Jonas Schreyögg - Der Senkrechtstarter
Transcription
Jonas Schreyögg - Der Senkrechtstarter
www.kma-online.de | 15 Euro 20. Jg. | März 2015 Bitte lächeln! Immer mehr Kliniken gehen das Thema Freundlichkeit jetzt offensiv an. Lünendonk-Trendpapier 12 Milliarden für FM-Services Porträt Jonas Schreyögg Der Senkrechtstarter PORTRÄT Senkrechtstarter Zur Person Jonas Schreyöggs Vorfahren waren über Generationen hinweg Bäcker im Werdenfelser Land in Oberbayern. Sein Vater ist Organisationstheoretiker, seine Mutter schreibt Bücher über Dual Career Coaching. Er selbst lebt die Doppelkarriere: Seine Frau ist Psychologin und Personalentwicklerin. Nach dem Zivildienst studierte er Betriebs- und Volkswirtschaft an der TU Berlin. In seiner Doktorarbeit befasste er sich mit „Gesundheits-Sparkonten“ in Singapur, eines der vielen Länder, die er in Südostasien bereist hat. Seit 2010 ist er Direktor des „Hamburg Center for Health Economics“ (HCHE) der Universität Hamburg und Inhaber des Lehrstuhls für Management im Gesundheitswesen. 70 März 2015 | 20. Jg. PORTRÄT Senkrechtstarter Jonas Schreyögg Der Senkrechtstarter Mit 32 war er Professor. Mit 35 wurde er Direktor eines der größten gesundheitsökonomischen Forschungszentren in Deutschland. Seit Jahresbeginn sitzt er, mit 38, im Sachverständigenrat der Bundesregierung: der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Jonas Schreyögg. er Weg zum ersten Kandidaten unserer neuen Serie über verblüffend junge Figuren in exponierten Positionen des Gesundheitswesens führt uns in ein Art-déco-Palais in der Hamburger City. Mit dem Aufzug geht es hinauf ins ausgebaute Dachgeschoss. Im einstigen Grandhotel Esplanade, über den Casinoräumen der Spielbank Hamburg mit Roulette-Tischen und Spielautomaten, in denen sich einmal im Jahr die besten Poker-Spieler Deutschlands zur Meisterschaft versammeln, liegen die Räume des „Hamburg Center for Health Economics“ (HCHE) der Universität Hamburg. 60 Wissenschaftler aus Ökonomie und Medizin befassen sich auch hier mit Geld und Zahlen, wenn auch völlig anders: Sie forschen an aktuellen Fragen der Gesundheitsversorgung – und suchen Antworten darauf. D Sie haben eine schwindelerregende Karriere hingelegt: Der muss man charakterlich schon auch gewachsen sein … Mein erster Chef, Professor Henke in Berlin, sagte immer: „Bleiben Sie auf dem Boden.“ Das fällt mir eigentlich gar nicht schwer. Ich mache diesen Job nicht, um besonders toll zu sein. So jung – und schon so weit gekommen: Wie viel Arbeit, wie viel Glück war dabei? Ich wollte schon immer gern Verantwortung übernehmen, schon sehr früh sogar. Dann habe ich großen Spaß zu forschen – und großen Spaß daran, Manager zu sein. Den braucht man, wenn man als Forscher ein größeres Team um sich haben möchte. Ist es nicht ein Problem, so jung zu sein und trotzdem ernst genommen zu werden? In der Regel ist das kein Problem. Ich könnte Ihnen aber ein paar lustige Anekdoten erzählen. Manche hielten mich für einen Praktikanten und begrüßten mich nicht. Einer dachte mal bei 20. Jg. | März 2015 71 PORTRÄT Senkrechtstarter Jung und kongenial: Jonas Schreyögg inmitten seiner engsten Mitarbeiter. Von den sechs Professoren des „Hamburg Center for Health Economics“ ist er, der Direktor, der zweitjüngste. Im „Handelsblatt Ranking Betriebswirtschaftslehre 2012“ belegte er in der Liste „Top 