im Foyer kostenlos erhältlichen Informationsblätter zur Ausstellung und zur Hausgeschichte bieten noch weitere Sprachen an. Eine Mappe in Brailleschrift mit wichtigen Dokumenten zur Wannsee-Konferenz kann an der Rezeption entliehen werden. Führungen und Seminare können in vielen europäischen Sprachen und in Hebräisch stattfinden. Die beigefügte Statistik schlüsselt den Spracheinsatz weiter auf. Die „Ständige Konferenz der Leiter der NS-Gedenkorte im Berliner Raum“ Der Leiter der Gedenkstätte Haus der WannseeKonferenz war im Jahre 2010 als Gründungsdirektor der „Ständigen Konferenz der NS-Gedenkstätten im Berliner Raum“ besonders gefordert. Die Aufgaben der Ständigen Konferenz mussten in Kooperation mit den Gedenkstättenleitern definiert und die Geschäftsführerin eingearbeitet werden. Der „Ständigen Konferenz” gehören die Leiter der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der WannseeKonferenz (Dr. Norbert Kampe), der Topographie des Terrors (Prof. Dr. Andreas Nachama), der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Uwe Neumärker), der Gedenkstätte Deutscher Widerstand (Prof. Dr. Johannes Tuchel) und der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen (Prof. Dr. Günter Morsch) an. Es haben sich folgende Aufgabenbereiche für die Ständige Konferenz herauskristallisiert: Weiterentwicklung der Internetseite „Orte der Erinnerung“ zum zentralen Internetportal für die Gedenkstätten in Berlin und Brandenburg, eine Veranstaltungsreihe zur Erinnerungskultur in Deutschland und Europa, die Koordination und der Abgleich von Veranstaltungen sowie die interne Fortbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Know-how-Transfer). Mit diesen Projekten wird das Ziel verfolgt, für die Besucherinnen und Besuchern der Einrichtungen ein verbessertes Serviceangebot zu erzielen, die Zusammenarbeit der Leiter sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu intensivieren und die gemeinsame Außendarstellung der Gedenkstätten zu verbessern. In der Geschäftsordnung wurde festgelegt, dass Treffen nicht nur auf Leiterebene, sondern auch auf Mitarbeiterebene stattfinden können. Arbeitsgruppen können bei Bedarf projektorientiert und/oder dauerhaft eingerichtet werden. 2010 gab es neben den regelmäßigen Treffen der fünf Gedenkstättenleiter unter der Leitung der koordnierenden Assistentin insgesamt drei Treffen auf Mitarbeiterebene: ein Treffen der für Internet und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Zuständigen, ein Treffen für die Gedenkstättenbibliothekarinnen und -bibliothekare und ein Treffen der Leiterinnen und Leiter der Bildungsabteilungen. In den Arbeitsgruppen wurden u. a. Vorschläge für die Weiterentwicklung der Webseite „Orte der Erinnerung“ und für die Produktion neuer Inhalte diskutiert und erarbeitet, mögliche gemeinsame Projekte diskutiert, Erfahrungen ausgetauscht und die Vernetzung intensiviert. Zur Verbesserung der internen Veranstaltungskoordination wurde auf der Webseite „Orte der Erinnerung“ eine aktuelle Rubrik eingerichtet, in der die Planungen für Veranstaltungen eingetragen werden. Die Weiterentwicklung der Webseite und die Stärkung der gemeinsamen Präsentation wurden von den Nutzerinnen und Nutzern angenommen. Tätigkeitsbericht 2010 Die Besucherzahlen der Webseite nahmen 2010 - parallel zu den Änderungen in der Struktur von „Orte der Erinnerung“, der Schaffung einer größeren Übersichtlichkeit, der Pflege des Veranstaltungskalenders, der Bereitstellung neuer Inhalte und das Angebot in englischer Sprache - eine erfreuliche Entwicklung: Insgesamt konnten die Besucherzahlen im Durchschnitt innerhalb nur eines Jahres verdreifacht werden (November 2009: 2.735 Besuche im Monat, November 2010: 8.053 Besuche im Monat). Es lässt sich bereits jetzt feststellen, dass der positive Trend auch im neuen Jahr weiter anhält. Geplant ist, die Webseite auch zukünftig zu verbessern und die Nutzerfreundlichkeit zu erhöhen. Insbesondere ist vorgesehen, die Rubrik „Bildungsangebote“ im Jahr 2011 weiter auszubauen und kombinierte Angebote mehrerer Gedenkstätten für Schulklassen und andere Gruppen zu entwickeln. Auf diese Weise wird die Webseite ihre Portalfunktion vor allem im eher unübersichtlichen Bildungsbereich weiter stärken können. Die Broschüre „Orte der Erinnerung“ stellt eine Übersicht über 14, zukünftig 15 (mit dem Anne-FrankZentrum) Einrichtungen zur Geschichte der NS-Diktatur in Berlin und Brandenburg dar. Aufgrund der großen Nachfrage der Broschüre ist die erste Auflage in Höhe von 40.000 Exemplaren (Sommer 2009) bei den meisten Einrichtungen bereits vergriffen. Da die Broschüre für die Besucherinnen und Besucher eine wichtige Orientierungshilfe bietet und sie für die gemeinsame Außendarstellung der Gedenkstätten, Museen und Dokumentationszentren eine wichtige Rolle einnimmt, plant die Ständige Konferenz eine zweite Auflage der Broschüre. Aufgrund der internationalen Besucherstruktur der Einrichtungen wird es außerdem als sehr wichtig angesehen, die Broschüre auch in englischer Sprache anzubieten. Um das Serviceangebot für Interessierte zu erweitern und die gemeinsame Außendarstellung der Gedenkstätten zu verbessern, entschied die Ständige Konferenz, bei wichtigen Gedenktagen eine gemeinsame Veranstaltungsübersicht zu erstellen. Daher erarbeitete die koordinierende Assistentin anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2011 eine Übersicht über die geplanten Veranstaltungen der verschiedenen Einrichtungen zur Geschichte der NS-Diktatur und bezog auch die Veranstaltungen der Opferverbände mit ein. Diese Übersicht wurde u. a. zusammen mit den Einladungen zur Gedenkfeier anlässlich des 27. Januar im Berliner Abgeordnetenhaus im Dezember 2010 verschickt. Außerdem ist sie als Download auf „Orte der Erinnerung“ verfügbar und wird regelmäßig aktualisiert. 11 Die Leiter der Einrichtungen der Ständigen Konferenz haben sich darauf verständigt, dass bei gemeinsamen Projekten und Veranstaltungen Themen behandelt werden sollen, die für die Gedenkstätten von übergreifender Bedeutung sind. Dazu gehören die aktuellen Entwicklungen in der Erinnerungskultur in Deutschland und Europa. Als Auftaktveranstaltung wurde eine Podiumsdiskussion zu „Politisierung und Zentralisierung des Gedenkens? Zur Zukunft der Erinnerungskultur in Deutschland und Europa“ gewählt. Es ist geplant, die Veranstaltungsreihe im Frühjahr 2011 fortzusetzen. Für den Bereich der Pädagogik vereinbarte die Ständige Konferenz einmal im Jahr für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen eine halbtägige pädagogische Fortbildung anzubieten. Die grundlegende Idee solcher Veranstaltungen ist es, die pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Wissen von Pädagogen/innen, die bestimmte inhaltliche Schwerpunkte haben, teilhaben zu lassen und den Erfahrungsaustausch zu intensivieren. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass die Einrichtungen ein qualifiziertes Bildungsangebot bereitstellen können, das sich jeweils am neuesten Stand der Forschung orientiert. Das Thema der ersten Fortbildung betraf Führungen von multikulturell zusammengesetzten Gruppen. Die Fortbildung stieß bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf eine außerordentlich positive Resonanz: So nahmen über 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von 11 Einrichtungen daran teil. Neben Vorträgen der drei Referenten und einer anschließenden Diskussion wurden drei Arbeitsgruppen gebildet, in denen verschiedene Aspekte des Themas weiter vertieft und intensiv diskutiert wurden. Die große Resonanz zeigte, dass eine verbesserte Kooperation zwischen den Gedenkstätten nicht nur extern, sondern auch intern sehr positiv wahrgenommen wird. Besondere Veranstaltungen Am 20. Januar 2010 – dem Gedenktag an die Konferenz im Jahre 1942 – wurde die Vortragsreihe mit Zeitzeugen fortgesetzt. Herr Salle Fischermann berichtete von der deutschen Besatzung in Dänemark und von seiner Deportation nach Theresienstadt. Das Gespräch wurde im Newsletter 19 der Gedenkstätte dokumentiert: (http://www.ghwk.de/newsletter/newsletter19.pdf). Neben der inhaltlichen Arbeit des Leiters an der Konzeption und Weiterentwicklung der Gedenkstätte fällt diesem auch die Aufgabe der Planung besonderer Veranstaltungen und der Betreuung besonderer Besucher(gruppen) zu (VIPs'). An besonderen Besuchern und Gruppen aus Politik und Öffentlichkeit im Jahre 2010, mit denen Gespräche über den Holocaust, über die deutsche Erinnerungskultur seit 1945, über Nachwirkungen des NS oder über das pädagogische Konzept der Gedenkstätte geführt wurden, seien beispielsweise Besucher genannt: - - - S.E. der Vorsitzende des National Council of Provinces (NCOP) Südafrikas in Begleitung einer Delegation südafrikanischer Parlamentarier (Kooperation mit den Deutschen Bundesrat). Besuch des israelischen Außenministers Avigdor Lieberman und Vertretern der israelischen Botschaft und des Auswärtigen Amtes zu Führung und Gespräch. Morris Rosenberg, stellvertretender Außenminister Kanadas zu Führung und Gespräch. Douglas Davidson, Beauftragter der amerikanischen Regierung für Holocaust zu Führung und Gespräch. Gespräch und Interview für das polnische öffentlich-rechtliche Fernsehen: Beitrag für die Hauptnachrichten zum Thema „EichmannAkten“, Dreharbeiten in der Ausstellung. - Die amerikanische Nachrichtenagentur Bloomberg, Chefredakteur Matt Winkler. Die Auslandsredaktion der Zeitung Asahi Shimbun/Japan in Kooperation mit dem GoetheInstitut mit einer Führung und dem Gespräch über Aufbau und Arbeit der Gedenkstätte. In Kurzform: Eine Delegation von Militärs aus Pakistan (Kooperation Bundesministerium der Verteidigung). Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Mailand/Italien, das Cohen Center for Holocaust & Genocide Studies in Keene New Hampshire/USA. New York Federation of Jewish Organisation, Gespräch über deutsche Gedenkkultur. Gäste des israelischen Botschafters. Holocaust Museum Houston Emanuel Katzin aus Houston, Texas/USA zu Führung und Gespräch. Soochow Universität in Taipei/Taiwan, Filmaufnahmen und Interview für ein Forschungsprojekt zum Thema: „Täterorte als Gedenkstätten zum Zweck der Menschenrechtsbildung“. Jüdische Erwachsene aus GB und den USA mit 15 Rabbinern. Bundesrechtsanwaltskammer - Delegation der Israel Bar (junge israelische Anwälte). Von der Humboldt-Universität Berlin war Professor Wildt mit 50 Studenten zu einem Seminartag über die pädagogische Arbeit und die Konzeption der Ausstellung im HWK. Das Steering Committee des Museum of Jewish Heritage New York/USA und 36 amerikanische Studenten von Medical Schools und Law Schools haben an Seminaren über Geschichte und Ethik medizinischer und juristischer Professionen teilgenommen. Der Lehrkörper der Baltimore Hebrew University/USA zu einem Seminartag. Seit mehreren Jahren besuchen regelmäßig acht israelische Gruppen von Soldaten und Offizieren im Rahmen des Programms „Witnesses in Uniform“ das Haus der Wannsee-Konferenz: Einführung im historischen Konferenzraum in die Geschichte und Bedeutung der Wannsee-Konferenz sowie in die pädagogische Arbeit der Gedenkstätte. Dr. Norbert Kampe Leiter der Gedenkstätte 12 Tätigkeitsbericht 2010 1. November 2010 – Besuch des stellvertretenden Außenministers Kanadas, Morris Rosenberg Morris Rosenberg (Mitte), stellvertretender Außenminister von Kanada 6. März 2010 – Besuch des Chairman of the National Council of Provinces/South Africa, Mninwa Jonathan Mahlangu Tätigkeitsbericht 2010 13 Bildungsabteilung - Bericht über das Jahr 2010 Mehr als 30.000 Besucher (von insgesamt über 106.000) haben im Jahr 2010 an einer Führung oder einer umfangreicheren Bildungsveranstaltung im Haus der Wannsee-Konferenz teilgenommen. Für Einzelbesucher am Wochenende wurde ein neues, den Bedürfnissen dieser Besuchergruppe besser angepasstes Konzept entwickelt: einstündige Veranstaltungen mit der Option weiterer Begleitung, falls keine anderen Besucher warten. Die Zahl derjenigen, die dieses Angebot annahmen, stieg um mehr als ein Drittel. Der Anteil ausländischer Gäste unter den Gruppenbesuchern ist weiter gewachsen, auf nunmehr 60 %. Die durch die Raumsituation gegebene Kapazitätsgrenze wurde erneut durch die in etwa gleichbleibende Zahl der Studientage bestätigt. Der folgende Rückblick auf die Aktivitäten der Bildungsabteilung des Hauses der Wannsee-Konferenz zielt nicht auf Vollständigkeit, sondern nennt besonders bemerkenswerte Veranstaltungen und neuere Entwicklungen. Bildungsangebot für Schulen Auf der Website des Hauses ist die Darstellung des Bildungsangebots für Schulen durch detailliertere Angaben zum Inhalt und zur Methodik von Studientagen zu diversen Themen ergänzt worden. Das dürfte dazu beigetragen haben, dass vermehrt Themen gewählt worden sind, für die es früher seltener Interessenten gab, z. B. „’Arisierung’ jüdischen Besitzes“, „der Beitrag der Justiz zur Judenverfolgung“, „Medienpolitik und Propaganda“ oder „Musik im Nationalsozialismus“. Viele Gruppen sind bei Studientagen im Haus der WannseeKonferenz auf Studienreisen und Besuche in KZGedenkstätten vorbereitet worden, am häufigsten für die Gedenkstätte Auschwitz, aber auch für Mauthausen, Ravensbrück und Sachsenhausen. 14 Tätigkeitsbericht 2010 Zahlreiche Studientage sind von einer Kollegin und einem Kollegen geleitet worden, die Konzepte zur Verbindung von historischer Bildung zur NS-Geschichte und Menschenrechtserziehung erproben. Im Rahmen eines von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) geförderten Projekts mit dieser Zielsetzung wurden auch eine zweitägige Veranstaltung auf der Lichtenburg und eine Lehrerfortbildung durchgeführt. Nicht nur deutsche, sondern auch britische, dänische und österreichische Schulklassen haben an Studientagen im Haus der WannseeKonferenz teilgenommen. Mehrere Gruppen von Lehramtsanwärtern, Studienreferendaren und voll ausgebildeten Lehrern ließen sich über die Arbeit des Hauses informieren und diskutierten Probleme des pädagogischen Umgangs mit der Geschichte der NS-Verbrechen. Erwähnenswert ist darüber hinaus eine Veranstaltung mit Schulaufsichtsbeamten, die für die deutschen Schulen im Ausland zuständig sind. Auch zur außerschulischen Bildung fanden wieder zahlreiche Veranstaltungen statt. Im Rahmen eines langfristigen Projekts einer Mitarbeiterin mit dem Titel „Zugangsmöglichkeiten zur Verfolgungsgeschichte der europäischen Juden für Jugendliche mit Migrationshintergrund“ wurden mehrere Veranstaltungen in Berlin und eine Bildungsreise durchgeführt. Das Projekt wurde mit einer öffentlichen Präsentationsveranstaltung abgeschlossen und wird derzeit wissenschaftlich ausgewertet. Ein Studientag wurde auf Bitten der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus für Jugendliche meist palästinensischer Herkunft durchgeführt. Dabei wurde der vom Haus der Wannsee-Konferenz herausgegebene „Dokumentenkoffer für eine interkulturelle Pädagogik zum Nationalsozialismus -’GeschichteN teilen’“ eingesetzt. Auch Väter palästinensischer Herkunft, die der Verein Karame über seinen „Vätertreff“ erreicht, nahmen an einem Studientag zur Shoah teil. Multiplikatoren in der außerschulischen Bildung An professionelle Multiplikatoren in der außerschulischen Bildung waren Studientage mit Pädagogen und Pädagoginnen adressiert, die in der "Task Force Education on Antisemitism“ mitarbeiten, sowie mit Referenten der Jugendverbände des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Um Fragen der Gedenkstätten- und Museumspädagogik ging es bei einer Veranstaltung mit pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung Denkmal für die Ermordeten Juden Europas. Außerordentlich großen Zuspruch fand eine Fortbildungsveranstaltung im Haus der Wannsee-Konferenz für Pädagogen der Einrichtungen der ständigen Konferenz der Leiter der NS-Gedenkorte im Berliner Raum. Die Fortbildungsveranstaltung hatte „Führungen von multikulturell zusammengesetzten Gruppen“ zum Thema. Bei dieser Gelegenheit fand auch eine Besprechung der pädagogischen Leiterinnen und Leiter dieser Einrichtungen statt, die dem Erfahrungsaustausch und der Intensivierung der Zusammenarbeit diente. Universitäten und Hochschulen Mit Studierenden und Hochschullehrern von Universitäten und Hochschulen in Deutschland (FU Berlin, HU Berlin, Göttingen, Marburg und Rostock), aus den USA (Yale, Luther University, Stockton College), Großbritannien (Royal Holloway College), Australien (Nagle College Sydney) und der Schweiz (PH St. Gallen) wurden (zumeist ganztägige) Veranstaltungen durchgeführt. Während diese Seminare in der Regel auf Initiative der Hochschullehrer zustande kamen, wurde ein Studientag von der studentischen Fachschaft des Masterstudiengangs Erwachsenenbildung an der Humboldt-Universität Berlin initiiert. Die vier Studientage im Rahmen eines „Fellowships at Auschwitz for the Study of Professional Ethics“, an denen Studierende der Fächer Medizin, Jura, Journalismus und Theologie teilnahmen, fanden im Rahmen eines Pilotprojekts statt, das in ein größeres Projekt münden wird. Psychotherapeuten, Kunsttherapeuten und Museologen, die in der Belfaster Organisation „Healing through Remembering“ zusammenarbeiten, nahmen an einem Studientag zur Erinnerungskultur teil. Außerdem wurde ein mehrtägiger Studienaufenthalt der Gruppe „Citoyens contre Racisme“ aus Cabestany in Frankreich begleitet, der die Teilnehmenden auch ins Haus der WannseeKonferenz führte. Erwähnenswert sind zudem Veranstaltungen mit Mitarbeitern Niederländischer Museen sowie mit israelischen und palästinensischen Akademikerinnen und Akademikern, die sich auf Einladung des Hamburger Instituts für Sozialforschung mit „Erinnerungskultur und Erinnerungskonkurrenzen“ in Berlin“ befassten. Hochrangige spanische Juristen, darunter ein früherer Justizminister, kamen über die Casa Sefarad Israel, Madrid, ins Haus und nahmen darüber hinaus an einem Symposium in der Humboldt-Universität teil, das von der Bildungsabteilung in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Internationales Strafrecht organisiert worden ist. Slowakische Lehrerinnen und Lehrer in der Ausstellung Ein Schwerpunkt lag auch im Jahr 2010 auf der Bildungsarbeit mit Multiplikatoren aus dem Ausland. Eintägige Veranstaltungen wurden mit internationalen Stipendiaten der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ (EVZ) und mit internationalen Stipendiaten des Deutschen Bundestags durchgeführt. Lehrkräfte aus den USA nahmen im Rahmen von Studienreisen, die vom US Holocaust Memorial Museum in Washington DC, von der Jewish Foundation for the Righteous, New York, bzw. vom Goethe-Institut veranstaltet wurden, an Studientagen teil. Auch mit Lehrkräften aus Irland und aus Schweden sowie mit einer großen Gruppe tschechischer Lehrkräfte, deren Studienreise von der Gedenkstätte Theresienstadt organisiert war, wurden Studientage durchgeführt. Tätigkeitsbericht 2010 Weit umfangreicher waren die Fortbildungsveranstaltungen, die in Kooperation mit dem Russischen Holocaust Zentrum Moskau für russische und ukrainische Lehrkräfte, mit dem Holocaust Memorial Center Budapest für ungarische Lehrkräfte, mit dem Holocaust Documentation Center Bratislava für slowakische Lehrerinnen und Lehrer sowie für Lehrkräfte aus allen Woiwodschaften Polens durchgeführt wurden. Sie nahmen bis zu sechs Tagen in Anspruch und schlossen den Besuch in anderen Einrichtungen ein, die sich in Berlin und Umgebung mit der Geschichte der NS-Verbrechen befassen. Alle diese Veranstaltungen wurden in der Muttersprache der Teilnehmenden bzw. mit Simultanübersetzung durchgeführt. Auch ein mehrtägiges Seminar für Pädagogen des „Forums für Dialog zwischen den Völkern“, Warschau hatte Multiplikatoren als Adressaten. 