Mitteilungsblatt 29 - Heimatverein Attendorn

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Mitteilungsblatt 29 - Heimatverein Attendorn
Heft Verein für Heimatkunde
14.03.2007
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Dipl.-Ing. Michael Jolk, Werl
Monika Löcken, Breckerfeld
Eva-Maria Nordhus, Hannover
Berthold Rauterkus, Hattingen
Elmar Rothäuser, Swisttal-Ollheim
Albert Schnepper, Attendorn
Nina Streibel, Hannover
ATTENDORN - GESTERN UND HEUTE
Mitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. für Geschichte und
Heimatpflege
HERAUSGEBER: Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V., Hansastr. 4, 57439
Attendorn
Dieses Jahresheft erscheint im März 2007 und
trägt die Nr. 29.
REDAKTION: Birgit C. Haberhauer-Kuschel,
Wesetalstr. 90, 57439 Attendorn, Tel. 027227473, Fax 02722-639729, Mail: bchk@hillekekuschel.de
Titelabbildung: Die Kreuzigungsgruppe auf
dem Katholischen Friedhof an der Windhauser
Straße wurde aus kunsthistorischen Gründen
in die Denkmalliste der Stadt Attendorn aufgenommen. (Foto: Dollenbacher-NordhusStreibel)
DRUCK: Frey Print & Media, Bieketurmstr. 2,
57439 Attendorn
ANSPRECHPARTNER FÜR ALLE BELANGE
DER HEIMATPFLEGE IN ATTENDORN UND
UMGEBUNG:
Erscheint in zwangloser Reihenfolge. Alle
Rechte vorbehalten, auch des auszugsweisen
Nachdrucks. Bezugspreis im Jahresbeitrag
[2007: 15,- Euro für Einzelmitglieder/5,- Euro
für Ehegatten] inbegriffen. Für namentlich gekennzeichnete Beiträge sind die Verfasser
persönlich verantwortlich.
ISSN-Nr. 1864-1989
Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn
e.V., Hansastr. 4, 57439 Attendorn
Sprechstunde: Montags 18.00-20.00 Uhr
Ortsheimatpflegerin für Attendorn:
Birgit C. Haberhauer-Kuschel, s.o.
VORSTAND DES VEREINS
(Stand März 2007):
1.Vors.: Reinhard König, Gartenweg 7, Attendorn, Tel. 02722-54905
2.Vors.: Karl-Hermann Ernst, Am Riedesel 3a,
Attendorn, Tel. 02722-2365
Schriftf.: Peter Prentler, Niederste Straße 24,
57439 Attendorn, Tel. 02722-3927
Schatzm.: Markus Kaufmann, Bismarckweg
30, 57258 Freudenberg
Beirat:
Brigitte Flusche, Hofestatt 13, Attendorn, Tel.
02722-3550
Birgit C. Haberhauer-Kuschel, s.o.
Peter Höffer, Auf dem Arnsbeul 15, Attendorn,
Tel. 02722-4271/3711
Ludwig Müller, Schillerstr. 7, Attendorn, Tel.
02722-7409
Bernadette Schmidt-Homberg, Johann-MetzStr. 5, Attendorn, Tel. 02722-4522
Ulrich Selter, Münchener Str. 90, Attendorn,
Tel. 02722-929530
Dieter Thys, Mindener Str. 10, Attendorn, Tel.
02722-54196
Ortsheimatpfleger für Mecklinghausen:
Albert Schnepper, Talstr. 33, 57439 A.Mecklinghausen, Tel. 02722-8244
Ortsheimatpfleger für Neu-Listernohl:
Ludwig Müller, s.o.
INHALT
Impressum und Inhalt
Alles hat seine Zeit und nichts
ist von Dauer
Die Bombardierung Attendorns
100 Jahre Collegium Bernardinum
am Nordwall
Ein bedeutender Neuzugang im
Südsauerlandmuseum
Die Hochzeit zwischen Ferdinand
Freiherr v. Fürstenberg und Maria
Theresia Freiin v. Westphalen im
Jahre 1682
Vom 10. zum 11. April 1945 in
Rieflinghausen
NEUERSCHEINUNG: Vom
Bauernhof zum Kaiserhof
NEUERSCHEINUNG. Wandern und
Pilgern auf der Heidenstraße
Erlebnisse aus der Landwirtschaft
in Attendorn
Ein herzlicher Dank gilt den
AUTOREN DIESER AUSGABE:
Wiebke Dollenbacher, Hannover
Birgit C. Haberhauer-Kuschel, Attendorn
Josef Hormes, Attendorn
-2-
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Alles hat seine Zeit und nichts ist von Dauer…
Entwicklungsperspektiven für einen
innenstadtnahen Friedhof
von Wiebke Dollenbacher, Eva-Maria Nordhus und Nina Streibel
Die Nutzung des Friedhofs an der Windhauser Straße in Attendorn als Begräbnisplatz nähert sich 2015 ihrem Ende.
Doch was kommt nach Ablauf der Ruhefristen?
Drei Studentinnen der Landschafts- und
Freiraumplanung von der Universität
Hannover nahmen diese Frage zum Anlass, sich ein Jahr lang mit diesem
Friedhof zu beschäftigen.
Dazu wurde die geschichtliche Entwicklung des Friedhofs herausgearbeitet, die
Pflanzenwelt des Friedhofs erfasst und
die Bedeutung der alten Grabsteine für
die Denkmalpflege analysiert. Beobachtungen zum Verhalten und Befragungen
zu den Vorlieben der Friedhofsbesucher
stellten einen weiteren Arbeitsabschnitt
dar.
Auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse entstand ein Konzept für die
weitere Entwicklung des Friedhofs, das
die unterschiedlichen Wünsche und Interessen seiner Besucher aufgreift sowie
Aspekte des Naturschutzes und der
Denkmalpflege berücksichtigt1.
Der vorliegende Beitrag fasst die Ergebnisse dieser einjährigen Studienarbeit
zusammen. Dabei liegt der Schwerpunkt,
dem Anlass der Arbeit entsprechend,
auf der Beschreibung des Nachnutzungskonzepts. Die vollständige Arbeit
1
DOLLENBACHER, W., NORDHUS E. & STREIBEL, N. 2005:
Alles hat seine Zeit und nichts ist von Dauer …. Einjähriges
kann bei Frau Haberhauer-Kuschel vom
Verein für Orts- und Heimatkunde e.V.
eingesehen werden.
1. Einleitung
Auf dem alten katholischen Friedhof an
der Windhauser Straße in Attendorn nähert sich in den kommenden Jahren die
Friedhofsnutzung ihrem Ende, das endgültige Auslaufen der Ruhefristen ist für
das Jahr 2055 zu erwarten. Der Grund
für die Aufgabe der Friedhofsnutzung ist
die Anlage eines großen kommunalen
Friedhofs im Jahr 1979, so dass der
Friedhof an der Windhauser Straße nicht
mehr als Begräbnisplatz benötigt wird.
Da die Stadt Attendorn keine größeren
innerstädtischen Grünflächen aufweist
gibt es bereits Überlegungen, den
Friedhof im Anschluss an die Friedhofsnutzung als Parkanlage zu nutzen2.
Friedhöfe sind in erster Linie Begräbnisplätze und Orte der Trauer. Die Angehörigen der Bestatteten gehen hier nicht
nur der Grabpflege nach, sondern kommen mit anderen Hinterbliebenen ins
Gespräch. Anwohner nutzen den Ort im
Grünen zur ruhigen Erholung.
Friedhöfe bewahren Traditionen und
Erinnerungen an bedeutsame Ereignisse aus früheren Jahrhunderten, sie
spiegeln die künstlerischen Strömungen
vergangener Zeiten wider. Für den Naturschutz können Friedhöfe eine hohe
Bedeutung haben, da sie Pflanzen und
Studienprojekt am Institut für Umweltplanung der Universität
Hannover. 115 S. und 2 Karten.
2
PLÜCKEBAUM, M., (Umweltbeauftragter der Stadt Atten-
dorn): mündliche Mitteilung am 21.06.2005.
-3-
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Tieren inmitten der Bebauung einen Lebensraum bieten3.
Unter dem Titel „Alles hat seine Zeit und
nichts ist von Dauer...“ wurde im Rahmen des einjährigen Studienprojekts
eine Arbeit erstellt, die das Ziel hatte ein
Nachnutzungskonzept für den Friedhof
an der Windhauser Straße zu entwickeln. Berücksichtigt wurden dabei sowohl Aspekte der Freiraumplanung als
auch der Denkmalpflege sowie des Naturschutzes.
Unter Freiraumplanung werden an dieser Stelle Untersuchungen sowie Nutzungs- und Gestaltungsvorschläge verstanden, die sich auf den Freizeitwert
und die Erholungsfunktion des Friedhofs
beziehen.
Die Denkmalpflege befasst sich mit dem
Schutz, der Pflege und der eventuellen
Wiederherstellung von friedhoftypischen
Elementen wie Alleen, Wegekreuz und
Grabsteinen.
Naturschutz konzentriert sich in dieser
Arbeit auf den Schutz von Tier- und
Pflanzenarten und ihren Lebensräumen.
Vorgehen während der Studienarbeit
Um ein Nachnutzungskonzept für den
Friedhof entwickeln zu können, musste
zunächst der aktuelle Zustand des
Friedhofs erfasst und analysiert werden.
Dazu wurde als erstes die Entwicklung
des Friedhofs aus Materialien des
Stadtarchivs und des Vereins für Ortsund Heimatkunde e.V. erarbeitet. Weiterhin wurden die auf dem Friedhof vorhandenen Strukturen wie Wege, Gehölze, Wiesen und Grabstätten mit Hilfe
3
KATZER, T., 1992: Friedhof als Lebensraum. Naturkundlich-
ökologische und kulturhistorische Aspekte von Friedhöfen in
der Stadt Trier und im Kreis Trier-Saarburg. 96 S., Trier.
-4-
eines individuell erarbeiteten Kartierschlüssels flächendeckend erfasst und
in Text und Karten dargestellt. Zudem
wurde die Pflanzenwelt des Friedhofs
aufgenommen. Für die Erfassung der
Flora wurde der Friedhof in acht Bereiche unterteilt (s. Abb. 1). Diese Gliederung diente später auch zur Verortung
der Maßnahmen für das Nachnutzungskonzept (vgl. Kapitel 5).
Abb. 1: Für die Bearbeitung wurde der Friedhof
in acht Bereiche eingeteilt.
Alle denkmalwürdigen Elemente auf
dem Friedhof, vor allem Grabsteine,
wurden erfasst und dargestellt. Die voraussichtliche Entwicklung der Belegungsdichte konnte mit Hilfe von Materialien aus dem Tiefbauamt nachvollzogen und verdeutlicht werden.
Besucherbeobachtungen
an
unterschiedlichen Wochentagen und zu verschiedenen Tageszeiten brachten wichtige Erkenntnisse zur Aufenthaltsdauer
auf dem Friedhof und den hier durchgeführten Tätigkeiten. Besucherbefragungen lieferten Meinungsbilder zum derzeitigen Zustand des Friedhofs und hielten
Bürgerwünsche zur künftigen Gestaltung
fest. Insgesamt wurden 155 Personen
beobachtet und 55 Personen befragt.
Anschließend wurde eine Bewertung
des Zustands vorgenommen. Die Bewertung wurde anhand der in der Einleitung aufgeführten Ziele für das Nachnutzungskonzept durchgeführt.
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Die Entwicklung des Konzepts basiert
auf dem aktuellen Zustand des Friedhofs, der in seiner Bedeutung für den
Naturschutz, die Denkmalpflege und als
innerstädtischer Freiraum bewertet wurde und auf den in der Befragung genannten Wünschen für die spätere Gestaltung
2. Geschichte des Friedhofs an der
Windhauser Straße
Im Folgenden wird die Geschichte des
Friedhofs nur in einer stark verkürzten
Form dargestellt, die sich auf die für die
in der Studienarbeit wichtigen Aspekte
beschränkt.
Die archivarische Aufarbeitung der geschichtlichen Entwicklung zeigt, dass die
Anlage des Friedhofs im ausgehenden
19. Jahrhundert erfolgte 4 . Die Anlage
eines neuen Begräbnisplatzes für die
katholische Pfarrgemeinde Attendorn
wurde in Betracht gezogen, da die Kapazitäten des bis dahin genutzten Friedhofs am Hospital vor dem Wassertor
erschöpft waren5.
Die Anlage des Friedhofs erfolgte in einer geometrischen Form. Zusammen mit
den Strukturen aus Erb- und Reihenbegräbnisplätzen stellt dies die typischen
Gestaltungsmerkmale der Friedhöfe des
19. Jahrhunderts dar 6 . Der Friedhof
4
StaA, Bestand Stadt Attendorn, Akte C 312: Erläuterung
zum Projekte eines neuen Begräbnisplatzes für die katholische Pfarrgemeinde Attendorn. ; HÖFFER, O., (Stadtarchivar der Stadt Attendorn): Katholischer Friedhof. E-Mail vom
17.10.2005.
5
HÖFFER, O., 1989: Requiescat in pace. Attendorn – Gestern
und heute 1989 (7): 14– 17.
6
Vgl. FISCHER, N., 1996: Vom Gottesacker zum Krematori-
um. 256 S., Köln: Böhlau Verlag.
-5-
wurde zunächst als eine quadratische
Fläche mit vier Feldern angelegt, wie
eine topographische Karte aus dem Jahr
1896 zeigt. Im Laufe der Jahre wurde
der Friedhof bis 1921 zweimal erweitert,
so dass sein Grundriss heute einer
rechteckigen Form gleicht (s. Abb. 11
am Schluß des Artikels).
Heute finden nur noch wenige Beisetzungen an der Windhauser Straße statt.
Zudem fallen zunehmend Gräber aus
der Nutzung, wodurch sich bereits das
Bild des Friedhofs verändert und grableere Flächen entstehen.
3. Aktueller Zustand des Friedhofs
Nachfolgend wird eine kurze Übersicht
über den derzeitigen Zustand des Friedhofs und seine Nutzung als Freiraum
gegeben. Der Zustand des Friedhofs
wird anhand der Strukturtypenkarte vorgestellt. Die derzeitige Nutzung ergibt
sich aus den Ergebnissen der Beobachtung und Befragung.
Gehölze
Auf dem Friedhof befinden sich außerhalb der Gräber etwa 70 verschiedene
Gehölzarten und -varietäten, darunter
viele Ziergehölze von ehemaligen Gräbern. Die Strauchgruppen der Randbereiche bestehen dagegen überwiegend
aus heimischen Arten. Insgesamt zeichnet sich der Friedhof durch abwechslungsreiche Gehölzstrukturen in Form
von Strauch- und Heckenelementen sowie Bäumen und Baumgruppen in unterschiedlichen Altersstadien und mehreren Vegetationsschichten aus. Die den
Friedhof umgebende Schnitthecke besteht teils aus Weißdorn (Crataegus
monogyna) und teils aus Abendländischem Lebensbaum (Thuja occidenta-
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lis), wobei Weißdorn die ursprüngliche
Art der Bepflanzung darstellt7.
Die Allee und die den Friedhof umgebenden Baumreihen bestehen aus alten
Berg-Ulmen (Ulmus glabra), alten Winter-Linden (Tilia cordata) und nach gepflanzten jüngeren Linden (s. Abb. 2)
men mussten bereits aufgrund einer Pilzinfektion, herbeigeführt durch den Ulmen-Splintkäfer, gefällt werden. Die
noch vorhandenen Ulmen sind ebenfalls
bereits befallen und werden in den
nächsten Jahren ebenfalls entfernt werden müssen.
Wiesen und Rasenflächen
Während der Geländearbeit konnten auf
dem Friedhof rund 140 verschiedene
krautige Pflanzenarten nachgewiesen
werden. Davon sind fünf Arten nach den
Roten Listen Deutschlands9 und Nordrhein-Westfalens 10 als gefährdet bzw.
stark gefährdet eingestuft. Dazu gehören beispielsweise der Glanzlose Ehrenpreis (Veronica opaca), die Kleine
Träubelhyazinthe (Muscari botryoides),
der Zweiblättrige Blaustern (Scilla bifolia) und die Braunrote Stendelwurz (Epipactis atrorubens). Bei den meisten
dieser Pflanzen wie der Kleinen Träubelhyazinthe und dem Zweiblättrigen
Blaustern handelt es sich anscheinend
um ehemalige Grabpflanzen die gute
Ausbreitungstendenzen aufzeigen. Des
Weiteren treten Pflanzen auf, die nach
dem Entwurf einer lokalen Florenliste
Abb. 2: Die Allee mit altem Baumbestand prägt
das Erscheinungsbild des Friedhofs und bietet
Lebensraum für Vögel und Insekten
9
Die älteren Alleebäume wurden mit dem
Anlegen des Friedhofs gepflanzt und
erhielten wiederholt einen Kopfschnitt,
der aber anschließend wieder aufgegeben wurde. Die natürliche Baumstatik
besteht daher heute nicht mehr; und bei
manchen Bäumen ist eine beginnende
Instabilität zu erkennen8. Einige der Ul7
tophyta) Deutschlands. - In: Schriftenreihe für Vegetationskunde 28, S. 21-187.
10
BÜSCHER, D., DIEKJOBST, H., FASEL, P., FOERSTER, E.,
GÖTTE, R., JAGEL, A., KAPLAN, K., KOSLOWSKI, I., KUTZELNIGG,
H., RAABE, U., SCHUMACHER, W., VANBERG, C., WOLFF-
STRAUB, R., 1999: Rote Liste der gefährdeten Farn- und
Blütenpflanzen (Pteridophyta et Spermatophyta) in Nordrhein-Westfalen. In: Landesanstalt für Ökologie, Bodenord-
PfarrA, Stadt Attendorn, Akte 10, S. 416: Kostenvoran-
nung und Forsten / Landesamt für Agrarordnung NRW
schlag zur Bepflanzung.
