Medien - Adveniat

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Medien - Adveniat
Foto: Martin Steffen
Bausteine
Für Schule und
Jugendarbeit
Adveniat-Aktion 2009
Armut – Ausgrenzung am Beispiel Haitis
und Deutschlands
Unterrichtsreihe für die Klassen 10 - 12
Die vorliegende Unterrichtsreihe „Armut – Ausgrenzung am Beispiel Haitis
und Deutschlands“ gliedert sich in vier Unterrichtseinheiten:
1.eine Annäherung an den „Armutsbegriff“ in seiner gesellschaftlichen
Dimension und Bedeutung sowie der persönlichen Assoziationen jedes
Einzelnen;
2.die Darstellung der faktischen Armutssituation in Haiti und Deutschland
sowie der Betrachtung exemplarischer Lebensschicksale (Zahlen, Daten,
Fakten, Fallstudien)
3.die spezifische Auseinandersetzung mit der Gegenwart und den Zukunftsaussichten von Armut betroffener Kinder und Jugendlicher in beiden Ländern unter besonderer Berücksichtigung der Relation zwischen
Armut und Bildungschancen sowie
Bei der Konzeption wurde bewusst auf eine vorgegebene Einteilung in
einzelne Unterrichtsschritte verzichtet. Vielmehr bietet die Reihe mit ihren
vier Unterrichtseinheiten flexible Module, die durch unterschiedliche Präsentations2- und Arbeitsformen3 zeitlich und inhaltlich individuell gestaltet
und eingesetzt werden können. So ist es z. B. möglich, die im Anhang
angebotenen Medien zusammenfassend im Lehrervortrag oder nach
einer intensiven Gruppen- oder Partnerarbeitsphase als Schülerreferat zu
präsentieren. Auf diese Weise kann der Unterrichtende das Material der
ihm zur Verfügung stehenden Unterrichtszeit didaktisch und methodisch
anpassen und bezogen auf die jeweiligen Unterrichtsziele eigene inhaltliche Schwerpunkte setzen.
Zu den jeweiligen Medien werden übergreifende Fragestellungen angeboten, die auf die verschiedenen Arbeitsformen übertragen werden können.
4.die praktische Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse in
allgemeine Handlungsoptionen sowie konkrete Projekte.1
1
Interessante Anregungen bietet auch „Armut – hier und weltweit“
(Themenblätter im Unterricht/Nr. 77), herausgegeben von der Bundeszentrale
für politische Bildung, April 2009.
2
3
LV = Lehrervortrag; SV = Schülervortrag.
KU = Klassenunterricht; PA = Partnerarbeit; GA= Gruppenarbeit; EA= Einzelarbeit.
1. UNTERRICHTSEINHEIT
„Armut“ – mehr als ein Wort
Persönliche und gesellschaftliche Assoziationen
sowie allgemeine Begriffsdefinition
Annäherung an den Begriff „Armut“, seine
Verwendung und Bewertung im Alltag
Allgemeine Definition des Begriffs „Armut“ und dessen
Differenzierungen
> S ammlung (KU/PA/GA) und Auswertung von im Zusammenhang mit
den Begriffen „arm“ und „Armut“ in der Alltagssprache (auch ruhig
„Umgangssprache“, „Graffitis“ etc.) benutzten Ausdrücken und
Darstellungen an der Tafel bzw. auf einer Folie oder einem Plakat
(KU/PA/GA)
> Stellungnahme (EA/PA/GA) oder stilles Schreibgespräch (PA/GA)
zu unterschiedlichen Zitaten zum Begriff „Armut“ (M 1) und
deren Auswertung (KU)
> Satzergänzung „Armut bedeutet für mich ...“ (KU/EA) und deren
Auswertung (KU)
> Umfrage speziell bei älteren Menschen der Kriegsgeneration über
Assoziationen zum Begriff „Armut“ (EA/PA), deren Präsentation
(KU/EA/PA) und Auswertung (EA/PA)
> P räsentation und Behandlung einer Definition des Begriffs „Armut“
(M 2) (LV/SV/KU)
> Darstellung der unterschiedlichen Differenzierungen des „Armutsbegriffs“
(M 3) (LV/SV) und deren Erläuterung durch Alltagsbeispiele (KU)
Fragestellungen:
> Welche Bedeutung hat der Begriff „Armut“ in unserer Sprache?
> In welchen Zusammenhängen verwenden wir ihn?
> Wie wird der Begriff „Armut“ bewertet?
> Welche Assoziationen ruft der Begriff „Armut“ bei uns hervor?
> Auf welche (Lebens-)Bereiche bezieht sich der Begriff
„Armut“/ „arm“?
> Wo erleben wir Armut?
> Welche unterschiedlichen Maßstäbe für „Armut“ gibt es bei
uns bzw. zwischen den Generationen?
ADVENIAT-AKTION 2009
Fragestellungen:
> Was bedeutet Armut?
> Welche Formen der Armut gibt es?
> Wie äußern sich diese Formen der Armut im gesellschaftlichen Alltag?
> Wen betreffen diese Formen der Armut?
> Wo erleben wir Armut/arme Menschen in unserem eigenen Umfeld?
> Wie reagieren wir auf diese Armut?
> Warum reagieren wir in dieser Form?
> Mit welchen Assoziationen/Vorurteilen ist Armut verbunden?
Kreativer Umgang mit dem Thema „Armut“
> R ollenspiel, Collage, Interview bei Freunden, auf dem Schulhof oder
auf der Straße (Beispiele M 4) (PA/GA/EA)
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 2
2. UNTERRICHTSEINHEIT
„Armut“ – mehr als Zahlen und Daten
Armutswirklichkeit in Haiti und Deutschland
Vermittlung allgemeiner Kenntnisse über Haiti
und Deutschland
Erarbeitung konkreter Fakten und Beispiele zur
Armutssituation in Haiti und Deutschland
> K urzreferat zur Situation Haitis (M 5 und M 6) (LV/SV)
> Internetrecherche bzw. Kurzreferat über Situation in Deutschland
(LV/PA/GA/SV)4
> Vergleich zwischen der Situation Haitis und Deutschlands (KU)
> T extanalyse M 7 - M 9 (LV/KU)
> Auswertung der Statistiken (M 10) sowie der Übersicht „Lebenslage
und extreme Armut“ (M 11) und ergänzende Textlektüre M 12 (LV/KU)5
> Besuch einer örtlichen „Tafel“6, „Suppenküche“ oder „Kleiderkammer“7
und Gespräch mit Mitarbeitern und evtl. Besuchern (GA/KU)
> Gespräch mit Mitarbeitern von Beratungsstellen, z. B. Schuldner­
beratung, ARGE
> Vergleich eigener monatlicher Einnahmen und Ausgaben sowie evtl.
der Einnahmen und Ausgaben der eigenen Familie mit der finanziellen
Situation eines Hartz-IV-Empfängers (M 13) (LV/KU)8
> Vorstellung und Auswertung exemplarischer Armutssituationen9 (LV/KU)
> Vergleich des eigenen Tagesablaufs mit dem fiktiven eines Obdachlosen
(M 14)
> Erstellen eines „Teufelskreises der Armut“ (mögliches Tafelbild M 15)
Fragestellungen:
> Wie unterscheiden sich Haiti und Deutschland bezüglich ihrer
politischen und wirtschaftlichen Situation?
> Welche Ähnlichkeiten zwischen beiden Ländern sind festzustellen?
Fragestellungen:
> Was bedeutet Armut/Armsein in Haiti und Deutschland?
> Welche Gruppen sind in beiden Ländern besonders von Armut betroffen?
> Wie hat sich die Situation der Armen in beiden Ländern im Laufe
der letzten zehn Jahre verändert?
> Welche Unterschiede bzw. Ähnlichkeiten zwischen beiden Ländern gibt es bezüglich der Armutssituation?
> Welche Veränderungen bewirkt Armut im Leben der Betroffenen
in Haiti und Deutschland?
> Welche Folgen hat Armut für die Zukunft des Einzelnen?
Weitere Informationen hierzu z. B. unter www.deutschland.de; www.magazine-deutschland.de.
Umfassende Daten liefert der 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2008, herunterzuladen unter www.bmas.de/coremedia/generator/26742/property=pdf/
dritter__armuts__und__reichtumsbericht.pdf ; auf die lokale Situation bezogene Informationen finden sich auch unter www.armutsatlas.de.
6
Informationen über „Tafeln vor Ort“ unter www.tafel.de.
7
Informationen über „Kleiderkammern vor Ort“ z. B. unter www.caritas-essen.de; www.drk.de/hilfen_in_notlagen/kleiderkammer.htm.
8
Interessante Informationen bietet auch das Projekt „7 Wochen leben mit Hartz IV“ der Diakonie unter www.leben-mit-hartz-iv.de
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Konkrete Beispiele sind u.a. zu finden in Th. Wagner, Draußen – Leben mit Hartz IV. Eine Herausforderung für die Kirche und ihre Caritas, Freiburg 2008.
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ADVENIAT-AKTION 2009
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3. UNTERRICHTSEINHEIT
„Armut“ – mehr als gegenwärtig
Lebenssituation und Zukunftschancen von
Armut betroffener Kinder und Jugendlicher
Behandlung der allgemeinen Situation von Armut
betroffener Kinder und Jugendlicher in Haiti
und Deutschland
> P räsentation der Definition des Begriffs „Kinderarmut“ (M 16)
(LV/SV/KU)
> Textanalyse zur Kinderarmut in Haiti M 17 – M 18 (GA/KU)
> Analyse des „Kinderreports“ (M 19) (LV/SV/KU)
> Stilles Schreibgespräch zum Thema „Was würde sich in meinem
Leben durch Armut ändern?“ (PA)
> Karteikartenabfrage „Wodurch kann ich selbst arm werden/in Armut
geraten?“ (EA) mit anschließender Auswertung im Plenum (KU)
Fragestellungen:
> Wie wirkt sich Armut auf die aktuelle Situation von Kindern und
Jugendlichen in Haiti und Deutschland aus?
> Welche Folgen hat Armut für deren Zukunft und ihre späteren
eigenen Familien?
> Worin unterscheidet bzw. ähnelt sich die Situation armer Kinder
und Jugendlicher in Haiti und Deutschland?
> Wie würde sich Armut auf unser eigenes Leben jetzt und in Zukunft
auswirken?
> Auf welche Dinge müssten wir konkret im Alltag verzichten?
> Welche Gefühle löst diese Vorstellung in uns aus?
> Wovor hätten wir Angst?
ADVENIAT-AKTION 2009
Erörterung des Zusammenhangs zwischen Armut
und Bildungschancen
> S chülerreferate zu
a)„Die Bedeutung der Bildung für das Individuum und die
Gesellschaft“ (M 20) (EA)
b)„Das Recht auf Bildung“ (M 21) (EA) mit anschließender
Diskussion im Plenum (KU)
> Textanalyse zur Bildungssituation benachteiligter Kinder in Haiti (M 22)
und Deutschland (M 23) (GA/KU)
> Kreative Bildgestaltung zum Thema „Plötzlich arm – und was wird aus
mir/meinen Träumen/Plänen?“ (EA) mit anschließender Präsentation im
Plenum (KU)
Fragestellungen:
> Welche Bedeutung hat Bildung für den Einzelnen und die Gesellschaft?
> Warum gibt es ein Recht auf Bildung?
> Wie beeinflussen mangelnde Bildungschancen Gegenwart und Zukunft
armer Kinder und Jugendlicher in Haiti und Deutschland?
> Welchen Einfluss haben diese Entwicklungen mittel- und langfristig auf
die jeweiligen Gesellschaften?
> In welcher Weise würde plötzliche Armut unsere eigenen Zukunftspläne
und -träume verändern?
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4. UNTERRICHTSEINHEIT
„Armut“ – mehr als ein Problem
der anderen Handlungsoptionen
und Projektvorschläge
Erarbeitung und Formulierung von
Handlungsoptionen
> T extanalyse „Die Option für die Armen“ (M 24) (LV/KU)
> Rollenspiel als Podiumsdiskussion (KU):
Thema: „Kinderarmut – ein globales Problem – Situation
und Handlungsmöglichkeiten“
Mögliche Teilnehmer:
1. Kirchenvertreter (Basisinformationen: M 25)
2. Adveniat-Mitarbeiterin
3. Haiti-Korrespondentin
4. Organisator einer lokalen Kindertafel/Kleiderkammer
5. Lokalpolitiker/Bundestagsabgeordneter
6. Alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin mit 3 Kindern
Fragestellungen:
> Welche Möglichkeiten der globalen und lokalen Bekämpfung der
Armut haben wir?
> Ist die Vorstellung von der „vorrangigen Option für die Armen“ aus der
lateinamerikanischen Theologie auf Deutschland / Europa übertragbar?
> Welche Grenzen gibt es dabei?
> Welche Gesichtspunkte müssen wir beachten?
Entwicklung und Umsetzung eigener
Initiativen
> Mitarbeit
bei Tafel, in Kleiderkammern, Hausaufgabenbetreuung
> Unterstützung spezieller Adveniat-Projekte zur Ausbildung
von Kindern
> E ntwicklung von Werbeslogans zum Thema „Armut / Kinderarmut / Bildungsungerechtigkeit“ (PA/GA)
> Gestaltung von Plakaten, Zeitungsanzeigen, Radiofeatures und
Fernsehspots zum Thema „Armut / Kinderarmut“ (PA/GA/KU)
> „Was ist dein Kreuz?“ – Gestaltung eines eigenen Kreuzes in
Anlehnung an das haitianische Kreuz (M 26)
> Verkauf von lateinamerikanischen Speisen, wie zum Beispiel dem
Sirup-Kuchen (M 27)
Impressum
Herausgeber:
Bischöfliche Aktion Adveniat
Gildehofstraße 2
45127 Essen
Tel.. 0201 1756-0
Fax: 0201 1756- 111
E-Mail: info@adveniat.de
www.adveniat.de
ADVENIAT-AKTION 2009
Redaktion:
Stefanei Hoppe (verantwortlich)
Dr. Christiane Schmidt
Gestaltung:
buntebrause agentur (Köln)
im August 2009
Mitarbeit:
Hans-Ulrich Dillmann,
Regina Högner, Michael Huhn,
Elisabeth Jeglitzka, Hannah
Lepping, Alexandra Steffens
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Medien
M1 – Zitate und Sprichwörter
„Arme Leute um etwas zu bitten ist leichter als Reiche.“
Anton Tschechow, russischer Schriftsteller (1860-1904)
„Armut ist die größte Plage, Reichtum ist das höchste Gut.“
Johann Wolfgang von Goethe, deutscher Dichter (1749-1832)
„Dem Armen ist nicht mehr gegeben als gute Hoffnung, übles Leben.“
Freidank, mittelhochdeutscher Dichter (um 1200 - um 1240)
„Armut schändet nicht, aber sie drückt.“
Arabisches Sprichwort
„Der Reiche tut Unrecht und prahlt noch damit, der Arme leidet Unrecht und muss um Gnade bitten.“
Jesus Sirach 13,3
„Armut ist wie ein Löwe - kämpfst du nicht, wirst du gefressen.“
Sprichwort der Haya
„Reichtum protzt, Armut duckt sich.“
Deutsches Sprichwort
„Nur wer in Armut, im Unglück, in der Schande lebt, ist vor Neid sicher.“
August Lämmle, deutscher Schriftsteller (1876-1962)
Haitianische Sprichwörter:
„Ein leerer Sack kann nicht stehen.“
„Der Stein im Wasser kennt den Schmerz jenes Steines nicht, der in brütender Sonne liegt.“
„Die Not bringt den Esel zum Laufen, schneller als ein Pferd.“
„Nach dem Tanz ist die Trommel schwer.“
„In eine Kirche geht man, um Gott anzubeten; in einen Vodoutempel geht man, um selber ein Gott zu werden!“
„Hinter den Bergen sind noch mehr Berge.“
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Medien
M2 – Armut
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Armut
Mehr als eine Milliarde Menschen auf der Erde leben am Rande des Existenzminimums, rund 30.000 Menschen sterben täglich an Ursachen von
Armut und Hunger. Doch wie wird Armut eigentlich genau definiert?
Armut steht primär für den Mangel an lebenswichtigen Gütern; arm ist
also der, der sich Essen, Obdach und Kleidung nicht leisten kann. Armut
entsteht, wenn die Chancen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen,
ungleich verteilt sind. In den Entwicklungsländern ist das am häufigsten
der Fall, jedoch breitet sie sich in Wohlstandsgesellschaften ebenfalls
zunehmend aus. Dort wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer
größer. Im Wesentlichen unterscheidet man zwischen vier Arten von Armut,
wobei die beiden ersten am bekanntesten sind. In absoluter Armut leben
die Menschen, die ein Einkommens- und Ausgabenniveau haben, bei dem
sie sich die erforderliche Ernährung und lebenswichtigen Bedarfsartikel
des täglichen Lebens nicht mehr leisten können, da sie täglich weniger
als 1 US-Dollar zur Verfügung haben. Weltweit zählen dazu 1,2 Milliarden
Menschen. Die relative Armut ist ein Merkmal von Wohlstandsgesellschaften und betrifft dort die „Unterschicht“. Hierzu zählen die Menschen,
deren Einkommen deutlich unter dem Durchschnitt aller Einkommen eines
Staates liegt. Die gefühlte Armut ist eine subjektive Form von Armut. Denn
es gibt viele Menschen, die sich aufgrund ihrer allgemeinen gesellschaftlichen Ausgrenzung oder Diskriminierung als „arm“ betrachten und in
ständiger Angst vor Armut und einer immer schwierigeren wirtschaftlichen
Lage leben. Bei den nun folgenden Ausführungen zur Armut wird eine
vierte Form vernachlässigt: die freiwillige Armut. Es gibt nämlich einige Menschen, die aufgrund ihrer Religion geloben, in Armut zu leben.
Ordensleute der römisch-katholischen Kirche zum Beispiel legen ein
Armutsgelübde ab, mit dem sie versprechen, auf persönliches Einkommen
und eigenes Vermögen zu verzichten.
Doch der Weg zu einer Welt ohne Armut scheint noch sehr lang. Viele Kinder wachsen in Armut auf und haben ein Leben lang Schwierigkeiten, aus
dem Teufelskreis auszubrechen. 150 Millionen Kinder unter fünf Jahren
haben nicht genug zu essen, 30 Millionen Kinder werden als Kindersklaven oder Prostituierte ausgebeutet, rund 400 Millionen Kinder müssen
ohne sauberes Wasser leben. Da mehr als 120 Millionen Kinder nicht zur
Schule gehen, haben sie auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen. Wer keinen
Beruf und kein Einkommen hat, kann sich keine Wohnung leisten, und wer
obdachlos ist, bekommt keinen Job. Es ist sehr schwer, sich aus diesem
Teufelskreis zu befreien. In Deutschland sind 2,5 Millionen Kinder und 3
Millionen Rentner von Armut bedroht.
Folgen großer Armut sind nicht „nur“ Unterernährung, sondern auch
ein wenig ausgeprägtes Selbstwertgefühl, erhöhte Kriminalität, Umweltzerstörung und emotionale Armut. Arme Menschen verfügen nicht über
genügend Geld, um ein Bewusstsein für globale Probleme zu entwickeln.
Angegeben wird die Armut oft in einer Armutsquote. Das ist der prozentuale Anteil der Personen an der gesamten Bevölkerung einer Volkswirtschaft, die mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze auskommen
müssen. 2008 war in der Bundesrepublik jeder achte von Armut bedroht,
also 13 %. Nach der EU-Definition mussten sie monatlich mit weniger als
781 Euro auskommen. Zur Unterstützung gibt es hier vom Staat seit 2005
Hartz-IV, wovon rund 40 % der alleinerziehenden Mütter mit 2,5 Millionen
Kindern leben.
Es gibt viele verschiedene Theorien für die Entstehung der Armut in der
Welt. Die globale Bevölkerungs-Explosion steht dabei an vorderster
Stelle. Eine gerechte Verteilung der Güter wird in den wenigsten Kulturen
verwirklicht. Andere führen eine hohe Arbeitslosigkeit aufgrund großer
Bildungsdefizite an, wieder andere sehen Armut nur als eine Entwicklungsstufe einer jeden Gesellschaft, die jedoch überwunden wird in einer
klassenlosen Gesellschaft ohne Ausbeutung der Armen.
