Musik: "Gregorianik ist Gebet, kein Showbusiness"
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Musik: "Gregorianik ist Gebet, kein Showbusiness"
URL: http://www.welt.de/kultur/article2017454/Gregorianik_ist_Gebet_kein_Showbusiness.html Bilder ein-/ausblenden 21. Mai 2008, 04:00 Uhr Artikel drucken VON THOMAS VITZTHUM MUSIK "Gregorianik ist Gebet, kein Showbusiness" Casting in Kutten: Um Sänger für eine CD mit gregorianischen Chorälen zu finden, schrieb die Plattenfirma Universal einen Wettbewerb aus. Gewonnen haben die Mönche aus dem österreichischen Kloster Heiligenkreuz. Die singen nun die Platte ein – aber eine Boyband wollen sie nicht werden. Elf Kehlen für ein Hallelujah: Die Mönche des Klosters Heiligenkreuz mit ihrer Foto: DPA neuen CD. Ein übermäßigen Ansturm der Groupies erwarten die Herren nicht - denn ihre "Konzerte" im Kloster finden um Fünf Uhr morgens statt. Nach dem Punk begrüßen die Mönche den Papst. In ihrem Film auf der Internetplattform YouTube beweisen die Geistlichen des österreichischen Stifts Heiligenkreuz bei Wien Sinn für überraschende Wendungen. Seit kurzem steht sogar der Clip selbst für eine verblüffende Wendung in der Geschichte des Klosters. Erstaunliche 123.000 Mal ist das vierminütige Video bisher angeklickt worden – wohl nicht der Bilder wegen. Die Kommentare preisen vor allem die Musik, einen gregorianischen Choral: Wundervoll, großartig, einzigartig, erhebend, zeitlos, himmlisch. Wie ist dieser Erfolg zu erklären? Bewerbungsvideo junger Männer in alten Mauern Ein Kommentator mit dem Namen "Benjaminbiland" gibt uns einen Tipp: "Sie sind die neue Stimme von ,Halo', Baby. Sag, was Du willst, aber das ist wirklich stark." Im Herbst vergangenen Jahres kam das Computerspiel "Halo 3" auf den Markt. Darin geht es um die Rettung der Welt. Die Endzeitvision begleitet gregorianischer Gesang. "Nachdem ,Halo' in Umlauf kam, hatten wir deutlich mehr Anfragen nach gregorianischer Musik", sagt Dickon Stainer von Universal Music in London, der größten Plattenfirma der Welt. Als schließlich Festivals mit dem Finger auf "Halo" zeigten und Mönche aus der Künstlerkartei buchen wollten, entschlossen sich die Musikmanager zur Tat. Sie inserierten in katholischen Blättern, etwa "The Church Times", und suchten nach "Männern der Geistlichkeit", die Gregorianik aufnehmen sollten. Ein Freund von Pater Karl gab dem Kloster in Heiligenkreuz den Tipp. Das Bewerbungsvideo entstand. Mit den Wackelkandidaten auf Youtube hat der Film aber nichts zu tun, er ist professionell inszeniert, zeigt die mystische Aura des alten Zisterzienserklosters, das erstaunlich viele junge Männer bevölkern. Universal war begeistert und die Österreicher gewannen den Plattenvertrag gegen 200 Konkurrenten aus aller Welt. "Für uns ist das wie ein Wunder", sagt Pater Karl. Gerade kam ihre CD "Chant" in den Handel. "Wir werden keinen pinken Cadillac kaufen" Vor knapp 20 Jahren hatte die Gregorianik schon einmal Erfolg in der Popkultur. Anfang der Neunziger löste ihn das Projekt "Enigma" aus. Die Gruppe um den Produzenten Michael Cretu kombinierte die mittelalterlichen Melodien mit einem frappierend tanzbaren Rhythmus, Flötenklängen und dem erotisch hingehauchten Sprechgesang von Cretus Frau, der Popsängerin Sandra. Dieser Mix stand wochenlang auf Platz eins der Charts, wummerte in jeder Dorfdisco und führte dazu, dass sich auch Platten mit "reiner" Gregorianik verkauften. 1994 staunten die Mönche des spanischen Klosters Santo Domingo de Silos über Gottes Wege, als ihre klanglich dürftigen in den Sechzigern aufgenommen Gesänge in die amerikanischen Charts einstiegen. Die CDs geistern noch heute durch die Meditationskurse der Volkshochschulen. Jetzt kündigt sich eine zweite Gregorianik-Euphorie bei jungen Leuten an. "Die Jugendlichen kommen zu uns und sagen, das ist cool", sagt Pater Karl. "Wir wollen aber sicher keine Boyband werden, und wir werden auch nicht auf Tournee gehen." Abt Gregor Henckel Donnersmarck, Onkel des Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck, möchte nicht, dass sich für die 17 oft jungen Mönche auf der CD Fanclubs bilden. "Das ist unser Gebet - wir sind nicht im Showbusiness", erklärt er. "Wir werden aus dem Erlös der CD auch sicher keinen pinken Cadillac kaufen, sondern das Geld in die Priesterausbildung investieren." Klänge jenseits vom bekannten Dur und Moll Was fasziniert an einstimmigen, lateinischen, 1000 Jahre alten Gesängen? Die Anziehungskraft des Mittelalters ist ein Aspekt. Dickon Stainer versucht sich auch an einer musiksoziologischen Antwort: "Das ist Musik, die außerhalb unseres normalen Bezugsrahmens steht. Man stößt eigentlich nicht zufällig auf sie. Diese Musik ist wirklich universell." Kommentator "CWRailroad" fasst es auf Youtube so zusammen: "Du musst kein guter Katholik sein, um diese großartige Musik genießen zu können." Andere bekennen freimütig, überhaupt keine Ahnung zu haben, was diese Melodien eigentlich inspirierte. Die Faszination muss also auch aus der Musik selbst, aus ihrer ungewohnten Klanglichkeit erklärt werden. Fast die gesamte Musik, die im westlichen Kulturkreis zu hören ist, basiert auf dem System von Dur und Moll. Die Gregorianik hingegen steht in so genannten Kirchentonarten, die in unserer Alltagswelt keine Rolle spielen. Stainer hat recht, wenn er der Gregorianik attestiert, dass sie "außerhalb unseres Bezugsrahmens" steht. Groupies können morgens um Fünf vorbeikommen Den Kirchentonarten fehlt es an den vertrauten Fliehkräften, die uns bei Melodien in Dur und Moll oft erraten lassen, wie unvollständige Passagen weitergehen müssen. Für heutige Ohren befindet sich die Gregorianik vielmehr in einer Art Schwebezustand, der Hörer kann sich in jedem Moment einklinken oder wieder aussteigen. Das fremdartige Latein trägt mit dazu bei, dass die Musik als meditativ, als überzeitlich, als universell empfunden wird. Was die gregorianischen Gesänge attraktiv macht, das hindert Ungeübte gleichzeitig daran, sie mitzusingen. Die Mönche von Heiligenkreuz müssen also nicht fürchten, dass ihre Fans bald das "Veni creator spiritus" kreischen. Für die, die es nicht lassen können, gibt Pater Karl die Konzertzeiten bekannt; und die sind was für Päpste, aber sicher nichts für Punks: "Also, wenn da Groupies kommen wollen: wir singen jeden Morgen um 5.15 Uhr." Chant - Music for Paradise (Universal/Decca) Blockieren