8
KORNECK, D., M. SCHNITTLER & I. VOLLMER, 1996: Rote
Liste der Farn- und Blütenpflanzen (Pteridophyta et Sperma-
(Hrsg.): Liste der gefährdeten Pflanzen und Tiere in NRW, S.
PLÜCKEBAUM, M., (Umweltbeauftragter der Stadt Atten-
75-171, Recklinghausen: Landesanstalt für Ökologie, Bo-
dorn): mündliche Mitteilung am 21.06.2005.
denordnung und Forsten (Band 17)
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des Kreises Olpe 11 selten sind oder einen gefährdeten Status haben.
Die meisten Arten wurden in den Teilbereichen 1, 2 und 4 gefunden (s. Abb. 1).
Diese im Vergleich zu den restlichen
Flächen höheren Artenzahlen sind unter
anderem darauf zurück zu führen, dass
in den Bereichen 1, 2 und 4 derzeit
Schotterflächen von ehemaligen Einzelgräbern und Wegen vorhanden sind.
Dadurch treten hier zusätzlich Arten auf,
die an solche Standorte angepasst sind.
Diese Pflanzen werden aber verschwinden, sobald sich auf den ehemaligen
Grabflächen mehr Feinerde angesammelt hat und sich die Standortbedingungen nach und nach denen der umgebenden Wiesenflächen angleichen.
Die Wiesen werden im Sommer in einem zweiwöchigen Rhythmus gemäht.
Trotz dieser relativ intensiven Pflege
sind verhältnismäßig vielfältige Blühaspekte zu beobachten (s. Abb. 3).
So ergeben sich je nach Standort oder
Jahreszeit unterschiedlichste Blütenbilder. Sie werden wahrscheinlich durch
die unterschiedlichen Licht- und Feuchteverhältnisse verursacht, die jeweils
andere Pflanzenarten begünstigen oder
benachteiligen.
Denkmalgeschützte und erhaltenswerte
Elemente
Auf dem Friedhof befindet sich ein offiziell geschütztes Denkmal. Die Kreuzigungsgruppe (s. Titelbild des Jahresheftes) wurde aus kunsthistorischen Gründen in die Denkmalliste der Stadt Attendorn aufgenommen12. Daneben existieren als erhaltenswert bezeichnete Grabsteine 13 . Diese befinden sich auf dem
Friedhofsgelände verteilt, teilweise noch
auf genutzten Grabstätten. Unter ihnen
sind auch die Kriegsgräber des 1. und 2.
Weltkriegs sowie die Anlage für verstorbene russische Zwangsarbeiter.
Voraussichtliche Entwicklung der Grabstrukturen
Die Entwicklung der Grabstrukturen
zeigt, dass bereits heute laufend Gräber
eingeebnet werden. Diese Situation wird
sich in den kommenden Jahren noch
stärker bemerkbar machen. Nach derzeitiger Rechtslage können die Gräber,
die sich im Besitz Angehöriger befinden,
noch so lange belegt werden wie freie
Plätze vorhanden sind und die Gruft weiter gemietet wird. Freie Plätze und Belegungsrechte sind momentan noch bis
2030 vorhanden. Mit einer Ruhefrist von
25 Jahren wäre ein komplettes Auslaufen der gesamten Belegung im Jahr
Abb. 3: Die Rasenflächen des Friedhofs weisen
bereits heute vielfältige Blühaspekte auf und
bieten Nahrung für Insekten wie den Kleinen
Kohlweißling
12
11
EICKHOFF, T., 1997: Vorläufige Florenliste des Kreises
SAGGEL, I., (Stadt Attendorn): schriftliche Mitteilung vom
16.11.2005.
Olpe. 6 S., Olpe.
13
DENKMAL- UND KULTURAUSSCHUSS STADT ATTENDORN:
Erhaltenswerte Denkmäler. Attendorn.
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2055 möglich. Die Abbildungen 5-7 zeigen die voraussichtliche Entwicklung der
Grabstrukturen.
Nutzung
Die meisten derzeitigen Friedhofsbesucher sind zwischen 50 und 70 Jahre alt.
Insgesamt halten sich nur sehr wenige
jüngere Menschen und Kinder auf dem
Friedhof auf.
Die häufigsten Nutzungen des Friedhofs
sind – der derzeitigen Belegungsdichte
entsprechend – die Grabpflege und der
Besuch eines Grabes ohne Pflegearbeit.
Viele Anwohner durchqueren den Friedhof auf ihren täglichen Wegen und nutzen ihn als fußläufige Abkürzung. Weiterhin wurden Tätigkeiten beobachtet
wie Spazieren gehen, sich mit Leuten
treffen oder auf einer Bank sitzen.
Abb. 5 und 6: Voraussichtlich vorhandene Gräber in den Jahren 2005 und 2025.
Die Befragung ergab, dass den derzeitigen Nutzern an diesem Ort besonders
„das viele Grün“ „die Natur“, „die Ruhe“,
„die Bäume“ sowie die Parkähnlichkeit
des Friedhofs und seine Lage mitten in
der Stadt gefallen.
Als Wünsche für zukünftige Gestaltung
wurden mehr Bänke, Gestaltungselemente mit Wasser sowie die Erhaltung
der Bäume und des Friedhofscharakters
genannt. Insgesamt besteht der Wunsch
nach einer ruhigen Gestaltung als Park
(s. Tab. 1).
Wünsche für die spätere
Anzahl der
Gestaltung
Nennungen
mehr Bänke
14
Wasser (Brunnen o.ä.)
14
Bäume erhalten
8
Friedhofscharakter erhalten
7
ruhige Gestaltung
6
Abb. 7: Voraussichtlich vorhandene Gräber im
kein Bolz- oder Tummelplatz
5
Jahr 2045
schattige Plätzchen
5
viel Grün
4
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Ort für Konzerte
3
Kiosk oder Café
3
Kinderspielplatz
2
Bolzfläche
2
Pflege
2
Lampen entlang der Wege
1
Tische und Bänke
1
kein Fahrradfahren
1
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Aufgrund ihres Alters stellen die Allee
und die den Friedhof umgebende Baumreihe die wertvollsten Bereiche für den
Naturschutz dar. Ebenfalls von Bedeutung sind die artenreicheren Wiesen, die
gleichzeitig auch eine größere Vielfalt an
Standorteigenschaften aufweisen. Vor
dem Hintergrund der zukünftigen Parknutzung erscheinen die Qualitäten in
Teilen jedoch noch als verbesserungswürdig.
Tab. 1: Wünsche für die spätere Gestaltung
(Mehrfachnennungen möglich; Zahl der Befragten: 55)
4. Bewertung des aktuellen Zustands
Anhand des dargestellten Zustands
wurde der Friedhof aus Sicht der Freiraumplanung, der Denkmalpflege und
des Naturschutzes bewertet.
Das Ergebnis zeigt, dass der Friedhof
bereits Qualitäten bezüglich der drei genannten Ziele aufweist. Für den Freizeitund Erholungswert des Friedhofs befinden sich derzeit vor allem unter der Allee mit ihrem alten Baumbestand und im
Bereich der artenreicheren Wiesen mit
ihren vielfältigeren Blühaspekten besonders bedeutsame Bereiche. Hier kann
den ruhigen Formen der Erholung nachgegangen werden.
In Bezug auf den Denkmalschutz besonders bedeutsam sind die Bereiche
der Kriegsgräber aus den beiden Weltkriegen und der Anlage für verstorbene
russische Zwangsarbeiter sowie die
Umgebung der Kreuzigungsgruppe und
der Gräberstreifen entlang der Kampstraße, wo die höchste Dichte an denkmalwürdigen Elementen auf dem Friedhof auftritt.
-9-
5. Nachnutzungskonzept
Für die Nachnutzung wurden auf Basis
des in der Einleitung formulierten Ziels
die folgenden Leitlinien zur weiteren
Planung erstellt, mit deren Hilfe Maßnahmen für eine Verbesserung der Qualitäten des Friedhofs in Bezug auf die
Freiraumplanung, die Denkmalpflege
und den Naturschutz erarbeitet werden.
In Bezug auf die Freiraumplanung soll
der Freizeit- und Erholungswert des
Friedhofs gesteigert werden. Dabei soll
ein Raum für alle Altersgruppen entstehen, der eine eher ruhige Gestaltung
aufweist.
Des Weiteren sollen in
Denkmalschutz sowohl
wie auch künstlichen
der Friedhofsgestaltung
Teilen erneuert werden.
Bezug auf den
die natürlichen
Grundelemente
erhalten und in
Zur Steigerung des Naturschutzwertes
sollen das Vorkommen von charakteristischen Arten und die vorhandene Strukturvielfalt des Friedhofs erhalten und
weiter entwickelt werden.
Die Maßnahmen sind in verschiedenen
Zeiträumen umsetzbar (s. Abb. 8 am
Schluß des Artikels) und werden im Folgenden nach dem Zeitpunkt ihrer Durchführbarkeit dargestellt.
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5.1 In naher Zukunft durchzuführende
Maßnahmen
Die Maßnahmen, die in der nächsten
Zeit durchgeführt und abgeschlossen
werden können, dienen überwiegend
der Erhaltung bestimmter Strukturen
oder bedürfen nur eines relativ kurzen
Zeitaufwands.
Vervollständigen der Allee und der den
Friedhof umgebenden Baumreihe
Aus Gründen der Denkmalpflege soll die
Allee ebenso wie die den Friedhof umgebende Baumbepflanzung in ihrer
Form erhalten werden. Dafür ist eine
Vervollständigung des derzeitigen Bestandes nötig. Die Nachpflanzungen
werden mit Winter-Linden (Tilia cordata)
und nicht mit Berg-Ulmen (Ulmus glabra) durchgeführt, da andernfalls der
Befall durch den Ulmensplintkäfer absehbar wäre. Um ein möglichst symmetrisches Aussehen der Allee zu erhalten,
werden die gegenüberliegenden Bäume
immer gemeinsam ersetzt.
Wiederherstellung der umgebenden
Weißdornhecke
Um den Originalzustand wiederherzustellen und die Bedeutung der Hecke für
den Arten- und Biotopschutz zu steigern,
soll die den Friedhof umgebende Hecke
wieder komplett aus Weißdorn (Crataegus monogyna) bestehen. Dazu werden
die Teile der Hecke, die zurzeit aus Abendländischem Lebensbaum (Thuja
occidentalis) bestehen, entfernt und
durch Weißdorn ersetzt.
Entwicklung eines lockeren Baumbestandes
Im Bereich des Haupteingangs in den
Teilbereichen 6 und 7 wird ein lockerer
Baumbestand entwickelt, der den Besuchern einen Raum mit schattigen Plätzen sowie der Tierwelt einen vielfältigen
Lebensraum bietet. Für den Baumbestand sollen möglichst kleine bis mittel-
- 10 -
große (Höhe 5-20 m) Laubgehölze verwendet werden. Dabei sollen die Gehölze in einem Abstand gepflanzt werden,
dass kein geschlossenes Kronendach
entsteht. Die bereits vorhandene HängeBlut-Buche (Fagus sylvatica ´Purpurea
pendula’), der Ginkobaum (Ginko biloba)
sowie der Kugel-Ahorn (Acer platanoides ‚Globosum’) werden erhalten. Die
Anpflanzung der Bäume in diesen bereits ab 2015 gräberarmen Bereichen
sollte in den nächsten Jahren geschehen, so dass die ästhetische Wirkung
und die Bedeutung der Bäume für den
Arten- und Biotopschutz schon mit dem
Auslaufen des Friedhofs zum Tragen
kommen.
Einbindung der Anlage für verstorbene
russische Zwangsarbeiter
Die Anlage für verstorbene russische
Zwangsarbeiter soll besser in den gesamten Raum eingebunden werden.
Hierzu werden die Sträucher des Gehölzstreifens zum restlichen Friedhof
entfernt, so dass nur die Bäume bestehen bleiben. Auch die Hainbuchenhecke, die die Anlage umgibt, wird erhalten. Die Abpflanzung im Bereich der
Weißdornhecke kann nach Bedarf verstärkt werden, um den Bereich zur viel
befahrenen Windhauser Straße gegen
Lärm hin abzuschirmen. Die Wege im
Bereich der Anlage sollen miteinander
verbunden werden, so dass ein Rundweg entsteht (s. Abb. 12 am Schluß des
Artikels).
Informationsmaßnahmen
Um Informationen über den Friedhof für
die Nutzer bereitzustellen und an die
Nutzung als Friedhof zu erinnern, ist das
Aufstellen einer Informationstafel, die
beispielsweise an der Wand des heutigen Gärtnerhäuschens angebracht wird,
hilfreich. Hier könnte über die Geschichte des Friedhofs, einige denkmalwürdige
Grabsteine sowie vorkommende Tiere
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und Pflanzen informiert werden. Das
Aufstellen einer solchen Tafel ist bereits
vor Aufgabe der Nutzung als Friedhof
sinnvoll und möglich.
Schnittgut auf den anzureichernden Flächen verteilt wird. In den Bereichen dieser Wiesen werden alle Friedhofsgehölze entfernt.
Auch die Erarbeitung eines Faltblatts mit
Informationen ist denkbar. Dieses Faltblatt kann ähnliche Informationen wie
die Informationstafel enthalten und beispielsweise im Tourismusbüro der Stadt
Attendorn ausgelegt werden.
Förderung des Blühaspektes im Frühjahr
Um den Freizeit- und Erholungswert des
Friedhofs zu verbessern, soll der Blühaspekt auf den Wiesenflächen im Frühjahr gesteigert werden. Zu diesem
Zweck
werden
Frühjahrsgeophyten
(Zwiebelpflanzen) in die Teilbereiche 2,
3, 6 und 7 eingebracht. Dabei wird im
Bereich der denkmalwürdigen Grabsteine Winterling (Eranthis hyemalis) verwendet, unter dem lockeren Baumbestand der zweiblättrige Blaustern (Scilla
bifolia) oder der Sibirische Blaustern
(Scilla siberica). Die Blumenzwiebeln
können bereits im Laufe der nächsten
Jahre auch zwischen den noch vorhandenen Gräbern eingebracht und der Bestand nach und nach ergänzt werden.
Vorhandene Frühjahrsgeophyten von
ehemaligen Grabstätten verbleiben in
den Flächen.
5.2 Über einen längeren Zeitraum
durchzuführende Maßnahmen
Mit den folgenden Maßnahmen kann in
der nächsten Zeit begonnen werden. Sie
ziehen sich allerdings über einen längeren Zeitraum hin, da es sich zum Teil um
Entwicklungsmaßnahmen handelt.
Entwicklung von naturnahen Wiesen
In den Teilbereichen 1 und 4 werden zur
Steigerung des Naturschutz- und des
Erholungswertes naturnahe, artenreiche
Wiesen entwickelt, da dies bereits heute
die artenreichsten Wiesen auf dem
Friedhof sind. Zur Weiterentwicklung
werden die heute schotterigen Bereiche
so belassen, wie sie sind, sie sollen also
in keiner Weise eingeebnet oder mit
Mutterboden abgedeckt werden. Durch
eine extensive Mahd (2-3 mal pro Jahr)
in diesen Teilbereichen soll das Aufkommen weniger schnittverträglicher
Arten gefördert und damit die Artenvielfalt auf dem gesamten Friedhof erhöht
werden. Keinesfalls sollen diese Flächen
mit einer fertigen Blumensaatmischung
eingesät werden, da sich auf dem Friedhof eine lokal typische Wiesenvegetation
entwickeln soll. Es könnten lediglich
Samen von in der Umgebung liegenden
artenreichen Wiesen, die ähnliche
Standortbedingungen aufweisen, auf die
Flächen aufgebracht werden, zum Beispiel im sogenannten HeudruschVerfahren, bei dem aussamendes
- 11 -
Schaffung einer größeren Freifläche
In den Teilbereichen 5 und 6 ist die Vegetation der Wiesen bereits heute am
besten an Tritt und Mahd angepasst,
daher ist hier eine größere Freifläche
geplant, die etwa zwei Drittel der beiden
Teilbereiche einnimmt. Dadurch entsteht
ein Raum, in dem vielfältige Nutzungsformen wie etwa Kinderspiel, Lagern auf
den Wiesen und ähnliches möglich sind.
Die Pflege dieser Wiesenflächen soll
eher intensiv geschehen (Mahd alle 2-3
Wochen). Die zurzeit auf der Fläche existierenden Friedhofsgehölze werden
entfernt sowie der Urweltmammutbaum
(Metasequoia glyptostroboides) in den
Bereich mit einem lockeren Baumbestand umgepflanzt. Der Ginkobaum
(Ginko biloba) kann an Ort und Stelle
verbleiben. Aufgrund der derzeitigen
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Friedhofsordnung ist ein Betreten der
Rasenflächen untersagt. Eine offizielle
Nutzung dieser Fläche wäre daher erst
nach dem Auslaufen der Friedhofsnutzung möglich.
Sammlung der denkmalwürdigen Grabsteine im Bereich der Kreuzigungsgruppe
Zur Betonung des Friedhofscharakters
in diesem Teil der späteren Parkanlage
sind die denkmalgeschützten und
denkmalwürdigen Grabsteine auf dem
Friedhof zu erhalten und im Bereich der
Kreuzigungsgruppe zu sammeln. Dazu
ist eine Versetzung der denkmalwürdigen Grabsteine in den im Konzeptplan
vorgesehenen Bereich nötig (s. Abb.