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Medien
M2 – Armut
10
Jedoch ist die Armut in Lateinamerika noch immer größer und elender
als in Deutschland, denn hier unterstützt das Sozialamt sie täglich mit 10
Euro, und soziale städtische, häufig aber auch kirchliche oder ehrenamtliche Dienste stellen „nicht Sesshaften“ in größeren Städten eine vorübergehende Unterkunft zur Verfügung und bieten warme Mahlzeiten an.
Auch wenn der reichste Mensch der Welt aus Mexiko stammt, leben immer
noch fast 4,5 Millionen Menschen dort in absoluter Armut und haben
weniger als 1 US-Dollar pro Tag für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung.
Die meisten von ihnen wohnen in den Slums der Großstädte oder fernab
der Zivilisation.
Lateinamerika ist das Gebiet mit der zweithöchsten ungleichen Verteilung
des Volkseinkommens. So besitzen die reichsten 10 % der Brasilianer
47 % des Vermögens, während die ärmsten 10% der Brasilianer jedoch
nur 0,7 % ihr Eigen nennen können. Nur südlich der Sahara ist die Kluft
zwischen Armut und Reichtum noch größer. Trotzdem kann Lateinamerika
Erfolge verbuchen: im Jahr 2006 schafften 14 Millionen Menschen den
Sprung über die Armutsschwelle. Außerdem konnten einige Länder die
Armut senken. Argentinien ist dabei der Vorreiter: In den vergangenen 4
Jahren ist die Zahl der Bedürftigen dort um 24,4 Prozentpunkte gesunken,
in Mexiko immerhin um mehr als 5 und in Brasilien um 4,2 Prozentpunkte.
Das hohe Wachstum der Volkswirtschaften und ein Konjunkturaufschwung
durch höhere Preise für Rohstoffe konnten dabei helfen. Denn es sind
neue Arbeitsplätze entstanden und die Staaten haben mehr Geld für
Investitionen in Sozialprogramme zur Verfügung gehabt.
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Insgesamt kann man eine positive Tendenz feststellen. Die Weltbevölkerung hat sich seit 1960 verdoppelt – im Gegensatz zur Zahl der Armen.
Diese ist zwar ebenfalls gestiegen, aber nicht entsprechend dem Bevölkerungswachstum. Heute leben die Menschen in den Entwicklungsländern
rund 20 Jahre länger, es können 75 % der Menschen lesen und schreiben
(1970 nur 40 %) und heute leidet „nur noch“ jeder Sechste an Hunger,
der damals jeden Dritten betraf.
In einem Punkt sind sich Experten jedoch einig: Die Unterstützung kann
den armen Ländern nur bei der oberflächlichen Bekämpfung der Armut
helfen, denn die entscheidenden Schritte müssen die Menschen immer
selbst tun. So sollte das Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ lauten.
Hannah Lepping
uellen: http://de.wikipedia.org/; http://www.planet-wissen.de/; http://www.aktion-gegen-armut.de/; http://www.armut.de/;
Q
http://www.kinderprojekt-arche.de/; https://www.berlinonline.de/ (Letzter Zugriff: 03.06.2009)
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Medien
M3 – Definition von Armut
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Was ist eigentlich Armut?
Welche Arten von Armut gibt es?
Man kann im Wesentlichen sechs Ausprägungen
von Armut unterscheiden:
Absolute Armut
Absolute oder extreme Armut bezeichnet nach Auskunft der Weltbank
eine Armut, die durch ein Einkommens- und Ausgabenniveau von maximal
einem Dollar gekennzeichnet ist. Oft können sich Betroffene eine erforderliche Ernährung und lebenswichtige Bedarfsartikel nicht mehr leisten. Auf
der Welt gibt es 1,2 Milliarden Menschen, die in diese Kategorie fallen.
Indikatoren der absoluten Armut nach der International Development
Association (IDA) sind die folgenden:
–
–
–
–
–
Pro-Kopf-Einkommen (PKE) < 150 US-Dollar/Jahr
Kalorienaufnahme je nach Land < 2.160–2.670/Tag
Durchschnittliche Lebenserwartung < 55 Jahre
Kindersterblichkeit > 33/1.000
Geburtenrate > 25/1.000
Freiwillig gewählte Armut
Manche Menschen fassen Armut als eine Tugend auf und legen wie Franz
von Assisi ein Armutsgelübde ab, so auch die Ordensleute in der römischkatholischen Kirche. Ihr Vorbild ist Jesus von Nazareth. Das neue Leben in
Armut ermöglicht ihnen andere Sichtweisen und einen tieferen Zugang zu
anderen – meist armen – Menschen.
Transitorische Armut
Transitorische (vorübergehende) Armut gleicht sich im Verlauf der Zeit
wieder aus. So wird sie von Menschen durchlebt, die zum Beispiel kurz vor
der Ernte, in einer jungen Ehe oder auch nach Katastrophen leben.
Strukturelle Armut
Die strukturelle Armut dagegen ist nicht zeitweise, sondern dauerhaft,
so wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit in die nächsten Generationen
weitergegeben. Es sind hauptsächlich die Menschen in Elendsvierteln, die
in struktureller Armut leben. Denn wenn eine Person einer gesellschaftlichen Randgruppe angehört, ist es dort schwierig, wieder auszubrechen.
Oft wird hier vom „Teufelskreis der Armut“ gesprochen.
Hannah Lepping
Relative Armut
Von relativer Armut spricht man in Wohlstandsgesellschaften, in denen
es absolute Armut praktisch kaum gibt, wohl aber eine „Unterschicht“
(neuerdings auch Prekariat genannt). Als relativ arm gilt hier derjenige,
dessen Einkommen weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens
eines Staates beträgt.
Gefühlte Armut
Gefühlte oder auch sogenannte sozio-kulturelle Armut lässt sich weniger an konkreten Einkommensgrenzen festmachen. Es ist mehr das
Bewusstsein, das diese Art der Armut konstituiert. Sie betrifft diejenigen,
die sich aufgrund ihrer allgemeinen gesellschaftlichen Ausgrenzung
oder Diskriminierung als „arm“ betrachten oder die Angst vor einer sich
verschlechternden wirtschaftlichen Lage haben und in ständiger Angst vor
Armut leben.
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Quellen: www.armut.de und www.wikipedia.de (Letzter Zugriff: 03.06.2009)
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Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 9
Medien
M4 – Umfrage
Was verbinde ich mit „Armut“?
> „Kein Dach über dem Kopf, Einsamkeit, Hunger, Kälte und Krankheiten“
(Lioba, 28)
> „Für mich gibt es einmal die finanzielle Armut, d.h. man hat weniger
Geld, als man braucht, um seine Grundbedürfnisse zu stillen (Nahrung,
Kleidung, Bücher, Bildung usw.). Dann gibt es aber auch eine soziale
Armut, d.h. man hat keine oder wenige Kontakte zu anderen Menschen.
Keine Freunde oder keine Familie, die einem hilft, wenn man in Not ist.“
(Silke, 42)
> „Wenn ich meine alltäglichen Bedürfnisse (körperlich und seelisch) nicht
erfüllen kann.“ (Rebekka, 20)
> „Kein finanzieller Spielraum, eingeschränkter Zugang zu Mitteln des
täglichen Bedarfs, Chancenlosigkeit.“ (Nikola, 29)
> „Äußere Armut zwingt dazu, nur noch um die Erfüllung der Grundbedürfnisse Nahrung und Unterkunft zu kreisen. Besonders schlimm,
wenn sie Familien mit Kindern trifft: für die Eltern, die ihre Kinder nicht
versorgen können und für die Kinder, die damit großwerden – oder an
Hunger sterben. Es gibt auch innere Armut, Ärmlichkeit – das Gegenteil
von Großzügigkeit und Fülle.“ (Lisa, 49)
> „Sehr wenig Essen - Hunger, zerlumpte Kleidung, kein sauberes Wasser,
kein Strom, Müllberge.“ (Antonia, 19)
> „Kein Geld, wenig Vertrauen, keine soziale und gesellschaftliche
Sicherheit.“ (Gregor, 16)
> „Hunger, Obdachlosigkeit, mangelnde medizinische Versorgung.“
(Maria, 28)
> „Nicht genug zum Essen haben, Kinder mit Hungerbäuchen, heruntergekommene Wohnsiedlungen.“ (Mirjam, 18)
> „Sorge, z. B. beim Einkaufen (reicht das Geld im Portemonnaie?), bei
Verabredungen (s. o.), wenn man eingeladen wird (kann ich etwas
schenken oder besser absagen, Ausreden verwenden? Kann ich mich
angemessen kleiden?), so wird Armut auch zur Peinlichkeit, Unfreiheit,
Unehrlichkeit, sozialen Isolation. Das sind Erfahrungen aus meiner
Kindheit (60er Jahre), in der ich übrigens nie hungern musste, wie es in
der Dritten Welt der Fall ist.“ (Inge, 48)
> „Wenn Eltern nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu ernähren und zu
kleiden. Wenn alte Leute allein gelassen und abgeschoben werden und
sich niemand um sie kümmert.“ (Werner, 75)
> „Soziale und finanzielle Armut (keine Freunde, keine Familie zu haben,
am Existenzminimum oder auch darunter leben müssen), einsam sein,
Menschen, die sozial isoliert leben, Armut gibt es in Deutschland ebenso
wie in Entwicklungsländern - gerade bei Kindern, die nicht genug zum
Leben haben (Essen, Kleidung, keine Ausbildung, keinen Job)“
(Verena, 31)
> „Hauptsächlich so Sachen, wie man auf Bildern aus Afrika o.ä. im
Fernsehen sieht: Keine Behausung, Hunger, kein Wasser, Elend. Mir ist
zwar schon klar, dass es Armut oder die anderen Dinge auch z. B. in
Deutschland gibt, aber irgendwie verbinde ich halt eher solche Sachen
in Afrika damit.“ (Michael, 22)
> „ Zu wenig Geld haben, um sich Lebensmittel und Kleider zu kaufen
und in keinem richtigen Haus zu wohnen. Dass es keine Möglichkeit
gibt, eine Schule zu besuchen und der Schutz vor keinen‚ schlimmen’
Krankheiten nicht gewährleistet ist.“ (Hannah, 17)
> „Kein sauberes Trinkwasser, keine sanitären Anlagen, Hunger.“
(Mirjam, 21)
> „Nicht genügend Ressourcen (sei es Bildung, Geld, Nahrung etc.).“
(Maren, 26)
> „Leiden, Hunger.“ (Julia, 14)
> „ Der Mangel an etwas Lebensnotwendigem, das kann materielle Armut
sein, wie z. B. der Mangel an Lebensmitteln, Hygiene, ausreichend Geld
etc. Es gibt aber auch körperliche/psychische Armut: Mangel an Liebe,
Freundschaft, Geborgenheit, Gesundheit.“ (Johanna, 19)
> „Mangel / Trauer.“ (Jutta, 42)
> „ Sich ums tägliche materielle Überleben sorgen müssen, wie Tausende
in den Ländern der sogenannten Dritten Welt, aber auch zunehmend
mehr Menschen bei uns; andererseits: soziale und emotionale Armut:
Menschen, die keine Freundschaften schließen können, voller Ängste
stecken und dem Leben nicht trauen.“ (Katharina, 60)
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Medien
M4 – Umfrage
Was macht für mich ein reiches, erfülltes Leben aus?
> „ Familie und Freunde, denen ich vertrauen kann, geliebt zu werden und
zu lieben, eine Wohnung/ Haus, das auch Zuhause ist, warm Duschen,
wenn ich mag, satt zu sein.“ (Lioba, 28)
> „ Geborgenheit im Kreise meiner Familie. Gute Freunde, die da sind,
wenn man sie braucht. Aufgaben oder/und einen Beruf, die einen
erfüllen oder bereichern. Gesundheit und Vorfreude auf die Zukunft.“
> „ Wenn ich am Abend, nach getaner Arbeit, auf den Tag zurückblicke
und mit meinem Tagewerk zufrieden bin. Wenn ich dann noch in einer
intakten Familie lebe und ein ausreichendes Einkommen habe, bin
ich mehr als zufrieden. Wenn ich als alter Mensch auf die immer noch
intakte Familie blicke, die sich durch Ehepartner und Enkelkinder vergrößert hat, aber sich immer noch als Gemeinschaft sieht, dann ist das
auch ein großes Glück.“ (Werner, 75)
(Silke, 42)
> „ Wenn ich eine Aufgabe gefunden habe, die mich ausfüllt und wenn
ich Rückhalt bekomme durch meine Freunde und Familie. Auch den
richtigen Partner gefunden zu haben und eine Familie zu gründen
gehören für mich zu einem erfüllten Leben.“ (Rebekka, 20)
> „ Liebe, soziales Miteinander, Beziehungen (fast?) jeder Art, Familie,
Glaube, Gesundheit. Aber auch eine finanzielle Sicherheit gehört heute
unbedingt dazu.“ (Nikola, 29)
> „ Zu leben in Liebe und glücklichen Beziehungen. Das sind die kostbarsten Schätze. Das Wichtigste ist nicht zu kaufen.“ (Lisa, 49)
> „ Viel Abwechslung, viele Möglichkeiten, enge soziale Kontakte (Familie
und Freunde), Freude, Glaube.“ (Antonia, 19)
> „ Gesundheit, (in Würde) alt werden, Kinder und Enkelkinder haben,
soziale und materielle/ finanzielle Sicherheit (Familie und Freunde - ein
sicherer Arbeitsplatz, ein ausreichendes Einkommen), meine Interessen
und Fähigkeiten (aus)leben können und dass man sich einige Wünsche,
Träume und Ziele verwirklichen kann.“ (Verena, 31)
> „ Leben, wie ich es möchte und mir vorstelle. Glücklich sein mit Familie
und Freunden. Etwas zu „schaffen“, sei es bei der Arbeit, oder sozial/
ehrenamtlich oder so. Nichts bereuen. Ein „guter“ Mann/Vater/Mensch
sein, wobei gut wieder schwer zu definieren ist.“ (Michael, 22)
> „ Gesundheit, eine tolle Familie zu haben, tolle Freunde und eine
gesicherte Zukunft.“ (Hannah, 17)
> „ Guter Kontakt zu anderen Menschen; eine sinnvolle Aufgabe haben:
Kontakt zu Kindern.“ (Jutta, 42)
> „Hervorragende Infrastruktur, großes Vertrauen, Wohlstand.“
(Gregor, 16)
Hannah Lepping
> „Gesicherter Lebensunterhalt.“ (Maria, 28)
> „ Freunde, Gesundheit, Gottes Nähe, materiell genug haben, um gut
leben zu können.“ (Mirjam, 21)
> „ Erfüllung meiner Basisbedürfnisse (Essen, Platz zum Schlafen etc.),
Menschen um mich haben, die mich verstehen.“ (Maren, 26)
> „Weite, Vielfalt, Dankbarkeit.“ (Marieluise, 54)
„Sicherheit, Zufriedenheit.“ (Julia, 14)
> „ Immer genug zum Essen im Haus haben, große Häuser mit grüner
Wiese, Freunde, Familie, ohne finanzielle Schwierigkeiten in den Urlaub
fahren zu können.“ (Mirjam, 18)
> „Emotionale Sicherheit, Menschen, auf die ich mich verlassen kann.“
(Inge, 48)
ADVENIAT-AKTION 2009
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 11
Medien
M5 – Haiti (République d‘Haïti)
12
Steckbrief :
>
>
>
>
>
>
auptstadt: Port-au-Prince
H
Staatsform : Republik
Amtssprache : Französisch, Créole (Haiti)
Einwohner : 8.924.553
Währung: 1 Gourde= 100 Centimes
Es ist das drittärmste Land der Welt und das ärmste
Land der westlichen Welt.
Geographie:
> H
öchster Berg: Pic (oder Morne) de la Selle (2.680 m über NN)
liegt fast an der Grenze zur Dominikanischen Republik
> Haiti liegt im Bereich der Wirbelstürme
> Mittelamerika
Religion:
>
>
>
>
8 0 % der Einwohner sind katholisch getauft
15 % der Einwohner sind Protestanten
5 % der Einwohner sind Anhänger anderer Religionen
kleinerer Einwohneranteil sind Adventisten, Methodisten, Anglikaner,
Zeugen Jehovas, Mormonen, und/oder gehören der ursprünglich aus
Afrika stammenden Vodou-Kultur an
Jetzige Situation in Haiti
> H
aiti leidet noch unter den Folgen der Hurrikans von 2008
> Es hat schwere Überschwemmungen, Erdrutsche und große Schäden
an Gebäuden, Brücken und Straßen gegeben.
> Betroffen ist das gesamte Land, insbesondere aber die Region Gonaïves. Eine Normalisierung der Situation ist kurzfristig nicht zu erwarten
> Durch Misswirtschaft und Not sind viele Wälder vernichtet worden
> Die Abholzung hat zu Bodenerosion geführt. Fruchtbares Erdreich
wurde durch den Regen weggeschwemmt. Zurück blieb die kahle Erde.
Wurzeln finden keinen Halt mehr. Die Landschaft verödet
> Haiti leidet unter Wassermangel
Bevölkerung:
>
>
>
>
3 3% der Haitianer leben in der Stadt
die Lebenserwartung liegt bei circa 50 Jahren
2006 waren 57,1% Analphabeten
die Menschen wehren sich seit längerer Zeit gegen die steigenden
Nahrungsmittel-Preise
> es gibt kein Wirtschaftswachstum
> 76,7 % der Bevölkerung leben in Armut
Soziale Lage:
> D
as öffentliche Leben in der Stadt ist von Gewalt und Angst geprägt
> Raubüberfälle und Entführung zur Geldbeschaffung kommen immer
mehr in Mode
> bei Verzögerungen der Lösegeldzahlung werden die Menschen
teilweise grausam ermordet
12
Quellen: u.a. www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/01-Laender/Haiti.html, Munzinger-Archiv
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M5 – Haiti (République d‘Haïti)
Geschichte:
> 1
492: Entdeckung der Insel Hispaniola durch Christoph Kolumbus.
Ausrottung der Urbevölkerung (Arawaken o. Taíno) innerhalb einiger
Jahrzehnte.
> A
b ca. 1675: Wiederbevölkerung mit afrikanischen Sklaven für
Zuckerrohrplantagen.
> 1
697: Aufteilung der Insel. Frankreich bekommt das westliche Drittel
und nennt es Saint-Domingue. Es wird im 18. Jahrhundert die reichste
Kolonie Frankreichs.
> 2
2.08.1791: Sklavenaufstand unter Führung von Toussaint L’Ouverture
und Jean-Jacques Dessalines.
> 1
987: Militärputsch. Die Verfassung wird außer Kraft gesetzt. Das
Militär bildet eine Regierung.
> 1
990: Auf internationalen Druck finden Wahlen statt. Der Hoffnungsträger des bitter verarmten Volkes und frühere Salesianer-Priester, Jean-
Bertrand Aristide, gewinnt die Wahl.
> 1
991: Erneuter Militärputsch durch General Raoul Cédras. Aristide
bildet in Florida eine Exilregierung.
> 1
994: Militärintervention durch die USA. Aristide kehrt unter Jubel der
Bevölkerung zurück.
> 1995: Haiti wird unter den Schutz eines UNO-Mandates gestellt.
> 0
1.01.1804: Unabhängigkeitserklärung unter dem Namen Haiti. Haiti
ist die erste unabhängige Republik von Schwarzen und Mulatten. Die
ehemaligen Großplantagen werden unter der Bevölkerung aufgeteilt.
> 1
806: Tod von Dessalines, Teilung des Landes in mulattischen Süden
und schwarzen Norden.
> 1
820: Wiedervereinigung unter Präsident Boyer. Haiti besetzt den
spanischen Teil der Insel, die spätere Dominikanische Republik.
> 1
822: Haiti schafft im besetzten spanischen Teil der Insel die
Sklaverei ab.
> 1 825: Frankreich erzwingt durch Drohung mit militärischer Intervention
als Gegenleistung für eine Anerkennung Haitis und als Entschädigung
für enteignete Plantagenbesitzer die Zahlung von 90 Millionen Francs
d’Or. Haiti ist das mit Abstand ärmste Land der ganzen karibischen /
mittelamerikanischen Region.
> 1
996: Demokratische Wahlen. Die Partei Aristides gewinnt. Da Aristide
offiziell seit 5 Jahren im Amt ist, übernimmt sein Weggefährte René
Préval das Präsidentenamt, da die haitianische Verfassung eine längere
Amtszeit ausschließt
> 1
997: Das UNO-Schutzmandat läuft aus. Die UNO-Truppen werden
abgezogen.
