Du findest mich im Netz - schlesinger
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Du findest mich im Netz - schlesinger
28 Karriere „Du findest mich im Netz“ Netzwerken, neudeutsch Networking, ist das bewusste Knüpfen von Kontakten innerhalb von Interessengemeinschaften. Die Kölner sagen „Klüngeln“ dazu. Geklüngelt wurde schon immer. Doch mehr denn je sind Arbeitskräfte heute auf Beziehungspflege und Selbstvermarktung angewiesen. Anbieter wie Xing oder Facebook stellen die digitale Bühne dafür bereit. Nach welchen Regeln funktionieren solche Netzwerke, und befördern sie tatsächlich beruflichen Erfolg? ■ Margit Schlesinger-Stoll PSYCHOLOGIE HEUTE Januar 2011 Karriere 29 K atharina S. schließt ihr Laptop für diesen Tag. 145 Kontakte bei Xing hat die 31-jährige Abteilungsleiterin eines Anbieters von Arztsoftware aktuell, in der letzten Woche sind nach einem Kongress drei neue dazugekommen. Sie ist eine von über neun Millionen Usern des webbasierten sozialen Netzwerkes, das für seine Mitglieder Profile anlegt, Kontakte ermöglicht, Foren bietet – zahlenden Nutzern deutlich mehr Funktionen als den Gratisteilnehmern. „Ich habe von den vielen Leuten, die ich im Studium, während meiner Praktika im Ausland, bei Messen und Fortbildungen kennengelernt habe, hier viele wiedergefunden, die für mich beruflich hochinteressant sind oder noch werden können“, ist sich die Betriebswirtin sicher. „Visitenkarten nützen oft nichts mehr, weil viele gerade am Anfang der Berufsphase mehrfach den Job wechseln.“ Sieht man sich um in Xing, bis 2006 bekannt unter dem Namen openBC, wird schnell deutlich, um was es hier geht: sehen und gesehen werden, Kontakte knüpfen und pflegen, mitdiskutieren unter seinesgleichen. Die Präsentation des eigenen Porträts vor Millionen von Mitgliedern ist genauso wichtig wie das Auffinden anderer. Angezeigt werden nicht nur die berufliche Vita und private Hobbys, sondern auch die Kontakte sind einsehbar. Zwar ist der Grad dessen, wie viel man von sich preisgibt, steuerbar, doch muss jedem Mitglied bei Xing, Facebook und anderen Netzwerken klar sein, dass – anders als bei einem Internetauftritt – berufliche Beziehungsgeflechte fein säuberlich ausgebreitet werden, es sei denn, man sperrt diese Funktion, aber das gilt als Spielverderberei. Wer sich so outet, muss auch einen Nutzen daraus ziehen. Und in der Tat legen Studien und die Aussagen und Zahlen von Coaches, Unternehmensberatern und Jobvermittlern nahe, dass webbasiertes Networking einen zunehmend wichtigen Erfolgsfaktor im Berufsleben darstellt. Katharina S. gelang es über openBC noch während ihres Studiums, an Entscheider heranzukommen und sie im Rahmen ihrer Abschlussarbeit zu interviewen: „Über Sekretariate und Assistenten vermittelt, wäre das zweifellos bei vielen im Sande verlaufen.“ Auch die Vergabe von Aufträgen und Stellen wird zunehmend über das Web angebahnt. Die Teilnehmerlisten der Alumniklubs von Schulen und Hochschulen füllen sich, Berufsnetzwerke haben Konjunktur. Vitamin B gilt nicht länger als anrüchig. Experten im Personalmanagement schätzen, dass etwa die Hälfte aller hochqualifizierten Stellen über Beziehungen vergeben wird – offiziell ausgeschrieben oder nicht. Jeder Kontakt kann eine Ressource, eine Chance sein, die den nächsten Auftrag, den nächsten Job oder sonstige Vorteile erschließt. Die erste Regel für professionelle Onlinenetzwerker und solche, die es werden wollen, lautet für Andreas Lutz, der ein Praxisbuch Networking geschrieben hat: Man sollte diejenigen, mit denen man Kontakte herstellen möchte, auch tatsächlich kennen. Aussagen in Kurzmails wie „Ich finde Ihr Profil interessant“ sind in der Regel zu wenig, um in die Xing-Welt eines anderen aufgenommen zu werden. Denn, so die zweite Regel, man sollte auch nein sagen können und nicht jeden Kontaktwunsch akzeptieren. Als „Kontakthamsterei“ kanzeln Gitte Härter und Christiane Öttl in