100 der Forscher unter 40 Jahren“ Rang 17. Privat, aber nicht geheim Was tun Sie für Ihre Gesundheit? Ich rauche nicht, ich trinke so gut wie keinen Alkohol und ernähre mich recht gesund. Sport ist für mich sehr wichtig. Ich laufe jeden zweiten Tag sieben Kilometer im Wald, spiele Squash, gehe im Winter langlaufen – am liebsten im Leutaschtal im Karwendelgebirge. Welches Buch lesen Sie gerade? „Moth Smoke“. Das ist ein auf Englisch geschriebener Roman von einem in die USA emigrierten Pakistani, der darin die gesellschaftlichen Veränderungen in seinem Heimatland reflektiert. Was wären Sie beinahe geworden? Ich habe mit dem Gedanken gespielt, als Manager nach Südostasien zu gehen: Gesundheitsindustrie, Versicherung, Health-Care-Provider oder Pharma – alle zwei, drei Jahre von einem Land zum nächsten. Ich hatte verschiedene Angebote. Aber für meine Familie wäre das eine Zumutung gewesen. einer Veranstaltung, ich wäre fürs Notebook am Rednerpult und die Verkabelung zuständig. Den Leuten ist das dann peinlich – mir macht das nichts aus: Ich finde das eher lustig. Sie waren viel im Ausland unterwegs: als Schüler in England, als Trainee bei der Bayer AG in Singapur, als Stipendiat an der Stanford University, USA. Gibt es eine Quintessenz aus den dort gesammelten Erfahrungen? Wenn man im Ausland ist, reflektiert man sich selbst in seinem Tun und auch sein Land. Man hat einerseits Abstand und erlebt zugleich, wie andere es machen. Ich habe viel über unser Gesundheitssystem nachdenken können. Mir wurde klar: Das ist nicht gesetzt, was wir hier tun; das kann man jederzeit verändern. Wie sind Sie denn ausgerechnet zur Gesundheitsökonomie gestoßen? BWL und VWL fand ich schon auch immer sehr interessant. Dass sich bei mir eine Leidenschaft für das Gesundheitssystem entwickeln konnte, lag stark an meinem Doktorvater Klaus-Dirk Henke. Was hat er getan, dass Sie für das Fach Feuer fingen? 72 Als ich an der TU Berlin studierte, hatte er den Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie. Er war auch Vorsitzender des Sachverständigenrats und hat uns erzählt, was er dort so erlebt. Und was Henke oft für Ideen hatte! Wahnsinnig kreative Ideen! Und lachen Sie nicht: Ich habe damals in einer WG gewohnt, mit einer Pharmazeutin und einer Medizinerin. Wir haben uns den Kopf über Gesundheitspolitik wund diskutiert. Mit dem Ergebnis, dass …? … dass ich immer sage: Wir dürfen nicht nur unter uns Ökonomen diskutieren; wir müssen uns Anregungen auch aus anderen Welten holen, sonst kommen wir nicht weiter, auch in der Wissenschaft nicht. Gerade das ist auch das Prinzip unseres Zentrums hier. Ich finde es sehr heilsam, in einem Public-Health-Studiengang zu unterrichten. Hier stellen die Leute alles in Frage – die ganze ökonomische Welt. Eine Ihrer Studien bestätigt, dass in Deutschland viel häufiger operiert wird als in anderen Industrieländern. Kritiker sagen, Sie hätten zu wenig infrage gestellt, Ursachen nicht schonungslos benannt und keinem wehgetan: den Kassen nicht, den Krankenhäusern nicht. Für was stehen Sie? März 2015 | 20. Jg. PORTRÄT Senkrechtstarter Ihre Fachbücher … „Mein Zentrum und ich selbst stehen für empirisch fundierte Empfehlungen zur Gesundheitspolitik.