> 2
000: Parlamentswahlen. Aristide gewinnt mit 90 % und tritt 2001
erneut das Präsidentenamt an.
> 2
004: Gewalttätige Unruhen, unter Beteiligung des Militärs und oppositioneller Gruppen sowie ausländischer Interessengruppen, zwingen
Aristide, das Land zu verlassen und nach Südafrika zu gehen.
> 2
009: Die Verelendung des Landes nimmt weiter zu, viele Haitianer
verlassen das Land in die benachbarte Dominikanische Republik oder in
die USA und Kanada.
> B is 1915-1934: Besetzung durch die USA. Verschiedene Versuche,
das Agrar- und Bildungssystem sowie die Infrastruktur zu reformieren,
scheitern an einer zu geringen Rücksichtnahme auf die haitianische
Kultur und deren Traditionen und Bräuche.
> 1
957: Der ehemalige Landarzt François Duvalier reißt die Macht an
sich. Als „Papa Doc“ errichtet er eine Diktatur, die sich mit Hilfe einer
Truppe aus Schlägern und Mördern, den sogenannten „Tontons Macouts“, grausam an der Macht zu halten weiß.
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M6 – République d’Haïti – Republik Haiti
Grunddaten13
> L age: Westliches Drittel der Karibik-Insel Hispaniola,
Grenze im Osten mit der Dominikanischen Republik
> Größe: 27.750 km² (80 % der Fläche NRWs)
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass nur wenige statistische
Daten zur Demographie Haitis vorliegen. Zudem sind sie oft
veraltet und variieren z.T. erheblich. Die Informationen basieren
meist auf Beobachtungen, Annahmen und Schätzungen.
> H
auptstadt: Port-au-Prince (1.277.000 Einwohner;
Großraum ca. 2,5 Mio. Einwohner)
> B
evölkerung: Ca. 8,9 Mio. (+ ca. 2,5 Mio. im Ausland);
etwa 95 % Schwarze, 5 % Mulatten und Weiße
Ca. 66 % der Bevölkerung leben auf dem Land (zum Vergleich:
77 % der lateinamerikanischen Bevölkerung leben in der Stadt.)
> R
eligionen: 80 % römisch-katholisch (getauft), 15 % protestantisch,
5 % sonstige Religionsgemeinschaften, sehr stark verbreiteter
Vodou-Kult (ca. 75 %)
> B
IP: 4,1 Mrd. US-Dollar (vgl. Deutschland 2004: 2.703 Mrd. US-Dollar)
BIP pro Kopf:739 US-Dollar (vgl. Deutschland 2004: 32.708 US-Dollar)
> S prachen: Kreolisch (gesprochen von ca. 98 %) und Französisch
(verstanden von ca. 10 %, gesprochen von 2 %) als gleichberechtigte
Staatssprachen
13
Quellen:
Auswärtiges Amt – Haiti, Stand Mai 2008
Bundeszentrale für politische Bildung: Globalisierung – Ökonomische Teilhabe, http://www.bpb.de/wissen/6IL140,0,0,%D6konomische_Teilhabe.html,
abgerufen am 27.08.2008
Central Intelligence Agency: The World Factbook, Haiti. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ha.html, abgerufen am 02.09.2008
Munzinger-Archiv: Internationales Handbuch-Länder aktuell – Haiti Politik, 28/06
Bild: Geographic Guide: America Maps – Haiti Map, http://haiti.america-atlas.com/pictures/haiti-map.jpg, abgerufen am 02.09.2008
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Medien
M6 – République d’Haïti – Republik Haiti
Politik14
Medien15
Die Staatsform Haitis ist eine präsidiale Republik nach französischem
Muster. Der Präsident wird für fünf Jahre zum Staatsoberhaupt gewählt.
Seit Mai 2006 hat René Garcia Préval von der Partei Lespwa (Hoffnung)
dieses Amt inne. Die Volksvertretung findet durch die Assemblée Nationale
mit den Kammern Chambre des Députés (für vier Jahre gewählt) und
Sénat (für sechs Jahre gewählt) statt. Zurzeit ist die Konstellation kompliziert. Prévals Regierungspartei musste sich auf eine Koalition einlassen,
da er und seine Partei in der Assemblée Nationale nur über eine relative
Mehrheit der Sitze verfügen. Erst Anfang August 2008 wurde eine weitere,
dreimonatige Phase der Handlungsunfähigkeit überwunden. Nach zwei
gescheiterten Versuchen wurde Prévals Kandidatin Michèle Pierre Louis
zur neuen Premierministerin ernannt. Die Regierung ist seitdem wieder
funktionsfähig.
Die hohe Analphabetenrate und das niedrige Einkommen führten zu einer
geringen Verbreitung gedruckter Medien. Es gibt lediglich zwei Tageszeitungen (Le Nouvelliste, unabhängig und konservativ, 6.000 Exemplare;
Le Matin, unabhängig und liberal, 5.000 Exemplare) auf Französisch. Die
führende kreolische Publikation Journal Liberté erscheint wöchentlich.
Der Hörfunk ist außerordentlich wichtig. Neben dem staatlichen Sender
Radio Nationale d’Haïti gibt es zahlreiche kommerzielle, regionale und
auch katholische Radiostationen. Man findet kaum einen Haushalt ohne
Radiogerät.
Die Gewerkschaften sind sehr klein und fast bedeutungslos.
Korruption ist extrem weit verbreitet. 2006 erklärte Transparency International Haiti zum korruptesten Staat der Welt. Das Justizsystem weist
erhebliche Mängel auf. Viele vergangene und aktuelle kriminelle Akte
blieben oder bleiben unbestraft. Trotz gegensätzlicher Interessen innerhalb
der Koalitionen wird von Préval und seiner Regierung erwartet, dass die
Menschenrechtsverletzungen und die polizeiliche Willkür, die unter der
Präsidentschaft des im Februar 2004 gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand
Aristide herrschten, aufgearbeitet werden. Weitere Punkte auf Prévals
Agenda sind die Bekämpfung der außerstaatlichen Gewalt, d.h. Banden in
den Elendsvierteln von Port-au-Prince und paramilitärische Gruppen, und
die Entwaffnung der Gesellschaft. Programme zur Förderung der Armen
stoßen auf wenig Gegenliebe bei den Reichen, die einen Teil der Regierungskoalition bilden. Hinzu kommt, dass die Gebergruppe USA, Kanada,
Frankreich, Japan, Norwegen sowie der IWF, die Weltbank und die EU ihre
Hilfen an Bedingungen knüpfen, die eher der Handelsförderung als der
Befriedigung der von der Bevölkerung geäußerten Bedürfnisse entsprechen. Prévals Handlungsspielraum ist sehr eng. Er steht unter dem Druck,
gegensätzliche Erwartungen zu erfüllen und schwierige Kompromisse
einzugehen.
Die Verbreitung des Fernsehens ist nur auf Port-au-Prince und wenige
andere Städte beschränkt.
Einrichtungen von Rundfunk und TV wurden in der Vergangenheit bedroht
und z.T. angegriffen und ihre Mitarbeiter ermordet. In der Rangliste zur
Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen (Reporters sans
frontieres - 1985 im südfranzösischen Montpellier von einer Hand voll
Journalisten gegründet) belegte Haiti 2008 Platz 73 von 173.
Der Beruf der Journalisten ist auch nach Ende der Herrschaft des 2004 gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, der rigoros gegen missliebige
Journalisten vorging, gefährlich. Journalisten werden heute nicht unbedingt von der Regierung, sondern von Gegnern des Präsidenten Préval
bedroht. Préval versucht, gegen die Gesetzlosigkeit unter der Bevölkerung
und die Straflosigkeit ehemaliger politischer Verbrecher vorzugehen. Die
große Gefährdung geht von den Gangs in den Slums aus.
Unter diesen Gegebenheiten schreiten die geplanten Reformprozesse nur
sehr schleppend voran.
uellen: BBC News: Haiti tops world corruption table, http://news.bbc.co.uk/2/hi/business/6120522.stm, abgerufen am 26.08.2008
Q
Belgischer Rundfunk Nachrichten: Haitis Senat stimmt neuer Premierministerin zu, http://www.brf.be/nachrichten/shownachricht?id=2630020, abgerufen am 05.09.2008
King, Alexander: Haiti – Schwieriger Neustart im Armenhaus. Haitis Präsident sitzt zwischen vielen Stühlen, Lateinamerika Nachrichten, 2006, (384), S. 47-49
NZZ Online: Neuer Anlauf in Haiti - Parlamentswahlen zwei Jahre nach dem Sturz von Aristide, http://www.nzz.ch/2006/04/22/al/newzzEMBMLO6R-12.html, abgerufen am
27.08.2008; Walelign, Tsigereda: Die Rückkehr des Kolonialismus. Wie die „Internationale Gemeinschaft“ ein Land zerstört. ila, 2007, 303-März, S. 49-55
Zoll, Elisabeth; Seiterich, Thomas: Elend, Zauber und ein Funken Hoffnung, Publik-Forum, 2008, (8), S. 49-55
15
Quellen: Auswärtiges Amt – Haiti, Stand Mai 2008
Reporter ohne Grenzen: Rangliste der Pressefreiheit 2006, http://www.reporter-ohne-grenzen.de/index.php?id=175, abgerufen am 26.08.2008
14
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M6 – République d’Haïti – Republik Haiti
Sicherheit und Kriminalität16
Gesellschaft17
Die Armee wurde 1995 vom damaligen Staatschef Aristide aufgelöst und
durch einen neuen zivilen Polizeiapparat ersetzt. Nachdem Aristide 2004
ins Exil floh, entschied der UN-Sicherheitsrat, UN-Truppen zur Stabilisierung Haitis einzusetzen: die MINUSTAH (Mission des Nations Unies pour la
stabilisation en Haïti). Die MINUSTAH-Soldaten kommen größtenteils aus
lateinamerikanischen Staaten und stehen unter brasilianischem Kommando. Seit August 2008 sind insgesamt 9.040 Uniformierte im Einsatz, davon
7.105 Militärs und 1.935 Polizeibedienstete. Zudem ist ein ziviler Unterstützungsstab vor Ort. Er bemisst sich derzeit auf 474 internationale und
1.166 ortsansässige zivile Mitarbeiter. Die Truppen wurden eingesetzt, weil
es keine demokratisch legitimierte Regierung und somit keinen funktionsfähigen Staat mit Gewaltmonopol gab. Die politische Stabilität Haitis ist in
starkem Maße von der Präsenz der Truppen abhängig.
Das gängige Familienkonzept in Haiti scheint sich mit der wachsenden
Urbanisierung und Landflucht zunehmend weg von der „plaçage“-Familie
zu entwickeln. Die „plaçage“ ist eine gesellschaftlich anerkannte, meist
dauerhafte Form des Zusammenlebens ohne Heirat. Doch häufig lebt der
Mann nur kurzzeitig mit einer Frau zusammen und verlässt sie dann für
eine andere. Die Frauen ziehen in diesen Fällen ihre aus verschiedenen
Beziehungen stammenden Kinder allein auf. Die Fruchtbarkeitsrate liegt
bei ungefähr 4,7 Geburten pro Frau während ihres gesamten Lebens
(total fertility rate). Die Kindersterblichkeit beträgt 6,2 %, sodass Haiti
ein Bevölkerungswachstum von ca. 2,5 % aufweist. Die Altersstruktur
des Landes gleicht einer Pyramide, die Mehrheit der Bevölkerung ist jung.
Die Gesellschaft in Haiti ist sozial stark polarisiert. Mehr als 50 % der
Besitztümer des Landes liegen in den Händen von ca. fünf Prozent der
Bevölkerung. Es gibt eine dünne Mittelschicht, die sich aus Intellektuellen,
Verwaltungsangestellten und den Angehörigen regulärer Berufsgruppen
zusammensetzt. Die Mittelschicht ist wirtschaftlich nicht signifikant, dafür
aber politisch sehr aktiv.
Ein großes Problem der Sicherheitspolitik Haitis ist die massive außerstaatliche Gewalt. Banden und paramilitärische Gruppen verfügen über
ein enormes Waffenpotential (ca. 250.000 unregistrierte Waffen) und
verunsichern ganze Stadtteile und Regionen. Es wird berichtet, dass sich
der Staat aus diesen Gebieten völlig zurückgezogen hat. Aufgabe der UNTruppen ist u.a. die Entwaffnung der Gesellschaft. In den Elendsvierteln
wie der Cité Soleil in Port-au-Prince führen die Blauhelmsoldaten einen
regelrechten Krieg gegen Banden, die sich wiederum untereinander Kriege
um die Vorherrschaft in den Vierteln liefern. Erfolgreich waren die Soldaten
bei ihrer Mission in den Elendsvierteln bisher nicht. Viele Bewohner
erwarteten härtere Eingriffe. Da zusätzlich zur bereits hohen Verbreitung
von Waffen durch die Verfassung garantiert wird, dass jedermann eine
registrierte Waffe tragen darf, ist die Politik in dieser Hinsicht widersprüchlich und hindert sich selbst in ihrer Effektivität.
Arbeitslosigkeit unter der arbeitsfähigen Bevölkerung ist extrem weit
verbreitet. Schätzungsweise zwei Drittel der Bevölkerung finden in der
Schattenwirtschaft Beschäftigung. Das macht die Erfassung von genauen
Daten über die Arbeitslosigkeit sehr schwierig. Eine aktive Arbeitspolitik
kann nur entstehen, wenn Informationen über das Arbeitsverhalten und
die Probleme auf dem Arbeitsmarkt bekannt sind.
Die Verbreitung von AIDS ist bedrohlich für die haitianische Gesellschaft
und ihr Vorankommen. 2003 wurde die Zahl der erwachsenen HIV-Infizierten auf einen Anteil von 5,6 % an der Gesamtbevölkerung geschätzt.
Insgesamt ist die Infektionsrate der Gesamtbevölkerung jedoch von 5,9%
1996 auf 3,1% 2004 stark gesunken. Trotzdem hat Haiti die bei weitem
höchste Infiziertenrate der Karibik.
uellen: Dillmann, Hans-Ulrich: Mit Panzern gegen Kriminelle. In Haiti sorgen bewaffnete Banden weiterhin für Angst und Schrecken unter der Bevölkerung.
Q
Lateinamerika Nachrichten, 2007, (397/398), S. 64-66
UN: Haiti - MINUSTAH - Facts and Figures - Strength, http://www.un.org/Depts/dpko/missions/minustah/facts.html, abgerufen am 29.08.2008
United Nations Security Council: Resolution 1542 (2004), http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N04/332/98/PDF/N0433298.pdf?OpenElement, abgerufen am 29.08.2008
17
Quellen: Central Intelligence Agency: The World Factbook, Field Listing - Unemployment rate. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/fields/2129.html,
abgerufen am 02.09.2008
Central Intelligence Agency: The World Factbook, Haiti. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ha.html, abgerufen am 02.09.2008
Hurbon, Laënnec: Demokratisierung, kulturelle und nationale Identität in Haiti, in: Schreijäck, Thomas (Hg.), Menschwerden im Kulturwandel,
Luzern: Edition Exodus 1999, S. 86-104
Menschwerden im Kulturwandel. Kontexte kultureller Identität als Wegmarken interkultureller Kompetenz. Initiationen und ihre Inkulturationsprozesse, hrsg. v. Th. Schreijäck,
in Kooperation mit S. Heil, Luzern: Edition Exodus 1999, S. 515–526.
16
ADVENIAT-AKTION 2009
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 16
Medien
M6 – République d’Haïti – Republik Haiti
Ein großes Problem der haitianischen Gesellschaft ist die weitgehende Abwesenheit kollektiver Werte. Viele Haitianer haben die Hoffnung aufgegeben, dass die Politik die Lage des Landes bessern könne. So gaben in einer
Meinungsumfrage 90 % an, „dass sich am Horizont kein gemeinsames
Entwicklungsprojekt abzeichnet.“18 Vodou und die kreolische Sprache sind
zwar Stifter einer kulturellen Identität, beide werden aber als unprestigeträchtige Merkmale der Unterschicht angesehen. Der Globalisierungsprozess löst, wie oft in Entwicklungsländern, bei vielen Gefühle der Bedrohung durch eine „Weltkultur“ und Hilflosigkeit aus. In der Behauptung
der haitianischen kulturellen Identität kann es geschehen, dass universelle
Werte wie Menschenrechte und Demokratie als ein Produkt der kolonialistischen westlichen Kultur betrachtet werden und nicht als Lösungsansatz
auch für das eigene Elend.
Migration19
Armut und Perspektivlosigkeit führen zahlreiche Haitianer ins Ausland.
Etwa 700.000 Haitianer leben heute als Landlose in der Dominikanischen
Republik. Meist arbeiten sie als Zuckerrohrschneider, Bananenpflücker,
Hilfs- und Bauarbeiter. Viele von ihnen sind schon seit Jahren, gar Jahrzehnten dort. Die Staatsangehörigkeit des Nachbarstaates und politische
Rechte bleiben ihnen und ihren Kindern jedoch verweigert. Die illegalen
Migranten leben oft unter ständiger Angst vor Deportation und arbeiten
unter menschenunwürdigen Bedingungen, die zum Teil an Sklavereizustände erinnern.
In den USA leben ca. 420.000 Haitianer, von denen viele die besonderen
Hürden im Einbürgerungsprozess erfahren. Einige ihrer Schicksalsgefährten wurden in der Vergangenheit zurückgewiesen bzw. durften das Land
nie betreten. Auch die Bahamas, Kuba, Jamaika und die Dominikanische
Republik werden als Zufluchtsorte wahrgenommen.
Kirche20 und Religion
Der Anteil der Katholiken an der haitianischen Bevölkerung wird auf ca. 80
% geschätzt. Zwei Erzbistümer (Cap-Haïtien und Port-au-Prince) und acht
Bistümer (Anse-à-Veau et Miragoâne, Fort-Liberté, Hinche, Jacmel, Jérémie,
Les Cayes, Les Gonaïves und Port-de-Paix) standen 2007 insgesamt 338
Pfarreien vor. Diese Pfarreien wurden von 791 Priestern geistlich betreut,
davon waren 306 Ordens- und 485 weltliche Priester. Das bedeutet: im
Durchschnitt war ein Priester verantwortlich für die Seelsorge an 8.900
Katholiken. Eine durchschnittliche Pfarrei hatte 2007 25.900 Gemeindemitglieder.
421 Seminaristen bereiteten sich 2007 auf die Priesterweihe vor. In ganz
Haiti gab es 5 Ständige Diakone. Neben den Priestern und Diakonen
arbeiteten zudem 2.183 Ordensleute (1.851 Ordensfrauen und 332 Ordensbrüder) in Haiti. 4.890 Katecheten und Laienmissionare unterstützten
sie in ihrer Arbeit.
Unter den Katholiken ist Vodou allgemein verbreitet und wird auch von
einzelnen katholischen Amtsträgern respektiert. Während der DuvalierDiktatur (s.u.) zählten die Vodou-Priester zu den Hauptstützen des
Regimes. Der Einfluss von Vodou kann zu kriminellen Taten führen, z. B.
zu Hexenverbrennungen. Angeklagte haben oft kein Schuldbewusstsein,
da sie angeben, nicht aus eigenem Willen gehandelt zu haben. Das führt
dazu, dass Gesetzesgeltung und Strafverfolgung für die große Mehrheit
der Bevölkerung in Extremfällen für ihr Handeln nicht ausschlaggebend
sind.
Mindestens 15 % der haitianischen Bevölkerung sind Protestanten.
Pfingstkirchen finden verstärkten Zulauf. Diese Sekten bekämpfen den
Vodou-Kult21.
Einige der gut ausgebildeten Haitianer fanden und finden Arbeitsplätze
in Frankreich und im französischsprachigen Kanada. Dort bildeten sich
haitianische Gemeinschaften heraus.
urbon 1999: Demokratisierung, kulturelle und nationale Identität in Haiti, S. 92
H
Quellen: Newland, Kathleen; Grieco, Elizabeth: Spotlight on Haitians in the United States. http://www.migrationinformation.org/Usfocus/display.cfm?ID=214#1, abgerufen am
29.08.2008
Olmedo, Ildefonso: Sklaven im Paradies. Haitianische Zuckerrohrschneider, ila, 2003 (266-Juni), S. 23-25
20
Annuarium Statistum Ecclesiae, 2007 (veröffentlicht im Jahre 2009)
21
Constant, Hubert: Sorgen und Hoffnungen in der Kirche, Vortrag von Hubert Constant, Erzbischof von Cap-Haïtien. Weltkirche, 2004, (10), S. 253-256
18
19
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Medien
M6 – République d’Haïti – Republik Haiti
Geschichte22
1492 gelangte Christoph Columbus als erster Europäer zu den von ihren
Einwohnern, den Arawak-Indianern „Ayiti“, d.h. „hohe Berge“, genannte
Insel. Die spanischen Siedler rotteten die Ureinwohner innerhalb von 25
Jahren aus. Im frühen 17. Jahrhundert begannen Franzosen, sich auf der
Insel anzusiedeln. 1697 überließen die Spanier den französischen Kolonialherren das westliche Drittel der Insel. Seitdem ist Hispaniola, wie die Insel
von den Spaniern genannt wurde, in die heute noch spanischsprachige
Dominikanische Republik und das kreolischsprachige Haiti geteilt.