15 Doch handelt es sich in diesem Fall nicht um Lehrer, sondern um fortgeschrittene Studierende, die an polnischen Schulen Veranstaltungen und Wettbewerbe zur polnisch-jüdischen Geschichte und zu den polnischisraelischen Beziehungen durchführen, nachdem sie von Historikern intensiv vorbereitet worden sind. Wie unsere anderen Kooperationspartner hat das „Forum für Dialog zwischen den Völkern“ großes Interesse an der Fortsetzung der Zusammenarbeit geäußert. Einen Höhepunkt der internationalen Zusammenarbeit bildete ein zweieinhalbtägiges Symposium von Gedenkstätten- und Museumsmitarbeiterinnen und mitarbeitern aus Israel, Polen, den Niederlanden, der Schweiz, Südafrika, den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und Deutschland unter dem Titel “The diversity of the audience. Teaching the Holocaust at memorial sites and in classrooms”. Das Symposium schloss an eine Tagung in Amsterdam an, deren Ergebnisse inzwischen in der Zeitschrift Intercultural education (21. Jg. (2010) suppl. S1) veröffentlicht worden sind. In diesem Zusammenhang sei auch der vom deutschen Auswärtigen Amt organisierte Besuch einer Delegation der OECD erwähnt. Der Toleranzbeauftragte widmete der Bildungsarbeit mit nichtdeutschen Jugendlichen im Haus der Wannsee-Konferenz eine längere Passage in seinem offiziellen Bericht. Berufsgruppenbezogene Angebote Die berufsgruppenbezogenen Angebote der Gedenkund Bildungsstätte fanden wieder den meisten Zuspruch bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Heil- und Pflegeberufe, für die 28 Studientage durchgeführt wurden, darunter mehrere für Fachkräfte, die in der Ausbildung tätig sind. Je zwei Studientage zur Berufsgeschichte von Erziehern und Sozialarbeitern wurden mit Studierenden der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin und der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim durchgeführt. Von Seiten beider Hochschulen besteht großes Interesse an der Fortsetzung der Zusammenarbeit. Soldaten und Offiziere der Bundeswehr nahmen an 13 Studientagen teil; die meisten dieser Gruppen wurden über das Ausbildungszentrum „Politische Bildung“ des Marineamts Berlin angemeldet. Im Bereich der Justiz wurden sechs Studientage für jeweils 30 bis 35 Referendare veranstaltet, die alle von zwei freien Mitarbeitern geleitet wurden, die selbst Juristen sind. Auf Wunsch der Bildungsstätte Justizvollzug wurden im Rahmen der Ausbildung des mittleren allgemeinen Vollzugsdienstes 10 Studientage durchgeführt. Wie in früheren Jahren fanden wieder Studientage in Kooperation mit der Akademie Auswärtiger Dienst sowie auf Bitten des Auswärtigen Amtes mit jungen Diplomaten aus dem Irak statt. Die schon mit der Einrichtung der Gedenk und Bildungsstätte begründete Tradition der Wochenseminare für Mitglieder der Gewerkschaft Verdi aus dem ganzen Bundesgebiet sowie zusätzlich einem Wochenseminar speziell für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Finanzverwaltung aus Berlin wurde ebenfalls fortgesetzt. 16 Tätigkeitsbericht 2010 Um die Verantwortung von Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung im Nationalsozialismus ging es auch bei einem Studientag mit Gewerkschaftsmitgliedern, die dem Bezirk Ver.di Nord angehören. Auch 2010 organisierte eine Mitarbeiterin der Bildungsabteilung im Herbst wieder eine an Einzelbesucher adressierte Reihe von vier öffentlich angekündigten Fachvorträgen von freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und anderen Experten. Dabei fand ein Gespräch mit Reinhard Strecker, einem Pionier der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen, die größte Publikumsresonanz. Schließlich seien Fortbildungsveranstaltungen für freie und feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwähnt. Alle drei Monate kamen Interessierte unter Anleitung eines erfahrenden Pädagogen für einen Tag zusammen, der der Reflexion über die Arbeit und der kollegialen Beratung gewidmet war. Außerdem wurde eine Studienreise nach Polen durchgeführt, bei der in einem Tagungshaus anderthalb Tage lang sehr intensiv über bewährte und neue pädagogische Konzepte im Haus der Wannsee-Konferenz beraten wurde; daran schloss sich ein Besuch von Gdansk und der KZGedenkstätte Stutthof an. Die Bildungsarbeit des Hauses der Wannsee-Konferenz und die hier angestellten Überlegungen zum Umgang mit dem Nationalsozialismus und zur Gedenkstättenpädagogik wurden wieder durch zahlreiche Vorträge und Workshops außerhalb des Hauses bekanntgemacht. Ein Vortrag bei der vom Jugendgästehaus Dachau organisierten Tagung „Beruf Gedenkstättenpädagoge/in” in der Tagungsstätte Guthäusern skizzierte den gegenwärtigen Stand der Gedenkstättenpädagogik. Fragen der Erinnerungskultur und Geschichtsvermittlung waren ein Vortrag vor Menschenrechtsaktivisten aus Serbien in der Europäischen Akademie und ein Workshop bei einer Tagung des Deutsch-Französischen Jugendwerks in Dresden gewidmet. Zahlreiche Beiträge bei verschiedenen Gelegenheiten befassten sich mit der Erinnerung an die NS-Verbrechen in der heutigen multikulturellen Gesellschaft: bei einer vom American Jewish Committee organisierten Veranstaltung für Freiwillige aus Berliner Gedenkstätten, bei einem „Praxistag“ des Projekts „amira – Antisemitismus im Kontext von Migration und Rassismus“, bei einer deutsch-israelischen Tagung zum Thema „Historisch-politisches Lernen in Multi-MinoritätenGesellschaften: Praktische und theoretische Aspekte“, bei einem Fachgespräch des Vereins „Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.“, bei einem Podiumsgespräch im Jüdischen Museum Berlin, beim 54. Bundesweiten Gedenkstättenseminar in Schwerin, bei einer Veranstaltung des Projekts „Entrechtung als Lebenserfahrung“ in der Gedenkstätte Bergen-Belsen sowie bei einem Seminar des Mauthausen Komitees Stuttgart e.V. Um „Herausforderungen und Möglichkeiten einer Pädagogik gegen Antisemitismus“ ging es in einem Vortrag an der Evangelischen Akademie Loccum. Die Frage, ob und wie historische Bildung zum Nationalsozialismus zur Menschenrechtsbildung beitragen kann, wurde bei der Vorstellung der Studie der Fundamental Rights Agency der EU mit dem Titel „The role of commemoration sites, original sites and historical museums in Holocaust education and Human Rights education in the EU“ im Arbeitskreis „Erinnerungskultur und Menschenrechtsbildung“ thematisiert. Theoretische Überlegungen und praktische Vorschläge suchte ein Vortrag bei der 2. Internationalen Akademie Geschichte und Menschenrechte zu verbinden, an der auf Einladung der Stiftung EVZ Kolleginnen und Kollegen aus vielen Ländern Europas und aus Israel teilnahmen. Eine Reihe von Vorträgen und pädagogischen Veranstaltungen wurden außerhalb Deutschlands gehalten. So wurde in Warschau eine eintägige Fortbildungsveranstaltung mit mehreren Vorträgen und Workshops für Mitarbeiterinnen des „Forums für Dialog zwischen den Völkern“ durchgeführt. Eine Kollegin aus der Bildungsabteilung hielt einen Vortrag anlässlich des Holocaust-Gedenktages in Newcastle und einen Vortrag zur pädagogischen Arbeit im Haus der WannseeKonferenz an der Universidad Autónoma de Madrid. Eine Kollegin nahm an einem Round-Table-Gespräch in Perpignan zur „Erinnerung an die Kriegsgefangenen am Erinnerungsort Lager Rivesaltes“, an einer Tagung des Deutsch-Französischen Jugendwerkes zum Thema „Geschichtsschreibung und Erziehung zur Demokratie“ sowie einer Konferenz zur Erinnerungspolitik in Paris mit einem Beitrag teil. Das Haus der Wannsee-Konferenz war auch auf Einladung der niederländischen Regierung bei der Abschlusskonferenz in Amsterdam zu deren „Heritage of War Programme“ mit einem Vortrag vertreten. Abschließend sei eine Video-Konferenz mit Margot Friedlander erwähnt, einer Überlebenden, die sich im Alter von 88 Jahren entschieden hat, von New York nach Berlin zurückzukehren, und bereits mehrfach im Haus der Wannsee-Konferenz über ihren Versuch, versteckt in Berlin zu überleben und ihre Haft in Theresienstadt gesprochen hat. Das Gespräch zum Jahrestag des Novemberpogroms wurde von dem dafür vom Auswärtigen Amt zur Verfügung gestellten Konferenzraum zur UN-Zentrale in New York und in die UN Information Centres in Accra (Ghana), Colombo (Sri Lanka), Dar es Salaam (Tanzania), Dhaka (Bangladesh), Harare (Zimbabwe), Kathmandu (Nepal) und Yangon (Myanmar) übertragen. Es ist auf der Website des Holocaust and the United Nations Outreach Programme abrufbar: (http://www.un.org/en/holocaustremembrance/unic_videoconference_15_November.shtml). Tätigkeitsbericht 2010 17 Beratungstätigkeit und Zusammenarbeit Die Bildungsabteilung setzte ihre Beratungstätigkeit und Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Organisationen fort, u. a. durch die Teilnahme am bundesweiten Arbeitskreis „Erinnerungskultur und Menschenrechtsbildung“, die Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft Gedenkstättenpädagogik, im Kuratorium Bayrischer Gedenkstätten, im Beirat des International Center for Education about Auschwitz and the Holocaust, in der Task Force Education on Antisemitism unter Leitung des American Jewish Committee, Berlin, sowie in der Task Force for international Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research (ITF). Dazu kam die Mitarbeit im Beratungsteam des Projekts „Menschenrechtsbildung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter staatlicher Institutionen an Gedenkstätten des NS-Unrechts“ der Gedenkstätte Neuengamme. Der Menschenrechtsbildung galt auch die Teilnahme an einem Werkstattgespräch der Stiftung EVZ und einer Fachtagung der Fundamental Rights Agency der EU in Terezin. Eine Kollegin arbeitet in der Expertenkommission zum Antisemitismus mit, die den Bundesinnenminister berät. Dr. Wolf Kaiser Leiter der Bildungsabteilung stv. Leiter der Gedenkstätte Veröffentlichungen der Bildungsabteilung Im Zusammenhang mit der Arbeit der Bildungsabteilung erschienen 2010 folgende Veröffentlichungen: - Elke Gryglewski: Teaching about the Holocaust in multicultural societies. Appreciating the learner. In: Intercultural education, 21 (2010) suppl. S1. - S. S41-S49 - Elke Gryglewski.: Hier "Türken" - dort "Almanci". Ein Projekt Berliner Jugendlicher zu Geschichte und Identität. Hrsg. v. Haus der Wannsee-Konferenz. Redaktion Elke Gryglewski u. Theresa Stegmann. Berlin, 2010 - Elke Gryglewski.: Gedenken an einen Freund. Zum Tod von Willi Frohwein (1923 - 2009). In: Zeichen 38. Jg. (2010) H. 1, S. 23 - Elke Gryglewski (zusammen mit Franziska Ehricht): GeschichteN teilen. Dokumentenkoffer für eine interkulturelle Pädagogik zum Nationalsozialismus. In: „Schwierige Jugendliche gibt es nicht …! Historisch-politische Bildung für ALLE“. Projekte zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus für besondere Zielgruppen. Hrsg. v. Andreas Mischok. Braunschweig 2010, S. 221-243. - Elke Gryglewski et. al. (Hrsg.) Memorias urbanas en diálogo: Berlín y Buenos Aires. Buenos Aires: Heinrich Böll Stiftung Cono Sur, Buenos libros 2010 - Constanze Jaiser: Poesie und Musik als Mittel der Verteidigung von Menschenrechten – Ein Konzept für bildungsbenachteiligte Jugendliche. In: „Schwierige Jugendliche …“, a.a.O., S. 125-136 - Wolf Kaiser: Geschichtserlebnisse oder Geschichtsbewusstsein? Funktionen von Zeitzeugen in der pädagogischen Vermittlung. In: kultur.macht.geschichte - geschichte.macht.kultur. Kulturpolitik und kulturelles Gedächtnis. Dokumentation des Fünften Kulturpolitischen Bundeskongresses am 11./12. Juni 2009 in Berlin. Hrsg.: Sievers, Norbert. Essen : Klartext, 2010, S. 274-280 - Wolf Kaiser: Gedenkstättenpädagogik heute. In: Verunsichernde Orte. Selbstverständnis und Weiterbildung in der Gedenkstättenpädagogik. Hrsg.: Thimm, Barbara. Frankfurt, M.: Brandes & Apsel, 2010 S. 19-24. - Wolf Kaiser: Lernort: Das Haus der Wannsee-Konferenz. Bildungsarbeit zu NS-Tätern In: Newsletter des Webportals: Lernen aus der Geschichte ([Stand: 22.02.2011]) http://lernen-aus-der-geschichte.de/print/Lernen-und-Lehren/ content/7608/2010-01-09-Das-Haus-der-Wannsee-Konferenz. - Wolf Kaiser: Perpetrators in Holocaust Education. In: Teaching History. The secondary education journal of The Historical Association, London (2010) Heft 141, S. 34 - 39 - Wolf-Dieter Mattausch: Pädagogische Arbeit mit Bundeswehrgruppen am Erinnerungsort von Täterschaft. In: Gedenkstätten des NS-Unrechts und Bundeswehr. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Hrsg. v. Oliver von Wrochem. Paderborn [u.a.] : Schöningh, 2010, S. 217-224. - Jüdischer Sport und Jüdische Gesellschaft. Jewish Sport and Jewish Community. Redaktion Toni Niewerth, Tomasz Jurek, Wolf-Dieter Mattausch. Berlin: Haus der Wannsee-Konferenz, Akadmie Wychowania Fizycznego w Poznaniu 2010. 18 Tätigkeitsbericht 2010 14. Oktober 2010 – Besuch des israelischen Außenministers Avigdor Lieberman Außenminister Lieberman (Mitte), Yoram Ben-Zeev, israelischer Botschafter (r.), Dr. Norbert Kampe (l.) Eintragung im Gästebuch der Gedenkstätte: „Die Wannsee-Konferenz spielte bei der Ausführung des teuflischen Plans der Nazis das jüdische Volk zu vernichten eine signifikante Rolle. In diesem Haus, das wie kein anderer Ort den rassistischen Mordplan der Feinde am Volk Israel symbolisiert, sind wir vereint in Erinnerung an unsere Brüder und Schwestern. Der unabhängige, souveräne Staat Israel hat und wird die Antwort auf das Übel und das Böse sein, das Humanität niemals vorher kannte. Wir stehen hier standhaft gegen jeden Ruf unserer Hasser, die uns vernichten wollen und wir schwören: „Niemals wieder“. Israel ist hier um zu versichern: Niemals wieder! Avigdor Lieberman, Außenminister Israels“ Tätigkeitsbericht 2010 19 Besucherstatistik Statistische Übersicht über die Jahre 1992 – 2010 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 Gruppenbesucher 24.748 21.656 25.971 29.003 29.388 29.907 31.889 33.099 38.083 36.650 Einzelbesucher 30.405 17.664 16.061 18.067 18.939 18.762 22.091 24.481 28.588 23.984 gesamt 55.153 39.320 42.032 47.070 48.327 48.669 53.980 57.580 66.671 60.634 2005 2006 2007 2008 2010 2002 2003 2004 2009 Gruppenbesucher 34.919 36.208 41.333 39.599 51.171 51.434 52.429 49.102 52.875 Einzelbesucher 28.535 30.129 36.624 35.815 57.266 49.128 51.946 44.536 53.302 gesamt 63.454 66.337 77.957 75.414 108.437 100.562 104.375 93.638 106.177 120000 100000 Einzelbesucher Gruppenbesucher 80000 60000 40000 20000 0 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Anmerkung: Die Ausstellung war vom 01.10.2005 bis zum 18.01.2006 geschlossen. Die Anzahl der Einzelbesucher und der Gruppenbesucher wird durch manuelle Zählung bzw. Angaben der angemeldeten und unangemeldeten Gruppen an der Rezeption erhoben. 20 Tätigkeitsbericht 2010 Prozentuale Aufteilung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und dem Ausland Gesamt: Deutschland Ausland 2010 21.582 31.708 Deutschland 40% Ausland 60% Gesamt: Deutschland Ausland 2000 – 2010 264.355 234.915 Ausland 47% , Deutschland 53% Besucher aus Gruppen Tätigkeitsbericht 2010 21 Übersicht über die monatliche Entwicklung der Besucherzahlen 1994 bis 2011 Jan. Feb. März April Mai Juni Juli Aug. Sep. Okt. 1994 1.474 1.206 2.290 2.452 2.805 3.133 2.149 1.993 2.554 2.670 1.885 1.360 1995 1.324 1.668 2.462 3.160 3.650 3.431 2.105 1.595 2.478 3.010 2.445 1.675 1996 1.682 1.855 2.753 2.483 3.398 3.376 2.454 2.178 2.593 3.172 2.243 1.201 1997 1.914 2.213 2.486 2.791 3.034 3.186 2.603 1.779 2.934 3.261 2.036 1.670 1998 1.830 2.064 3.173 3.188 3.267 3.942 3.157 1.830 2.785 2.855 2.297 1.501 1999 2.075 2.489 3.309 2.966 3.055 3.050 2.366 1.399 2.923 4.234 3.266 1.967 2000 1.857 3.073 3.873 3.891 3.324 3.982 3.684 2.370 3.101 3.956 3.020 1.952 2001 2.350 3.045 3.466 3.098 4.147 3.335 3.600 1.894 3.185 3.749 2.859 1.922 2002 2.003 3.471 3.814 3.454 3.275 3.676 3.326 1.952 2.478 3.943 2.155 1.372 2003 1.993 3.109 3.440 3.598 3.869 2.998 2.920 2.175 3.237 4.157 2.610 2.102 2004 2.109 3.247 4.142 4.342 4.269 3.960 3.142 2.493 3.916 4.272 3.412 2.029 2005 2.253 3.910 4.425 5.098 4.330 5.040 4.179 3.676 4.325 2006 1.226 4.030 4.768 5.352 6.406 3.540 5.292 3.844 5.121 5.905 3.396 2.291 2007 2.257 4.172 4.811 4.363 5.894 5.987 5.431 4.029 4.327 4.993 3.034 2.136 2008 2.021 3.926 4.219 5.859 5.068 6.235 5.974 3.402 4.835 5.480 3.389 2.021 2009 1.669 3.332 4.050 5.064 5.082 5.302 5.679 4.263 4.350 5.083 3.059 2.169 2010 2.026 3.144 4.488 4.642 4.816 6.269 7.987 4.447 4.725 5.424 2.889 2.018 Durchschnitt: 1.781 2.775 3.645 3.871 4.099 4.144 3.885 2.666 3.522 3.950 2.635 1.763 984 Nov. 800 Dez. 579 Anmerkung: Die Ausstellung war vom 1.10.2005 bis 18.01.2006 geschlossen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus betreuten und unbetreuten Gruppen aus Europa 22 Tätigkeitsbericht 2010 gesamt 2000 456 2005 359 2006 326 2007 327 2008 466 2009 2010 13 0 0 0 0 0 0 0 0 0 13 0 377 396 194 611 517 884 1445 570 641 691 773 406 22 0 0 0 67 0 106 128 44 0 39 10.496 599 583 631 710 1.357 667 883 907 1.319 1.517 1.323 3.599 0 0 0 0 88 230 385 528 825 937 606 Großbritannien 357 2004 7.099 Griechenland 304 2003 Dänemark Frankreich 398 2002 3.857 Finnland 282 2001 Belgien Bosnien-Herzegowina 209 373 74.431 4.395 5.303 5.886 6.302 5.919 6.291 7.376 8.909 8.747 7.660 7.643 Irland 789 59 0 49 0 70 85 10 208 43 99 166 Island 471 0 0 0 0 24 0 52 249 57 56 33 Italien 5.304 108 311 122 165 491 488 702 613 788 514 1.002 Kroatien 41 0 0 0 0 0 0 0 41 0 0 0 Lettland 10 0 0 0 0 0 0 2 8 0 0 0 Luxemburg 95 0 0 36 0 59 0 0 0 0 0 0 Monaco 72 0 0 0 0 0 39 0 0 0 0 33 10.164 452 379 729 869 1.110 971 906 763 1.721 1.184 1.080 Norwegen 5.689 610 482 766 423 641 639 618 500 630 248 132 Österreich 2.424 271 163 74 182 219 253 213 191 170 422 266 Polen 2.195 131 183 40 94 144 196 385 402 78 269 273 Portugal 66 0 0 0 24 0 0 0 13 4 0 25 Rumänien 79 0 41 14 0 0 0 0 15 9 0 0 Niederlande Russland 706 0 43 63 67 33 73 6 0 51 255 115 Schweden 7.076 734 878 914 761 1081 837 584 270 381 302 334 Schweiz 3.030 222 101 277 236 268 252 429 283 294 316 352 Serbien 12 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 12 Slowenien Slowakische Republik 44 0 0 0 0 0 0 0 0 0 44 0 295 0 0 85 0 30 28 48 0 0 37 67 1.202 0 0 24 34 40 75 201 159 236 261 172 791 52 100 22 90 74 37 94 40 135 107 40 Türkei 18 0 0 0 0 0 0 0 0 18 0 0 Ukraine 19 0 0 0 0 0 0 0 0 10 0 9 Ungarn 658 26 40 0 0 126 20 0 213 45 88 100 Spanien Tschechische Republik Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus betreuten und unbetreuten Gruppen aus nichteuropäischen Ländern Tätigkeitsbericht 2010 23 gesamt Ägypten Argentinien 9 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 0 0 0 9 0 0 0 0 0 0 0 280 0 0 0 0 23 35 37 27 34 81 43 Aserbaidschan Australien/ Neuseeland 11 11 