Deine Kunst ist meine Kunst
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Deine Kunst ist meine Kunst
Samstag, 10. Oktober 2009 ! Nr. 235 KUNSTHANDEL/AUKTIONEN 53 Neuö Zürcör Zäitung Deine Kunst ist meine Kunst Münchner Messewirren Appropriation-Art – Spannungsfeld zwischen Kunst und Recht Herbert Pfortmüller ! Der amerikanische Künstler Jeff Koons kaufte sich einst an einem Flughafen-Kiosk eine schwarzweisse Kitsch-Postkarte. Diese zeigte ein strahlendes Paar mit acht Welpen, den «Puppies», auf ihrem Schoss. In der Folge nahm Jeff Koons dieses Sujet als 1:1-Vorlage für eine dreidimensionale farbige Holzskulptur, die er mit «String of Puppies» betitelte. Dem Fotografen, Art Rogers, gefiel das nicht, er verklagte Jeff Koons und bekam recht. Zu Recht? Viele berühmte Kunst-Aneigner Die Puppies sind ein gleichermassen prominentes wie anschauliches Beispiel dafür, aufzuzeigen, was unter Appropriation-Art oder Aneignungskunst zu verstehen ist, nämlich das Aneignen, «Besitzergreifen» des zumeist mehr oder weniger unveränderten Werks eines Künstlers durch einen anderen. Wiewohl die Appropriation-Art erst seit den späten siebziger Jahren als eigenständiger Begriff verwendet wird, gibt es solche Aneignungen in verschiedenster Ausprägung schon seit längerem. Man denke etwa an Picasso und Braque, die sich da und dort bedienten. Ein weiterer bekannter Aneigner ist Marcel Duchamp mit seinen Readymades, Duchamp hat sich aber auch die Mona Lisa angeeignet und dann als eigenes Werk ausgegeben. Es folgten die Dadaisten, Surrealisten, die FluxusBewegung und Künstler wie Robert Rauschenberg und Andy Warhol, allesamt auf ihre Art «Appropriaters». Bemerkenswerterweise hatte Warhol seinerseits ausdrücklich nichts dagegen, dass die Künstlerin Eliane Sturtevant sich seine «Flowers» aneignete. Als wohl extremste Vertreterin dieser Kunstrichtung oder besser Kunstkonzeption darf dann sicherlich Sherrie Levine gelten, die tel quel Fotografien von Walker Evans abfotografierte und diese Aufnahmen unter dem Titel «After Walker Evans» als eigene Werke ausstellte. Sherrie Levine ging es im Übrigen später gleich, als Michael Mandiberg ihre, Levines, Fotografien abfotografierte und unter dem Titel «After Sherrie Levine» ebenfalls als seine eigenen Werke der Öffentlichkeit präsentierte. Aus künstlerischer Sicht werden durch die Beschäftigung mit vorgefundenem ästhetischem Material zumeist kritisch die abstrakten Eigenschaften von Kunstwerken sowie des Kunstmarktes selbst hinterfragt. Aus juristischer Sicht stellt sich namentlich die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Schutz des Urhebers des jeweiligen Originals und dem entsprechenden Aneigner. An das Urheberrecht werden mannigfache Ansprüche gestellt, heute mehr denn je, wo in gewis- KUNSTHANDEL/AUKTIONEN Die Frieze Art Fair in Londons Regent's Park versammelt rund 150 international renommierte Galerien für Gegenwartskunst. Am 17. Oktober in der NZZ sen Bereichen die technologische Entwicklung der rechtlichen in atemberaubendem Tempo zu enteilen scheint. Auch Appropriation-Art stellt die Juristen vor fast unlösbare Probleme. Sie stösst an die Grenzen des Urheberrechts, weil sie unter anderem genau diejenigen Werte, die das Urheberrecht schützt – Originalität, Kreativität, Innovation Andy Warhols Mona-Lisa-Kunst als klassisches Beispiel für Appropriation Art (Ausschnitt). – in Frage stellt. Dabei entsteht ein riesiges Spannungsfeld zwischen den Interessen