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Hofheim Kunstaktion „Zigeunerwäldchen“ Aufn.: Götze Regenbogen Die Achtziger I Das neue Jahrzehnt beginnt für den „Keller“ am 17. Januar mit einer Schließung von drei Wochen. Wie so oft lautet die Begründung: Ruhestörung, Belästigung der Anwohner, Beschädigung der Toilettenanlage. Unter Protest besetzen daraufhin über 100 Jugendliche den Jazzkeller und es kommt an den folgenden zwei Tagen zu massiven Demonstrationen. Diese Art des Protestes ist für das ruhige, vor den Toren Frankfurts liegende und gerade zur Kreisstadt ernannte Hofheim außerordentlich. Die Zwischenfälle beginnen mit einem Zug zur Stadthalle und Störung der dortigen Fremdensitzung der KG 1900 – vermutlich hofft man dort einige der lokalen Politiker anzutreffen. 20 beherzte Teilnehmer der Herrensitzung versuchen die ‚Belagerer‘ abzudrängen – es kommt zu einer Prügelei. Am Samstag erreicht die Demonstration mit nun rund 150-200 (je nach Zeitung) Teilnehmern ihren Höhepunkt. Der Zug durch Hofheims Straßen hat das Haus von Bürgermeister Flaccus zum Ziel. Einsatz-Mannschaftswagen und Wasserwerfer stehen bereit. Der Forderung nach Wiedereröffnung steht die der Ausarbeitung neuer Vereinbarungen gegenüber. Immerhin darf der „Keller“ nun am Wochenende bis 1 Uhr geöffnet sein. eister Flaccus rm e rg ü B it 0 m 8 n Januar 19 ig in Diskussio b ie F “ s ip F „ unten: Klaus Großbrand IKEA Aufn. Rolf Boehm Das Parteiprogramm Der Kanzlerkandidat studiert sein Programm Die Jahre von 1980 bis 1982 sind für die Jazzfreunde besonders ereignisreich. Unter dem Motto „Gegen Alles Für Nichts“ (GAFN) gründet sich (zeitgleich mit den GRÜNEN) eine „Keller-Partei“. Der wichtigste Punkt ist es, 1982 an der Bundestagswahl teilzunehmen. Sie nehmen an der Atzmühlenbesetzung teil und demonstrieren gegen den Abriss. 1981 gründen sich die „Moskitos“ als Alternative zu dem alternativen Verein „Roter Stern“. Einschneidende Veränderungen bringt jedoch eine Ausstellung, Ausstellung die im Rahmen des 8. Jazzfestes gezeigt wird. Es sind zum einen Fotografien von der Kunstaktion „Zigeunerwäldchen“, das für eine Umgehungsstraße weichen muss, durchgeführt vonThilo Götze Regenbogen; zum anderen Fotografien von Demonstrationen gegen die Startbahn West. Reaktion der Stadt: Die Zuschüsse für das Jazzfest werden vorerst gestrichen. Die Wahlkundgebung der GAFN wird im September 1982 in der Hauptstraße durchgeführt. Kanzlerkandidat K.M. eilt, seiner Fähigkeiten sicher, zum „Wahlkampf“ von Frankfurt nach Hofheim. Um die zukünftigen Minister kenntlich zu machen, sind sie amtstypisch gekleidet: Der Kandidat C.B. für das Innenministerium trägt einen langen Ledermantel, Barrethut, dunkle Sonnenbrille und Funkgerät. Der Kandidat M. St. für das Landwirtschaftsministerium trägt Strohballen und Mistgabel. Der Bewerber F.F. für den Posten des Innenministers soll mit Bademantel und Boxhandschuhen erscheinen – leider ist der Mantel nicht rechtzeitig trocken. Kandidat für das Bildungsministerium ist der Buchhändler R.D. Vor seinem Buchladen findet die Schlusskundgebung unter Polizeiaufsicht statt. Von dieser werden auch die Personalien