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 998 0 60 127 91 90 36 18 47 80 243 206 Brasilien 144 0 0 4 0 19 69 52 0 0 0 0 Chile 297 123 25 46 24 3 6 0 12 9 43 6 China 253 60 19 0 0 15 0 22 29 25 59 24 Guatemala 14 3 0 0 0 0 0 0 0 2 9 0 Indien 25 0 0 0 0 0 0 0 25 0 0 0 Indonesien 18 0 0 0 0 0 18 0 0 0 0 0 Irak 79 0 0 0 0 28 0 0 14 14 11 12 Israel 67.143 1.688 1.719 1.282 1.128 2.601 5.793 Japan 930 137 21 14 73 47 89 Kambodscha Kanada Libyen Marokko 9.528 10.261 10.602 110 149 65 8.914 13.627 94 131 36 0 0 0 0 0 13 0 0 9 0 14 1.067 110 0 21 63 105 2 25 70 105 284 282 16 0 0 0 0 16 0 0 0 0 0 0 8 0 0 0 0 8 0 0 0 0 0 0 Mexiko 39 15 0 4 0 0 0 20 0 0 0 0 Pakistan 19 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 19 Ruanda 52 0 0 0 0 35 0 0 7 10 0 0 Sambia 14 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 14 Saudi-Arabien 20 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 20 Singapur 197 0 71 0 0 0 49 50 0 27 0 0 Südafrika 162 35 0 0 0 7 3 0 0 23 19 75 Südkorea 24 0 0 0 6 18 0 0 0 0 0 0 Syrien 15 0 0 0 0 0 0 0 0 15 0 0 2 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 13.642 1.176 1.015 1.341 963 1.044 1.185 1.041 1.323 1.822 1.290 1.442 59 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 59 7.942 441 636 545 407 696 772 1.139 1.140 575 921 670 Uruguay USA Zypern (Asien!) *) *) Teilnehmer aus gemischten Gruppen aus verschiedenen Ländern 24 Tätigkeitsbericht 2010 Vergleich Gruppenanzahl Berlin und andere Bundesländer gesamt 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Berlin 4.207 441 523 385 342 462 326 395 371 352 310 300 andere Bundesländer 6.160 611 565 514 523 562 469 660 569 554 575 558 Vergleich der Gruppen aus Deutschland (ohne Berlin) Bundesland gesamt 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Baden-Württemberg BW Bayern BY 658 77 74 52 63 54 41 58 50 61 67 61 Brandenburg BB 1232 149 137 105 124 120 108 147 94 86 78 84 Bremen HB 41 2 3 5 4 8 1 3 4 4 4 3 Hamburg HH 137 14 6 9 7 10 12 17 18 12 17 15 Hessen HE 475 40 41 44 43 45 36 45 48 49 38 46 Mecklenburg-Vorpommern MV 93 6 4 13 9 7 12 7 9 9 6 11 Niedersachsen NI 544 49 53 56 49 46 37 54 43 51 57 49 Nordrhein-Westfalen NW 1137 108 93 86 83 106 76 117 127 114 112 115 Rheinland-Pfalz RP 267 29 23 14 18 31 12 28 20 27 34 31 Saarland SL 46 5 3 2 3 3 4 6 4 6 6 4 Sachsen SN 133 13 6 20 9 9 12 18 17 7 9 13 Sachsen-Anhalt ST 164 18 14 20 16 18 13 16 13 14 17 5 Schleswig-Holstein SH 235 24 23 29 24 19 25 27 16 15 19 14 Thüringen TH 72 11 2 5 4 15 6 9 4 5 3 8 262 1 24 3 5 24 38 39 30 35 35 28 6.160 611 565 514 523 562 469 660 569 554 575 558 Bundesland unbekannt 664 65 59 51 62 47 36 69 72 59 73 71 Stadtbezirke von Berlin 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Charlottenburg-Wilmersdorf gesamt 364 34 37 22 20 32 33 30 37 37 45 37 Friedrichshain-Kreuzberg 255 21 35 23 25 32 24 24 15 18 19 19 Lichtenberg 170 21 23 15 17 19 16 14 16 9 8 12 Marzahn-Hellersdorf 203 16 34 25 25 30 13 13 11 17 11 8 Mitte 404 50 26 20 17 39 24 34 52 50 45 47 Neukölln 259 28 25 26 30 34 16 18 17 17 24 24 Pankow 266 27 29 23 31 27 29 32 29 17 11 11 Reinickendorf 222 22 10 18 28 24 14 19 23 26 14 24 Spandau 212 19 16 17 19 21 18 24 22 27 15 14 Steglitz-Zehlendorf 658 64 65 43 33 69 48 83 52 74 67 60 Tempelhof-Schöneberg 385 65 38 35 24 42 28 30 43 33 23 24 Treptow-Köpenick 114 19 19 13 11 7 10 10 6 7 6 6 Teilnehmer aus ganz Berlin 695 55 166 105 62 86 53 64 48 20 22 14 4.207 441 523 385 342 462 326 395 371 352 310 300 Tätigkeitsbericht 2010 25 Statistik über die 2000 - 2010 durchgeführten Studientage 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Themen Judentum und jüdisches Leben in Europa vor 1933 1 11 9 7 12 7 4 6 3 4 3 4 Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft 2 31 34 30 37 36 41 33 36 26 29 44 Herrschaft und Alltag im Nationalsozialismus 3 76 54 69 78 59 40 64 63 63 47 44 Planung und Organisation des Völkermordes 4 62 72 61 76 92 70 69 73 58 61 41 Nachwirkungen des NS-Regimes in Politik und Gesellschaft seit 1945 5 8 12 20 13 13 27 10 16 14 16 8 Die heutige Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und seinen Verbrechen 6 54 54 39 33 34 36 26 32 38 38 34 7 10 26 9 4 2 10 9 5 4 4 1 8 12 13 18 8 5 4 7 4 1 1 1 9 17 29 12 17 16 10 12 16 12 15 15 10 100 86 82 90 73 64 68 73 75 81 81 11 36 20 12 8 24 29 45 21 34 46 53 12 9 14 11 8 7 6 0 18 12 6 7 Kontinuitätslinien Workshops mit Methoden der Gestaltpädagogik und der themenzentrierten Interaktion Die Verfolgung von Kindern und Jugendlichen im NS Berufsbezogene Themen (Krankenpflege, Justiz, Bundeswehr) Die pädagogische Arbeit im Haus der Wannsee-Konferenz / Fortbildung zur Arbeit in Gedenkstätten Andere Themen (Zusammenstellung der Statistiken: Barbara Ewald) 26 Tätigkeitsbericht 2010 Berichtsjahr 2010 Joseph Wulf Mediothek Bestand Benutzung Die Mediothek hat mittlerweile einen Buchbestand von ca. 50.000 Bänden und abonniert 120 Fachzeitschriften. Audio-visuelle Medien sind 10.000 Videofilme, 850 DVD's, Mikrofilme und -fiches von verfilmten Zeitungen bzw. Aktenbestände, Tonkassetten, CD´s, und CDROM´s. In der letzten Zeit werden uns verstärkt Nachlässe, teils als Geschenk, teils zum Ankauf angeboten, was einfach die Bekanntheit der Mediothek zeigt. Der größte Teil der Ergänzungen des Bestandes durch Neuerscheinungen geschieht aber durch Kauf oder Tausch. Neuerwerbungslisten werden pro Quartal an einen Kreis von Interessenten per e-Mail verschickt. Im Herbst 2010 wurde die Bibliothek eines verstorbenen Zeithistorikers der Joseph Wulf Mediothek überlassen. Die Zahl der Besucher in der Mediothek ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Ursprünglich war der größte Teil der Besucher Teilnehmer an Studientagen, nun sind es eben soviel Einzelbenutzer. Im Jahr 2010 haben 6.031 Einzelbesucher die Bibliothek genutzt. Ein Grossteil der Interessenten orientiert sich an dem Bestandskatalog im Internet und kommt dann mit gezielten Anfragen in die Mediothek. Einzelbesucher sind häufig Journalisten, Wissenschaftler, Doktoranden, Studienreferendare, Studenten, Schüler und ehemalige TeilnehmerInnen an Studientagen, die bei der Gelegenheit die Bibliothek kennen gelernt haben. Durch die Anforderung in Berlin und Brandenburg selbständig Bibliotheken und Archive für den "Mittleren Schulabschluss" in der 10. Klasse und der "Fünften Prüfungskomponente" für das Abitur zu benutzen, ist der Anteil an SchülerInnen erheblich gestiegen. Sie benötigen sehr individuelle und intensive Betreuung, da sie in vielen Fällen mit Bibliotheken nicht vertraut sind. Hinweise auf Literaturangaben, Indices, Fußnoten, Zitierweise etc. müssen ihnen durch das Bibliothekspersonal vermittelt werden. Die Daten des gesamten Bestandes sind im elektronischen Katalog der Bibliothek aufgeführt und können vor Ort recherchiert werden. Bei der Eingabe eines Stichwortes werden alle vorhandenen Medien zu dem Thema angezeigt. Artikel aus Sammelbänden und Fachzeitschriften werden ausgewertet und ebenfalls nachgewiesen. Zusammen mit den Katalogen der Bibliotheken anderer Gedenkstätten ist der sehr benutzerfreundliche Katalog unter der Adresse www.zeitgeschichte-online.de/alg-agg/ zu finden, aber auch durch Links auf den jeweiligen Webseiten der Institutíonen. Die detaillierte Auswertung der Bücher, Zeitschriften und AV-Medien macht es dem Besucher leicht den Bestand zu nutzen. So können Interessenten vor ihrem Bibliotheksbesuch Recherchen durchführen und dann gezielt das Material vor Ort einsehen und eventuell kopieren. Da es sich um eine Präsenzbibliothek handelt - also keine Ausleihe - ist auch der gesamte Bestand immer vorhanden. Tätigkeitsbericht 2010 BesucherInnen der Dauerausstellung kommen mit Fragen in die Bibliothek, die sich auf Dokumente und Aussagen in der Ausstellung beziehen. Sie möchten einfach zu den Themenbereichen mehr Information haben und/oder eine Zusammenstellung von weiterführender Literatur. Annotierte fachspezifische Bibliographien werden für einzelne Seminare und Studientage. Telefonische, schriftliche Anfragen und per e-Mail aus dem In- und Ausland haben stark zugenommen. Häufig kann durch die Zusammenstellung einer Literaturliste aus der Datenbank, Einscannen von Fotos und Dokumenten aus Büchern und durch die Übermittlung per e-Mail die Anfrage schnell beantwortet werden. 27 Es kommt aber immer öfters vor, dass regelrechte Recherchen in dem Bestand und in anderen Datenbanken vorgenommen werden müssen. Die Spezialsammlungen wie z. B. Gedenkstättenpädagogik, jüdische Ortsgeschichte und Auseinandersetzung mit der NS-Zeit nach 1945, aber auch die Gedenkbücher für die Opfer sind bei vielen Anfragen eine große Hilfe. So sind die Recherchen für "Stolperstein-Projekte" häufig in der Bibliothek durchgeführt worden. In vielen Publikationen wird der Bibliothek für die Hilfe und Unterstützung bei den Recherchen gedankt. Personal Durch die stark angestiegene Benutzerzahl in der Mediothek und der intensiven Betreuung der einzelnen Besucher, ist es mittlerweile notwendig ständig zwei Personen in dem Bibliotheksraum präsent zu haben. Dies führt zu Engpässen bei anderen Aufgaben wie Bestandsaufbau, Katalogbearbeitung etc. Im Mai 2010 hat der Umschüler zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste Bereich: Bibliothek das Examen bestanden. Leider konnte der Ausbildungsplatz nicht wieder besetzt werden. Durch den Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand ist für ein Jahr auch die Stelle eines technischen Mitarbeiters unbesetzt. Zwei studentische Hilfskräfte arbeiten aber unentgeltlich jeweils einen Tag pro Woche in der Bibliothek und PraktikantInnen werden hinzugezogen. 28 Tätigkeitsbericht 2010 Arbeitsgemeinschaft Gedenkstättenbibliotheken (AGGB) Der gemeinsame online-Bibliothekskatalog der AGGB zeigt die Bestände der Bibliotheken Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V., Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Deutsche Nationalbibliothek Anne-Frank-Shoah-Bibliothek, Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum, Stiftung Topographie des Terrors, NS-Dokumentationszentrum (Köln) und Haus der Wannsee-Konferenz Joseph Wulf Mediothek. Die Benutzer können im Gesamtbestand oder in den einzelnen Bibliotheksbeständen Nachweise suchen. Updates werden in der Joseph Wulf Mediothek koordiniert und monatlich übertragen. Im März 2010 tagte die AGGB in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Eines der Vortragsthemen war "Digitalisierung und digitale Bibliothek". Gaby Müller-Oelrichs Leiterin der Joseph Wulf Mediothek Die Sammlung Werner T. Angress in der Joseph Wulf Mediothek Seit vielen Jahren erwähnte der am 5. Juli 2010 verstorbene Professor Dr. Werner Angress, wenn wir uns trafen, dass die ganze oder ein Teil seiner privaten Bibliothek nach seinem Tod der Joseph Wulf Mediothek übergeben werden sollte. Nun ist leider dieser Zeitpunkt gekommen und wir haben eine umfangreiche Bibliothek der deutschen Geschichte mit dem Schwerpunkt Kaiserreich, Weimarer Republik und Nationalsozialismus erhalten. Da die Joseph Wulf Mediothek ja erst kurz vor der Eröffnung des Hauses der Wannsee-Konferenz 1992 mit dem Bestandsaufbau begann, fehlten bis heute viele wichtige Werke, besonders in der Originalsprache. Auch war bisher der Blick primär auf die Zeit des Nationalsozialismus und weniger auf die der Weimarer Republik beim Ankauf von Büchern gerichtet. Dies wird jetzt durch die "Sammlung Werner Tom Angress" hervorragend ergänzt. Viele Werke, die wir in deutscher Übersetzung bereits besitzen, sind nun auch im englischen Original vorhanden. Viele Kollegen, ehemalige Studenten und Freunde von Professor Angress sowohl aus Berkeley als auch SUNY at Stony Brook haben ihm ihre Bücher gegeben, ihm im Vorwort für die Hilfe bei den Recherchen und Hinweise gedankt und sehr persönliche Widmungen hinzugefügt. Tätigkeitsbericht 2010 Die Sammlung kann leider nicht – aus Platzgründen geschlossen aufgestellt werden, ist aber als solche in dem Bibliothekskatalog gekennzeichnet und jedes Buch hat auch einen Hinweis, das es zu dieser Sammlung gehört. Viele der Bücher werden wir im Magazin aufbewahren, weil sie durchaus in die Kategorie "Rara" gehören. In einigen Monaten wird der Gesamtbestand im Katalog der AG Gedenkstättenbibliotheken nachgewiesen sein: http://www.zeitgeschichte-online.de/alg-agg/ Gaby Müller-Oelrichs Leiterin der Joseph Wulf Mediothek 29 30 Tätigkeitsbericht 2010 Tätigkeitsbericht 2010 31 Gespräch mit Salle Fischermann „Man war Däne mit einer anderen Religion“ zum Jahrestag der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 2010 Norbert Kampe: Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich in der Gedenkstätte zum Zeitzeugengespräch aus Anlass des 68. Jahrestags der Konferenz vom 20. Januar 1942. Ganz besonders begrüße ich Herrn Salle Fischermann und seine Frau sowie das Ehepaar Klose aus Berlin-Wannsee, bei dem die Fischermanns wohnen können. Begrüßen möchte ich auch die Dokumentarfilmgruppe Rothenburg unter der Leitung von Herrn Pohle, die sich in vielen Filmen mit der NS-Zeit beschäftigt hat und deren Filme schon häufiger – auch international – gezeigt und ausgezeichnet worden sind. Die Filmgruppe hat für heute von dem 40-minütigen Dokumentarfilm mit Herrn Fischermann extra für uns eine etwa 20-minütige Kurzfassung erstellt, um Ihnen einen Eindruck von dem Film zu vermitteln. Heute sprechen wir am dänischen Beispiel über eine einzigartige Geschichte hinsichtlich des Verhaltens der Bevölkerung und der amtlichen Stellen gegenüber den Juden – einzigartig im Vergleich mit anderen vom nationalsozialistischen Deutschland besetzten Ländern. Der Film, den wir nun sehen werden, beschäftigt sich mit der Propagandafunktion, die dem Ghetto Theresienstadt von vornherein zugedacht war. Im Protokoll der Wannsee-Konferenz wird schon Anfang 1942 sehr deutlich, wozu Theresienstadt dienen soll. Auf den Seiten acht und neun des Protokolls heißt es: „Es ist beabsichtigt, Juden im Alter von über 65 Jahren nicht zu evakuieren, sondern sie einem Altersghetto – vorgesehen ist Theresienstadt - zu überstellen. Neben diesen Altersklassen - von den am 31.10.1941 sich im Altreich und der Ostmark befindlichen etwa 280.000 Juden sind etwa 30 % über 65 Jahre alt - finden in den jüdischen Altersghettos weiterhin die schwerkriegsbeschädigten Juden und Juden mit Kriegsauszeichnungen (EK I) Aufnahme. Mit dieser zweckmäßigen Lösung werden mit einem Schlag die vielen Interventionen ausgeschaltet.“ Im Juli 1944 wurde einer dänischen Rot-Kreuz-Delegation die Besichtigung von Theresienstadt gestattet. Das Ghetto wurde dazu speziell hergerichtet um die Delegation zu täuschen. Im Anschluss daran ist bei den deutschen Behörden die Idee aufgekommen, über Theresienstadt einen Propagandafilm zu drehen. Herr Salle Fischermann hatte als Junge die Rolle eines Kabelträgers für die Filmaufnahmen. [Der Film: „Wenn die Bilder schon verblassen“ von 2005 wird vorgeführt.] Kampe: Herr Pohle, dieser Film ist 2005 bei den Nordischen Filmtagen als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet worden. Könnten Sie uns bitte berichten, wie es dazu gekommen ist. Herr Pohle: Zu diesem Filmfestival, bei dem eigentlich nur professionell gedrehte Filme gezeigt werden, haben wir unseren Film eingereicht. Obwohl wir wussten, dass er wahrscheinlich nicht gezeigt werden kann, da bei diesem nordischen Festival eigentlich Filme von Schulklassen gar nicht zugelassen sind, hatten wir es versucht. Wir waren der Meinung, dass es nicht nur ein deutscher, sondern auch ein dänischer Film ist. Und zu unserer großen Überraschung haben wir den Preis für den besten Dokumentarfilm gegen alle Profis gewonnen. Sehr beeindruckend war es zu sehen, dass nicht wir die Wichtigsten sind bei diesem Film, sondern Herr Salle Fischermann. Die Jury hat nämlich nicht uns zuerst zur Preisverleihung auf die Bühne gebeten, sondern Salle Fischermann und seine Frau. Erst wurden beide befragt und dann wurden wir vorgestellt. Kampe: Herr Fischermann, ich schlage vor, dass wir uns über drei Themenbereiche unterhalten sollten. Der erste wäre die deutsche Besatzung und die Rettung, aber auch die Deportation der dänischen Juden. Auf das zweite Thema, nämlich das Ghetto „Theresienstadt“ hat uns bereits der Film vorbereitet. Das dritte Thema ist die Rettungsaktion mit den weißen Bussen im März und April 1945, eine Aktion, die in Deutschland kaum bekannt ist, die aber in der Kriegserinnerung in Skandinavien eine große Rolle spielt. Ab 9. April 1940 begann die deutsche Besatzung. In Dänemark wurde ein besonderes Besatzungsmodell entwickelt, das es sonst in keinem anderen besetzten Land gegeben hat: nämlich alle dänischen Institutionen blieben erhalten und in Funktion. Die dänische Regierung konnte sogar die deutschen Besatzungsbehörden auf eine Zusage festlegen, dass den Juden kein Schaden zugefügt wird. Von dänischer Seite war völlig klar, dass ein militärischer Widerstand gegen die Wehrmacht nicht möglich war. Deshalb hatten sich die Dänen zu einem „Kooperationsmodell“ bereiterklärt. Ein vorsichtiges Verhalten schlug auch der Vertreter des Auswärtigen Amts während der Wannsee-Konferenz vor (Seiten 9/10 des Protokolls): „Unterstaatssekretär Luther teilte hierzu mit, daß bei tiefgehender Behandlung dieses Problems in einigen Ländern, so in den nordischen Staaten, Schwierigkeiten auftauchen werden, und es sich daher 32 Tätigkeitsbericht 2010 empfiehlt, diese Länder vorerst noch zurückzustellen. In Anbetracht der hier in Frage kommenden geringen Judenzahlen bildet diese Zurückstellung ohnedies keine wesentliche Einschränkung. Dafür sieht das Auswärtige Amt für den Südosten und Westen Europas keine großen Schwierigkeiten.