des Urhebers und denen der Allgemeinheit, zwischen dem Urheberrecht des Schöpfers des Originals und der künstlerischen Freiheit des aneignenden Künstlers. Juristische Anerkennung Das schweizerische Urheberrecht lässt sogenannte Werke zweiter Hand zu, also das Schaffen eines eigenen Werks nach dem eines anderen Künstlers, dies indes grundsätzlich nur mit Zustimmung des Ersturhebers. Eine Ausnahme besteht nur dort, wo der individuelle Charakter des ersten Werkes im zweiten nicht mehr erkennbar ist oder, wie sich das Bundesgericht ausdrückt, jenes «verblasst» ist. Abgesehen davon, dass im Einzelfall fast unmöglich zu bestimmen ist, ab wann eine Vorlage «verblasst» ist, ist offenkundig, dass dieses Kriterium einem «echten» Appropriator, der ja wie gezeigt oft ganze Werke unverändert weiterverwenden will, nicht weiterhilft. Es ist deshalb nach Argumenten zu suchen, um der Appropriation-Art nicht nur die künstlerische, sondern auch die verdiente juristische Anerkennung zu sichern. Dabei gilt es nicht zuletzt, diese Kunstgattung vom Verdacht des Plagiats zu befreien. ANDY WARHOL / AKG Neben Forderungen, das Urheberrecht gleich ganz abzuschaffen beziehungsweise Werke anderer für jedermann frei zugänglich zu machen, wird im gegebenen Zusammenhang immer wieder auf das amerikanische Recht verwiesen. Das Stichwort heisst «Fair Use». Die dortige Lehre und Rechtsprechung haben vier Kriterien herausgebildet, bei deren Vorhandensein der an sich verletzende Gebrauch eines geschützten Werkes ausnahmsweise doch erlaubt wird. Berücksichtigt werden dabei Zweck und Art der Übernahme oder des Zitats, die Eigenart des angeeigneten Werks, der Umfang der Aneignung im Vergleich zum Gesamtkontext sowie, ein durchaus typischer Approach amerikanischen Rechtsdenkens, die (schädigende) Wirkung der Aneignung auf das Marktpotenzial des Originals. Letztgenanntes Argument hat bei Koons und seinen Puppies denn auch den Ausschlag zu seinen Ungunsten gegeben, hatte er doch die drei gefertigten Werkexemplare für insgesamt 367 000 Dollar verkaufen können – also kein Fair Use. Gleichwohl kann die Fair-Use-Diskussion aus juristischer Sicht einen Beitrag leisten, um diese spannende Kunstgattung weiter voranzubringen. Der Autor ist Rechtsanwalt bei Meili, Pfortmüller in Zürich. www.mplaw.ch. Was nun nach Grosvenor House? Neuorientierung der Kunst- und Antiquitätenmessen an der Themse Georges Waser ! Im Juni glich das London des Kunst- und Antiquitätenhandels jeweils einem riesigen Museum – denn nicht nur finden in diesem Monat die Reichen aus aller Welt den Weg an die Themse. Sie geben hier auch viel Geld aus. Und künftig? Eben erst wurde die Grosvenor House Fair, die Grande Dame unter den Londoner Messen, von der veranstaltenden Hotelgruppe Marriott abgeschrieben. Allein diese Messe bot, obschon von mehreren gleichzeitig stattfindenden Anlässen konkurrenziert, Kostbarkeiten im Gesamtwert von bis zu 400 Millionen Pfund an. So kann es nicht verwundern, dass bereits ein Nachfolge-Ringen im Gange ist. Der Londoner Kunsthandel weiss, dass es nur wenige Sektoren des Markts gibt, die andernorts stärker sind – und so will man denn hier auch weiterhin eine Messe, die neben Maastricht nicht völlig verblasst. Wer blitzschnell zuschlug, war das Ehepaar David und Lee Ann Lester. In Florida domiziliert und dort unter dem Firmennamen International Fine Art Expositions für drei Messen verantwortlich, haben sie in London die Olympia Art & Antiques Fair