12). Ausgenommen von dieser Versetzung sind vor allem die Grabsteine entlang der Kampstraße, einige besonders
große und schwere Steine im Bereich
der Allee, die Kriegsgräber der beiden
Weltkriege sowie die Anlage für verstorbene russische Zwangsarbeiter. Mit dem
Versetzen der Grabsteine kann bereits
in den kommenden Jahren begonnen
werden. Sobald das zu dem denkmalwürdigen Stein gehörende Grab aus der
Nutzung fällt und eingeebnet ist, wird
das Grabmal in den Bereich der Kreuzigungsgruppe versetzt. Die versetzten
Steine sollen dabei locker verteilt und in
Anlehnung an die ehemaligen Grabstrukturen angeordnet werden. Zur Verstärkung des Friedhofscharakters in diesem Bereich des Freiraums bleiben in
den Teilbereichen 2 und 3 besonders
gut erhaltene Friedhofsgehölze, die eine
Höhe von 10-15 m nicht überschreiten,
stehen. Die Pflege der Wiesenflächen im
Bereich der denkmalwürdigen Grabsteine erfolgt eher extensiv, das bedeutet
ein Mahdabstand von etwa 3-4 Wochen.
- 12 -
5.3 Nach Ende der Friedhofsnutzung
durchzuführende Maßnahmen
Bei den Maßnahmen, die erst nach Beendigung der Friedhofsnutzung durchführbar sind, handelt es sich vor allem
um Gestaltungsmaßnahmen, die eine
größere grabfreie Fläche erfordern.
Schaffung einer ruhigen Sitzecke
Um einen ruhige Sitzecke zu schaffen
wird im Teilbereich 4 eine Nische mit
Sitzgelegenheiten und einem Wasserbecken angelegt. Damit dieser Bereich
vom Rest des Parks abgegrenzt ist, wird
hier ein großkroniger heimischer Laubbaum gepflanzt. Auf die Gestaltung des
Wasserbeckens wird in diesem Konzept
nicht genauer eingegangen, da eine
Umsetzung nach derzeitigem Stand frühestens ab 2045 möglich wäre. Die Abbildungen 9 und 10 geben jedoch einen
Eindruck von verschiedenen Möglichkeiten. Das Aufstellen von Bänken ist hier
schon früher, ungefähr ab 2035, möglich.
Abb. 9 + 10: Gestaltungsmöglichkeiten für ein
Wasserbecken: Die Form und das Material sollten sich in das Erscheinungsbild des Freiraums
integrieren
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Anlage eines naturnahen Kinderspielbereichs
Um die Attraktivität des Freiraums für
junge Nutzer zu erhöhen wird im Teilbereich 8 ein naturnaher Spielbereich mit
Sandkuhle und Wasserpumpe, Baumstämmen zum Klettern und Hängematten angelegt. Die derzeitige Friedhofsordnung untersagt sowohl Kinderspiel
als auch das Betreten der Rasenflächen,
daher kann die Spielecke erst nach dem
Ende der Friedhofsnutzung entstehen.
Abpflanzungen in den Randbereichen
Um Lärmbeeinträchtigungen des Friedhofs durch die Windhauser Straße zu
mildern, werden möglichst heimische,
Lärm mindernde Sträucher entlang der
Hecke im Bereich der Straße gepflanzt.
Damit die optische Beeinträchtigung
durch die Turnhalle abgeschwächt wird,
können entlang der Turnhalle Abpflanzungen vorgenommen werden. Als Alternative bietet sich eine Fassadenbegrünung der Turnhalle an.
Die Abpflanzungen erfolgen in Form von
möglichst heimischen Blütensträuchern,
um die Abpflanzung für Mensch und Tier
attraktiv zu gestalten.
- 13 -
6. Fazit
Insgesamt betrachtet lässt sich sagen,
dass der alte katholische Friedhof an der
Windhauser Straße bereits über ein gutes, allerdings noch steigerungsfähiges
Potential für Freiraumnutzung, Denkmalpflege und Naturschutz verfügt. Der
Friedhof bietet durch seine verhältnismäßig hohe Arten- und Strukturvielfalt
Chancen für den Arten- und Biotopschutz. Außerdem hat er durch das Vorhandensein verschiedener denkmalwürdiger Grabsteine aus verschiedenen
Zeitepochen und mit zum Teil sehr
stadtspezifischen geschichtlichen Hintergründen eine hohe Bedeutung für den
Denkmalschutz. Durch seine innenstadtnahe Lage und aufgrund des eher
mangelhaften Angebots an öffentlichen
Grünflächen im Stadtkern wird die Bedeutung des Friedhofs als Raum für die
wohnungsnahe Erholung der Anwohner
weiter steigen.
Da die Nutzung des Freiraums als
Friedhof allerdings erst ca. 2055 ausläuft
und er bis dahin noch für Angehörige
der Beerdigten eine große Bedeutung
als Friedhof haben wird, stellt seine Umgestaltung eine Gradwanderung zwischen Friedhofsruhe und Parknutzung
dar. Es erscheint daher sinnvoll bereits
jetzt einen Kompromiss zwischen den
verschiedenen Nutzungsansprüchen zu
suchen.
Das in der vorliegenden Arbeit entwickelte Nachnutzungskonzept ist für diesen Zweck geeignet, da es auch in Zukunft eine Möglichkeit zum Gedenken an
die hier Beerdigten vorsieht, aber
gleichzeitig eine allgemeinere Freizeitnutzung ohne die einschränkenden Regeln und Verhaltenserwartungen für einen Friedhof ermöglicht. Bei der Maßnahmenplanung wurde darauf geachtet,
dass einige Maßnahmen schon in nächster Zeit durchführbar sind und ihre Wir-
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kung über einen längeren Zeitraum hinweg entfalten. Dadurch kann sich das
Erscheinungsbild des Friedhofs nach
und nach wandeln, ohne dass Beeinträchtigungen der Friedhofsnutzung entstehen.
Wir danken Roswitha Kirsch-Stracke
vom Institut für Umweltplanung der Universität Hannover für die Durchsicht des
Manuskriptes. Sie regte diese Studienarbeit an und betreute sie.
Abb. 8: Zeitliche Durchführbarkeit der Maßnamen
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Abb. 11: Zustand des Friedhofs im Jahr 2005
Abb. 12: Der Friedhof bietet nach der Umnutzung und der Durchführung der Maßnahmen
vielfältige Nutzungsmöglichkeiten ohne die ursprüngliche Nutzung und Bedeutung zu vergessen
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Die Bombardierung Attendorns
von Elmar Rothäuser
Am 01.09.1944 musste meine Mutter mit
uns drei Kindern Metz/Lothringen als
Reichsdeutsche verlassen, und wir fanden eine Bleibe in Herne/Westfalen bei
meinen Großeltern. Als die Bombardierung der Außenbezirke Hernes zunahm
- der Stadtkern selbst blieb bis zum
Schluss verschont - wurden die Schulen
geschlossen. Meine Mutter mit uns Kindern, eine Tante mit zwei Kindern und
unsere Großmutter durften die leerstehende Wohnung meines Onkels Josef
Decker in Attendorn, Bremger Weg 8,
beziehen. Er selbst hatte seine Familie
bei seinen Schwiegereltern in Menden
(Sauerland) untergebracht.
Wir schulpflichtigen Kinder gingen in
Attendorn wieder zur Schule, und alle
glaubten, jetzt vor den Bomben der Alliierten sicher zu sein. Wir kamen allerdings vom Regen in die Traufe. Ich
selbst wurde durch Schwester Mater
Martina, einer Ursulinerin, auf die 1. Heilige Kommunion vorbereitet und sollte
Weißen Sonntag 1945 in der dortigen
Pfarrkirche das Sakrament empfangen.
Am 28. März, Mittwoch vor Ostern,
schickte meine Mutter mich zum Frisör
in die Innenstadt. Dort traf ich mit mehreren anderen Kindern zusammen. Auch
Frau Maria Schulte, unsere Wohnungsvermieterin vom Bremger Weg, suchte
zur selben Zeit den Frisör auf. Ich sollte
sie nie wieder sehen. Plötzlich heulten
die Sirenen. Es war Fliegeralarm. Nach
„Voralarm" und nachfolgendem „Vollalarm" schickte der Frisör uns Kinder
nach Hause. Ihm verdanken wir Kinder
unser Leben!!! Dies wurde mir erst be-
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wusst, als der Krieg schon lange zu Ende war. Alle Erwachsenen, die in seinem
Salon bleiben durften, wurden Opfer des
Bombenangriffs. Das Haus wurde total
zerstört. Der Attendorner war gänzlich
unbedarft und unbekümmert, denn bis
jetzt war er vom Krieg verschont geblieben.
Ich schlenderte am Friedhof vorbei
Richtung Bremger Weg, als ich das
Dröhnen der alliierten Bomber über mir
vernahm. Ich sah hoch und erkannte,
wie die Bomben ausgeklinkt wurden das hatte ich bereits einmal in Herne
erlebt. Sekunden später trafen sie die
Innenstadt tödlich. Durch die Druckwelle
wurde ich gegen eine Hausmauer geworfen. Ein Luftschutzwart hob mich auf
und trug mich in den Luftschutzbunker.
Nach der „Entwarnung" lief ich schnell
nach Hause. Man kann sich die Freude
meiner Mutter kaum vorstellen, als sie
ihren Jüngsten wieder gesund und unverletzt in die Arme nehmen konnte.
Meine größte Sorge zu diesem Zeitpunkt
war: Konnte ich am Weißen Sonntag in
unserer Pfarrkirche mit zur Kommunion
gehen? Nein ich konnte nicht! Denn am
Morgen nach dem Angriff sah ich vom
Bremger Weg aus, dass der Kirchturm
der Pfarrkirche fehlte - er war nicht mehr
da. Für mich brach damals eine kleine
Welt zusammen. Wir Attendorner Kommunionkinder durften in dem kleinen Ort
Ennest am Weißen Sonntag an der
Kommunion mit teilnehmen. Nach dem
schrecklichen Bombardement auf Attendorn setzten die Alliierten bis zu ihrem
Einmarsch vermehrt Tiefflieger ein, die
auf alles schossen, was sich bewegte.
Sie flogen so tief, dass ich die Piloten in
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ihren Kanzeln sehen konnte. Wenn ich
als älterer Mensch heute an unsere Kinderspiele zur damaligen Zeit denke,
werde ich sehr nachdenklich. Wir spielten nicht die typischen Kinderspiele wie
Nachlaufen, Versteckspielen, Räuber
und Gendarm u. a.. Nein - wir spielten
Krieg, Straße gegen Straße. Wir hatten
Uniformen an, steckten uns gefundene
Kriegsorden an die Brust, bewarfen uns
mit Steinen, schlugen mit Stöcken aufeinander ein. Verletzten wir uns und bluteten, wurden wir von Mädchen mit
DRK-Häubchen
verbunden.
Diese
„Spielchen" hörten Gott sei Dank
schlagartig auf, als der Amerikaner kam.
Einmarsch der Amerikaner
Am 11. April 1945 erreichten die Amerikaner Attendorn. Ich erinnere mich deshalb so genau an dieses Datum, weil
unsere Oma an diesem Tag ihren 66.
Geburtstag beging, und keiner von uns
an ihn gedacht hatte. Als Kunde kam,
die Amerikaner kämen und stünden vor
der Stadt, hingen die Frauen weiße Tücher (Bettlaken) aus dem Fenster zum
Zeichen des „Sich Ergebens". Der
Bremger Weg sah aus wie eine Gespensterstraße. Viele Attendorner zogen
es vor, in die Atta-Höhle zu flüchten, um
hier den Einmarsch abzuwarten.
Meine Familie blieb im Hause, und dieser Entschluss bewies sich als richtig.
Die Einnahme Attendorn verlief problemlos. Hier und da hörten wir noch
Schüsse, weil einige versprengte deutsche Soldaten noch glaubten, eine
Wende herbeiführen zu können.
Der Bremger Weg wurde Haus für Haus
eingenommen. Die Amerikaner war kein
Barbar, er war zivilisiert, diszipliniert,
konnte aber auch Härte zeigen. Härte
zeigte er dann, wenn es galt, Wohnungen oder Häuser zu requirieren. Er war
- 17 -
aber auch offen für Einwände und Argumente. So wurde von der Beschlagnahme des Hauses Bremger Weg 8 abgesehen, weil hier insgesamt 9 Kinder
wohnten, einschließlich der heranwachsenden Kinder Hubert und Ilse Schulte,
die ein paar Tage vorher ihre Mutter
verloren hatten.
Von Übergriffen amerikanischer Soldaten auf deutsche Zivilpersonen, insbesondere auf Frauen habe ich damals
oder auch später nie etwas gehört, geschweige dann erlebt oder gesehen. In
den Tagen vor dem Einmarsch versuchte jeder noch schnell Gegenstände aus
der NS- Zeit wie Orden und Ehrenzeichen, komplette HJ-Uniformen oder Uniformteile, Dolche, Pistolen und Revolver
loszuwerden. Sie wurden in den Gärten
verbuddelt und vergraben. Andere warfen diese Relikte einfach fort. Clevere
Zeitgenossen übergaben diese unmittelbar an die Amerikaner und diese erhielten im Gegenzug dafür Zigaretten, Kaffee, Brot oder Schokolade. Noch Wochen später fanden wir Kinder auf unseren Streifzügen diese versteckten oder
fortgeworfenen Dinge und übergaben
sie den Amerikanern.
Zu Anfang des Bremger Weges von der
Stadt kommend, stand links ein Heiligenhäuschen, dieses wurde von den
Amerikanern als Wach- oder Postenhäuschen umfunktioniert. Wir Kinder
hielten uns, soweit es erlaubt war, gerne
in der Nähe der Soldaten auf. Hin und
wieder gab es nämlich etwas zu essen,
ein Stück Schokolade oder einen Kaugummi, den wir bisher noch nicht kannten.
In den Zeiten der Entbehrungen und des
Hungers erinnere ich mich noch an ein
Ereignis, das sich tief einprägte. Ein GI
warf einen Karton mit Rosinenbrötchen
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in einen Bach hinter unseren Häusern,
weil es sich eine Maus in dem Karton
gemütlich gemacht hatte. Entweder wollte er uns ärgern, oder er gönnte uns
diese Brötchen nicht. Wir Kinder liefen
den Bach hinunter, fischten den Karton
aus dem Wasser, wrangen die Brötchen
aus, verteilten sie und aßen sie auf.
Hunger tut und tat weh!
Unmittelbar nach dem Einmarsch oder
der Kapitulation am 08. Mai 1945 begann auch die Zeit des „Hamsterns". Da
wir alle großen Hunger hatten, tauschte
meine Mutter Anzüge und Schuhe meines Vaters, der in französischer Kriegsgefangenschaft war, bei den Bauern
gegen Essbares um. Da seit dem Bombenangriff die Schulen geschlossen waren, begleiteten wir sie oft auf ihren
Hamstertouren. Ich weiß noch aus diesen Kindertagen, dass die Bauern sich
ihrer damaligen „Machtstellung" recht
bewusst waren und meine Mutter, als
sie das 2. oder 3. Mal versuchte, etwas
zu essen zu bekommen, einfach fortschickten.
Wenn Brot oder andere Lebensmittel
„aufgerufen" wurden, das war der damals gängige Ausdruck, wenn man auf
Lebensmittelkarten einkaufen konnte.
Wir stellten uns zu Dritt oder Viert in die
Schlange, die sich sofort vor dem Geschäft bildete, in der Hoffnung, noch etwas zu ergattern. So hungerten wir uns
durch das Jahr 1945 und durch alle
- 18 -
nachfolgenden Jahre bis zur Währungsreform 1948.
An das Explosionsunglück im Rathaus
im Juni 1945 kann ich mich auch noch
gut erinnern. Ich hielt mich wieder in der
Innenstadt auf. Ich muss in der Nähe
des Rathauses gewesen sein, denn ich
sah nach der verheerenden Explosion
die Trümmer und sah verletzte Personen umherirren. Eine blutüberströmte
Frau mit einer Glasscheibe im Kopf sehe ich heute noch bildlich vor mir. Auch
erinnere ich mich noch, dass nicht identifizierte Leichen in einem Massengrab
beigesetzt wurden, und der damalige
Erzbischof von Paderborn Kardinal Lorenz Jäger die Trauerfeier hielt. Nur die
spektakulärsten Bilder und Begebenheiten prägen sich als Kind ein und sind
nach über 60 Jahren noch abrufbar.
Ansonsten habe ich keine Erinnerungen
mehr an Örtlichkeiten, Straßen-, Personen- oder Geschäftsnamen, die nicht in
unmittelbarer Nähe der Wohnung lagen.
Wir zogen schon im August 1945 wieder
nach Herne zurück. Ich erinnere mich
noch an die schöne alte Stadt Attendorn, in der ich und meine Familie leider
so viel Schreckliches erleben mussten.
Heute lebe ich mit meiner Frau in der
Nähe von Bonn und freue mich immer,
wenn uns meine Kinder mit den Enkeln
besuchen.
