Mitteilungsblatt 29 - Heimatverein Attendorn
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Mitteilungsblatt 29 - Heimatverein Attendorn
Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 1 Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 2 Dipl.-Ing. Michael Jolk, Werl Monika Löcken, Breckerfeld Eva-Maria Nordhus, Hannover Berthold Rauterkus, Hattingen Elmar Rothäuser, Swisttal-Ollheim Albert Schnepper, Attendorn Nina Streibel, Hannover ATTENDORN - GESTERN UND HEUTE Mitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. für Geschichte und Heimatpflege HERAUSGEBER: Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V., Hansastr. 4, 57439 Attendorn Dieses Jahresheft erscheint im März 2007 und trägt die Nr. 29. REDAKTION: Birgit C. Haberhauer-Kuschel, Wesetalstr. 90, 57439 Attendorn, Tel. 027227473, Fax 02722-639729, Mail: bchk@hillekekuschel.de Titelabbildung: Die Kreuzigungsgruppe auf dem Katholischen Friedhof an der Windhauser Straße wurde aus kunsthistorischen Gründen in die Denkmalliste der Stadt Attendorn aufgenommen. (Foto: Dollenbacher-NordhusStreibel) DRUCK: Frey Print & Media, Bieketurmstr. 2, 57439 Attendorn ANSPRECHPARTNER FÜR ALLE BELANGE DER HEIMATPFLEGE IN ATTENDORN UND UMGEBUNG: Erscheint in zwangloser Reihenfolge. Alle Rechte vorbehalten, auch des auszugsweisen Nachdrucks. Bezugspreis im Jahresbeitrag [2007: 15,- Euro für Einzelmitglieder/5,- Euro für Ehegatten] inbegriffen. Für namentlich gekennzeichnete Beiträge sind die Verfasser persönlich verantwortlich. ISSN-Nr. 1864-1989 Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V., Hansastr. 4, 57439 Attendorn Sprechstunde: Montags 18.00-20.00 Uhr Ortsheimatpflegerin für Attendorn: Birgit C. Haberhauer-Kuschel, s.o. VORSTAND DES VEREINS (Stand März 2007): 1.Vors.: Reinhard König, Gartenweg 7, Attendorn, Tel. 02722-54905 2.Vors.: Karl-Hermann Ernst, Am Riedesel 3a, Attendorn, Tel. 02722-2365 Schriftf.: Peter Prentler, Niederste Straße 24, 57439 Attendorn, Tel. 02722-3927 Schatzm.: Markus Kaufmann, Bismarckweg 30, 57258 Freudenberg Beirat: Brigitte Flusche, Hofestatt 13, Attendorn, Tel. 02722-3550 Birgit C. Haberhauer-Kuschel, s.o. Peter Höffer, Auf dem Arnsbeul 15, Attendorn, Tel. 02722-4271/3711 Ludwig Müller, Schillerstr. 7, Attendorn, Tel. 02722-7409 Bernadette Schmidt-Homberg, Johann-MetzStr. 5, Attendorn, Tel. 02722-4522 Ulrich Selter, Münchener Str. 90, Attendorn, Tel. 02722-929530 Dieter Thys, Mindener Str. 10, Attendorn, Tel. 02722-54196 Ortsheimatpfleger für Mecklinghausen: Albert Schnepper, Talstr. 33, 57439 A.Mecklinghausen, Tel. 02722-8244 Ortsheimatpfleger für Neu-Listernohl: Ludwig Müller, s.o. INHALT Impressum und Inhalt Alles hat seine Zeit und nichts ist von Dauer Die Bombardierung Attendorns 100 Jahre Collegium Bernardinum am Nordwall Ein bedeutender Neuzugang im Südsauerlandmuseum Die Hochzeit zwischen Ferdinand Freiherr v. Fürstenberg und Maria Theresia Freiin v. Westphalen im Jahre 1682 Vom 10. zum 11. April 1945 in Rieflinghausen NEUERSCHEINUNG: Vom Bauernhof zum Kaiserhof NEUERSCHEINUNG. Wandern und Pilgern auf der Heidenstraße Erlebnisse aus der Landwirtschaft in Attendorn Ein herzlicher Dank gilt den AUTOREN DIESER AUSGABE: Wiebke Dollenbacher, Hannover Birgit C. Haberhauer-Kuschel, Attendorn Josef Hormes, Attendorn -2- 2 3 16 19 29 32 41 47 49 50 Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 3 Alles hat seine Zeit und nichts ist von Dauer… Entwicklungsperspektiven für einen innenstadtnahen Friedhof von Wiebke Dollenbacher, Eva-Maria Nordhus und Nina Streibel Die Nutzung des Friedhofs an der Windhauser Straße in Attendorn als Begräbnisplatz nähert sich 2015 ihrem Ende. Doch was kommt nach Ablauf der Ruhefristen? Drei Studentinnen der Landschafts- und Freiraumplanung von der Universität Hannover nahmen diese Frage zum Anlass, sich ein Jahr lang mit diesem Friedhof zu beschäftigen. Dazu wurde die geschichtliche Entwicklung des Friedhofs herausgearbeitet, die Pflanzenwelt des Friedhofs erfasst und die Bedeutung der alten Grabsteine für die Denkmalpflege analysiert. Beobachtungen zum Verhalten und Befragungen zu den Vorlieben der Friedhofsbesucher stellten einen weiteren Arbeitsabschnitt dar. Auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse entstand ein Konzept für die weitere Entwicklung des Friedhofs, das die unterschiedlichen Wünsche und Interessen seiner Besucher aufgreift sowie Aspekte des Naturschutzes und der Denkmalpflege berücksichtigt1. Der vorliegende Beitrag fasst die Ergebnisse dieser einjährigen Studienarbeit zusammen. Dabei liegt der Schwerpunkt, dem Anlass der Arbeit entsprechend, auf der Beschreibung des Nachnutzungskonzepts. Die vollständige Arbeit 1 DOLLENBACHER, W., NORDHUS E. & STREIBEL, N. 2005: Alles hat seine Zeit und nichts ist von Dauer …. Einjähriges kann bei Frau Haberhauer-Kuschel vom Verein für Orts- und Heimatkunde e.V. eingesehen werden. 1. Einleitung Auf dem alten katholischen Friedhof an der Windhauser Straße in Attendorn nähert sich in den kommenden Jahren die Friedhofsnutzung ihrem Ende, das endgültige Auslaufen der Ruhefristen ist für das Jahr 2055 zu erwarten. Der Grund für die Aufgabe der Friedhofsnutzung ist die Anlage eines großen kommunalen Friedhofs im Jahr 1979, so dass der Friedhof an der Windhauser Straße nicht mehr als Begräbnisplatz benötigt wird. Da die Stadt Attendorn keine größeren innerstädtischen Grünflächen aufweist gibt es bereits Überlegungen, den Friedhof im Anschluss an die Friedhofsnutzung als Parkanlage zu nutzen2. Friedhöfe sind in erster Linie Begräbnisplätze und Orte der Trauer. Die Angehörigen der Bestatteten gehen hier nicht nur der Grabpflege nach, sondern kommen mit anderen Hinterbliebenen ins Gespräch. Anwohner nutzen den Ort im Grünen zur ruhigen Erholung. Friedhöfe bewahren Traditionen und Erinnerungen an bedeutsame Ereignisse aus früheren Jahrhunderten, sie spiegeln die künstlerischen Strömungen vergangener Zeiten wider. Für den Naturschutz können Friedhöfe eine hohe Bedeutung haben, da sie Pflanzen und Studienprojekt am Institut für Umweltplanung der Universität Hannover. 115 S. und 2 Karten. 2 PLÜCKEBAUM, M., (Umweltbeauftragter der Stadt Atten- dorn): mündliche Mitteilung am 21.06.2005. -3- Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 4 Tieren inmitten der Bebauung einen Lebensraum bieten3. Unter dem Titel „Alles hat seine Zeit und nichts ist von Dauer...“ wurde im Rahmen des einjährigen Studienprojekts eine Arbeit erstellt, die das Ziel hatte ein Nachnutzungskonzept für den Friedhof an der Windhauser Straße zu entwickeln. Berücksichtigt wurden dabei sowohl Aspekte der Freiraumplanung als auch der Denkmalpflege sowie des Naturschutzes. Unter Freiraumplanung werden an dieser Stelle Untersuchungen sowie Nutzungs- und Gestaltungsvorschläge verstanden, die sich auf den Freizeitwert und die Erholungsfunktion des Friedhofs beziehen. Die Denkmalpflege befasst sich mit dem Schutz, der Pflege und der eventuellen Wiederherstellung von friedhoftypischen Elementen wie Alleen, Wegekreuz und Grabsteinen. Naturschutz konzentriert sich in dieser Arbeit auf den Schutz von Tier- und Pflanzenarten und ihren Lebensräumen. Vorgehen während der Studienarbeit Um ein Nachnutzungskonzept für den Friedhof entwickeln zu können, musste zunächst der aktuelle Zustand des Friedhofs erfasst und analysiert werden. Dazu wurde als erstes die Entwicklung des Friedhofs aus Materialien des Stadtarchivs und des Vereins für Ortsund Heimatkunde e.V. erarbeitet. Weiterhin wurden die auf dem Friedhof vorhandenen Strukturen wie Wege, Gehölze, Wiesen und Grabstätten mit Hilfe 3 KATZER, T., 1992: Friedhof als Lebensraum. Naturkundlich- ökologische und kulturhistorische Aspekte von Friedhöfen in der Stadt Trier und im Kreis Trier-Saarburg. 96 S., Trier. -4- eines individuell erarbeiteten Kartierschlüssels flächendeckend erfasst und in Text und Karten dargestellt. Zudem wurde die Pflanzenwelt des Friedhofs aufgenommen. Für die Erfassung der Flora wurde der Friedhof in acht Bereiche unterteilt (s. Abb. 1). Diese Gliederung diente später auch zur Verortung der Maßnahmen für das Nachnutzungskonzept (vgl. Kapitel 5). Abb. 1: Für die Bearbeitung wurde der Friedhof in acht Bereiche eingeteilt. Alle denkmalwürdigen Elemente auf dem Friedhof, vor allem Grabsteine, wurden erfasst und dargestellt. Die voraussichtliche Entwicklung der Belegungsdichte konnte mit Hilfe von Materialien aus dem Tiefbauamt nachvollzogen und verdeutlicht werden. Besucherbeobachtungen an unterschiedlichen Wochentagen und zu verschiedenen Tageszeiten brachten wichtige Erkenntnisse zur Aufenthaltsdauer auf dem Friedhof und den hier durchgeführten Tätigkeiten. Besucherbefragungen lieferten Meinungsbilder zum derzeitigen Zustand des Friedhofs und hielten Bürgerwünsche zur künftigen Gestaltung fest. Insgesamt wurden 155 Personen beobachtet und 55 Personen befragt. Anschließend wurde eine Bewertung des Zustands vorgenommen. Die Bewertung wurde anhand der in der Einleitung aufgeführten Ziele für das Nachnutzungskonzept durchgeführt. Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 5 Die Entwicklung des Konzepts basiert auf dem aktuellen Zustand des Friedhofs, der in seiner Bedeutung für den Naturschutz, die Denkmalpflege und als innerstädtischer Freiraum bewertet wurde und auf den in der Befragung genannten Wünschen für die spätere Gestaltung 2. Geschichte des Friedhofs an der Windhauser Straße Im Folgenden wird die Geschichte des Friedhofs nur in einer stark verkürzten Form dargestellt, die sich auf die für die in der Studienarbeit wichtigen Aspekte beschränkt. Die archivarische Aufarbeitung der geschichtlichen Entwicklung zeigt, dass die Anlage des Friedhofs im ausgehenden 19. Jahrhundert erfolgte 4 . Die Anlage eines neuen Begräbnisplatzes für die katholische Pfarrgemeinde Attendorn wurde in Betracht gezogen, da die Kapazitäten des bis dahin genutzten Friedhofs am Hospital vor dem Wassertor erschöpft waren5. Die Anlage des Friedhofs erfolgte in einer geometrischen Form. Zusammen mit den Strukturen aus Erb- und Reihenbegräbnisplätzen stellt dies die typischen Gestaltungsmerkmale der Friedhöfe des 19. Jahrhunderts dar 6 . Der Friedhof 4 StaA, Bestand Stadt Attendorn, Akte C 312: Erläuterung zum Projekte eines neuen Begräbnisplatzes für die katholische Pfarrgemeinde Attendorn. ; HÖFFER, O., (Stadtarchivar der Stadt Attendorn): Katholischer Friedhof. E-Mail vom 17.10.2005. 5 HÖFFER, O., 1989: Requiescat in pace. Attendorn – Gestern und heute 1989 (7): 14– 17. 6 Vgl. FISCHER, N., 1996: Vom Gottesacker zum Krematori- um. 256 S., Köln: Böhlau Verlag. -5- wurde zunächst als eine quadratische Fläche mit vier Feldern angelegt, wie eine topographische Karte aus dem Jahr 1896 zeigt. Im Laufe der Jahre wurde der Friedhof bis 1921 zweimal erweitert, so dass sein Grundriss heute einer rechteckigen Form gleicht (s. Abb. 11 am Schluß des Artikels). Heute finden nur noch wenige Beisetzungen an der Windhauser Straße statt. Zudem fallen zunehmend Gräber aus der Nutzung, wodurch sich bereits das Bild des Friedhofs verändert und grableere Flächen entstehen. 3. Aktueller Zustand des Friedhofs Nachfolgend wird eine kurze Übersicht über den derzeitigen Zustand des Friedhofs und seine Nutzung als Freiraum gegeben. Der Zustand des Friedhofs wird anhand der Strukturtypenkarte vorgestellt. Die derzeitige Nutzung ergibt sich aus den Ergebnissen der Beobachtung und Befragung. Gehölze Auf dem Friedhof befinden sich außerhalb der Gräber etwa 70 verschiedene Gehölzarten und -varietäten, darunter viele Ziergehölze von ehemaligen Gräbern. Die Strauchgruppen der Randbereiche bestehen dagegen überwiegend aus heimischen Arten. Insgesamt zeichnet sich der Friedhof durch abwechslungsreiche Gehölzstrukturen in Form von Strauch- und Heckenelementen sowie Bäumen und Baumgruppen in unterschiedlichen Altersstadien und mehreren Vegetationsschichten aus. Die den Friedhof umgebende Schnitthecke besteht teils aus Weißdorn (Crataegus monogyna) und teils aus Abendländischem Lebensbaum (Thuja occidenta- Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 6 lis), wobei Weißdorn die ursprüngliche Art der Bepflanzung darstellt7. Die Allee und die den Friedhof umgebenden Baumreihen bestehen aus alten Berg-Ulmen (Ulmus glabra), alten Winter-Linden (Tilia cordata) und nach gepflanzten jüngeren Linden (s. Abb. 2) men mussten bereits aufgrund einer Pilzinfektion, herbeigeführt durch den Ulmen-Splintkäfer, gefällt werden. Die noch vorhandenen Ulmen sind ebenfalls bereits befallen und werden in den nächsten Jahren ebenfalls entfernt werden müssen. Wiesen und Rasenflächen Während der Geländearbeit konnten auf dem Friedhof rund 140 verschiedene krautige Pflanzenarten nachgewiesen werden. Davon sind fünf Arten nach den Roten Listen Deutschlands9 und Nordrhein-Westfalens 10 als gefährdet bzw. stark gefährdet eingestuft. Dazu gehören beispielsweise der Glanzlose Ehrenpreis (Veronica opaca), die Kleine Träubelhyazinthe (Muscari botryoides), der Zweiblättrige Blaustern (Scilla bifolia) und die Braunrote Stendelwurz (Epipactis atrorubens). Bei den meisten dieser Pflanzen wie der Kleinen Träubelhyazinthe und dem Zweiblättrigen Blaustern handelt es sich anscheinend um ehemalige Grabpflanzen die gute Ausbreitungstendenzen aufzeigen. Des Weiteren treten Pflanzen auf, die nach dem Entwurf einer lokalen Florenliste Abb. 2: Die Allee mit altem Baumbestand prägt das Erscheinungsbild des Friedhofs und bietet Lebensraum für Vögel und Insekten 9 Die älteren Alleebäume wurden mit dem Anlegen des Friedhofs gepflanzt und erhielten wiederholt einen Kopfschnitt, der aber anschließend wieder aufgegeben wurde. Die natürliche Baumstatik besteht daher heute nicht mehr; und bei manchen Bäumen ist eine beginnende Instabilität zu erkennen8. Einige der Ul7 tophyta) Deutschlands. - In: Schriftenreihe für Vegetationskunde 28, S. 21-187. 10 BÜSCHER, D., DIEKJOBST, H., FASEL, P., FOERSTER, E., GÖTTE, R., JAGEL, A., KAPLAN, K., KOSLOWSKI, I., KUTZELNIGG, H., RAABE, U., SCHUMACHER, W., VANBERG, C., WOLFF- STRAUB, R., 1999: Rote Liste der gefährdeten Farn- und Blütenpflanzen (Pteridophyta et Spermatophyta) in Nordrhein-Westfalen. In: Landesanstalt für Ökologie, Bodenord- PfarrA, Stadt Attendorn, Akte 10, S. 416: Kostenvoran- nung und Forsten / Landesamt für Agrarordnung NRW schlag zur Bepflanzung. 8 KORNECK, D., M. SCHNITTLER & I. VOLLMER, 1996: Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen (Pteridophyta et Sperma- (Hrsg.): Liste der gefährdeten Pflanzen und Tiere in NRW, S. PLÜCKEBAUM, M., (Umweltbeauftragter der Stadt Atten- 75-171, Recklinghausen: Landesanstalt für Ökologie, Bo- dorn): mündliche Mitteilung am 21.06.2005. denordnung und Forsten (Band 17) -6- Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 7 des Kreises Olpe 11 selten sind oder einen gefährdeten Status haben. Die meisten Arten wurden in den Teilbereichen 1, 2 und 4 gefunden (s. Abb. 1). Diese im Vergleich zu den restlichen Flächen höheren Artenzahlen sind unter anderem darauf zurück zu führen, dass in den Bereichen 1, 2 und 4 derzeit Schotterflächen von ehemaligen Einzelgräbern und Wegen vorhanden sind. Dadurch treten hier zusätzlich Arten auf, die an solche Standorte angepasst sind. Diese Pflanzen werden aber verschwinden, sobald sich auf den ehemaligen Grabflächen mehr Feinerde angesammelt hat und sich die Standortbedingungen nach und nach denen der umgebenden Wiesenflächen angleichen. Die Wiesen werden im Sommer in einem zweiwöchigen Rhythmus gemäht. Trotz dieser relativ intensiven Pflege sind verhältnismäßig vielfältige Blühaspekte zu beobachten (s. Abb. 3). So ergeben sich je nach Standort oder Jahreszeit unterschiedlichste Blütenbilder. Sie werden wahrscheinlich durch die unterschiedlichen Licht- und Feuchteverhältnisse verursacht, die jeweils andere Pflanzenarten begünstigen oder benachteiligen. Denkmalgeschützte und erhaltenswerte Elemente Auf dem Friedhof befindet sich ein offiziell geschütztes Denkmal. Die Kreuzigungsgruppe (s. Titelbild des Jahresheftes) wurde aus kunsthistorischen Gründen in die Denkmalliste der Stadt Attendorn aufgenommen12. Daneben existieren als erhaltenswert bezeichnete Grabsteine 13 . Diese befinden sich auf dem Friedhofsgelände verteilt, teilweise noch auf genutzten Grabstätten. Unter ihnen sind auch die Kriegsgräber des 1. und 2. Weltkriegs sowie die Anlage für verstorbene russische Zwangsarbeiter. Voraussichtliche Entwicklung der Grabstrukturen Die Entwicklung der Grabstrukturen zeigt, dass bereits heute laufend Gräber eingeebnet werden. Diese Situation wird sich in den kommenden Jahren noch stärker bemerkbar machen. Nach derzeitiger Rechtslage können die Gräber, die sich im Besitz Angehöriger befinden, noch so lange belegt werden wie freie Plätze vorhanden sind und die Gruft weiter gemietet wird. Freie Plätze und Belegungsrechte sind momentan noch bis 2030 vorhanden. Mit einer Ruhefrist von 25 Jahren wäre ein komplettes Auslaufen der gesamten Belegung im Jahr Abb. 3: Die Rasenflächen des Friedhofs weisen bereits heute vielfältige Blühaspekte auf und bieten Nahrung für Insekten wie den Kleinen Kohlweißling 12 11 EICKHOFF, T., 1997: Vorläufige Florenliste des Kreises SAGGEL, I., (Stadt Attendorn): schriftliche Mitteilung vom 16.11.2005. Olpe. 6 S., Olpe. 13 DENKMAL- UND KULTURAUSSCHUSS STADT ATTENDORN: Erhaltenswerte Denkmäler. Attendorn. -7- Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 8 2055 möglich. Die Abbildungen 5-7 zeigen die voraussichtliche Entwicklung der Grabstrukturen. Nutzung Die meisten derzeitigen Friedhofsbesucher sind zwischen 50 und 70 Jahre alt. Insgesamt halten sich nur sehr wenige jüngere Menschen und Kinder auf dem Friedhof auf. Die häufigsten Nutzungen des Friedhofs sind – der derzeitigen Belegungsdichte entsprechend – die Grabpflege und der Besuch eines Grabes ohne Pflegearbeit. Viele Anwohner durchqueren den Friedhof auf ihren täglichen Wegen und nutzen ihn als fußläufige Abkürzung. Weiterhin wurden Tätigkeiten beobachtet wie Spazieren gehen, sich mit Leuten treffen oder auf einer Bank sitzen. Abb. 5 und 6: Voraussichtlich vorhandene Gräber in den Jahren 2005 und 2025. Die Befragung ergab, dass den derzeitigen Nutzern an diesem Ort besonders „das viele Grün“ „die Natur“, „die Ruhe“, „die Bäume“ sowie die Parkähnlichkeit des Friedhofs und seine Lage mitten in der Stadt gefallen. Als Wünsche für zukünftige Gestaltung wurden mehr Bänke, Gestaltungselemente mit Wasser sowie die Erhaltung der Bäume und des Friedhofscharakters genannt. Insgesamt besteht der Wunsch nach einer ruhigen Gestaltung als Park (s. Tab. 1). Wünsche für die spätere Anzahl der Gestaltung Nennungen mehr Bänke 14 Wasser (Brunnen o.