ihrem Buch Networking das undifferenzierte Sammeln von Kontakten ab. Nur wo eine Beziehung von Mensch zu Mensch, und sei es auch ausschließlich beruflicher Natur, aufgenommen wurde, stehen die Chancen gut, dass der Faden wieder aufgenommen wird. Auch Anni Hausladen und Gerda Laufenberg, die vor zehn Jahren ihr Buch Die Kunst des Klüngelns veröffentlichten, setzen vor allem auf Kontakte in der realen Welt. Unter Klüngeln versteht Hausladen „eine persönlichere Form des Netzwerkens“, doch schätzt sie die Hilfestellungen der neuen Medien inzwischen durchaus. Während sie im ersten Buch noch Notizbuch und Kartei als sicherste Mnemotechniken bezeichnete, empfiehlt sie in ihrem jüngst erschienenen, gemeinsam mit der Psychologin Ursula Maile veröffentlichten Ratgeber Erfolgreich klüngeln im neuen Job eine professionelle Klüngeldatei, die beispielsweise mithilfe von Outlook oder anderen Programmen angelegt werden kann. So landet die persönliche Datenbank zu Kollegen, Geschäftspartnern und interessanten Kontakten auf einem diskreten Stick. Unabhängig vom Medium ist Anni Hausladens Credo: „Persönliches zählt, Geschäftliches ergibt sich“, womit sie ihre Erfahrung zusammenfasst, dass nicht Leistung und Qualifikation die entscheidenden Erfolgsfaktoren im Beruf sind, sondern der persönliche Draht zu Menschen.„Neugierig sein, gut zuhören können, positive Anknüpfungspunkte finden sind die halbe Miete beim Erstkontakt, darauf zurückgreifen und sich daran erinnern können die zweite Hälfte“, meint die Karrieretrainerin. Während beim Klüngeln Geben und Nehmen bewusst nicht verwaltet und permanent gemessen werden, gibt es Unternehmervereinigungen, die genau dies tun und darin ihren besonderen Erfolg sehen. Einmal wöchentlich zwischen 7 Uhr und 8.30 Uhr treffen sich, zum Beispiel in Marburg und Wiesbaden, 30 Karriere Unternehmerteams mit etwa 30 Mitgliedern zum gemeinsamen Frühstück. Bei Brötchen und Kaffee werden keine unverbindlichen Plaudereien geführt, sondern bereits zu früher Stunde Tagesordnungspunkte abgehakt: zum Beispiel Kurzvorträge der Mitglieder, Ergebnisberichte, kurze Fortbildungseinheiten. Und vor allem: der Austausch von Empfehlungen mittels „Empfehlungsschecks“. Die in Frankfurt ansässige PEN GmbH organisiert diese Treffen, deren Mitglieder zunächst nur zwei Dinge verbinden: Unternehmer zu sein und lokale Nähe. In jeder Gruppe gibt es nur einen Vertreter pro Berufszweig. Doch trotz straffer Organisation und Anwesenheitspflicht steht für Benno Dembowski, Gründer von PEN, das Kennenlernen, die Vertrauensbildung innerhalb einer Gruppe im Mittelpunkt.„Erst wenn man die Stärken der anderen innerhalb der Gruppe wirklich kennt, sie bestenfalls selbst getestet hat, kann man kompetent und gezielt weiterempfehlen.“ Die Empfehlungen innerhalb einer Gruppe werden bei jedem Treffen dokumentiert und ausgewertet, „wer nur nimmt, wird hier ganz schnell geoutet und kann auch ausgeschlossen werden. Nicht schnelles Wachstum, sondern langfristige Bindungen sind unser Ziel“, erklärt Dembowski. LinkedIn, 2003 in Kalifornien gegründet, manifestiert das globale Gegenmodell zu solch einem lokalen Netzwerk. Nach eigenen Angaben hat es 65 Millionen Mitglieder weltweit, 500 000 in Deutschland; laut dem Serverdienst Alexa ist LinkedIn global eine der 500 meistbesuchten Internetseiten. In Deutschland wollte man Xing schnell hinter sich lassen und startete nach mehreren Anläufen im Frühjahr 2009 mit einer deutschsprachigen Seite. Doch hiesige Mitgliederzahlen aus dem Jahr 2010 sind nicht veröffentlicht, was nahelegt, dass die Nutzung stagniert. Das Netzwerk dient ausdrücklich der Pflege bestehen- der wie auch der Anknüpfung neuer Kontakte, richtet sich an Stellensuchende und solche, die alte Studien- oder Arbeitskollegen ausfindig machen wollen. Xing-Gründer Lars Hinrichs sah diesen Start gelassen und wies darauf hin, Xing habe viel mehr zahlende Mitglieder, biete mehr Möglichkeiten fürs Geschäft und zeige sich als die insgesamt wesentlich aktivere Business-Community. Exklusiver als Xing ist CAPup, ein Netzwerk, das sich ausschließlich an Unternehmer, Geschäftsführer und Führungskräfte wendet. Die Mitgliedschaft ist zwar grundsätzlich kostenfrei, allerdings wird man hier nur mit Einladung oder Referenz eines Mitglieds in den Club aufgenommen. 