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100 Jahre Collegium Bernardinum am Nordwall
120 Jahre Collegium Bernardinum in Attendorn
von Birgit C. Haberhauer-Kuschel
2007 können wir nicht nur auf die Entdeckung der Attahöhle vor 100 Jahren
zurückblicken. Der Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in Attendorn stark geprägt durch schulische Aspekte. Während am 25. September 1906 die neue
evangelische Schule eingeweiht werden
konnte, nahmen die Ursulinen am 1. Januar 1908 ihre Tätigkeit in Attendorn
auf, dicht gefolgt von der Einweihungsfeier des neu erbauten Gymnasiums am
Westwall wenige Tage später. Bereits
am 17. April 1907 fand im neu errichteten Collegium Bernardinum am Nordwall
die feierliche Einweihungsfeier des neuen Knabenkonviktes statt.
Doch schon mehr als 20 Jahre zuvor
wurde der Entschluß gefasst, in Attendorn ein Gymnasialkonvikt zu errichten.
Am 5. November 1885 stellte Dechant
Bernard Pielsticker der allgemeinen
Pfarrkonferenz in Attendorn den Plan
zur Errichtung eines Gymnasialkonvikts
vor. Er verfolgte damit die Absicht, talentierten jungen Männern des Dekanates,
die den Priesterberuf ergreifen wollten,
das Studium zu ermöglichen oder zu
erleichtern. Hintergrund für seine Überlegungen war der sog. Kulturkampf, die
Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche unter Papst Pius IX.
und dem Königreich Preußen bzw. dem
Deutschen Reich unter Reichskanzler
Otto von Bismarck zwischen 1871 und
1887, die viele Lücken innerhalb des
Klerus geschaffen hatte.
Die Dekanatsgeistlichkeit stimmte dem
Vorhaben begeistert zu, versprach tatkräftige Unterstützung und Förderung
durch eine alljährliche Kirchenkollekte in
allen Pfarreien des Dekanates und wähl-
- 19 -
te gleichzeitig ein Komitee zum Bau eines Knabenkonviktes in Attendorn.
Im August 1885 waren schon Spenden
in Höhe von 4.000 Mark eingegangen,
die um 600 Mark aufgestockt wurden,
die Dechant Pielsticker zur Feier seines
goldenen Priesterjubiläums überreicht
wurden. Für 2.100 Mark kaufte er sodann ein Grundstück neben dem Pfarrhaus, schenkte es als Bauplatz für das
Konvikt und spendete weitere 6.000
Mark für den Baufonds. So konnte bereits am 23. September 1886 der
Grundstein zum Konviktsgebäude gelegt
werden.
Planung und Ausführung übernahm
Maurermeister Franz Frey aus Attendorn, dem es gelang, den Rohbau vor
Beginn des Winters fertigzustellen.
Das alte Bernardinum I. Aus: Collegium Bernardinum 1887-1912, Attendorn 1912.
Das Gebäude hatte eine Länge von 42
Fuß sowie eine Tiefe von 33 Fuß. Die
Kellerhöhe betrug 8 Fuß, die der beiden
Stockwerke je 11 Fuß und des Dachgeschosses 9 Fuß. Im Erdgeschoss waren
rechts vom Haupteingang 3 Zimmer für
das Hauspersonal vorgesehen, links ein
Speisesaal und die Küche. Den ersten
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Stock nahmen die Wohnung des Präses
mit 3 Räumen ein sowie 2 Studiersäle.
Die 4 Räume des Dachgeschosses
dienten als Schlafräume.
Dechant Pielsticker erlebte die Vollendung des Gebäudes jedoch nicht mehr.
Am 12. April 1887 starb er, tief betrauert
von der ganzen Pfarrgemeinde, an den
Folgen der Wassersucht und eines
Herzleidens. Gymnasial-Professor Clemens August Werra nahm sich nun mit
großem Interesse des Konviktes an und
erreichte, dass das Gebäude im Herbst
1887 fertig gestellt und für die Aufnahme
der Zöglinge eingerichtet war. So konnte
das Gymnasial-Konvikt mit Genehmigung des Provinzial-Schulkollegiums in
Münster am 23. September 1887 seine
Pforten öffnen und seinen Betrieb mit 9
Zöglingen aufnehmen.
Die Genehmigung enthielt neben einer
bestimmten Hausordnung auch folgende
allgemeine Bestimmungen:
1. Unter dem Namen Bernardinum ist
vom verstorbenen Dechanten Bernard Pielsticker hierselbst unter Beihülfe der Dekanatsgeistlichkeit eine
Privat-Erziehungsanstalt gegründet;
dieselbe bezweckt, katholischen
Schülern des hiesigen Gymnasiums
neben körperlicher Pflege und Beaufsichtigung ihrer häuslichen Studien eine gute sittliche Erziehung zu
geben.
2. Die Verwaltung der Anstalt führt der
derzeitige Pfarrer von Attendorn,
dem darin ein geistlicher Gymnasiallehrer und ein von der Geistlichkeit
gewählter Vertreter derselben zur
Seite stehen. Dieser Vorstand bestellt im Einvernehmen mit dem Direktor des Gymnasiums den Leiter
der Anstalt und entscheidet über die
Aufnahme von Zöglingen. Auch über
das Hauswesen führt er die Aufsicht.
- 20 -
3. Verwaltung und Leitung der Anstalt
sind der Oberaufsicht des Gymnasialdirektors unterstellt.
4. Die Zöglinge haben, wie die anderen
Schüler, allen Anordnungen der
Schule Folge zu leisten.
In diesen allgemeinen Statuten wird die
enge Verknüpfung von Gymnasium und
Knabenkonvikt deutlich, die die weitere
Entwicklung des Collegium Bernardinums entscheidend beeinflussen sollte.
Der Pensionspreis für ein Jahr betrug
1887 übrigens 500 Reichsmark. Die
Hausordnung von 1887 sah vor, dass
die Zöglinge ohne besondere Erlaubnis
weder das Haus verlassen noch Besuche annehmen durften. Für die nötige
Erholung wurde durch gemeinsame
Spaziergänge und Spiele sowie durch
Gartenaufenthalt gesorgt.
Die Tagesordnung schrieb vor:
6 Uhr (im Sommer 5 Uhr) aufstehen.
6 Uhr 15 Min. Morgengebet, Studium
(Hl. Messe), Frühstück.
8 - 12 Uhr Unterricht
12 Uhr 15 Min. Mittagessen; freie Zeit.
2 - 4 Uhr Unterricht (Mittwoch und
Samstag Spaziergang).
4 Uhr 15 Min. Vesperbrot; freie Zeit.
5 Uhr Studium.
7 Uhr 30 Min. Abendessen; freie Zeit.
9 Uhr 30 Min. Abendgebet; Schlafengehen.
Erster Leiter des Knabeninternates wurde Caspar Papencordt, Rektor des Hospitals. Fast 11 Jahre leitete er die Geschicke der neuen Einrichtung. Der 1840
in Wetter an der Ruhr geborene Papencordt wurde nach Abschluß seiner vorbereitenden Studien am 14. August
1868 in Paderborn zum Priester geweiht. Zunächst als Missionsvikar in
Weißenfeld/Sachsen tätig, wurde er
1869 zum Rektor des Hospitals berufen.
Hier widmete er sich mehr als 29 Jahre
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hingebungsvoll den Bedürfnissen der
Armen und Kranken des Hospitals, während er daneben auch als Vikar in der
Pfarrkirche und damit in der Seelsorge
tätig war. In seiner Ägide wurde die Einsturz gefährdete Hospitalkirche 1878 1882 innen und außen gründlich renoviert und 1884 das Hospital um einen
Westtrakt erweitert. Mit der Übernahme
der Leitung des Konviktes 1887 galt sein
ganzes Streben nun der Ausbildung und
Fürsorge für seine Zöglinge.
Um auch Schülern außerhalb des Dekanates und der Diözese den Zugang zu
Gymnasium und Konvikt in Attendorn zu
ermöglichen kaufte Professor Werra bereits im Sommer 1887 das Wilmes'sche
Wohnhaus nebst Garten an. In diesem
Haus wurde gleichfalls am 23. September 1887 unter dem Namen Bernardinum II eine Dependance des Gymnasial-Konviktes mit 6 Schülern eröffnet.
Das alte Bernardinum II. Aus: Collegium Bernardinum 1887-1912, Attendorn 1912.
Leiter dieser Abteilung wurde zunächst
der Gymnasial-Professor Dr. Sasse,
dem zu Ostern 1888 der Kandidat Vente
folgte. Als erster geistlicher Präses trat
der elsässische Geistliche Dr. Joseph
Burg im Januar 1889 seine Stellung im
Bernardinum II an. Sein Nachfolger wurde von Ostern 1891 bis Ostern 1907, als
beide Abteilungen im Neubau am Him-
- 21 -
melsberg zusammengelegt wurden, Vikar Otto Lex.
Die Zahl der Zöglinge nahm so rasch zu,
dass das Konvikt zu Ostern 1890 insgesamt 47 Schüler versorgte. Die vielen
Aufnahmegesuche führten dazu, dass
der Vorstand eine Vergrößerung der Anstalt vornahm. Im Sommer 1891 wurde
Bernardinum II durch einen Neubau erweitert, der die Zahl der Zöglinge hier
auf 33 ansteigen ließ. 1892 konnte auch
Bernardinum I durch Anpachtung des
Herrn Kespe gehörenden Nachbarhauses vergrößert werden. Beide Häuser
wurden durch einen Zwischenbau unmittelbar verbunden und gewährten so 42
Zöglingen eine neue Heimat.
Ende November 1892 stellte der Vorstand des Konviktsvereins an den Magistrat der Stadt Attendorn den Antrag,
die ehemalige Klosterkirche, die seit
Herbst 1888 unbenutzt war, nachdem
sie 50 Jahre als Zeughaus gedient hatte,
gegen einen bestimmten Pachtpreis
wieder für den katholischen Gottesdienst
für die Zöglinge des Konviktes sowie für
sämtliche katholischen Schüler des
Gymnasiums zur Verfügung zu stellen.
Dieser Antrag wurde im Dezember 1892
einstimmig angenommen und nach der
Übergabe der Kirche im Frühjahr 1893
sofort mit der Instandsetzung und Einrichtung begonnen. So konnte am 6.
Dezember 1893 der erste Gottesdienst
in der Klosterkirche gehalten und damit
deren Tradition als Gotteshaus zur Unterrichtung der Jugend fortgeführt werden.
Nachdem 1895/96 mit insgesamt 93
Schülern die höchste Schülerzahl erreicht wurde, waren beide Abteilungen
voll besetzt. Am Schluß des Sommersemesters wurden 1895 zum ersten Mal
Exerzitien abgehalten, die seitdem fester
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Bestandteil des Lebens im Collegium
Bernardinum geworden sind.
Zu Beginn des Jahres 1896 traten der
Provinzial des Franziskanerordens, Pater Basilius Pfannenschmidt, und Professor Werra in Verhandlungen ein, die
den Verkauf des Bernardinums II an die
Franziskaner zum Zwecke einer Ordensniederlassung zum Inhalt hatten.
Man einigte sich auf eine Überlassung
des Gebäudes Bernardinum II an die
Franziskaner, da Vikar Lex sich bereit
erklärte das ehemalige Langenohl'sche
Haus (heute Pfarrheim), das ihm testamentarisch als Dienstwohnung zugefallen war, für das Konvikt II zur Verfügung
zu stellen. Mit einem Teil der Zöglinge
siedelte er um, während die Mehrzahl im
Wilmes'schen Haus verblieb, bis die
Genehmigung der Niederlassung der
Franziskaner vorlag. Für die Dauer eines Semesters übernahm Kaplan a.D.
Potthast aus Brilon die Beaufsichtigung
dieser Zöglinge, bis Ostern 1897 der
Seminarpriester Wilhelm Steinbrück aus
Paderborn zum Konviktspräses in Attendorn ernannt wurde. Er übernahm bis
zum vollständigen Umzug der Zöglinge
und dem Einzug der Franziskaner das
Bernardinum II, um dann ins Bernardinum I überzusiedeln und Rektor Papencordt zur Seite zu stehen. Anfang 1898
traf die staatliche Genehmigung der
Franziskanerniederlassung ein, und zu
Ostern konnte der Haushalt des Bernardinums II im Wilmes'schen Hause aufgelöst und das Gebäude den Franziskanern übergeben werden.
Rektor Papencordt beschäftigte sich
schon länger mit der Möglichkeit, ein
neues großes Konviktsgebäude zu errichten, das beide Abteilungen des Bernardinums aufnehmen sollte. Er erwarb
zu diesem Zweck ein großes schön gelegenes Grundstück, doch die Erfüllung
seines Lieblingsplanes konnte er leider
- 22 -
nicht mehr erleben. Nach dreiwöchiger
mit großer Geduld ertragener Krankheit
starb er am 6. Juli 1898 in der Obhut der
barmherzigen Schwestern des Hospitals. Er vermachte dem Collegium Bernardinum testamentarisch einen Betrag
von 10.891,80 Reichsmark, der dem
Bau des neuen Konviktsgebäudes dienen sollte.
Präses Steinbrück, der Ostern 1898 ins
Bernardinum I gezogen war, übernahm
nun dessen Leitung. Auf Wunsch der
Paderborner Diözese übernahm er Ostern 1899 nach dem Tod von Vikar Haustadt die Vikarie Jakobi et Andreae an
der Pfarrkirche, die er bis Ostern 1907
verwalten sollte. Steinbrück war bestrebt, das Konvikt nach den Vorstellungen seines Vorgängers weiterzuführen
und richtete sein Augenmerk besonders
auf die Konsolidierung der materiellen
Lage, um möglichst bald die Voraussetzungen für einen Neubau zu schaffen.
Das damalige Gebäude an der Kirche
bot zwar 42 Zöglingen Platz, doch hatten die Schwestern der christlichen Liebe, die 1897 den Haushalt übernommen
hatten, unzureichende Räume und es
fehlte eine Kapelle sowie der notwendige große Gartenbereich. Auch die Regierung drängte daher auf einen Neubau.
1905 waren die Vorbereitungen soweit
gediehen, dass man an die Verwirklichung der Neubau-Pläne denken konnte. Die nötigen finanziellen Mittel stellte
Reichsfreiherr Ignaz von LandsbergAhausen in Form eines mäßig verzinsten Darlehens dem Vorstand zur Verfügung. Der Bauplatz lag in dem dem
Konvikt gehörenden großen Garten am
Fuße des Himmelsberges. Mehrere Architekten legten Pläne vor, doch nach
längeren Verhandlungen entschied man
sich für den Plan des Diplom-Architekten
Klomp aus Dortmund.
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Johannes Franziskus Klomp, geboren
am 7. Februar 1865 in Den Haag als
ältestes von 14 Kindern eines bekannten
holländischen Bauunternehmers, begann seine Ausbildung nach der Schule
mit einer Zimmermannslehre und besuchte dann das Polytechnikum in Hannover. Er war dort Schüler von Conrad
Wilhelm Hase und bestand sein Diplomexamen mit der Note "sehr gut". 1889
unternahm er eine Reise nach Italien
und Sizilien, auf der er Impulse für sein
späteres Schaffen erhielt. Nach seiner
Heirat 1890 mit Sophie Backhaus eröffnete er drei Jahre später in Hannover
ein eigenes Büro, in dem er Profanbauten und erste Kirchenbauten entwarf.
Seine große Schaffensperiode begann
aber 1896 in Dortmund, wo er mit seinem "Atelier kirchlicher und CivilArchitektur und Kunstgewerbe" die Planung und Ausführung zahlreicher kirchlicher Bauten übernahm. So stammen
von ihm u.a. die Pläne für die Pfarr- und
Klosterkirche St. Franziskus und Antonius in Dortmund-Mitte, die St. Elisabethkirche in Bochum-Gerthe, die St. Michaelskirche in Siegen sowie für den
Neubau der Benediktinerabtei Clerf. Im
Kreis Olpe wurde er tätig mit dem Neubau der Martinuskirche in Olpe, mit der
Erweiterung der Pfarrkirche St. Antonius Abt in Heggen durch einen neuromanischen Bau sowie mit der Kirche in
Lenhausen. In den Jahren nach dem
Ersten Weltkrieg nahm die Bautätigkeit
Klomps in Umfang und Bedeutung ab,
da Neubauten immer seltener wurden
und inzwischen eine andere Stilrichtung
erforderten als die von Klomp vertretene. Bei der Zerstörung seines Dortmunder Hauses 1945 wurde auch der größte
Teil seiner Pläne und Akten vernichtet,
doch sind in den Archiven der Pfarreien,
für die er tätig war, noch Unterlagen
vorhanden. Johann Franz Klomp starb
schließlich mit 81 Jahren am 14. Februar 1946 in Kamp-Bornhofen.
- 23 -
Die Ausführung des Konviktbaus in Attendorn übernahm der Bauunternehmer
Anton Sunder-Plassmann aus Förde.
Als achtes von zwölf Kindern wurde Anton Sunder-Plassmann 1860 in Liesborn
geboren. Zwei seiner Brüder schlugen
ebenfalls die Laufbahn als Baufachmann
ein: Bruder Wilhelm als Architekt und
Dombaumeister in Münster, Bruder
Caspar als Kirchenbauunternehmer.
Seine erste Tätigkeit als selbständiger
Bauleiter
nahm
Anton
SunderPlassmann mit dem Bau der katholischen Förder Kirche 1886/87 auf.