ä.) 14 Bäume erhalten 8 Friedhofscharakter erhalten 7 ruhige Gestaltung 6 Abb. 7: Voraussichtlich vorhandene Gräber im kein Bolz- oder Tummelplatz 5 Jahr 2045 schattige Plätzchen 5 viel Grün 4 -8- Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Ort für Konzerte 3 Kiosk oder Café 3 Kinderspielplatz 2 Bolzfläche 2 Pflege 2 Lampen entlang der Wege 1 Tische und Bänke 1 kein Fahrradfahren 1 Seite 9 Aufgrund ihres Alters stellen die Allee und die den Friedhof umgebende Baumreihe die wertvollsten Bereiche für den Naturschutz dar. Ebenfalls von Bedeutung sind die artenreicheren Wiesen, die gleichzeitig auch eine größere Vielfalt an Standorteigenschaften aufweisen. Vor dem Hintergrund der zukünftigen Parknutzung erscheinen die Qualitäten in Teilen jedoch noch als verbesserungswürdig. Tab. 1: Wünsche für die spätere Gestaltung (Mehrfachnennungen möglich; Zahl der Befragten: 55) 4. Bewertung des aktuellen Zustands Anhand des dargestellten Zustands wurde der Friedhof aus Sicht der Freiraumplanung, der Denkmalpflege und des Naturschutzes bewertet. Das Ergebnis zeigt, dass der Friedhof bereits Qualitäten bezüglich der drei genannten Ziele aufweist. Für den Freizeitund Erholungswert des Friedhofs befinden sich derzeit vor allem unter der Allee mit ihrem alten Baumbestand und im Bereich der artenreicheren Wiesen mit ihren vielfältigeren Blühaspekten besonders bedeutsame Bereiche. Hier kann den ruhigen Formen der Erholung nachgegangen werden. In Bezug auf den Denkmalschutz besonders bedeutsam sind die Bereiche der Kriegsgräber aus den beiden Weltkriegen und der Anlage für verstorbene russische Zwangsarbeiter sowie die Umgebung der Kreuzigungsgruppe und der Gräberstreifen entlang der Kampstraße, wo die höchste Dichte an denkmalwürdigen Elementen auf dem Friedhof auftritt. -9- 5. Nachnutzungskonzept Für die Nachnutzung wurden auf Basis des in der Einleitung formulierten Ziels die folgenden Leitlinien zur weiteren Planung erstellt, mit deren Hilfe Maßnahmen für eine Verbesserung der Qualitäten des Friedhofs in Bezug auf die Freiraumplanung, die Denkmalpflege und den Naturschutz erarbeitet werden. In Bezug auf die Freiraumplanung soll der Freizeit- und Erholungswert des Friedhofs gesteigert werden. Dabei soll ein Raum für alle Altersgruppen entstehen, der eine eher ruhige Gestaltung aufweist. Des Weiteren sollen in Denkmalschutz sowohl wie auch künstlichen der Friedhofsgestaltung Teilen erneuert werden. Bezug auf den die natürlichen Grundelemente erhalten und in Zur Steigerung des Naturschutzwertes sollen das Vorkommen von charakteristischen Arten und die vorhandene Strukturvielfalt des Friedhofs erhalten und weiter entwickelt werden. Die Maßnahmen sind in verschiedenen Zeiträumen umsetzbar (s. Abb. 8 am Schluß des Artikels) und werden im Folgenden nach dem Zeitpunkt ihrer Durchführbarkeit dargestellt. Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 10 5.1 In naher Zukunft durchzuführende Maßnahmen Die Maßnahmen, die in der nächsten Zeit durchgeführt und abgeschlossen werden können, dienen überwiegend der Erhaltung bestimmter Strukturen oder bedürfen nur eines relativ kurzen Zeitaufwands. Vervollständigen der Allee und der den Friedhof umgebenden Baumreihe Aus Gründen der Denkmalpflege soll die Allee ebenso wie die den Friedhof umgebende Baumbepflanzung in ihrer Form erhalten werden. Dafür ist eine Vervollständigung des derzeitigen Bestandes nötig. Die Nachpflanzungen werden mit Winter-Linden (Tilia cordata) und nicht mit Berg-Ulmen (Ulmus glabra) durchgeführt, da andernfalls der Befall durch den Ulmensplintkäfer absehbar wäre. Um ein möglichst symmetrisches Aussehen der Allee zu erhalten, werden die gegenüberliegenden Bäume immer gemeinsam ersetzt. Wiederherstellung der umgebenden Weißdornhecke Um den Originalzustand wiederherzustellen und die Bedeutung der Hecke für den Arten- und Biotopschutz zu steigern, soll die den Friedhof umgebende Hecke wieder komplett aus Weißdorn (Crataegus monogyna) bestehen. Dazu werden die Teile der Hecke, die zurzeit aus Abendländischem Lebensbaum (Thuja occidentalis) bestehen, entfernt und durch Weißdorn ersetzt. Entwicklung eines lockeren Baumbestandes Im Bereich des Haupteingangs in den Teilbereichen 6 und 7 wird ein lockerer Baumbestand entwickelt, der den Besuchern einen Raum mit schattigen Plätzen sowie der Tierwelt einen vielfältigen Lebensraum bietet. Für den Baumbestand sollen möglichst kleine bis mittel- - 10 - große (Höhe 5-20 m) Laubgehölze verwendet werden. Dabei sollen die Gehölze in einem Abstand gepflanzt werden, dass kein geschlossenes Kronendach entsteht. Die bereits vorhandene HängeBlut-Buche (Fagus sylvatica ´Purpurea pendula’), der Ginkobaum (Ginko biloba) sowie der Kugel-Ahorn (Acer platanoides ‚Globosum’) werden erhalten. Die Anpflanzung der Bäume in diesen bereits ab 2015 gräberarmen Bereichen sollte in den nächsten Jahren geschehen, so dass die ästhetische Wirkung und die Bedeutung der Bäume für den Arten- und Biotopschutz schon mit dem Auslaufen des Friedhofs zum Tragen kommen. Einbindung der Anlage für verstorbene russische Zwangsarbeiter Die Anlage für verstorbene russische Zwangsarbeiter soll besser in den gesamten Raum eingebunden werden. Hierzu werden die Sträucher des Gehölzstreifens zum restlichen Friedhof entfernt, so dass nur die Bäume bestehen bleiben. Auch die Hainbuchenhecke, die die Anlage umgibt, wird erhalten. Die Abpflanzung im Bereich der Weißdornhecke kann nach Bedarf verstärkt werden, um den Bereich zur viel befahrenen Windhauser Straße gegen Lärm hin abzuschirmen. Die Wege im Bereich der Anlage sollen miteinander verbunden werden, so dass ein Rundweg entsteht (s. Abb. 12 am Schluß des Artikels). Informationsmaßnahmen Um Informationen über den Friedhof für die Nutzer bereitzustellen und an die Nutzung als Friedhof zu erinnern, ist das Aufstellen einer Informationstafel, die beispielsweise an der Wand des heutigen Gärtnerhäuschens angebracht wird, hilfreich. Hier könnte über die Geschichte des Friedhofs, einige denkmalwürdige Grabsteine sowie vorkommende Tiere Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 11 und Pflanzen informiert werden. Das Aufstellen einer solchen Tafel ist bereits vor Aufgabe der Nutzung als Friedhof sinnvoll und möglich. Schnittgut auf den anzureichernden Flächen verteilt wird. In den Bereichen dieser Wiesen werden alle Friedhofsgehölze entfernt. Auch die Erarbeitung eines Faltblatts mit Informationen ist denkbar. Dieses Faltblatt kann ähnliche Informationen wie die Informationstafel enthalten und beispielsweise im Tourismusbüro der Stadt Attendorn ausgelegt werden. Förderung des Blühaspektes im Frühjahr Um den Freizeit- und Erholungswert des Friedhofs zu verbessern, soll der Blühaspekt auf den Wiesenflächen im Frühjahr gesteigert werden. Zu diesem Zweck werden Frühjahrsgeophyten (Zwiebelpflanzen) in die Teilbereiche 2, 3, 6 und 7 eingebracht. Dabei wird im Bereich der denkmalwürdigen Grabsteine Winterling (Eranthis hyemalis) verwendet, unter dem lockeren Baumbestand der zweiblättrige Blaustern (Scilla bifolia) oder der Sibirische Blaustern (Scilla siberica). Die Blumenzwiebeln können bereits im Laufe der nächsten Jahre auch zwischen den noch vorhandenen Gräbern eingebracht und der Bestand nach und nach ergänzt werden. Vorhandene Frühjahrsgeophyten von ehemaligen Grabstätten verbleiben in den Flächen. 5.2 Über einen längeren Zeitraum durchzuführende Maßnahmen Mit den folgenden Maßnahmen kann in der nächsten Zeit begonnen werden. Sie ziehen sich allerdings über einen längeren Zeitraum hin, da es sich zum Teil um Entwicklungsmaßnahmen handelt. Entwicklung von naturnahen Wiesen In den Teilbereichen 1 und 4 werden zur Steigerung des Naturschutz- und des Erholungswertes naturnahe, artenreiche Wiesen entwickelt, da dies bereits heute die artenreichsten Wiesen auf dem Friedhof sind. Zur Weiterentwicklung werden die heute schotterigen Bereiche so belassen, wie sie sind, sie sollen also in keiner Weise eingeebnet oder mit Mutterboden abgedeckt werden. Durch eine extensive Mahd (2-3 mal pro Jahr) in diesen Teilbereichen soll das Aufkommen weniger schnittverträglicher Arten gefördert und damit die Artenvielfalt auf dem gesamten Friedhof erhöht werden. Keinesfalls sollen diese Flächen mit einer fertigen Blumensaatmischung eingesät werden, da sich auf dem Friedhof eine lokal typische Wiesenvegetation entwickeln soll. Es könnten lediglich Samen von in der Umgebung liegenden artenreichen Wiesen, die ähnliche Standortbedingungen aufweisen, auf die Flächen aufgebracht werden, zum Beispiel im sogenannten HeudruschVerfahren, bei dem aussamendes - 11 - Schaffung einer größeren Freifläche In den Teilbereichen 5 und 6 ist die Vegetation der Wiesen bereits heute am besten an Tritt und Mahd angepasst, daher ist hier eine größere Freifläche geplant, die etwa zwei Drittel der beiden Teilbereiche einnimmt. Dadurch entsteht ein Raum, in dem vielfältige Nutzungsformen wie etwa Kinderspiel, Lagern auf den Wiesen und ähnliches möglich sind. Die Pflege dieser Wiesenflächen soll eher intensiv geschehen (Mahd alle 2-3 Wochen). Die zurzeit auf der Fläche existierenden Friedhofsgehölze werden entfernt sowie der Urweltmammutbaum (Metasequoia glyptostroboides) in den Bereich mit einem lockeren Baumbestand umgepflanzt. Der Ginkobaum (Ginko biloba) kann an Ort und Stelle verbleiben. Aufgrund der derzeitigen Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 12 Friedhofsordnung ist ein Betreten der Rasenflächen untersagt. Eine offizielle Nutzung dieser Fläche wäre daher erst nach dem Auslaufen der Friedhofsnutzung möglich. Sammlung der denkmalwürdigen Grabsteine im Bereich der Kreuzigungsgruppe Zur Betonung des Friedhofscharakters in diesem Teil der späteren Parkanlage sind die denkmalgeschützten und denkmalwürdigen Grabsteine auf dem Friedhof zu erhalten und im Bereich der Kreuzigungsgruppe zu sammeln. Dazu ist eine Versetzung der denkmalwürdigen Grabsteine in den im Konzeptplan vorgesehenen Bereich nötig (s. Abb. 12). Ausgenommen von dieser Versetzung sind vor allem die Grabsteine entlang der Kampstraße, einige besonders große und schwere Steine im Bereich der Allee, die Kriegsgräber der beiden Weltkriege sowie die Anlage für verstorbene russische Zwangsarbeiter. Mit dem Versetzen der Grabsteine kann bereits in den kommenden Jahren begonnen werden. Sobald das zu dem denkmalwürdigen Stein gehörende Grab aus der Nutzung fällt und eingeebnet ist, wird das Grabmal in den Bereich der Kreuzigungsgruppe versetzt. Die versetzten Steine sollen dabei locker verteilt und in Anlehnung an die ehemaligen Grabstrukturen angeordnet werden. Zur Verstärkung des Friedhofscharakters in diesem Bereich des Freiraums bleiben in den Teilbereichen 2 und 3 besonders gut erhaltene Friedhofsgehölze, die eine Höhe von 10-15 m nicht überschreiten, stehen. Die Pflege der Wiesenflächen im Bereich der denkmalwürdigen Grabsteine erfolgt eher extensiv, das bedeutet ein Mahdabstand von etwa 3-4 Wochen. - 12 - 5.3 Nach Ende der Friedhofsnutzung durchzuführende Maßnahmen Bei den Maßnahmen, die erst nach Beendigung der Friedhofsnutzung durchführbar sind, handelt es sich vor allem um Gestaltungsmaßnahmen, die eine größere grabfreie Fläche erfordern. Schaffung einer ruhigen Sitzecke Um einen ruhige Sitzecke zu schaffen wird im Teilbereich 4 eine Nische mit Sitzgelegenheiten und einem Wasserbecken angelegt. Damit dieser Bereich vom Rest des Parks abgegrenzt ist, wird hier ein großkroniger heimischer Laubbaum gepflanzt. Auf die Gestaltung des Wasserbeckens wird in diesem Konzept nicht genauer eingegangen, da eine Umsetzung nach derzeitigem Stand frühestens ab 2045 möglich wäre. Die Abbildungen 9 und 10 geben jedoch einen Eindruck von verschiedenen Möglichkeiten. Das Aufstellen von Bänken ist hier schon früher, ungefähr ab 2035, möglich. Abb. 9 + 10: Gestaltungsmöglichkeiten für ein Wasserbecken: Die Form und das Material sollten sich in das Erscheinungsbild des Freiraums integrieren Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 13 Anlage eines naturnahen Kinderspielbereichs Um die Attraktivität des Freiraums für junge Nutzer zu erhöhen wird im Teilbereich 8 ein naturnaher Spielbereich mit Sandkuhle und Wasserpumpe, Baumstämmen zum Klettern und Hängematten angelegt. Die derzeitige Friedhofsordnung untersagt sowohl Kinderspiel als auch das Betreten der Rasenflächen, daher kann die Spielecke erst nach dem Ende der Friedhofsnutzung entstehen. Abpflanzungen in den Randbereichen Um Lärmbeeinträchtigungen des Friedhofs durch die Windhauser Straße zu mildern, werden möglichst heimische, Lärm mindernde Sträucher entlang der Hecke im Bereich der Straße gepflanzt. Damit die optische Beeinträchtigung durch die Turnhalle abgeschwächt wird, können entlang der Turnhalle Abpflanzungen vorgenommen werden. Als Alternative bietet sich eine Fassadenbegrünung der Turnhalle an. Die Abpflanzungen erfolgen in Form von möglichst heimischen Blütensträuchern, um die Abpflanzung für Mensch und Tier attraktiv zu gestalten. - 13 - 6. Fazit Insgesamt betrachtet lässt sich sagen, dass der alte katholische Friedhof an der Windhauser Straße bereits über ein gutes, allerdings noch steigerungsfähiges Potential für Freiraumnutzung, Denkmalpflege und Naturschutz verfügt. Der Friedhof bietet durch seine verhältnismäßig hohe Arten- und Strukturvielfalt Chancen für den Arten- und Biotopschutz. Außerdem hat er durch das Vorhandensein verschiedener denkmalwürdiger Grabsteine aus verschiedenen Zeitepochen und mit zum Teil sehr stadtspezifischen geschichtlichen Hintergründen eine hohe Bedeutung für den Denkmalschutz. Durch seine innenstadtnahe Lage und aufgrund des eher mangelhaften Angebots an öffentlichen Grünflächen im Stadtkern wird die Bedeutung des Friedhofs als Raum für die wohnungsnahe Erholung der Anwohner weiter steigen. Da die Nutzung des Freiraums als Friedhof allerdings erst ca. 2055 ausläuft und er bis dahin noch für Angehörige der Beerdigten eine große Bedeutung als Friedhof haben wird, stellt seine Umgestaltung eine Gradwanderung zwischen Friedhofsruhe und Parknutzung dar. Es erscheint daher sinnvoll bereits jetzt einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Nutzungsansprüchen zu suchen. Das in der vorliegenden Arbeit entwickelte Nachnutzungskonzept ist für diesen Zweck geeignet, da es auch in Zukunft eine Möglichkeit zum Gedenken an die hier Beerdigten vorsieht, aber gleichzeitig eine allgemeinere Freizeitnutzung ohne die einschränkenden Regeln und Verhaltenserwartungen für einen Friedhof ermöglicht. Bei der Maßnahmenplanung wurde darauf geachtet, dass einige Maßnahmen schon in nächster Zeit durchführbar sind und ihre Wir- Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 14 kung über einen längeren Zeitraum hinweg entfalten. Dadurch kann sich das Erscheinungsbild des Friedhofs nach und nach wandeln, ohne dass Beeinträchtigungen der Friedhofsnutzung entstehen. Wir danken Roswitha Kirsch-Stracke vom Institut für Umweltplanung der Universität Hannover für die Durchsicht des Manuskriptes. Sie regte diese Studienarbeit an und betreute sie. Abb. 8: Zeitliche Durchführbarkeit der Maßnamen - 14 - Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 15 Abb. 11: Zustand des Friedhofs im Jahr 2005 Abb. 12: Der Friedhof bietet nach der Umnutzung und der Durchführung der Maßnahmen vielfältige Nutzungsmöglichkeiten ohne die ursprüngliche Nutzung und Bedeutung zu vergessen - 15 - Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 16 Die Bombardierung Attendorns von Elmar Rothäuser Am 01.09.1944 musste meine Mutter mit uns drei Kindern Metz/Lothringen als Reichsdeutsche verlassen, und wir fanden eine Bleibe in Herne/Westfalen bei meinen Großeltern. Als die Bombardierung der Außenbezirke Hernes zunahm - der Stadtkern selbst blieb bis zum Schluss verschont - wurden die Schulen geschlossen. Meine Mutter mit uns Kindern, eine Tante mit zwei Kindern und unsere Großmutter durften die leerstehende Wohnung meines