2002 gegründet, ist schnelle Expansion nicht das Ziel dieses sich exklusiv gebenden Netzwerks – von „Tausenden Mitgliedern“ ist auf der Startseite des Internetauftritts bescheiden-unbescheiden zu lesen, auf Nachfrage gibt CAPup 10 000 Mitglieder an. Im Rahmen der Registrierung muss bestätigt werden, dass man einen Wertekodex akzeptiert und mitlebt. Eine homogene Gemeinschaft, zu der die Geschäftsführung steht: Man habe sich auf die Zielgruppe Unternehmer und Füh- rungskräfte konzentriert, da diese ganz eigene Bedürfnisse und Ansprüche in einem Netzwerk hätten. Je höher die Mitglieder eines Netzwerks beruflich gekommen sind, desto dünner wird naturgemäß die Luft. „Elitäre Netzwerke, egal wie sie organisiert sind, benötigen einen geschützten Raum und langfristige, verlässliche Bindungen“, weiß Michael Hartmann, der sich als Soziologieprofessor an der TU Darmstadt der Elite- und Professionsforschung widmet. Jede unbedachte Äußerung könnte Karrieren beenden. Gegenseitiges Vertrauen und eine Beißhemmung sind in einem Haifischbecken also die Voraussetzung für den freien Erfahrungsund Informationsaustausch. Am effektivsten funktioniert dies laut Hartmann in Netzwerken, die institutionell fundiert sind, also über Ausbildungsinstitute und Clubs. Die stabilsten Bindungen seien diejenigen, die bereits in der Jugend eingegangen wurden. Und am Erhalt des Mythos ihrer Schulen und Universitäten hätten alle Absolventen elementares Interesse, weil er für die nächste Generation das System stabilisierte. Auch Schwächere oder Gestrauchelte würden aufgefangen und in gute Jobs gehievt, damit das Image und die Exklusivität gewahrt blieben. In Deutschland, so der Soziologe, der ein Buch mit dem Titel Eliten und Macht in Europa geschrieben hat, gebe es allerdings weit weniger solcher Seilschaften als beispielsweise in Frankreich, Großbritannien oder den USA. „Je exklusiver die sich gegenseitig unterstützenden Eliten sind, desto ungleicher ist die Verteilung der Besitztümer in einem Land“, fanden Hartmann und sein Team heraus. Auf den Rücktritt des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch angesprochen, bestätigt Hartmann, dieser habe zwar Seilschaften wie etwa den PSYCHOLOGIE HEUTE Januar 2011 Karriere 31 Seilschaften wie Roland Kochs „Andenpakt“ gab es immer. Institutionelle Netzwerke hingegen sind nicht an Personen gebunden und daher langlebiger „Andenpakt“ gepflegt. Doch an seinem Beispiel zeige sich, dass in Deutschland solche Seilschaften in der Regel an einzelnen Personen hingen und somit weit weniger stabil seien als die an Institutionen gebundenen Netzwerke. Mit dem Karriereende oder dem Tod der Personen zerfielen sie. „Institutionelle Netzwerke überdauern dagegen viele Jahrzehnte“, sagt Hartmann. Früh übt sich, wer ein Netzwerker werden will. Die Kommunikation im digitalen Netz will gelernt sein. Das Spiel von Nähe und Distanz ist ohne ein direktes Gegenüber, dessen Reaktionen vom Gesicht abgelesen werden können, nicht leicht und erfordert Routine. Lockerheit ist angesagt, aber gleichzeitig auch Respekt und Hilfsbereitschaft – die Community kontrolliert und sanktioniert Fehlverhalten unmittelbar. Beim Einstieg sind diejenigen durchaus im Vorteil, die bereits in Schule und Ausbildung in Freundesnetzwerken wie schülerVZ oder studiVZ aktiv waren. Sie sind geübt in der Kunst der Selbstdarstellung, die heute für das berufliche Fortkommen der entscheidende Faktor ist. Der Schalter, um von der privaten auf die berufliche Ebene umzuschalten, ist nicht so schwer zu