Gleichzeitig bekam er den Auftrag, die
Kirche in Oberelspe zu erweitern. Es
folgten Kirchenbauprojekte in Allagen,
Paderborn, Iserlohn, Köln, Fröndenberg
und Bonn sowie in Meggen und Lenhausen. Mit seinem Bautrupp errichtete
er um die Jahrhundertwende die neue
Kirche von Stift Keppel sowie die Kirche
in Altenhundem. Weitere Aufträge führten ihn nach Hagen, wo er die Kirche
Hagen-Altenhagen, das Josefshospital
und in Haspe das Hospital mit Kapelle
baute. Die Kirche in Schmallenberg sowie Kirchen in Niederalbaum, Hofolpe,
Gleidorf und Latrop entstanden unter
seiner Bauleitung, und nach dem Bau
des Attendorner Konviktes auch die
Martinuskirche in Olpe(1907 - 1909). Die
folgenden Jahre bis zum Ende des Ersten Weltkrieges waren durch weitere
große Kirchenbauten gekennzeichnet,
bis Sunder-Plassmann durch die Inflation sein Vermögen verlor. Zunächst mit
Kirchenrenovierungen, dann mit Neubauten nahm er seine Bautätigkeit nach
1922 wieder auf. Die Bausteine bezog er
in all den Jahren aus den Sandsteinbrüchen in Wrexen-Waldeck. Anton Sunder-Plassmann starb nach einem Herzinfarkt am 19. September 1931.
Auf der Baustelle des Konviktes konnte
Pfarrer Hellhake am 6. März 1906 den
ersten Spatenstich vornehmen, und
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nach wenigen Wochen wurde der
Grundstein gelegt. Bereits im Herbst
1906 war das Gebäude im Rohbau fertig
gestellt und die Innenarbeiten konnten
außergewöhnlich schnell vollendet werden. Während der gesamten Bauzeit
kam es zu keinem Unfall an der Baustelle.
Am 1. April 1907 war das Gebäude vollendet und konnte am 17. April feierlich
eingeweiht werden. Dechant Sauer aus
Helden weihte Kapelle und das gesamte
Haus und hielt bei der anschließenden
Meßfeier die Festpredigt. Nach einem
Rundgang durch das Gebäude feierte
man mit 100 Gästen in den Speiseräumen des Konvikts. Daran nahmen das
gesamte Kollegium des Gymnasiums,
Behördenvertreter der Stadt Attendorn,
die Pfarrer des Dekanates und viele frühere Zöglinge teil. Als Eigentümer des
Konviktsgebäudes wurde der Konviktsverein Bernardinum e.V. eingetragen,
der nach seiner Satzung die Unterhaltung und Förderung des Gymnasialkonvikts Bernardinum ohne eigenen wirtschaftlichen Gewinn verfolgte. Diesem
Verein gehörten der Attendorner Pfarrer
als Vorsitzender, der Gymnasialdirektor,
die beiden geistlichen Oberlehrer des
Gymnasiums, 6 Pfarrer des Dekanates
Attendorn sowie der geistliche Leiter des
Hauses an.
Postkarte von 1907. Foto: Postkartenverlag v.
Jos. Grobbel, Fredeburg i.W. (Archiv Kuschel)
- 24 -
Als das Collegium Bernardinum im Jahre 1912 sein 25jähriges Bestehen feierte, konnte man auf eine stattliche Zahl
von 147 Abiturienten zurückblicken, von
denen sich allein 46 für einen theologischen Beruf entschieden hatten.
In der Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Einrichtung wird die Raumaufteilung des neuen Bernardinums wie
folgt beschrieben:
Oeffnet man die schwere, eisenbeschlagene Eichentür des Portals, so kommt
man in einen langen, gewölbten Gang,
der mit roten Steinfliesen besetzt ist;
rechts liegen die Fremden- und Krankenzimmer und der geräumige Speisesaal, diesem schliessen sich unmittelbar
an die Küche und die übrigen Wirtschaftsräume. Links befindet sich zunächst ein vortrefflich eingerichteter
Waschraum, der den Schülern über Tag
nach beendetem Spiel Gelegenheit gibt,
sich zu waschen; daran reihen sich
mehrere Musik- und Billardzimmer und
die sehr geräumigen Rekreationssäle.
Letztere sind für gross und klein getrennt, so jedoch, dass sie bei festlichen
Anlässen vereinigt werden können und
so einen einzigen Festsaal bilden, der
sich mit der hübschen Bühne prächtig
ausnimmt. Eine breite, bequem angelegte Treppe führt in den ersten Stock. Dieser enthält die Wohnräume des geistlichen Leiters der Anstalt und seines Assistenten, die Bibliothek, den luftigen 15
Meter langen Studiensaal mit Einzelpulten und mehrere Studienräume für die
Schüler der oberen Klassen. In diesem
Stock liegt auch die kleine, trauliche Kapelle, die einfach, sinnig und zweckentsprechend ausgestattet ist. Bunt bemalte Fenster dämpfen die Fülle des hereinflutenden Lichtes und geben eine milde,
stimmungsvolle Beleuchtung, die das
Gemüt beruhigt und erhebt. Nimmt man
hinzu, dass dieser heilige Ort durch eine
Doppelwand vom Studiersaale und
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durch die Sakristei vom Hauptflur getrennt ist, so leuchtet ein, dass kaum ein
Raum zu stillem, andächtigem Gebete
geeigneter und einladender sein kann,
als dieser. Im zweiten Stock liegen die
Schlafräume der Schüler. Jeder Schüler
besitzt ein eigenes Schlafzimmer. Mehrere grössere Zimmer bieten Gelegenheit, Brüderpaare auf ihnen unterzubringen. Die Einrichtung der Einzelschlafzimmer erweist sich als außerordentlich
praktisch und schön, sie bietet vom gesundheitlichen wie vom moralischen
Standpunkte viele Vorteile, und schon
oftmals haben Eltern durch diese Einrichtung an erster Stelle sich bewegen
lassen, ihren Knaben dem Attendorner
Konvikte zu übergeben.
Nachfolger
von
Präses
Wilhelm
Steinbrück wurde 1917 Präses Heinrich
Dobbener, der das Amt bis 1921 innehatte. 1921 gerieten das Gymnasium
und mit ihm das Konvikt in eine schwierige Situation, da die Stadt nicht mehr in
der Lage war, die erforderlichen Zuschüsse zum Etat des stark gewachsenen Gymnasiums weiterhin allein zu
leisten. Man stand vor der Entscheidung, entweder die Schülerzahl im
Gymnasium abzubauen oder das Gymnasium in staatliche Hände zu geben,
was Auswirkungen in religiöser Hinsicht
haben würde. Bei beiden Alternativen
wäre auch das katholische Konvikt beeinträchtigt worden. Der Konviktsverein
sah sich daher verpflichtet, Mittel und
Wege zu suchen, um das Gymnasium
zu erhalten und damit auch das Konvikt
in seinem Bestand zu sichern. So entstand im Einvernehmen mit dem Bischof
in Paderborn der Plan, ein größeres Stiftungskapital bereitzustellen und der
Stadt damit die Beihilfe des Staates zu
ersparen. Das Gymnasium, aus dem in
den letzten 30 Jahren über 200 Geistliche hervorgegangen waren, konnte dadurch in seinem damaligen Charakter
- 25 -
erhalten sowie der Bestand des Konviktes gesichert bleiben. Im Namen des
Konviktsvereins versandte Pfarrer Hillebrand als Vorsitzender Bittbriefe an entsprechende Gönner des Konviktes und
des Gymnasiums, um diese um Spenden zu bitten. Befürwortet wurde das
Gesuch des Vereins durch eine bischöfliche Empfehlung.
Konnten Gymnasium und damit Konvikt
mit diesen Spenden in ihrem Umfang
aufrecht erhalten werden, so änderte
sich während der 20er Jahre des 20.
Jahrhunderts die finanziell angespannte
Situation des Gymnasiums nicht. Von
1892 bis 1918 war die Schülerzahl des
Gymnasiums mit 200 bis 250 etwa konstant geblieben; die auswärtigen Schüler
waren jedoch weit in der Überzahl. 1923
besuchten bereits 362 Schüler das
Gymnasium, nicht nur als Folge der
ausgeweiteten Kapazitäten des Konviktes, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass Attendorn immer noch über
das einzige voll ausgebaute Gymnasium
im südlichen Sauerland verfügte. Sämtliche Stiftungen für das Gymnasium verfielen in der Inflation von 1923, und
mehrfach erwog der Rat der Stadt deshalb, die Trägerschaft für das Gymnasium aufzugeben und dem Kreis oder
dem Staat zu überlassen. Dr. Anton Overmann, der damalige Leiter des Gymnasiums, nahm in seiner 1928 erschienenen Schrift "Das Gymnasium in Attendorn" den Kreis Olpe in die finanzielle
Verantwortung. In der Schlußbemerkung
konnte er noch vermerken, dass der
Kreistag in seiner Sitzung vom 11. Dezember 1928 den gewünschten notwendigen Zuschuss für das laufende Rechnungsjahr gewährte.
Im Konvikt trat 1921 Präses Anton Gierse die Nachfolge von Präses Dobbener
an. Unter seiner Leitung wurde 1927 das
Hauptgebäude am Nordwall erweitert,
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1928 erfolgte eine Vergrößerung der
Einzelzimmer im Obergeschoß. 1932
folgte ihm Präses Aloys Willeke bis
1936.
1936 übernahm Präses Wilhelm Beule
die Leitung des Hauses. 1937 verlangte
die Schulabteilung beim Oberpräsidenten in Münster auf Weisung des Kultusministeriums die Umwandlung des Hauses in ein "nationalsozialistisches Schülerheim". Der Konviktsverein leistete Widerstand und die Stadt wurde angewiesen, die Aufnahme von Konviktschülern
in das Gymnasium zu verweigern. Als
sie dem nicht nachkam, drohte man mit
der Sperrung der Staats- und Kreiszuschüsse. 1938 beantragte der damalige
Landrat Dr. Evers gar die Verlegung des
Attendorner Gymnasiums nach Olpe,
weil die Verhandlungen über die Umwandlung des Konvikts noch immer
nicht erfolgreich waren. Erst Ende 1938
kam ein Kompromiss zustande, und
man stellte ab April 1939 dem geistlichen Präses einen weltlichen Leiter zur
Seite; er sollte als sog. "Rektor" die Belange des Konviktes nach außen vertreten. Ein Erlass des Kultusministers im
Februar 1939 verschärfte die Situation
wieder: Alle Schülerheime der höheren
Schulen sollten der verantwortlichen Leitung des Schulleiters unterstehen. Daraufhin übernahm der Direktor des Gymnasiums die Leitung des Konviktes. Im
einzelnen blieb sie aber in der Hand des
als Heimleiter eingesetzten weltlichen
Studienassessors. Diese Tätigkeit wurde
von 1939 bis 1942 von Franz Lenze
ausgeübt, Studienrat am Städtischen
Gymnasium Attendorn. Als langjähriger
Bundestagsabgeordneter der CDU vertrat er später die Kreise Olpe/Meschede
im deutschen Bundestag. Während seiner Zeit als "Rektor" des Konvikts wurde
Lenze zweimal zum Militärdienst einberufen, konnte aber jedes Mal durch die
Vermittlung von Oberstudiendirektor Dr.
- 26 -
Overmann für die Aufgabe im Konvikt
reklamiert werden. Nach einer Verwundung im Jahre 1942 trat Lenzes bisheriger Vertreter, Studienrat Röske, an seine Stelle. Mit der Säkularisierung der
Leitung des Hauses ging jedoch nie der
katholische Geist der Einrichtung verloren.
Als im Januar 1942 zwei Schüler des
Gymnasiums von der Gestapo verhaftet
wurden, weil sie Predigten des Kardinals
von Galen verbreitet hatten, wurde ein
Einfluss aus dem Konvikt vermutet. Im
Oktober 1942 erschien die Gestapo überraschend im Konvikt, durchsuchte
alle Räume, beschlagnahmte Akten sowie einen Teil der Privatkorrespondenz
von Präses Beule. Morgengebet und der
Besuch der Messfeier waren der Gestapo ein Dorn im Auge. Nach der Mitteilung der Gestapo-Stelle in Dortmund an
die NSDAP-Kreisleitung in Olpe, die Tagesordnung im Konvikt habe noch immer keine Änderung erfahren, verlangte
der Kreisleiter die Auflösung des Hauses. Man wies das Schulkollegium an,
auf die Umbildung des Konviktsvereins
zu drängen.
Im Oktober 1944 schließlich stand die
Beschlagnahme des Konviktsgebäudes
für die Lehrerinnenbildungsanstalt in
Olpe an, wobei man die Dienststellen
des Oberpräsidenten und der Gauleitung der NSDAP in Münster schon eingeschaltet hatte. Nur durch einen klugen
Schachzug gelang es dem Konviktsverein unter Federführung von Dr. Overmann den Bestand der Einrichtung zu
sichern. Man nahm Kontakt mit dem von
Bombenangriffen bedrohten Evangelischen Krankenhaus in Köln-Kalk auf und
bot ihm für die Dauer des Krieges die
Hälfte des Konviktsgebäudes als Ausweichquartier an. Die Krankenhausleitung nahm das Angebot erfreut an. So
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überstand das Konvikt auch die letzten
Monate der NS-Herrschaft.
Nach dem schweren Bombenangriff vom
28. März 1945, bei dem das Gebäude
infolge des Luftdruckes sehr beschädigt
wurde, diente es als Hilfskrankenhaus.
Die Chronik der Schwestern der Christlichen Liebe berichtet, dass in der Karwoche 1945 vier ihrer Schwestern aus
Siegburg mit 30 Waisenkindern ins Konvikt flüchteten. Die meisten Schüler waren zu Beginn der Gefahr von ihren Eltern nach Hause geholt worden, doch
ca. 30 - 40 Jungen erhielten erst nach
Wochen die Genehmigung zur Heimreise. Den Einmarsch der Amerikaner am
9. Mai 1945 überstanden die Konviktbewohner im Keller, und von einem Überfall durch herumziehende freigelassene
russische Zwangsarbeiter blieb man
verschont.
Im Mai 1947 begann das neue Schuljahr
mit 107 Schülern, doch erst in den Osterferien 1949 konnte die Kapelle renoviert werden, die unter Artilleriebeschuss
sehr gelitten hatte. Präses Wilhelm Beule war schon 1941 von Präses Dr. Johannes Otto abgelöst worden, der das
Konvikt bis 1954 leitete. Im gleichen
Jahr ging das Collegium Bernardinum
als erzbischöfliches Knabenkonvikt an
die Erzdiözese Paderborn über. Die Leitung lag seitdem immer in der Hand des
vom Erzbischof von Paderborn ernannten Präses. Die Nachfolge von Präses
Dr. Otto trat im September 1954 Präses
Walter Hiltenkamp an, der das Konvikt
11 Jahre leitete.
Der Übergang auf das Erzbistum Paderborn ermöglichte einige Renovierungsarbeiten im Gebäude. So wurden Schlafräume vergrößert, Dusch- und Waschräume sowie Küche und Waschräume
neu angelegt, ein Minigolfplatz entstand.
In den folgenden Jahrzehnten versetz-
- 27 -
ten ständige Erneuerungen, Umbauten
und Anschaffungen das Internatsgebäude immer wieder in den neusten Stand.
Vorderansicht des Gymnasial-Konviktes Collegium Bernardinum. Foto: Graph. Kunstanstalt
Kettling & Krüger, Schalksmühle i. Westf., Nr.
25264 (Archiv Korte)
1956 konnte schließlich der Grundstein
für den heutigen Kapellenbau gelegt
werden. Platzgründe hatten den Neubau
der Kapelle notwendig gemacht. Attendorner Handwerker führten die Pläne
des Attendorner Architekten Christian
Szuckay aus. Der Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger nahm am
10. November 1957 die Einweihung der
neuen Kapelle vor. Die Kapelle, ein
flachgedeckter einschiffiger Raum mit
zwei anschließenden Querschiffen, erfuhr ihre künstlerische Ausgestaltung
durch die aufwendig gearbeiteten Fenster, die Szenen aus der Lebensgeschichte des Hauspatrons Bernhard von
Clairvaux zeigen, sowie durch ein Altarretabel aus der alten Kapelle und den
Kreuzweg des Attendorner Künstlers
Karl-Josef Hoffmann.
Präses Hiltenkamp folgten 1965 Präses
Norbert Vollmer und 1981 Präses Walter
Junk als Leiter des Internats, bis 1986
Präses Monsignore Bernhard Schröder
sein Amt antrat. Nicht zuletzt ist es seinem überaus engagierten und erfolgreichen Wirken zu verdanken, dass das
Collegium Bernardinum heute als einzi-
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ges Knabeninternat des Erzbistums Paderborn besteht.
Heute betreut das Internat 65 Schüler,
die Hauptschulen, Realschule und
Gymnasien besuchen. Sie werden in 4
Altersgruppen von 5 Pädagogen und
Präses Schröder betreut. Mit einem umfassenden Förderprogramm werden die
Schüler in ihren schulischen Anstrengungen unterstützt. In der Freizeit warten neben sportlichen Aktivitäten zahlreiche Unternehmungen auf sie, von
Vorträgen über Ausflüge bis hin zu Theaterbesuchen.
Zu Orgel- und anderen Konzerten in der
1995 umfassend renovierten Kapelle
sowie zu Ausstellungseröffnungen und
Vorträgen in der Aula sind auch Attendorner Bürger gerne im Collegium Bernardinum gesehen. Das Jahr 2005 bescherte dem Internat eine neue Orgel
aus Werl, während die bisherige Orgel
einen neuen Platz in der Hospitalkirche
fand.
Die Attendorner sind stolz auf ihr Konvikt, ihren "Kasten", wie sie ihn liebevoll
nennen, und hoffen, dass diese über
100jährige Tradition der katholisch geprägten Knabenerziehung auch weiterhin Attendorn und dem Sauerland erhalten bleibt!