“ Ab Frühjahr 1943 änderten sich die Zustände, als Widerstand und Sabotageakte in Dänemark zunahmen, nachdem die Niederlagen der deutschen Armee in Nordafrika und der Sowjetunion Ende mit Stalingrad 1942/43 bekannt wurden. Die dänische Regierung war nicht bereit, gegen die eigenen Landsleute vorzugehen, und trat deshalb Ende August 1943 zurück. Der Militärbefehlshaber rief daraufhin den Ausnahmezustand aus, und der Chef der deutschen Besatzungsmacht Werner Best 1, der Mann der das Reichssicherheitshauptamt in Berlin organisiert hat, schlug nun in Berlin die Deportation der dänischen Juden vor. Hitler gab den Befehl dazu gleichzeitig mit seinem Befehl, die Juden aus dem besetzten Italien zu deportieren. Renitente Bündnispartner oder besetze Länder sollten damit bestraft werden. Wahrscheinlich gab Werner Best selbst die Information an Ferdinand von Duckwitz weiter, an den Handelsattachee an der deutschen Botschaft, auf welchen Termin die nächtliche Verhaftungsaktion gelegt war, nämlich in die Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 1943. Best wollte die dänischen Juden entfernen, ohne die Bevölkerung durch wochenlange Jagd auf Juden zu provozieren. Auch deren Flucht war ihm wohl recht. Ferdinand von Duckwitz gab diesen Termin an dänische Widerstandskreise weiter und damit begann eine einzigartige Rettungsaktion durch Übersetzen der Juden über den Öresund in das neutrale Schweden. Dennoch wurden rund 500 dänische Juden verhaftet und nach Theresienstadt gebracht. Das öffentliche Interesse in Dänemark am Schicksal der deportierten Juden hat dazu geführt, dass sie nicht nach Auschwitz deportiert worden sind. Herr Fischermann, sie waren noch sehr jung als die Besatzung begann. Wie kam es dazu, dass Sie und ein Teil Ihrer Familie deportiert wurden, aber nicht Ihr Vater und Ihr Bruder? Fischermann: Als die deutsche Besatzung anfing, sahen wir am Morgen des 9. April 1940 deutsche Flugzeuge über Kopenhagen. Diese haben Flugblätter abgeworfen, in denen stand, dass die Wehrmacht gekommen sei, um uns zu beschützen. In den Jahren 1940 bis 1943 konnten wir ganz normal und ohne Probleme leben. Die Probleme begannen für uns erst im Oktober 1943. Mein Vater glaubte damals nicht, dass uns etwas passieren würde. Eine Cousine aus Norwegen, die uns besucht hatte, berichtete, dass man in Norwegen nur die Männer verhaftet und deportiert hatte, nicht aber die Frauen und die Kinder. Aber dann am 2. Oktober 1943 hat es an unserer Tür geklopft. Mein älterer Bruder und meine Schwester waren nicht zu Hause, sie waren zur Arbeit. Wir wohnten damals im dritten Stock, unsere Wohnung hatte einen Balkon. Mein anderer Bruder nahm ein Bettlaken und seilte sich mit meinem Vater in den zweiten Stock ab. Erst dann hat meine Mutter die Wohnungstür geöffnet. Ein dänischer SS-Mann und drei Wehrmachtssoldaten verlangten, dass wir warme Kleidung und Essen für drei Tage mitnehmen. Meine Mutter, drei meiner sechs Geschwister und ich mussten auf einen Lastwagen aufsteigen und wurden zum Hafen gebracht. Dort mussten wir ein Schiff namens „Vaterland“ besteigen. Auf diesem Schiff waren bereits rund 120 Leute. Das Schiff fuhr dann nach Swinemünde. Von dort ging es in Viehwagen der Eisenbahn in zweieinhalb Tagen und Nächten nach Theresienstadt. Mein Vater, mein Bruder eine meiner Schwestern konnten mit einem Boot flüchten. Aber das Boot ist kurz nach dem Ablegen untergegangen. Mein Vater und mein Bruder sind ertrunken, meine Schwester konnte sich retten und ist mit anderen 1 Werner Best (1903-1989), März 1933 wurde Best Staatskommissar für das Polizeiwesen in Hessen, im Juli 1933 Landespolizeipräsident, von September 1939 bis Juni 1940 war er Leiter des Amtes 1 (Verwaltung und Recht) des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), 1941 Leiter der Abteilung Verwaltung beim Militärbefehlshaber in Frankreich, ab 1942 „Reichsbevollmächtigter für Dänemark“. Tätigkeitsbericht 2010 33 Schiffbrüchigen an das Ufer geschwommen. Man kann sich vorstellen, was in ihr vorging: zu wissen, dass ihre Mutter und vier Geschwister im KZ waren und sie miterleben musste, wie ihr Vater und ihr Bruder ertranken. In Theresienstadt waren etwa 470 dänische Juden. Allein in den ersten sechs Monaten im Lager sind etwa 40 von ihnen gestorben. Zu Essen gab es regelmäßig Kartoffelschalensuppe und ein kleines Stückchen Brot für drei Tage. Aber wir haben überlebt. Meine Mutter und ich haben im Lager gearbeitet. Ich war damals 14 Jahre alt und musste in einer Schule für Piloten Malerarbeiten machen. Einer der dort stationierten Offiziere hat mir erzählt, dass er in Berlin bei einem Bombenangriff seine Familie, seine Frau und sein Kind verloren hat. Er hat mir zwei Stückchen Kuchen geschenkt. Er war einer der wenigen, die ein Herz hatten. Unter den vielen Zwangsarbeiten, die ich dort machen musste, war auch die Arbeit in der Wäscherei der SS. Dort musste ich jeden Tag mit einem Pferdegespann nach draußen vor das Lager Theresienstadt fahren. Dort war ein anderes großes Lager für politische Gefangene und Kriegsgefangene. Theresienstadt selbst war wie eine ganz normale Stadt mit einem Bürgermeister. Kampe: Ist es richtig, dass kein dänischer Jude von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert worden ist. Fischermann: Ja, das ist richtig. Der Dr. Werner Best hatte bei Himmler durchgesetzt, dass kein dänischer Jude nach Auschwitz deportiert wird, weil aus Dänemark wichtige landwirtschaftliche Produkte nach Deutschland geliefert wurden. Best und die Berliner Zentrale befürchteten, dass diese Lieferungen durch Aufstände in Dänemark zum Erliegen kommen würden, wenn bekannt würde, dass Deportationen nach dem Osten stattfinden. Deshalb sind wir nicht aus Theresienstadt deportiert worden. Kampe: Uns interessiert natürlich sehr die Rettungsaktion mit den weißen Bussen. In der Endphase des Krieges waren 2,3 Millionen Kriegsgefangene in Deutschland, 190.000 Justizhäftlinge über 700.000 Lagerinsassen und etwa 250.000 bis 350.000 Gefangene waren auf den Todesmärschen von den frontnahen Lagern ins Reichsgebiet ums Leben gekommen. Das Interesse von Schweden war es, nachdem die Regierung anfangs wohlwollend neutral Deutschland gegenüber gestanden hatte - vielleicht auch aus Angst, genauso wie Norwegen und Dänemark besetzt zu werden - nun sich als ein Staat zu legitimieren, der den Opfern von Nazi-Deutschland hilft. Es kam ab Januar 1945 zu den Verhand2 lungen zwischen Graf Folke Bernadotte als Vertreter des schwedischen Roten Kreuzes und Himmler in Berlin. Himmler gehörte damals zu den führenden NS-Leuten, die glaubten, man könne die Westalliierten zu einem Separatfrieden überreden, um damit ihren einen Kopf zu retten. Himmler hatte die Idee, dass Graf Bernadotte mit den Westalliierten verhandeln könnte. Bernadotte hatte aber den Plan, skandinavische Lagerinsassen zu retten. Da Hitler strikt gegen solche Verhandlungen war, beauftragte Himmler den Chef des Auslandsgeheimdienstes, Walter Schellenberg, mit den Verhandlungen. Diese weißen Busse waren tatsächlich weiß angemalt, damit sie von möglichen Fliegerangriffen verschont blieben. Insgesamt waren es 75 Busse und Lkws sowie eine Versorgungsschiff, das im Lübecker Hafen lag und für die Nahrungsmittel- und Treibstoffversorgung zuständig war. Etwa 250 schwedische Freiwillige nahmen teil, viele davon vom schwedischen Militär, aber in Zivilkleidung. Pro Tour konnten etwa 1.000 Häftlinge gerettet werden. Im April 1945 kamen dann noch etwa 450 dänische Helfer hinzu, darunter auch Ärzte und Krankenschwestern. Stationiert war das ganze Team auf dem Gut des Grafen von Bismarck in der Nähe von Hamburg. Hintergrund war, dass dieser Graf von Bismarck mit einer Schwedin verheiratet war, die wiederum aus der Jugendzeit mit dem Grafen Bernadotte befreundet war. Anfangs durften die Häftlinge aus Theresienstadt nur ins KZ Neuengamme bei Hamburg gebracht werden, nur einige wenige direkt nach Dänemark. Nun erzählen Sie aber bitte Ihre Geschichte der Rettung. Fischermann: Die Geschichte war so, dass es in Dänemark einen Beamten und einen Arzt gab, die zusammen mit dem Grafen Bernadotte über eine mögliche Rettung der dänischen Juden aus Theresienstadt gesprochen hatten. Bernadotte sagte denen, er habe nicht die Erlaubnis für eine solche Rettungsaktion. Eines Tages kam ein höherer SS-Mann zu Bernadotte und bot ihm an, in dieser Angelegenheit behilflich zu sein, wenn ihm dafür zugesichert wird, dass seiner Familie geholfen wird, das Ende des Krieges zu überleben. In der Zwischenzeit hatten sich in Jütland viele Freiwillige zusammen getan, Busse erworben, die weiß mit einem roten Kreuz angemalt wurden. Dazu haben sie sich Uniformen angefertigt. Nach längern Verhandlung mit Berlin, wurde von dort genehmigt, dass die weißen Busse nach Theresienstadt fahren durften. Die dänischen Lagerinsassen wurden dann aufgefordert, an einem bestimmten Vormittag zur Kaserne im Lager zu kommen und zu den Bussen zu gehen. In den 2 Folke Bernadotte Graf von Wisborg (1895-1948), ab September 1943 Vizepräsident des Schwedischen Roten Kreuzes, er verhandelte in seiner Funktion im Jahr 1945 mit Himmler erfolgreich über die Freilassung der skandinavischen KZ-Häftlinge. Zusätzlich zu ca. 8.000 Häftlingen skandinavischer Herkunft wurden im Rahmen dieser Mission etwa 10.000 bis 12.000 Häftlinge anderer Nationalität vor allem aus Ravensbrück und Theresienstadt zunächst im Lager Neuengamme bei Hamburg gesammelt und später nach Schweden überführt. Durchgeführt wurde diese Aktion, die in die schwedische Geschichte und die Geschichte der Rotkreuz-Bewegung als die “Weißen Busse“ eingegangen ist, kurz vor Kriegsende von ca. 250 Helfern des Schwedischen Roten Kreuzes. 34 Tätigkeitsbericht 2010 Bussen wurden wir von dem jeweiligen skandinavischem Kommandanten aufgefordert, vorbereitete Holzplatten vor den Fenstern zu befestigen, damit man von außen nicht sehen konnte, dass Juden in den Bussen waren. In jedem Bus war ein bewaffneter Wehrmachtssoldat. In unserem Bus war ein junger Soldat, der die ganze Zeit nichts sagte. Zuerst sind wir nach Dresden gefahren. Von dort aus ging es in sehr langsamer Fahrt nach Potsdam. Dort hieß, dass wir nicht nach Berlin fahren könnten, sondern es sei besser in Richtung Schweiz zu fahren. Dann kam aber doch die Erlaubnis durch Berlin durchzufahren. Als wir dann nach Norden an die dänische Grenze kamen, wurde uns nicht erlaubt, dass mehr als fünf von uns auf der Straße zusammenstehen durften. Aber nun in Dänemark kamen hunderte Menschen zu unseren Bussen und haben uns mit Essen und Zigaretten versorgt. Die Fahrt ging dann weiter nach Seeland und dann konnten wir zum ersten Mal in einem Hotel übernachten. Abends gab es zum ersten Mal wieder ein richtig gutes Essen. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie es uns erging, nach eineinhalb Jahren wieder ein richtiges Essen. Am nächsten Tag ging die Fahrt weiter nach Kopenhagen zum Hafen. Von dort sind wir mit Fähren nach Schweden gebracht worden. Dort wurden wir alle ärztlich untersucht. Meine Mutter und meine Schwester kamen in ein Sanatorium. Wir haben dort in Baracken gewohnt und es gab dort ein Geschäft, das Schokolade und Bonbons verkauft hat. Wir hatten sogar von den schwedischen Autoritäten Geld bekommen, um uns Lebensmittel zu kaufen. Aber ich und fünf andere Jugendliche wollten lieber ins Kino gehen. Nach etwa 14 Tagen sind wir verlegt worden, meine Mutter, mein Bruder und ich und dort haben wir unsere Schwester wieder getroffen. So war unsere Familie wieder zusammen, aber eine meine Schwestern, die im KZ bereits krank geworden ist, ist hier gestorben. Nach dem Krieg sind wir drei Brüder Ingenieure geworden und meine andere Schwester Krankenschwester. Wir haben ein gutes Leben führen können. Meine Mutter ist 87 Jahre alt geworden. Kampe: Die Tour von Theresienstadt war am 12. April 1945. Danach gab es noch einmal eine Fahrt mit den weißen Bussen von Theresienstadt nach Ravensbrück. Zu diesem Zeitpunkt waren aber die Zustände bei der Lagerleitung schon so chaotisch, dass die Busse Häftlinge jeglicher Nationalität aus dem Lager mitnehmen konnten. Fischermann: Die Freiwilligen konnten mit den Bussen insgesamt mehr als 20.000 Menschen retten. Kampe: Zum Zeitpunkt der Rettungsaktionen mit den Bussen standen die Amerikaner bereits an der Elbe und die Rote Armee an der Oder. Es gab nur noch einen schmalen Korridor für die Evakuierung mit den Bussen. Bei den Rettungsaktionen nach Ravensbrück sind die weißen Busse von Flugzeugen der Royal Air Force auch beschossen worden. Dabei sind auch etliche Helfer und Häftlinge ums Leben gekommen. 3 Fischermann: Ich möchte Ihnen noch berichten, dass ich mit Kurt Gerron befreundet war, der immer daran geglaubt hat, zu überleben. Er musste diesen Film über Theresienstadt drehen und hoffte, dass wenigstens die Mitwirkenden überleben würden. Aber fast alle von ihnen wurden nach Auschwitz gebracht. Auch er wurde dorthin deportiert und ermordet. Die beiden Kommandanten von Theresienstadt waren Österreicher; sie stellten immer die Transporte nach Auschwitz zusammen. Einmal musste ich mithelfen, die Transporte zusammenzustellen. Das war furchtbar, die Menschen in die Viehwagen bringen zu müssen. Dazu muss man wissen, dass Theresienstadt eigentlich eine Kaserne mit mehreren Toranlagen war. Das war so organisiert, dass man zuerst durch das eine Tor gehen musste, dann durch das zweite Tor und draußen standen die Eisenbahnzüge. Nun mussten die zu Deportierenden durch die Tore gehen und auf der anderen Seite einen Zettel abgeben. So wurde gezählt, dass keiner für den Transport fehlte. Eines Tages fehlte dennoch eine Person und einer der SS-Posten sagte zu uns. „Sucht diese Person, oder jemand von euch geht auf den Transport.“ Einer der Kommandierenden hatte einen großen Holzprügel und forderte uns auf, die fehlende Person zu suchen. Er sagte, wir hätten fünf Minuten Zeit, diese fehlende Person zu finden. Es war eine Frau, vielleicht 40 Jahre alt. Der Kommandierende hat dann fürchterlich auf sie eingeprügelt. Ich selbst wurde einmal aufgefordert, in den letzten Wagen eines Transportzuges zu gehen, um dort den kleinen Ofen für das Begleitpersonal mit Holz und Papier anzuzünden. Es war stockfinster und ich sah nicht, dass dort ein Offizier schlief. Als ich versuchte den Ofen anzuzünden, ist er aufgewacht und hat mit dem Stiefel auf meine Hand getreten und meinen Finger zerquetscht. 3 Kurt Gerron (1897-1944), Schauspieler z. B. in „Die Drei von der Tankstelle“, „Der blaue Engel“, arbeitete bis 1933 bei der Ufa, kam nach dem deutschen Einmarsch in den Niederlanden in ein Lager, von dort nach Theresienstadt, musste dort den Propagandafilm über Theresienstadt drehen. Er hoffte damit, einigen Mitgefangenen das Leben zu retten, wurde aber mit seiner Frau nach Auschwitz deportiert und dort am 28.10.1944 ermordet. Tätigkeitsbericht 2010 35 [Fragen der Zuhörer an Herrn Fischermann] Frage: Meine Verwandten waren auch in der Gruppe der Geretteten, in der Sie waren. Haben Sie alle gekannt, die aus Kopenhagen und den anderen dänischen Städten kamen? Fischermann: Ja! Frage: Dann kennen sie Dr. Fischer und seine Familie? Fischermann: Ja, die kenne ich. Frage: Der Enkel von Dr. Fischer ist mein zweiter Cousin. Meine Verwandten sind zurückgekommen nach Kopenhagen aus Theresienstadt und auch aus Schweden. Ihre Wohnungen waren unberührt. Die Nachbarn haben zum Teil die Schlüssel gehabt. Es ist nichts geraubt worden. Meine Verwandten konnten wieder direkt in ihre Wohnungen zurückkehren. Fischermann: Ja, ich kenne einige Fälle. Da sind die Zurückgekehrten in ihre Wohnungen gekommen und alles war noch da, sogar die Teller standen noch auf dem Tisch. Aber das war nicht überall so. Man darf nicht vergessen, es gibt gute Menschen und es gibt schlechte Menschen. Frage: Ich kann das bestätigen. Mein Schwiegervater ist nach Schweden gebracht worden und als er zurückkam, ist noch alles so gewesen, wie er es verlassen hatte. In Deutschland wird immer wieder erzählt, als die ersten schwedischen Busse in Theresienstadt ankamen und den Juden erzählt wurde, sie würden nun nach Hause gebracht, hätten sie es am Anfang nicht geglaubt, sondern gedacht, dass sei ein Trick der Deutschen, um sie zu deportieren. War das wirklich so und mussten sie gezwungen werden, in die Busse zu steigen? Stimmt das? Fischermann: Nein. Sie müssen wissen, diejenigen, die die Busse gefahren haben, sind zu uns gekommen und haben mit uns gesprochen und wir konnten sie verstehen und wussten, dass es die Wahrheit war. Deshalb hatten wir keine Zweifel, dass es die Wahrheit war. Wir wussten, dass Schweden neutral war und somit hatten wir keine Angst einzusteigen. Frage: Können Sie uns bitte sagen, was Sie damals gefühlt haben und wie Ihnen erklärt wurde, warum sie als Jugendlicher in ein KZ gebracht werden würden. Fischermann: Uns wurde damals gesagt, es würde soviel Streik und Widerstand gegen die Deutschen in Dänemark geben und daran seien die Juden schuld. Deshalb müssen die Juden aus der Bevölkerung entfernt werden. Man darf nicht vergessen, dass von den über 7.000 dänischen Juden, nur etwa 470 deportiert worden sind. Alle anderen konnten nach Schweden entkommen. Kampe: Ich denke, es ist wichtig zu erwähnen, dass Werner Best den Befehl gegeben hatte, die Wohnungen der Deportierten nicht zu verwüsten - noch nicht einmal sollten die Wohnungstüren eingeschlagen werden, denn man befürchtete einen totalen Widerstand der dänischen Bevölkerung bei Aktionen der Deutschen gegen die dänischen Juden. Dänemark war als Nahrungsmittelieferant für Deutschland sehr wichtig, deshalb konnte man sich nicht so benehmen, wie in den anderen besetzten Gebieten oder Ländern. Fischermann: Es ist tatsächlich so, wenn wir damals nicht zu Hause gewesen wären oder unsere Wohnungstür nicht geöffnet hätten, dann wäre unserer Familie das Schicksal erspart geblieben. Die Wohnung meines Onkels, der auch nach Theresienstadt deportiert worden ist, war nach seiner Rückkehr völlig unversehrt. Aber es hat eben auch andere Fälle gegeben, wo alles zerstört und das Eigentum geraubt wurde. Frage: Ich habe letztes Jahr in Tel Aviv eine Ausstellung über den bereits genannten Film unter der Regie von Kurt Gerron gesehen. Darin kommt doch diese bekannte Szene mit dem Fußballspiel vor. Können Sie an dieses Fußballspiel erinnern? Fischermann: Ja, sehr gut. Man hatte alle Leute aufgefordert, in die Dresdner Kaserne zu gehen. Dann mussten zwei Mannschaften mit – wenn ich mich recht erinnere – zehn Leuten für diesen Film Fußball spielen. Dass das ganze ein nur Schauspiel war, sieht man unter anderem daran, dass der Schiedsrichter gar keine Münze in der Hand hält, um zu entscheiden, welche Mannschaft mit dem Spiel beginnt. Das Spiel hat nur ganze zehn Minuten gedauert, dann haben die Deutschen gesagt, das genügt. Antwort: Ich möchte bitte ergänzen, dass mir der Ausstellungsmacher erzählt hat, dass er noch acht damalige Spiele gefunden hat. Frage von Herrn Klein: Als Sie im Oktober 1943 nach Theresienstadt gekommen sind, haben dort schon 14-jährige Jugendliche arbeiten müssen. Dazu wollte ich fragen: Sind Sie für die Arbeit im Ghetto bezahlt worden und haben Sie eine so genannte „Sparkarte“ erhalten? Meine zweite Frage betrifft den Postverkehr zwischen Dänemark und den dänischen Juden in Theresienstadt: Können Sie sich erinnern, ob es Geldanweisungen aus Dänemark an die dänischen Juden in Theresienstadt gegeben hat, die dann in Ghettokronen ausbezahlt worden sind? Fischermann: Es gab Ghettogeld, das hat man bekommen, aber sonst nichts. Aber es gab einen Unterschied zwischen Schwerarbeitern und Normalarbeitern. Schwerarbeiter haben ein, wie wir es nannten „Essbrot“ bekommen, das war etwas größer als das normale Brot. Frage: Es gab von der jüdischen Bank im Ghetto die bereits erwähnte „Sparkarte“. Warum die beiden verschiedenen Farben, rosa und graublau? Fischermann: Das weiß ich nicht. Ich kenne diese „Sparkarten“ nicht, ich habe nur das Ghettogeld gesehen. Ich kann Ihnen aber erzählen, dass man im Propagandafilm Waren ohne Geld bekam. So wurden extra im Lager eine Bibliothek, ein Cafe und einen Garten mit vielen Blumen aufgebaut. Die Wände der Häuser wurden mit Kalk weiß angemalt. Und auch ein Krankenhaus wurde eingerichtet. In dem Film sieht man zum Beispiel einen Krankenpfleger mit Essen für einen 36 Tätigkeitsbericht 2010 Kranken, nur für diesen Film und für die dänische Rot-Kreuz-Delegation, die das Lager besucht hat. Die haben dann einen Bericht über ihren Besuch geschrieben, wie schön dort alles sei. Frage: Aber hätte nicht die Rot-Kreuz-Delegation die Möglichkeit gehabt, die Häftlinge fragen, wie es dort in Wirklichkeit