aufgenommen, eine Maßnahme, die von den Repräsentanten der GAFN irrtümlich als Eintragung in das Parteienregister missverstanden wird. Der Kandidat für das Innenministerium Wahlkampf in der Hauptstraße und vor dem „Venezia“ Hofheim Burgstraße 11 und Gebäude THW 1989 Hessentagspaar 1988 Die Achtziger II Nachdem der Jazzkeller wieder einmal im Januar 1984 für die Dauer von drei Monaten geschlossen war - es sind die altbekannten Gründe - verlaufen die folgenden Jahre ohne größere Ereignisse. Im Mittelpunkt steht die Organisation der Jazzfeste. Die Arbeiten dazu werden immer umfangreicher. Zum 30-jährigen Jubiläum 1989 verfassen Lutz Kockläuner und Betty Pfaffendorf in einem Anfall von kellertypischer Selbstreflektion nachfolgende Texte: Walter Detemple beim Aufräumen Heinz Fahrner und Hans-Jürgen Mell, Konzert mit „Pappa And The Playgirls“ 1989 steht bereits fest, dass die Bauarbeiten für das neue Stadtmuseum im Frühjahr 1990 beginnen werden. Der „Club der Jazzfreunde Hofheim“ sieht den Fortbestand seines „Kellers“ geMontags-Sitzung fährdet. Monatelang wird nach einem neuen Quartier gesucht. Die schrecklichsten Zukunftsvisionen entstehen: z.B. einmal pro Woche zwei Stunden im „Haus der Vereine“ (Kellereigebäude) mit herein geschmuggeltem Bier gemütlich unter der Neonbeleuchtung oder ein Zelt vor dem Rathaus. Mitte November kommt der erlösende Anruf. Im Gespräch ist der alte Güterschuppen (auch Güterhalle! genannt). Nach einer Besichtigung der „Location“, Abschätzung der Möglichkeiten für die Selbstverwirklichung des Jazzclubs und wieder einmal Unterschätzung der zu leistenden Arbeit, ist der Beschluss gefasst. Dieser „neue Keller“ erfüllt praktisch alle Anforderungen: stadtnah, groß, keine Nachbarn und in Zukunft eine richtige Toilettenanlage. Treffen zum 30-jährigen Bestehen „Pressekonferenz“ anlässlich des 30-jährigen Bestehens 1989 Hofheim Burgstraße 11 leer im Dezember 1991 Rohbau Stadtmuseum 30 Jahre Hofheimer Gruppe Nov. 1992, Aufn. Scherer Die Neunziger bis 1995 Im Frühjahr 1990 beginnen die Hofheimer „Jazzfreunde“ - wobei Jazz schon lange nicht mehr die einzige Musikrichtung ist, die gehört wird - mit den vorbereitenden Arbeiten im neuen Domizil. Das heißt, in erster Linie wird der reichlich vorhandene Müll entsorgt und Trennwände werden eingerissen, was wiederum viel Schutt verursacht. Nach dieser ersten Phase kommt der Aufbau, und damit wächst der sich ständig erneuernde Berg der Probleme: Warum gibt es keinen Abwasseranschluss mehr? Was ist mit dem Gas passiert? Wann fließt das Wasser endlich aus der Leitung und nicht mehr aus dem Schlauch? Auch die Materialfrage wird zu einem ausführlich diskutierten Thema. Die eigentlichen Umbaumaßnahmen ziehen sich auf diese Weise bis in den Mai 1994. Parallel zu den Baumaßnahmen wird der „alte Keller“ geräumt. Ein letztes Konzert findet am 16. März 1991 statt. Die Gruppe „Fünfminuseins“ spielt in dem Gewölbe, das unterdessen auch mal als „Sumpfladen“ bezeichnet wird. Am 29. April 1991 ist Kellerschluss und die Holztür bleibt danach endgültig zu. Der Eingang des „Kellers“ wird im neuen Stadtmuseum nicht mehr vorhanden sein. Baustellenkonzert mit „FreezeeBee“ 1992 Offizielle Eröffnung mit den Alt-Vorständen Offizielle Eröffnung des neuen Jazzkellers mit der Kellerband 1994 „Der „Club der Jazzfreunde Hofheim“ tauscht 65 m2 Boden ohne Stehhöhe mit 250 m2 Besucherraum und zusätzlichen Proberäumen. 