WOCHENENDE Königin - Neue Zürcher Zeitung
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WOCHENENDE Königin - Neue Zürcher Zeitung
59 58 1 / Sonntag, 19. Dezember 1971 Nr. 591 (Fomausgabe Nr. 347) WOCHENENDE Die Scols Guards au/ dem Marsch zum Buckingham Palace. Die Reginwntsxugehörlgkeit ist unter anderem am Kragenspiegel und an der Anordnung der Knöple am Wallcnrock zu erkennen. 9lcne 3iirdjerÄitunj\ Mit Hillc eines Bocks besteigt ein Troopcr (Gemeiner) der tlfe Guards im Hol der KnigMsbridge Barracks seinen gutmütigen Charger. Die Garde der Königin Von Antun W. Scheiwillcr (Text) und Robert Zumbrunn (Pliotos) In der kühleren Jahreszeit sind sie in lange Mäntel gehüllt, welche die Farbe einer leicht nebligen Londoner Abenddämmerung haben, nämlich eine Mischung aus Blauviolett und Grau, Sonst prangen die strammen Männer mit ihren schwarzen Bärenfollmützen, welche die meisten gewöhnlich Sterblichen überragen, im leuchtenden Scharlachrot ihrer Waffenröcke, das sich so wirkungsvoll von den nachtblauen, eng geschnittenen Hosen, vo* einem zartblauen Himmel, vom Grün dos englischen Rasens und der Parkbäume und von den ehrwürdigen, cremefarbenen, backsteinroten, orangen und grauen Fassaden der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs abhebt. Es gibt viele Leute, die eigens wegen der königlichen Garde und ihres sowohl militärisch präzisen als auch ballettartig eleganten Zeremoniells nach London kommen. Auch wer nicht unbedingt fürs Militär schwärmt, kann sich der Faszination des wahrhaft königlichen, farbenprächtigen und meUllblitzenden, von Trommelwirbel, Trompetengeschmetter, Paukenschlag und heiserem Kommandogeschroi begleiteten Schauspiels ihrer Aufmärsche nicht entziehen. Zu Tausenden drängen sich die Zuschauer jeden Tag zu den seit Jahrzehnten unveränderten Wachtablösungen vor dem Buckingham Palace und an der Horse Guards Parade in Whitehall. Kenner verfallen in Ekstase ob des abgerundeten, aus den Hüften geschwungenen Marschtritts der Abteilungen, ob des reibungslos gelungenen Uebergangs vom feierlich gemessenen Slow March in den zackigen Quick March, und wenn anläßlich der alljährlichen Geburtstagsparade ein Gardist in der brütenden Juni-Sonne steif e w i ein Dominostein aus dem Glied kippt und, noch in der Ohnmacht tadellose Haltung bewahrend, zu Boden fällt, sind sie fast zu Tränen gerührt. Stundenlang können sie einem Wachsoldaten zusehen, wie er stramm und unbeweglich wie der standhafte Zinnsoldat in Andersens Märchen vor seinem Schilderhäuschcn steht, dann jäh sein Gewehr von der Schulter reißt, mit heftigem Stampfen an Ort dreht und eine Zeitlang mit abgehackten Bewegungen und wie von einem Uhrwerk angetrieben hin und her schreitet, jede Richtungsänderung mit neuem Stampfen vollziehend, so daß sich die Kappen der derben schwarzen Gardistenschuhe schon bedenklich nach oben krümmen. Die königliche Garde ist trotz ihrem zeremoniellen Anstrich weder eine Wachgesellschaft noch eine Art militärisches Corps de ballet, sondern eine Eliteeinheit der britischen Armee, die sogenannte Household Brigade. Sie umfaßt rund 8000 Mann und ist mit modernsten Waffen, vor allem aber mit Panzern ausgerüstet. Die Household Brigade, der neben ihren strategischen Aufgaben zusätzlich noch der Schutz der königlichen Familie übertragen ist, besieht aus fünf Regimentern zu Fuß, nämlich den Grenadier, den