Durch ihren rücksichtslosen Handel mit afrikanischen Sklaven wurde
die französische Kolonie bald eine der wohlhabendsten der Karibik. Der
Hauptverdienst war die Zuckerproduktion. 1791 erhoben sich die 500.000
Sklaven unter der Führung von Toussaint L’Ouverture gegen ihre französischen Herren. 1804 konnten sie schließlich die erste unabhängige
Schwarze Republik ausrufen.
Die Gewalt endete nicht mit den blutigen Schlachten um die Unabhängigkeit: 41 gewaltsame Machtwechsel musste das Land bisher verzeichnen.
Der gefürchtetste Gewaltherrscher Haitis in jüngerer Zeit war François
Duvalier („Papa Doc“), dem sein Sohn Jean-Claude („Baby Doc“) folgte.
1986 wurde er gestürzt. Es folgten mehrere Militärjuntas, bis 1990 bei
den ersten demokratischen Wahlen der ehemalige Priester Jean-Bertrand
Aristide mit 90 % der Stimmen und geradezu messianischen Erwartungen
zum Präsidenten gewählt wurde. Auch Aristide wurde nach acht Monaten
vom Militär gestürzt und ging in die USA ins Exil. 1994 hievte die USRegierung Aristide wieder ins Amt. Bald zeigte sich, dass er nicht daran
dachte, die Hoffnungen seines Volkes zu erfüllen, sondern dass es ihm
um den Machterhalt mit allen Mitteln ging (Wahlfälschung, Ermordung
von Gegnern). Bei den Präsidentschaftswahlen vor vier Jahren waren das
nur zwei der vielen Vorwürfe, mit denen die Opposition den Präsidenten
konfrontierte. Der Widerstand wuchs. Am 29. Februar 2004 musste
Aristide fliehen und ging nach Südafrika ins Exil. Nach zwei Jahren einer
schwachen Übergangsregierung wurde René Garcia Préval 2006 zum
Präsidenten gewählt.
Elisabeth Jeglitzka und Michael Huhn
22
Quelle:
Dw-world.de Deutsche Welle: Haiti: Geschichte der Gewalt. http://www.dw-world.de/dw/article/0,1454,1122405,00.html, abgerufen am 29.08.2008
Online-FocusChronologie: Haiti unter Präsident Aristide.http://www.focus.de/politik/ausland/chronologie_aid_80118.html, abgerufen am 27.08.2008
ADVENIAT-AKTION 2009
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Medien
M7 – République d’Haïti – Republik Haiti
Wirtschaft und Entwicklung23
Haiti ist das ärmste Land Amerikas. Der Human Development Index (HDI)24,
der jedes Jahr vom UNDP (United Nations Development Programme)
errechnet wird, setzte Haiti 2007 auf Rang 146 von 177, wobei Rang 1
das am meisten entwickelte Land ist. Der Entwicklungsstand Haitis ist dem
der Region Subsahara-Afrika sehr ähnlich. Haiti weist seit 2004 wieder
ein, wenn auch sehr geringes, wirtschaftliches Wachstum auf, nachdem
1961 bis 2000 das BIP jährlich um 1 % gefallen war. Nach 1986 führten
die von der Weltbank und von USAID forcierten radikalen Liberalisierungsmaßnahmen sowie hausgemachte Probleme zum stetigen wirtschaftlichen
Abstieg Haitis. Vor allem Aristides allgemeines Desinteresse an Wirtschaftspolitik und seine investitions- und unternehmensfeindliche Haltung
gegenüber ausländischen Unternehmen trugen wesentlich zum Scheitern
der Strukturanpassungsmaßnahmen der internationalen Finanzorganisationen bei. Heute ist der einzige produktive Sektor mit Wachstumspotential
die Fertigungsindustrie. Allerdings ist das Potential begrenzt. Die Löhne
sind so gering, dass durch sie keine konjunkturstimulierende Kaufkraft
generiert wird. Der Großteil der Gewinne fließt ins Ausland ab. Die mit
Abstand wichtigste Einnahmequelle Haitis sind die Beträge, die von
Auswanderern nach Hause geschickt werden. Pro Jahr beträgt die Summe
ungefähr die 1,3 Mrd. US-Dollar. Obwohl sich laut Informationen der Weltbank die wirtschaftliche Situation Haitis seit 2004 allmählich stabilisiert,
das Land eine demokratisch gewählte Regierung hat und wirtschaftspolitische Reformen durchgeführt wurden, werden einer eigenständigen
Entwicklungspolitik Haitis von der strukturellen Wirtschaftskrise, hohen
Kriminalitätsraten und Gewalt klare Grenzen gesetzt. Gesetzlose, fast an
Anarchie grenzende Verhaltensweisen sind vor allem unter Gangs in den
Elendsvierteln von Port-au-Prince wie Cité Soleil sehr stark verbreitet.
Verschiedene Indikatoren weisen auf die dramatische Entwicklungssituation hin. Die soziale Polarisation ist extrem, 54 % der Haitianer haben
weniger als einen Dollar, 78 % haben weniger als zwei Dollar pro Tag zum
Leben. Fast die Hälfte der Bevölkerung kann nicht lesen und schreiben.
Die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt liegt bei nur 53
Jahren (vgl. Deutschland: 80 Jahre). Haitis Infrastruktur ist sehr schlecht
ausgebaut. Für die Befriedigung der Grundbedürfnisse ist nicht gesorgt.
Es fehlen ausreichende Gesundheits- und Bildungseinrichtungen und ein
funktionierendes Sicherheits- und Justizsystem.
Elisabeth Jeglitzka und Michael Huhn
Quellen:
Statistisches Bundesamt: Lebenserwartung in Deutschland, http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Bevoelkerung/
GeburtenSterbefaelle/Tabellen/Content50/LebenserwartungDeutschland,templateId=renderPrint.psml, abgerufen am 02.09.2008;
UNDP: Human Development Reports – Haiti; http://hdrstats.undp.org/countries/country_fact_sheets/cty_fs_HTI.html, abgerufen am 27.08.2008. World Bank: Haiti Country
Brief; http://www.worldbank.org>countries>Haiti, abgerufen am 27.08.2008
23
Mit Hilfe des Human Development Index (HDI, Index der menschlichen Entwicklung) wird versucht, anhand einer Maßzahl den Stand der menschlichen Entwicklung in den
Ländern der Welt zu verdeutlichen. Der in dem jährlichen Bericht über die menschliche Entwicklung enthaltene Index der menschlichen Entwicklung (englisch Human Development Index, HDI) erfasst die durchschnittlichen Werte eines Landes in grundlegenden Bereichen der menschlichen Entwicklung. Der Faktor Lebenserwartung gilt dabei als
Indikator für Gesundheitsfürsorge, Ernährung und Hygiene; das Bildungsniveau steht für erworbene Kenntnisse und das Einkommen für einen angemessenen Lebensstandard.
Dazu gehören unter anderem die Lebenserwartung bei der Geburt, das Bildungsniveau sowie das Pro-Kopf-Einkommen. Dadurch ergibt sich eine Rangliste, aus der man den
Stand der durchschnittlichen Entwicklung eines Landes ableiten kann. 2004 erfasste der Index insgesamt rund 180 Staaten, zwei Drittel davon wurden als Länder mit geringer
oder mittlerer Entwicklung eingestuft.
23
ADVENIAT-AKTION 2009
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 19
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M8 – Hungerrevolten in Haiti
25
Preisanstieg für Lebensmittel treibt die Menschen
auf die Straßen
Die immensen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln führen in vielen Teilen der Welt zu Hungerrevolten. Auf dem amerikanischen Kontinent
ist insbesondere das Armenhaus Haiti betroffen. Präsident René Préval
will nun mit einem Subventionsprogramm die Unruhen eindämmen. Wenn
Ginette Pierre vor dem Reisregal im Supermarkt von Pétionville steht,
steigt in ihr die Wut hoch. Vor einem Monat musste sie für den 12,5 KiloSack umgerechnet 14 Euro bezahlen. Jetzt kostet die gleiche Menge schon
3,50 Euro mehr. Die 32 Jahre alte Hausangestellte verdient rund 68 Euro
im Monat. Das ist noch gut bezahlt im Verhältnis zu anderen Hausangestellten in Haiti, die durchschnittlich rund 15 Euro weniger bekommen.
Von ihrem Monatseinkommen muss Ginette Pierre noch die Fahrt zur
Arbeitsstelle im Taptap, dem populären Verkehrsmittel bezahlen. Aber auch
die Busfahrer halten die Hand immer weiter auf, denn der Benzinpreis ist
von 0,65 auf 1,20 Euro pro Liter in die Höhe geschossen.
Dass Ginette Pierre mit ihrer Wut keine Ausnahme ist, zeigte sich Anfang
April. Ausgehend von der Hafenstadt Les Cayes rollte eine Welle von
Hungerrevolten durch die Insel, der mindestens fünf Personen zum Opfer
fielen. Bei der ersten Demonstration in Les Cayes skandierten mehr als
2.000 Menschen „Wir haben Hunger“ und forderten: „Runter mit den
Preisen“. Die ständigen Preissteigerungen waren in den letzten Wochen
auch Thema bei den Busfahrten von Rachel François (Name geändert). Der
Brotpreis sei wieder gestiegen, stöhnte eine Mitfahrerin. Seit drei Wochen
habe kein Fleisch mehr auf dem Tisch gestanden, stimmte ein anderer
in den Beschwerdechor ein. „Mir bleibt am Monatsende immer weniger
Geld“, klagt die 24 Jahre alte Sekretärin einer internationalen Hilfsorganisation. Als „einheimische Kraft“ verdient sie monatlich rund 300 Euro. Ein
fast fürstliches Einkommen, wenn man sich statistische Angaben für das
Armenhaus Lateinamerikas ansieht.
Fast 80 Prozent der Bevölkerung verfügen täglich durchschnittlich über
gerade mal 1,25 Euro. Und in Armenvierteln wie der Cité Soleil, der ganz
und gar nicht „Sonnenstadt“ im Zentrum der haitianischen Hauptstadt,
leben die Menschen von der Hand in den Mund. Männer schlagen sich
um die kaum vorhandenen Tagelöhnerjobs, Frauen versuchen sich mit
Kleinverkäufen an Nachbarn über Wasser zu halten. Ohne die Auslandsüberweisungen sähe die Situation noch düsterer aus. 1,1 Milliarden Euros
schickten die im Ausland lebenden rund zwei Millionen Haitianer im
Vorjahr an ihre armen Verwandten im „Land der Berge“, hat der Ökonom
Kesner Pharel errechnet. Haiti hänge am Tropf der Überweisungen seiner
im Ausland lebenden Staatsangehörigen, hat er schon vor Jahren in einem
seiner Kommentare im Rundfunksender Radio Metropole vor der Wirtschaftsentwicklung gewarnt. Zwar hat sich das Land nach monatelangen
Unruhen und dem Sturz des damaligen Staatspräsidenten Jean-Bertrand
Aristide im Jahr 2004 wieder innenpolitisch stabilisiert. Dafür sorgen
unter anderem rund 9.000 UN-Blauhelmsoldaten und UNPOL-Polizisten.
Die Wirtschaftslage hat sich aber gerade für die Armen nicht verbessert.
„Die wirtschaftliche Abhängigkeit wird immer schlimmer“, warnt Pharel.
Seit mit Hilfe des Welternährungsprogramms billige Reislieferungen ins
Land kommen, lohnt sich für die einheimischen Langkornproduzenten der
Anbau kaum noch. Sie können mit den US-Preisen nicht konkurrieren.
Ölspekulationen, Lieferengpässe – das tägliche Brot der internationalen
Lieferanten mit großen Gewinnen und manchmal auch heftigen Verlusten
– bekommt das 9-Millionen-Einwohner-Land sofort zu spüren. „Jede
kleine Krise auf dem Weltmarkt macht sich hier als Katastrophe bemerkbar. Mich wundert es, dass das Pulverfass Lebensmittelkosten nicht schon
früher explodiert ist“, sagt Pharel.
Am 12. Februar wurde schließlich nach tagelangen gewaltsamen Protesten
Ministerpräsident Alexis abgesetzt und der Preis für Reis um 16 Prozent
gesenkt.
Hans-Ulrich Dillmann
25
Lateinamerika Nachrichten Ausgabe 407 - Mai 2008; www.lateinamerikanachrichten.de/?/artikel/2756.html (Letzter Zugriff: 03.05.2009)
ADVENIAT-AKTION 2009
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 20
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M9 – Armut in Deutschland
Nicht auffällig, aber präsent
Zweimal im Jahr ziehen sie durch die Gemeinden, klingeln an Haus- und
Wohnungstüren. Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei
der Haus- und Straßensammlung der CARITAS. Zweimal im Jahr, im Frühjahr und vor Weihnachten, nehmen sie es in Kauf, ungläubig, abschätzig
und auch ablehnend angesehen zu werden, wenn sie ihre Bitte vorbringen: die Bitte um eine Spende für die Bedürftigen in der Gemeinde und
der Stadt. Oft reicht ein einmaliger Besuch nicht aus. Die Sammlerinnen
und Sammler klingeln auch häufiger an einer Türe, bis sie die Bewohner
antreffen. Der Erlös der Sammlung, in vielen Stunden während zweier
Wochen erlaufen, erstiegen und erklingelt, bleibt zu einem Teil in der
Gemeinde, der andere Teil geht an den Stadtverband.
„Für die Bedürftigen in unserer Gemeinde?“, „Die gibt es doch gar
nicht!“, „Unserer Gemeinde geht es doch gut!“ Solche Kommentare hat
Frau M., seit 16 Jahren ehrenamtliche Mitarbeiterin bei der Haussammlung, schon häufiger zu hören bekommen. Auf ihrer Sammelliste stehen
in fünf Straßenbezirken 129 katholische Familiennamen. Aber Frau M.
lässt es sich nicht nehmen, auch bei Nichtkatholiken anzuklingeln und
ihren Spruch vorzubringen. Schließlich kommt die Hilfe der CARITAS
auch andersgläubigen Menschen, vor allem in der Grundschule und dem
Kindergarten, zugute.
Der Teil der Haussammlung, der in der Gemeinde verbleibt, wird unbürokratisch nach Bedarf vergeben. Der Kindergarten bekommt eine Summe,
die er frei verwenden kann. Im Verwendungsbericht, den die Leiterin der
CARITAS in jedem Jahr zukommen lässt, ist unter anderem von einem
Schulranzen für ein Kind aus einer Familie, deren Vater durch Krankheit
seit Jahren arbeitsunfähig ist, und von dem Paar Schuhe, dass einem
Schulkind in der Mittagsbetreuung gesponsert wurde, die Rede. Die alleinerziehende Mutter hatte von dem Vater seit Monaten keinen Unterhalt
mehr bekommen, und den Mitarbeiterinnen war aufgefallen, dass die
Schuhe des Jungen mehr als abgetragen waren.
Auch die katholische Grundschule erhält aus den Sammlungen einen
Betrag für Kinder in schwierigen Situationen und auch hier erhalten
die CARITAS-Mitarbeiter einen Verwendungsbericht, der aber, wie der
Kindergarten-Bericht, keine Namen enthält. Manchmal wird von dem
Geld die Teilnahme einzelner Kinder an Ausflügen finanziert oder auch die
Materialbeteiligung, die die Eltern am Anfang des Schuljahres nicht tragen
können. Manchmal fällt auch hier auf, dass ein Kind Mangelerscheinungen
zeigt, und so wird zumindest das Milchgeld finanziert. Würden die Namen
der Familien bekannt werden, würde so manche Hilfe nicht mehr angenommen, berichtet die Schulleiterin, die die Situation der Familien kennt
und weiß, dass die direkte und unbürokratische Hilfe der CARITAS für
diese Familien wichtig und unverzichtbar ist.
„Armut“, so sagt Frau M., die auch die Kasse der Gemeindecaritas führt,
„hat in unserer Gemeinde viele versteckte Gesichter. Sie ist nicht auffällig.
Und die Leute, die arm sind, schämen sich, ihre Bedürftigkeit offen zu zeigen. Deshalb ist die CARITAS darauf angewiesen, Hinweise aus der Schule,
aus dem Kindergarten oder auch von den Mitarbeiterinnen der Frauengemeinschaft zu bekommen.“ Gerade was die Armut im Alter angeht, sind
solche Hinweise hilfreich. Die Mitarbeiterinnen der Frauengemeinschaft,
die oft einen engen Kontakt zu den Mitgliedern in ihren Bezirken pflegen,
bekommen vieles mit, was sonst „unter der Decke“ bleiben würde. Armut
in der Gemeinde hat schließlich viele Gesichter.
72 Jahre ist Frau M. alt. Sie gehört zu den Frauen, die neben den 60%
Rente ihres früh verstorbenen Ehemannes eine Betriebsrente der Firma
ihres Mannes und eine eigene kleine Rente beziehen. Sie zählt sich selber
zu den glücklichen Rentnerinnen unseres Landes, eine, die sich keine
Sorgen um Zuzahlungen für Medikamente machen, sich keine sparsame
Haltung bei der Beleuchtung und Beheizung ihrer Wohnung auferlegen
muss. Frau M. hat es gut. Und sie weiß aus eigener Erfahrung, dass die ungläubige Frage und Bemerkung mancher Türöffner nur zu oft mit: „Doch,
die gibt es auch in unserer Gemeinde!“ zu beantworten ist.
Frau M. hat Kontakt zu der alten Dame, die vier Kinder großgezogen hat,
deren Mann früh verstorben ist und die von weniger als 700 Euro im
Monat leben muss. Miete zahlen, Heizung, Telefon, Radio und Fernsehen,
Arztzuzahlungen, Medikamente: Da bleibt nicht mehr viel für das Schöne
im Leben.
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Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 21
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M9 – Armut in Deutschland
Für Menschen wie sie hat die Gemeinde den wöchentlichen Sonntagstreff für Alleinlebende im Pfarrsaal eingerichtet. Ein Café, organisiert und
durchgeführt von ehrenamtlich tätigen Frauen, die zu Hause den Kuchen
hierfür backen, Kaffee kochen und alles zum Selbstkostenpreis abgeben.
Eine Gelegenheit, ohne Konsumdruck Menschen zu treffen und ein wenig
Genuss zu haben. Keine Kellnerin, die fragt, ob man noch etwas bestellen
möchte. Und das Stück Kuchen kostet keine unerschwinglichen 2,50 Euro.
Viel indirekte Hilfe wird bei diesem Treff geleistet. Aufbau- und Informationsarbeit zum Beispiel. Die Teilnehmer tauschen ihre Erfahrungen aus,
geben sich gegenseitig Hinweise, welche Hilfen man beantragen kann.
Wohngeld, Pflegezuschüsse, GEZ-Gebührenbefreiung: die Liste von manchmal nicht bekannten Zuschussmöglichkeiten ist nicht kurz. So manche ist
schon sonntagabends mit einem erleichterten Gesicht nach Hause gegangen. So manche? Ja, die Teilnehmer an diesen wöchentlichen, offenen
Treffen sind weiblich. Und es dürfte kaum verwundern, dass die ehrenamtlichen Helferinnen im Café im Durchschnitt 68 Jahre alt sind!
ADVENIAT-AKTION 2009
Frau M. wird, so sagt sie, sicher noch einige Zeit hier mithelfen: bei den
Haussammlungen der CARITAS und dem Sonntagstreff im Pfarrsaal.