Literatur:
Overmann, Dr. Anton: Das Gymnasium in
Attendorn. Eine aktenmäßige Darlegung der
geschichtlichen Entwicklung der Schule von
den Anfängen bis zu Gegenwart. Münster,
1928.
Stannat, Werner: Rivius-Gymnasium der
Stadt Attendorn. Festschrift. Attendorn 1975
- 28 -
Steinbrück, Wilhelm: Festschrift zur Feier
des fünfundzwanzigjährigen Bestehens des
Konvikts Bernardinum zu Attendorn. Attendorn, 1912
Collegium Bernardinum. Jubiläumszeitung
des Konviktes Attendorn am Nordwall 26.
Attendorn, 1983
Erzbischöfliches Internat für Jungen - Collegium Bernardinum in Attendorn. Attendorn,
1987
Jahrsen, Christian Johannes: Facharbeit
über das Collegium Bernardinum zur Zeit
des
Nationalsozialismus.
Attendorn,
2001/2002
Brunabend, Josef; Pickert, Julius; Boos,
Karl: Attendorn. Schnellenberg, Waldenburg
und Ewig. 2. Auflage, Münster 1958.
Höffer, Otto; Breer, Ralf: Attendorn - Portrait
zur Jahrtausendwende. Attendorn, 1997
Breer, Ralf; Höffer, Otto: Kirchen und Kapellen in Attendorn, Lennestadt und Kirchhundem. Hrsg. Sparkasse ALK, 1999
Schöne, Manfred: J.F. Klomp, der Erbauer
der St. Martinuskirche in Olpe. in: HSO 95
(1974), S. 70 ff
Krause, Jochen: Sakralbauten in ganz
Deutschland zeugen von seiner Schaffenskraft. Unter seiner Federführung entstanden
51 Kirchen. Anton Sunder-Plassmann
(1860-1931). in: Jahresheft des Heimat- und
Verkehrsvereins Grevenbrück, Nr. 20/2001.
Ein herzliches Dankeschön gilt Ludwig Korte, der mir dankenswerter Weise einen Teil
der Literatur zur Verfügung stellte!
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Ein bedeutender Neuzugang im Südsauerlandmuseum
- Der künstlerische Nachlass des Malers Jupp Steinhoff von Monika Löcken
Das ehemalige Kreisheimatmuseum und
heutige Südsauerlandmuseum in Attendorn hat der Gegenwartskunst im Kreis
Olpe stets eine Plattform gegeben. In
Zusammenarbeit mit dem Künstlerbund
Südsauerland e.V. war es hier stets ein
Anliegen, das Schaffen der hiesigen
Künstler auch breiten Bevölkerungsteilen zugänglich zu machen. Regelmäßige
Ausstellungen und auch der Ankauf einzelner Werke dokumentieren diese Bemühungen.
Noch vor dem Abitur 1926 am Mariengymnasium in Werl wurde er mit "Soester Künstlern" bekannt und trat der Jugendbewegung "Neu - Deutschland" bei.
In dieser Zeit entstanden bereits erste
Holzschnitte und Zeichnungen. Im Jahre
1921 beschloss er im Alter von 16 Jahren Mitglied der "Westfälischen Künstler
und Kunstfreunde" zu werden und beteiligte sich ab 1923 an deren Ausstellungen.
Im Jahre 2006 nun führte ein glücklicher
Zufall dazu, dass der gesamte künstlerische Nachlass des bedeutenden Künstlers Jupp Steinhoff für die Öffentlichkeit
übernommen werden konnte. Die Familie des im März 1978 verstorbenen Malers entschloss sich, das gesamte künstlerische Werk der Kulturstiftung des
Kreises Olpe zu übergeben, die die
Kunstwerke als Dauerleihgabe an das
Südsauerlandmuseum
weitergeben
wird.
Jupp Steinhoff wurde am 31.03.1905 in
Bilstein geboren, wo er am 20.03.1978
auch verstarb. Als Sohn der Hoteliers
Franz und Wilhelmine Steinhoff wurde er
in ein Elternhaus hinein geboren, das
von christlichem und sozialem Bewusstsein geprägt war. In der Familie gab es
eine sehr ausgeprägte musische Begabung, die Komponisten, Schauspieler,
Kapellmeister und Filmregisseure hervorbrachte.
Schon in der Schulzeit äußerte Steinhoff
den Wunsch, die Schule frühzeitig zu
verlassen, um die Malerei zu erlernen.
- 29 -
Kirchveischede (1970)
Nach dem Abitur 1926 zog es den jungen Mann nach Berlin, wo er zunächst
das Studium der Kunstgeschichte aufnahm. 1927 wechselte er zur Hochschule für Bildende Künstler über. Hier studierte er bei Bernhard Hasler, einem
Schüler Emil Orliks und Lovis Corinths,
und bei Walter Rössner, der ebenfalls
ein Corinth-Schüler war, unter anderem
Porträtmalerei. Seine Modelle fand er
unter den Kindern zahlreicher jüdischer
Familien in Berlin. Er beteiligte sich an
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Ausstellungen der Berliner Secession,
einer jungen, modernen Künstlergruppe,
die sich in Berlin am Ende des 19. Jahrhunderts vom bis dahin dominierenden
akademischen Kunstbetrieb abgespalten
hatte. Erster Präsident wurde 1898 Max
Liebermann, Mitglieder waren neben
seinen Lehrern u. a. Ernst Barlach, Max
Beckmann, und Käthe Kollwitz, deren
Einfluss auf das Schaffen Steinhoffs
sichtbar ist.
Im Jahre 1928 beteiligte sich Steinhoff
an der "Zweiten großen Westfälischen
Kunstausstellung" in Hagen. Die Motive
der ausgestellten Werke trugen ihm den
Ruf eines Heimatmalers ein.
Im gleichen Jahr ging er, um seine Ausbildung zu vervollständigen nach Paris
und studierte an der dortigen "Ecole des
beaux arts". Zum Nachlass gehört auch
eine Zeichnung mit dem Titel "Trocadero", die aus dem Jahre 1928 stammt und
diese Pariser Zeit widerspiegelt, in der
er sich der farbigen und dem Expressionismus verpflichteten Malerei zu wandte.
1930 wohnte er wieder in Berlin, wo er
eine Ausbildung als Kunsterzieher
machte und in den Schuldienst eintrat.
Berlin in den 20- und 30er Jahren als
künstlerische Heimat, motivierte zu einem breit gefächerten Themenkatalog,
der von Bildern der Großstadt, über
Porträts bekannter und unbekannter
Personen (Kinder, junge Frauen, mondän, unbekümmert oder natürlich) bis
hin zu Industrie – und Architekturbildern
reichte. Nach seiner Entlassung aus
dem Schuldienst im Jahre 1934, widmete er sich der Ausstellung seiner Werke;
u. a. beteiligte er sich 1935 zusammen
mit Mataré an einer Ausstellung im Märkischen Museum in Witten.
Von 1940 bis 1945 war Steinhoff Soldat
und geriet 1946 in russische Kriegsge-
- 30 -
fangenschaft. Nach seiner Freilassung
heiratete er und zog mit seiner Frau zunächst ins Ruhrgebiet und dann nach
Köln. Die Erfahrungen des Zweiten
Weltkriegs brachten Steinhoff dazu, seine bisherigen Themen zu überdenken.
Er thematisierte nun die menschliche
Existenz und ihre Werte, seine Selbstzweifel und seine Trauer. Die Gemälde
"Ich klage an", "Trauernde Frauen", "Totentanz" stehen für diese Nachkriegsjahre. Aus dieser Zeit stammen auch Werke, die die seelische Erschütterung der
Kriegserlebnisse widerspiegeln, aber
auch Zeichnungen des Ruhrgebietes
und seiner großindustriellen Anlagen. So
beteiligte er sich 1949 an einer Kollektivausstellung im Karl-Ernst-OsthausMuseum in Hagen, die den Titel "Malerei
nach der Katastrophe" trug.
Selbstporträt „Ich klage an“ (1946)
Ab 1950 bis 1967 konnte er den Lebensunterhalt seiner Familie, zu der bald
auch zwei Töchter gehörten, als Stu-
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dienrat für Kunsterziehung in Köln sichern. 1
Seit den 1950er Jahren wurden seine
beiden Töchter zu seinen Lieblingsmotiven, die er bis zu seinem Tode immer
wieder malte. Aus Bildern wie "Inge mit
Teddybär", (1957) oder "Ruth mit Mütze"
(o. J.) spricht seine Liebe zu seinen beiden Kindern.
Entgegen den Zeitströmungen hielt Jupp
Steinhoff stets an der figürlichen Malerei
fest. Der Nachlass verdeutlicht seine
enorme stilistische und technische Vielfalt. Die Techniken reichen von Zeichnungen (Bleistift, Rötel, Kreide) über
Drucke (Holzschnitt, Linolschnitt) bis hin
zu farbigen Ölgemälden (150 Werke)
und Aquarellen (9 Stück).
Weitere Motive fand er im Dorf Bilstein,
wo seine Eltern und Geschwister lebten
und wo die Familie ein Ferienhaus besaß. Seine Natur- und Heimatverbundenheit fand ihren Niederschlag in vielen
Bildern, in denen er Landschaften und
Orte seiner Umgebung variationsreich
porträtiert. Bilder aus dieser Zeit sind die
Gemälde "Blaue Berge im Sauerland",
(1953) oder "Schloß" aus dem Jahre
1957.
Insgesamt wurden bei einer Schnellinventarisation 250 Werke verzeichnet,
Kunstmappen mit Einzelskizzen wurden
dabei als eine Nummer aufgenommen.
Steinhoff hat während seiner Schaffenszeit alle seine Werke fotografiert, so
dass mit Hilfe dieser Fotos, die ebenfalls
vollzählig zum Nachlass gehören, die
Rekonstruktion seines Gesamtwerkes
möglich sein wird.
Seit dem Ende der 1950er Jahre entstanden auch Ölgemälde auf den Ferienreisen der Familie. Hier sind u. a. zu
nennen "Englisches Fischerdorf bei Ebbe“ (1958) "Peleponnes" (1959), "Weiße
Wildpferde" (1960), "Küste in Belgien"
(1962).
In Zusammenarbeit mit dem Kunstverein
Südsauerland soll im Jahre 2007 zunächst eine Retrospektive des Lebenswerkes gezeigt werden. Weitere Ausstellungen sind in den nächsten Jahren
geplant.
In den 1960er Jahren wandte er sich
auch sozialkritischen Themen zu. Es
entstanden Bilder wie "Streik" (1962),
"Aussperrung"
(1965),
"Flüchtlinge"
(1965), "Aufruhr" (1966). Beispiele seiner Porträtkunst finden sich in Werken
wie dem Porträt von Fritz Viegener
(1971), oder dem Porträt des Schauspielers E. Stolzenburg (o.J.).
1
Hasenfuß, Josef: Jupp Steinhoff, Maler seiner
Mit- und Umwelt, Marktheidenfeld 1974(?).
Domscheit-Preuß, Annette: Steinhoff, Jupp
(Bilstein), in: Kunst und Künstler im Kreis Olpe
Band I, Olpe 1991, S. 245 – 260.
Selbstporträt (1955)
- 31 -
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Die Hochzeit zwischen Ferdinand Freiherr v. Fürstenberg und
Maria Theresia Freiin v.
Westphalen im Jahre 1682*
von Dipl.-Ing. Michael Jolk
Die Residenz der Paderborner Fürstbischöfe in Schloss Neuhaus war nicht nur
ein Ort für landesherrliche und bischöfliche Repräsentation, sie sahen die Residenz vielmehr als Wohnsitz und richteten einige Räume nach ihren verschiedenen Vorlieben ein. Da wundert es
nicht, wenn private Familienfeiern im
Schloss stattgefunden haben. Gerade in
der Zeit als Ferdinand v. Fürstenberg
Fürstbischof war, erlebte Schloss Neuhaus ab 1661 seine Glanzzeit als geistiger und kultureller Mittelpunkt im Hochstift Paderborn.
Über eine Hochzeitsfeier und deren monatelange Vorbereitung soll hier ausführlich berichtet werden, da die Quellenlage
im Archiv des Freiherrn v. Fürstenberg
im Herdringer Schloss ausgezeichnet
ist. Das Archiv der Grafen v. Westphalen
im Schloss Fürstenberg bei Büren ist in
den Revolutionswirren des Jahres 1848
leider gezielt zerstört worden. 1 Korrespondenzen, Rechnungsbelege, Beherbergungs- und Wirterechnungen sowie
der Heiratsvertrag tragen dazu bei - diese vor fast 325 Jahren stattgefundene
prunkvolle Hochzeit - an unserem geistigen Auge vorbeiziehen zu lassen.
Nicht selten bestimmte die Familie, wen
man heiraten sollte, spielten doch familiäre Verbindungen eine große Rolle.
Beide Familien sollten von einer Hochzeit profitieren. Bei Ferdinand war es
nicht anders, seine drei Onkel bemühten
sich, für ihn eine standesgemäße Frau
zu finden. Doch Ferdinand hatte einen
eigenen Kopf, sehr zum Verdruss seiner
Verwandten. Auch wenn im weiteren
Bericht vom „Vetter Ferdinand" die Rede
ist, handelt es sich um den Neffen Ferdinand. Vetter war damals die gängige
Bezeichnung für einen Verwandten!
Doch zunächst möchte ich Ihnen die
Hauptpersonen des heutigen Abends
näher vorstellen:
Ferdinand Freiherr v. Fürstenberg wurde am 22. August 1661 auf der Burg
Schnellenberg geboren. Seine Eltern
waren Friedrich Freiherr v. Fürstenberg
und Maria Elisabeth v. Breidbach zu
Bürresheim.
Ferdinand war noch kein Jahr alt als
sein Vater starb; im Alter von 18 Jahren
verlor er auch seine Mutter.2 Noch nicht
volljährig kam er anschließend unter die
Vormundschaft seiner Onkel:
1. Wilhelm Freiherr v. Fürstenberg,
Domdechant in Salzburg, Domherr in
*Gekürztes und mit Anmerkungen versehenes
Redemanuskript meines Vortrages vom 26. Oktober 2006 im Museum der Burg Schnellenberg.
1
Westphalen, Ludger Graf v.: Aus dem
Leben des Grafen Clemens August von
Westphalen zu Fürstenberg (18051885), Münster 1979, S. 108f. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XVIII, Westfälische
Biographien VII).
2
Maria Elisabeth v. Fürstenberg, geb. v.
Breidbach, starb am 25. September
1679, 8 Uhr abends. AFH 493, fol. 392.
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Paderborn und Dompropst in Münster,
geboren 1623 auf der Burg Bilstein. 2.
Ferdinand Freiherr v. Fürstenberg, geboren 1626, Fürstbischof von Paderborn
und Münster, und 3. Johann Adolph
Freiherr v. Fürstenberg, Dompropst in
Paderborn und tätig in den Domkapiteln
zu Münster und Hildesheim, geboren
1631 in Köln.
Vor allem diese drei geistlichen Brüder
hatten sich nun um die Erziehung ihres
Neffen und Stammherrn der Familie zu
kümmern. An Ferdinand hing die Zukunft des Geschlechts, er war der letzte
Spross der Familie und diese drohte mit
ihm im namenführenden Mannesstamm
auszusterben.
war eine der höheren Hofchargen - eine
adelige Führungsposition am Hofe mit
der Zuständigkeit für den Stall samt Personal, und auch in der Regel so hoch
dotiert wie ein Geheimer Rat in der Regierung oder sogar besser.
Neben dem Obrist(hof)marschall (bzw.
Obristhofmeister), der den ganzen
Haushalt
organisierte,
und
dem
Obristkämmerer war der Obriststallmeister die dritthöchste Charge. Danach
kamen denn - wenn es sie überhaupt
gab - der Oberküchenmeister und der
Oberjägermeister. Unter dem Obriststallmeister, der nicht selten eine Art
Sinekure war, gab es den wirklich
dienstleistenden Vize-Obriststallmeister
und dann das ganze Stallpersonal.3
Maria Theresia Freiin v. Westphalen
kam als Tochter von Wilhelm Freiherr v.
Westphalen und seiner Frau Maria Catharina Brigitta Freiin v. Westphalen am
1. Mai 1663 in Laer bei Meschede zur
Welt.
Ferdinand v. Fürstenberg (1661-1718). Herdringen
Abb. aus: Fürstenbergsche Geschichte, Band 4,
Münster 1979; Tafel 3.
Sein älterer Bruder war bereits verstorben und Ferdinand musste nun als
Stammhalter aufgebaut werden. Er besuchte Schulen in Mainz und Köln, hörte
juristische Vorlesungen an der Universität Salzburg, ab 1679 - dem Todesjahr
seiner Mutter - war er dann in Schloss
Neuhaus bei seinem fürstbischöflichen
Onkel und Taufpaten, der ihn zum
Obriststallmeister ernannte. Dieses Amt
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Ihre Eltern waren verwandt, sie waren
Vetter und Cousine 2. Grades. Maria
Theresia verlor ihre Mutter sehr früh,
kurz nach der Geburt starb sie im Kindbett. Ihr Vater Wilhelm heiratet später
Catharina v. und zu Brenken zu Wewer,
eine Tochter von Arnold v. und zu Brenken und Anna v. Niehausen. Die Freiherren v. Westphalen wurden im Jahre
1792 in den erblichen Grafenstand erhoben. Noch heute blüht die gräfliche
Familie in verschiedenen Zweigen.4
3
Dank an Dr. Gerd Dethlefs für die Erklärung des Amtes.