Onkels Josef Decker in Attendorn, Bremger Weg 8, beziehen. Er selbst hatte seine Familie bei seinen Schwiegereltern in Menden (Sauerland) untergebracht. Wir schulpflichtigen Kinder gingen in Attendorn wieder zur Schule, und alle glaubten, jetzt vor den Bomben der Alliierten sicher zu sein. Wir kamen allerdings vom Regen in die Traufe. Ich selbst wurde durch Schwester Mater Martina, einer Ursulinerin, auf die 1. Heilige Kommunion vorbereitet und sollte Weißen Sonntag 1945 in der dortigen Pfarrkirche das Sakrament empfangen. Am 28. März, Mittwoch vor Ostern, schickte meine Mutter mich zum Frisör in die Innenstadt. Dort traf ich mit mehreren anderen Kindern zusammen. Auch Frau Maria Schulte, unsere Wohnungsvermieterin vom Bremger Weg, suchte zur selben Zeit den Frisör auf. Ich sollte sie nie wieder sehen. Plötzlich heulten die Sirenen. Es war Fliegeralarm. Nach „Voralarm" und nachfolgendem „Vollalarm" schickte der Frisör uns Kinder nach Hause. Ihm verdanken wir Kinder unser Leben!!! Dies wurde mir erst be- - 16 - wusst, als der Krieg schon lange zu Ende war. Alle Erwachsenen, die in seinem Salon bleiben durften, wurden Opfer des Bombenangriffs. Das Haus wurde total zerstört. Der Attendorner war gänzlich unbedarft und unbekümmert, denn bis jetzt war er vom Krieg verschont geblieben. Ich schlenderte am Friedhof vorbei Richtung Bremger Weg, als ich das Dröhnen der alliierten Bomber über mir vernahm. Ich sah hoch und erkannte, wie die Bomben ausgeklinkt wurden das hatte ich bereits einmal in Herne erlebt. Sekunden später trafen sie die Innenstadt tödlich. Durch die Druckwelle wurde ich gegen eine Hausmauer geworfen. Ein Luftschutzwart hob mich auf und trug mich in den Luftschutzbunker. Nach der „Entwarnung" lief ich schnell nach Hause. Man kann sich die Freude meiner Mutter kaum vorstellen, als sie ihren Jüngsten wieder gesund und unverletzt in die Arme nehmen konnte. Meine größte Sorge zu diesem Zeitpunkt war: Konnte ich am Weißen Sonntag in unserer Pfarrkirche mit zur Kommunion gehen? Nein ich konnte nicht! Denn am Morgen nach dem Angriff sah ich vom Bremger Weg aus, dass der Kirchturm der Pfarrkirche fehlte - er war nicht mehr da. Für mich brach damals eine kleine Welt zusammen. Wir Attendorner Kommunionkinder durften in dem kleinen Ort Ennest am Weißen Sonntag an der Kommunion mit teilnehmen. Nach dem schrecklichen Bombardement auf Attendorn setzten die Alliierten bis zu ihrem Einmarsch vermehrt Tiefflieger ein, die auf alles schossen, was sich bewegte. Sie flogen so tief, dass ich die Piloten in Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 17 ihren Kanzeln sehen konnte. Wenn ich als älterer Mensch heute an unsere Kinderspiele zur damaligen Zeit denke, werde ich sehr nachdenklich. Wir spielten nicht die typischen Kinderspiele wie Nachlaufen, Versteckspielen, Räuber und Gendarm u. a.. Nein - wir spielten Krieg, Straße gegen Straße. Wir hatten Uniformen an, steckten uns gefundene Kriegsorden an die Brust, bewarfen uns mit Steinen, schlugen mit Stöcken aufeinander ein. Verletzten wir uns und bluteten, wurden wir von Mädchen mit DRK-Häubchen verbunden. Diese „Spielchen" hörten Gott sei Dank schlagartig auf, als der Amerikaner kam. Einmarsch der Amerikaner Am 11. April 1945 erreichten die Amerikaner Attendorn. Ich erinnere mich deshalb so genau an dieses Datum, weil unsere Oma an diesem Tag ihren 66. Geburtstag beging, und keiner von uns an ihn gedacht hatte. Als Kunde kam, die Amerikaner kämen und stünden vor der Stadt, hingen die Frauen weiße Tücher (Bettlaken) aus dem Fenster zum Zeichen des „Sich Ergebens". Der Bremger Weg sah aus wie eine Gespensterstraße. Viele Attendorner zogen es vor, in die Atta-Höhle zu flüchten, um hier den Einmarsch abzuwarten. Meine Familie blieb im Hause, und dieser Entschluss bewies sich als richtig. Die Einnahme Attendorn verlief problemlos. Hier und da hörten wir noch Schüsse, weil einige versprengte deutsche Soldaten noch glaubten, eine Wende herbeiführen zu können. Der Bremger Weg wurde Haus für Haus eingenommen. Die Amerikaner war kein Barbar, er war zivilisiert, diszipliniert, konnte aber auch Härte zeigen. Härte zeigte er dann, wenn es galt, Wohnungen oder Häuser zu requirieren. Er war - 17 - aber auch offen für Einwände und Argumente. So wurde von der Beschlagnahme des Hauses Bremger Weg 8 abgesehen, weil hier insgesamt 9 Kinder wohnten, einschließlich der heranwachsenden Kinder Hubert und Ilse Schulte, die ein paar Tage vorher ihre Mutter verloren hatten. Von Übergriffen amerikanischer Soldaten auf deutsche Zivilpersonen, insbesondere auf Frauen habe ich damals oder auch später nie etwas gehört, geschweige dann erlebt oder gesehen. In den Tagen vor dem Einmarsch versuchte jeder noch schnell Gegenstände aus der NS- Zeit wie Orden und Ehrenzeichen, komplette HJ-Uniformen oder Uniformteile, Dolche, Pistolen und Revolver loszuwerden. Sie wurden in den Gärten verbuddelt und vergraben. Andere warfen diese Relikte einfach fort. Clevere Zeitgenossen übergaben diese unmittelbar an die Amerikaner und diese erhielten im Gegenzug dafür Zigaretten, Kaffee, Brot oder Schokolade. Noch Wochen später fanden wir Kinder auf unseren Streifzügen diese versteckten oder fortgeworfenen Dinge und übergaben sie den Amerikanern. Zu Anfang des Bremger Weges von der Stadt kommend, stand links ein Heiligenhäuschen, dieses wurde von den Amerikanern als Wach- oder Postenhäuschen umfunktioniert. Wir Kinder hielten uns, soweit es erlaubt war, gerne in der Nähe der Soldaten auf. Hin und wieder gab es nämlich etwas zu essen, ein Stück Schokolade oder einen Kaugummi, den wir bisher noch nicht kannten. In den Zeiten der Entbehrungen und des Hungers erinnere ich mich noch an ein Ereignis, das sich tief einprägte. Ein GI warf einen Karton mit Rosinenbrötchen Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 18 in einen Bach hinter unseren Häusern, weil es sich eine Maus in dem Karton gemütlich gemacht hatte. Entweder wollte er uns ärgern, oder er gönnte uns diese Brötchen nicht. Wir Kinder liefen den Bach hinunter, fischten den Karton aus dem Wasser, wrangen die Brötchen aus, verteilten sie und aßen sie auf. Hunger tut und tat weh! Unmittelbar nach dem Einmarsch oder der Kapitulation am 08. Mai 1945 begann auch die Zeit des „Hamsterns". Da wir alle großen Hunger hatten, tauschte meine Mutter Anzüge und Schuhe meines Vaters, der in französischer Kriegsgefangenschaft war, bei den Bauern gegen Essbares um. Da seit dem Bombenangriff die Schulen geschlossen waren, begleiteten wir sie oft auf ihren Hamstertouren. Ich weiß noch aus diesen Kindertagen, dass die Bauern sich ihrer damaligen „Machtstellung" recht bewusst waren und meine Mutter, als sie das 2. oder 3. Mal versuchte, etwas zu essen zu bekommen, einfach fortschickten. Wenn Brot oder andere Lebensmittel „aufgerufen" wurden, das war der damals gängige Ausdruck, wenn man auf Lebensmittelkarten einkaufen konnte. Wir stellten uns zu Dritt oder Viert in die Schlange, die sich sofort vor dem Geschäft bildete, in der Hoffnung, noch etwas zu ergattern. So hungerten wir uns durch das Jahr 1945 und durch alle - 18 - nachfolgenden Jahre bis zur Währungsreform 1948. An das Explosionsunglück im Rathaus im Juni 1945 kann ich mich auch noch gut erinnern. Ich hielt mich wieder in der Innenstadt auf. Ich muss in der Nähe des Rathauses gewesen sein, denn ich sah nach der verheerenden Explosion die Trümmer und sah verletzte Personen umherirren. Eine blutüberströmte Frau mit einer Glasscheibe im Kopf sehe ich heute noch bildlich vor mir. Auch erinnere ich mich noch, dass nicht identifizierte Leichen in einem Massengrab beigesetzt wurden, und der damalige Erzbischof von Paderborn Kardinal Lorenz Jäger die Trauerfeier hielt. Nur die spektakulärsten Bilder und Begebenheiten prägen sich als Kind ein und sind nach über 60 Jahren noch abrufbar. Ansonsten habe ich keine Erinnerungen mehr an Örtlichkeiten, Straßen-, Personen- oder Geschäftsnamen, die nicht in unmittelbarer Nähe der Wohnung lagen. Wir zogen schon im August 1945 wieder nach Herne zurück. Ich erinnere mich noch an die schöne alte Stadt Attendorn, in der ich und meine Familie leider so viel Schreckliches erleben mussten. Heute lebe ich mit meiner Frau in der Nähe von Bonn und freue mich immer, wenn uns meine Kinder mit den Enkeln besuchen. Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 19 100 Jahre Collegium Bernardinum am Nordwall 120 Jahre Collegium Bernardinum in Attendorn von Birgit C. Haberhauer-Kuschel 2007 können wir nicht nur auf die Entdeckung der Attahöhle vor 100 Jahren zurückblicken. Der Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in Attendorn stark geprägt durch schulische Aspekte. Während am 25. September 1906 die neue evangelische Schule eingeweiht werden konnte, nahmen die Ursulinen am 1. Januar 1908 ihre Tätigkeit in Attendorn auf, dicht gefolgt von der Einweihungsfeier des neu erbauten Gymnasiums am Westwall wenige Tage später. Bereits am 17. April 1907 fand im neu errichteten Collegium Bernardinum am Nordwall die feierliche Einweihungsfeier des neuen Knabenkonviktes statt. Doch schon mehr als 20 Jahre zuvor wurde der Entschluß gefasst, in Attendorn ein Gymnasialkonvikt zu errichten. Am 5. November 1885 stellte Dechant Bernard Pielsticker der allgemeinen Pfarrkonferenz in Attendorn den Plan zur Errichtung eines Gymnasialkonvikts vor. Er verfolgte damit die Absicht, talentierten jungen Männern des Dekanates, die den Priesterberuf ergreifen wollten, das Studium zu ermöglichen oder zu erleichtern. Hintergrund für seine Überlegungen war der sog. Kulturkampf, die Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche unter Papst Pius IX. und dem Königreich Preußen bzw. dem Deutschen Reich unter Reichskanzler Otto von Bismarck zwischen 1871 und 1887, die viele Lücken innerhalb des Klerus geschaffen hatte. Die Dekanatsgeistlichkeit stimmte dem Vorhaben begeistert zu, versprach tatkräftige Unterstützung und Förderung durch eine alljährliche Kirchenkollekte in allen Pfarreien des Dekanates und wähl- - 19 - te gleichzeitig ein Komitee zum Bau eines Knabenkonviktes in Attendorn. Im August 1885 waren schon Spenden in Höhe von 4.000 Mark eingegangen, die um 600 Mark aufgestockt wurden, die Dechant Pielsticker zur Feier seines goldenen Priesterjubiläums überreicht wurden. Für 2.100 Mark kaufte er sodann ein Grundstück neben dem Pfarrhaus, schenkte es als Bauplatz für das Konvikt und spendete weitere 6.000 Mark für den Baufonds. So konnte bereits am 23. September 1886 der Grundstein zum Konviktsgebäude gelegt werden. Planung und Ausführung übernahm Maurermeister Franz Frey aus Attendorn, dem es gelang, den Rohbau vor Beginn des Winters fertigzustellen. Das alte Bernardinum I. Aus: Collegium Bernardinum 1887-1912, Attendorn 1912. Das Gebäude hatte eine Länge von 42 Fuß sowie eine Tiefe von 33 Fuß. Die Kellerhöhe betrug 8 Fuß, die der beiden Stockwerke je 11 Fuß und des Dachgeschosses 9 Fuß. Im Erdgeschoss waren rechts vom Haupteingang 3 Zimmer für das Hauspersonal vorgesehen, links ein Speisesaal und die Küche. Den ersten Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 20 Stock nahmen die Wohnung des Präses mit 3 Räumen ein sowie 2 Studiersäle. Die 4 Räume des Dachgeschosses dienten als Schlafräume. Dechant Pielsticker erlebte die Vollendung des Gebäudes jedoch nicht mehr. Am 12. April 1887 starb er, tief betrauert von der ganzen Pfarrgemeinde, an den Folgen der Wassersucht und eines Herzleidens. Gymnasial-Professor Clemens August Werra nahm sich nun mit großem Interesse des Konviktes an und erreichte, dass das Gebäude im Herbst 1887 fertig gestellt und für die Aufnahme der Zöglinge eingerichtet war. So konnte das Gymnasial-Konvikt mit Genehmigung des Provinzial-Schulkollegiums in Münster am 23. September 1887 seine Pforten öffnen und seinen Betrieb mit 9 Zöglingen aufnehmen. Die Genehmigung enthielt neben einer bestimmten Hausordnung auch folgende allgemeine Bestimmungen: 1. Unter dem Namen Bernardinum ist vom verstorbenen Dechanten Bernard Pielsticker hierselbst unter Beihülfe der Dekanatsgeistlichkeit eine Privat-Erziehungsanstalt gegründet; dieselbe bezweckt, katholischen Schülern des hiesigen Gymnasiums neben körperlicher Pflege und Beaufsichtigung ihrer häuslichen Studien eine gute sittliche Erziehung zu geben. 2. Die Verwaltung der Anstalt führt der derzeitige Pfarrer von Attendorn, dem darin ein geistlicher Gymnasiallehrer und ein von der Geistlichkeit gewählter Vertreter derselben zur Seite stehen. Dieser Vorstand bestellt im Einvernehmen mit dem Direktor des Gymnasiums den Leiter der Anstalt und entscheidet über die Aufnahme von Zöglingen. Auch über das Hauswesen führt er die Aufsicht. - 20 - 3. Verwaltung und Leitung der Anstalt sind der Oberaufsicht des Gymnasialdirektors unterstellt. 4. Die Zöglinge haben, wie die anderen Schüler, allen Anordnungen der Schule Folge zu leisten. In diesen allgemeinen Statuten wird die enge Verknüpfung von Gymnasium und Knabenkonvikt deutlich, die die weitere Entwicklung des Collegium Bernardinums entscheidend beeinflussen sollte. Der Pensionspreis für ein Jahr betrug 1887 übrigens 500 Reichsmark. Die Hausordnung von 1887 sah vor, dass die Zöglinge ohne besondere Erlaubnis weder das Haus verlassen noch Besuche annehmen durften. Für die nötige Erholung wurde durch gemeinsame Spaziergänge und Spiele sowie durch Gartenaufenthalt gesorgt. Die Tagesordnung schrieb vor: 6 Uhr (im Sommer 5 Uhr) aufstehen. 6 Uhr 15 Min. Morgengebet, Studium (Hl. Messe), Frühstück. 8 - 12 Uhr Unterricht 12 Uhr 15 Min. Mittagessen; freie Zeit. 2 - 4 Uhr Unterricht (Mittwoch und Samstag Spaziergang). 4 Uhr 15 Min. Vesperbrot; freie Zeit. 5 Uhr Studium. 7 Uhr 30 Min. Abendessen; freie Zeit. 9 Uhr 30 Min. Abendgebet; Schlafengehen. Erster Leiter des Knabeninternates wurde Caspar Papencordt, Rektor des Hospitals. Fast 11 Jahre leitete er die Geschicke der neuen Einrichtung. Der 1840 in Wetter an der Ruhr geborene Papencordt wurde nach Abschluß seiner vorbereitenden Studien am 14. August 1868 in Paderborn zum Priester geweiht. Zunächst als Missionsvikar in Weißenfeld/Sachsen tätig, wurde er 1869 zum Rektor des Hospitals berufen. Hier widmete er sich mehr als 29 Jahre Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 21 hingebungsvoll den Bedürfnissen der Armen und Kranken des Hospitals, während er daneben auch als Vikar in der Pfarrkirche und damit in der Seelsorge tätig war. In seiner Ägide wurde die Einsturz gefährdete Hospitalkirche 1878 1882 innen und außen gründlich renoviert und 1884 das Hospital um einen Westtrakt erweitert. Mit der Übernahme der Leitung des Konviktes 1887 galt sein ganzes Streben nun der Ausbildung und Fürsorge für seine Zöglinge. Um auch Schülern außerhalb des Dekanates und der Diözese den Zugang zu Gymnasium und Konvikt in Attendorn zu ermöglichen kaufte Professor Werra bereits im Sommer 1887 das Wilmes'sche Wohnhaus nebst Garten an. In diesem Haus wurde gleichfalls am 23. September 1887 unter dem Namen Bernardinum II eine Dependance des Gymnasial-Konviktes mit 6 Schülern eröffnet. Das alte Bernardinum II. Aus: Collegium Bernardinum 1887-1912, Attendorn 1912. Leiter dieser Abteilung wurde zunächst der Gymnasial-Professor Dr. Sasse, dem zu Ostern 1888 der Kandidat Vente folgte. Als erster geistlicher Präses trat der elsässische Geistliche Dr. Joseph Burg im Januar 1889 seine Stellung im Bernardinum II an. Sein Nachfolger wurde von Ostern 1891 bis Ostern 1907, als beide Abteilungen im Neubau am Him- - 21 - melsberg zusammengelegt wurden, Vikar Otto Lex. Die Zahl der Zöglinge nahm so rasch zu, dass das Konvikt zu Ostern 1890 insgesamt 47 Schüler versorgte. Die vielen Aufnahmegesuche führten dazu, dass der Vorstand eine Vergrößerung der Anstalt vornahm. Im Sommer 1891 wurde Bernardinum II durch einen Neubau erweitert, der die Zahl der Zöglinge hier auf 33 ansteigen ließ. 1892 konnte auch Bernardinum I durch Anpachtung des Herrn Kespe gehörenden Nachbarhauses vergrößert werden. Beide Häuser wurden durch einen Zwischenbau unmittelbar verbunden und gewährten so 42 Zöglingen eine neue Heimat. Ende November 1892 stellte der Vorstand des Konviktsvereins an den Magistrat der Stadt Attendorn den Antrag, die ehemalige Klosterkirche, die seit Herbst 1888 unbenutzt war, nachdem sie 50 Jahre als Zeughaus gedient hatte, gegen einen bestimmten Pachtpreis wieder für den katholischen Gottesdienst für die Zöglinge des Konviktes sowie für sämtliche katholischen Schüler des Gymnasiums zur Verfügung zu stellen. Dieser Antrag wurde im Dezember 1892 einstimmig angenommen und nach der Übergabe der Kirche im Frühjahr 1893 sofort mit der Instandsetzung und Einrichtung begonnen. So konnte am 6. Dezember 1893 der erste Gottesdienst in der Klosterkirche gehalten und damit deren Tradition als Gotteshaus zur Unterrichtung der Jugend fortgeführt werden. Nachdem 1895/96 mit insgesamt 93 Schülern die höchste Schülerzahl erreicht wurde, waren beide Abteilungen voll besetzt. Am Schluß des Sommersemesters wurden 1895 zum ersten Mal Exerzitien abgehalten, die seitdem fester Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 22 Bestandteil des Lebens im Collegium Bernardinum geworden sind. Zu Beginn des Jahres 1896 traten der Provinzial des Franziskanerordens, Pater Basilius Pfannenschmidt, und Professor Werra in Verhandlungen