„Solange meine Füße und mein Rücken das mitmachen! Es gibt in unserer
Gemeinde genug zu tun. Und es ist doch auch ein gutes Gefühl – wenn
man denn mal jemanden kennt, dem geholfen werden konnte, diesen auf
der Straße zu treffen und zu sehen, dass es ihm oder ihr besser geht.“
Regina Högner
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 22
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M10 – Armut in der Welt
ADVENIAT-AKTION 2009
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 23
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M10 – Armut in der Welt
Armut in der Welt – Leben unter 1 US-Dollar pro Tag26
Reichtum in der Welt – Leben über 200 US-$ pro Tag
Fast Food-Verzehr
26
© Copyright 2006 SASI Group (University of Sheffield) and Mark Newman (University of Michigan), (Quelle: www.worldmapper.org/textindex/text_index.html)
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Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 24
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M11 – Lebenslage und extreme Armut
Lebenslagendimension
Indikator
Unterversorgungs­schwelle
moderate Armut
Unterversorgungsschwelle
extreme Armut
Nettoäquivalenzeinkommen
50 % des durchschnittlichen
Nettoäquivalenzeinkommens
Geringsteinkommen durch Nichtinanspruch­
nahme von Sozialhilfe
Erwerbsbeteiligung
Umfang der
Erwerbstätigkeit
Arbeitslosigkeit und / oder unterwertige
Beschäftigung
Verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit mit
mindestens zwei Jahren Dauer
Wohnen
Wohnungsversorgung
Weniger als ein Zimmer je Haushaltsmitglied
und / oder 50 % der mittleren Wohnfläche und /
oder 50 % eines Ausstattungsindexes
Wohnungslosigkeit
Bildung
Bildungsstatus
kein allgemeiner oder berufsbildender
Abschluss
Funktionaler Analphabetismus
Gesundheit
Erkrankungen
50 % des Zufriedenheitsindexes gemäß
Selbsteinschätzung
Signifikantes Unterschreiten von Gesundheits­
indikatoren und/oder nachhaltige Rationierung
Einkommen
27
27
W. Schönig, Extreme Armut wahrnehmen und aufdecken. Wider die Mittelschichtorientierung in der Armutsforschung, in: Amos international 2 (2008) 3-9, 7.
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Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 25
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M12 – Fakten zur Armutsstatistik
Im Jahr 2005 waren in Deutschland 12,7 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes und Ergebnissen
der Statistik EU-SILC waren dabei in Ostdeutschland 15,4 Prozent und
in Westdeutschland 11,8 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet. Der
Schwellenwert für Armutsgefährdung in Deutschland lag für einen Alleinlebenden bei 9.370 Euro pro Jahr. Für zwei Erwachsene mit zwei Kindern
unter 14 Jahren lag der Wert bei 19.677 Euro pro Jahr.
Die Armutsgefährdungsquote der Männer war mit 12,3 Prozent im Jahr
2005 etwas niedriger als die der Frauen (13,2 Prozent). Und auch die
Unterschiede zwischen den Altersgruppen waren bei der vorliegenden
Unterteilung nicht auffallend groß: Die Armutsgefährdungsquote der unter
18-Jährigen lag mit 12,4 Prozent nur geringfügig unter der Quote der 18bis unter 65-Jährigen bzw. der 65-Jährigen und Älteren. Allerdings kann
eine weitere Differenzierung Unterschiede hervorbringen: So lebten beispielsweise 15 Prozent der 18- bis 24-Jährigen unter der Armutsschwelle.
Und während die ältere Generation (65-Jährige und Ältere) in Westdeutschland mit 14,4 Prozent überdurchschnittlich oft von Armut betroffen
war, lag die entsprechende Armutsgefährdungsquote in Ostdeutschland
mit 8,9 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt der Bevölkerung. Am
stärksten wird die Armutsgefährdung durch Arbeitslosigkeit erhöht. 2005
waren in Deutschland 43 Prozent der Arbeitslosen armutsgefährdet. Bei
den Erwerbstätigen waren es im selben Jahr lediglich 5 Prozent – also
jeder Zwanzigste. Vollzeitbeschäftigte hatten mit 4 Prozent eine nur halb
so hohe Armutsgefährdung wie Teilzeitbeschäftigte. Auch die Beschäftigungsfristen des Arbeitsvertrags, der Bildungsabschluss und die Berufsausbildung haben Auswirkungen auf die Armutsgefährdung. So lebten im Jahr
28
28
2005 nur 4 Prozent der mit einem Dauerarbeitsvertrag in Beschäftigung
stehenden Personen in Armut. Bei befristetem Vertrag lag die Armutsgefährdung bei 11 Prozent. Von den erwerbstätigen Personen, die ihren
höchsten Bildungsabschluss im Tertiärbereich (Hoch- und Fachhochschule,
Promotion) erreicht hatten, waren lediglich 4 Prozent armutsgefährdet.
Demgegenüber lag die Armutsgefährdungsquote der Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung bei 19 Prozent. Wird die Umverteilungswirkung von Sozialleistungen nicht berücksichtigt, waren in Deutschland etwa
doppelt so viele Menschen (26 Prozent) armutsgefährdet. Bei den unter
18-Jährigen war die Armutsgefährdungsquote vor Sozialleistungen sogar
fast dreimal so hoch (34 Prozent) wie danach. Bei Personen, die 65 Jahre
oder älter waren, lag die Armutsgefährdungsquote vor Sozialleistungen
hingegen nur 2 Prozentpunkte höher als die Quote nach Sozialleistungen
(15 gegenüber 13 Prozent). Bei allen Armutsrisikoquoten ist zu beachten,
dass diese keine Erkenntnis darüber liefern, wie weit das Einkommen der
armutsgefährdeten Bevölkerung unter der Armutsrisikoschwelle liegt.
Diesen Aspekt berücksichtigt die so genannte relative Armutslücke: Nach
der Statistik EU-SILC lag der Median der Nettoäquivalenzeinkommen der
armutsgefährdeten Personen im Jahr 2005 20,3 Prozent unterhalb der
Armutsrisikogrenze.
uellen: Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung; Eurostat;
Q
www.bmas.de/coremedia/generator/26892/property=pdf/dritter__armuts__und__reichtumsbericht__kurzfassung.pdf
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Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 26
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M13 – Leben mit Hartz IV
29
Hartz IV ist die Grundsicherungsleistung für nicht arbeitende Erwerbsfähige. Hartz IV ist die Bezeichnung für das „Vierte Gesetz für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“. Mit diesem Gesetz wurde ab Januar
2005 die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe zusammengelegt. Jetzt gibt
es Arbeitslosengeld II für Arbeitslose und Sozialgeld für Angehörige von
Arbeitslosen. Jeder, der arbeitslos und bedürftig ist, bekommt nur noch
Leistungen, die so hoch sind wie die Sozialhilfe. Egal, was jemand gelernt
hat und wie viel er oder sie vorher verdient hat. Der Regelsatz, der den
Empfängern zur Verfügung steht, beträgt 345 Euro. Zusätzlich bekommt
man für die Wohnung die Miet- und Mietnebenkosten bezahlt – allerdings
nur bis zu einer gewissen Größe der Wohnung.
Arbeitslosigkeit kann jeden treffen. Zurzeit gibt es in Deutschland rund
vier Millionen Arbeitslose. Arbeitslosigkeit ist ein Massenphänomen
geworden. Das heißt: Der Grund dafür liegt in den meisten Fällen nicht im
Verhalten der Betroffenen, sondern im strukturell bedingten Fehlen von
Arbeitsplätzen. Wichtigste Ursache der Arbeitslosigkeit ist der Trend zum
Stellenabbau der Unternehmen aufgrund von mangelndem Wirtschaftswachstum, Überproduktivität, Fusion, Outsourcing und/oder Gewinnmaximierung. Hinzu kommen Schicksalsschläge wie Krankheit, Invalidität, Mutterschaft u.ä. Freilich gibt es auch das Phänomen der Arbeitsunwilligkeit.
Weit verbreitet ist die Unterqualifikation, aber auch die Überqualifikation.
Über den Empfänger von Hartz IV lässt sich sagen, dass er oder sie:
> nicht verhungern muss
> nicht verwahrlosen muss
> meist mit dem Fahrrad seine Erledigungen machen muss
> per Telefon, PC und Internet kommunizieren und
sich ausreichend informieren kann
29
Allerdings muss er/sie äußerst bescheiden und anspruchslos leben, mit
jedem Cent rechnen, sich rational und rationell verhalten und lernen, zu
verzichten. Mit 345 Euro kann er sich regelmäßig seine Grundnahrungsmittel im Discounter kaufen. Dass er aber dennoch arm ist, zeigt sich an
den Dingen, für die er in der Regel kein Geld hat:
>
>
>
>
>
>
>
>
>
>
>
>
>
K ino, Theater und Sportveranstaltungen
Einladungen und Bewirtung von Gästen, Freunden, Verwandten
Restaurantbesuche
Möbel und anderer Hausrat (Neuanschaffung) wie Waschmaschine,
Sitzgarnitur etc.
Kleidung, Schuhe etc.
Kleine Geschenke zu Geburtstagen, Weihnachten etc.
PKW (Anschaffung oder Unterhalt)
Reinigung
Urlaub und Reisen
Reparatur für Schuhe, Kleidung, Haushalt
Tageszeitung
Vereinsbeiträge
Rücklagen für spätere Anschaffungen
Diese Kosten würden über 400 Euro betragen, also mehr als die ihm zur
Verfügung stehenden 345 Euro Grundsicherungsleistung nach Hartz IV.
www.armut.de
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Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 27
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M14 – Der Tag von Herrn Hansen
5.30 Uhr
Es ist bitterkalt hier. Ich bin eben bestimmt schon zum achten Mal in
dieser Nacht aufgewacht und kann jetzt auch nicht mehr einschlafen.
Die Sonne ist schon aufgegangen und auf der Straße fahren immer mehr
Autos. Auch, wenn ich morgens oft friere und ziemlich müde bin, muss
ich mich daran erinnern, wie es mir bis vor kurzer Zeit ging. Da hatte ich
diesen Platz noch nicht gefunden und musste noch mehr frieren. Die Wand
hält einen großen Teil des Windes ab und der Boden ist hier nicht so kalt
wie Beton. Tagsüber kommen viele Kinder zum Ballspielen her, aber nachts
habe ich normalerweise meine Ruhe.
und als ich mit der Wahrheit kam, schmiss sie mich heraus. Eiskalt. Mit
meiner Familie konnte ich auch nicht darüber reden, was würden die wohl
sagen? Also bin ich dann hierher gekommen, fünf Stunden bin ich mit
irgendeinem Zug gefahren und einfach irgendwo ausgestiegen. Hier bin
ich dabei eben gelandet. Anfangs kannte ich wirklich keinen, was sich
mittlerweile zum Glück geändert hat, denn schließlich lebe ich ja jetzt
schon seit 15 Jahren hier. Und beschweren kann ich mich auch nicht, ich
habe doch eigentlich alles, was ich brauche.
10.15 Uhr
Einmal wurde es hier brenzlig: Eine Gruppe betrunkener Jugendlicher hat
versucht, mich anzuzünden. Ich möchte nicht wissen, wie es ausgegangen
wäre, wenn nicht zufälligerweise zwei Security-Männer auf dem Nachhauseweg gewesen wären. Aber gut, anscheinend muss ich auf alles gefasst
sein.
Jetzt sollte ich allerdings mal los, mir mein Frühstück kaufen.
8.00 Uhr
Zurückgekehrt, geht es mir um diese Uhrzeit immer etwas besser. Immerhin habe ich mich etwas bewegt, da ich mein Frühstück immer mit einem
„Aufwärm-Spaziergang“ verknüpfe. Jetzt habe ich etwas im Magen und
konnte sogar einen heißen Kaffee trinken. Eine nette Dame hat ihn mir
bezahlt. „Weil ich heute Geburtstag habe“, meinte sie. So etwas passiert
wirklich selten, aber warum soll ich nicht auch mal Glück haben?
Früher war mein Leben noch schön. Ich hatte viele Freunde und war ganz
gut in der Schule. Wir wohnten damals in einer Eigentumswohnung und
mein Vater war selten zu Hause, weil er viel gearbeitet hat. Das hieß
aber auch, dass wir immer genug Geld für Lebensmittel, Spielzeug und
Kleidung hatten. Meine Mutter war Mitglied in irgendeiner Frauengemeinschaft. Es hieß immer: Hauptsache wir lernen gut, damit wir später einen
guten Beruf kriegen, bei dem wir viel verdienen. Den habe ich dann nach
meiner Ausbildung zum Schlosser auch bekommen. Ich habe mich verlobt
und war wirklich glücklich. Doch dann machte mein Betrieb Pleite, ich verlor meinen Job und es begann die schrecklichste Zeit meines Lebens. Ich
traute mich nicht, mit meiner Verlobten darüber zu reden. Ich wollte mir
nicht ausmalen, wie sie wohl reagieren würde. Schließlich sollte ich immer
derjenige sein, der für das Geld zuständig war. Weil ich mich in meinen
Lügen wohl immer weiter verstrickte, stritten wir uns immer häufiger,
ADVENIAT-AKTION 2009
Gerade komme ich von dem nahegelegenen Wasserspielplatz, zu dem
ich morgens immer gehe. Ich kann stundenlang die spielenden Kinder
beobachten, die hier oft mit ihren Kindergartengruppen aus den umliegenden Institutionen zum Spielen kommen. Ich hatte nie Kinder und werde
wohl nie welche haben. Für meine Mutter war es immer klar: „Kinder sind
unsere Zukunft.“ Ich denke mir, dass diese Kinder noch gar nicht viel von
der Welt wissen. Die müssen sich nicht mit finanziellen Schwierigkeiten
rumschlagen. Und Sorgen kennen sie doch bestimmt noch gar nicht. Das
sieht man, wenn sie spielen. So unbekümmert und glücklich. Eigentlich
beneidenswert. Aber ich bin doch auch glücklich, ich habe schließlich alles,
was ich brauche, einen Schlafplatz und immer genug zum Essen. Natürlich
könnte mein Leben besser sein, aber wie kann es besser werden? Einen
Beruf bekomme ich nicht, weil ich in keiner Wohnung wohne, und eine
Wohnung kann ich nicht bezahlen, weil ich kein richtiges Einkommen
habe. Da ist es wirklich leichter, mein Leben so fortzuführen.
Außerdem bekomme ich ja jeden Tag 10 €, den sogenannten Sozialhilferegelsatz, den ich mir gleich abholen werde. Es gibt ihn in Deutschland um
11 Uhr für alle Menschen, die in ihrem Personalausweis „nicht sesshaft“
stehen haben. Davon kann ich zwar nicht leben, aber es ist immerhin
schon eine gute Unterstützung. Danach werde ich direkt nebenan in dem
Kloster ein warmes Mittagessen bekommen. Es freut mich wirklich jeden
Tag, dass es Orte gibt, an denen so nette Menschen leben und sich die
Arbeit machen, uns eine warme Mahlzeit am Tag zu schenken.
Jetzt muss ich aber wirklich los.
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 28
Medien
M14 – Der Tag von Herrn Hansen
13.30 Uhr
22.00 Uhr
Nach einem kurzen Mittagsschlaf geht es für mich nun in die Fußgängerzone. Viele Berufstätige gehen jetzt erst in die Mittagspause, also sind
dort mehr Menschen unterwegs. Manchmal bekomme ich sogar einiges
an Geld zusammen, in der letzten Woche zum Beispiel. Da kamen nach
einiger Zeit vier Straßenmusiker. Alles war dabei, nur ein Sänger fehlte.
Erst habe ich leise mitgesungen, bis es dem Gitarrenspieler aufgefallen ist.
Der hat mich dann angesprochen, ob ich nicht mitmachen möchte. Ich war
schon etwas unsicher, aber irgendwann legte sich dann das Lampenfieber
und es machte nur noch Spaß. Vielleicht sehe ich sie ja irgendwann mal
wieder?
Jetzt bin ich wieder „zu Hause“ angekommen. Öffentliche Schlafstätten
sind nichts für mich, ich ziehe meinen Platz hier wirklich vor. Früher habe
ich das Angebot dort manchmal wahrgenommen, aber als ich in einer
Nacht mal beklaut wurde und mein komplettes Geld am nächsten Morgen
weg war, habe ich gemerkt, dass ich wohl wirklich umziehen sollte. Also
schlafe ich jetzt immer hier. Bei dem Treffen vorhin habe ich tatsächlich
neue Batterien für mein Radio bekommen, das ich täglich benutze, sodass
ich meinen Abend jetzt in Ruhe ausklingen lassen kann. Am liebsten höre
ich deutsche Musik, denn da verstehe ich wenigstens alles. Außerdem sind
die Nachrichten manchmal interessant und die Wettervorhersage ist ja
auch sehr wichtig für mein Leben. Die Reporterin hat eben gesagt, dass es
heute Nacht nicht mehr so kalt wird...
18.00 Uhr
Der Nachmittag heute war wirklich anstrengend. Es hat geregnet, überall
waren gestresste Leute, und wie so oft kam es mir so vor, dass mich keiner
sieht oder dass mich vielleicht keiner sehen will. In solchen Situationen
kann man schnell merken, dass man nicht „einer von denen“ ist. Aber
irgendwo tief in meinem Kopf kann ich das ja auch verstehen. Als ich noch
gearbeitet habe, habe ich eher auf die Kleidung in den Schaufenstern
geachtet als auf irgendwelche Menschen, die gerade davorsitzen. Oder ich
hatte es so eilig, dass dazu gar keine Zeit mehr blieb. Erst jetzt weiß ich,
wie man sich als derjenige fühlt, der vor einem Geschäft sitzt und an dem
alle vorbeirennen. Sollte man den Menschen vielleicht mal wünschen, dass
sie einen Tag so leben, wie ich es tun muss? Vielleicht kann ich dann mal
eine etwas größere Toleranz erwarten. Ich habe schon so viel Schmerzhaftes gehört, gesehen und auch selbst erlebt, dass ich mich manchmal
frage, ob das hier noch so weitergehen kann. Und dann bleibe ich doch
noch hier und erlebe wieder spannende Dinge. Dann denke ich mir im
nächsten Gedankenblitz, dass mein Leben doch ganz schön ist. Ich kann
von mir schließlich sagen: „Ich bin immer mittendrin!“ Heute Abend habe
ich mit anderen Nichtsesshaften wieder ein Treffen, bei dem wir über so
etwas reden können. Es ist gut zu wissen, dass es auch andere Menschen
gibt, denen es so geht wie mir und die ähnliche Sorgen haben. Aber wir
stellen immer wieder fest, dass wir an unserem Leben unsere Freiheit
lieben, einfach die Lebensart, keine Verpflichtungen zu haben. Zwei
Ehrenamtliche kommen auch wöchentlich. Von denen bekommen wir dann
Decken oder andere Dinge geschenkt. Die Batterien von meinem Radio
sind leer, ich glaube, ich weiß schon, worum ich sie heute bitten werde...
ADVENIAT-AKTION 2009
Hannah Lepping
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 29
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M15 – Grafik „Teufelskreis der Armut“
ADVENIAT-AKTION 2009
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 30
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M16 – Definition der Kinderarmut
Armut wird im allgemeinen Sprachgebrauch absolut verstanden. Danach
ist arm, wer wenig hat. Die Armut und auch Kinderarmut wird in der Politik jedoch relativ definiert. Sie misst sich am Wohlstand der Gesellschaft,
in der der Mensch lebt. Arm ist, so die herrschende EU-Definition von Armut, wer über weniger als 60 % des mittleren Netto-Einkommens verfügt.
Für eine Alleinerziehende mit zwei Kindern sind das in Deutschland ca.
1.440 Euro. 45 % dieser Kleinfamilien fallen unter die Armutsgrenze. Vor
allem deren Kinder sind arm, auch wenn man es ihnen nicht ansieht.
Armut bemisst sich nach dem, was die anderen haben, wird subjektiv erlebt. Und Armut ist nicht nur materiell, sie misst sich auch an der Fürsorge,
die Kinder bekommen und die Eltern geben. Arme Kinder sind ausgeschlossen vom normalen Lebensstandard; sie werden schon sehr früh aus
den Lebensbereichen Bildung, Kultur und Sport ausgegrenzt.
Wir sehen: reiches Deutschland, arme Kinder. Jedes sechste Kind in
Deutschland lebt in Armut. Das sind mehr als 2,5 Millionen Mädchen und
Jungen. Das sind Martina, Jana, Leon, Thomas, das sind Einzelschicksale.
Ihnen fehlt es an Geld für Essen, Kleidung und Spielsachen.
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Die Armut wächst, die Geburtenrate sinkt. Seit 1965 hat sich die Geburtenrate von 1,3 Millionen auf 680.000 beinahe halbiert. Die Zahl der
Kinder, die arm sind, ist hingegen um das 16-Fache angestiegen.