4
Genealogisches Handbuch des Adels,
Handbuch der gräflichen Häuser Band
XVIII, Gesamtreihe Bd. 139, Limburg
2006, S. 527ff.
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Erstmalig erfahren wir im Februar 1682
etwas über die Pläne einer Verheiratung
des Ferdinand Freiherr v. Fürstenberg.
Die Gedanken machte sich nicht die
Hauptperson Ferdinand, sondern einer
seiner drei Onkel, nämlich Wilhelm. Der
Salzburger Domdechant Wilhelm Freiherr v. Fürstenberg hatte am 23. Februar 1682 eine aus Silber getriebene Konfektschale bestellt, die er seinem Neffen
Ferdinand schenken wollte. Die Schenkung jedoch kam noch nicht zustande,
da Wilhelm erfahren hatte, dass Ferdinand „die Liebe gegen die von Ledebuhr
noch nicht verlassen habe". Sollte die
Konfektschale eine Art Bestechung
sein?
Wilhelm war auch ärgerlich auf eine
Frau v. Hatzfeld, die mit ihren Damen im
Schloss Neuhaus die „Cupelerey" und
die „Correspondentz d'amour mit der
von Ledebuhr" besorgte. Wilhelm
schrieb: „Jch habe auch bei meiner newlichen ahnwesenheit zum Newenhauß
gemerket, daß der Vette ferdinand offtmahls und allein mitt einem Diener in die
Senne zu reiten, biß in die dunkele spete nacht außgeblieben; so mir sehr
suspect vorkombt; und ich ohne diß seinem Cammerdiener auß Arnsbergh bürtig, nicht viel trewe". Falls die Beziehung
zu der v. Ledebur andauern sollte, wollte
Wilhelm gar sein Testament ändern und
seinen anderen Neffen Johann Adolf v.
Plettenberg 5 als Erben einsetzen. Wilhelm urteilte über Ferdinand, er „hatt
keinen Fürstenbergischen sondern einen Breitbachischen Kopff, bildet sich
mehr ein, alß er weiß". Da der Neffe ei-
ne Heirat aufschiebe, was seinem „opiniotrischen 6 Breitbachischen Kopf' entspringe, war Wilhelm ziemlich unzufrieden.7
Am 16. März 1682 schrieb Wilhelm aus
Salzburg, dass Ferdinand eine Heirat
immer noch aufschiebe und dadurch der
Familie nur Schaden zufüge. Eine Woche später berichtete der rührige Onkel
Wilhelm von einer eventuellen Heirat mit
dem Fräulein v. Galen, Stiftsfräulein zu
Borghorst. Die Heirat sollte die Beziehungen zu den Münsterischen Ständen
verbessern, so der Wunschgedanke
Wilhelms. „Dieselbe ist von schöner
lenge und hubsch von gesicht und
verstendlich", so pries er seinem Neffen
das Fräulein v. Galen an.
Der andere Onkel Johann Adolf v. Fürstenberg war da viel verständlicher als
Wilhelm, er schrieb, dass er die Sache
mit Ferdinand wird „gehen lassen, wie
es gehet, weilen Er ein rechten breitbachischen Kop hatt, sonsten würde er
denselben der gestalt nicht zeigen,
doch er mag sich bessern und muß
man viel seiner Jugend zu schreiben".
Ferdinand war gerade 21 Jahre alt.
Ferdinand hat sich so unter Druck setzen lassen, dass bereits Anfang Mai
1682 Gespräche mit der Familie v.
Westphalen liefen. In den Herdringer
Rechnungen ist vermerkt, dass das Küchenpersonal zu Fürstenberg vier Taler
und der Kammerdiener der „uns den
wech nach büren gewiesen" hat, einen
Taler bekam. Diese Gespräche fanden
natürlich ohne Ferdinand statt.
Wilhelm war immer noch mürrisch ge-
5
Johann Adolf v. PlettenbergLenhausen (1655-1695) war der Sohn
von Wilhelms Schwester Ottilia v. Fürstenberg (1617-1683), die 1643 Bernhard
v. Plettenberg-Lenhausen (1615-1679)
heiratete.
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6
Opinio = Meinung, Mutmaßung,
Wahn, Einbildung.
7
Lucia Elisabeth v. Ledebur heiratete
später Friedrich Wilhelm v. Westphalen.
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genüber seinem Neffen, „Ferdinand will
gantz seinem breitbachischen trotzigen
Kopff folgen, und auß dem Geschirr
schlagen".
Johann Adolf berichtete am 12. Mai seinem Bruder Fürstbischof Ferdinand von
Paderborn, dass Ferdinand nun auf Maria Theresia v. Westphalen reflektiere.
„Das wird meinem Bruder sehr lieb sein,
weilen sie ein sehr from kinde ist und
guter humören"... „sondern muß ein
breitbachß Kop sein, ich will doch hoffen, wan die jahren kommen, werden
seine flausen sich auch enderen".
Fürstbischof Ferdinand hatte Wilhelm v.
Westphalen, dem Vater von Maria Theresia von einer Hochzeit geschrieben,
ohne dass die zukünftigen Eheleute davon wussten. Wilhelm v. Westphalen
war keine bessere Partie für seine Tochter bekannt, jedoch wollte er seiner
Tochter die freie Wahl lassen und zu
keiner Heirat nötigen, da sie seit zwei
Jahren zu einem v. Niehausen „inbrünstige Liebe" verspüre. Wenn Ferdinand
ihre Gegenliebe gewönne, sollte es ihm
Recht sein.
Wilhelm war immer noch verstimmt,
Ferdinand sei hochmütig wie ein „Grande di Spagna". Die Brüder Wilhelm und
Johann Adolf drängten nun auf eine Heirat ihres Neffen mit Maria Theresia v.
Westphalen. Der fürstbischöfliche Bruder Ferdinand machte den ersten Schritt
und schrieb einen Brief an Maria Theresia:
„Wohlgebohrene Freyfräwlein, meine
besonders liebe Base!
Die Gelegenheit die Fräwlein Base mit
diesem Briefflein zu begrüeßen gibt mihr
mein Rhat und Obriststallmeister Vetter
Ferdinand Freyherr von Fürstenberg,
indeme er sich dorthin verfüeget, umb
der Fräwlein Bas ferner auf zuwarten
und deroselben sehr werthe Affection
mehr und mehr zu verdienen. Alsolche
- 35 -
seine Intention habe mit diesen wenigen
Zeilen die Fräwlein Bas bestens recommendiren und dieselbe bitten wollen, daß wie ich sie allezeit hoch aestimirt und geliebet habe, also auch geruhen wolle, dieser meiner Recommendation zu deferiren und meines Vetteren
inbrünstige Passion mit ihrer Gegenlieb
zu consoliren und sich versichert zu halten, daß solches Glück sambt meinen
Herren Brüederen zum höchsten verlange und allezeit bin und seyen werde
Meiner lieben Fräwlein Basen wollaffectionirter allezeit
Ferdinand
Newhaus, den 16. Junii 1682"
Maria-Theresia v. Westphalen zu Fürstenberg
(1663-1737). Herdringen
Abb. Aus: Fürstenbergsche Geschichte, Band 4,
Münster 1979; Tafel 3.
Im Juni und Anfang Juli 1682 waren die
Brüder abwechselnd bei der Familie v.
Westphalen um die Heirat zu bereden.
Wilhelm Freiherr v. Westphalen war vor
der Hochzeit sieben Mal in Schloss
Neuhaus zu Besuch, meistens mit zwei
Dienern und drei Pferden. Ein weiterer
Bruder, Franz Wilhelm v. Fürstenberg
schrieb am 4. Juli 1682 aus Neuhaus an
seinen Bruder Wilhelm nach Salzburg,
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dass er vor drei Tagen mit seinem Neffen Ferdinand und Herrn v. Holdinghausen (ein Verwandter von der Mutterseite) bei Herrn v. Westphalen zu Fürstenberg war, um die Heirat mit dessen
Tochter zu bereden. Am ersten Tag geschah noch nichts, am zweiten Tag
„nach der mess" gingen sie zu v.
Westphalen und hielten ihren „Vortrag".
Der Vater v. Westphalen sagte, „dass er
seiner tochter iederzeit ihren freyen willen hierin gelassen" hat und gibt seine
Zustimmung zur Heirat. Erst danach
wollte die „Delegation" die Gegenwart
des Fräuleins haben, sie kam „ganz feürich, undt roth im gesicht" ihr Vater sagte ihr dann, dass er ihr den freien Willen
lasse. Sie willigte ein und Ferdinand v.
Fürstenberg ging zu ihr „wie ein Falke
auf eine Taube", küsste sie und ihre
Stiefmutter und gab ihrem Vater die
Hand. Dann gingen sie an die Tafel
„undt magten unß lustig". Wie man
weiß, erobert ein Falke sein Opfer im
Sturzflug.
Damit war der Ehevertrag besiegelt, bereits im 12. Jahrhundert geschah es so,
wie hier bei Fürstenberg und Westphalen, per Handschlag zwischen Bräutigam und Brautvater. 8 Üblicherweise
sollte die Eheschließung kurz nach dem
Handschlag erfolgen. In diesem Falle
aber - da viele Gäste aus der Feme anreisen mussten - einigte man sich auf
den Sonntag, 15. November 1682.
Noch ziemlich zeitnah, aber in der Winterzeit, dass wiederum einige an der
Teilnahme hinderte.
für ihn. Die Frage blieb nicht ohne Auswirkungen. Bereits am 3. November
1682 sollte sich Ferdinand zur Eidablegung in Arnsberg melden, er wurde zum
kurkölnisch-westfälischen Rat ernannt.
Von Juni bis August 1682 waren vielfache Besuche bei der Familie v.
Westphalen, in den Rechnungsbüchern
sind zahlreiche Einträge über Trinkgeldzahlungen, besonders für das Küchenpersonal und die Spielleute zu Fürstenberg.
Die Hochzeit wurde vom Fürstbischof zu
Münster und Paderborn, Ferdinand v.
Fürstenberg, in der Residenz Schloss
Neuhaus ausgerichtet. Er verschickte
für die Heirat seines Neffen die Einladungen. Erste Einladungsschreiben verließen Schloss Neuhaus am 15. September. Die Hochzeit sollte am 15. November stattfinden.
Nun rückte der Tag der Hochzeit näher
und im Ausgabebuch sind besondere
Posten vermerkt: 13. November, die Perücken wurden gerichtet. Am 14. November bekam der Balbierer Geld,
wahrschl. für das Rasieren und Richten
der Haare, ein Rosenfarbband für einen
Taler und ein Seidenband für einen Taler wurden gekauft. Am 14. November
wurde dem Bräutigam vom Hoffourier,
der eigentlich für die Verpflegung zuständig war, die Haare geschnitten.
Im August 1682 gingen die Vorbereitungen weiter. Fürstbischof Ferdinand
schrieb an den Kölner Kurfürsten, bat
um Genehmigung der Heirat des Neffen
und fragte gleichzeitig nach einem Amt
Die Trauringe sind bereits am 30. Oktober in Horn - Bad Meinberg bestellt worden. Die Ringe holte ein Reiter am 5.
November ab. Die Hochzeitspferde erhielten vergoldetes „Pferdegezeugs".9
Auch der Papst schickte eine Urkunde.
Papst Innozenz XI. musste die Heirat
genehmigen, dispensieren. In einer Bulle hat er das Heiratshindernis wegen der
8
9
Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, Sp. 60
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AFH 493
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Blutsverwandtschaft aufgehoben. 10 Ferdinand und Maria Theresia waren Vetter
und Cousine dritten Grades, sie hatten
gemeinsame Ur-Ur-Großeltern.
Eine große Ausgabe zu Schloss Neuhaus war die Instandsetzung der Kutschen und des Schlosses, viele Rechnungen, vor allem Schreinerrechnungen
sind erhalten. Diese Arbeiten waren natürlich pünktlich zur Hochzeit am 15.
November fertiggestellt.
Die Hochzeit fand statt am Sonntag, 15.
November 1682. Jetzt das Wichtigste:
Die Braut brachte einen Brautschatz von
20.000 Reichstaler mit in die Ehe.
Die Gästeschar wohnte innerhalb des
Dorfes Neuhaus, nur wenige Adelige im
Schloss. Die Braut wurde mit Trompetern abgeholt, dass wissen wir, weil die
Musiker dafür 30 Talern bekamen. Die
Trompete war das dominanteste Instrument, außer den Paderborner Trompetern weilten noch neun münstrische Musikanten, vier Trompeter des Freiherren
v. Westphalen, ein Trompeter ohne Herkunftsangabe, ein Trompeter des Herrn
v. Schmiesing und zwei Trompeter aus
Mainz in Schloss Neuhaus. Hoftrompeter waren in den Wappenfarben des
Dienstherrn gekleidet und hatten bei Ereignissen vorauszureiten. Sie bildeten
eine eigene Gruppe am Hofe und durften bei keiner Veranstaltung fehlen.
"Trompeter zu halten" galt als Vorrecht
des hohen Adels, deswegen sind sie bei
höfischen Repräsentation immer anwesend.11
10
Von den geladenen Gästen kamen genau 100 Personen, 65 adelige Männer
und 35 adelige Frauen.
Zur Feier wurde Marzipan gereicht, der
nicht von einem Bäcker oder Konditor
gebracht wurde, sondern von einem Apotheker.12 Als seltene Süßspeise wurde
dem Marzipan damals eine Heilwirkung
zugeschrieben. Deshalb oblag es ausschließlich den Apothekern, diese „Spezialität" in kleinen Mengen herzustellen.
Den Einzelhändlern war es verboten
Marzipan herzustellen; lediglich mit den
Rohstoffen (Mandeln) durften sie Handel
betreiben. Selbstverständlich erkannte
auch der Adel, um welche Kostbarkeit
es sich beim Marzipan handelte und
sorgte so dafür, das Marzipan als Nachspeise auf fürstlichen Tafeln Einzug
hielt. Dem „Volke" wurde diese Kostbarkeit jedoch meistens verwehrt.13
Sonst ist über das Essen nichts bekannt, wir können aber davon ausgehen, dass es wegen des barocken Repräsentationsanspruches sehr aufwendig
war. Das Festmahl wird mit einem
Trompetensignal begonnen haben, es
gab eine feste Sitzordnung, die eingenommen wurde. Gespeist wurde von
Zinntellern mit fürstbischöflichem Wappen, da diese in ausreichender Menge
in der Silberkammer vorhanden waren.
In der Silberkammer befand sich unter
der Obhut der Silberdiener auch das
und Volkskunde, 45. Band, 1967, Heft 4,
S. 231-244.
12
AFH 20132
13
AFH 493
Über die Geschichte des Lübecker
Marzipans war dieses im Oktober 2006
auf der Homepage www.carstensmarzipan.de unter Historie zu lesen.
11
Brockhoff, Maria-Elisabeth: Musik am
fürstbischöflichen Hof von Paderborn
vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in:
Westfalen – Hefte für Geschichte, Kunst
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Konfekt.14
Die 100 geladenen Gäste kamen mit
211 Personen, darunter: Kutscher,
Knechte und Mägde. Diese 311 Personen logierten mit 269 Pferden in dem
kleinen Ort Neuhaus. Untergebracht waren sie in 27 Häusern. Im Schnitt acht
Personen pro Haus. Nur drei Häuser
konnten oder mussten mehr aufnehmen.
Bei Hermann Cottmann logierten 13
Personen und 19 Pferde. Bei Conrad
Haltermann 14 Personen und sieben
Pferde, bei dem Kornschreiber Dietrich
Thorwesten 20 Personen und 33 Pferde.
Die gesamte Rechnung für die Unterbringung und Bewirtung der Gästeschar
belief sich auf 554 Reichstaler und 35
Mariengroschen und wurde durch den
Paderborner Hofmarschall Otto v. der
Borch durch den Zahlmeister Jacob Beller im Auftrag des Fürstbischofs bezahlt.
Jede kleinste Rechnung hatte Otto v.
der Borch eingehend geprüft, lediglich
die Rechnung von Hans Henrich Zurlage
kürzte er um zwei Taler, v. der Borch
schrieb am 16. November an den Rand
NB wann dieses wahr müsse den selben
tag ein knecht ad 15 maß bier gesoffen
haben quod absurdi. 15 Zum Vergleich:
der Jahreslohn eines Trompeters war 50
Taler, der eines Kochs auf der Residenz
betrug 15 Taler.16
14
Gentner, Karin: Zur Tafelkultur am
fürstbischöflichen Hof zu Neuhaus zur
Zeit Ferdinands von Fürstenberg, in:
Norbert Börste/Jörg Ernesti (Hrsg.): Friedensfürst und Guter Hirte. Ferdinand
von Fürstenberg, Fürstbischof von Paderborn und Münster, Paderborn 2004,
S. 479-503.
15
AFH 493
Die Hochzeitsfeierlichkeiten müssen gut
verlaufen sein, denn die Rechnung zeigt
Extra-Ausgaben an, so bekamen die
„hiesigen" Trompeter 35 Taler, die Kirche 40 Taler, der Weinkeller 10 Taler,
die Silberkammer fünf Taler, der Bierkeller fünf Taler, die Musikanten 20 Taler,
Althuß drei Taler, der Brückensoldat
zwei Taler und der Ofenheizer einen
Taler. 17
An Hochzeitsgeschenken sind lediglich
zwei bekannt, wenn man von der vom
Fürstbischof bezahlten Hochzeitsfeier
einmal absieht. Nämlich die bereits früher erwähnten Konfektschalen des Onkels Wilhelm v. Fürstenberg. Am Mittwoch, 11. November 1682, zwischen
zwei und drei Uhr nachmittags zitierte
Wilhelm Freiherr v. Fürstenberg den Notar Gerhard Neukirch in die „ConfectCammer" des Residenzschlosses Neuhaus. Wahrscheinlich ist die Konfektkammer eine weitere Bezeichnung der
Silberkammer, da Konfekt damals teures
Naschwerk war. Weitere Zeugen waren:
Johann Ludwig v. Rubel und Johann
Henrich Hovestatt, „des hochadelichen
Stifts zur Lipstatt Probsten, und hochfürstl. Paderbornisch und Münsterischen
Stall- und Küchenmeister". Sieben mittelmäßige und eine große von getriebenem Silber gemachte Konfektschalen
wird Wilhelm seinem Neffen zum hochzeitlichen Ehrentage schenken. Sieben
auf Füßen stehende, ins runde ausgereckte anderthalb Fuß und vier Zoll breite, inwendig in der Mitte mit des
Dompropsten freiherrlichen Fürstenbergischen Wappen und des Namens erste
Buchstaben, ringsherum mit Blumen und
Engelsköpfen zierlich ausgetrieben und
eine etwas größere selbiger „Facon",
zwei Fuß und vier Zoll breite mit Blumen
und den vier Jahreszeiten ausgetriebe-
16
AFH 493, fol. 703 und Brockhoff,
a.a.O., S. 235.