1992 starten die ersten Baustellenkonzerte und mit der Musik steigt die Stimmung der Aktiven. Zu einer weiteren moralischen Stütze entwickeln sich die Jazzfeste in der Stadthalle, die immer erfolgreicher werden, bis es 1993 zur ersten Finanzierungskrise kommt. Doch als am 28. Mai 1994 die offizielle Eröffnung mit Bürgermeister Felix stattfindet, ist dies gleichzeitig das Startzeichen für neue Aktivitäten und unzählige Konzerte. Eine Satzungsänderung 1995 bekräftigt das Engagement der „Förderung zeitgenössischer Musik, insbesondere des Jazz“ (1995). In den folgenden fast 14 Jahren finden mindestens 70 Debüts von Musikgruppen statt. „Alte Hasen“ und „Junge Hüpfer“ können auf der hauseigenen Bühne ihr Können zeigen. Der „neue Keller“ bietet nun die Bedingungen, die ein „Club der Jazzfreunde“ braucht. Aber wer weiß schon, wie sich in Zukunft die Musik entwickelt. Zumindest im 50. Jubiläumsjahr hat eine „Techno“-Veranstaltung schon mal gezeigt, dass „basslastig“ nicht jedermanns Sache ist. Im „neuen Keller“ während des Jazzfestes 1994 Andrew Cyrille und Band auf der Bühne des „neuen Kellers“ 1994 Hofheim Jazzkeller 14.8.2009 Vom 20. ins 21. Jahrhundert Mit den neuen Räumlichkeiten im Keller des alten Güterschuppens eröffnen sich auch neue Möglichkeiten, das Programm des Vereins zu erweitern. Peter Paul Zahl, Krimiautor und Kicker-Chefredakteur Rainer Holzschuh halten Lesungen ab. Letzterer nimmt sich noch stundenlang Zeit, um mit den Anwesenden über (Fußball) - Gott und die Welt zu diskutieren. In der Sparte Comedy können „Mundstuhl“ und die „U-Bahnkontrollöre in tiefgefrorenen Frauenkleidern“ verpflichtet werden und das zu einem Zeitpunkt, als ihre Auftritte noch für den Jazzclub bezahlbar sind. Breiten Raum nimmt nach wie vor der Fußball ein. Zu den WM- und EM-Spielen ist jeder Sitzplatz schon vor Spielbeginn belegt, aber es gibt ja noch Stehplätze. Natürlich liegt das Hauptaugenmerk auf der Musik. Die eigene Bühne bietet mit ihrer Licht- und Tontechnik Profi-Bedingungen. Die monatlichen Wochenendkonzerte und sessions brauchen nicht viel Reklame: Es spricht sich rum. Die guten Kontakte zu Musikagenturen ermöglichen den einen oder anderen Auftritt von Jazz-Größen. Damit der Jazzkeller sofort als solcher identifiziert werden kann, fehlt nur noch die entsprechende Gestaltung von außen. Vom 20. bis 25. September 2005 widmet sich Helge „Bomber“ Steinmann, unter Mithilfe von Manfred „Ziggy“ Bielohlawek und Mike „Delta“ Pomp der Fassadengestaltung. Louisiana Red am 29.09.07 Fassadengestaltung von Helge „Bomber“ Steinmann Nun kann man den Jazzkeller auch aus den vorbeifahrenden S-Bahn-Zügen sehen - ein bunter, leuchtender Fleck zwi schen wildem Grün am Bahnhof. Albert Mangelsdorff Harth, Oberg, Pupillo, Ritter am 26.08.2007 Proschaska - Klangwelten am 7.11.2004 staunendes Publikum 2000 Th. Berlage, Kath. Roth, R. Dillmann, H. Wagner, W. „Walde“ Detemple, Th.Kuzay