ein, die den Verkauf des Bernardinums II an die Franziskaner zum Zwecke einer Ordensniederlassung zum Inhalt hatten. Man einigte sich auf eine Überlassung des Gebäudes Bernardinum II an die Franziskaner, da Vikar Lex sich bereit erklärte das ehemalige Langenohl'sche Haus (heute Pfarrheim), das ihm testamentarisch als Dienstwohnung zugefallen war, für das Konvikt II zur Verfügung zu stellen. Mit einem Teil der Zöglinge siedelte er um, während die Mehrzahl im Wilmes'schen Haus verblieb, bis die Genehmigung der Niederlassung der Franziskaner vorlag. Für die Dauer eines Semesters übernahm Kaplan a.D. Potthast aus Brilon die Beaufsichtigung dieser Zöglinge, bis Ostern 1897 der Seminarpriester Wilhelm Steinbrück aus Paderborn zum Konviktspräses in Attendorn ernannt wurde. Er übernahm bis zum vollständigen Umzug der Zöglinge und dem Einzug der Franziskaner das Bernardinum II, um dann ins Bernardinum I überzusiedeln und Rektor Papencordt zur Seite zu stehen. Anfang 1898 traf die staatliche Genehmigung der Franziskanerniederlassung ein, und zu Ostern konnte der Haushalt des Bernardinums II im Wilmes'schen Hause aufgelöst und das Gebäude den Franziskanern übergeben werden. Rektor Papencordt beschäftigte sich schon länger mit der Möglichkeit, ein neues großes Konviktsgebäude zu errichten, das beide Abteilungen des Bernardinums aufnehmen sollte. Er erwarb zu diesem Zweck ein großes schön gelegenes Grundstück, doch die Erfüllung seines Lieblingsplanes konnte er leider - 22 - nicht mehr erleben. Nach dreiwöchiger mit großer Geduld ertragener Krankheit starb er am 6. Juli 1898 in der Obhut der barmherzigen Schwestern des Hospitals. Er vermachte dem Collegium Bernardinum testamentarisch einen Betrag von 10.891,80 Reichsmark, der dem Bau des neuen Konviktsgebäudes dienen sollte. Präses Steinbrück, der Ostern 1898 ins Bernardinum I gezogen war, übernahm nun dessen Leitung. Auf Wunsch der Paderborner Diözese übernahm er Ostern 1899 nach dem Tod von Vikar Haustadt die Vikarie Jakobi et Andreae an der Pfarrkirche, die er bis Ostern 1907 verwalten sollte. Steinbrück war bestrebt, das Konvikt nach den Vorstellungen seines Vorgängers weiterzuführen und richtete sein Augenmerk besonders auf die Konsolidierung der materiellen Lage, um möglichst bald die Voraussetzungen für einen Neubau zu schaffen. Das damalige Gebäude an der Kirche bot zwar 42 Zöglingen Platz, doch hatten die Schwestern der christlichen Liebe, die 1897 den Haushalt übernommen hatten, unzureichende Räume und es fehlte eine Kapelle sowie der notwendige große Gartenbereich. Auch die Regierung drängte daher auf einen Neubau. 1905 waren die Vorbereitungen soweit gediehen, dass man an die Verwirklichung der Neubau-Pläne denken konnte. Die nötigen finanziellen Mittel stellte Reichsfreiherr Ignaz von LandsbergAhausen in Form eines mäßig verzinsten Darlehens dem Vorstand zur Verfügung. Der Bauplatz lag in dem dem Konvikt gehörenden großen Garten am Fuße des Himmelsberges. Mehrere Architekten legten Pläne vor, doch nach längeren Verhandlungen entschied man sich für den Plan des Diplom-Architekten Klomp aus Dortmund. Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 23 Johannes Franziskus Klomp, geboren am 7. Februar 1865 in Den Haag als ältestes von 14 Kindern eines bekannten holländischen Bauunternehmers, begann seine Ausbildung nach der Schule mit einer Zimmermannslehre und besuchte dann das Polytechnikum in Hannover. Er war dort Schüler von Conrad Wilhelm Hase und bestand sein Diplomexamen mit der Note "sehr gut". 1889 unternahm er eine Reise nach Italien und Sizilien, auf der er Impulse für sein späteres Schaffen erhielt. Nach seiner Heirat 1890 mit Sophie Backhaus eröffnete er drei Jahre später in Hannover ein eigenes Büro, in dem er Profanbauten und erste Kirchenbauten entwarf. Seine große Schaffensperiode begann aber 1896 in Dortmund, wo er mit seinem "Atelier kirchlicher und CivilArchitektur und Kunstgewerbe" die Planung und Ausführung zahlreicher kirchlicher Bauten übernahm. So stammen von ihm u.a. die Pläne für die Pfarr- und Klosterkirche St. Franziskus und Antonius in Dortmund-Mitte, die St. Elisabethkirche in Bochum-Gerthe, die St. Michaelskirche in Siegen sowie für den Neubau der Benediktinerabtei Clerf. Im Kreis Olpe wurde er tätig mit dem Neubau der Martinuskirche in Olpe, mit der Erweiterung der Pfarrkirche St. Antonius Abt in Heggen durch einen neuromanischen Bau sowie mit der Kirche in Lenhausen. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg nahm die Bautätigkeit Klomps in Umfang und Bedeutung ab, da Neubauten immer seltener wurden und inzwischen eine andere Stilrichtung erforderten als die von Klomp vertretene. Bei der Zerstörung seines Dortmunder Hauses 1945 wurde auch der größte Teil seiner Pläne und Akten vernichtet, doch sind in den Archiven der Pfarreien, für die er tätig war, noch Unterlagen vorhanden. Johann Franz Klomp starb schließlich mit 81 Jahren am 14. Februar 1946 in Kamp-Bornhofen. - 23 - Die Ausführung des Konviktbaus in Attendorn übernahm der Bauunternehmer Anton Sunder-Plassmann aus Förde. Als achtes von zwölf Kindern wurde Anton Sunder-Plassmann 1860 in Liesborn geboren. Zwei seiner Brüder schlugen ebenfalls die Laufbahn als Baufachmann ein: Bruder Wilhelm als Architekt und Dombaumeister in Münster, Bruder Caspar als Kirchenbauunternehmer. Seine erste Tätigkeit als selbständiger Bauleiter nahm Anton SunderPlassmann mit dem Bau der katholischen Förder Kirche 1886/87 auf. Gleichzeitig bekam er den Auftrag, die Kirche in Oberelspe zu erweitern. Es folgten Kirchenbauprojekte in Allagen, Paderborn, Iserlohn, Köln, Fröndenberg und Bonn sowie in Meggen und Lenhausen. Mit seinem Bautrupp errichtete er um die Jahrhundertwende die neue Kirche von Stift Keppel sowie die Kirche in Altenhundem. Weitere Aufträge führten ihn nach Hagen, wo er die Kirche Hagen-Altenhagen, das Josefshospital und in Haspe das Hospital mit Kapelle baute. Die Kirche in Schmallenberg sowie Kirchen in Niederalbaum, Hofolpe, Gleidorf und Latrop entstanden unter seiner Bauleitung, und nach dem Bau des Attendorner Konviktes auch die Martinuskirche in Olpe(1907 - 1909). Die folgenden Jahre bis zum Ende des Ersten Weltkrieges waren durch weitere große Kirchenbauten gekennzeichnet, bis Sunder-Plassmann durch die Inflation sein Vermögen verlor. Zunächst mit Kirchenrenovierungen, dann mit Neubauten nahm er seine Bautätigkeit nach 1922 wieder auf. Die Bausteine bezog er in all den Jahren aus den Sandsteinbrüchen in Wrexen-Waldeck. Anton Sunder-Plassmann starb nach einem Herzinfarkt am 19. September 1931. Auf der Baustelle des Konviktes konnte Pfarrer Hellhake am 6. März 1906 den ersten Spatenstich vornehmen, und Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 24 nach wenigen Wochen wurde der Grundstein gelegt. Bereits im Herbst 1906 war das Gebäude im Rohbau fertig gestellt und die Innenarbeiten konnten außergewöhnlich schnell vollendet werden. Während der gesamten Bauzeit kam es zu keinem Unfall an der Baustelle. Am 1. April 1907 war das Gebäude vollendet und konnte am 17. April feierlich eingeweiht werden. Dechant Sauer aus Helden weihte Kapelle und das gesamte Haus und hielt bei der anschließenden Meßfeier die Festpredigt. Nach einem Rundgang durch das Gebäude feierte man mit 100 Gästen in den Speiseräumen des Konvikts. Daran nahmen das gesamte Kollegium des Gymnasiums, Behördenvertreter der Stadt Attendorn, die Pfarrer des Dekanates und viele frühere Zöglinge teil. Als Eigentümer des Konviktsgebäudes wurde der Konviktsverein Bernardinum e.V. eingetragen, der nach seiner Satzung die Unterhaltung und Förderung des Gymnasialkonvikts Bernardinum ohne eigenen wirtschaftlichen Gewinn verfolgte. Diesem Verein gehörten der Attendorner Pfarrer als Vorsitzender, der Gymnasialdirektor, die beiden geistlichen Oberlehrer des Gymnasiums, 6 Pfarrer des Dekanates Attendorn sowie der geistliche Leiter des Hauses an. Postkarte von 1907. Foto: Postkartenverlag v. Jos. Grobbel, Fredeburg i.W. (Archiv Kuschel) - 24 - Als das Collegium Bernardinum im Jahre 1912 sein 25jähriges Bestehen feierte, konnte man auf eine stattliche Zahl von 147 Abiturienten zurückblicken, von denen sich allein 46 für einen theologischen Beruf entschieden hatten. In der Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Einrichtung wird die Raumaufteilung des neuen Bernardinums wie folgt beschrieben: Oeffnet man die schwere, eisenbeschlagene Eichentür des Portals, so kommt man in einen langen, gewölbten Gang, der mit roten Steinfliesen besetzt ist; rechts liegen die Fremden- und Krankenzimmer und der geräumige Speisesaal, diesem schliessen sich unmittelbar an die Küche und die übrigen Wirtschaftsräume. Links befindet sich zunächst ein vortrefflich eingerichteter Waschraum, der den Schülern über Tag nach beendetem Spiel Gelegenheit gibt, sich zu waschen; daran reihen sich mehrere Musik- und Billardzimmer und die sehr geräumigen Rekreationssäle. Letztere sind für gross und klein getrennt, so jedoch, dass sie bei festlichen Anlässen vereinigt werden können und so einen einzigen Festsaal bilden, der sich mit der hübschen Bühne prächtig ausnimmt. Eine breite, bequem angelegte Treppe führt in den ersten Stock. Dieser enthält die Wohnräume des geistlichen Leiters der Anstalt und seines Assistenten, die Bibliothek, den luftigen 15 Meter langen Studiensaal mit Einzelpulten und mehrere Studienräume für die Schüler der oberen Klassen. In diesem Stock liegt auch die kleine, trauliche Kapelle, die einfach, sinnig und zweckentsprechend ausgestattet ist. Bunt bemalte Fenster dämpfen die Fülle des hereinflutenden Lichtes und geben eine milde, stimmungsvolle Beleuchtung, die das Gemüt beruhigt und erhebt. Nimmt man hinzu, dass dieser heilige Ort durch eine Doppelwand vom Studiersaale und Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 25 durch die Sakristei vom Hauptflur getrennt ist, so leuchtet ein, dass kaum ein Raum zu stillem, andächtigem Gebete geeigneter und einladender sein kann, als dieser. Im zweiten Stock liegen die Schlafräume der Schüler. Jeder Schüler besitzt ein eigenes Schlafzimmer. Mehrere grössere Zimmer bieten Gelegenheit, Brüderpaare auf ihnen unterzubringen. Die Einrichtung der Einzelschlafzimmer erweist sich als außerordentlich praktisch und schön, sie bietet vom gesundheitlichen wie vom moralischen Standpunkte viele Vorteile, und schon oftmals haben Eltern durch diese Einrichtung an erster Stelle sich bewegen lassen, ihren Knaben dem Attendorner Konvikte zu übergeben. Nachfolger von Präses Wilhelm Steinbrück wurde 1917 Präses Heinrich Dobbener, der das Amt bis 1921 innehatte. 1921 gerieten das Gymnasium und mit ihm das Konvikt in eine schwierige Situation, da die Stadt nicht mehr in der Lage war, die erforderlichen Zuschüsse zum Etat des stark gewachsenen Gymnasiums weiterhin allein zu leisten. Man stand vor der Entscheidung, entweder die Schülerzahl im Gymnasium abzubauen oder das Gymnasium in staatliche Hände zu geben, was Auswirkungen in religiöser Hinsicht haben würde. Bei beiden Alternativen wäre auch das katholische Konvikt beeinträchtigt worden. Der Konviktsverein sah sich daher verpflichtet, Mittel und Wege zu suchen, um das Gymnasium zu erhalten und damit auch das Konvikt in seinem Bestand zu sichern. So entstand im Einvernehmen mit dem Bischof in Paderborn der Plan, ein größeres Stiftungskapital bereitzustellen und der Stadt damit die Beihilfe des Staates zu ersparen. Das Gymnasium, aus dem in den letzten 30 Jahren über 200 Geistliche hervorgegangen waren, konnte dadurch in seinem damaligen Charakter - 25 - erhalten sowie der Bestand des Konviktes gesichert bleiben. Im Namen des Konviktsvereins versandte Pfarrer Hillebrand als Vorsitzender Bittbriefe an entsprechende Gönner des Konviktes und des Gymnasiums, um diese um Spenden zu bitten. Befürwortet wurde das Gesuch des Vereins durch eine bischöfliche Empfehlung. Konnten Gymnasium und damit Konvikt mit diesen Spenden in ihrem Umfang aufrecht erhalten werden, so änderte sich während der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts die finanziell angespannte Situation des Gymnasiums nicht. Von 1892 bis 1918 war die Schülerzahl des Gymnasiums mit 200 bis 250 etwa konstant geblieben; die auswärtigen Schüler waren jedoch weit in der Überzahl. 1923 besuchten bereits 362 Schüler das Gymnasium, nicht nur als Folge der ausgeweiteten Kapazitäten des Konviktes, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass Attendorn immer noch über das einzige voll ausgebaute Gymnasium im südlichen Sauerland verfügte. Sämtliche Stiftungen für das Gymnasium verfielen in der Inflation von 1923, und mehrfach erwog der Rat der Stadt deshalb, die Trägerschaft für das Gymnasium aufzugeben und dem Kreis oder dem Staat zu überlassen. Dr. Anton Overmann, der damalige Leiter des Gymnasiums, nahm in seiner 1928 erschienenen Schrift "Das Gymnasium in Attendorn" den Kreis Olpe in die finanzielle Verantwortung. In der Schlußbemerkung konnte er noch vermerken, dass der Kreistag in seiner Sitzung vom 11. Dezember 1928 den gewünschten notwendigen Zuschuss für das laufende Rechnungsjahr gewährte. Im Konvikt trat 1921 Präses Anton Gierse die Nachfolge von Präses Dobbener an. Unter seiner Leitung wurde 1927 das Hauptgebäude am Nordwall erweitert, Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 26 1928 erfolgte eine Vergrößerung der Einzelzimmer im Obergeschoß. 1932 folgte ihm Präses Aloys Willeke bis 1936. 1936 übernahm Präses Wilhelm Beule die Leitung des Hauses. 1937 verlangte die Schulabteilung beim Oberpräsidenten in Münster auf Weisung des Kultusministeriums die Umwandlung des Hauses in ein "nationalsozialistisches Schülerheim". Der Konviktsverein leistete Widerstand und die Stadt wurde angewiesen, die Aufnahme von Konviktschülern in das Gymnasium zu verweigern. Als sie dem nicht nachkam, drohte man mit der Sperrung der Staats- und Kreiszuschüsse. 1938 beantragte der damalige Landrat Dr. Evers gar die Verlegung des Attendorner Gymnasiums nach Olpe, weil die Verhandlungen über die Umwandlung des Konvikts noch immer nicht erfolgreich waren. Erst Ende 1938 kam ein Kompromiss zustande, und man stellte ab April 1939 dem geistlichen Präses einen weltlichen Leiter zur Seite; er sollte als sog. "Rektor" die Belange des Konviktes nach außen vertreten. Ein Erlass des Kultusministers im Februar 1939 verschärfte die Situation wieder: Alle Schülerheime der höheren Schulen sollten der verantwortlichen Leitung des Schulleiters unterstehen. Daraufhin übernahm der Direktor des Gymnasiums die Leitung des Konviktes. Im einzelnen blieb sie aber in der Hand des als Heimleiter eingesetzten weltlichen Studienassessors. Diese Tätigkeit wurde von 1939 bis 1942 von Franz Lenze ausgeübt, Studienrat am Städtischen Gymnasium Attendorn. Als langjähriger Bundestagsabgeordneter der CDU vertrat er später die Kreise Olpe/Meschede im deutschen Bundestag. Während seiner Zeit als "Rektor" des Konvikts wurde Lenze zweimal zum Militärdienst einberufen, konnte aber jedes Mal durch die Vermittlung von Oberstudiendirektor Dr. - 26 - Overmann für die Aufgabe im Konvikt reklamiert werden. Nach einer Verwundung im Jahre 1942 trat Lenzes bisheriger Vertreter, Studienrat Röske, an seine Stelle. Mit der Säkularisierung der Leitung des Hauses ging jedoch nie der katholische Geist der Einrichtung verloren. Als im Januar 1942 zwei Schüler des Gymnasiums von der Gestapo verhaftet wurden, weil sie Predigten des Kardinals von Galen verbreitet hatten, wurde ein Einfluss aus dem Konvikt vermutet. Im Oktober 1942 erschien die Gestapo überraschend im Konvikt, durchsuchte alle Räume, beschlagnahmte Akten sowie einen Teil der Privatkorrespondenz von Präses Beule. Morgengebet und der Besuch der Messfeier waren der Gestapo ein Dorn im Auge. Nach der Mitteilung der Gestapo-Stelle in Dortmund an die NSDAP-Kreisleitung in Olpe, die Tagesordnung im Konvikt habe noch immer keine Änderung erfahren, verlangte der Kreisleiter die Auflösung des Hauses. Man wies das Schulkollegium an, auf die Umbildung des Konviktsvereins zu drängen. Im Oktober 1944 schließlich stand die Beschlagnahme des Konviktsgebäudes für die Lehrerinnenbildungsanstalt in Olpe an, wobei man die Dienststellen des Oberpräsidenten und der Gauleitung der NSDAP in Münster schon eingeschaltet hatte. Nur durch einen klugen Schachzug gelang es dem Konviktsverein unter Federführung von Dr. Overmann den Bestand der Einrichtung zu sichern. Man nahm Kontakt mit dem von Bombenangriffen bedrohten Evangelischen Krankenhaus in Köln-Kalk auf und bot ihm für die Dauer des Krieges die Hälfte des Konviktsgebäudes als Ausweichquartier an. Die Krankenhausleitung nahm das Angebot erfreut an. So Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 27 überstand das Konvikt auch die letzten Monate der NS-Herrschaft. Nach dem schweren Bombenangriff vom 28. März 1945, bei dem das Gebäude infolge des Luftdruckes sehr beschädigt wurde, diente es als Hilfskrankenhaus. Die Chronik der Schwestern der Christlichen Liebe berichtet, dass in der Karwoche 1945 vier ihrer Schwestern aus Siegburg mit 30 Waisenkindern ins Konvikt flüchteten. Die meisten Schüler waren zu Beginn der Gefahr von ihren Eltern nach Hause geholt worden, doch ca. 30 - 40 Jungen erhielten erst nach Wochen die Genehmigung zur Heimreise. Den