ist? Fischermann: Nein, das war nicht möglich. Ich möchte Ihnen von uns erzählen. Mein Bruder und ich wurden in ein Jugendhaus gesteckt und dann hat man nur für diesen Besuch und den Film Möbel in die Zimmer gestellt und Gardinen an die Fenster gehängt, Blumen in die Fenster gestellt und nur an diesem Tag hat man genügend zu essen bekommen. Frage: Können Sie uns erklären, warum in Deutschland so wenig über diese weißen Busse bekannt ist? Fischermann: Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht, aber nicht nur in Deutschland ist die Aktion mit den weißen Bussen wenig bekannt. Ich hoffe, dass solange noch Überlebende dieser Rettungsaktionen mit den Bussen leben, davon erzählen. Frage: Können Sie uns etwas über die künstlerischen Aktivitäten in Theresienstadt erzählen, über Theater, über Kunst. Und erinnern Sie sich in diesem Zusammenhang an den Namen Kurt Singer? Fischermann: Ja, das kann ich. Man muss wissen, dass Theresienstadt ein Paradox war. Er war erlaubt, Revuen und ähnliches zu machen. Mit Kurt Gerron habe ich in Theresienstadt gearbeitet. Sie haben zum Schluss des Filmes gesehen, dass da von dem Kinderchor ein Lied gesungen wird. Es gab in Theresienstadt viele gute Schauspieler. Aber alle hat man deportiert. Allein für diesen Propagandafilm hat das Orchester über ein halbes Jahr geprobt. Alle Musiker hat man dann nach Auschwitz geschickt. Kampe: Die Frage war nach Kurt Singer, der vorher den Jüdischen Kulturbund in Deutschland gegründet hatte. Fischermann: Nein, an Singer kann ich mich nicht erinnern. Frage: Ich habe zwei Fragen zu diesem Propagandafilm. Wo wurde dieser Film gezeigt, wie oder aus welchem Anlass wurde dieser Film eingesetzt? War der für die Nazis, bestimmt oder sollte der in Dänemark gezeigt werden oder in der restlichen Welt? Die andere Frage bezieht sich auf seine Geschichte: Es wurde gesagt, dass es von diesem film nur noch Fragmente gibt. Gibt es den Film nicht mehr als Ganzes, sondern nur noch Fragmente? Fischermann: Ich weiß, dass der Film zweimal in einer geschlossenen Veranstaltung gezeigt wurde. Er sollte dann in Deutschland und außerhalb gezeigt werden, um zu beweisen, wie gut es den Juden in einem Lager geht. Der Original-film hat über zwei Stunden gedauert. Heute hat man noch Fragmente von ungefähr 22 Minuten. Kampe: Herr Pohle, ist es richtig, dass der Film nie im Ausland für Propagandazwecke verwendet wurde? Pohle: Es gibt Fragmente in Amerika und in Yad Vashem in Jerusalem. Die Fragmente sind in sehr unterschiedlichem Zustand und es gibt sie zum Teil auch im Internet. Ganz interessant ist übrigens auch, dass es den Film nach 1945 bei den deutschen Kreis- und Landesbildstellen gab. Heute ist die unbegleitete Vorstellung verboten. Ich vermute, dass der ganze Film noch in irgendeinem Archiv liegt, völlig unbeachtet. Szenen aus dem Film „Theresienstadt – ein Dokumentarfilm“ Frage: Vorhin wurde beklagt, dass in Deutschland so wenig über die Rettungsaktion mit den weißen Bussen bekannt ist. Ich habe Salle Fischermann 1995 bei einer Ausstellungseröffnung über die Rettungsaktion der dänischen Juden kennen gelernt. Diese Ausstellung hat das Museum des Widerstands in Kopenhagen erstellt hat. In dieser Ausstellung wird auch Tätigkeitsbericht 2010 37 über die Reaktionen der dänischen Bevölkerung gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern berichtet und wie es überhaupt möglich war, dass über 7.000 Juden unter den Augen der Besatzungsmacht nach Schweden gerettet werden konnten. Das Besondere an dieser Rettungsaktion war ja, dass durch die Information des von Duckwitz die dänische Bevölkerung ihre jüdischen Mitbürger erst einmal versteckt hat. Das ist das Besondere an dieser Aktion, nämlich der bürgerliche Widerstand gegen die Besatzungsmacht, nach dem Prinzip: Das sind unsere Mitbürger und wir liefern sie nicht der Besatzungsmacht aus. Kampe: Herr Fischermann, vielleicht sollte man noch einmal darauf eingehen, dass praktisch Antisemitismus in der dänischen Bevölkerung nicht vorhanden war. Anders als in anderen Ländern, leistete man in dieser Hinsicht Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht, indem man eben sagte, die Juden sind Dänen. Fischermann: Ich kann Ihnen sagen warum. In Dänemark war es so, dass man sagte: „In Dänemark sind wir alle Dänen“. Man war nicht Jude, man war Däne mit einer anderen Religion. Kampe: In Deutschland glaubten die Juden auch, sie seien Deutsche. Trotzdem wurden sie von der Bevölkerung und der Gesellschaft nicht geschützt, sondern ausgegrenzt und ausgeliefert. Es kommt wohl weniger auf die Selbsteinschätzung der Juden, sondern auf die der Juden durch die Mehrheitsgesellschaft an. Frage: Könnten Sie bitte über die Deportation der anderen Häftlinge nach Auschwitz berichten und wie Sie diese Deportationen miterlebt haben. Fischermann: Das verlief so, dass der Kommandant dem Bürgermeister gesagt hat, es werden 2.000 Personen nach Auschwitz deportiert. Er solle nun die Namenslisten zusammenstellen. Jeder, der deportiert werden sollte, bekam einen Zettel, dass er an einem bestimmten Tag und einer bestimmten Tageszeit mit Gepäck zu einem Treffpunkt kommen musste. Sie mussten dann durch die beiden Tore gehen, draußen standen sie SS-Leute, haben die Häftlinge in die Viehwaggons gestoßen. Die Türen wurden verschlossen und die Züge führen ab. Das Schlimmste waren eigentlich daran zwei Sachen: Einmal, dass Hören der Züge. Zweitens, wenn man im Hof stand und all die Leute gesehen hat, die auf den Transport mussten und nie wieder zurückkommen würden. Und man steht da, und kann gar nichts machen. So war das jedes Mal. Und man hatte viele Freunde unter den Häftlingen. und wenn die dann den Zettel bekommen haben, das war furchtbar. Kampe: Herr Fischermann vielen Dank für das Gespräch, danke auch an das Filmteam um Herrn Pohle aus Rothenburg. Eintragung im Gästebuch 2010 38 Tätigkeitsbericht 2010 Eintragung im Gästebuch 2010 Tätigkeitsbericht 2010 39 Bildungsarbeit mit Zeitzeugen - ASF-Freiwillige treffen im Haus der Wannsee-Konferenz die ShoahÜberlebende Margot Friedlander Schon seit der Eröffnung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz treffen Freiwillige der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (ASF) auf jüdische Shoah-Überlebende. Dies geschieht im Rahmen eines Seminartages, die die Freiwilligen zur Vorbereitung ihrer einjährigen Dienste in unterschiedlichen Ländern Europas, in den USA und Israel im Haus besuchen. Die Freiwilligen sind zumeist um die zwanzig Jahre alt. Dieses Jahr trafen sich die ASF-Gruppen an zwei aufeinander folgenden Tagen im September mit jeweils rund 70 TeilnehmerInnen zum Gespräch mit der 89jährigen Berlinerin Margot Friedlander. Als sie 21 Jahre alt ist, werden ihre Mutter und ihr Bruder von der Gestapo verschleppt. Sie selbst ist nicht zuhause. Ihre Mutter hinterlässt ihr eine Nachricht: Versuche, dein Leben zu machen. Im Versteck kann sie 15 Monate in Berlin überleben. Dann wird sie verraten, nach Theresienstadt verschleppt und dort befreit. Sie emigriert in die USA und kehrt 2005, nach dem Tod ihres Mannes, nach Berlin zurück. Für ihre Biographie, die sie 2008 veröffentlichte, hat sie die letzte Nachricht ihrer Mutter als Titel gewählt: Versuche, dein Leben zu machen. Daraus liest sie der Gruppe zunächst vor. Es ist eine ergreifende Geschichte, in einer einfachen, eindringlichen Sprache erzählt. Margot Friedlander hat eine ruhige, aber deutliche Stimme, die den Seminarraum trotz der vielen ZuhörerInnen gut ausfüllt. Nach einer dreiviertel Stunde Lesung könnte man befürchten, dass die Wucht des Textes den jungen Leuten die Sprache verschlagen hat und dass ein Gespräch sich womöglich gar nicht entwickelt. Doch das ist nicht der Fall: Margot Friedlander ist den ZuhörerInnen offen und freundlich zugewandt. Sie betont nach der Lesung als erstes, dass es ihr Ziel ist, den nachfolgenden Generationen ihre Geschichte zu erzählen, damit sie diese Geschichte wiederum an die nachfolgenden Generationen weitergeben können. 40 Tätigkeitsbericht 2010 Damit gelingt es Margot Friedlander auf eine versöhnliche Art, die jungen Leute in eine Verantwortungsgemeinschaft zu bitten, die das Nachfragen und das Gespräch erforderlich machen. Und dazu kommt es dann auch, zunächst im großen Plenum mit der ganzen Gruppe, danach bleibt eine kleinere Runde von zwanzig Leuten um ihren Tisch versammelt und vertieft das Gespräch. Die Gruppe verlässt das Haus nicht direkt nach dem Gespräch. Es findet am Vormittag statt, am Mittag und Nachmittag folgen weitere Programmpunkte. Dabei kann (und sollte) das Zeitzeugengespräch mit den TeilnehmerInnen ausgewertet werden. Die Erfahrung zeigt, dass dafür auch ein Bedürfnis besteht. Fragen, die Margot Friedlander im großen Kreis vielleicht doch nicht gestellt werden mochten, können hier diskutiert werden: Wie konnte sie die Trennung von der Mutter und später die Nachricht ihrer Ermordung (und die Ermordung ihres Bruders) in Auschwitz verkraften? Wenn ihr zudem nur eine Handtasche als Erinnerungsstück blieb? Was bedeutet es, mit einem Theresienstadt-Überlebenden verheiratet zu sein? Wie war in New York, in das die beiden Eheleute emigrierten, ihr Verhältnis zu Deutschland, zu Deutschen? Warum kehrt sie 2005 nach Deutschland zurück? Es ist keineswegs selbstverständlich, dass heute 20jährige, sei es bei schulischen oder außerschulischen Veranstaltungen, mit Shoah-Überlebenden bereits zusammengetroffen sind. Viele Vereine, Gedenkorte und Schulen verlieren die Kontakte zur Generation der Überlebenden, wenn die ihnen vertrauten Zeitzeugen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung stehen. Daher haben auch viele ASF-Freiwillige bis dahin keinen Kontakt zu Shoah-Überlebenden. Die Unmittelbarkeit der Begegnung ist eine emotionale Herausforderung, für die ZuhörerInnen, für die begleitenden PädagogInnen und natürlich auch für die Zeitzeugin selbst. Daher muss neben dem eigentlichen Gespräch ein Rahmen geschaffen werden, in dem das Gespräch eingebettet ist. Margot Friedlander in der ständigen Ausstellung der Gedenkstätte vor dem Foto ihres Mannes Adolf Friedlaender Literaturhinweis: Margot Friedlander (mit Malin Schwerdtfeger): „Versuche, dein Leben zu machen.“ Als Jüdin versteckt in Berlin. Hamburg: Rowohlt 2008. (ISBN 978-3-499-62304-2) Signatur in der Joseph WulffMediothek: H.2.9 Frie Eintragung im Gästebuch der Gedenkstätte Das Haus der Wannsee-Konferenz bietet mit Ausstellung und Mediothek für ein Zeitzeugengespräch überdies die Möglichkeit zur historischen Kontextualisierung des Gehörten. Die von Margot Friedlander genannten Lager wie Auschwitz und Theresienstadt können weiter thematisiert werden; die Rolle der Gestapo und anderer Behörden bei den Deportationen kann erörtert werden; die Handlungsspielräume der Menschen, die Juden halfen, können anhand konkreter Beispiele ausgeleuchtet werden; der Umgang von Tätern und Opfern mit der Geschichte nach 1945 kann diskutiert werden. Neben der diesjährigen Begegnung der ASF-Freiwilligen im Haus der Wannsee-Konferenz hat ASF darüber hinaus häufiger mit Margot Friedlander Begegnungen mit – zumeist muslimischen – Migrantinnen aus Berlin-Neukölln und -Kreuzberg organisiert, im Rahmen des Projekts „Stadtteilmütter auf den Spuren der Geschichte“. Tätigkeitsbericht 2010 Auch hier war Margot Friedlander eindrucksvoller Gewinn für die Seminararbeit zum Nationalsozialismus. Ihre geduldige, eindringliche und freundschaftlich offene Art ermöglichten über die Begegnung mit einer ShoahÜberlebenden hinaus eine muslimisch-jüdische Verständigung in der Gegenwart. Sowohl das Haus der Wannsee-Konferenz als auch ASF schätzen sich sehr glücklich, mit Margot Friedlander eine überaus wichtige Partnerin in der Bildungsarbeit zum Nationalsozialismus gefunden zu haben. Wir wünschen uns, dass wir noch viele Jahre mit Margot Friedlander auf diese Weise zusammenarbeiten können – und bedanken uns an dieser Stelle herzlich für die Bereitschaft, die Geschichte mit uns zu teilen. Eike Stegen Freier wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte seit 2000 41 Podiumsdiskussion zum Thema „Zentralisierung und Politisierung des Gedenkens? - Zur Zukunft der Erinnerungskultur an die NS-Verbrechen in Deutschland und Europa“ am 18. November 2010 in der Saarländischen Landesvertretung Die Ständige Konferenz der Leiter der NS-Gedenkorte im Berliner Raum hat es sich zur Aufgabe gemacht, für öffentliche Veranstaltungen Themen zu wählen, die für die NS-Gedenkstätten in Berlin und Brandenburg von übergreifender Bedeutung sind. Zu diesen Themen gehören auch die aktuellen Entwicklungen in der Erinnerungskultur in Deutschland und Europa. Als Auftakt wählte die Ständige Konferenz eine Podiumsdiskussion zu Zentralisierungs- und Politisierungstendenzen im Gedenken. In der Diskussion stand die Frage im Mittelpunkt, ob der Beschluss des Europäischen Parlaments im April 2009, den 23. April zum Gedenktag für die Opfer aller autoritärer und totalitärer Regime zu erheben, erinnerungskulturell eine gute Entscheidung darstellt. Die Podiumsteilnehmer sind sich einig, dass die Integration der Erinnerung an die kommunistischen Opfer in die europäische Erinnerung wichtig ist. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, sprach sich jedoch dagegen aus, einen gemeinsamen Gedenktag für die Opfer kommunistischer Regime und für die Opfer des Nationalsozialismus einzuführen. Er ist der Meinung, dass ein solcher Gedenktag für Konflikte sorgen und daher kontraproduktiv für die Herausbildung einer europäischen Identität sein wird. Auch die Wahl des 23. August für den Gedenktag, der sich auf die Verabschiedung des Hitler-Stalin-Paktes (1939) bezieht, hält Morsch für ungünstig. Darin stimmten ihm die anderen Podiumsteilnehmer Dr. Jens Bisky, FeuilletonRedakteur der Süddeutschen Zeitung und Buchautor, Malte Lehming, Leiter der Meinungsseite beim Berliner Tagesspiegel und Prof. Dr. Claus Leggewie, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, zu. und demokratisch liberalen Staaten auf der anderen Seite gewesen. Morsch würde den Tag der Oktoberrevolution, der den Beginn der kommunistischen Regime markiert, als eine gute Wahl für einen Gedenktag zur Erinnerung an die kommunistischen Opfer halten. Seine Vermutung ist, dass der Tag des Hitler-Stalin-Paktes bewusst gewählt worden ist, um eine neue europäische Meistererzählung zu schaffen, bei der kommunistische Regime und die nationalsozialistische Diktatur gleichgesetzt werden sollen. Dafür spricht auch, dass in Brüssel ein Museum für die Opfer aller autoritärer und totalitärer Regime errichtet werden soll. Während das Europäische Parlament im Jahr 1993 eine Geschichtsresolution verabschiedet hat, in der es heißt, dass die verschiedenen Geschichtsphasen nicht miteinander vermischt werden sollen, erfolgt 16 Jahre später eine völlige Neubewertung. Morsch führt aus, dass dadurch der falsche Eindruck erweckt werde, als seien Krieg und Völkermord nach dem 1. September 1939 das Ergebnis eines Konflikts zwischen den totalitären Diktaturen auf der einen Seite Malte Lehming erzählt, dass ihm ein Bekannter vor Jahren einmal vorwarf, dass die Singularitätsthese nur dazu dienen würde, die kommunistischen Opfer aus der Erinnerung auszuschließen. 42 Tätigkeitsbericht 2010 Als Konfliktsoziologe betrachtet Claus Leggewie einen zivilisiert ausgetragenen Unfrieden und den Versuch, eine europäische Identität zu schaffen, als positiv. Er betont, dass Europa nicht nur aus einer gemeinsamen Währung und einem freien Markt bestehen könne, sondern auch eine gemeinsame Geschichtspolitik braucht. Ein Vergleich der Diktaturen betrachtet er als legitim und eine Verständigung über unterschiedliche Sichtweisen als produktiv. Dies gilt beispielsweise auch für den Versuch von Frankreich und Deutschland, ein gemeinsames Geschichtsbuch für die Schülerinnen und Schüler beider Länder zu erstellen, oder für die Einrichtung einer Kommission von Armeniern und Türken, die sich mit dem Genozid an den Armeniern auseinandersetzt. Dieser Vorwurf hätte ihn zum Nachdenken angeregt. Die Ablehnung der Entscheidung des Europäischen Parlaments hält er für übertrieben. Er zweifelt außerdem an, ob es denn überhaupt ein gemeinsames deutsches Geschichtsbild gäbe. Lehming betont, dass Gedenken per se nie apolitisch sei. Die Moderatorin Gabriele Lesser, OsteuropaKorrespondentin und Historikerin, weist darauf hin, dass der russische Präsident Dmitrij Medwedew am 20. Mai 2009 eine Kommission eingerichtet hat, deren Aufgabe es ist, „Geschichtsfälschungen“ zum Nachteil der Interessen Russlands unter Strafe zu stellen. Dies sei eine unmittelbare Reaktion auf die Verabschiedung des europäischen Gedenktags gewesen. Sie fragt, wie man damit umgehen soll. Die Podiumsteilnehmer sind sich einig, dass die Einrichtung einer solchen Kommission nicht akzeptiert werden kann. Günter Morsch weist darauf hin, dass Memorial und andere Organisationen zur Zeit einen schweren Stand und russische Historiker große Angst hätten, vor Gericht gestellt zu werden. Leggewie betont, dass in Russland die ausgebliebene Demokratisierung und die nicht aufgearbeitete Vergangenheit unmittelbar miteinander zusammenhängen. Er bezeichnet sich selbst als radikaler Verfechter der Meinungsfreiheit und spricht sich dagegen aus, Geschichtsauffassungen durch Gesetze zu oktroyieren, wobei er den europäischen Gedenktag nicht in diesem Sinne versteht. Lehming und Bisky weisen darauf hin, dass sich viele Staaten bei der Unterstrafestellung von bestimmten Geschichtsauffassungen auf die Gesetzgebung zur Leugnung von Auschwitz beziehen und dass dieser Paragraph daher wieder abgeschafft werden müsse. Günter Morsch betont, dass Deutschland als ehemaliges Land der Täter eine besondere Verpflichtung hat, die Überlebenden vor rechtsextremen Übergriffen zu schützen. Claus Leggewie vertritt hingegen die Ansicht, dass die Existenz eines solchen Paragraphen Übergriffe auf Menschen sowieso nicht verhindere. Auf die Frage, wie eine Konkurrenz zwischen den NSOpfern und den Opfern kommunistischer Regime verhindert werden kann, sind die Podiumsteilnehmer der Ansicht, dass dies nicht möglich ist. Günter Morsch weist darauf hin, dass die Gedenkstätte Sachsenhausen eine Konzeption der rationalen Geschichtsauffassung verfolgt, die auf Differenzierung und Kontextualisierung großen Wert legt. Dies habe auch zu einigen Erfolgen geführt, aber dennoch gäbe es nach wie vor Konflikte. Er kritisiert, dass einzelne Politiker beim Jahrestag der Befreiung die Überlebenden dazu aufgefordert hätten, dass sie auch an die Opfer nach 1945 gedenken müssten, was ein Gedenken an NSBelastete einschließen würde. Es gäbe immer wieder Versuche, das Speziallager mit dem KZ gleichzusetzen. Diejenigen, die die Todeszahlen beim Speziallager hoch rechnen würden seien dieselben, die die hohen Todeszahlen im KZ bezweifeln würden. Tätigkeitsbericht 2010 Claus Leggewie wiederum erinnert kritisch an die Zeit des Kalten Krieges, in dem es im Westen bei den Linken einen „bornierten Anti-Antikommunismus“ gegeben habe und der Gulag ein absolutes Tabu-Thema gewesen war. Jens Bisky stellt fest, dass im NS-Gedenken im Laufe der Zeit immer neue Opfergruppen