Savannah Auger am 20.03.2005 Jon Hammond am 14.04.2000 Joo Kraus Basic Jazz Lounge „Quintett“ am 8.12.2006 Hofheim/Presse Außerhalb des „Keller“-Horizontes Die erste Generation der Jazzfreunde besteht überwiegend aus Musikern, aber die darauf folgende interessiert sich mehr für einen Ort, der Kommunikation fördert, an dem das Bier bezahlbar ist und man sich nicht schreiend verständigen muss - außerhalb der Kneipenszene und Discobeschallung. Die Räumlichkeiten im „Keller“ sind nicht gerade ideal für die Etablierung eines Kulturbetriebs, und wer glaubt, dass es im Jazzkeller nur Jazz gab, der irrt gewaltig - es läuft auch Rockmusik - all’ das, was man unter guter Musik versteht. Im Laufe der Jahre entstehen in den dunklen Kellerräumen Ideen für viele Vereine. Sie sollen allerdings abseits der spießbürgerlichen Vereinskultur stehen und die alternative und revolutionäre Lebensweise des „Kellers“ zum Ausdruck bringen. Der älteste Verein, der 1974 gegründet wurde, ist der „Rote Stern Hofheim“. In erster Linie bietet er Fußball, danach Tischtennis und schließlich gibt es noch eine Laufabteilung. Dass sein Name keinen Anstoß erregte, verdankt er u.a. der Unachtsamkeit eines Sachbearbeiters des Hessischen Fußballverbandes (HFV), der bei der Namensgebung den Bezug zur „Sowjet-Zone“, dem verhassten kommunistischen Nachbarn, nicht erkennt. Auch die Konkurrenz vom „Roten Stern“, zumindest was den Fußball angeht, nämlich die „Moskitos Hofheim“, haben den Jazzkeller als Keimzelle. 1981 grünDie standhaften Fans vom „Roten Stern“ Sportplatz Zeilsheimer Straße 1975 den sich die „Moskitos“ und damit sie auch im HFV spielen dürfen, entscheidet der Sachbearbeiter diesmal, dass sie sich einen neutralen Namen zulegen müssen, der ein „SV“ beinhaltet. Der korrekte Name des Vereins lautet somit „SV Moskito Hofheim“. Zu den ersten Heimspielen, jeweils am Sonntagnachmittag, kommen 50 bis 150 Leute. Ist der „Stern“ meist die erfolgreichere Mannschaft, so sind die „Moskos“ immer eindeutig die Alternativeren und schon zu Zeiten, da es noch kein Modewort war, ein „Multikulti-Verein“. „Kille Kille“ 1990 Was den Jazzkeller seit dem Umzug in den Güterschuppen auszeichnet, ist seine Vielfalt und sein breites Angebot an Veranstaltungen, das von Konzerten über Fußballabende, Comedy, Filmabende und Dichterlesungen bis hin zu Kinderfesten reicht. Große Tradition im „Keller“ haben die alljährlichen Weihnachtsfeiern und die Faschingsveranstaltung „Kille Kille“. Auch auf musikalischer Ebene kann man von Chansons über „Klezmers Techter“, Rock/Pop, Hiphop, House bis Avantgarde alles mitbekommen. Ein anderes Angebot ist die monatliche „Keller-Connection“, eine offene Bühne für potentielle Musiker. Auch als Plattform für offizielle Veranstaltungen - wie den „Kulturdialog“ der Stadt Hofheim - ist der Keller nun geeignet. „Kille Kille“ 1974 Auf dieser Basis können noch viele Feste im Jazzkeller gefeiert werden. 15 Jahre „Roter Stern“, HZ 29.5.90 Die standhaften Fans vom „Roten Stern“ gegen AS Crevic Sportplatz Heide 1977 Moskitos Raule Cup, 1982 Fußballmannschaft des Jazzkellers in der Türkei Spiel gegen Cirali, 1993 Im Schwarzwald 1992