finden, wie viele wohlmeinende Eltern und besorgte Pädagogen meinen. Eine pragmatische Generation Jugendlicher lernt schnell, wo sie sich welchen Vokabulars zu bedienen hat. Eine neue Studie, die der Harvardprofessor John Palfrey am Berkman Center of Internet and Society mit zwei Kollegen durchführte, belegt, dass Jugendliche zwar ihrer Lust am öffentlichen Chat weiterhin frönen, sich dabei aber zunehmend auch der Gefahren von Aufdeckung und Speicherung ihrer Daten bewusst sind. Immer besser wissen sie ihre Anonymität vor Eltern, Lehrern und somit auch vor zukünftigen Arbeitgebern zu schützen. Männer klüngeln. Frauen auch. Was bei Männern seit Ewigkeiten in Bünden, Orden, Vereinen, Verbindungen und Seilschaften gepflegt wird, proben Frauen in größerem Stil erst seit wenigen Jahrzehnten. Reine Frauennetzwerke scheinen etwas anderen Regeln zu folgen und sich von denen der Männer zu unterscheiden. Die Soziologinnen Heike Wiemert und Petra Frerichs untersuchten 2002 unter Hinzuziehung bundesweiter Überblicksdaten in ihrer Studie Ich gebe, damit du gibst zehn lokal organisierte, berufsbezogene und (gesellschafts)politische Frauennetzwerke im Kölner Raum. Auffällig ist, dass diese Netzwerke offener und von weniger Ritualen durchsetzt waren als reine Männerorganisationen. „Die starke, im doppelten Sinn blendende Ausstrahlung von Männerbünden fehlt oft den Frauennetzwerken“, so Heike Wiemert. Sie argumentiert mit dem Soziologen René König, der sagt, dass „das ökonomische und politische Interesse der Frauen, sich zu verbünden, unlöslich mit einem emanzipatorischen Interesse an Chancengleichheit verbunden“ sei. Vertrauen, Affinität und Reziprozität (ausgewogene Tauschbeziehungen) seien die Garanten für das Funktionieren dieser Netzwerke, während grundsätzliche Solidarität die Ausnahme darstelle. Die Untersuchung zeigte, dass diejenigen am meisten Gewinn aus der Mitgliedschaft im Netzwerk zogen, die ohnehin über die umfangreichsten Ressourcen verfügten.„Wer hat, dem wird gegeben“ – dieses allerdings uralte Prinzip greift auch hier. Größere, international organisierte Netzwerke wie der Zonta-Club, ein „Zusammenschluss berufstätiger Frau- en, die sich zum Dienst am Menschen verpflichtet haben“, oder Soroptimist, eine Organisation für Frauen in Management und Beruf, haben sich lange Zeit an männlichen Vorbildern wie dem Lions Club orientiert und nutzen trotz frauenförderndem Ansinnen ähnliche Instrumente und Mechanismen. Frieden, Völkerverständigung, menschenwürdige Bedingungen für alle sind Ziele dieser Organisationen – doch während die Männer in diesen Clubs nebenbei auch guten Gewissens ihre persönlichen Geschäftsbeziehungen pflegen, sei dies, so Anni Hausladen, bei Frauen seltener anzutreffen. „Frauen pflegen ihre Netzwerke meist intensiv und konsequent – aber wenn es darum geht, andere mal um einen Gefallen oder Vermittlung zu bitten, schrecken sie oft davor zurück.“ Die „webgrrls“ hingegen – ein Bündnis von Frauen, die in den Neuen Medien beschäftigt sind – haben sich ganz unverblümt zum Ziel gesetzt, ihre berufliche Weiterentwicklung und Präsenz innerhalb der Branche zu fördern und strategische Allianzen zu schließen. Geben und nehmen statt der Allgemeinheit dienen.„Ist doch in Ordnung, nicht jede muss gleich die Welt retten“, gibt PH Katharina S. ihren Segen. Literatur Andreas Lutz: Praxisbuch Networking. Von Adressmanagement bis Xing. Linde, Wien 2009 (2., überarbeitete Auflage) Gitte Härter, Christiane Öttl: Networking. Kontakte gekonnt knüpfen, pflegen und nutzen. Hoffmann und Campe, Hamburg 2004 Anni Hausladen, Gerda Laufenberg: Die Kunst des Klüngelns. Erfolgsstrategien für Frauen. Rowohlt, Reinbek 2008 (4. Taschenbuchauflage) Michael Hartmann: Eliten und Macht in Europa. Campus, Frankfurt 2007 Petra Frerichs, Heike Wiemert: Ich gebe, damit du gibst. Frauennetzwerke – strategisch, reziprok, exklusiv. Leske + Budrich, Opladen 2002