hinzugekommen sind. Geschichte dürfte aber nicht nur additiv sein, sondern müsse auch die größeren Zusammenhänge erzählen. Die Gedenkstätten seien aber damit überfordert; dies müssten Einrichtungen wie das Deutsche Historische Museum übernehmen. Er weist außerdem darauf hin, dass politischer Druck durchaus auch positiv sein könne: die Veranwortung für die Massaker in Katyn sei von den Russen lange Zeit nicht übernommen worden, bis Gorbatschow schließlich bestätigte, dass diese Verbrechen von den Sowjets und nicht den Deutschen begangen worden waren. In den letzten Jahren hätten die Russen in diesem Punkt aber wieder Rückschritte gemacht. Als wichtige Herausforderung der Zukunft sieht Leggewie den Umgang von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und die Frage, wie sie mit der deutschen Vergangenheit umgehen. Leggewie hält es für wichtig, dass Gedenkstätten in ihrer Arbeit auch andere Genozide mit einbeziehen. Auch Lehming geht davon aus, dass für die nächste Generation der globale Maßstab wichtiger ist und die Spezifika weniger interessieren. Morsch hingegen betont die Notwendigkeit der historischen Kontextualisierung, ohne die ein tieferes Verständnis gar nicht möglich sei Als fördernd für die Entwicklung einer europäischen Identität würde er die Erinnerung an die positive Geschichte, d. h. der Entstehung der Demokratien, ansehen. Die Ständige Konferenz wird weitere Veranstaltungen zur Erinnerungskultur anbieten, wobei der Fokus auf der Erinnerungskultur in ausgewählten Ländern liegen wird. Andrea Riedle Koordinierende Assistentin der Ständigen Konferenz der Leiter der NS-Gedenkorte im Berliner Raum 43 “The diversity of the audience - Teaching about the Holocaust at Memorial Sites, Museums and in Educational Centers”, August 2010 Im Jahr 2009 organisierte die Anne-Frank-Stiftung Amsterdam ein Symposium zu „Konzepten zur Vermittlung der Geschichte des Holocaust in multikulturellen (vielfältigen) Klassenzimmern”. Hintergrund der Tagung war die Situation der Kolleginnen und Kollegen in Anne-Frank-Zentren in Südafrika und anderen Einrichtungen, in denen die Geschichte des Holocaust vermittelt wird, die bei ihrer Arbeit regelmäßig damit konfrontiert werden, dass die Besucherinnen und Besucher die ihnen präsentierte Geschichte mit der Geschichte der Apartheid assoziieren bzw. sich mit dieser Geschichte auseinandersetzen wollen, weil sie ihnen näher liegt. Gleichzeitig gibt es eine Entscheidung der Regierung die Geschichte des Holocaust in die Lehrpläne aufzunehmen. Bereits in Amsterdam waren Kolleginnen und Kollegen aus den Niederlanden, Südafrika, den USA, Großbritannien, Frankreich, Israel und ich vom Haus der Wannsee-Konferenz anwesend. Die Diskussionen waren sehr anregend, führten jedoch immer wieder zur Kernfrage, ob wir die Geschichte des Holocaust brauchen, um über Apartheid zu sprechen oder umgekehrt, ob die Geschichte der Apartheid gebraucht wird, um über den Holocaust zu sprechen. Im Kern also die Frage, wie und ob die eigenen Erfahrungen unserer Besucherinnen und Besucher, gerade wenn es sich um eigene gewaltbelastete Geschichten handelt, im Rahmen der Besuche thematisiert werden können, sollen oder sogar müssen. Da sich alle Teilnehmenden darüber bewusst waren, dass eine Entscheidung auch dadurch beeinflusst werden kann, wo die konkrete Arbeit durchgeführt wird – ob für die Wahrnehmung der Besucherinnen und Besucher beispielsweise das Wissen an einem historischen Ort zu sein eine Rolle spielt – wurde der Wunsch geäußert, eine Fortsetzung der Diskussionen an einer Gedenkstätte in Deutschland zu organisieren. Dies gelang im August 2010 im Rahmen der Tagung “The diversity of the audience - Teaching about the Holocaust at Memorial Sites, Museums and in Educational Centers” im Haus der Wannsee-Konferenz. Um auf die Spezifität des Ortes einzugehen wurden als Einstieg, zunächst unabhängig vom Thema der multikulturellen Besuchergruppen, die generellen Herausforderungen der Arbeit an einer Gedenkstätte thematisiert, die sich durch die unterschiedlichen Erwartungen ergeben, seitens der allgemeinen Öffentlichkeit (z. B. im Hinblick auf die häufig vorgenommene Zuschreibung einer per se „Präventionseinrichtung“ gegen jede Form undemokratischen Gedankenguts, der Einzelbesucher (u. a. Überlebender und deren Angehörige z. B. im Hinblick auf den Gedenkort), der Schulen (z. B. im Hinblick auf die Bildungsfunktion von Gedenkstätten) und schließlich der Mitarbeitenden mit ihren unterschiedlichen Ansprüchen. 4 Konkret waren dies unter anderem: Durch Holocaust Education (HE) Menschenrechtserziehung zu leisten, Antisemitismus durch HE zu bekämpfen, an wichtigen gesellschaftlichen Diskursen teilzunehmen, sich seiner eigenen Prioritäten bewusst zu sein, die Geschichte des Ortes präzise und korrekt zu erzählen, alle Opfer der NS-Verbrechen zu thematisieren, Bedingungen für ein würdiges Gedenken zu schaffen, freie Meinungsäußerungen zu gewährleisten, aktuellste Forschungsergebnisse zu präsentieren und adressatenspezifische Angebote zu erarbeiten. Wie diese an sich schon sehr anspruchsvollen Funktionen sich vor dem Hintergrund des Diskurses um multikulturell zusammengesetzte Gruppen verändern können oder ergänzt werden müssen, wurde im nächsten Schritt erarbeitet, um einen Rahmen für die 4 gesamte Tagung zu bilden . Im Laufe der zwei Tage wurden Fragen der Tagung 2009 erneut aufgegriffen und im Kontext des historischen Ortes vertieft diskutiert. Anhand der Erfahrungen aus Cape Town, wo Menschen ihr während der Zeit von Apartheid erlittenes Leid mit den Verfolgungsmaßnahmen deutscher Juden gleichsetzen um ihr Leid zu legitimieren und wahrgenommen zu wissen, wird diskutiert, wie angemessen mit solchen Vergleichen umgegangen werden kann. Wolf Kaiser und Tracey Petersen (Cape Town Holocaust Centre) stellen zu-nächst die historischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Ausgrenzungs- und Diskriminierungsapparat bis etwa 1938 dar, die mit Besuchern besprochen werden sollten. Unabhängig davon ist jedoch wichtig, den Menschen zu vermitteln, dass ihre Erfahrungen – trotz bestehender Unterschiede der Regime – wahr- und ernst genommen werden. Guy Band und Raya Kalisman (Ghetto Fighters’ Museum/ Israel) beschreiben die Schwierigkeiten, die sich bei Holocaust Education im Kontext von aktuellen Konflikten ergeben können und welche Methoden sich als konstruktiv erwiesen haben. Anhand einer Studienreise mit einer Gruppe junger Erwachsener vor allem türkischer und arabischpalästinensischer Herkunft aus Berlin in die Gedenk5 stätte Auschwitz berichten Elke Gryglewski und Alicja Bialicka von den Schwierigkeiten an einer so frequentierten Gedenkstätte auf die Bedürfnisse einer multikulturellen Gruppe einzugehen. Darüber hinaus wird gerade im Zusammenhang mit diesem Bericht deutlich, wie sehr unsere Arbeit von den sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen der einzelnen Teilnehmen beeinflusst wird. Je schwieriger die Lebenssituation, aus der die Gruppen kommen, um so mehr spielen pädagogische Aspekte eine Rolle, die weit über die Wissensvermittlung hinausgehen. So hat die Diskussion, wer die ‚Prävention’ am meisten nötig habe, sich vor allem in Richtung Jugendlicher arabischer, türkischer oder muslimischer Herkunft verschoben, was allen empirischen Daten widerspricht, denen zu Folge rechtsextremes, rassistisches oder antisemitisches Gedankengut immer noch vor allem ein Problem der Mehrheitsgesellschaft darstellt. 5 Die Reise wurde von Andrés Nader von der Amadeu-Antonio-Stiftung organisiert. Nachdem die Gruppe zur Vorbereitung einen Studientag im Haus der Wannsee-Konferenz durchgeführt hatte, war ich eingeladen worden, mit nach Polen zu reisen. 44 Tätigkeitsbericht 2010 Mit der Präsentation des Dokumentenkoffers „GeschichteN teilen“ verband sich eine Debatte um die Frage, was wir in Gedenkstätten vermitteln wollen, oder warum sich das Narrativ auf die Zeit des Nationalsozialismus beschränken sollte. Schließlich besuchte die Gruppe die Ausstellung „7 x Jung“ (s. u.), um die Fragen an einem nicht-historischen Ort erneut zu diskutieren. Strittig war hier, ob eine Behandlung der Geschichte des NS unbedingt an dem sonst allgemein sehr gelobten Ort stattfinden muss, der die seltene Chance bietet, mit Jugendlichen die Frage zu diskutieren, was ihre Identitäten ausmacht. Die Bilanz: Eine anregende, intensive und von daher durchaus anstrengende Tagung, auf der manche Fragen beantwortet, viele aber zunächst nur präzisiert wurden. Wir wollen uns, wenn möglich, auch im nächsten Jahr treffen um weitere Antworten zu finden und uns wechselseitig unsere Methoden für multikulturelle oder „diverse“ Gruppen vorzustellen. Elke Gryglewski Bildungsabteilung, Haus der Wannsee-Konferenz ______________________________________ POESIE UND MUSIK ALS MITTEL DER VERTEIDIGUNG VON MENSCHENRECHTEN * HAUS DER WANNSEE-KONFERENZ GEDENK- UND BILDUNGSSTÄTTE Entwicklung von Unterrichtsmaterialien zur Menschenrechtsbildung mit historischen Zeugnissen Das Haus der Wannseekonferenz hat im bisherigen Projektverlauf zusammen mit Jugendlichen für die Menschenrechtsbildung geeignete historische Zeugnisse bearbeitet und erste Entwürfe für Unterrichtsbausteine und Hörstationen entwickelt. Im Folgeprojekt sollen 8-10 Unterrichtsentwürfe ausgestaltet, Feinarbeiten an den Tonmaterialien vorgenommen, ein Comicbaustein mit 10 Comicseiten ausgearbeitet und das Ganze mit einem ansprechenden Layout für eine DVD mit Begleitheft für den Schulunterricht ausgearbeitet werden. Für den Einsatz an Studientagen im Haus der Wannseekonferenz soll zudem ein Hörguide mit 10 Hörstücken hergestellt werden. ______________________________________ Eintragung im Gästebuch Tätigkeitsbericht 2010 45 Vorträge am Sonntag 2010 Diese Veranstaltungsreihe wendet sich an ein Publikum, das interessiert ist an Einzelaspekten der ideologischen, politischen und sozialen Geschichte des Nationalsozialismus. Mit den Terminen jeweils am Sonntagnachmittag möchten wir jene Öffentlichkeit erreichen, die den Wunsch hat, sich am historischen Ort über neuere Forschungsergebnisse, Projekte und aktuelle Debatten zu informieren und mit den eingeladenen Referentinnen bzw. Referenten zu diskutieren. In diesem Herbst werden zunächst drei junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Forschungsprojekte vorstellen. Als „work in progress“ haben sie ihren Platz in der Sonntagsreihe. Lore Kleiber Konzeption und Moderation der Vortragsreihe Sonntag, 14. November 2010 Johannes Fülberth Das Strafgefängnis Spandau 1920-1945 - Kontinuität und Bruch im Strafvollzug Das Strafgefängnis Spandau ist heute fast nur noch als letzter Aufenthaltsort des Stellvertreters Hitlers Rudolf Hess bekannt. Dies scheint symptomatisch für den allgemeinen gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Strafvollzug zu sein: Der normale Gefängnisalltag erscheint kaum interessant, obwohl sich gerade hier gesellschaftliche Normen und Tendenzen im Umgang mit delinquentem Verhalten manifestieren. Nach dem Reichstagsbrand wurde es zentraler Haftort für prominente politische Gefangene aus Berlin wie z. B. Kurt Hiller, Hans Litten oder Werner Scholem. Im Laufe der Umsetzung der nationalsozialistischen Politik der 1930er Jahre wurden Gefangene Opfer von Zwangssterilisationen. Unmittelbar an die Haftzeit schlossen sich häufig Überweisungen in die KZs und zur Zwangsarbeit an. Während der Weimarer Republik unterstand das Strafgefängnis Spandau lange Zeit einem reformorientierten Direktor, der neuzeitlichen Bestrebungen im Strafvollzug durchaus aufgeschlossen gegenüberstand. Es gab für die Häftlinge die Möglichkeit, Konzerte und Vorträge zu hören. Ein abgestufter Strafvollzug wurde eingeführt. Im Nationalsozialismus waren Gefängnisse ebenso wie Konzentrationslager Teil des Systems, in dem sie ihre Rolle als Instrument der Repression und Disziplinierung der Bevölkerung erfüllten. Strafgefängnis Spandau 46 Tätigkeitsbericht 2010 Sonntag, 21. November 2010 Veronika Springmann Sport als Praxis der Gewalt im Konzentrationslager „Wir hatten ein äußerst vielseitiges Tagesprogramm. Dafür sorgten schon immer unsere Kapos und die SS-Männer. Sie überboten sich gegenseitig im Ausdenken immer neuer Folterungen. Man könnte meinen, ganz harmloser. Den ganzen Tag machten wir Sport: Hüpfen, Rollen, Tanzen, Kniebeugen.“ Mit diesen zynischen Worten bilanziert der AuschwitzÜberlebende Wiesław Kielar in seinem Erinnerungsbericht den Sport als Erfahrung von Qual und Peinigung im Alltagsleben des Konzentrationslagers. Die Form des befohlenen Bewegens wurde von den Aufsehern wie auch von den Häftlingen als „Sport Machen“ oder „Lagersport“ bezeichnet. In zahlreichen Berichten männlicher Häftlinge wird dieses „Sport Machen“ als eine Erfahrung von Willkür und Folter beschrieben. Die ständige Gewalt in den Konzentrationslagern erfuhr durch die zusätzliche körperliche Beanspruchung der Insassen eine weitere Steigerung. Am Beispiel der Konzentrationslager Esterwegen, Sachsenhausen, Ravensbrück, Mauthausen und Auschwitz wurde die Dimension des Lagersports untersucht. Warum wird eine sportliche Praxis, die außerhalb des Konzentrationslagers der gesundheitlichen Stärkung und Formung des Körpers dient, nun in den Konzentrationslagern gewaltförmig verändert wird, um die Häftlinge zu quälen. Aus: Schäfer, Werner: Konzentrationslager Oranienburg. Berlin (1934), Bildtafel nach Seite 160 Tätigkeitsbericht 2010 47 Sonntag, 28. November 2010 Julia Werner Fotografien der Shoah - Bilder aus dem „Judenlager Konstancja“ in Kutno Im Mittelpunkt des Vortrags stand die Bildserie eines Lehrers aus Schleswig, der als Wehrmachtssoldat die Einrichtung des jüdischen Gettos in Kutno, einer kleinen Stadt im Warthegau, in allen Etappen mit seiner Kamera festgehalten hat. An diesem einen Tag schoss er etwa 100 Bilder und dokumentierte den gesamten Prozess der Gettoisierung. Er hielt auch das Verhältnis zwischen Tätern, Opfern und Zuschauern fest. Kein anderer Quellenfundus zeigt dies so detailliert. Daneben dokumentieren noch andere erhaltene Fotos das Alltagsleben im Getto. Bei allen vorliegenden Bildsammlungen handelt es sich um Täterbilder. Fotografen waren ein Wehrmachtssoldat, ein Mitglied einer Propagandakompanie oder ein Schutzpolizist: - Wie haben diese Fotografen gesehen? - Welchen Blick hatten sie auf die Opfer? - Wie nah sind sie an das Geschehen herangetreten? Die genaue Analyse der jeweiligen fotografischen Perspektive war ein zentrales Anliegen des Vortrags. „Einsiedlung“ in das Ghetto Kutno Sonntag, 5. Dezember 2010 Reinhard Strecker im Gespräch Beschwiegene Vergangenheit Reinhard Strecker ist ein äußerst interessanter Zeitzeuge, wenn es um das politische Klima der 1950er und 1960er Jahre und die Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit in Westdeutschland geht. Er war u. a. Spiritus Rector der Ausstellung „Aktion Ungesühnte Nazijustiz“, die Ende November 1959 zunächst in Karlsruhe gezeigt wurde. Anschließend reiste sie als Wanderausstellung in weitere Städte Deutschlands, nach Großbritannien und in die Niederlande. Im Visier war die Personalpolitik der Justiz in der damaligen Bundesrepublik. Schon 1948 waren hier zu 90% wieder Richter und Staatsanwälte tätig, die bereits vor 1945 in diesem Bereich arbeiteten. Reinhard Strecker und seine Mitstreiter vom Sozialistischen Deutschen Studenten 48 Tätigkeitsbericht 2010 und machten durch ihre Recherchen öffentlich, wo und in welchem Umfang in den Nationalsozialismus verstrickte Juristen ihre Karrieren als Richter und Staatsanwälte in Westdeutschland nahezu bruchlos fortgesetzt hatten. Seine Empörung über die skandalöse Vergangenheitspolitik der Bonner Regierung verwandelte Reinhard Strecker in konkrete Aktionen und Forderungen gegen den drohenden Schlussstrich durch Verjährung. … vor 80 Jahren … Vossische Zeitung, Nr. 107 v. 04.03.1930 … vor 70 Jahren … am 4. Mai 1940 wird Friedrich Minoux während seiner Aussage im Kriminalgericht Berlin verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis Berlin Lehrter Straße gebracht. Friedrich Minoux, Besitzer des Grundstücks Am Grossen Wannsee 56-58 und Inhaber der Friedrich Minoux Kohlenhandlung wird vorgeworfen, die Berliner Gaswerke, die Stadtwerke Potsdam und die Gasbetriebsgesellschaft Berlin betrogen zu haben. Mit Vertrag vom 10. September 1921 verkauft Ernst Marlier, der Eigentümer des Grundstücks der heutigen Gedenkstätte, das Areal an die Norddeutsche-Grundstücks Aktiengesellschaft zum Preis von 2.300.000 Mark an Friedrich Minoux. Minoux ist der Vorstandsvorsitzende der Norddeutschen Grundstücks Aktiengesellschaft. Das Vermögen dieser Gesellschaft geht im November 1937 auf die Proba Metallgesellschaft mit Sitz in Berlin über, deren Gesamtvermögen wiederum am 21. Dezember 1937 auf Friedrich Minoux übergeht. Minoux (1877-1945), der bereits im Alter von 33 Jahren kaufmännischer Direktor auf Lebenszeit der Gas- und Wasserwerke Essen wird, wechselt 1912 zum Konzern des Hugo Stinnes, leitet zuerst die Berliner Niederlassung des Stinnes-Konzerns und wird Vorstandsmitglied der Stinnesgesellschaft Vaubeka (Vereinigte Berliner Kohlenhändler AG). 1919 erfolgt seine Beförderung zum Generaldirektor des StinnesKonzerns. Friedrich Minoux, undatiert Tätigkeitsbericht 2010 Bereits im Oktober 1923 trennt sich Stinnes von Minoux, da es zwischen beiden zu heftigen Auseinandersetzungen über die aktuelle Wirtschafts- und Finanzpolitik kommt. Minoux wird daraufhin Mitinhaber des Berliner Bankhauses Jacquier & Securius und gründet eine Kohlengroßhandlung und Kohlenimportfirma. Während seiner Tätigkeit bei Stinnes erwirbt Minoux ein großes Vermögen, da er Inhaber mehrerer Firmen und Teilhaber an Wirtschaftsgesellschaften ist. Sein Gehalt bei Stinnes beträgt jährlich bereits 350.000 Goldmark. Seit 1923 steht Minoux in Kontakt mit Politikern auf der Rechten und rechtsradikalen Wehrverbänden, deren Ziel die Errichtung einer politisch starken, autoritären Regierung ist. Am 21. Februar 1923 soll diesbezüglich ein Gespräch zwischen Minoux, dem Chef der Heeresleitung Hans von Seeckt und dem ehemaligen Generalquartiermeister Erich Ludendorff in der Wannseevilla stattgefunden haben. Ziel ist die Errichtung eines „Direktoriums“ mit diktatorischen Vollmachten, das nach dem Sturz der Reichsregierung Stresemann errichtet werden und dem Minoux angehören soll. Ludendorff ist allerdings mit dem Wirtschaftsprogramm von Minoux nicht einverstanden, da ihm dieses Programm zu wenig völkisch, zu wenig antisemitisch und zu sehr von materiellen Gesichtspunkten bestimmt ist. Am 25. Oktober 1923 spricht Minoux in München mit Ludendorff und Hitler. Doch es kommt zu keiner Einigung. Minoux will bei der wirtschaftlichen Stabilisierung Deutschlands durch ein autoritäres Regime nicht auf die Mitwirkung einzelner jüdischer Bankiers verzichten und lehnt einen Putschversuch, wie ihn Hitler und Ludendorff kurz darauf in München unternehmen, aus taktischen Gründen ab. 49 Trotzdem versucht Minoux politisch aktiv zu werden. Einem Artikel in der „Münchner Zeitung“ vom Oktober 1923 zufolge ist „Herr Generaldirektor Friedrich Minoux (ist) in den verflossenen Monaten dauernd als Reichskanzlerkandidat, als Reichsminister und als Kandidat für eine andere Position genannt worden.