Arme Kinder müssen im Jahr 2008 im Monat mit 208 Euro auskommen.
Das ist der sogenannte Hartz-IV-Regelsatz für Kinder. In den 208 Euro sind
86 Cent für Spielsachen und maximal 76 Cent für Schulsachen pro Monat
enthalten. Rechnet man das auf ein Jahr um, so bekommen arme Kinder
Spielsachen für 10,32, Euro und für ihre Schulbildung billigt ihnen die
Gesellschaft 9,12 Euro pro Jahr zu. Ein Unding, das nicht mehr gesteigert
werden kann.
Und was ist mit gesunder Ernährung? Ein 15 Jahre altes Kind, das sich
ausgewogen und gesund ernähren möchte, muss täglich im Durchschnitt
4,68 Euro im Discounter oder 7,44 Euro im Supermarkt ausgeben, so das
Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund. Im Hartz-IV-Regelsatz sind für die Ernährung, das Essen, aber nur 2,57 Euro vorgesehen.
www.kinder-armut.de (21.05.2009)
ADVENIAT-AKTION 2009
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 31
Medien
M17 – „Lästig wie Moskitos“ – Straßenkinder in
Port-au-Prince finden in der Einrichtung „Lakay“
Aufnahme und Schutz
8.000 Straßenkinder soll es in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince
geben. Ein Viertel davon sind Mädchen. Im Volksmund heißen sie „Ti
Moun Lari“. Straßenkinder erkennt man daran, dass sie barfuß sind und
abgerissene Klamotten tragen. Sie gehören zum Stadtbild. Manche sieht
man halb benebelt am Straßenrand an einer Flasche Benzin oder Kleister
schnüffeln, andere über die Straße spurten, um sich auf die hintere Plattform eines Busses zu schwingen. Für die Passanten sind Straßenkinder
störend, sie seien „lästig wie Moskitos.“
Manche haben noch Kontakte zu Familienangehörigen. Sie haben zumindest eine Hütte oder einen Verschlag, in die sie sich nachts verkriechen
können. Die anderen schlafen in Straßengräben, unter Arkaden und in
Hauseingängen. Wer auf sich alleine gestellt ist, wird rasch zum ‚grès
bourèt’, zum Schmutzfinken, der vor Dreck starrt und der damit endet,
dass er wie ein ‚koko rat’ im Abfall nach Essbarem wühlt. Nachts sind
Straßenkinder auf den Schutz eines „katèls“, einer Bande, angewiesen Die
Gruppe wacht darüber, dass sich keine Fremden im Revier breit machen:
„manje sou bab“, heißt das. Innerhalb des „katèls“ herrscht eine strenge
Hackordnung: Die „gwo“ (Großen) kommandieren, die „ti“ (Kleinen)
parieren.
Straßenkinder schlagen sich mit kleinen Arbeiten durch: Schuhe putzen,
Autos waschen, Scheiben wischen. Die Älteren bewachen parkende Autos,
helfen beim Beladen. Viele Straßenjungen tragen einen runden Lappen
im Hosenbund, touwon genannt, mit dem sie durch die Staus wedeln, um
die Autofahrer auf sich aufmerksam zu machen. An den Haltestellen für
Sammeltaxis sind sie Ausrufer und Drücker. Als selbst ernannte ‚manadjè’
(Manager) schubsen und schieben sie so lange, bis auch der letzte Passagier in das völlig überfüllte ta- tap passt. Dafür gibt es Trinkgeld.
ADVENIAT-AKTION 2009
Pater Attilio Stra lebt seit 30 Jahren mit Straßenkindern. Mit Hilfe von
Adveniat und der Ordensgemeinschaft der Salesianer hat der italienische
Ordensmann in Port-au-Prince ein Asyl namens „Lakay“ gegründet. Dort
werden bis zu 1.000 Straßenkinder betreut. „Lacou“ und „Lakay“: Mit
diesen Worten lässt sich eine Rettungsaktion für Straßenkinder umschreiben. Sozialarbeiter der Salesianer nehmen nachts oder tagsüber Kontakt
zu Straßenkindern auf. Die Streetworker, vielfach selbst ehemalige Straßenkinder, laden sie zunächst ins „Lacou“ („draußen, Hof“), eine Art Auffanglager der Salesianer, ein. Sie können dort ausschlafen, duschen und sich
satt essen. Hier sind sie vor der Polizei und rivalisierenden Banden sicher.
„Sie müssen sich nur an drei Regeln halten“, sagt Pater Stra: „Lüge nicht,
stiehl nicht, respektiere den anderen“.
Wenn sich ein Kind dazu entscheidet, das Straßenleben aufzugeben,
wechselt es ins „Lakay“ (wörtlich: „das Haus, drinnen“). Dort herrschen
feste Regeln. Wer sich in die Hausordnung fügt, erhält ein eigenes Bett
und einen verschließbaren Spind. Er wird medizinisch versorgt und
eingeschult. Nachmittags arbeitet er in Werkstätten, wo er sich auf eine
handwerkliche Ausbildung in einer Schule der Salesianer vorbereitet.
Pater Stra weiß von erstaunlichen Karrieren zu berichten: wie die des
ehemaligen Straßenkindes Amadée, den er im Alter von acht Jahren in
einer Gosse fand und der heute Ingenieur ist. Oder die von Nicole, einer
ehemaligen Straßenprostituierten mit zwei Kindern, die es zur Friseurin mit
eigenem Salon gebracht hat: „Ihre Kinder werden nie erfahren, dass ihre
Mutter einst eine „taksi“, eine Straßenhure, war“, sagt Pater Attilio. Sie
können stolz auf ihre Mutter sein.
Marcel Bauer
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 32
Medien
M18 – Die minderjährigen Haussklaven von Haiti
Wie die 14-jährige Melanie wohnen in Haiti mehr als 300.000 Kinder als
Haussklaven in fremden Familien. Dort müssen sie jeden Tag hart arbeiten.
Sie dürfen nicht in die Schule gehen, werden oft geschlagen und schlafen
nachts auf einem kleinen Stückchen Pappe auf dem harten Fußboden.
An ihr altes Leben kann sich Melanie nicht mehr erinnern. Sie weiß nicht,
wann sie Geburtstag hat, nicht, wie ihre Brüder heißen. Auch an das Gesicht ihrer Mutter hat sie nur noch verschwommene Erinnerungen. „Es ist
alles schon so lange her“, sagt sie nur, und ihre großen schwarzen Augen
starren ins Leere.
Vor zehn Jahren musste Melanie ihre Familie gegen ihren Willen verlassen. „Eines Tages kam ein Mann ins Dorf und nahm mich einfach mit“,
erinnert sie sich. Er brachte das kleine Mädchen nach Port-au-Prince, in
die Hauptstadt von Haiti, zu einer andern Familie. Das waren wildfremde
Menschen, die Melanie vorher noch nie gesehen hatte. Von da an musste
sie das Haus sauber machen, jeden Morgen mit drei großen Eimern Wasser
vom Brunnen holen und sich um die drei Kinder der Familie kümmern.
Wie Melanie geht es vielen Kindern in Haiti. Man schätzt, dass bis zu
300.000 Jungen und Mädchen als Haussklaven in den großen Städten
leben. Diese Kinder werden „restavek“ genannt, das ist Kreolisch und
heißt übersetzt so viel wie: „Bleib bei“ – ein Kind also, das bei fremden
Menschen bleibt. Diese Kinder haben keine Rechte. Sie können nicht
zur Schule gehen, werden sehr oft geschlagen und missbraucht. Nachts
müssen sie auf einem kleinen Stück Pappe auf dem Fußboden vor dem
Bett der Familie schlafen. „Wenn ich unpünktlich bin oder einen Fehler
mache, dann wird die Tante wütend und schlägt mich“, sagt Melanie und
zeigt auf die blauen Flecke auf ihren Arm. „Ich mache oft Fehler“, sagt sie
und schaut zu Boden.
ADVENIAT-AKTION 2009
Wie Melanie kommen die meisten „restaveks“ vom Lande. Ihre Eltern sind
bitterarm. Sie haben oft viele Kinder und wissen nicht, wie sie alle satt
bekommen können. Darum sind sie froh, wenn eines der Kinder das Haus
verlässt und bei einer anderen Familie lebt. Das Problem ist, dass diese
„Adoptiv“-Familien selber bitterarm sind. Sie leben in Wellblechhütten in
den Elendsvierteln außerhalb der Stadt und haben selber oft zu wenig zum
Leben.
Eine sehr schwierige Situation. Der Staat funktioniert nicht richtig, so dass
sich niemand um die Probleme der „restaveks“ kümmert. Nur einige wenige kirchliche Organisationen haben sich vorgenommen, die Situation der
Kinder zu verbessern. Schwester Martha und ihre ehrenamtlichen Helfer
zum Beispiel. Diese 50 Helfer wohnen selber in dem Elendsviertel. Sie
laden die „restaveks“ einmal in der Woche zu sich nach Hause ein. Dann
dürfen die Kinder endlich einfach nur Kinder sein. Sie spielen, singen,
machen Handarbeiten und lernen fast nebenbei lesen und schreiben.
„Viele Kinder sind unterernährt“, erzählt Schwester Martha. „Wir geben
den Kindern und ihren Familien Reis und Bohnen. Natürlich würden wir
gerne viel mehr und viel schneller die Situation der Kinder hier verbessern.
Aber dafür haben wir zu wenig Geld. So können wir nur kleine Schritte
machen – aber wir sind auf dem Weg.“
Melanie liebt es zu sticken. Mit geschickten Stichen stickt sie eine Blume
auf einen alten Jutesack. „Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich
etwas Schönes mache und dafür sogar gelobt werde“, sagt das Mädchen.
Und das erste Mal ist in ihren Augen ein kleines Leuchten zu sehen.
Gaby Herzog
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 33
Medien
M19 – Kinderreport – Die Fakten der Kinderarmut
14 % aller Kinder gelten offiziell als arm. Das ALG II wurde am 01.01.2005
eingeführt. Es resultiert aus der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe und wird an bedürftige erwerbsfähige Menschen gezahlt,
die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben.
Seit der Einführung dieses ALG II hat sich die Zahl der auf Sozialhilfe oder
Sozialgeld angewiesenen Kinder auf mehr als als 2,5 Millionen verdoppelt.
Heute ist jedes sechste Kind unter sieben Jahren auf Sozialhilfe angewiesen. Besonders betroffen sind Kinder aus Einwandererfamilien.
Die Folgen sind nicht nur finanzieller, sondern auch gesundheitlicher Art.
So ist jedes dritte Kind schon bei seiner Einschulung therapiebedürftig.
Es wird geschätzt, dass 5,9 Millionen Kinder in Haushalten mit einem
Jahreseinkommen der Eltern von bis zu 15.300 Euro leben. Das sind ca.
ein Drittel aller kindergeldberechtigten Kinder.
31
Es entwickeln sich „Armutskarrieren“. Die fehlenden Bildungschancen
führen dazu, dass wichtige Potenziale der Kinder und Jugendlichen
verloren gehen. Das habe auch mittelfristig gravierende Folgen für die
volkswirtschaftliche Leistung.
> Jedes dritte Kind wies im Jahr 2004 bei seiner Einschulung therapiebedürftige Entwicklungsstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten auf.
> Jedes vierte Schulkind habe die Schule „ohne Beherrschung des
Mindestmaßes an Kulturtechnik“ verlassen, die selbst für Hilfsarbeiten
erforderlich sind. Die Tendenz ist stark steigend.
Deutschland habe wegen seiner „Familien- und Bildungsverarmung“ in
den Industrienationen eine negative Spitzenstellung.
Fazit: Kinderarmut ist mehr, als nur wenig Geld zu haben. Armut ist
erblich, so das Deutsche Kinderhilfswerk.
Fazit: Die materielle Armut von Kindern hat sich etwa alle
10 Jahre verdoppelt.
Doch die Armutsspirale dreht sich weiter, wie der neueste, der 3. Armutsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2008 zeigt. Danach sind 13
Prozent der Deutschen arm. Noch einmal so viel Bundesbürger müssen mit
staatlichen Leistungen vor dem Abstieg in die Armut bewahrt werden (...)
Die Auswirkungen der Armut auf die Kinder
Bei sozial benachteiligten Kindern ist zu beobachten, dass sie
> sich ungesünder ernähren.
> sich weniger bewegen.
> immer häufiger in isolierten Wohnvierteln unter sich bleiben.
> keine guten Schulen besuchen.
> nur mangelhafte Ausbildungsmöglichkeiten haben.
> keine ausreichend soziale Unterstützung haben.
31
www.kinder-armut.de (21.05.2009)
ADVENIAT-AKTION 2009
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 34
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M20 – Die Bedeutung der Bildung für das Individuum
und die Gesellschaft
32
(...) Umgekehrt hat Bildung vielen Menschen erst den Weg für ein eigenverantwortliches Leben eröffnet, indem sie über ihre Rechte aufgeklärt wurden
und ihnen ermöglicht wurde, diese auch durchzusetzen. Bildung ist über
die Aneignung einer gemeinsamen (Schrift-)Sprache ein zentrales Element
gesellschaftlicher Integration und Homogenität. Soziale Aufstiegsprozesse
wurden durch das Bildungswesen eröffnet. Gesellschaftliche Innovationen
wurden durch das Bildungs- und Wissenschaftssystem hervorgebracht und
verbreitet. Das Bildungssystem ist daher ein Schlüsselbereich der Gesellschaft, dessen Ausgestaltung differenzierter Überlegungen gerade auch
im Kontext gesellschaftsvertraglichen Denkens bedarf, in dem es um die
Festlegung grundlegender Regeln und Institutionen der Gesellschaft geht.
Welches sind nun solche grundlegenden Anforderungen an das Bildungssystem? Die erste Problematik besteht darin, den Inhalt von Bildung in seiner
gesellschaftlichen Bedeutung näher zu definieren.33 In einer vertragstheoretischen Konstellation wird man erstens Bildung als die Aneignung aller
derjenigen Grundfertigkeiten (Lesen, Rechnen, Schreiben), die für eine
ele­mentare Teilhabe an einer Gesellschaft unverzichtbar sind, bestimmen
(Grundbildung).34 Ohne solche Fertigkeiten kann der Einzelne am Alltagsleben nicht teilhaben. Zu dieser Tauglichkeit für das Alltagsleben gehört auch
die Vermittlung von grundlegenden gesellschaftlichen Verhaltensweisen, die
erst den reibungslosen Umgang in der Gesellschaft selbst ermöglichen. Die
zweite Aufgabe von Bildung ist es, den Einzelnen im Sinne der politischen
Gemeinschaft zu einem Staatsbürger zu erziehen, der mit den politischen
Institutionen der Gesellschaft, der Geschichte des eigenen Landes und
darüber hinaus (Europa, Weltgesellschaft) mit politischen Grundwerten
(Toleranz gegen politisch Andersdenkende, Abgrenzung gegen Feinde
der Demokratie und der Menschenrechte) vertraut ist. Erforderlich ist es,
Menschen zu befähigen, sich auch in zivilgesellschaftlicher Form zu engagieren und auch konfliktfähig zu werden.35 Eine dritte Aufgabe von Bildung
besteht darin, den Einzelnen mit den religiösen Werten, der Kultur vertraut
zu machen, ästhetische Erfahrungen und anderes mehr zu eröffnen. Ein
Zugang zu Musik, Kunst, Literatur, zu Sport u.a. muss erschlossen werden.
Die vierte Dimension betrifft dann den Erwerb beruflich verwertbaren
Wissens. (...)
In einer vertragstheoretischen Situation haben alle Gesellschaftsmitglieder
ein Interesse daran, dass sie selbst Bildung erhalten können, aber auch
dass andere Gesellschaftsmitglieder gleichermaßen entsprechend Bildung
erhalten. Gerade im Bildungsbereich kann das Gesellschaftsverständnis von
John Rawls36 als „eine Kooperation zum gegenseitigen Vorteil“ ausbuchstabiert werden. Die damit erfolgte gewisse Homogenisierung der Gesellschaft
(gemeinsame Sprache, Werte, Grundkenntnisse) senkt gesellschaftliche
Transaktionskosten und ermöglicht breite gesellschaftliche Interaktionen.
Bildung ist damit sowohl individuelles Recht (Grundrecht/Menschenrecht
auf Bildung37) wie gesellschaftliche, nicht nur individuelle moralische Pflicht
(allgemeine Schulpflicht).
Joachim Wiemeyer
J . Wiemeyer, Aufgabe und spezielle Kompetenzen verschiedener Akteure im Bildungssektor: Stadt, Unternehmen, Kirchen und freie Träger, in: M. Dabrowski, J. Wolf (Hrsg.):
Bildungspolitik und Bildungsgerechtigkeit, Paderborn u.a. 2008, 97-124, S. 110f.
33
A. Anzenbacher, Bildungsbegriff und Bildungspolitik, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissen, 40. Bd., 12-37, unterscheidet lediglich zwei Dimensionen der Bildung:
allgemein und speziell (berufsbezogen-funktionell).
34
Vgl. Ch. Mandry, Gerechte Bildungschancen sicherstellen – ethische Anforderungen an das deutsche Bildungssystem, in: ICEPargumente , 1. Ausgabe April 2006.
35
Vgl. M. Heimbach-Steins, Bildung und Chancengleichheit, in: dieselbe (Hrsg./2005): Christliche Sozialethik. Ein Lehrbuch Bd. 2, Regensburg, S. 50-81.
36
John Rawls (1924-2002) – amerik. Philosoph, Prof. F. politische Philosophie an der Harvard University, USA
37
Vgl. dazu J. Müller, Recht auf Bildung als Voraussetzung für das Recht auf Entwicklung. Bildungspolitik zwischen globaler und lokaler Kultur, in: Jahrbuch für Christliche
Sozialwissenschaften, 40. Bd., 38-59 und M. Heimbach-Steins (2005), S. 56ff.
32
ADVENIAT-AKTION 2009
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 35
Medien
M21 – Bildung ist Menschenrecht – Implikationen
Menschenrecht, also ein Anspruch, der jedem Menschen allein aufgrund
seines Menschseins zukommt, kann nur sein, was zum Menschsein
grundlegend dazugehört: Bildung ist Menschenrecht, weil und insofern es
zum Menschen gehört, sich zu bilden. Der Mensch ist von Grund auf ein
bildsames, auf Bildung seiner Fähigkeiten angewiesenes Wesen. Deshalb
kann man argumentieren, dass das Recht auf Bildung als unmittelbares
Erfordernis aus dem Grundsatz der Menschenwürde hervorgeht39 : Es
macht des Menschen Würde aus, sich in Freiheit und in Kommunikation
mit Anderen selbst zu entwerfen, sein Leben in die Hand zu nehmen
und im sozialen Miteinander verantwortlich zu gestalten. Dazu muss er
ermächtigt werden in einem Prozess der Persönlichkeitsbildung, des Weltund Sinnverstehens und des Erlernens von Fähigkeiten, Fertigkeiten und
Kompetenzen der Lebensführung.
In dieser Annäherung erschließt sich das Recht auf Bildung zunächst als
grundlegendes moralisches Recht. Um aber solche Freiheit des Menschen
real sichern zu können, muss der moralische Anspruch in einen Rechtsanspruch der Individuen auf Zugang zu und Beteiligung an freiheitsadäquaten Bildungsmöglichkeiten „übersetzt“ werden. Dementsprechend halten
verschiedene Konventionen und Deklarationen der Internationalen Gemeinschaft, beginnend mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
(AEMR) der Vereinten Nationen (1948), ein allgemeines Menschenrecht
auf Bildung fest (Art. 26). Bildungsfeindliche Zustände, Bildungsarmut und
die Verweigerung gerechter Chancen der Beteiligung an Bildung werden
durch das Menschenrecht auf Bildung ins Unrecht gesetzt; die Beseitigung
solcher Zustände wird als menschenrechtliches Erfordernis angemahnt.