übernommen – das heisst von deren jährlich drei Veranstaltungen die «summer show» im Juni. Und nicht nur haben die Lesters diese bereits auf Lifaf (London International Fine Art Fair) umgetauft: Mit fortan 240 Ausstellern soll die Lifaf «schlanker» als die bisherige Olympia Fair, ja im Look «so ziemlich wie Maastricht» sein. Aber wissen die Lesters, dass die Londoner Messen einst gerade vom Unterschied lebten? Und dass die Olympia Fair, als eine an den Grossen Basar von Istanbul erinnernde Fundgrube gefeiert, dann an Appeal verlor, als sie sich elegant wie die Grosvenor House Fair zu geben suchte? Schnell geboren war auch die Masterpiece Fair, die nächstes Jahr ihren ersten Durchgang erleben wird, und zwar vom 23. bis zum 30. Juni (die Lifaf findet wie zuvor die Grosvenor House Fair in der ersten Junihälfte statt). Unter den Initianten der Masterpiece Fair befinden sich die gewichtigen Londoner Händler Mallet, Asprey, Ronald Phillips und Apter-Fredericks. Wie sich von ihnen vernehmen lässt, soll der ihre ein neuartiger Anlass sein – eine Messe, wie man sie noch nicht kenne. Allerdings lassen ihre Namen ein Übergewicht an Stilmöbeln vermuten; und ein solches prägt in London bereits die BADA Fair (März) und die LAPADA Fair (September). Wo die Masterpiece Fair ihr Domizil haben wird, bleibt vorläufig ungewiss, ist doch deren erste Wahl, das Royal Hospital in Chelsea, nicht verfügbar. Wohl gefiel die jüngste Auflage der erstmals im Berkeley Square, gegenüber den Schaufenstern der Firma Rolls-Royce, abgehaltenen LAPADA Fair. Doch augenfällig war die schwache Präsenz der Altmeisterkunst. Indem im vergangenen Juni auch an der Grosvenor House Fair gewichtige Altmeisterhändler fehlten, hatte diese zugleich an Reiz und Gewicht eingebüsst. Statt dort auszustellen, waren 23 Londoner Händler auf die Idee gekommen, unter dem Motto «Master Paintings Week» in ihren im Bereich von nur einer halben Quadratmeile gelegenen Galerien mit Sonderausstellungen aufzuwarten. Eine weitere solche Woche ist bereits mit dem provisorischen Datum 3. bis 9. Juli 2010 geplant. Für die Lifaf und andere neue Anlässe wäre sie eine grosse Konkurrenz – denn um eine Grande Dame wie einst die Grosvenor House Fair zu sein, bedarf eine Kunst- und Antiquitätenmesse eines guten Altmeisterangebots. Birgit Sonna ! «54. Kunst-Messe München» hat sich die Fine Art & Antiques München dieses Jahr auf die Fahnen geschrieben. Hinter dem Qualitätssiegel «Kunst-Messe München» steht also nicht mehr die älteste deutsche, zuletzt in Riem lokalisierte Messe. Eine Art Etikettenwechsel wurde im Zuge der Grabenkämpfe an dem gerade im Antiquitätenbereich exquisiten Kunstmarktplatz München vorgenommen. Die sich um den Händler Christian Eduard Franke scharende sogenannte Bamberger Gruppe der Fine Art & Antiques heftete sich forsch den vom Deutschen Kunsthandelsverband gepachteten Titel an. Die traditionsreiche Muttermesse in Riem musste indessen mangels Teilnehmern abgesagt werden. Nur 30 von anvisierten 100 internationalen Händlern für Antiquitäten und alte Meister konnten sich entschliessen, zu der von Abspaltungen und Führungsdefiziten am Ende unrettbar beschädigten Messe zu stehen. Die diesjährige Absage sei geboten, sagte der kurzfristig eingesprungene Veranstalter Michael Daniels, da die Wirren des zersplitterten Münchner Handelsplatzes für Kunst und Antiquitäten im Klima der Finanzkrise für Unentschlossenheit bei den Kunsthändlern und Galeristen