“ 1933 kommt Minoux erstmals mit dem Gesetz in Konflikt. Nach seiner Übernahme der Batschari Cigarettenfabrik wird ihm Bilanzverschleierung und -fälschung vorgeworfen. Er soll angeblich die Bilanzen um mehr als 4.000.000 Reichsmark gefälscht haben. Das Landgericht Berlin lehnt jedoch die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Minoux, inzwischen Mitglied der Gesellschaft zum Studium des Faschismus und der Akademie für Deutsches Recht, ist 1938 außerdem maßgeblich an der „Arisierung“ der Cellulosefabrik Offenheimer in Okriftel beteiligt. 1938 erstattet die „Wirtschaftliche Vereinigung Deutscher Gaswerke“ Anzeige gegen Minoux und andere wegen Betruges. Es besteht der Verdacht, dass Minoux und andere Beschuldigte im Laufe von 14 Jahren die Stadt Berlin, die Gasbetriebsgesellschaft Berlin und die Stadtwerke Potsdam durch manipulierte Abrechnungen um mehrere Millionen Reichmark betrogen haben. Minoux wird während seiner Zeugenvernehmung am 4. Mai 1940 im Kriminalgericht Berlin verhaftet, in das Untersuchungsgefängnis Berlin Lehrer Straße gebracht und von dort am 20. Dezember 1940 in das Gefängnis Berlin-Moabit verbracht, wo er bis zum 21. Juli 1942 bleibt. Die Reststrafe muss er im Gefängnis Brandenburg-Görden verbringen. Am 10. Juli 1940 beziffert die Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin den Schaden auf 5.000.000 bis 6.000.000 Reichsmark. Die Gesamtforderung der Berliner Gaswerke beläuft sich auf insgesamt 8.864.508,76 Reichsmark. Am 15. August 1941 verurteilt die 7. Strafkammer des Landgerichts Berlin (Az. 1.Ba.K.Ls3.41/21.41) Minoux und die beiden anderen Angeklagten wegen Betruges und gemeinschaftlicher Untreue zu jeweils fünf Jahren Zuchthaus und Minoux zu zusätzlich 600.000 Reichsmark Geldstrafe. Die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm für fünf Jahre aberkannt. Aus dem Gefängnis heraus verkauft Minoux mit Vertrag vom 31. Oktober 1940 das Grundstück Am Großen Wannsee 56-58 an die 1939 von Reinhard Heydrich gegründete Stiftung „Nordhav“ zum Preis von 1.950.000 Reichsmark. Von dieser Kaufsumme erhält Minoux nur wenige 10.000 Reichsmark. Der Restbetrag wird zur Schuldendeckung verwendet. Minoux, der erst am 25. April 1945 aus dem Gefängnis Brandenburg-Görden entlassen wird, stirbt am 16. Oktober 1945 in Berlin und wird auf dem Neuen Friedhof in Berlin-Wannsee beigesetzt. Michael Haupt, GHWK 50 Tätigkeitsbericht 2010 … vor 20 Jahren … Tätigkeitsbericht 2010 51 Eintragungen im Gästebuch 52 Tätigkeitsbericht 2010 Fotos: Werner Zellien, Umbauphase zur Gedenkstätte (1988) Tätigkeitsbericht 2010 53 Bau- und Sanierungsmaßnahmen 2010 Die im Jahr 2009 begonnenen umfangreichen Bau- und Sanierungs- bzw. Restaurierungsmaßnahmen an der denkmalgeschützten Villa wurden im Jahr 2010 mit einer kompletten fortgesetzt Dachsanierung und -erneuerung fortgesetzt. In einer achtmonatigen Bauphase wurde das gesamte Flachdach erneuert und eine Wärmedämmung eingebracht. Des Weiteren erfolgte die Renovierung bzw. Instandsetzung der Außenfassade im zweiten Obergeschoß und Restaurierungsarbeiten am Gesims. Die Maßnahme betraf die Dachfläche über dem zweiten Obergeschoß sowie die seitlichen Dachabdeckungen über dem ersten Obergeschoß. Auf Grund der vorhandenen schadhaften Dachabdichtung kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Feuchtigkeitsschäden in verschiedenen Räumen im Obergeschoß. Der schadhafte Putz sowie die schadhaften Verblechungen inklusive der Regenrinnen wurden aufwendig erneuert. Da durch ebenfalls schadhafte Gesimsabdeckungen Wasser in das Mauerwerk eingedrungen ist, war eine komplette Erneuerung inklusive der Unterkonstruktion, die aus Stahlträgern bestand, erforderlich. Ebenfalls aufwendig saniert wurde einer der beiden Marmorlöwen, die die Treppe flankieren, die aus dem Garten auf die seeseitige Terrasse des Hauses führt. Der Löwe, vermutlich Carraramarmor, zeigte erhebliche Risse durch Verwitterung und einen abgebrochenen Schwanz. Der betreffende Löwe bekam eine Reinigung mit Mikrofeinstrahl. Die aufwendige Risssicherung erfolgte durch Injektionsharz. Die ursprüngliche Politur des Marmors ist an keiner Stelle erhalten. 54 Tätigkeitsbericht 2010 Publikationen der Gedenkstätte Ausstellungskataloge: Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden. Berlin 2008, 224 S., ISBN 3-9808517-7-X / 978-3-9808517-7-0 The Wannsee Conference and the Genocide of the European Jews. Berlin 2009, 416 S., ISBN 3-9808517-8-8 / 978-3-9808517-8-7 [ ואנזה ועידת והשמדת יהודי אירופהhebräische Ausgabe]. Berlin 2007, 203 S., ISBN 3-9808517-6-1 Katalogbroschüren (gekürzte Ausgaben): La Conferencia de Wannsee y el Genocidio de los Judios Europeos. Berlin 2007, 104 S. La Conférence de Wannsee et le génocide des juifs d’Europe. Berlin 2007, 96 S. Η ∆ιάσκεψη της Βάνζεε και η γενοκτονία των Εβραίων της Ευρώπης [griechische Ausgabe]. Berlin 2009, 140 S. De Wannsee-conferentie en de volkermoord op de Europese joden [niederländische Ausgabe]. Berlin 2010, 140 S. Konferencja w Wannsee i Zagłada Źydów europejskich [polnische Ausgabe]. Berlin 2010, 144 S. Sonstige Publikationen: "GeschichteN teilen" - Dokumentenkoffer für eine interkulturelle Pädagogik zum Nationalsozialismus. Berlin 2009, ISBN 978-3-9808517-9-4 Haupt, Michael: Das Haus der Wannsee-Konferenz. Von der Industriellenvilla zur Gedenkstätte. Paderborn: Bonifatius 2009, 200 S. mit 130 Fotos u. Dokumenten. ISBN 978-3-9813119-1-4, Villenkolonien in Wannsee 1870-1945 - Großbürgerliche Lebenswelt und Ort der WannseeKonferenz. Berlin: Edition Hentrich 2000. 145 S., ISBN 3-89468-260-4. (Schriftenreihe Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz. 8.) Willems, Susanne: Der entsiedelte Jude. Albert Speers Wohnungsmarktpolitik für den Berliner Hauptstadtbau. Berlin: Hentrich 2002. 480 S., ISBN 3-89468-259-0. (Schriftenreihe Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz. 10.) Newsletter der Gedenkstätte Nr. 19, Januar 2010, 12 S. Nr. 20, Mai 2010, 16 S. Nr. 21, Juli 2010, 16 S. Nr. 22, November 2010, 12 S. Nr. 23, Dezember 2010, 16 S. Alle bisherigen Ausgaben des Newsletters sind auch auf der Internetseite der Gedenkstätte unter der Adresse http://www.ghwk.de/newsletter/archiv.htm als PDF-Dateien nachlesbar und zum Ausdruck geeignet. Die Anmeldung zum Online-Bezug des Newsletters ist unter der Adresse: http://www.ghwk.de/webadmin/newsletter.php möglich. Tätigkeitsbericht 2010 55 Der Trägerverein der Gedenkstätte und der internationale Beirat Der 1990 gegründete gemeinnützige Trägerverein der Gedenkstätte „Erinnern für die Zukunft – Trägerverein des Hauses der Wannsee-Konferenz e.V.“ mit Sitz in Berlin ist im Vereinsregister unter der Nummer VR 10493 Nz eingetragen. Vereinszweck (§ 2 Abs. 1, Satzung) ist die Förderung ▪ des Gedenkens an die Opfer der nationalsozialistischen Politik des Völkermordes; ▪ der Information über die nationalsozialistischen Verbrechen; ▪ der Erziehung zur Demokratie und zur Verteidigung der Menschenrechte. Zu diesem Zweck betreibt der Verein die Villa Am Großen Wannsee 56-58 (Haus der Wannsee-Konferenz) als Ort des Gedenkens und des Lernens mit einer Dauerausstellung und Veranstaltungen zur politischen Bildung (§ 2 Abs. 2, Satzung). Organe des Vereins sind die Mitgliederversammlung, der Vorstand und der internationale Beirat. Der Tagesspiegel, Berlin, 18.10.1990 Mitglieder des Trägervereins der Gedenkstätte (2010) Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vertreten durch Ministerialdirigent Dr. Michael Roik Das Land Berlin, vertreten durch den Regierenden Bürgermeister, vertreten durch Richard Dahlheim (bis August 2010), ab Oktober 2010 durch Staatssekretärin Barbara Kisseler Die Jüdische Gemeinde zu Berlin, vertreten durch die Vorsitzende Frau Lala Süsskind Der Zentralrat der Juden in Deutschland, vertreten durch Dr. Peter Fischer Das Erzbistum Berlin der Katholischen Kirche, vertreten durch Prälat Roland Steinke Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg - schlesische Oberlausitz, vertreten durch Oberkonsistorialrat Gerhard Zeitz Der Bund der Verfolgten des Naziregimes, vertreten durch Frau Dr. Waltraud Rehfeld Das Deutsche Historische Museum, vertreten durch Dr. Burkhard Asmuss. Vorsitzende/r des Trägervereins: Richard Dahlheim (bis August 2010), seit Oktober 2010 Staatssekretärin Barbara Kisseler, Chefin der Senatskanzlei Berlin. Mitglieder des internationalen Beirates (2010) Frau Deidre Berger, American Jewish Committee, Berlin Frau Dr. Barbara Distel, ehem. Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Dachau Dr. Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Hamburg Thomas Kranz, Leiter der Gedenkstätte Majdanek, Lublin/Polen Dr. David G. Marwell, Direktor des Museum of Jewish Heritage, New York/USA Dr. Guy Miron, Schechter Institute of Jewish Studies, Jerusalem/Israel Prof. Dr. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Oranienburg Frau Karen Polak, Anne-Frank Stichting, Amsterdam/Niederlande Frau Prof. Dr. Monika Richarz, Berlin Prof. Dr. Mark Roseman, Indiana University, Bloomington/USA Prof. Dr. Reinhard Rürup, Berlin Prof. Dr. Johannes Tuchel, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin Dr. Marian Turski, Warschau/Polen Wilfried Wiedemann, Nienburg Vorsitzender des Beirates: Prof. Dr. Reinhard Rürup. ■■■■■ 56 Tätigkeitsbericht 2010 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Bianka Baatz Auskunftsassistentin (seit 01.09.2010) Maria Contreras Muňoz Auskunftsassistentin Barbara Ewald Sekretärin Elke Gryglewski Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Bildungsabteilung Michael Haupt Leiter der Verwaltung Dittmar von Halle-Becker Hausmeister Dr. Wolf Kaiser stv. Leiter der Gedenkstätte, Leiter der Bildungsabteilung Dr. Norbert Kampe Leiter der Gedenkstätte Lore Kleiber Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Bildungsabteilung Matthias Mann Diplom-Bibliothekar Dr. Dr. Wolf-Dieter Mattausch Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Bildungsabteilung Pierre Mbiene Auskunftsassistent (bis 31.08.2010) Gaby Müller-Oelrichs Diplom-Bibliothekarin, Leiterin der Joseph Wulf Mediothek Udo Petri Auskunftsassistent Ewa Runge Diplom-Bibliothekarin Jennifer Schröder Sekretärin Margrit Torber Mediothekarin sowie: Florian Buchmayr Österreichischer Gedenkdiener (bis 31.08.2010) Georg Gostomczyk Auszubildender, Fachangestellter für Medien und Information, Fachrichtung Bibliothek (bis 31.05.2010) Florian Riedelsperger Österreichischer Gedenkdiener (seit 01.09.2010) Heinz Stadelmann Freiwilliger im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres (seit 01.09.2010). Theresa Stegmann Freiwillige im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres (bis 31.08.2010) Aya Zarfati Freiwillige der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste e. V. (seit 01.09.2010) ■■■■■ Tätigkeitsbericht 2010 57 Pressespiegel 2010 (Auswahl) 58 Tätigkeitsbericht 2010 _______________________________________ Tätigkeitsbericht 2010 59 60 Tätigkeitsbericht 2010 Christlicher Digest, Nr. 03/2010 Tätigkeitsbericht 2010 61 62 Tätigkeitsbericht 2010 Magazin Museum.de, Ausg. 2/2010, September Tätigkeitsbericht 2010 63 Geschichte neu entdecken Mitte März präsentierten die jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projekts “Geschichte neu entdecken” im arabischen Jugendclub Karame ihre Ergebnisse. Die Gruppe hat sich von Dezember 2009 bis März 2010 intensiv mit dem Nationalsozialismus und mit der arabisch-jüdisch-palästinensischen Geschichte, die 1948 zur Nakba führte, auseinander gesetzt. Jeden Freitag haben sich die Jugendlichen bei Karame getroffen. Sie haben die Arabische Liga besucht, an einer Führung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz teilgenommen und einen dreitägigen Exkurs mit Workshops im Haus Kreisau durchgeführt. Dort begannen sie mit den Vorbereitungen für ihre Ausstellung über die jüdisch-arabische Geschichte und arabisch-jüdische Beziehungen von der Zeit des Osmanischen Reiches bis zum UN-Teilungsplan. Die Ausstellung ist noch etwa zwei Monate in den Räumen des Karame e.V. in der Wilhelmshavener Straße 22 zu sehen. Ermöglicht wurde dieses Projekt durch die Förderung des Kulturamt Mitte aus dem Projektfonds Kulturelle Bildung des Landes Berlin. Bereits vor zwei Jahren hatten sich Jugendliche von Karame im Projekt “Eine Reise in die Vergangenheit” in Kooperation mit dem Haus der Wannsee-Konferenz mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der Geschichte der Palästinenser von den 1920er Jahren bis heute beschäftigt. Ein Höhepunkt des damaligen Projektes war eine Reise nach Israel ermöglicht durch die Stiftung “Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“. Zu Beginn der Präsentation erklärten alle TeinehmerInnen (Namen siehe unten) ganz knapp die Herkunft ihrer eigenen Familie. In verteilten Rollen wurde dann eine Zusammenfassung ihrer Geschichtsforschungen präsentiert. Besonders beeindruckt stellten sie heraus, wie Khaled Abdelwahhab im Tunesien während des 2. Weltkriegs eine jüdische Familie vor deutschen Soldaten rettete, hier für Interessierte das zusammengefasste Material zu Juden in Tunesien unter Deutscher Besatzung aus dem Dokumentenkoffer GeschichteN teilen. Hier ist auch der Text der Lesung der Jugendlichen herunterzuladen. Khaled ist der erste Araber der von der Gedenkstätte Yad Vashem als “Gerechter unter den Völkern” geehrt wurde. 2007, 10 Jahre nach seinem Tod, wurde ihm der Courage to Care Award der Anti Defamation League verliehen. Ein Interview mit seiner Tochter ist hier zu hören. Nach einem fröhlichen Dabke-Tanz, standen die Jugendlichen vor den von ihnen erarbeiteten Plakaten zur Geschichte Palästinas bereit die Fragen der BesucherInnen zu beantworten. 64 Tätigkeitsbericht 2010 Ich hatte Gelegenheit mit zwei der Teilnehmerinnen über das Projekt zu sprechen. Lyla, 16 Jahre, erklärte mir, dass sie sich zum ersten Mal ausführlich mit der Geschichte ihrer Familie auseinander gesetzt hat. Obwohl es schon ihre Urgroßeltern waren, die 1948 die “Nakba“, die Katastrophe der Flucht und Vertreibung aus dem neu gegründeten Staat Israel erlebten, prägt dieses geschichtliche Ereignis unausgesprochen bis heute die Familie. Die Großeltern waren damals Kleinkinder, die ihr weiteres Leben in Flüchtlingslagern verbringen mussten. Es war wichtig für Lyla, sich so intensiv mit der komplizierten Geschichte Palästinas auseinanderzusetzen, um zu verstehen, wie sich die Geschichte entwickelt hat, und warum eine Lösung für den Nahost-Konflikt so schwierig ist. Vor diesem Geschichtsworkshop hatte sie noch nie davon gehört, wie durch die Interessen der Kolonialmächte England und Frankreich der Konflikt geschürt wurde. Sie hat das Plakat über das schwierige Thema, Balfour Deklaration, erarbeitet. In der Schule ihr Wissen anzubringen, fällt ihr allerdings gar nicht leicht, denn Lehrer stellen die Geschichte oft ganz anders dar und haben auch schon falsche Dinge behauptet. Da ist sie froh jetzt genug Faktenwissen zu haben. Auch für Nadine, 17 Jahre, war das Projekt eine wichtige Erfahrung. Früher hat sie die Geschichte Palästinas überhaupt nicht interessiert. Nun kann sie nachvollziehen, wie der Nahost-Konflikt entstanden ist, welche Einflüsse eine Rolle spielten. Sie versteht, dass weder Araber noch Juden böse sind, wie viele Menschen je nach Blickwinkel von der einen oder der anderen Seite behaupten. “Man muss damit aufhören den Schuldigen zu suchen,” sagt sie und will etwas gegen den Hass tun. Denn viele der arabischen Jugendlichen, die in Berlin leben, hassen Juden, weil Palästina jetzt Israel ist. “Aber sie wissen gar nicht, warum es so gekommen ist” sagt sie und erklärt wie schwierig es ist andere zu überzeugen. Die Projekt-TeilnehmerInnen: Hamza Abdallah, Batoul Abu-Yahya, Lyla Abu-Yahya, Mazen Ahmed, Zeynap Al-Bakary, Nora Chaachouh, Iman Chaachouh, Habiba Darwich, Mari Elaian, Kaussar El-Hussein, Mageda El-Hussein, Nadine El-Jamal, Sally El-Jamal, Kevin Ali Hadrous und Antonia Pischke bedankten sich mit dieser Abschluss-Veranstaltung am 12. März 2010 für die Unterstützung bei den WorkshopleiterInnen: Claudia de Coster, Gabriel Freville und Giuseppina Lettieri, amira – Antisemitismus im Kontext von Migration und Rassismus, Elke Gryglewski, Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee Konferenz, Shemi Shabat und Mohammed Ibrahim, Jerusalemkirche, Forum für interreligiöse Bildung, Esra Özyürek, Associate Professor, Department of Anthropology, UC San Diego, sowie Victoria Loß, Elisabeth Kahn und Fred Pliewischkies, Karame e.V. Ausführliche Informationen zum Nahost-Konflikt finden sich auf der Seite der Anti Defamation Kommission. Fotos von Christoph Eckelt, 29. März 2010 | Von Susanne Torka | Tätigkeitsbericht 2010 65 66 Tätigkeitsbericht 2010 Tätigkeitsbericht 2010 67 The Chogoku Shimbun (Japan), 20.09.2010 68 Tätigkeitsbericht 2010 ZeitZeugenBrief, Ausg. Juni/Juli 2010 Tätigkeitsbericht 2010 69 Versuch Der Kreis des Lebens Zwei Lubawitscher bereisen Deutschland 26.08.2010 – von Philipp Engel Gute Erfahrungen gemacht: Sholom Kass (l.) und Chaim Itzkin haben schließlich auch eine Druckerei für das Buch »Tanya« gefunden. © Mike Minehan Wenn Chaim Itzkin und Sholom Kass an ihre Erlebnisse in der Gedenk- und Bildungsstätte »Haus der Wannsee-Konferenz« zurückdenken, bekommen sie immer noch eine Gänsehaut. Eigentlich waren die beiden jungen Rabbiner aus dem amerikanischen Pennsylvania und dem kanadischen Ontario im Rahmen des von Chabad Lubawitsch organisierten »Rabbinical Student Visitation Programs« mit einer Idee nach Deutschland gekommen. Sie wollten das Buch »Tanya« in allen Städten drucken lassen, die sie bereisten und es Juden zur Verfügung stellen. Das von Rabbiner Schneor Salman verfasste und 1796 erschienene Werk gilt als das philosophische Hauptwerk der Chabad-Bewegung. Doch dann erlebten Chaim und Sholom diesen einen Augenblick, wie man ihn nur aus Filmen zu kennen glaubt. MOMENTE Als sie an ihrem freien Tag die Villa am Wannsee betreten, in dem die Nazis fast sieben Jahrzehnte zuvor die »Endlösung der Judenfrage« beschlossen hatten, treffen sie eine etwa 30-köpfige Reisegruppe aus Israel. Nur kurz begegnen sich ihre Blicke und sofort beginnen die Rabbiner und die israelischen Touristen unisono das »Schma Jisrael« zu sprechen. »Hätten Chaim und ich jemals Zweifel an dem Sinn unserer Deutschlandreise gehabt, hätten sich diese spätestens in diesem Moment verflüchtigt«, sagt Sholom. Und Chaim, dessen Vorfahren während der Schoa zu großen Teilen ermordet worden war, ergänzt: »Allein für diesen einen Moment hätte sich unsere Reise gelohnt.« Leipzig, Chemnitz, Magdeburg, Halle, Schwerin, Rostock, Berlin, Wismar und Dessau heißen ihre Stationen während ihres sechswöchigen Deutschlandaufenthalts. Seit 1984 gibt es das Programm der »Roving Rabbis«. Der damalige Lubawitscher Rebbe Menachem M. Schneerson hatte es initiiert, um das Buch »Tanya« jedem Juden auf der Welt zugänglich zu machen. Dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, sei ihnen sehr wichtig, sagt Sholom. »Insbesondere in Deutschland, wo Nazis Millionen jüdische Bücher vernichteten«, ergänzt Chaim. 