Einmarsch der Amerikaner am 9. Mai 1945 überstanden die Konviktbewohner im Keller, und von einem Überfall durch herumziehende freigelassene russische Zwangsarbeiter blieb man verschont. Im Mai 1947 begann das neue Schuljahr mit 107 Schülern, doch erst in den Osterferien 1949 konnte die Kapelle renoviert werden, die unter Artilleriebeschuss sehr gelitten hatte. Präses Wilhelm Beule war schon 1941 von Präses Dr. Johannes Otto abgelöst worden, der das Konvikt bis 1954 leitete. Im gleichen Jahr ging das Collegium Bernardinum als erzbischöfliches Knabenkonvikt an die Erzdiözese Paderborn über. Die Leitung lag seitdem immer in der Hand des vom Erzbischof von Paderborn ernannten Präses. Die Nachfolge von Präses Dr. Otto trat im September 1954 Präses Walter Hiltenkamp an, der das Konvikt 11 Jahre leitete. Der Übergang auf das Erzbistum Paderborn ermöglichte einige Renovierungsarbeiten im Gebäude. So wurden Schlafräume vergrößert, Dusch- und Waschräume sowie Küche und Waschräume neu angelegt, ein Minigolfplatz entstand. In den folgenden Jahrzehnten versetz- - 27 - ten ständige Erneuerungen, Umbauten und Anschaffungen das Internatsgebäude immer wieder in den neusten Stand. Vorderansicht des Gymnasial-Konviktes Collegium Bernardinum. Foto: Graph. Kunstanstalt Kettling & Krüger, Schalksmühle i. Westf., Nr. 25264 (Archiv Korte) 1956 konnte schließlich der Grundstein für den heutigen Kapellenbau gelegt werden. Platzgründe hatten den Neubau der Kapelle notwendig gemacht. Attendorner Handwerker führten die Pläne des Attendorner Architekten Christian Szuckay aus. Der Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger nahm am 10. November 1957 die Einweihung der neuen Kapelle vor. Die Kapelle, ein flachgedeckter einschiffiger Raum mit zwei anschließenden Querschiffen, erfuhr ihre künstlerische Ausgestaltung durch die aufwendig gearbeiteten Fenster, die Szenen aus der Lebensgeschichte des Hauspatrons Bernhard von Clairvaux zeigen, sowie durch ein Altarretabel aus der alten Kapelle und den Kreuzweg des Attendorner Künstlers Karl-Josef Hoffmann. Präses Hiltenkamp folgten 1965 Präses Norbert Vollmer und 1981 Präses Walter Junk als Leiter des Internats, bis 1986 Präses Monsignore Bernhard Schröder sein Amt antrat. Nicht zuletzt ist es seinem überaus engagierten und erfolgreichen Wirken zu verdanken, dass das Collegium Bernardinum heute als einzi- Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 28 ges Knabeninternat des Erzbistums Paderborn besteht. Heute betreut das Internat 65 Schüler, die Hauptschulen, Realschule und Gymnasien besuchen. Sie werden in 4 Altersgruppen von 5 Pädagogen und Präses Schröder betreut. Mit einem umfassenden Förderprogramm werden die Schüler in ihren schulischen Anstrengungen unterstützt. In der Freizeit warten neben sportlichen Aktivitäten zahlreiche Unternehmungen auf sie, von Vorträgen über Ausflüge bis hin zu Theaterbesuchen. Zu Orgel- und anderen Konzerten in der 1995 umfassend renovierten Kapelle sowie zu Ausstellungseröffnungen und Vorträgen in der Aula sind auch Attendorner Bürger gerne im Collegium Bernardinum gesehen. Das Jahr 2005 bescherte dem Internat eine neue Orgel aus Werl, während die bisherige Orgel einen neuen Platz in der Hospitalkirche fand. Die Attendorner sind stolz auf ihr Konvikt, ihren "Kasten", wie sie ihn liebevoll nennen, und hoffen, dass diese über 100jährige Tradition der katholisch geprägten Knabenerziehung auch weiterhin Attendorn und dem Sauerland erhalten bleibt! Literatur: Overmann, Dr. Anton: Das Gymnasium in Attendorn. Eine aktenmäßige Darlegung der geschichtlichen Entwicklung der Schule von den Anfängen bis zu Gegenwart. Münster, 1928. Stannat, Werner: Rivius-Gymnasium der Stadt Attendorn. Festschrift. Attendorn 1975 - 28 - Steinbrück, Wilhelm: Festschrift zur Feier des fünfundzwanzigjährigen Bestehens des Konvikts Bernardinum zu Attendorn. Attendorn, 1912 Collegium Bernardinum. Jubiläumszeitung des Konviktes Attendorn am Nordwall 26. Attendorn, 1983 Erzbischöfliches Internat für Jungen - Collegium Bernardinum in Attendorn. Attendorn, 1987 Jahrsen, Christian Johannes: Facharbeit über das Collegium Bernardinum zur Zeit des Nationalsozialismus. Attendorn, 2001/2002 Brunabend, Josef; Pickert, Julius; Boos, Karl: Attendorn. Schnellenberg, Waldenburg und Ewig. 2. Auflage, Münster 1958. Höffer, Otto; Breer, Ralf: Attendorn - Portrait zur Jahrtausendwende. Attendorn, 1997 Breer, Ralf; Höffer, Otto: Kirchen und Kapellen in Attendorn, Lennestadt und Kirchhundem. Hrsg. Sparkasse ALK, 1999 Schöne, Manfred: J.F. Klomp, der Erbauer der St. Martinuskirche in Olpe. in: HSO 95 (1974), S. 70 ff Krause, Jochen: Sakralbauten in ganz Deutschland zeugen von seiner Schaffenskraft. Unter seiner Federführung entstanden 51 Kirchen. Anton Sunder-Plassmann (1860-1931). in: Jahresheft des Heimat- und Verkehrsvereins Grevenbrück, Nr. 20/2001. Ein herzliches Dankeschön gilt Ludwig Korte, der mir dankenswerter Weise einen Teil der Literatur zur Verfügung stellte! Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 29 Ein bedeutender Neuzugang im Südsauerlandmuseum - Der künstlerische Nachlass des Malers Jupp Steinhoff von Monika Löcken Das ehemalige Kreisheimatmuseum und heutige Südsauerlandmuseum in Attendorn hat der Gegenwartskunst im Kreis Olpe stets eine Plattform gegeben. In Zusammenarbeit mit dem Künstlerbund Südsauerland e.V. war es hier stets ein Anliegen, das Schaffen der hiesigen Künstler auch breiten Bevölkerungsteilen zugänglich zu machen. Regelmäßige Ausstellungen und auch der Ankauf einzelner Werke dokumentieren diese Bemühungen. Noch vor dem Abitur 1926 am Mariengymnasium in Werl wurde er mit "Soester Künstlern" bekannt und trat der Jugendbewegung "Neu - Deutschland" bei. In dieser Zeit entstanden bereits erste Holzschnitte und Zeichnungen. Im Jahre 1921 beschloss er im Alter von 16 Jahren Mitglied der "Westfälischen Künstler und Kunstfreunde" zu werden und beteiligte sich ab 1923 an deren Ausstellungen. Im Jahre 2006 nun führte ein glücklicher Zufall dazu, dass der gesamte künstlerische Nachlass des bedeutenden Künstlers Jupp Steinhoff für die Öffentlichkeit übernommen werden konnte. Die Familie des im März 1978 verstorbenen Malers entschloss sich, das gesamte künstlerische Werk der Kulturstiftung des Kreises Olpe zu übergeben, die die Kunstwerke als Dauerleihgabe an das Südsauerlandmuseum weitergeben wird. Jupp Steinhoff wurde am 31.03.1905 in Bilstein geboren, wo er am 20.03.1978 auch verstarb. Als Sohn der Hoteliers Franz und Wilhelmine Steinhoff wurde er in ein Elternhaus hinein geboren, das von christlichem und sozialem Bewusstsein geprägt war. In der Familie gab es eine sehr ausgeprägte musische Begabung, die Komponisten, Schauspieler, Kapellmeister und Filmregisseure hervorbrachte. Schon in der Schulzeit äußerte Steinhoff den Wunsch, die Schule frühzeitig zu verlassen, um die Malerei zu erlernen. - 29 - Kirchveischede (1970) Nach dem Abitur 1926 zog es den jungen Mann nach Berlin, wo er zunächst das Studium der Kunstgeschichte aufnahm. 1927 wechselte er zur Hochschule für Bildende Künstler über. Hier studierte er bei Bernhard Hasler, einem Schüler Emil Orliks und Lovis Corinths, und bei Walter Rössner, der ebenfalls ein Corinth-Schüler war, unter anderem Porträtmalerei. Seine Modelle fand er unter den Kindern zahlreicher jüdischer Familien in Berlin. Er beteiligte sich an Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 30 Ausstellungen der Berliner Secession, einer jungen, modernen Künstlergruppe, die sich in Berlin am Ende des 19. Jahrhunderts vom bis dahin dominierenden akademischen Kunstbetrieb abgespalten hatte. Erster Präsident wurde 1898 Max Liebermann, Mitglieder waren neben seinen Lehrern u. a. Ernst Barlach, Max Beckmann, und Käthe Kollwitz, deren Einfluss auf das Schaffen Steinhoffs sichtbar ist. Im Jahre 1928 beteiligte sich Steinhoff an der "Zweiten großen Westfälischen Kunstausstellung" in Hagen. Die Motive der ausgestellten Werke trugen ihm den Ruf eines Heimatmalers ein. Im gleichen Jahr ging er, um seine Ausbildung zu vervollständigen nach Paris und studierte an der dortigen "Ecole des beaux arts". Zum Nachlass gehört auch eine Zeichnung mit dem Titel "Trocadero", die aus dem Jahre 1928 stammt und diese Pariser Zeit widerspiegelt, in der er sich der farbigen und dem Expressionismus verpflichteten Malerei zu wandte. 1930 wohnte er wieder in Berlin, wo er eine Ausbildung als Kunsterzieher machte und in den Schuldienst eintrat. Berlin in den 20- und 30er Jahren als künstlerische Heimat, motivierte zu einem breit gefächerten Themenkatalog, der von Bildern der Großstadt, über Porträts bekannter und unbekannter Personen (Kinder, junge Frauen, mondän, unbekümmert oder natürlich) bis hin zu Industrie – und Architekturbildern reichte. Nach seiner Entlassung aus dem Schuldienst im Jahre 1934, widmete er sich der Ausstellung seiner Werke; u. a. beteiligte er sich 1935 zusammen mit Mataré an einer Ausstellung im Märkischen Museum in Witten. Von 1940 bis 1945 war Steinhoff Soldat und geriet 1946 in russische Kriegsge- - 30 - fangenschaft. Nach seiner Freilassung heiratete er und zog mit seiner Frau zunächst ins Ruhrgebiet und dann nach Köln. Die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs brachten Steinhoff dazu, seine bisherigen Themen zu überdenken. Er thematisierte nun die menschliche Existenz und ihre Werte, seine Selbstzweifel und seine Trauer. Die Gemälde "Ich klage an", "Trauernde Frauen", "Totentanz" stehen für diese Nachkriegsjahre. Aus dieser Zeit stammen auch Werke, die die seelische Erschütterung der Kriegserlebnisse widerspiegeln, aber auch Zeichnungen des Ruhrgebietes und seiner großindustriellen Anlagen. So beteiligte er sich 1949 an einer Kollektivausstellung im Karl-Ernst-OsthausMuseum in Hagen, die den Titel "Malerei nach der Katastrophe" trug. Selbstporträt „Ich klage an“ (1946) Ab 1950 bis 1967 konnte er den Lebensunterhalt seiner Familie, zu der bald auch zwei Töchter gehörten, als Stu- Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 31 dienrat für Kunsterziehung in Köln sichern. 1 Seit den 1950er Jahren wurden seine beiden Töchter zu seinen Lieblingsmotiven, die er bis zu seinem Tode immer wieder malte. Aus Bildern wie "Inge mit Teddybär", (1957) oder "Ruth mit Mütze" (o. J.) spricht seine Liebe zu seinen beiden Kindern. Entgegen den Zeitströmungen hielt Jupp Steinhoff stets an der figürlichen Malerei fest. Der Nachlass verdeutlicht seine enorme stilistische und technische Vielfalt. Die Techniken reichen von Zeichnungen (Bleistift, Rötel, Kreide) über Drucke (Holzschnitt, Linolschnitt) bis hin zu farbigen Ölgemälden (150 Werke) und Aquarellen (9 Stück). Weitere Motive fand er im Dorf Bilstein, wo seine Eltern und Geschwister lebten und wo die Familie ein Ferienhaus besaß. Seine Natur- und Heimatverbundenheit fand ihren Niederschlag in vielen Bildern, in denen er Landschaften und Orte seiner Umgebung variationsreich porträtiert. Bilder aus dieser Zeit sind die Gemälde "Blaue Berge im Sauerland", (1953) oder "Schloß" aus dem Jahre 1957. Insgesamt wurden bei einer Schnellinventarisation 250 Werke verzeichnet, Kunstmappen mit Einzelskizzen wurden dabei als eine Nummer aufgenommen. Steinhoff hat während seiner Schaffenszeit alle seine Werke fotografiert, so dass mit Hilfe dieser Fotos, die ebenfalls vollzählig zum Nachlass gehören, die Rekonstruktion seines Gesamtwerkes möglich sein wird. Seit dem Ende der 1950er Jahre entstanden auch Ölgemälde auf den Ferienreisen der Familie. Hier sind u. a. zu nennen "Englisches Fischerdorf bei Ebbe“ (1958) "Peleponnes" (1959), "Weiße Wildpferde" (1960), "Küste in Belgien" (1962). In Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Südsauerland soll im Jahre 2007 zunächst eine Retrospektive des Lebenswerkes gezeigt werden. Weitere Ausstellungen sind in den nächsten Jahren geplant. In den 1960er Jahren wandte er sich auch sozialkritischen Themen zu. Es entstanden Bilder wie "Streik" (1962), "Aussperrung" (1965), "Flüchtlinge" (1965), "Aufruhr" (1966). Beispiele seiner Porträtkunst finden sich in Werken wie dem Porträt von Fritz Viegener (1971), oder dem Porträt des Schauspielers E. Stolzenburg (o.J.). 1 Hasenfuß, Josef: Jupp Steinhoff, Maler seiner Mit- und Umwelt, Marktheidenfeld 1974(?). Domscheit-Preuß, Annette: Steinhoff, Jupp (Bilstein), in: Kunst und Künstler im Kreis Olpe Band I, Olpe 1991, S. 245 – 260. Selbstporträt (1955) - 31 - Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 32 Die Hochzeit zwischen Ferdinand Freiherr v. Fürstenberg und Maria Theresia Freiin v. Westphalen im Jahre 1682* von Dipl.-Ing. Michael Jolk Die Residenz der Paderborner Fürstbischöfe in Schloss Neuhaus war nicht nur ein Ort für landesherrliche und bischöfliche Repräsentation, sie sahen die Residenz vielmehr als Wohnsitz und richteten einige Räume nach ihren verschiedenen Vorlieben ein. Da wundert es nicht, wenn private Familienfeiern im Schloss stattgefunden haben. Gerade in der Zeit als Ferdinand v. Fürstenberg Fürstbischof war, erlebte Schloss Neuhaus ab 1661 seine Glanzzeit als geistiger und kultureller Mittelpunkt im Hochstift Paderborn. Über eine Hochzeitsfeier und deren monatelange Vorbereitung soll hier ausführlich berichtet werden, da die Quellenlage im Archiv des Freiherrn v. Fürstenberg im Herdringer Schloss ausgezeichnet ist. Das Archiv der Grafen v. Westphalen im Schloss Fürstenberg bei Büren ist in den Revolutionswirren des Jahres 1848 leider gezielt zerstört worden. 1 Korrespondenzen, Rechnungsbelege, Beherbergungs- und Wirterechnungen sowie der Heiratsvertrag tragen dazu bei - diese vor fast 325 Jahren stattgefundene prunkvolle Hochzeit - an unserem geistigen Auge vorbeiziehen zu lassen. Nicht selten bestimmte die Familie, wen man heiraten sollte, spielten doch familiäre Verbindungen eine große Rolle. Beide Familien sollten von einer Hochzeit profitieren. Bei Ferdinand war es nicht anders, seine drei Onkel bemühten sich, für ihn eine standesgemäße Frau zu finden. Doch Ferdinand hatte einen eigenen Kopf, sehr zum Verdruss seiner Verwandten. Auch wenn im weiteren Bericht vom „Vetter Ferdinand" die Rede ist, handelt es sich um den Neffen Ferdinand. Vetter war damals die gängige Bezeichnung für einen Verwandten! Doch zunächst möchte ich Ihnen die Hauptpersonen des heutigen Abends näher vorstellen: Ferdinand Freiherr v. Fürstenberg wurde am 22. August 1661 auf der Burg Schnellenberg geboren. Seine Eltern waren Friedrich Freiherr v. Fürstenberg und Maria Elisabeth v. Breidbach zu Bürresheim. Ferdinand war noch kein Jahr alt als sein Vater starb; im Alter von 18 Jahren verlor er auch seine Mutter.2 Noch nicht volljährig kam er anschließend unter die Vormundschaft seiner Onkel: 1. Wilhelm Freiherr v. Fürstenberg, Domdechant in Salzburg, Domherr in *Gekürztes und mit Anmerkungen versehenes Redemanuskript meines Vortrages vom 26. Oktober 2006 im Museum der Burg Schnellenberg. 1 Westphalen, Ludger Graf v.: Aus dem Leben des Grafen Clemens August von Westphalen zu Fürstenberg (18051885), Münster 1979, S. 108f. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XVIII, Westfälische Biographien VII). 2 Maria Elisabeth v. Fürstenberg, geb. v. Breidbach, starb am 25. September 1679, 8 Uhr abends. AFH 493, fol. 392. - 32 - Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 33 Paderborn und Dompropst in Münster, geboren 1623 auf der Burg Bilstein. 2. Ferdinand Freiherr v. Fürstenberg, geboren 1626, Fürstbischof von Paderborn und Münster, und 3. Johann Adolph Freiherr v. Fürstenberg, Dompropst in Paderborn und tätig in den Domkapiteln zu Münster und Hildesheim, geboren 1631 in Köln. Vor allem diese drei geistlichen Brüder hatten sich nun um die Erziehung ihres Neffen und Stammherrn der Familie zu kümmern. An Ferdinand hing die Zukunft des Geschlechts, er war der letzte Spross der Familie und diese drohte mit ihm im namenführenden Mannesstamm auszusterben. war eine der höheren Hofchargen - eine adelige Führungsposition am Hofe mit der Zuständigkeit für den Stall samt Personal, und auch in der Regel so hoch dotiert wie ein Geheimer Rat in der Regierung oder sogar besser. Neben dem Obrist(hof)marschall (bzw. Obristhofmeister), der den ganzen Haushalt organisierte, und dem Obristkämmerer war der Obriststallmeister die dritthöchste Charge. Danach kamen denn - wenn es sie überhaupt gab - der Oberküchenmeister und der Oberjägermeister. Unter dem Obriststallmeister, der nicht selten eine Art Sinekure war, gab es den wirklich dienstleistenden Vize-Obriststallmeister und dann das ganze Stallpersonal.3 Maria Theresia Freiin v. Westphalen kam als Tochter von Wilhelm Freiherr v. Westphalen und seiner Frau Maria Catharina Brigitta Freiin v. Westphalen am 1. Mai 1663 in Laer bei Meschede zur Welt. Ferdinand v. Fürstenberg (1661-1718). Herdringen Abb. aus: Fürstenbergsche Geschichte, Band 4, Münster 1979; Tafel 3. Sein älterer Bruder war bereits verstorben und Ferdinand musste nun als Stammhalter aufgebaut werden. Er besuchte Schulen in Mainz und Köln, hörte juristische Vorlesungen an der Universität Salzburg, ab 1679 - dem Todesjahr seiner Mutter - war er dann in Schloss Neuhaus bei seinem fürstbischöflichen Onkel und Taufpaten, der ihn zum Obriststallmeister ernannte. Dieses Amt - 33 - Ihre Eltern waren verwandt, sie waren Vetter und Cousine 2. Grades. Maria Theresia verlor ihre Mutter sehr früh, kurz nach der Geburt starb sie im Kindbett. Ihr Vater Wilhelm heiratet später Catharina v. und zu Brenken zu Wewer, eine Tochter von Arnold v. und zu Brenken und Anna v. Niehausen. Die Freiherren v. Westphalen wurden im Jahre 1792 in den erblichen Grafenstand erhoben. Noch heute blüht die gräfliche Familie in verschiedenen Zweigen.4 3 Dank an Dr. Gerd Dethlefs für die Erklärung des Amtes. 