“ Ist das nicht selbstverständlich? Ganz und gar nicht. Bis vor zehn Jahren war Gesundheitsökonomie primär ordnungspolitisch geprägt. Mit der DRG-Einführung begann eine neue Ära. Heute existieren bei den Kassen Daten in einer Qualität, mit deren Hilfe sich ein empirisches Fundament schaffen lässt. Das sollten wir nutzen so oft es irgend geht. Dinge wie die Praxisgebühr sind einfach mal eben eingeführt worden – ohne irgendeine Form von begleitender Evaluation. Im Januar wurden Sie in den Sachverständigenrat der Bundesregierung berufen. Wie staatstragend müssen, wie politisch dürfen Sie sein? Als Wissenschaftler lege ich großen Wert darauf, neutral zu sein. Trotzdem bin ich politisch. Ich will Politikern, egal welcher Partei, auch Verbänden und Institutionen, empirisch gewonnene Expertise an die Hand geben, die sie befähigt, möglichst evidenzbasiert Entscheidungen zu treffen. Selbst Politik machen – das will ich nicht. Professor, Sachverständigenrat, Frau und Kinder. Ist das nicht auf Dauer gefährlich, wenn man überall exzellent sein will – und muss? Ich habe mich immer effizient organisiert. Jeden Tag setze ich mir einen Zeitrahmen, und da versuche ich, voll reinzuhauen. Als 20. Jg. | März 2015 Unterstützung habe ich mir immer auch sehr gute Mitarbeiter gesucht. Und ich habe es gelernt, die wirklich wichtigen Dinge zu fokussieren und Aufgaben genauso bewusst abzulehnen wie anzunehmen. Ich bekomme massenhaft Einladungen zu Vorträgen. Aber als Professor darf man in diese Falle nicht tappen – „die Leute finden mich so toll, ich muss da hingehen.“ Ich gehe nur dorthin, wo ich mich wirklich als Experte fühle. Als Allererstes mache ich den Kalenderabgleich mit meiner Frau und schaue: Passt das in unseren Alltag hinein? Unter der Woche arbeite ich viel, am Wochenende in der Regel nicht. Das gehört meiner Familie. Ich habe auch einen fixen Tag, um meine Kinder in der Schule und der Kita abzuholen. … jetzt auch für Was tun Sie, um Ihre Batterien wieder aufzuladen? Ich habe mich viel mit Buddhismus beschäf tigt und meditiere regelmäßig. Nicht, dass ich mich jeden Tag zur selben Zeit vor eine weiße Wand setzen würde. Ich integriere viele kleine, unsichtbare Meditationen in den Alltag, um durchzuatmen und Abstand zu kriegen. Sehr gut abspannen kann ich beim Kochen am Wochenende. Ich habe zu Hause eine ganze Schrankwand an Kochbüchern. Früher habe ich überwiegend asiatisch gekocht. Zurzeit mache ich Fusion Food, eine Mischung aus italienisch und asiatisch. Und dann gibt es noch unser Familienhaus in Oberbayern. Da treffen wir uns immer alle und tanken Kraft. Wenn Ihre Batterien weiter so gut aufgeladen sind: Heißt 2020 der Gesundheitsminister Jonas Schreyögg? Nein. (lacht) Ich gehöre ja keiner Partei an. Und mein Job und das Gemeinschaftsgefühl – das macht mir viel zu sehr Spaß. Interview: Adalbert Zehnder 73 PC Laptop Tablet Reader Smartphone Viele Bücher gibt es jetzt auch als E-Book, sowohl als PDF wie auch als ePub. Informieren Sie sich einfach unter Fotos: Schünemann Es war überhaupt nicht unsere Absicht, die Studie so zu gestalten, dass sie nach außen hin ausgewogen wirkt. Wir haben am Ende nur die Dinge herausgearbeitet und interpretiert, die solide empirisch zu fundieren waren. Von den Dingen, zu denen wir nichts Belastbares sagen konnten, haben wir die Finger gelassen. Es ist nicht unsere Aufgabe, ohne Not zu polarisieren. Wir stehen für empirisch fundierte Empfehlungen zur Gesundheitspolitik. www.thieme.de/shop