70 Tätigkeitsbericht 2010 WIEDERBELEBUNG Ihr Antrieb ist der Gedanke, dass durch Gott alles in der Welt mit gutem Grund geschieht. »Alles, was wir tun, hinterlässt Spuren in der Welt. Dazu gehöre auch«, so Chaim, »anderen Juden bei ihrem Wunsch, ein bewusstes jüdisches Leben zu führen, behilflich zu sein.« Dafür besuchen sie vor allem Dörfer und kleine Städte, in denen es keine jüdische Infrastruktur gibt. Das Bedürfnis nach jüdischen Angeboten sei bei vielen russischstämmigen Juden in Deutschland vorhanden, sind Chaim und Sholom überzeugt. »Nachdem es in der ehemaligen Sowjetunion gefährlich war, jüdisch zu leben, wollen zumeist ältere Zuwanderer heute wissen, was Jüdischkeit genau ist.« Bei ihren Reisen in die verschiedenen Städte gehen Chaim und Sholom mehr oder weniger ohne Plan vor. Ihre positiven Erlebnisse scheinen ihnen recht zu geben. Eine Begebenheit hat sie besonders beeindruckt. Durch einen Irrtum landeten Chaim und Sholom auf der Suche nach einer Druckerei in einem Geschäft, das Autoschilder stanzt. Ob Zufall oder gottgewollt – dort trafen sie einen älteren Juden, der die beiden Rabbiner schon von Weitem mit »Schalom« begrüßte, als habe er schon seit Jahren auf sie gewartet. »Der Mann sagte uns, dass er sich noch daran erinnere, wie sein Vater Tefillin legte, doch habe er ihm wegen des Krieges nie erklären können, was es bedeute«, erklärt Chaim. Mit über 80 Jahren habe der Mann unter ihrer Anleitung zum ersten Mal in seinem Leben die Tefillin gelegt und das »Schma Jisrael« rezitiert. Für den Mann sei es so gewesen, sagt Sholom, als habe sich der Kreis seines Lebens geschlossen. _________________________ Title: Haus der Wannsee-Konferenz Alternative House of the Wannsee conference title: The Haus der Wannsee-Konferenz website presents primary historical sources related to the Nazi meeting that was held at a villa on the Wannsee, Germany on 20 January 1942, to discuss Adolf Hitler's 'Final Solution' to the Jewish question. The chilling original protocol of the conference is available in German and in translated versions. Additional documents surrounding this meeting, including letters of invitation and follow-up correspondence on implementation of the genocidal policy, are posted. Researchers will be further served by the site's search engine whereby searches can be made according to themes and key figures. Thus for example, from the index users can gain access to short biographies of all the people who attended the conference. A permanent online exhibition of essays, historical documents and photographs traces the evolution of the Nazis' policies from modified pogroms to fullDescription: blown rationalised and bureaucratised genocide. Several special online exhibitions provide essential historical background and context. Teachers will also find extensive useful materials here, with small essays and exhibitions complementing proposed lesson plans. Not all documents are translated from the original German. Users should persist in the face of somewhat over-simplified navigation menus, which belie the wealth of information available at this site. There is a library at the villa itself; the library's electronic catalogue is available online. A price list of the Museum's publications, which are mainly exhibition catalogues and some relevant monographs, is posted. Teachers are encouraged to conduct seminars and classes in visits to the villa, where possible. The site provides directions to the villa, with tourist opening times and details on tours and permanent exhibitions as well as a history of the house itself. _______________________________________ Tätigkeitsbericht 2010 71 72 Tätigkeitsbericht 2010 Tätigkeitsbericht 2010 73 74 Tätigkeitsbericht 2010 Tätigkeitsbericht 2010 75 Autor(en): Titel: Ehricht, Franziska; Grylewski, Elke GeschichteN teilen. Dokumentenkoffer für eine interkulturelle Pädagogik zum Nationalsozialismus Ort: Berlin Verlag: Haus der Wannsee-Konferenz Jahr: 2009 ISBN: 978-3-9808517-9-4 Bemerkungen: hrsg. von Miphgasch/Begegnung e.V. und Gedenk- und Bildungsstätte Haus der WannseeKonferenz Umfang/Preis: Materialsammlung; 120 S., 10 Themenordner, Begleitheft, CD-Rom; € 20,00 Rezensiert für H-Soz-u-Kult von: Murat Akan, Jüdisches Museum Berlin E-Mail: <murat.akan @web.de> Pädagogen sehen sich bei der Vermittlung der Geschichte des Nationalsozialismus mit dem Problem konfrontiert, dass die bisherigen Materialen und Ansätze von einer Nationalgeschichte ausgehen. Die Gesellschaft hat sich aber insofern verändert, als dass heutzutage ein Teil der Gesellschaft verschiedene kulturelle oder religiöse Hintergründe hat und sich dadurch eine Identifikation mit der deutschen Geschichte schwierig gestalten kann. So haben bereits Werke wie „Crossover Geschichte“[1] und „Konfrontationen“[2] das Erfordernis aufgezeigt, in der heterogenen Gesellschaft von heute neue Konzepte zum Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus zu entwickeln. Wie schafft man es also, Jugendlichen mit Migrationshintergrund die Zeit des Nationalsozialismus näher zu bringen? Zu diesem Zweck und mit der Erkenntnis, dass ein nationalhistorischer Ansatz in der Einwanderungsgesellschaft erweitert werden muss, versucht der Dokumentenkoffer praktische Hilfe für die pädagogische Arbeit zu geben. Die beiden 76 Tätigkeitsbericht 2010 Autorinnen gehören zu zwei Berliner außerschulischen Einrichtungen, Miphgasch/Begegnung e.V. und dem Haus der Wannseekonferenz. Gryglewski und Ehricht sind seit vielen Jahren in der außerschulischen Pädagogik tätig. Gefördert wurde der Koffer durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Angesprochen werden ausdrücklich Schüler und Schülerinnen aller Schultypen und kulturellen Hintergründe ab der 9. Klassenstufe. Als wichtige Prämisse für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund gilt, dass sich ein abermaliges Ausgrenzen nur dann vermeiden lässt, wenn man mit ihnen prinzipiell nicht anders umgeht als mit ihren autochthonen Mitschülern. Je besser jemand integriert ist, desto eher beschäftigt sie oder er sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Über eine „Pädagogik der Anerkennung“ will der Dokumentenkoffer die Schülerinnen und Schüler ermutigen, eigene Interessen im Themenfeld Nationalsozialismus zu finden, ohne sie automatisch einer Schublade zuzuordnen. Die Materialien sehen sich als Angebot, auf die Interessen der Lernenden einzugehen und ihnen zu signalisieren, dass sie und ihre Mitarbeit geschätzt sind. Diesem Ansatz sind aber auch Grenzen gesetzt: „[Die] Pädagogik der Anerkennung ist […] nicht mit akzeptierender […] Sozialarbeit zu verwechseln. Sie schließt im Gegenteil auch das Grenzensetzen mit ein. Wenn beispielsweise antisemitische oder andere problematische Äußerungen im Kontext der Beschäftigung mit der Geschichte fallen, sollten die Jugendlichen dahingehend anerkannt werden, dass ihnen sachlich deutlich gemacht wird, warum ihre Aussagen untragbar sind.“ (S. 9) Das Herzstück des Koffers ist eine Materialsammlung historischer Dokumente, aufbereitet in zehn Themenmappen. Dazu gibt es ein pädagogisches Begleitheft mit didaktischen Anregungen und Hintergrundinformationen. Die beigefügte CD-ROM bietet unter anderem Zusatzdokumente zu den jeweiligen Geschichten und Transkriptionen der Originale, dazu eine interaktive Weltkarte. Der Zugang zu den Geschichten erfolgt über Primärquellen, so dass die Schülerinnen und Schüler zugleich in der historisch-wissenschaftlichen Methode geschult werden. Die Mappen sind in der Regel so aufgebaut, dass sie die Geschichte eines einzelnen Individuums als Ausgangspunkt wählen, um nach und nach auf ein bestimmtes, größer angelegtes Thema einzugehen. Sie bestehen aus sechs bis dreizehn Blättern, die keiner zwingenden Logik folgen, sondern versuchen verschiedene Aspekte zu beleuchten, die mit dem Sujet verbunden sind. Die Ordner sind in sich thematisch geschlossen und können damit unabhängig voneinander behandelt oder auch kombiniert werden. Die subjektive Welt der Hauptpersonen wird dem NS-System und seiner Ideologie gegenübergestellt. Auf diese Weise lässt sich das jeweils behandelte Thema aus unterschiedlichen Perspektiven vermitteln. Das Thema Rassenideologie im NS-Staat wird zum Beispiel anhand der Romanze zwischen einem Türken und einer Deutschen behandelt, die mit den Behörden in Konflikt kommen. Beginnend mit dem Runderlass des Reichsministeriums des Inneren zur Frage von Eheschließungen aus dem Jahr 1936 wird Rassenideologie als ein elementares Prinzip des Nationalsozialismus behandelt und zugleich historisiert, so zum Beispiel durch ein rassistisches Gedicht aus dem 19. Jahrhundert, einen Zeitungsartikel aus der Weimarer Zeit und Veröffentlichungen des NS-Systems. In diesem Zusammenhang wird dann der konkrete Fall der Hildegard Morian dargestellt, die über eine Nachfrage ihres Vaters, ob eine Eheschließung mit einem Türken möglich sei, in das Blickfeld der Behörden gerät. In den Mappen finden sich zahlreiche weitere persönliche Schicksale aus der NS-Zeit: die Zwangssterilisation eines 17jährigen afrodeutschen Jungen, das Leben und die Ermordung eines Afrikaners im NS-Staat, die Geschichte Isaak Behars, eines türkischen Juden, der wie viele andere türkische Juden seine Staatsangehörigkeit verliert aber als „UBoot“ in Berlin überlebt, die Besetzung Tunesiens und die Verpflichtung tunesischer Juden zur Zwangsarbeit, die Rettung von Juden auf Rhodos sowie die Rezeption der Hilfeleistungen des damaligen türkischen Botschafters, die Rettung einer jüdischen Familie in Tunesien durch den Araber Khaled Abdelwahhab, muslimische Helfer in Sarajevo, die Tätigkeitsbericht 2010 77 Verbrechen der SS in Griechenland und die Geschichte von Yoram Arie Wurm, der über die Sowjetunion und den Iran eine Flucht um die halbe Welt antrat. Sowohl Ansatz als auch Aufbau des Koffers klingen vielversprechend und sind überzeugend: Über eine quellenbezogene Herangehensweise werden zentrale Begriffe vermittelt und sind durch den Zugang über ein konkretes Individuum anschaulich erfahrbar. Dass das Thema Judenverfolgung im behandelten Themenkreis der NS-Geschichte einen großen Raum einnimmt, ist mit der Doppelaufgabe der beiden Herausgeber-Organisationen zu erklären, deren pädagogische Schwerpunkte einerseits im Nationalsozialismus und andererseits im Antisemitismus liegen. Durch den Umstand, dass die Rettung und Hilfe durch muslimische Personen einen großen Stellenwert in den erzählten Geschichten einnimmt, sticht die im Dokumentenkoffer gewählte Präsentationsweise der Judenverfolgung im NS-Staat insoweit heraus, als die Rolle von muslimischen Helfern in der Shoah erst seit einigen Jahren thematisiert wird. In diesem umfassenden und praktischen Ansatz liegen meines Erachtens auch die Stärken des Koffers: Er vermittelt durch die Quellenarbeit grundlegende historische Methodik und vermag mit seinen sehr verschiedenen Geschichten, seinem interkulturellen Lernzugang und seinem multiperspektivischen Lernprinzip Interesse zu wecken und zu überraschen. Die „Pädagogik der Anerkennung“ ist dabei ein richtiger, wenn auch allgemein gültiger Ansatz für das Vermitteln „auf Augenhöhe“, unabhängig von Herkunft oder sozialem Hintergrund der Schülerinnen und Schüler. Positiv hervorzuheben ist, dass sich durch den Dokumentenkoffer Interdependenzen, Überschneidungen und Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Geschichten erarbeiten lassen. So gehört etwa das dargestellte Massaker von Distomo in Griechenland sowohl zur deutschen Besatzungsgeschichte Europas wie zur Geschichte der griechischen Opfer unter der NS-Besatzung. Insgesamt ist „GeschichteN Teilen“ eine gelungene Zusammenstellung, die den Fokus der bisherigen Geschichtspädagogik im Hinblick auf die NS-Zeit erweitert, denn sie bezieht jene Gruppen ein, die in der bestehenden Pädagogik neu entdeckt werden. Insbesondere in der außerschulischen Bildungsarbeit (Workshops etc.) lässt sich ein fruchtbarer Einsatz des Koffers gut vorstellen. Inwiefern das Material an Schulen genutzt werden kann, hängt meines Erachtens mit dem Engagement der jeweiligen Pädagogen zusammen, da die Arbeit mit dem Dokumentenkoffer eine intensive Vorbereitung und Durchführung und somit ein Mehr an Zeit erfordert. Das vorliegende Material kann naturgemäß den herkömmlichen Unterricht nicht ersetzen, ergänzt diesen aber durch seine vielfältigen Themen und aufgezeigten Perspektiven auf sinnvolle und überzeugende Weise. Anmerkungen: [1] Viola B. Georgi / Rainer Ohliger (Hrsg.), Crossover Geschichte. Historisches Bewusstsein Jugendlicher in der Einwanderungsgesellschaft, Hamburg 2009. [2] Gottfried Kößler u.a., Konfrontationen. Bausteine für die pädagogische Annäherung an Geschichte und Wirkung des Holocaust, 6 Hefte, Frankfurt 2000-2003. ZitierweiseMurat Akan: Rezension zu: Ehricht, Franziska; Grylewski, Elke: GeschichteN teilen. Dokumentenkoffer für eine interkulturelle Pädagogik zum Nationalsozialismus. Berlin 2009, in: H-Soz-u-Kult, 01.02.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-1-077>. 78 Tätigkeitsbericht 2010 Interreligiöser und interkultureller Dialog Integration Deutschland bekämpft Vorurteile von muslimischen Jugendlichen Onur, 15, und seine Klassenkameraden nehmen an einem Bildungsprogramm von einer Woche in der Gedenk- und Bildungsstätte ‚Haus der Wannsee-Konferenz’ in Berlin teil, also dem Ort, an dem die Nazifuhrer 1942 ihren Plan zum Volkermord an den Juden ausarbeiteten. Das Haus der Wannsee-Konferenz ist eine von vielen Institutionen in Deutschland, die sich heute um den Kampf gegen Antisemitismus und die Leugnung des Holocaust insbesondere auch unter muslimischen Jugendlichen bemühen. Lehrer aus ganz Deutschland berichten, dass sie bei Menschen mit Migrationshintergrund, von denen die meisten Muslime sind, vor einer besonderen Herausforderung stehen. Viele dieser Schuler werden aus der Allgemeinbevölkerung ausgegrenzt und geben die im Elternhaus geäußerten antisemitischen Haltungen ungeprüft wieder, tauschen im Schulhof judenfeindliche Beleidigungen aus oder leugnen den Holocaust, womit sie deutsche Tabus auf den Prüfstand stellen. „Es gibt ein Problem, man kann es nicht quantifizieren”, sagte Micha Brumlik, Pädagogik-Professor an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt. „Ich habe von so vielen Lehrern gehört, dass Eltern ihre Kinder angeblich erkrankt abmelden, wenn wir Augenzeugen des Holocaust in die Schule einladen. Und das gleiche geschieht, wenn Klassen das Informationszentrum des Holocaust-Mahnmals in Berlin oder jüdische Museen besuchen.” Es ist mit Sicherheit so, dass die Probleme Deutschlands mit rechtsextremistischen Gruppen größer sind als die Probleme mit muslimischen Jugendlichen, von denen nur wenige Kriminelle oder Extremisten sind. Aber aufgrund seiner Nazi-Vergangenheit ist Deutschland sehr stark daran interessiert, antisemitische Tendenzen in allen Segmenten der Gesellschaft zu bekämpfen. Muslime bilden die größte Minderheit im Lande – 2,3 Millionen von 82 Millionen – und sind meistens türkischer Herkunft. In den letzten Jahren hat es eine Vielzahl zusätzlicher Programme gegeben, mit denen man sie erreichen will. Manchmal bringen die Programme junge Muslime dazu, sich mit der Geschichte des Holocaust als Opfer zu identifizieren, wobei die heutigen Israelis die Nazis sind. In dieser Erzahlung wird die Gründung Israels – Nakba, oder „Katastrophe” auf Arabisch – mit der Deportation der europäischen Juden durch die Nazis gleichgesetzt. Aycan Demirel, der Gründer der Kreuzberger Antisemitismus-Initiative in Berlin, sagte, dass er unter muslimischen Jugendlichen häufig einen „Wettbewerb um den Opferstatus” antrifft. Es gibt jedoch auch einige Begegnungsprogramme für Muslime und Juden. Im vergangenen Sommer brachte das Haus der Wannsee-Konferenz eine Gruppe muslimischer Jugendlicher von Berlin nach Israel und auf die Westbank. Aber es ist wahrscheinlich, dass die meisten von Onurs Klassenkameraden in Berlin noch nie bewusst einen Juden getroffen hatten, bevor ihr Wochenprogramm im Haus der Wannsee-Konferenz Berlin begann. Quelle: http://www.coe.int/t/dg4/youth/Source/Resources/Forum21/Issue_No13/N13_Interreligious_ICL_dialogue_de.pdf Tätigkeitsbericht 2010 79 LK Musik 12 im Haus der Wannseekonferenz Samstag, 9. Januar 2010 Eigenes Musizieren zu Stücken aus dem KZ Schon früh am Morgen des 07.01.2010 fanden wir uns in der Villa mit dem wunderschön verschneiten Garten ein, um in dieser scheinbaren Idylle zu erfahren, wie Menschen selbst unter lebensbedrohendsten Bedingungen musizierten. Zunächst informierte uns Frau Dr. Knapp in der Dauerausstellung über die Geschichte des Hauses und die Bedeutung der Musik, die unter dem nationalsozialistischen Regime entstand. Während der folgenden Phase erprobten wir selbst in Kleingruppen die Interpretation und Instrumentation ausgesuchter Stücke aus Konzentrationslagern. Hierbei beeindruckte uns die starke Aussagekraft dieser Musik, wie sie sich auch bei unserem folgenden Kurzkonzert in den Ausstellungsräumen vermittelte. Ein herzliches Dankeschön an Frau Dr. Funk und Frau Dr. Knapp – und auch an die Köchin für die leckere Pizza! Text: Theresa Morguet 80 Tätigkeitsbericht 2010 Lise-Meitner-Gymnasium Ruppiner Str. 25, 14612 Falkensee Geschichte vor Ort - Exkursion der 10c Unsere Exkursion ging am 10. Dezember 2010 in das Haus der WannseeKonferenz. Vor Ort war es unsere Aufgabe in Gruppen einzelne Themenräume vorzustellen. Die Themen in den Räumen umfassten viele Aspekte jüdischen Lebens vor und während der nationalsozialistischen Herrschaft sowie im Zweiten Weltkrieg, also auch Antisemitismus, Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Nach einer einstündigen Vorbereitungszeit hatte jede Gruppe Gelegenheit ihren Raum zu präsentieren. Insgesamt waren es 8 Räume, die wir so gemeinsam erschlossen. Nach einer etwa zweistündigen Präsentationszeit traten wir dann wieder den Rückweg an, diesmal auch mit Bus und Bahn (morgens ohne Bus, dafür mit kleiner Kurzwanderung am Wannsee entlang). Wir alle fanden die Exkursion richtig gut. (Selbst die Lehrer waren von unseren Vorträgen richtig begeistert. :-)) Selina Tätigkeitsbericht 2010 81 82 Tätigkeitsbericht 2010 Tätigkeitsbericht 2010 83 Haus der Wannsee-Konferenz Gedenk- und Bildungsstätte Am Großen Wannsee 56-58 14109 Berlin Telefon (030) 80 50 01 0 Fax (030) 80 50 01 27 eMail info@ghwk.de Internet http://www.ghwk.de, http://www.ghwk.eu Dauerausstellung „Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden“ Öffnungszeiten: täglich 10.00 – 18.00 Uhr außer: 1. Januar, Karfreitag, 1. Mai, Himmelfahrt, 3. Oktober, 24.-26. Dezember, 31. Dezember Eintritt frei - Die Ausstellung, die Bibliothek und die Seminarräume sind rollstuhlgerecht zugänglich. Anmeldung für Gruppen (mehrsprachige Führungen und Studientage) - Tel.: (030) 80 50 01 26 Bibliothek / Mediothek Öffnungszeiten: außer: Mo – Fr 10.00 – 18.00 Uhr 1. Januar, Karfreitag, 1. Mai, Himmelfahrt, 3. Oktober, 24.-26. Dezember, 31. Dezember Telefon (030) 80 50 01 20 / -24 - library@ghwk.de Onlinekatalog: http://www.zeitgeschichte-online.de/alg-agg/ 84 Tätigkeitsbericht 2010