4 Genealogisches Handbuch des Adels, Handbuch der gräflichen Häuser Band XVIII, Gesamtreihe Bd. 139, Limburg 2006, S. 527ff. Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 34 Erstmalig erfahren wir im Februar 1682 etwas über die Pläne einer Verheiratung des Ferdinand Freiherr v. Fürstenberg. Die Gedanken machte sich nicht die Hauptperson Ferdinand, sondern einer seiner drei Onkel, nämlich Wilhelm. Der Salzburger Domdechant Wilhelm Freiherr v. Fürstenberg hatte am 23. Februar 1682 eine aus Silber getriebene Konfektschale bestellt, die er seinem Neffen Ferdinand schenken wollte. Die Schenkung jedoch kam noch nicht zustande, da Wilhelm erfahren hatte, dass Ferdinand „die Liebe gegen die von Ledebuhr noch nicht verlassen habe". Sollte die Konfektschale eine Art Bestechung sein? Wilhelm war auch ärgerlich auf eine Frau v. Hatzfeld, die mit ihren Damen im Schloss Neuhaus die „Cupelerey" und die „Correspondentz d'amour mit der von Ledebuhr" besorgte. Wilhelm schrieb: „Jch habe auch bei meiner newlichen ahnwesenheit zum Newenhauß gemerket, daß der Vette ferdinand offtmahls und allein mitt einem Diener in die Senne zu reiten, biß in die dunkele spete nacht außgeblieben; so mir sehr suspect vorkombt; und ich ohne diß seinem Cammerdiener auß Arnsbergh bürtig, nicht viel trewe". Falls die Beziehung zu der v. Ledebur andauern sollte, wollte Wilhelm gar sein Testament ändern und seinen anderen Neffen Johann Adolf v. Plettenberg 5 als Erben einsetzen. Wilhelm urteilte über Ferdinand, er „hatt keinen Fürstenbergischen sondern einen Breitbachischen Kopff, bildet sich mehr ein, alß er weiß". Da der Neffe ei- ne Heirat aufschiebe, was seinem „opiniotrischen 6 Breitbachischen Kopf' entspringe, war Wilhelm ziemlich unzufrieden.7 Am 16. März 1682 schrieb Wilhelm aus Salzburg, dass Ferdinand eine Heirat immer noch aufschiebe und dadurch der Familie nur Schaden zufüge. Eine Woche später berichtete der rührige Onkel Wilhelm von einer eventuellen Heirat mit dem Fräulein v. Galen, Stiftsfräulein zu Borghorst. Die Heirat sollte die Beziehungen zu den Münsterischen Ständen verbessern, so der Wunschgedanke Wilhelms. „Dieselbe ist von schöner lenge und hubsch von gesicht und verstendlich", so pries er seinem Neffen das Fräulein v. Galen an. Der andere Onkel Johann Adolf v. Fürstenberg war da viel verständlicher als Wilhelm, er schrieb, dass er die Sache mit Ferdinand wird „gehen lassen, wie es gehet, weilen Er ein rechten breitbachischen Kop hatt, sonsten würde er denselben der gestalt nicht zeigen, doch er mag sich bessern und muß man viel seiner Jugend zu schreiben". Ferdinand war gerade 21 Jahre alt. Ferdinand hat sich so unter Druck setzen lassen, dass bereits Anfang Mai 1682 Gespräche mit der Familie v. Westphalen liefen. In den Herdringer Rechnungen ist vermerkt, dass das Küchenpersonal zu Fürstenberg vier Taler und der Kammerdiener der „uns den wech nach büren gewiesen" hat, einen Taler bekam. Diese Gespräche fanden natürlich ohne Ferdinand statt. Wilhelm war immer noch mürrisch ge- 5 Johann Adolf v. PlettenbergLenhausen (1655-1695) war der Sohn von Wilhelms Schwester Ottilia v. Fürstenberg (1617-1683), die 1643 Bernhard v. Plettenberg-Lenhausen (1615-1679) heiratete. - 34 - 6 Opinio = Meinung, Mutmaßung, Wahn, Einbildung. 7 Lucia Elisabeth v. Ledebur heiratete später Friedrich Wilhelm v. Westphalen. Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 35 genüber seinem Neffen, „Ferdinand will gantz seinem breitbachischen trotzigen Kopff folgen, und auß dem Geschirr schlagen". Johann Adolf berichtete am 12. Mai seinem Bruder Fürstbischof Ferdinand von Paderborn, dass Ferdinand nun auf Maria Theresia v. Westphalen reflektiere. „Das wird meinem Bruder sehr lieb sein, weilen sie ein sehr from kinde ist und guter humören"... „sondern muß ein breitbachß Kop sein, ich will doch hoffen, wan die jahren kommen, werden seine flausen sich auch enderen". Fürstbischof Ferdinand hatte Wilhelm v. Westphalen, dem Vater von Maria Theresia von einer Hochzeit geschrieben, ohne dass die zukünftigen Eheleute davon wussten. Wilhelm v. Westphalen war keine bessere Partie für seine Tochter bekannt, jedoch wollte er seiner Tochter die freie Wahl lassen und zu keiner Heirat nötigen, da sie seit zwei Jahren zu einem v. Niehausen „inbrünstige Liebe" verspüre. Wenn Ferdinand ihre Gegenliebe gewönne, sollte es ihm Recht sein. Wilhelm war immer noch verstimmt, Ferdinand sei hochmütig wie ein „Grande di Spagna". Die Brüder Wilhelm und Johann Adolf drängten nun auf eine Heirat ihres Neffen mit Maria Theresia v. Westphalen. Der fürstbischöfliche Bruder Ferdinand machte den ersten Schritt und schrieb einen Brief an Maria Theresia: „Wohlgebohrene Freyfräwlein, meine besonders liebe Base! Die Gelegenheit die Fräwlein Base mit diesem Briefflein zu begrüeßen gibt mihr mein Rhat und Obriststallmeister Vetter Ferdinand Freyherr von Fürstenberg, indeme er sich dorthin verfüeget, umb der Fräwlein Bas ferner auf zuwarten und deroselben sehr werthe Affection mehr und mehr zu verdienen. Alsolche - 35 - seine Intention habe mit diesen wenigen Zeilen die Fräwlein Bas bestens recommendiren und dieselbe bitten wollen, daß wie ich sie allezeit hoch aestimirt und geliebet habe, also auch geruhen wolle, dieser meiner Recommendation zu deferiren und meines Vetteren inbrünstige Passion mit ihrer Gegenlieb zu consoliren und sich versichert zu halten, daß solches Glück sambt meinen Herren Brüederen zum höchsten verlange und allezeit bin und seyen werde Meiner lieben Fräwlein Basen wollaffectionirter allezeit Ferdinand Newhaus, den 16. Junii 1682" Maria-Theresia v. Westphalen zu Fürstenberg (1663-1737). Herdringen Abb. Aus: Fürstenbergsche Geschichte, Band 4, Münster 1979; Tafel 3. Im Juni und Anfang Juli 1682 waren die Brüder abwechselnd bei der Familie v. Westphalen um die Heirat zu bereden. Wilhelm Freiherr v. Westphalen war vor der Hochzeit sieben Mal in Schloss Neuhaus zu Besuch, meistens mit zwei Dienern und drei Pferden. Ein weiterer Bruder, Franz Wilhelm v. Fürstenberg schrieb am 4. Juli 1682 aus Neuhaus an seinen Bruder Wilhelm nach Salzburg, Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 36 dass er vor drei Tagen mit seinem Neffen Ferdinand und Herrn v. Holdinghausen (ein Verwandter von der Mutterseite) bei Herrn v. Westphalen zu Fürstenberg war, um die Heirat mit dessen Tochter zu bereden. Am ersten Tag geschah noch nichts, am zweiten Tag „nach der mess" gingen sie zu v. Westphalen und hielten ihren „Vortrag". Der Vater v. Westphalen sagte, „dass er seiner tochter iederzeit ihren freyen willen hierin gelassen" hat und gibt seine Zustimmung zur Heirat. Erst danach wollte die „Delegation" die Gegenwart des Fräuleins haben, sie kam „ganz feürich, undt roth im gesicht" ihr Vater sagte ihr dann, dass er ihr den freien Willen lasse. Sie willigte ein und Ferdinand v. Fürstenberg ging zu ihr „wie ein Falke auf eine Taube", küsste sie und ihre Stiefmutter und gab ihrem Vater die Hand. Dann gingen sie an die Tafel „undt magten unß lustig". Wie man weiß, erobert ein Falke sein Opfer im Sturzflug. Damit war der Ehevertrag besiegelt, bereits im 12. Jahrhundert geschah es so, wie hier bei Fürstenberg und Westphalen, per Handschlag zwischen Bräutigam und Brautvater. 8 Üblicherweise sollte die Eheschließung kurz nach dem Handschlag erfolgen. In diesem Falle aber - da viele Gäste aus der Feme anreisen mussten - einigte man sich auf den Sonntag, 15. November 1682. Noch ziemlich zeitnah, aber in der Winterzeit, dass wiederum einige an der Teilnahme hinderte. für ihn. Die Frage blieb nicht ohne Auswirkungen. Bereits am 3. November 1682 sollte sich Ferdinand zur Eidablegung in Arnsberg melden, er wurde zum kurkölnisch-westfälischen Rat ernannt. Von Juni bis August 1682 waren vielfache Besuche bei der Familie v. Westphalen, in den Rechnungsbüchern sind zahlreiche Einträge über Trinkgeldzahlungen, besonders für das Küchenpersonal und die Spielleute zu Fürstenberg. Die Hochzeit wurde vom Fürstbischof zu Münster und Paderborn, Ferdinand v. Fürstenberg, in der Residenz Schloss Neuhaus ausgerichtet. Er verschickte für die Heirat seines Neffen die Einladungen. Erste Einladungsschreiben verließen Schloss Neuhaus am 15. September. Die Hochzeit sollte am 15. November stattfinden. Nun rückte der Tag der Hochzeit näher und im Ausgabebuch sind besondere Posten vermerkt: 13. November, die Perücken wurden gerichtet. Am 14. November bekam der Balbierer Geld, wahrschl. für das Rasieren und Richten der Haare, ein Rosenfarbband für einen Taler und ein Seidenband für einen Taler wurden gekauft. Am 14. November wurde dem Bräutigam vom Hoffourier, der eigentlich für die Verpflegung zuständig war, die Haare geschnitten. Im August 1682 gingen die Vorbereitungen weiter. Fürstbischof Ferdinand schrieb an den Kölner Kurfürsten, bat um Genehmigung der Heirat des Neffen und fragte gleichzeitig nach einem Amt Die Trauringe sind bereits am 30. Oktober in Horn - Bad Meinberg bestellt worden. Die Ringe holte ein Reiter am 5. November ab. Die Hochzeitspferde erhielten vergoldetes „Pferdegezeugs".9 Auch der Papst schickte eine Urkunde. Papst Innozenz XI. musste die Heirat genehmigen, dispensieren. In einer Bulle hat er das Heiratshindernis wegen der 8 9 Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, Sp. 60 - 36 - AFH 493 Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 37 Blutsverwandtschaft aufgehoben. 10 Ferdinand und Maria Theresia waren Vetter und Cousine dritten Grades, sie hatten gemeinsame Ur-Ur-Großeltern. Eine große Ausgabe zu Schloss Neuhaus war die Instandsetzung der Kutschen und des Schlosses, viele Rechnungen, vor allem Schreinerrechnungen sind erhalten. Diese Arbeiten waren natürlich pünktlich zur Hochzeit am 15. November fertiggestellt. Die Hochzeit fand statt am Sonntag, 15. November 1682. Jetzt das Wichtigste: Die Braut brachte einen Brautschatz von 20.000 Reichstaler mit in die Ehe. Die Gästeschar wohnte innerhalb des Dorfes Neuhaus, nur wenige Adelige im Schloss. Die Braut wurde mit Trompetern abgeholt, dass wissen wir, weil die Musiker dafür 30 Talern bekamen. Die Trompete war das dominanteste Instrument, außer den Paderborner Trompetern weilten noch neun münstrische Musikanten, vier Trompeter des Freiherren v. Westphalen, ein Trompeter ohne Herkunftsangabe, ein Trompeter des Herrn v. Schmiesing und zwei Trompeter aus Mainz in Schloss Neuhaus. Hoftrompeter waren in den Wappenfarben des Dienstherrn gekleidet und hatten bei Ereignissen vorauszureiten. Sie bildeten eine eigene Gruppe am Hofe und durften bei keiner Veranstaltung fehlen. "Trompeter zu halten" galt als Vorrecht des hohen Adels, deswegen sind sie bei höfischen Repräsentation immer anwesend.11 10 Von den geladenen Gästen kamen genau 100 Personen, 65 adelige Männer und 35 adelige Frauen. Zur Feier wurde Marzipan gereicht, der nicht von einem Bäcker oder Konditor gebracht wurde, sondern von einem Apotheker.12 Als seltene Süßspeise wurde dem Marzipan damals eine Heilwirkung zugeschrieben. Deshalb oblag es ausschließlich den Apothekern, diese „Spezialität" in kleinen Mengen herzustellen. Den Einzelhändlern war es verboten Marzipan herzustellen; lediglich mit den Rohstoffen (Mandeln) durften sie Handel betreiben. Selbstverständlich erkannte auch der Adel, um welche Kostbarkeit es sich beim Marzipan handelte und sorgte so dafür, das Marzipan als Nachspeise auf fürstlichen Tafeln Einzug hielt. Dem „Volke" wurde diese Kostbarkeit jedoch meistens verwehrt.13 Sonst ist über das Essen nichts bekannt, wir können aber davon ausgehen, dass es wegen des barocken Repräsentationsanspruches sehr aufwendig war. Das Festmahl wird mit einem Trompetensignal begonnen haben, es gab eine feste Sitzordnung, die eingenommen wurde. Gespeist wurde von Zinntellern mit fürstbischöflichem Wappen, da diese in ausreichender Menge in der Silberkammer vorhanden waren. In der Silberkammer befand sich unter der Obhut der Silberdiener auch das und Volkskunde, 45. Band, 1967, Heft 4, S. 231-244. 12 AFH 20132 13 AFH 493 Über die Geschichte des Lübecker Marzipans war dieses im Oktober 2006 auf der Homepage www.carstensmarzipan.de unter Historie zu lesen. 11 Brockhoff, Maria-Elisabeth: Musik am fürstbischöflichen Hof von Paderborn vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Westfalen – Hefte für Geschichte, Kunst - 37 - Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 38 Konfekt.14 Die 100 geladenen Gäste kamen mit 211 Personen, darunter: Kutscher, Knechte und Mägde. Diese 311 Personen logierten mit 269 Pferden in dem kleinen Ort Neuhaus. Untergebracht waren sie in 27 Häusern. Im Schnitt acht Personen pro Haus. Nur drei Häuser konnten oder mussten mehr aufnehmen. Bei Hermann Cottmann logierten 13 Personen und 19 Pferde. Bei Conrad Haltermann 14 Personen und sieben Pferde, bei dem Kornschreiber Dietrich Thorwesten 20 Personen und 33 Pferde. Die gesamte Rechnung für die Unterbringung und Bewirtung der Gästeschar belief sich auf 554 Reichstaler und 35 Mariengroschen und wurde durch den Paderborner Hofmarschall Otto v. der Borch durch den Zahlmeister Jacob Beller im Auftrag des Fürstbischofs bezahlt. Jede kleinste Rechnung hatte Otto v. der Borch eingehend geprüft, lediglich die Rechnung von Hans Henrich Zurlage kürzte er um zwei Taler, v. der Borch schrieb am 16. November an den Rand NB wann dieses wahr müsse den selben tag ein knecht ad 15 maß bier gesoffen haben quod absurdi. 15 Zum Vergleich: der Jahreslohn eines Trompeters war 50 Taler, der eines Kochs auf der Residenz betrug 15 Taler.16 14 Gentner, Karin: Zur Tafelkultur am fürstbischöflichen Hof zu Neuhaus zur Zeit Ferdinands von Fürstenberg, in: Norbert Börste/Jörg Ernesti (Hrsg.): Friedensfürst und Guter Hirte. Ferdinand von Fürstenberg, Fürstbischof von Paderborn und Münster, Paderborn 2004, S. 479-503. 15 AFH 493 Die Hochzeitsfeierlichkeiten müssen gut verlaufen sein, denn die Rechnung zeigt Extra-Ausgaben an, so bekamen die „hiesigen" Trompeter 35 Taler, die Kirche 40 Taler, der Weinkeller 10 Taler, die Silberkammer fünf Taler, der Bierkeller fünf Taler, die Musikanten 20 Taler, Althuß drei Taler, der Brückensoldat zwei Taler und der Ofenheizer einen Taler. 17 An Hochzeitsgeschenken sind lediglich zwei bekannt, wenn man von der vom Fürstbischof bezahlten Hochzeitsfeier einmal absieht. Nämlich die bereits früher erwähnten Konfektschalen des Onkels Wilhelm v. Fürstenberg. Am Mittwoch, 11. November 1682, zwischen zwei und drei Uhr nachmittags zitierte Wilhelm Freiherr v. Fürstenberg den Notar Gerhard Neukirch in die „ConfectCammer" des Residenzschlosses Neuhaus. Wahrscheinlich ist die Konfektkammer eine weitere Bezeichnung der Silberkammer, da Konfekt damals teures Naschwerk war. Weitere Zeugen waren: Johann Ludwig v. Rubel und Johann Henrich Hovestatt, „des hochadelichen Stifts zur Lipstatt Probsten, und hochfürstl. Paderbornisch und Münsterischen Stall- und Küchenmeister". Sieben mittelmäßige und eine große von getriebenem Silber gemachte Konfektschalen wird Wilhelm seinem Neffen zum hochzeitlichen Ehrentage schenken. Sieben auf Füßen stehende, ins runde ausgereckte anderthalb Fuß und vier Zoll breite, inwendig in der Mitte mit des Dompropsten freiherrlichen Fürstenbergischen Wappen und des Namens erste Buchstaben, ringsherum mit Blumen und Engelsköpfen zierlich ausgetrieben und eine etwas größere selbiger „Facon", zwei Fuß und vier Zoll breite mit Blumen und den vier Jahreszeiten ausgetriebe- 16 AFH 493, fol. 703 und Brockhoff, a.a.O., S. 235. 17 - 38 - AFH 493 Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 39 ner Arbeit ringsherum verziert. Wilhelm hatte die Konfektschalen für 800 Taler in Augsburg gekauft. Sie sollten zum Fideikommiss gehören. Die Eheleute durften sie zwar gebrauchen, aber nicht versetzen, verkaufen oder „ummachen", d.h. einschmelzen. Wilhelm schenkte sie „zu meiner pleibender gedächtnuß".18 Ein weiteres Geschenk begegnet uns erst am 24. August 1700, als die Eheleute sämtliche Schmuckstücke notierten, die zum Fideikommiss gehörten, darunter: „Zwey diamantene Rosen jede mit Einem großen und 8 kleinen Diamanten besetzt und verehret von Ihro Königl. May. in franckreich Ludovico Xllll, aestimirt ad 4000 Rthlr." Dieses Geschenk überreichte der Gesandte des Königs Monsieur de Gombauld am Tage der Hochzeit. 19 Die Brautleute verließen erst am 27. Februar 1683 Schloss Neuhaus, wahrscheinlich blieben sie aufgrund der winterlichen Wetterverhältnisse so lange ihrer Heimat Herdringen fern. Der Einzug in Herdringen gestaltete sich ebenfalls feierlich. Die Schützen der Freiheit Hüsten haben die „heimgeführte Frau von Fürstenberg" an der Chausseebrücke mit Fahnen und Trommeln empfangen und bis Haus Herdringen begleitet.20 Auch nach der Heirat gab es zwischen Wilhelm und Ferdinand Zwistigkeiten. Ferdinand wollte die Unterburg der Burg Schnellenberg als Vierflügel-Anlage ausbauen. Wilhelm hingegen meinte, 18 AFH 21725. Die Konfektschalen sind leider nicht mehr vorhanden. 