Coldslream, den Welsh, den Scots und den Irish Guards, sowie aus zwei Regimentern zu Pferd, den Life Guards und den Blues and Royais (The Royal Horse Guards and Ist Dragoons). Nur ein kleiner Teil der Haushaltbrigade hält sich jeweils zur Wahrnehmung der traditionellen und vorwiegend Ein Oilizier der Liic Guards in khakifarbener Arbcilsuniiorm. Der Hund trugt seinem Meister die obligate Reitgerte nach. Neue Zürcher Zeitung vom 17.12.1971 zeremoniellen Pflichten in London auf. Je eine Kompanie der Infanterieregimenter teilt sich in die Wachen vor dem Buckingham Palace und dem St. James's Palace, im Tower of London, in der Bank of England und auf Schloß Windsor, je eine Schwadron der Kavallerieregimenter in die Wache vor der Horse Guards Parade, & Ülciif 3iirrfjer Leitung slwn!» der Corporal-major gebietet mit heiserem Brüllen Aufmerksamkeit bei den Blues and Royais. WOCHENENDE Selbst der Slallburschc bleibt vor gnadenloser Inspektion nicht verschont. Sonntag, 19. Dezember 1971 591/5 Nr. 591 (Feninusgnbe Nr. 347) 59 Schreien gehört zu seinem Beruf, doch meint er es nicht so böse: Irgendetwas Iial das Interesse des Corporal-major geweckt . , dem Zugang zum inzwischen verschwundenen königlichen Palast von Whitehall. Die Bärenfellmülzen sind das Kennzeichen der Galauniform der Infanterieregimenter. Sie sind übrigens kuine britische Erfindung, sondern wurden von don Grenadieren in Napoleons Grande Armee übernommen. Das zottige, schwarz Gingefärbte Rohmaterial liefern noch immer die Bären in Kanadas Urwäldern. Die berittenen Gardisten stecken in riesigen schwarzen Stulpenstiefeln und w e i f i e Reithosen aus Ziegenleder. Ueber dem Uniformrock, der n bei den Life Guards rot und bei den Blues and Royais dunkelblau ist, tragen sie einen metallenen, innen mit Leder gefütterten Brustpanzer oder Küraß; auf dem Kopf sitzt ein nach vorne gegen die Nase hin zugespitzter Metallhelm, aus dem ein imposanter P/erdeschweif wächst, der bei den BJues and Royais rot, bei. ihren Kollegen weiß ist. Die meist aus Irland stammenden Pferde gelten die Gardekavallerie, die als lammfromm und temperamentlos heute eine Panzertruppe ist, verfügt noch über knapp 130 sogenannte Charger, die vorwiegend zum Wachestehen, z\im Paradieren und zum Eskortieren von königlichen Kutschen dienen. Wie alle britischen Armeeangehörigen sind auch die Gardisten Berufssoldaten mit Gehalt, Sozialleistungen und geregelter Arbeitszeit. Nur wenige wohnen in den Kasernen; die meisten leben in einem privaten Quartier oder in der Familie. Für viele ist dia Garde eine Uebergangsstation zu anderen Berufen. Die Gardisten werden bereits mit 17 Jahren rekrutiert und verpflichten sich für drei, sechs, neun oder mehr Jahre. In dieser Zeit erhalten sie eine Berufsausbildung, ferner bestehen für jeden Aufstiegsmöglichkeiten bis zum Range eines Majors. Die höheren Offiziersränge sind in der Garde freilich den Abkömmlingen vornehmer oder gar adeliger Familien vorbehalten, die nach der Universität eine Kadettenanstalt besucht haben. Zwei Lile Guards machen sich bereit mit Kürass, Bandelier, Helm und Rcitersäbel. und nicht geschlillencn dem langen Peinlich genau nimmt man es auch bei der Cardeinianteric. Ein Sturmband sitil nicht richtig. Der Fehler wird korrigiert, der Sünder registriert, alles aul Anordnung des gestrengen Drill Serjeant. Neue Zürcher Zeitung vom 17.12.1971