Dies folgt notwendig aus der Einsicht, dass die Möglichkeit zur Bildung
als Entfaltung der Persönlichkeit und der menschlichen Fähigkeiten eine
unerlässliche, wenn auch nicht allein hinreichende Voraussetzung zur
Realisierung personaler Freiheit ist. Zugleich stellt die Beteiligung an
Bildung für die einzelnen Menschen eine unhintergehbare Voraussetzung
ihrer gesellschaftlichen Beteiligung dar. Und schließlich muss die Art, wie
Bildung ermöglicht wird, selbst menschenrechtlich stimmig sein. Systematisch kann man daher drei Kernbereiche innerhalb des Menschenrechts auf
Bildung unterscheiden: Ein Recht auf Bildung, Rechte durch Bildung und
Rechte in der Bildung:
38
(1) Recht auf Bildung / Beteiligung an Bildung: Bildung ist ein eigenständiges Menschenrecht, das die Subjektwerdung, die Persönlichkeitsentfaltung des Menschen unterstützt; deshalb werden in einem ersten
Kernbereich Kriterien formuliert, denen die Ermöglichung von Bildung
entsprechen bzw. durch die das Recht auf Bildung verwirklicht werden
soll: Die offiziellen Auslegungen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (WSK-Rechte) durch den Sozialpaktausschuss der
Vereinten Nationen arbeiten dazu mit vier konkretisierenden Kriterien;
nach den englischen Begriffen wird dieses Set auch 4A-Schema genannt:
Verfügbarkeit (availability), Zugänglichkeit (access), Annehmbarkeit (acceptability), Adaptierbarkeit (adaptability). Funktionsfähige und hinreichend
ausgestattete Bildungseinrichtungen müssen zur Verfügung stehen und in
physischer wie in ökonomischer Hinsicht diskriminierungsfrei zugänglich
sein; Bildungsangebote müssen für die Lernenden annehmbar sein, d.h. in
der Formulierung des Sozialpaktausschusses: „relevant, kulturell angemessen und hochwertig“ (CESCR E/C.12/1999/10 08.12.1999 Abs. 6);
und sie müssen adaptierbar sein, d.h. den unterschiedlichen Bedürfnissen
der Lernenden gerecht werden und an sich ändernde Lebensbedingungen
anschlussfähig bleiben.
In der Systematik der Menschenrechte wird das Recht auf Bildung den
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen (WSK-)Rechten zugeordnet.
Es bezeichnet einen Anspruch, der seitens der Einzelnen gegenüber
dem Staat und seinen Organen geltend gemacht werden kann und der
den Staat in bestimmter Weise, im Rahmen seiner Möglichkeiten und in
bestimmten Grenzen verpflichtet. Es fordert zunächst den formal-rechtlich
gesicherten freien Zugang zu Bildungsangeboten: „Niemand darf daran
gehindert werden, sich die Bildung zu verschaffen, die er möchte, sofern
das mit dem Recht für alle anderen vereinbar ist.“40
Angesichts sehr ungleicher Zugangsvoraussetzungen reicht der Schutz vor
Diskriminierung allein aber nicht aus. Vielmehr ist die Möglichkeit zu realer
Beteiligung an Bildung Voraussetzung für gesellschaftliche Beteiligung.
Deshalb sind der freie Zugang zu Bildung und die reale Möglichkeit zur
Teilnahme an Bildung notwendige Voraussetzungen, um den Freiheitsanspruch des Menschen einlösen zu können. Die Möglichkeit zur Bildungsbeteiligung ist insoweit ein Erfordernis der Freiheit. Denn nur mittels Bildung
kann der Mensch in der Gesellschaft seine Potentiale und Fähigkeiten
entfalten, spezifische Kompetenzen entwickeln und einen eigenen Lebensentwurf verwirklichen.
Marianne Heimbach-Steins
. Heimbach-Steins, Das Menschenrecht auf Bildung: Ein Maßstab für den sozialen Bildungsauftrag katholischer Schulen. Vortrag zum 5. Bundeskongress Katholische Schulen
M
am 28.11.2008 in Essen, S. 5f (www.katholische-schulen.de/fileadmin/downloads/ Bundeskongress_2008/2008-11-28_Hauptvortrag_Prof_Heimbach_Steins.pdf;)
39
Vgl. dazu J. Müller, Recht auf Bildung als Voraussetzung für das Recht auf Entwicklung. Bildungspolitik zwischen globaler und lokaler Kultur, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften, 40. Bd., S. 51.
40
Ch. Mandry, Gerechte Bildungschancen sicherstellen – ethische Anforderungen an das deutsche Bildungssystem, in: ICEPargumente, 1. Ausgabe April 2006, S. 10.
38
ADVENIAT-AKTION 2009
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 36
Medien
M22 – Die Künstlerin – Port-au-Prince
Vom Stadtrand der Hauptstadt macht Clarisse sich auf den Weg zur
Arbeit. Sie nimmt ein Tap-tap, einen zum Bus umfunktionierten Pick-up, in
schrillen Farben bemalt. Die Rückseite des bunten Gefährts ziert ein Bild
von Mose, der gerade die zehn Gebote erhält. Clarisse quetscht sich in das
überfüllte Innere des Busses. Wie jeden Morgen sind die Einfahrtsstraßen
völlig verstopft und das tap-tap rumpelt langsam über die schlecht asphaltierte Straße. Vorbei an kleinen Häuschen, deren Wellblechdächer rostig
und löchrig sind, an einfachen Ziegelbauten, auf deren Dächern bunte
Wäsche flattert. Clarisse denkt an den gestrigen Abend. Im wöchentlichen
Bibelkurs hat Pater André mit der Gruppe über eine Stelle aus dem Lukasevangelium gesprochen: Die Ablehnung Jesu in seiner Heimat. Ein Satz ist
Clarisse besonders im Gedächtnis geblieben: „Er hat mich gesandt, damit
ich den Armen eine gute Nachricht bringe.“ Pater André hatte gemeint,
dass Jesus das damals über sich selbst gesagt hat, aber dass er das auch
als Auftrag für seine Jünger verstanden hätte. Clarisse selbst also und
alle anderen, die zum Bibelkurs kommen, sollten den Armen eine gute
Nachricht bringen. Sie seien doch selber die Armen, habe eine andere
Teilnehmerin gesagt, und Pater André habe nur gemeint, dass sie deshalb
ja umso besser wüssten, was für sie und alle anderen Armen eine gute
Nachricht sei.
Vier Panzer kommen dem Bus entgegen, wie überdimensionale weiße
Käfer mit den großen Lettern „UN“. Zur Vermeidung eines Bürgerkrieges
sind die Soldaten nach Haiti gekommen. Bei den Bewohnern Haitis sind
sie nicht sehr beliebt. Clarisse hat sich an die Soldaten gewöhnt, aber das
gezückte Maschinengewehr, das sie in der Hand haben, bereitet ihr noch
immer Unbehagen. Dass Haiti so friedlich sei, dass die UN-Truppen nicht
mehr gebraucht würden – das wäre zum Beispiel eine gute Nachricht,
denkt Clarisse.
Eine Gruppe kleiner Schulmädchen in rosafarbenen Kleidchen drängelt
sich am Straßenrand. Für die hübschen Mädchen wäre ein Frühstück wahrscheinlich eine ziemlich gute Nachricht, denn viele von ihnen kommen
mit leeren Bäuchen in die Schule. Gott sei Dank gibt es die Suppenküche
der Pfarrei, so werden sie zumindest ein warmes Mittagessen erhalten.
Wie die meisten ihrer Landsleute legt Clarisse viel Wert darauf, dass ihre
Kinder in die Schule gehen. Sie weiß, dies ist der beste Weg, um im Leben
weiterzukommen. Aber in Haiti kann der Schulbesuch lebensgefährlich
ADVENIAT-AKTION 2009
sein. Clarisse schaut zum Hang hinauf. Im letzten Jahr ist hier eine Schule
eingestürzt und hat 200 Kinder unter sich begraben. Die kleinen Leichen
liegen noch immer unter dem Schutt. Die Schule war baufällig und überfüllt, wie so oft hier in der Hauptstadt. Die Schule der katholischen Kirche
in Clarisses Gemeinde ist eine Ausnahme. Sie ist dank Hilfe aus Deutschland fest gemauert. Jede sichere Schule ist eine gute Nachricht, überlegt
Clarisse. Der kleine Junge, der gerade vor dem Bus über die Straße läuft,
geht nicht zur Schule. Er schleppt Wasser hinauf zu den Hügeln. Sein ausgemergelter Rücken krümmt sich unter der Last, seine Haut ist schuppig,
sein Blick leer. Man schätzt, dass 300.000 Kinder vom Land an Haushalte
in der Hauptstadt für die Hausarbeit „ausgeliehen“ werden, eine moderne
Form der Sklaverei. Als Mensch und Kind wahrgenommen zu werden,
ein kleines bisschen Fürsorge – das wäre eine gute Nachricht für diese
ausgebeuteten Kinder.
Das tap-tap rumpelt an einer knallig angestrichenen Lottobude vorbei.
Auch Clarisse hat hier schon ihren Tipp abgegeben, drei Zahlen auf ein
Zettelchen gekrakelt. Glück in Haiti, daran glauben nicht mehr viele. Clarisse denkt an ihre Geschwister, die alle ausgewandert sind, drei Brüder in
die USA und zwei Schwestern in die Dominikanische Republik. Sie haben
natürlich recht, woanders ist es viel leichter, seinen Lebensunterhalt zu
verdienen. Aber Clarisse möchte bei ihren Kindern bleiben. Es ist ein täglicher Kampf, das Nötigste für ihre kleine Familie zu organisieren. Immer
wieder muss Clarisse sich etwas Neues einfallen lassen und aus nichts etwas zaubern. Wenn ihr alles über den Kopf wächst, sind es oft die Freunde
in der Pfarrgemeinde, die ihr neuen Mut machen. Das Zusammensein,
das gemeinsame Gebet, das Gefühl, nicht allein zu sein, Pater André, der
immer ein offenes Ohr für sie hat. „Ich bin eine große Künstlerin“, lächelt
Clarisse in sich hinein, „eine Überlebenskünstlerin“. Seit zwei Monaten
hat sie eine neue Beschäftigung auf dem Markt. Eine Bekannte hat sie
mit einer Marktfrau in Verbindung gebracht, die eine Hilfe an ihrem Stand
braucht. „Wenn wir Armen uns gegenseitig unterstützen, wenn wir gegen
alle Widrigkeiten für das Leben kämpfen, dann bringen wir einander gute
Nachrichten.“
Julia Stabentheiner
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 37
Medien
M23 – Gute Kindheiten – schlechte Kindheiten
Ganz ohne Zweifel bietet das Aufwachsen in einfacheren sozialen Verhältnissen weniger Chancen für die spätere Teilhabe an der Gesellschaft.
Durch die Zunahme der Kinderarmut gewinnt das Problem an Brisanz.
Seit 2000 steigen die Armutszahlen deutlich an. Armut betrifft vermehrt
Kinder von Einwanderern mit erst kurzer Aufenthaltsdauer; doch hält die
Armutssituation in dieser Gruppe in der Regel nicht lange an. Vor allem
aber betrifft sie Kinder von Alleinerziehenden: Während vier von zehn
Kindern dieser Gruppe in Armut leben, sind es bei Kindern in Haushalten
mit beiden Elternteilen nur vier von 100; Kinder von Alleinerziehenden
verweilen auch häufig längerfristig in Armut.42
Aber sind Kindheiten in mittleren und höheren sozialen Schichten – abgesehen von den besseren Zukunftschancen, die sich hier bieten – auch
„bessere“, also glücklichere Kindheiten? Wir können es als gut gesichertes Ergebnis betrachten, dass Eltern-Kind-Interaktionen je nach sozialer
Schicht anders verlaufen. Betty Hart und Todd R. Risley haben in einer
aufwändigen Studie Gespräche von Eltern mit ihren Kindern aufgezeichnet
und ausgewertet. Von der Geburt an, bis die Kinder zweieinhalb Jahre
alt waren, zeichneten sie jeden Monat eine Stunde Gespräch auf. Die 42
untersuchten Familien teilten sie in drei Kategorien: (a) Familien, in denen
beide Elternteile qualifizierten Berufen nachgingen, (b) Arbeiterhaushalte
und (c) Familien, die von der Wohlfahrt lebten. Die Eltern in der gehobenen Schicht sprachen fast viermal mehr zu bzw. mit ihren Kindern als
die Eltern in den Familien, die von der Wohlfahrt lebten. Anders als bei
den Eltern in prekären Verhältnissen erschöpften sich ihre Botschaften
auch nicht in Anweisung und Tadel, sondern beinhalteten auch Lob und
forderten die Kinder zur Äußerung ihrer Meinungen auf.43 Die Kompetenzunterschiede im verbalen Verhalten, die bei den Kindern in der Folge
festgestellt werden konnten, waren enorm.
Vergleichbar zeigt eine Untersuchung von Anette Lareau, wie Mütter
etwas älterer Kinder je nach sozialer Herkunft in unterschiedlichem
Maße das persönliche Ausdrucksvermögen und selbstbewusste Auftreten
ihrer Kinder unterstützen.44 Es handelt sich hier zwar um die Ergebnisse
amerikanischer Untersuchungen. Für Deutschland verfügen wir aber über
Datenquellen, welche die Situation aus Kindersicht erhellen: In der World
41
Vision-Studie, einer repräsentativen Studie an 8- bis 11-Jährigen, urteilen
Kinder aus höheren sozialen Schichten günstiger als die Kinder aus tieferen Schichten über die ihnen von den Eltern zugestandenen Freiheiten,
über die Berücksichtigung ihrer Meinung durch die Eltern, und sie geben
seltener an, geohrfeigt oder geprügelt zu werden.45
Ebenfalls aus Kindersicht erfassten Jürgen Zinnecker, Werner Georg
und Christine Strozda die Beziehungsqualitäten zwischen Kindern und
ihren Eltern. Unter den vier Mustern von Beziehungsqualitäten, die sie
unterscheiden können, stechen zwei als konträr hervor, ein aus Kindersicht
anerkennendes, unterstützendes Verhalten der Eltern, zu dem auch viele
gemeinsame kulturelle Aktivitäten gehören, und ein konfliktgeladenes, wenig einfühlsames und interessiertes Verhalten der Eltern.46 Die Muster sind
schichtabhängig, in der erwarteten Art. In die gleiche Richtung weist eine
Untersuchung von Peter Büchner und Burkhard Fuhs.47 Diese schichtspezifischen Unterschiede in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern können als plausible Erklärungen für unterschiedliche Kompetenzen, welche
die Kinder erwerben, angeführt werden. Die so gemessenen Eigenarten
der Eltern-Kind-Beziehung erfassen aber mehr und vielleicht Wichtigeres
als eine unterschiedliche Ausstattung für den zukünftigen Erfolg: den Respekt vor der Persönlichkeit des Kindes und das elterliche Interesse daran
und damit sicher eine zentrale Dimension der Qualität von Kindheit.
Es ist jedoch davor zu warnen, Kindheiten unterer Schichten generell
zu stigmatisieren. So sind die beschriebenen Unterschiede solche in der
Häufigkeit oder Stärke eines Verhaltens, nicht solche seines prinzipiellen
Vorhandenseins oder seiner Absenz. Dies lässt sich an zwei Variablen
verdeutlichen, die die Schichten besonders klar unterscheiden: Auch in der
untersten Schicht beziehen über 60 Prozent der Kinder keine Ohrfeigen
oder gar Prügel, während immerhin zehn Prozent der Kinder aus der
höchsten Schicht solche beziehen, und auch in der untersten Schicht ist
mehr als ein Drittel der Kinder der Ansicht, dass ihre Mütter eher viel Wert
auf ihre Meinung legen würden, während auch in der obersten Schicht ein
Drittel der Kinder nicht dieser Meinung ist.48
. Bühler-Niederberger, Ungleiche Kindheiten - alte und neue Disparitäten,
D
in: APuZ 17/2009 (www.bpb.de/publikationen/HFRMWE,3,0,Ungleiche_Kindheiten_alte_und_neue_Disparit%E4ten.html#art3; 22.05.2009)
42
Vgl. Miles Corak/Michael Fertig/Marcus Tamm, A Portrait of Child Poverty in Germany. Innocenti Working Paper 2005 - 03, Florenz 2005; Michael Fertig/Marcus Tamm,
Die Verweildauer von Kindern in prekären Lebenslagen, in: Hans Bertram (Hrsg.), Mittelmaß für Kinder, München 2008, S. 152 - 166.
43
Vgl. Betty Hart/Todd R. Risley, Meaningful Differences in the Everyday Experience of Young American Children, Baltimore 1995.
44
Vgl. Anette Lareau, Unequal childhoods. Class, Race, and Family Life, Berkeley-Los Angeles 2003. Eine ähnliche Erforschung unterschiedlichen Elternverhaltens war bereits in
den 1970er und 1980er Jahren als „sozialstrukturelle Sozialisationsforschung“ verbreitet, die aktuelle Forschung zum Thema hat allerdings den Vorzug, dass sie sich stärker
den unmittelbaren Eltern-Kind-Interaktionen zuwendet und dass sie neu auch die Kindersicht berücksichtigt.
45
Vgl. Klaus Hurrelmann/Sabine Andresen, Kinder in Deutschland. 1. World Vision Studie, Berlin 2007.
46
Vgl. Jürgen Zinnecker/Werner Georg/Christine Strozda, Beziehungen zwischen Eltern und Kindern aus Kindersicht, in: Jürgen Zinnecker/Rainer K. Silbereisen (Hrsg.),
Kindheit in Deutschland, Weinheim-München 1996, S. 213 - 228.
47
Vgl. Peter Büchner/Burkhard Fuhs, Der Lebensort Familie. Alltagsprobleme und Beziehungsmuster, in: Peter Büchner/Burkhard Fuhs/Heinz-Hermann Krüger (Hrsg.),
Vom Teddybär zum ersten Kuss. Wege aus der Kindheit in Ost- und Westdeutschland, Opladen 1996, S. 201 - 224.
48
Vgl. K. Hurrelmann/S. Andresen (Anm. 22).
41
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M23 – Gute Kindheiten - schlechte Kindheiten
Eine Studie von Ariadne Sondermann, die arbeitslose Eltern befragt,
zeigt, dass der Wunsch der Eltern, die intergenerationale Weitergabe des
eigenen Schicksals zu verhindern, diese zu einem hohen Einsatz für ihre
Kinder bewegt, der aber mit der eigenen Arbeitssituation eher kollidiert.49
Ergebnisse zu schichtspezifischen Eltern-Kind-Interaktionen müssen differenziert und sorgfältig dargestellt und rezipiert werden, da die ungleichen
Bildungschancen - wie bereits gezeigt - zu einem erheblichen Teil auf
stereotypen und in ihrer Verallgemeinerung falschen Annahmen von Lehrkräften hinsichtlich unterschiedlicher Erziehungsqualität und deren Folgen
beruhen, die auf keinen Fall bestärkt werden dürfen. Wichtig ist es auch,
auf die Kehrseiten der verschiedenen Eltern-Kind-Verhältnisse aufmerksam
zu machen. Lareau bezeichnet den von ihr in der oberen Mittelschicht
gefundenen Umgang von Eltern und Kindern als „concerted cultivation“:
als gezielte Bearbeitung der Kinder.50
Diese erfordert nicht nur einen Einsatz, für den nur ein kleinerer Teil von
Eltern die Voraussetzungen besitzt, sie besetzt auch das Kind umfassend,
seine Zeit, seine Handlungen, seine Psyche. Wie weit dies gehen kann,
zeigen Untersuchungen von Carol Vincent und Stephen J. Ball sowie
von Victoria Caputo, die auf die zusätzlichen Bildungsanstrengungen
aufmerksam machen, die Mittelschichteltern für ihre Kinder unternehmen,
womit sie diesen aber auch viel abverlangen.51 Klar erkennbar wurde in
den Begründungen der Eltern das Kalkül, bessere Startbedingungen für die
spätere Bewährung im Konkurrenzkampf schaffen zu wollen.
41
Die Studie „Eltern unter Druck“ weist auf vergleichbare Erscheinungen
in Deutschland: Bildungsanstrengungen und Betreuungsinvestitionen
werden so hoch wie möglich getrieben.52 In den vordergründig optimal
vorbereitenden Kindheiten findet allerdings manches wenig Raum, was für
die (gemessen am Erwerb von akzeptiertem Bildungskapital unterprivilegierten) Kindheiten eines „natural growth“-Modells noch gilt.53 In dieser
unterschichttypischen Erziehungsvorstellung, die besagt, dass Kinder so
oder so groß werden, wenn sie nur versorgt und einigermaßen diszipliniert
werden, ist zum Beispiel die Hilfe der Kinder im Haushalt oder bei der
Geschwisterbetreuung wichtiger.54 Demgegenüber werden die intensiv
geförderten Kinder sehr einseitig zu Empfängern von Leistungen innerhalb
der Familie, vor allem von Seiten ihrer Mütter - Sharon Hays prägte für
diese Mutterschaft, die vor allem von besser gebildeten Frauen als Norm
akzeptiert wird, den Begriff „intensive mothering“.55 Für die intensiv
geförderten Kinder wird zudem der autonome Raum kleiner: das unkontrollierte Leben und Lernen jenseits elterlichen Einflusses. So geben etwa
in einer Untersuchung in NRW nur 20 Prozent der Kinder aus mittleren
Schichten an, dass sie häufig auf dem Spielplatz spielen, in den unteren
Schichten sind es noch 50 Prozent.56
Doris Bühler-Niederberger
gl. Ariadne Sondermann, Familie als Ort der Vernachlässigung elterlicher Pflichten? Arbeitslose und die Sorge um die Zukunft ihrer Kinder, in: Doris Bühler-Niederberger/AnV
dreas Lange/Johanna Mierendorff (Hrsg.), Kindheit zwischen fürsorglichem Zugriff und gesellschaftlicher Teilhabe, Wiesbaden (i.E.).