19 20 AFH 1583 die hohen Mauern seien viel zu teuer, man sollte das Geld besser anlegen. Ferdinand ging Kompromisse ein, ließ aber nicht locker und setzte durch, dass ein Wohnturm an der Oberburg errichtet wurde, der noch heute die Initialien FFVF und MTVW und die Jahreszahl 1686 trägt.21 Darüber hinaus haben die beiden sehr viel bauen lassen und haben ihr Allianzwappen zahlreich in der Burg Schnellenberg und in Herdringen anbringen lassen. Ferdinands Gesundheit war nie sehr robust. Um die Jahreswende 1711-12 erkrankte er ernstlich. Fieber, Bluthusten und Seitenstechen waren 'billich Ursach, auff die Sterblichkeit zu gedencken’. Ihn bedrückte der Gedanke, dass trotz der zahlreichen Nachkommen seine Gattin hatte ihm im Zeitraum 1683 - 1702 sechzehn Kinder geboren - die Familie Fürstenberg aussterben könne. Waren doch drei Töchter und ein Söhnchen in den ersten Lebensjahren dahingegangen; die Eltern verloren drei heranwachsende Söhne, die bereits Domherrenstellen innehatten, in den Jahren 1705 -1707. Zudem endete am 20. März 1711 das Leben des Erstgeborenen Ferdinand Anton, der sich kurz zuvor zum Priester hatte weihen lassen. Ein Jahr später verstarb in Herdringen die Tochter Anna Helena im 21. Lebensjahr. Diese sich häufenden Todesfälle führten zu starker seelischer Belastung der Eltern. Über die Umstände seines Todes informiert uns am besten ein Bericht an den Obristkanzler Karg in Bonn. 'Euer Excellenz muß, durch diesen Expressen, leider die betrübte Nachricht geben’ - so 21 Frdl. Mitteilung von Otto Höffer, Stadtarchivar in Attendorn. AFH 2338, fol. 368 - 39 - Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 40 schrieb am 14. März 1718 ein Freund 'dass der Freiherr v. Fürstenberg, nachdem derselbe eine Zeitlang durch Engbrüstigkeit incommodirt gewesen, vorgestern als Sambstags morgen vom Schlagfluß an der linken Seiten gerühret worden. Man hat sogleich die Vorsorge gethan, dass er mit allen hochheyligen Sacramenten versehen worden, da er dabei das Glück gehabt, den Verstand, Gesicht und Gehör, auch etwas Sprach 24 Stunden lang in diesem Zustand zu behalten. Es tut seiner Hochfürstlichen Gnaden zu Münster und Paderborn Leibmedicus Brunner zwar sein Bestes, aber es ist dannoch alle menschliche Hoffnung daran verloren, wie ich denselbigen gestern Abend ohne Sprach, auch ohne dass er einen Menschen mehr kennen, noch sehen können, ganz erbärmlich angetroffen... '. Ferdinand starb in der Nacht zum 15. März 1718 im 57. Lebensjahr. Seine Gattin und vier seiner Kinder waren in der letzten Stunde anwesend.22 Ein paar Monate später wurde ein Paragraph des Ehevertrages von 1682 durch einen Vergleich geändert. Statt Haus Herdringen wurde die Burg Schnellenberg als Witwensitz bestimmt, auch die Einkünfte des Hauses Hüusten konnte die Witwe für ihren Lebensunterhalt verwenden.23 Die Witwe Maria Theresia machte am 5. August 1724 ihr Testament. Haupterbe sollte der älteste Sohn Christian Franz Dietrich Freiherr v. Fürstenberg werden. Das Testament wurde auf der Burg Schnellenberg - ihrem Witwensitz - verfasst und von dem Attendorner Rector Hospitalis Stephan Dingerkus geschrie22 Lahrkamp, FüG IV, S. 25-26. 23 AFH 1044 ben. Zeugen waren: Johann Gottfried Bresser, Markus Franziskus Gertmann, Vikar der Vikarie Omnium Sanctorum, Johannes Caspar Hundt, Presbyter, Bernhard Heinrich König, Presbyter, Franz Heinrich Tütel, Stephan Dingerkus, Rector Hospitalis und Vikar St. Barbarae, Notarius publicus.24 Am 15. Januar 1737 kam ein Reiter nach Herdringen und überbrachte die Nachricht, dass die alte Frau von Fürstenberg einen Schlaganfall erlitten habe. Zwei Tage später kam die Meldung, dass es der gnädigen Frau wieder besser gehe. Deshalb wurde eine geplante Reise nach Schnellenberg aufgrund des schlimmen Wetters abgesagt. Maria Theresia Freifrau von Fürstenberg geb. Freiin von Westphalen starb 29. Januar 1737 abends um sechs Uhr auf der Burg Schnellenberg „abends 6 uhren dießes Zeitliche verlaßen". Sofort wurde ein Bote nach Soest geschickt, um die Trauerbotschaft drucken zu lassen. Ein Bote wurde nach Marpe geschickt, um Richter Hoynck nach Schnellenberg zu befehlen, dieser sollte die Beerdigung vorbereiten. Am 31. Januar 1737 wurden Boten nach Paderborn, Münster und Köln geschickt, die Trauerkunde zu überbringen. Der in Herdringen wohnende Sohn Christian Franz Dietrich Freiherr v. Fürstenberg reiste am Morgen des 1. Februar zur Burg Schnellenberg und war abends bei seiner verstorbenen Mutter angekommen. Einen Tag später, abends zwischen 17 und 18 Uhr wurde der Leichnam bis zum Hospital gefahren, Christian Franz Dietrich Freiherr von Fürstenberg folgte in einem sechsspännigen Wagen. An der Überführung nahmen noch teil: Herr von 24 - 40 - AFH 488 Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 41 Imbsen, Richter Höynck von Eslohe, Dr. Treffert von Siegen, Rentmeister Reutz von Adolfsburg, Sekretär Wilhelm, alle trugen schwarze Mäntel. Am Hospital wurde die Leiche aus dem Trauerwagen gesetzt und von den Bürgern zur Kirche getragen. Voran gingen die alten Schützen mit ihren Fahnen, dann kam der Chor der Pfarrkirche, anschließend die Leiche, gefolgt von Freiherr von Fürstenberg, Herr von Imbsen, Richter von Eslohe mit Amtsverwalter Bresser, Herr König und Dr. Treffert von Siegen, Rentmeister Reutz von der Adolfsburg mit Sekretär Wilhelm, dann Honoratioren der Stadt, den Schluss bildeten die jungen Schützen mit ihren Fahnen. Die Prozession wurde mit 70 Kerzen begleitet bis in die Franziskanerkirche, in der die Leiche auf dem Chor vor dem Hochaltar beigesetzt wurde. Am anderen Tag ist die Trauergemeinde erneut zur Franziskanerkirche gefahren, um dem Seelenamt beizuwohnen. Daran nahmen auch teil das Ehepaar von Schade zu Ahausen und der Prior von Ewig. Alle gingen dann zur Burg Schnellenberg, um zu Mittag zu essen. Erst am 4. März trat Christian Franz Dietrich Freiherr von Fürstenberg mit seinem Gefolge die Rückreise nach Herdringen an. (AFH 458) Die Grabstätten von Ferdinand und Maria Theresia befanden sich in der ehemaligen Franziskanerkirche, die am 15. Juni 1945 durch eine Munitionsexplosion stark beschädigt wurde. Infolgedessen wurde sie 1951 abgerissen. Damit verschwand auch die Familiengruft der Familie von Fürstenberg. Vom 10. zum 11. April 1945 in Rieflinghausen von P. Steinbach mitgeteilt von Albert Schnepper Rieflinghausen. Postkarte: Rottmann, Attendorn. Zur Verfügung gestellt von Frau Roswitha Remberg. - 41 - Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 42 Rieflinghausen: Ein "spanisches Dorf". Die Amerikaner hatten es nicht auf ihrer Kriegskarte. Schon vor Jahren war ich öfter im Sauerland und habe das idyllische Dorf nicht entdeckt. Aber, "alle Wege führen nach ..." Rieflinghausen: Von Neger über Hofkühl, von Oberveischede über Tecklinghausen, von Jäckelchen über Mecklinghausen, von Helden über Repe, von Attendorn über Klöver, und es gibt noch mehr Verbindungen nach ...Rieflinghausen! Am 29. November 1944 sollte ich das freundliche Dorf im Herbstkleid kennenlernen. Vom Kriege nichts zu spüren, kaum was zu sehen. Die Söhne des Dorfes sind Soldaten. Der Krieg aber geht seinem schnellen Ende entgegen. Vinzenzschwestern von Köln - Brück, Köln - Sülz und anderen Häusern, die sie teils geräumt, haben hier eine kleine Filiale für ältere Schwestern eingerichtet (in Pahn's Neubau). Pater Schröder, der sie hier betreute, ging zum Seminar nach Küllsted, wohin ich die Vinzenzschwestern unseres Missionshauses Broich bei Aachen, das wir am 9.12.1944 als Verbandplatz räumen mussten, gebracht hatte. Auf Wunsch der Schw. Assistentin tauschte ich mit Herrn Pater Schröder Anfang Dezember 1944, gerade als der General Winter mit Wucht und großem Schneegestöber seine Offensive begann, die er einige Wochen mit strengem Regiment durchführte. Im Westen stand die Front. Mitte Dezember kam die Not-Offensive von Rundstadt. Auch diese große Hoffnung wurde enttäuscht. Im Osten ging der Russe vor; teils sogar über die Oder. Dann führte im Westen der amerikani- - 42 - sche Vorstoß die Front an den Rhein. Und darüber. Die schönen, festen Rheinbrücken wurden zerstört. In kürzester Zeit bauten die Amerikaner aber einige neue. Es ging weiter ohne Pause, mitten ins Reich. Eines Tages waren wir von der Sieg bis zur Ruhr eingekesselt. Vom Osten her wurde der Kessel eingedrückt. Wir hörten vom Hochsauerland her mit jedem Tag deutlicher den donnernd heranrückenden Feind. Dorf um Dorf fiel dem Feind in die Hand. Montags, den 9. April 1945, wir feierten Maria Verkündigung, sagten uns abrückende Soldaten, die eine Woche hier im Quartier gewesen, feindliche Panzer rollten von Kirchhundem bis Elspe heran, 250 Stück. Neue Truppen rückten ins Dorf mit 2cm-Flak. Sie bauten am Nordwestrand, am ansteigenden Gelände gegenüber dem Dorfe ihre 4 kleinen bösen Dinger ein, bekamen aber am Dienstagmittag schon saftiges Arifeuer vom Amerikaner. Nachmittags meldete man, der Feind komme näher. Mehrere Flaksoldaten behaupteten, sie würden nicht schießen, wenn der Feind einrücke. Andere anders! Als nun am Dienstagnachmittag der Feind bereits in Tecklinghausen gemeldet wurde, bezogen sie doch ihre Stellungen. Wir konnten von Pahn's aus einige Geschützstellungen beobachten. Gegen halb acht Uhr rief jemand: "Die Amerikaner sind bei Hillmann's!" Tatsächlich, Hillmann's standen draußen, die Hände hoch, und einige Amerikaner liefen herum. "Weiße Fahnen heraus!" Ich sah, wie Hesse-Schulte und nachher Peter Klein Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 43 mit der Fahne zu Siepen's herauf gingen, den Amerikanern entgegen. Da! Mit Entsetzen hört man die Flak schießen, und sie schießt auf die weißen Fahnen, auf Hillmann's und auf andere Häuser! Ein mörderisches Feuer der 4 Flakgeschütze. Man sieht die glühenden Kugeln in und über das Dorf fliegen. Die Banditen! "Jetzt ist das Dorf verloren!" sagten wir. So sagten auch die 4 - 5 Soldaten, die bei Hesse - Schulte in der alten Küche saßen und sich ergeben wollten. "Gott sei uns gnädig!" Ich höre eine Explosion. Ein Geschütz ist gesprengt. 3 Soldaten laufen zum linken Geschütz und machen es sprengfertig. Jetzt laufen sie weg. Eine Minute, und es fliegt auseinander. Noch eins wird gesprengt am oberen Weg nach Hofkühl. Dann hört das Feuer auf. Karl Hengstebeck und ich gehen zu Schulten's. "Wir müssen hinauf zu den Amerikanern, um die Sache aufzuklären. Es ist Zeit!" Ferdi Klein, Karl Hengstebeck und ich gehen durch Schultens Stall, hinter Siepens Stall vorbei bis an den Garten. Amerikanische Ari feuert aber schon mächtig ins Dorf. Der Gang ist zu gefährlich. „Es geht nicht!“ rufen die beiden. „Aber es ist höchste Zeit,“ sage ich. „Wenn die Amerikaner sich zurückziehen, werden wir keine Verbindung mehr mit ihnen bekommen, bis das ganze Dorf in Schutt und Asche liegt." Was dann? Hastig jagen die Gedanken. All die Leute! Die Kinder! Das Schlimmste muss verhindert werden. Ich pfeife auf den Fingern, rufe den Amerikanern sie sollten kommen. Das große Gartentor hebe ich aus und trete in den Garten, als in den Stall neben dem Wege eine Granate einschlägt. Ich rufe nach meinen Begleitern. Die Amerikaner können mich sehen. Ich höre sie auch rufen. - 43 - Schließlich öffnet man bei Siepens ein Fenster. "Herr Robert Becker", sage ich, "wir müssen hinauf!" "Ich war schon auf dem Weg, aber die Unseren beschießen uns". "Dann gehe ich allein! Haltet mir den Daumen! Es ist keine Minute zu verlieren". Die Ari feuert weiter. Zwischendurch höre ich noch die Amerikaner sprechen. Ich rufe wieder. "Ich komme mit!", sagt Herr Becker, und er kam mit der weißen Fahne. Ich ziehe mein Taschentuch. In Sprüngen geht es den Weg hinauf, am Stall vorbei. Ein Amerikaner kniet mitten im Weg, Hillmanns gegenüber und winkt uns. Noch einige eilige Sprünge durch das Wasser in den Hohlweg hinein zu den amerikanischen Vortruppen, die gespannt zum Feind hin spähen. Unsere Soldaten waren aber ausgerissen nach Hofkühl oder noch weiter. "Sind Sie der Bürgermeister?" fragt der amerikanische Stoßtruppführer. "Nein", sagt Herr Becker, " er ist katholischer Priester". "Der Geistliche hier im Dorfe", füge ich hinzu. Dann erzählen wir ihnen in Kürze den wahren Sacherhalt. Dass im Dorfe keine Soldaten seien; nur 4 oder 5, die sich ergeben wollen und die wir hier hinauf bringen können. Damit scheinen sie aber keine Eile zu haben. Der Truppführer, ein überlanger Kerl, fragt: "Aber die Soldaten, die da schießen?" "Die sind dort hinter dem Dorfe gewesen. Sie hatten 4 Flakgeschütze von 2cm, mit denen sie geschossen haben. Dann haben sie dieselben gesprengt, wenigstens drei", das könne ich ihnen bestätigen, "und sie sind dann geflohen. Aus dem Dorfe hat niemand geschossen". Sie glauben das nun auch. Während unseres deutsch - amerikanischen Radebrechens wird das amerikanische Arifeuer stärker. Der Truppführer gibt sofort nach rückwärts Befehl, das Feuer einzustellen. Wir hocken noch Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 44 zusammen mit den Amerikanern, unter denen einer am linken Oberarm leicht verwundet ist, als die erste Phosphorgranate in der Nähe einschlägt. "Verfluchte Schweinerei!", ruft der Truppführer. Sein Befehl war anscheinend dort oben noch nicht eingetroffen. Und - sch sch - sch -sausen die Phosphorgranaten ins Dorf. Sprühendes Feuer links und rechts, hier oben und unten im Dorf. Pahn's Haus gab ich verloren, weil in der Umgebung viele einschlugen. Die Schwestern werden mich vermissen und ich muss hier oben tatenlos zusehen. Ja, das ganze Dorf wird in wenigen Minuten in Flammen stehen, dachte ich. Dicker Rauch stieg von einem der Häuser auf. Ich dachte an Stienen's Haus. Es war Siepen's Stall. Jetzt konnte man vor Rauch und Nebel nichts mehr erkennen. Da schlugen wieder welche ein in die Tannen vor Hillmann's Haus. Sie waren fürs Haus ein guter Schutz, denn die Granaten krepierten in den Tannenspitzen und in tausend Funken sprühte das Feuer durch die Gegend. Ein grausiges "Spiel". Da! Wieder eine dicht am Hohlweg neben der Gruppe. Die Amerikaner zogen sich darauf eiligst zurück nach oben in den Wald. Herr Becker mit ihnen. Dann wieder eine Granate rechts von uns auf den Fußpfad an Hillmann's Anlagen vorbei, und - links, dicht neben mir. Sprühfeuer über uns. Der amerikanische Posten und der Verwundete blieben mit mir im Wasser liegen. Durch die Fahne, die ich befeuchtete, atmete ich. Sollte jetzt noch eine näher treffen, wären wir drei verloren. Es waren kritische Augenblicke. Plötzlich hörte das Feuer auf. Der Befehl war wohl angelangt. Siepen's Stall brannte lichterloh in allen Fugen krachend. Anderes konnte ich auch nicht - 44 - mehr erkennen. Hoffentlich ist es im Dorf nicht zu schlimm! Die Hoffnung blieb. Kurze Zeit darauf kam ein Sanitäter, dem ich dann half, den Verwundeten zu verbinden. Man brachte ihn nach Hillmann's zu Bett. Ich ging mal ins Dorf, das allmählich wieder aufatmete, dann wieder hinauf. Es mussten ja bald die Amerikaner einziehen. Der Ortsbürgermeister Peter Klein kam. Wir machten uns ein Friedenspfeifchen an. Da kamen auch schon einige Gruppen Amerikaner. Sie wollten nun ins Dorf. Mit geladenem und entsichertem Gewehr begleiteten sie uns. Siepen's Haus wurde zuerst durchsucht - nach Soldaten. An der Tür verlangte der Amerikaner "Licht!". Hesse steckte eine Kerze an, die er voran trug. Mich schoben die Amerikaner vor sich her. Dann gings durch alle Flure und Zimmer. In alle Ecken und Winkel musste geleuchtet werden. Die Amerikaner schauten in alle Schränke, in und unter die Betten, in Stall und Keller. Ernste Kommandos. Nur beim kleinen Brigittchen wurden sie zutraulicher. Paradiesaugen der Kinder blicken nicht feindselig! Die soldatische Haltung der Amerikaner war korrekt. Sie waren in allem sehr anständig. Persönlich kann ich mich in keiner Weise beklagen. Als wir zu Schulten's kamen, standen die 5 Soldaten bereits am Wege, die Hände erhoben, um sich zu ergeben, ihr weniges Gepäck zu Füßen. Sie wurden untersucht und ans Haus gestellt. Andere Trupps untersuchten nun die übrigen Häuser. In Pahn's Haus entdeckten sie 2 Russen, die ich ihnen als mir bekannt vorstellte. Allmählich beruhigte sich das Dorf. Die größte Gefahr war wohl vorüber. Siepen's Stall war indessen nieder Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 45 gebrannt, bei Schneider's hatte man zeitig das Dach gelöscht. Schulten's hatten einen Volltreffer auf dem Stall in die Vorratskammer erhalten. Die Trümmer lagen auf dem Wege. Alles in allem war der Schaden noch erträglich. Wir können von Glück sprechen. Gott sei gepriesen! Noch ein kleines Erlebnis: Als die Häuserkontrolle vorbei war, wollten Herr und Frau von Schledorn gern nach Hause. Es war wohl etwas gefährlich. Doch ich riet zu gehen. Sie nahmen ihr Gepäck und ich begleitete sie hinauf. Ich war der Ansicht, dass oben kein Militär sei. "Mitgegangen - mitgehangen!" Als wir plaudernd oben ankamen, wurden wir mit Gewehrläufen empfangen und zur Ruhe gemahnt, am Arm genommen und durch den Zaun unten am Hause "an die Wand gestellt". Sie tasteten unsere Taschen ab und mahnten immer wieder zum leisen Sprechen. Sie vermuteten im nahen Walde deutsche Soldaten. Daher ihre Vorsicht. Schließlich sagte ich ihnen, ich sei katholischer Priester, hier