sorgten. Nach endlosen Querelen lichtet sich jetzt etwas das Dickicht verfilzter Interessen, Standortdebatten und Reformbemühungen. Die Fine Art & Antiques (16. bis 25. Oktober) findet dieses Jahr im Postpalast statt, nachdem sie letztes Jahr im Haus der Kunst einen ersten, vielgelobten Auftritt hatte. Ins Haus der Kunst wiederum will Platzhirsch Konrad O. Bernheimer nächstes Jahr mit seinen bisher rund um die Briennerstrasse organisierten Munich Highlights ziehen. Man wolle mit der neuen Messe im Haus der Kunst wieder die Rolle Münchens als stärkster Kunsthandelsplatz in Deutschland unterstreichen, betonte Bernheimer. Dass es dann zu einer Neuauflage der Riemer Messe kommt, ist trotz den Willensbekundungen von Daniels (Messegesellschaft TexStyle) kaum vorstellbar. Um die Bernheimer- und die Bamberger Gruppe wird sich demnach künftig das Messegeschehen in München drehen. Zumindest die Terminabsprachen verlaufen einvernehmlich. Vorerst kehrt also Burgfrieden in den Münchner Antiquitätenherbst ein. Während die Fine Art & Antiques mit alten Meistern sowie Gold- und Silberschmiede-Preziosen prunken, bestechen die in den angestammten Räumen der Münchner Händler stattfindenden Munich Highlights (15. bis 18. Oktober) durch ein breites Angebot mit Werken von der aussereuropäischen Kunst bis hin zur klassischen Moderne. 2010 geht der Poker um die Messeteilnehmer sicher erneut verschärft los. Von Rubens bis Waldmüller Die Auktionswoche im Dorotheum Wien Olga Kronsteiner ! Die Kataloge werden zurzeit auf internationalen Auktionen immer schlanker, nur Österreich scheint von Materialarmut kaum betroffen. Mehr als sechs Kilogramm brachten die gebundenen Kataloge der vergangenen Auktionswoche des Dorotheums in Wien auf die Waage. Das Geheimnis dieser Materialfülle trägt das Etikett «Vorschuss», gewährt wird er jedem Einlieferer, konkret in der Höhe von 30 Prozent des Limitpreises oder von 50 Prozent des Aufrufpreises. Die Offerte mit alten Meistern bestand in 290 Gemälden mit einem geschätzten Gesamtwert von rund 7 Millionen Euro. Die Verkaufsquote blieb mit 44 Prozent unter jener des Vorjahres, der Nettoumsatz belief sich aber aufgrund einiger hoher Gebote auf 3,42 Millionen Euro (2008: netto 2,7 Millionen). Einem Köder in Form einer Expertise des deutschen Kunsthistorikers Justus MüllerHofstede erlagen zwei Interessenten aus Russland, die sich um das Peter Paul Rubens und Werkstatt zugeordnete «Urteil des Paris» ein Bietgefecht lieferten. Die mögliche zweite Vorstudie zur endgültigen Ausführung in der Sammlung der Londoner National Gallery liess die Höchsttaxe von 50 000 Euro mit 300 000 Euro weit hinter sich. Der höchste Zuschlag der Woche kam anderntags bei den Gemälden des 19. Jahrhunderts zustande. Im Windschatten der am Wochenende zu Ende gehenden Retrospektive zu Ferdinand Georg Waldmüller in der Österreichischen Galerie Belvedere hatte das 1854 ausgeführte Werk «Kinder schmücken den Hut eines Konskribierten» schon im Vorfeld der Auktion viel Interesse generiert. Etwas über der oberen Taxe bewilligte Franz Freiherr von Rassler, Leiter der Dorotheum-Repräsentanz in München, im Auftrag eines deutschen Käufers 420 000 Euro. Die Versteigerung verbuchte einen Nettoumsatz von 2,59 Millionen Euro (2008: 3,15 Millionen). Die Sektion Antiquitäten trug weitere 1,56 Millionen Euro zum Wochenumsatz bei. Nach fünf Auktionen notierte das Dorotheum einen Gesamtumsatz von netto 8,09 Millionen Euro (2008: 7,85 Millionen).