50
Vgl. A. Lareau (Anm. 21).
51
Vgl. Carol Vincent/Stephen J. Ball, Making Up’ the Middle Class Child: Families, Activities and Class Dispositions, in: Sociology, 41 (2007) 4, S. 1061 - 1077; Victoria Caputo,
She‘s From a Good Family: Performing Childhood and Motherhood in a Canadian Private School Setting, in: Childhood, 14 (2007) 2, S. 173 - 192.
52
Vgl. Tanja Merkle/Carsten Wippermann/Christine Henry-Huthmacher/Michael Borchard, Eltern unter Druck: Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und Bedürfnisse von Eltern in
verschiedenen Lebenswelten, Stuttgart 2008.
53
Vgl. A. Lareau (Anm. 21).
54
Vgl. Helga Zeiher, Hausarbeit: Zur Integration der Kinder in die häusliche Arbeitsteilung, in: Heinz Hengst/Helga Zeiher (Hrsg.), Die Arbeit der Kinder, München 2005, S. 45 - 70.
55
Vgl. Sharon Hays, The Cultural Contradictions of Motherhood, New Haven 1996.
56
Vgl. Jürgen Zinnecker/Imbke Behnken/Sabine Maschke/Ludwig Stecher, Null Zoff & Voll Busy, Opladen 2002.
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M24 – Option für die Armen – Was bedeutet sie
für Deutschland?
57
(...) Die lateinamerikanische Option für die Armen wurde getroffen in
einer gesellschaftlichen Situation, in der die Armen die Mehrheit der
Bevölkerung darstellen (auch wenn sie häufig mit dem eigentlich falschen
Begriff der „Marginalisierten“ bezeichnet werden). Sie ist keine Option für
eine Minderheit, für die Betroffenen eines Randproblems, sondern für die
Mehrheit und die Betroffenen desjenigen Problems, das für alle sichtbar
und unstrittig im Zentrum der gesellschaftlichen Entwicklung steht und
auch ethisch als die drängendste Herausforderung wahrgenommen wird.
Diese Option für die Armen ist aber eine Option gegen die Armut der
Armen. Ihr Ziel ist es, die Armut zu bekämpfen, die Armen von der Armut
zu befreien und dadurch – wenn man so will – sich selbst überflüssig zu
machen. Sie impliziert deshalb auch nicht eine Idealisierung der Armut.
Die Option für die Armen war zunächst eine Option der Kirche im Blick auf
ihr eigenes Handeln, d.h. eine Prioritätensetzung in Bezug auf ihre pastoralen Schwerpunkte, ihre anwaltschaftlichen Aufgaben, ihre unterschiedliche Solidarität mit verschiedenen Gruppen der Gesellschaft. Damit die
Liebe zu den Armen aber effektiv werden kann, impliziert sie eine Option
für die Veränderung gesellschaftlicher Strukturen, da ja die Armut nicht als
individuelles Schicksal, als naturhaftes Ereignis oder Ergebnis individuellen
schuldhaften Handelns richtig verstanden wird, sondern als Ergebnis gesellschaftlicher Strukturen, Mechanismen, Systeme gesehen werden muss.
Es genügt deshalb nicht, die Gesinnung der Personen zu verändern. Es ist
nötig, auf politischem Wege auch die „Zustände“ zu verändern. Je länger
man die eigene kirchliche Praxis in Lateinamerika im Licht dieser Option
reflektierte, umso mehr wurde bewusst, dass mit der Heterogenität der
Armen zu rechnen ist. Die Armut hat verschiedene Gesichter, wie auch das
Dokument von Puebla (Nr. 31) formuliert. Keinesfalls sind die Armen allein
mit einer ganz bestimmten Gruppe, etwa dem Proletariat im marxistischen
Sinne, oder Menschen mit einheitlichen Problemlagen zu identifizieren.
ADVENIAT-AKTION 2009
Besonders betont wurde immer wieder, die Armen seien nicht Objekte der
Hilfe, sondern selber Subjekte von Selbsthilfe und Widerstand. Letzten
Endes wissen sie selbst am besten, was für sie gut und wichtig ist. Die
Solidarität mit ihnen darf deshalb nicht paternalistisch oder assistenzialistisch missverstanden werden. Die Option für die Armen darf die Armen
nicht nochmals demütigen. Die Kirche verstand sich in Lateinamerika
zunächst als „die Stimme derer, die keine Stimme haben.“ Im Zuge des
Lernprozesses jedoch, der mit der Option für die Armen verbunden war,
lernte sie, sich als eine Instanz zu begreifen, die in Solidarität mit den
Armen dafür kämpft, dass die Armen selbst zu Wort kommen und eine
Stimme haben – ihre eigene. In Lateinamerika wurden die Armen dabei
auch immer als Hoffnungsträger für eine menschlichere Gesellschaft angesehen, wobei man sich der Gefahr möglicher Idealisierungen nicht immer
bewusst war. (...)
Aber auch in Deutschland gibt es Armut. (...) Auch wenn soziale Ungleichheiten durch Arbeitslosigkeit, Reformen des Sozialstaates und eine teilweise verfehlte Steuer-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in Deutschland
zugenommen haben, so hat Armut bei uns doch ganz andere Charakteristika als in Lateinamerika. Sie ist kein Massenphänomen. Die Armen
sind eine marginalisierte Minderheit, die selbst dazu tendiert, die eigene
Armut zu verdecken, während die sie umgebende Wohlstandsgesellschaft
alles daransetzt, sie möglichst nicht ins Blickfeld nehmen zu müssen. (...)
Anders als in Lateinamerika können die Armen in Deutschland auch nicht
als ein wichtiger Faktor gesellschaftlichen Wandels identifiziert werden.
Sie sind nicht die treibende Kraft, die gesellschaftliche Veränderungen
provozieren wird. (...)
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M24 – Option für die Armen – Was bedeutet sie
für Deutschland?
57
Vor dem Hintergrund des Gesagten werden auch die Gefahren einer unreflektierten Übernahme der lateinamerikanischen „Option für die Armen“
in Anwendung auf die Minderheit der Armen in Deutschland erkennbar:
Sie würde zu einer gewissen Provinzialität führen, da man die globalen
Verflechtungen und die größere Armut in der sogenannten „Dritten Welt“
nicht mehr wahrnehmen würde. (...) Eine reflektierte Übernahme der
Option für die Armen für Mitteleuropa oder Deutschland hingegen müsste
folgende Aspekte bedenken: Eine Option für die Armen in Deutschland
müsste erstens eingebettet bleiben in eine Option für die Armen weltweit.
Die Armen der Dritten Welt sind auch „unsere Armen“: Die Option für
die Armen, die eine Bekehrung der Reichen erfordert, betrifft uns alle als
Oberschicht des Erdballs. Unser Bemühen muss darauf gerichtet sein,
weltweit Strukturen und Institutionen zu schaffen, die es den Ländern
der sogenannten Dritten Welt erlauben, sich entsprechend ihrer eigenen
kulturellen Traditionen und Zielvorstellungen zu entwickeln und in den
Weltmarkt zu integrieren. (..) Darüber hinaus bedarf es aber zweitens
sicherlich auch einer Option für soziale Gerechtigkeit in Deutschland. Auch
Christen und Kirche müssen daran mitarbeiten, die sozialen Spaltungstendenzen und Entsolidarisierungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland zu überwinden, insbesondere die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit.
Dabei dürfen die Armen in der sog. „Dritten Welt“ nicht gegen die Armen
in Deutschland ausgespielt werden. (...)
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Es gilt aber, noch ein drittes Problem im Auge zu behalten, das in Zukunft
stärker spürbar werden wird, nämlich der drohende Klimawandel, seine
Rückwirkungen und die Folgen, die eine einigermaßen faire Reduktion von
Klimagasen für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands haben wird.
Sollten die vielfältigen ökologischen Probleme nicht bewältigt werden,
droht der Menschheit eine dramatische Verschärfung von ökologisch
verursachten Notlagen, die im Extremfall zu weiterer Entsolidarisierung
und bewaffneten Auseinandersetzungen führen können. In den Ländern
der sog. „Dritten Welt“ zeigen sich bereits eindeutige Zusammenhänge
von Armut und Umweltzerstörung. Deshalb muss alles getan werden, um
nachfolgenden Generationen eine Welt zu hinterlassen, die auch ihnen
noch Lebensraum bieten kann, wobei es vor allem darauf ankommt, die
Schadstoffaufnahmekapazität der Ökosysteme nicht zu überlasten (...).
Gerhard Kruip
G. Kruip, Die Option für die Armen. Was bedeutet sie für Deutschland?, in: Amos international 2 (2008) S. 23-31, S. 25-31
D
(Auszüge mit neuen Hervorhebungen, kleineren Ergänzungen und Korrekturen).
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M25 – Mach dich stark für starke Kinder
(...) „Mach dich stark für starke Kinder“ – das Motto, das die Caritas
im Jahr 2007 über ihre Jahreskampagne und über den Caritas-Sonntag
gestellt hat, den wir heute eröffnen, klingt widersprüchlich. Muss man sich
denn für starke Kinder starkmachen? Sie wollen doch selber stark sein.
Und manche Teenager und Jugendliche scheinen es mit ihrer Stärke oft zu
übertreiben. Von Gewalt gegenüber Mitschülern oder sogar Lehrern wird
immer wieder berichtet. (...)
Jedes sechste Kind in Deutschland lebt von Hartz IV. In Nordrhein-Westfalen liegen die Zahlen noch höher. Hier betrifft es fast ein Viertel aller
Kinder. Ihnen stehen pro Tag 2,57 Euro für Lebensmittel zur Verfügung.
Eine wirklich gesunde Ernährung ist damit kaum möglich. Selbstverständliche Dinge wie Klassenfahrten, Nachhilfestunden, Sportverein, der Besuch
im Spaßbad und Kino oder ein Musikinstrument werden mit den heutigen
Sätzen des Arbeitslosengeldes II zum unerschwinglichen Luxus.
Wir müssen also leider feststellen: Überall in unserem Land gibt es Kinder,
deren junges Leben so belastet ist, dass sie früher, als es ihnen gut tut,
stark sein müssen. Kinder, die nur selten eine warme Mahlzeit bekommen
und die Geborgenheit einer Familie zu Hause nicht erleben.
Kinder, die nicht zur Ganztagsbetreuung im Kindergarten oder in der
Schule angemeldet werden, weil die Eltern das Essensgeld nicht bezahlen
können. Kinder, die die Schule abbrechen oder verweigern, weil ihnen niemand zeigt, wie sie ihrem Leben ein Ziel oder eine Struktur geben können,
weil niemand genug Zeit hat, sie zu unterstützen.
Kinder, die körperliche und seelische Gewalt erfahren und die irgendwann
selbst gewalttätig werden, weil sie nichts anderes gelernt haben. Kinder,
die sich nirgendwo angenommen fühlen und sich doch nur nach dem
einen sehnen: nach Geborgenheit und Liebe, nach Anerkennung und Halt
in ihrem Leben. Solche Kinder müssen schon sehr früh „ihren Mann“
bzw. „ihre Frau“ stehen. Andere sind gezwungen stark zu sein, weil sie in
irgendeiner Form anders sind als die Mehrheit, weil sie zu Hause nicht die
deutsche Sprache lernen, weil sie eine andere Hautfarbe haben, weil sie
aus einem anderen Land, zum Beispiel aus der Türkei, dem Libanon, aus
Bosnien oder aus Russland stammen, weil ihre Kultur und Religion für uns
fremd sind.
ADVENIAT-AKTION 2009
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Schnell ist dann der Punkt erreicht, an dem Kinder solchen Herausforderungen nicht mehr gewachsen sind, an dem sie nicht mithalten können
und ins Hintertreffen geraten. Auf diese Kinder will uns der Caritas-Sonntag aufmerksam machen: Kinder, die ganz viele Stärken haben, die Kraft,
Träume und Ziele haben, die aber heillos überfordert werden. Sie brauchen
es wirklich, dass wir uns für sie starkmachen und sie unterstützen. Sei es
ganz praktisch durch konkrete und direkte Hilfe oder auch einfach durch
unser Verständnis und unseren Einsatz für eine Gesellschaft, die allen
Kindern eine Chance gibt.
Als Christen lassen wir uns dabei nicht allein von sozialwissenschaftlichen
Analysen leiten, sondern orientieren uns auch an Gottes Wort und Jesu
Beispiel. (...)
Denn wer aufmerksam die Evangelien und die übrigen Schriften des Neuen
Testaments liest, der erfährt, dass Kindern hier eine ganz besondere Wertschätzung entgegengebracht wird. Dabei fallen mehrere Stellen auf, die
berichten, dass Jesus selbst für Kinder Partei ergreift. Das ist alles andere
als selbstverständlich. Denn zur Zeit des Neuen Testaments galten Kinder
als unfertige Erwachsene, als schwache Wesen, die in der Gesellschaft keine Rolle spielten. Eine bekannte Begebenheit aus dem Markusevangelium
bringt diese Haltung deutlich zum Ausdruck. Die Jünger wollen die Kinder
wegschicken, die man zu Jesus brachte, um sie segnen zu lassen. Wir alle
kennen die Reaktion Jesu. Seine Antwort ist fast zu einem geflügelten
Wort geworden: „Lasst die Kinder zu mir kommen. Denn Menschen wie
ihnen gehört das Himmelreich.“
Und auch diese Szene aus dem Matthäusevangelium ist uns geläufig: Als
die Jünger darüber streiten, wer im Himmel der Größte sei, stellt Jesus ein
Kind in ihre Mitte und sagt: „Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder
werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt 18, 3).
Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 42
Medien
M25 – Mach dich stark für starke Kinder
Kinder kommen bei Gott also nicht unter ferner liefen. Jesus stellt sie in
den Mittelpunkt. Für ihn sind sie Maßstab für ein christliches Leben. Wer
ein Kind aufgenommen hat, hat Christus aufgenommen. Nur wer sich
die Haltung eines Kindes bewahrt, kann in das Himmelreich eingehen.
Gemeint ist damit gerade das kindliche Vertrauen in die eigenen Stärken
und zugleich das Vertrauen darauf, dass der himmlische Vater es gut mit
uns meint und uns annimmt, so wie es ein guter Vater und eine gute
Mutter tun. Gottes Herz schlägt für die Kinder. Dafür hatte auch die frühe
Kirche ein Gespür. Die besondere Nähe Gottes zu den Kindern fanden die
Christen der ersten Jahrhunderte bestätigt in der Menschwerdung seines
Sohnes. Auch deshalb entwickelte sich neben Ostern das Weihnachtsfest
für viele zum eigentlichen Hauptfest der Christen. Gott kommt als Kind zur
Welt. Wie jedes andere Kind ist er darauf angewiesen, angenommen und
geliebt zu werden. Der Bericht über den Kindermord von Betlehem zeigt
zugleich in drastischer Weise, wie gefährdet Kinder schon immer waren.
Daher übernahmen die Christen in vielen Fällen die Rolle eines Schutzpatrons für Kinder. Die im Altertum weit verbreitete Kindstötung wurde von
den Christen abgelehnt und bekämpft. Und in den ersten Zeugnissen des
caritativen Engagements der Gemeinden der Frühen Kirche erfahren wir,
dass die christliche Gemeinschaft sich um Waisen und Witwen kümmerte.
Von dieser Praxis der Urkirche führt ein direkter Weg über die kirchlichen
Findel- und Waisenhäuser und die Aufnahme von Kindern durch die
Klöster zu den heutigen kirchlichen Angeboten der Kinder-, Jugend- und
Familienhilfe und dem breiten Netz an Bildungs-, Beratungs- und Hilfeangeboten der Caritas und der Kirche. Es würde den Rahmen sprengen,
alle kirchlichen und caritativen Dienste im Einzelnen darzustellen, die
sich heute in unserem Bistum direkt oder indirekt für Kinder und Familien
starkmachen. Ich will hier aus der Umgebung das Schifferkinderheim St.
Nikolaus und das Caritascentrum Meiderich nennen und ihre Angebote
wie zum Beispiel der Erziehungsberatung, der flexiblen Erziehungshilfe
und der Schuldnerberatung erwähnen. Beiden Einrichtungen danke ich
besonders für die Vorbereitung und Gestaltung des Kinderfestes heute
Nachmittag und unseres Gottesdienstes.
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Ich erinnere aber neben den vielfältigen Diensten der Caritas auch an die
katholischen Kindertagesstätten, an die Familienbildungsstätten und an
das Engagement der Caritas im Bereich der offenen Ganztagsschule. Darüber hinaus gibt es in zahlreichen Gemeinden ehrenamtliche Initiativen wie
Hausaufgabenbetreuung oder ganz neu in Hamborn eine Schulmaterialienbörse. All das sind Orte, wo sich die Kirche und ihre Caritas starkmacht
für starke Kinder. Ich möchte an dieser Stelle allen, die sich in unterschiedlicher Weise, aber immer mit großem Engagement für Kinder einsetzen,
sehr herzlich danken. Angesichts der zunehmenden sozialen Ausgrenzung,
die besonders Kinder bitter zu spüren bekommen, muss unser Engagement
für starke Kinder noch einmal intensiviert werden. Die zunehmende Nachfrage nach Schuldnerberatung, aber auch nach allgemeiner Sozialberatung
und Erziehungsberatung macht den wachsenden Bedarf an Unterstützung
und die Mängel in der Sozialgesetzgebung deutlich. Auch die Zunahme
der sozialen Initiativen, die überwiegend von Ehrenamtlichen getragen
werden, zeigt wie ein Seismograph, dass gerade mit Blick auf Kinder und
Familien politischer Handlungsbedarf besteht. (...)
Weihbischof Franz Vorrath
eihbischof Franz Vorrath, Caritasbischof der Diözese Essen, Mach dich stark für starke Kinder. Predigt beim Pontifikalamt zur diözesanen Eröffnung des Caritas-Sonntags,
W
St. Michael, Duisburg-Meiderich am 22.09.2007, Schrifttexte Lesung: Am 8,4-7; Evangelium: Lk 16, 1-13.
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M26 – Kreuz aus Haiti
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Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 44
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M27 – Sirup- Kuchen
Ein traditionelles Rezept aus Haiti
Zutaten:
225 g Zuckerrübensirup
80 g brauner Zucker
100 ccm Wasser
1 TL gemahlener Zimt
1 TL gemahlener Muskat
1 TL gemahlener Ingwer
1/3 TL gemahlene Nelken
1 TL Backpulver
100 g Butter oder Margarine
125 g Rosinen
500 g Mehl
Zubereitung:
> Das Fett zerlassen und den Zuckerrübensirup einrühren.
> Das Wasser und den Zucker hinzufügen, bis eine gleichmäßige
flüssige Masse entsteht.
> Den Backofen auf 160 Grad vorheizen.
> In einer weiteren Schüssel das Mehl mit den Gewürzen und dem
Backpulver vermischen.
> Nach und nach das Mehl zu der Sirupmasse hinzugeben. Der Teig sollte
nun von Hand geknetet werden, bis er fest wird.
> Zum Schluss die Rosinen hinzufügen und vorsichtig unterkneten.
> E in Backblech wahlweise mit Öl oder Butter einfetten.
> Den fertigen Teich ausrollen und alles in den Ofen schieben.
> Dort ungefähr 30 Minuten bei Umluft backen lassen.
> D
en fertigen Kuchen in kleine Stücke schneiden und bedeckt lagern –
oder noch am selben Tag verzehren.
Tipp:Wer keine Rosinen mag, kann stattdessen auch Nüsse oder
Mandeln verwenden.
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Basistext FÜR SCHULE UND JUGENDARBEIT | 45