vom Dorf. Sie stutzten ein wenig, wurden aber freundlicher. Dann prüften sie meine Aussage. Da ich keinen Talar trug, fragten sie nach dem Priesterkragen. Mir ging es wie in der "Göttlichen Komödie", als Beatrice zu Dante sagt: "Heb den Bart!". Sie hoben sachte den hehren Bart und tasteten ringsherum den Priesterkragen ab. Anscheinend waren sie sehr befriedigt. Auch unter ihnen seien drei Theologen. Ein amerikanischpolnischer Soldat war mit einem polnischen Arbeiter ins Haus gegangen. Herr von Schledorn gab noch einen Kellerschlüssel ab. Wir mussten warten. Ich wünschte auch ins Haus zu gehen, um die von deutschen Soldaten verwundete Fräulein Beeren zu sprechen. Sie war oben auf der Verandatreppe. Um sie zu verbinden, wollte ich Schwester Marianne heraufholen und fragte darum. Nach - 45 - Überlegung mit dem Truppführer kam die Antwort: Ich könne nicht heruntergehen, sondern ich solle mit einem Posten gehen, um ihren Arzt zu holen, vielleicht in Tecklinghausen oder Oberveischede. Nun sagte ich, es sei ja wohl nicht so schlimm, ich könne auch morgen früh die Schwester bringen. Ja, gut, ich müsse aber die Nacht hier bleiben. Nein, sagte ich, das geht nicht. Der Kommandant vom Dorf hat mich als Begleiter mit nach hier gehen lassen und ich muss zurück. Na, dann könne ich allein heruntergehen, die anderen müssten hier bleiben. Man half mir durch den Zaun. 3 Amerikaner gingen auf der Weide seitlich neben mir bis zum Weg. Dann baten sie um meinen priesterlichen Segen, den ich ihnen erteilte. Sie bekreuzten sich und zogen auf ihren Posten. Ich ging ins Dorf. In Schulten's dunklem Holzschuppen raschelten die Posten. Ich meldete mich von der Begleitung zurück und nannte meinen Beruf. Man ließ mich ruhig heimgehen. Etwa 1/2 1 war es. Gegen 1/2 2 kam die große Einquartierung für die Nacht. In jedes Haus ca. 50 - 80 Mann, die am Mittwochmorgen nach Hofkühl oder Repe weiterzogen. + + + Gott hat uns durch seine heiligen Engel und Patrone wirklich gut behütet. St. Servatius hat seine Kapelle erhalten. St. Barbara - ihr Bild verehren wir im rechten Chorfenster - wehrte die schädliche Artillerie ab. St. Agatha - deren Bild wir im linken Chorfenster verehren - hielt den verheerenden Phosphorbrand gnädig ab. Unsere liebe Himmelsmutter und St. Joseph haben uns getreulich beschirmt, unser Leben, Leib und Seele behütet, besonders unsere lieben Kinder. Wir danken dem lieben Gott für so großen Schutz und soviel väterlich lie- Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 46 bende Sorge. Unser Vertrauen auf IHN sei Fest! Unser Dank sei Christ - katholische Treue gegen seine heiligen Gebote und eine echte, nie ermüdende Nächstenliebe. Osterfreude durchzieht unsere Seele: "Der Friede sei mit euch!" ALLELUJA! Am Sonntag vom Guten Hirten, den 15. April 1945 P. Steinbach C.S.Sp. Von Herzen danke ich den vielen Betern dieser Tage. Anmerkung von Albert Schnepper: In Rieflinghausen wurde gleich nach dem Kriege ein Bildstock gegenüber von Hillmanns Haus an einem Eschenstamm angebracht. Bei einem Blitzeinschlag im Jahre 1988 blieb der Bildstock unversehrt. Auf der Tafel unter dem Kruzifix steht die Inschrift: FRIEDE 10.4.1945 Foto: Albert Schnepper Rieflinghausen heute. Ausschnitt aus der Deutschen Grundkarte, 1: 10.000 Mit freundlicher Genehmigung der Stadt Attendorn, Bauverwaltungsamt. - 46 - Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 47 NEUERSCHEINUNG Vom Bauernhof zum Kaiserhof Die Vorfahren von Maria Otto: Bauern, Könige und Kaiser Genealogie der Döhmer Ottos über 50 Generationen und 1500 Jahre im kurkölnischen Sauerland und darüber hinaus von Berthold Rauterkus In diesen Tagen erscheint im Bochumer Europäischen Universitätsverlag ein Buch unseres Mitglieds Berthold Rauterkus zur Genealogie der Familie Otto vom Dahm. Der Hof zum Dahm gehört zwar heute zur Gemeinde Finnentrop, war jedoch seit Jahrhunderten nach Helden und Attendorn orientiert. Die meisten Vorfahren der Familie Otto lebten im Gebiet der heutigen Stadt Attendorn, so z.B. in den Ortschaften Mecklinghausen, Milstenau, Dünschede, Ennest, Lichtringhausen, Ebbelinghagen oder Bürberg u.v.m. Und auch heute noch leben viele Nachfahren der Familie im Attendorner Bereich. Fast alle sind in den Anlagen des Buches namentlich genannt und können so ihre Ahnenkette weit zurück verfolgen. Daß auch ehemalige Bürger der Stadt Attendorn nicht unerwähnt bleiben, veranschaulicht der folgende Buchauszug: ....Die Ur-Ur-Urgroßeltern von Anna Maria Elisabeth Becker (D47) = 10. Vorgeneration von Maria Otto Eberhard Becker (D1504) wurde im Jahr 1585 in Kirchhundem geboren. Er war Bauer in Förde und Burggraf (Kastellan) der Burg Bilstein und übte als solcher die Aufsicht über den Burgbezirk aus, was gerade in den schrecklichen Jahren des Dreißigjährigen Krieges eine verantwortungsvolle Aufgabe war und ihm Ansehen in der Bevölkerung einbrachte. - 47 - Eberhard Becker (D1504) hatte 3 Geschwister: x Elisabeth (Elsa) Becker, * Februar 1587. Ihre Taufpatin war Elisabeth von Fürstenberg, die Ehefrau des Drosten Caspar von Fürstenberg zu Bilstein, die bereits wenige Monate danach am 1. Juni 1587 nur 40jährig starb. Schon vor 1614 war Elsa Becker mit Christoph Tütel, einem Handelsherrn zu Attendorn, verheiratet, der um 1590 in Attendorn geboren wurde, 1621 Hospitalvorsteher in Attendorn war und auch 1648 urkundlich erwähnt wird. Ihr Sohn war der um 1615 geborene Christoph Tütel, der Kaufmann und Bürgermeister zu Attendorn war. Schon dessen Urgroßvater Wilhelm Tütel war 1538 und 1556 Bürgermeister in Attendorn, ebenso wie dessen Vater Johann Tütel schon 1504 und letztmals 1535. Die Attendorner Familie Tütel lässt sich zurückverfolgen bis zu dem ca. 1400 geborenen Johann Tütel, der mit Elseke Volquin, der Tochter von Johann Volquin, verheiratet war. Einer der Tütel-Vorfahren war der um 1350/60 in Alkmaar/Holland geborene Prof. Dr. jur. Joh. Vorburg, der 1394 Rector der Universität zu Köln war und 1414 als Gesandter zum Konstanzer Konzil erwählt wurde. 1417 war er Gesandter an Papst Martin V. ... "Vom Bauernhof zum Kaiserhof" beschreibt die Genealogie einer Familie aus dem kurkölnischen Sauerland, das Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 48 über 600 Jahre lang bis 1801 als südlicher Teil des Herzogtums Westfalen zum Herrschaftsgebiet der Kölner Kurfürst-Erzbischöfe gehörte. Der Autor hat fast 600 bürgerliche Vorfahren dieser Familie in 15 Generationen bis ins frühe 15. Jahrhundert gefunden und in 41 Ahnentafeln zusammengestellt. Eine dieser 600 Ahnen in der 10. Vorgeneration hatte als Vater einen Adligen, dessen Vorfahren im westfälischen Adel über 20 Generationen und fast 600 Jahre lückenlos zurückverfolgt werden konnten bis vor das Jahr 1000, als eine Enkelin des zum fränkischen Königsgeschlecht der Karolinger gehörenden Königs von Westfranken in das Werler Grafengeschlecht einheiratete. Deren Vorfahren sind ohne Lücken etwa 400 Jahre lang über 12 Generationen bekannt bis etwa zum Jahre 600. Der Leser findet so Könige und Kaiser, Heiliggesprochene, von Karl dem Kahlen über Ludwig den Frommen bis hin zu Kaiser Karl dem Großen. Selbst die Merowinger werden über eine Tochter des Merowingerkönigs Dagobert II. erreicht. Die gesamte Ahnenkette über 1500 Jahre und 52 Generationen ist in einem im Buch enthaltenen Faltblatt zusammengefasst. Als einzige nicht zur Ahnenkette hin zu Karl dem Großen gehörende Stammtafel der Vorfahren Maria Ottos im Bereich des westfälischen Adels wird auch die Ahnentafel von Henneke von Schade zu Ludwig Ritter von Milstenau dargestellt. Milstenau liegt nur wenige Kilometer entfernt von Maria Ottos Geburtsort Dahm. Milstenau war bis etwa 1370 ein eigenständiger Rittersitz. Buchauszug: Ludevicus miles (=Ritter) de Middelstena (=Milstenau) * ca. 1220/30 I - 48 - Volpertus de Middelstena * ca. 1260 I NN von Milstenau, Erbin zu Milstenau * ca. 1300, verheiratet ca. 1330 mit Volpert Schade zu Milstenau, Burgmann zu Grevenstein I Volpert Schade von Middelstena zu Grevenstein * ca. 1330 + vor 1396 I Henneke (Volpert?) von Schade zu Grevenstein und Meinkenbracht * ca. 1360/70, verheiratet mit NN Engel I Henneke (Johann) von Schade zu Meinkenbracht * ca. 1400 + Herbst 1455, verheiratet mit Margarete von Geygen I Volpert von Schade zu Grevenstein, Berge und Blessenohl, Erbe zu Berge * ca. 1430 + vor 1470, verheiratet mit Sibylle von Grona I Georg (Jorgen) von Schade, Burgmann zu Grevenstein * ca. 1470 + 1539, verheiratet ca. 1500 mit Jutta von Stockhausen I Henneke von Schade der Ältere zu Grevenstein * ca. 1510 + vor 1566, verheiratet ca. 1540 mit Catharina von Schorlemer * ca. 1520 + nach 1578 (eine Ahnin der Dichterin Annette von DrosteHülshoff) I Henneke von Schade zu Grevenstein, Drost zu Eversberg und Medebach * ca. 1550 + nach 1629; mit Margaretha Wiegenstein, * ca. 1560 + 13.11.1627, hatte er die gemeinsame Tochter Anna Schade, die eine Angehörige der 10. Vorgeneration Maria Ottos war. Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 49 Berthold Rauterkus Vom Bauernhof zum Kaiserhof Die Vorfahren von Maria Otto: Bauern, Könige und Kaiser. Genealogie der Döhmer Ottos über 50 Generationen und 1500 Jahre im kurkölnischen Sauerland und darüber hinaus. Bochum: Europäischer Universitätsverlag 2006, 29,90 Euro, 397 S., 21 x 29,5 cm, mit zahlreichen Abbildungen und einem Faltblatt 29,5 x 150 cm, ISBN 9783932329494 20 Exemplare des Buches sind voraussichtlich ab Mitte Mai beim Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. zu den Geschäftszeiten montags von 18.00 bis 20.00 Uhr sowie bei der Ortsheimatpflegerin Birgit Haberhauer-Kuschel, Tel. 02722 - 7473 zum Vorzugspreis von 23,50 Euro erhältlich. NEUERSCHEINUNG Wandern und Pilgern auf der Heidenstraße Auf den Spuren von Handelsleuten und Jakobuspilgern im Sauerland sowie im Oberbergischen Land zwischen Attendorn und Marienheide von Annemarie und Herbert Schmoranzer, Hans Ludwig Knau und Ekkehard Loch Wie schon beim ersten Band des Wander- und Pilgerführers ist es das Anliegen der Autoren, den frühgeschichtlichen Verkehrsweg Heidenstraße für Wanderer und Pilger wiederzubeleben diesmal auf der Teilstrecke Attendorn Marienheide. Mit Hilfe des neuen Wander - und Pilgerführers kann die Streckenführung ausgehend von historischen Karten mit aktuellen Übersichtskarten im Maßstab 1:25 000 und Kartenausschnitten im Maßstab 1: 5 000 selbst "gefunden" werden. Kleinformatige Fotos in den Karten erlauben eine reibungslose Orientierung und laden dazu ein, Pausen an kultur- oder technikgeschichtlichen Höhepunkten einzulegen. Wie im ersten Band werden unter der Rubrik "Wissenswertes am Wege" wegbegleitende Besonderheiten der unterschiedlichsten Art vorgestellt. Den einzelnen Wegabschnitten folgen Hinweise zu Gastronomie, Verpflegung und Erholung. Lohnende Ausflugsziele wie z.B. Talsperren und mittelalterliche Bergbauspuren können durch vorgestellte Abstecher von der Heidenstraßen-Route erreicht werden. - 49 - Das Autorenpaar Annemarie und Herbert Schmoranzer hat sich seit 1986 der Erforschung des Sauerlandes, der Hellwegregion und des Hochstiftes Paderborn nach Spuren der mittelalterlichen und heutigen Jakobuspilgerfahrt und verehrung verschrieben. Zahlreiche Vorträge, Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen sind seitdem von Annemarie Schmoranzer zu diesem Themenkreis erschienen. Bei der Wiederbelebung der alten Fernwege für Wanderer und Pilger sind beide Ideengeber und Motor geworden. Mitautor des ersten Wanderund Pilgerführers durchs kurkölnische Sauerland zwischen Oberkirchen und Attendorn war Franz-Norbert Scheele. Beim Folgeband stehen dem Ehepaar Schmoranzer als Co-Autoren Hans Ludwig Knau aus Kierspe und Ekkehard Loch aus Lüdenscheid zur Seite. Hans Ludwig Knau, Ortsheimatpfleger von Meinerzhagen, beschäftigt sich seit vielen Jahren als Mitglied der Altertumskommission für Westfalen und des Arbeits- und Geschichtsausschusses des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute intensiv mit der Erforschung der Eisenherstellung und -verarbeitung im Märki- Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 50 schen Sauerland und dem Bergischen Land. Zahlreiche Vorträge und Publikationen entstanden von ihm zu diesem Thema. Ekkehard Loch widmet sich als ehrenamtlicher Beauftragter für Bodendenkmalpflege der Stadt Lüdenscheid und Vorsitzender des Arbeitskreises Bodendenkmalpflege im Heimatbund Märkischer Kreis besonders der Auffindung und Erhaltung von Bodendenkmälern. Er hat an verschiedenen heimatgeschichtlichen Veröffentlichungen mitgearbeitet. Beteiligt an der monatelangen Erforschung der historischen Trasse in Exkursionen und Arbeitssitzungen waren auch Werner Cordes aus Attendorn, Klaus Filmer aus Attendorn-Ennest, Ortsheimatpflegerin Birgit HaberhauerKuschel aus Attendorn, Ortsvorsteher Fred Oehm aus Meinerzhagen-Valbert, Reiner Potyka aus Kierspe, Franz- Norbert Scheele aus Meschede sowie Bianca Taufall aus Kierspe. Herausgegeben wird dieser Band, der im März im Paderborner BonifatiusVerlag erscheint, vom Heimatbund des Märkischen Kreises und vom Sauerländer Heimatbund, die das Projekt der Wiederbelebung der Heidenstraße nachhaltig unterstützen. Herbert Schmoranzer / Annemarie Schmoranzer / Hans Ludwig Knau / Ekkehard Loch: Wandern und Pilgern auf der Heidenstraße Auf den Spuren von Handelsleuten und Jakobuspilgern im Sauerland sowie im Oberbergischen Land zwischen Attendorn und Marienheide Herausgegeben vom Heimatbund Märkischer Kreis und vom Sauerländer Heimatbund. Ca. 150 Seiten, durchgehend farbig bebildert, Spiralheftung. Ca. 16,90 Euro ISBN 978-3-89710-9 Erlebnisse aus der Landwirtschaft in Attendorn von Josef Hormes Bis Ende der dreißiger Jahre, zum Teil auch noch bis nach dem Kriege, hatten viele Attendorner neben ihrem Beruf noch eine kleine Landwirtschaft. Das waren die so genannten „Kleinbauern“, wie man sie scherzhaft nannte. Sie besaßen meist 1 Kuh, 1 Ziege, 1 oder 2 Schweine, Hühner mit Hahn und natürlich noch einen Hund und eine Katze. Hierzu fielen mir so manche Begebenheiten wieder ein: Es war vielfach üblich, dass wir Jungen nachmittags gleich 2 oder 3 Kühe, also aus verschiedenen Ställen, zum Hüten - 50 - trieben. Vor dem nächsten Stall riefen wir dann: “Loot uut! Loot uut!“ Kurz vor dem Anstieg zum Himmelsberg, gerade vor der Herberge (so nannte man früher auch den Gasthof Hacke), wollten die Kühe erst noch ihre Verdauung loswerden. Diese Ecke des Weges war dann meistens regelrecht damit gepflastert, zum Ärger des Wirtes. Zogen wir abends mit den Kühen wieder heimwärts, riefen wir ihnen zu: „Häime ho ho ho!“ Sie reagierten sofort darauf. Kam man vor den Stalltüren an, wurde „Loot in, loot in!“ gerufen. Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 51 Wenn der Klapperstorch in unserem Kuhstall landete, kam einer der dabei helfenden Männer in unsere Küche und verlangte nach der Geburt ein Schmalzbrot. Auf meine Frage warum, hieß es dann immer: „Für den Klapperstorch!“ (gemeint war, für die Kuh). Jeder, der einen Kuhstall hatte, brauchte auch eine Jauchegrube. Meistens wurde noch der „Abtritt“ (Trockenklo) mit in die Grube geleitet. Im Frühjahr und im Herbst wurde die Grube entleert. Dazu brachte uns einer der hiesigen Fuhrleute das so genannte „Pirkelfaat“. Das wurde abends mittels Eimer gefüllt und morgens zum Acker gefahren. Über den großen Gestank in der ganzen Nachbarschaft brauchen wir nicht zu reden! Früher waren unsere Jugendlichen auch keine Heiligen. Es kam vor, dass man das Pirkelfaat bei Nacht und Nebel öffnete und die ganze Jauche dann durch die Gossen, oft bis zum Niedersten Tor, floss. Hier möchte ich an ein Gedicht von Engelbert Laymann erinnern (Bruder der Heimatdichterin Ferdinande Laymann), der so ein Erlebnis in „Dat krammboulärte Pirkelfaat“ festgehalten hat. Wenn es im Herbst ans Schlachten der Schweine ging – man sprach von einer Hausschlachtung – gab es abends den so besonders schmackhaften Panhas. Wir Kinder bewaffneten uns zu Hause mit einem Löffel und einer Scheibe Brot und gingen zum Panhas-Lecken in die Nachbarschaft, wo morgens geschlachtet worden war. Der große Panhas-Pott ließ nach dem Leeren an den Innenwänden für uns genügend Reste zurück. Wir saßen nun mitten in der Küche um den Pott herum und kratzten den Panhas heraus. Der Panhas-Knüppel! Mit dieser Bezeichnung kann bestimmt keiner etwas anfangen. In unserer Nachbarschaft be- - 51 - fand sich ein etwa 1 Meter langer Stock, der beim Kochen zum dauernden Rühren vom Panhas gebraucht wurde. Der Kochtopf hatte eine besondere Größe, damit auch noch die nächste Nachbarschaft mit je einem Teller voll dieser edlen Speise nach Hause gehen konnte. Den Stock nannte man „PanhasKnüppel“. Er wurde in der näheren Umgebung bei Hausschlachtungen gebraucht. Eine Reihe von Kleinbauern hatten auch noch ein Pferd. Mit dieser Pferdestärke besserten sie ihr Einkommen auf. Bei der Bestellung der Felder und in der Erntezeit waren diese Fuhrleute gut beschäftigt. Im Spätherbst wurde der Stalldung – man sagte einfach „Mist“ – auf den Acker gefahren. Im Winter holte man Holz aus den Bergen. In der dann noch verbleibenden Zeit des Jahres wurde der Erdaushub für Neubauten mit einem „Rump“ (zweirädriger Karren) abgefahren, sowie Baumaterial herbeigeschafft. Josef Hormes Im November 2002 Heft Verein für Heimatkunde 14.03.2007 15:01 Uhr Seite 52