17
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ner Arbeit ringsherum verziert. Wilhelm
hatte die Konfektschalen für 800 Taler in
Augsburg gekauft. Sie sollten zum Fideikommiss gehören. Die Eheleute durften sie zwar gebrauchen, aber nicht versetzen, verkaufen oder „ummachen",
d.h. einschmelzen. Wilhelm schenkte sie
„zu meiner pleibender gedächtnuß".18
Ein weiteres Geschenk begegnet uns
erst am 24. August 1700, als die Eheleute sämtliche Schmuckstücke notierten, die zum Fideikommiss gehörten,
darunter: „Zwey diamantene Rosen jede mit Einem großen und 8 kleinen Diamanten besetzt und verehret von Ihro
Königl. May. in franckreich Ludovico
Xllll, aestimirt ad 4000 Rthlr." Dieses
Geschenk überreichte der Gesandte
des Königs Monsieur de Gombauld am
Tage der Hochzeit. 19
Die Brautleute verließen erst am 27.
Februar 1683 Schloss Neuhaus, wahrscheinlich blieben sie aufgrund der winterlichen Wetterverhältnisse so lange
ihrer Heimat Herdringen fern. Der Einzug in Herdringen gestaltete sich ebenfalls feierlich. Die Schützen der Freiheit
Hüsten haben die „heimgeführte Frau
von Fürstenberg" an der Chausseebrücke mit Fahnen und Trommeln empfangen und bis Haus Herdringen begleitet.20
Auch nach der Heirat gab es zwischen
Wilhelm und Ferdinand Zwistigkeiten.
Ferdinand wollte die Unterburg der Burg
Schnellenberg als Vierflügel-Anlage
ausbauen. Wilhelm hingegen meinte,
18
AFH 21725. Die Konfektschalen sind
leider nicht mehr vorhanden.
19
20
AFH 1583
die hohen Mauern seien viel zu teuer,
man sollte das Geld besser anlegen.
Ferdinand ging Kompromisse ein, ließ
aber nicht locker und setzte durch, dass
ein Wohnturm an der Oberburg errichtet
wurde, der noch heute die Initialien
FFVF und MTVW und die Jahreszahl
1686 trägt.21
Darüber hinaus haben die beiden sehr
viel bauen lassen und haben ihr Allianzwappen zahlreich in der Burg
Schnellenberg und in Herdringen anbringen lassen.
Ferdinands Gesundheit war nie sehr
robust. Um die Jahreswende 1711-12
erkrankte er ernstlich. Fieber, Bluthusten und Seitenstechen waren 'billich Ursach, auff die Sterblichkeit zu gedencken’. Ihn bedrückte der Gedanke, dass
trotz der zahlreichen Nachkommen seine Gattin hatte ihm im Zeitraum 1683
- 1702 sechzehn Kinder geboren - die
Familie Fürstenberg aussterben könne.
Waren doch drei Töchter und ein Söhnchen in den ersten Lebensjahren dahingegangen; die Eltern verloren drei heranwachsende Söhne, die bereits Domherrenstellen innehatten, in den Jahren
1705 -1707. Zudem endete am 20. März
1711 das Leben des Erstgeborenen
Ferdinand Anton, der sich kurz zuvor
zum Priester hatte weihen lassen. Ein
Jahr später verstarb in Herdringen die
Tochter Anna Helena im 21. Lebensjahr.
Diese sich häufenden Todesfälle führten
zu starker seelischer Belastung der Eltern.
Über die Umstände seines Todes informiert uns am besten ein Bericht an den
Obristkanzler Karg in Bonn. 'Euer Excellenz muß, durch diesen Expressen, leider die betrübte Nachricht geben’ - so
21
Frdl. Mitteilung von Otto Höffer, Stadtarchivar in Attendorn.
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schrieb am 14. März 1718 ein Freund 'dass der Freiherr v. Fürstenberg, nachdem derselbe eine Zeitlang durch Engbrüstigkeit incommodirt gewesen, vorgestern als Sambstags morgen vom
Schlagfluß an der linken Seiten gerühret
worden. Man hat sogleich die Vorsorge
gethan, dass er mit allen hochheyligen
Sacramenten versehen worden, da er
dabei das Glück gehabt, den Verstand,
Gesicht und Gehör, auch etwas Sprach
24 Stunden lang in diesem Zustand zu
behalten. Es tut seiner Hochfürstlichen
Gnaden zu Münster und Paderborn
Leibmedicus Brunner zwar sein Bestes,
aber es ist dannoch alle menschliche
Hoffnung daran verloren, wie ich denselbigen gestern Abend ohne Sprach,
auch ohne dass er einen Menschen
mehr kennen, noch sehen können, ganz
erbärmlich angetroffen... '. Ferdinand
starb in der Nacht zum 15. März 1718
im 57. Lebensjahr. Seine Gattin und vier
seiner Kinder waren in der letzten Stunde anwesend.22
Ein paar Monate später wurde ein Paragraph des Ehevertrages von 1682
durch einen Vergleich geändert. Statt
Haus Herdringen wurde die Burg
Schnellenberg als Witwensitz bestimmt,
auch die Einkünfte des Hauses Hüusten konnte die Witwe für ihren Lebensunterhalt verwenden.23
Die Witwe Maria Theresia machte am 5.
August 1724 ihr Testament. Haupterbe
sollte der älteste Sohn Christian Franz
Dietrich Freiherr v. Fürstenberg werden.
Das Testament wurde auf der Burg
Schnellenberg - ihrem Witwensitz - verfasst und von dem Attendorner Rector
Hospitalis Stephan Dingerkus geschrie22
Lahrkamp, FüG IV, S. 25-26.
23
AFH 1044
ben. Zeugen waren: Johann Gottfried
Bresser, Markus Franziskus Gertmann,
Vikar der Vikarie Omnium Sanctorum,
Johannes Caspar Hundt, Presbyter,
Bernhard Heinrich König, Presbyter,
Franz Heinrich Tütel, Stephan Dingerkus, Rector Hospitalis und Vikar St. Barbarae, Notarius publicus.24
Am 15. Januar 1737 kam ein Reiter
nach Herdringen und überbrachte die
Nachricht, dass die alte Frau von Fürstenberg einen Schlaganfall erlitten habe.
Zwei Tage später kam die Meldung,
dass es der gnädigen Frau wieder besser gehe. Deshalb wurde eine geplante
Reise nach Schnellenberg aufgrund des
schlimmen Wetters abgesagt.
Maria Theresia Freifrau von Fürstenberg
geb. Freiin von Westphalen starb 29.
Januar 1737 abends um sechs Uhr auf
der Burg Schnellenberg „abends 6 uhren
dießes Zeitliche verlaßen". Sofort wurde
ein Bote nach Soest geschickt, um die
Trauerbotschaft drucken zu lassen. Ein
Bote wurde nach Marpe geschickt, um
Richter Hoynck nach Schnellenberg zu
befehlen, dieser sollte die Beerdigung
vorbereiten. Am 31. Januar 1737 wurden Boten nach Paderborn, Münster und
Köln geschickt, die Trauerkunde zu überbringen. Der in Herdringen wohnende Sohn Christian Franz Dietrich Freiherr v. Fürstenberg reiste am Morgen
des 1. Februar zur Burg Schnellenberg
und war abends bei seiner verstorbenen
Mutter angekommen.
Einen Tag später, abends zwischen 17
und 18 Uhr wurde der Leichnam bis zum
Hospital gefahren, Christian Franz Dietrich Freiherr von Fürstenberg folgte in
einem sechsspännigen Wagen. An der
Überführung nahmen noch teil: Herr von
24
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AFH 488
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Imbsen, Richter Höynck von Eslohe, Dr.
Treffert von Siegen, Rentmeister Reutz
von Adolfsburg, Sekretär Wilhelm, alle
trugen schwarze Mäntel. Am Hospital
wurde die Leiche aus dem Trauerwagen
gesetzt und von den Bürgern zur Kirche
getragen. Voran gingen die alten Schützen mit ihren Fahnen, dann kam der
Chor der Pfarrkirche, anschließend die
Leiche, gefolgt von Freiherr von Fürstenberg, Herr von Imbsen, Richter von
Eslohe mit Amtsverwalter Bresser, Herr
König und Dr. Treffert von Siegen,
Rentmeister Reutz von der Adolfsburg
mit Sekretär Wilhelm, dann Honoratioren
der Stadt, den Schluss bildeten die jungen Schützen mit ihren Fahnen. Die
Prozession wurde mit 70 Kerzen begleitet bis in die Franziskanerkirche, in der
die Leiche auf dem Chor vor dem Hochaltar beigesetzt wurde. Am anderen Tag
ist die Trauergemeinde erneut zur Franziskanerkirche gefahren, um dem Seelenamt beizuwohnen. Daran nahmen
auch teil das Ehepaar von Schade zu
Ahausen und der Prior von Ewig. Alle
gingen dann zur Burg Schnellenberg,
um zu Mittag zu essen. Erst am 4. März
trat Christian Franz Dietrich Freiherr von
Fürstenberg mit seinem Gefolge die
Rückreise nach Herdringen an. (AFH
458)
Die Grabstätten von Ferdinand und Maria Theresia befanden sich in der ehemaligen Franziskanerkirche, die am 15.
Juni 1945 durch eine Munitionsexplosion stark beschädigt wurde. Infolgedessen wurde sie 1951 abgerissen. Damit
verschwand auch die Familiengruft der
Familie von Fürstenberg.
Vom 10. zum 11. April 1945 in Rieflinghausen
von P. Steinbach
mitgeteilt von Albert Schnepper
Rieflinghausen. Postkarte: Rottmann, Attendorn. Zur Verfügung gestellt von
Frau Roswitha Remberg.
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Rieflinghausen: Ein "spanisches Dorf".
Die Amerikaner hatten es nicht auf ihrer
Kriegskarte. Schon vor Jahren war ich
öfter im Sauerland und habe das idyllische Dorf nicht entdeckt. Aber, "alle
Wege führen nach ..." Rieflinghausen:
Von Neger über Hofkühl, von Oberveischede über Tecklinghausen, von Jäckelchen über Mecklinghausen, von
Helden über Repe, von Attendorn über
Klöver, und es gibt noch mehr Verbindungen nach ...Rieflinghausen!
Am 29. November 1944 sollte ich das
freundliche Dorf im Herbstkleid kennenlernen. Vom Kriege nichts zu spüren,
kaum was zu sehen. Die Söhne des
Dorfes sind Soldaten. Der Krieg aber
geht seinem schnellen Ende entgegen.
Vinzenzschwestern von Köln - Brück,
Köln - Sülz und anderen Häusern, die
sie teils geräumt, haben hier eine kleine
Filiale für ältere Schwestern eingerichtet
(in Pahn's Neubau). Pater Schröder, der
sie hier betreute, ging zum Seminar
nach Küllsted, wohin ich die Vinzenzschwestern unseres Missionshauses
Broich bei Aachen, das wir am
9.12.1944 als Verbandplatz räumen
mussten, gebracht hatte. Auf Wunsch
der Schw. Assistentin tauschte ich mit
Herrn Pater Schröder Anfang Dezember
1944, gerade als der General Winter mit
Wucht und großem Schneegestöber
seine Offensive begann, die er einige
Wochen mit strengem Regiment durchführte.
Im Westen stand die Front. Mitte Dezember kam die Not-Offensive von
Rundstadt. Auch diese große Hoffnung
wurde enttäuscht. Im Osten ging der
Russe vor; teils sogar über die Oder.
Dann führte im Westen der amerikani-
- 42 -
sche Vorstoß die Front an den Rhein.
Und darüber. Die schönen, festen
Rheinbrücken wurden zerstört. In kürzester Zeit bauten die Amerikaner aber
einige neue. Es ging weiter ohne Pause,
mitten ins Reich.
Eines Tages waren wir von der Sieg bis
zur Ruhr eingekesselt. Vom Osten her
wurde der Kessel eingedrückt. Wir hörten vom Hochsauerland her mit jedem
Tag deutlicher den donnernd heranrückenden Feind. Dorf um Dorf fiel dem
Feind in die Hand.
Montags, den 9. April 1945, wir feierten
Maria Verkündigung, sagten uns abrückende Soldaten, die eine Woche hier
im Quartier gewesen, feindliche Panzer
rollten von Kirchhundem bis Elspe heran, 250 Stück. Neue Truppen rückten
ins Dorf mit 2cm-Flak. Sie bauten am
Nordwestrand, am ansteigenden Gelände gegenüber dem Dorfe ihre 4 kleinen
bösen Dinger ein, bekamen aber am
Dienstagmittag schon saftiges Arifeuer
vom Amerikaner. Nachmittags meldete
man, der Feind komme näher. Mehrere
Flaksoldaten behaupteten, sie würden
nicht schießen, wenn der Feind einrücke. Andere anders!
Als nun am Dienstagnachmittag der
Feind bereits in Tecklinghausen gemeldet wurde, bezogen sie doch ihre Stellungen. Wir konnten von Pahn's aus einige Geschützstellungen beobachten.
Gegen halb acht Uhr rief jemand: "Die
Amerikaner sind bei Hillmann's!" Tatsächlich, Hillmann's standen draußen,
die Hände hoch, und einige Amerikaner
liefen herum.
"Weiße Fahnen heraus!" Ich sah, wie
Hesse-Schulte und nachher Peter Klein
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mit der Fahne zu Siepen's herauf gingen, den Amerikanern entgegen. Da! Mit
Entsetzen hört man die Flak schießen,
und sie schießt auf die weißen Fahnen,
auf Hillmann's und auf andere Häuser!
Ein mörderisches Feuer der 4 Flakgeschütze. Man sieht die glühenden Kugeln in und über das Dorf fliegen. Die
Banditen! "Jetzt ist das Dorf verloren!"
sagten wir. So sagten auch die 4 - 5
Soldaten, die bei Hesse - Schulte in der
alten Küche saßen und sich ergeben
wollten. "Gott sei uns gnädig!" Ich höre
eine Explosion. Ein Geschütz ist gesprengt. 3 Soldaten laufen zum linken
Geschütz und machen es sprengfertig.
Jetzt laufen sie weg. Eine Minute, und
es fliegt auseinander. Noch eins wird
gesprengt am oberen Weg nach Hofkühl. Dann hört das Feuer auf.
Karl Hengstebeck und ich gehen zu
Schulten's. "Wir müssen hinauf zu den
Amerikanern, um die Sache aufzuklären.
Es ist Zeit!" Ferdi Klein, Karl Hengstebeck und ich gehen durch Schultens
Stall, hinter Siepens Stall vorbei bis an
den Garten. Amerikanische Ari feuert
aber schon mächtig ins Dorf. Der Gang
ist zu gefährlich. „Es geht nicht!“ rufen
die beiden. „Aber es ist höchste Zeit,“
sage ich. „Wenn die Amerikaner sich
zurückziehen, werden wir keine Verbindung mehr mit ihnen bekommen, bis das
ganze Dorf in Schutt und Asche liegt."
Was dann? Hastig jagen die Gedanken.
All die Leute! Die Kinder! Das Schlimmste muss verhindert werden.
Ich pfeife auf den Fingern, rufe den Amerikanern sie sollten kommen. Das
große Gartentor hebe ich aus und trete
in den Garten, als in den Stall neben
dem Wege eine Granate einschlägt. Ich
rufe nach meinen Begleitern. Die Amerikaner können mich sehen. Ich höre sie
auch rufen.
- 43 -
Schließlich öffnet man bei Siepens ein
Fenster. "Herr Robert Becker", sage ich,
"wir müssen hinauf!" "Ich war schon auf
dem Weg, aber die Unseren beschießen
uns". "Dann gehe ich allein! Haltet mir
den Daumen! Es ist keine Minute zu verlieren". Die Ari feuert weiter. Zwischendurch höre ich noch die Amerikaner
sprechen. Ich rufe wieder. "Ich komme
mit!", sagt Herr Becker, und er kam mit
der weißen Fahne. Ich ziehe mein Taschentuch. In Sprüngen geht es den
Weg hinauf, am Stall vorbei. Ein Amerikaner kniet mitten im Weg, Hillmanns
gegenüber und winkt uns. Noch einige
eilige Sprünge durch das Wasser in den
Hohlweg hinein zu den amerikanischen
Vortruppen, die gespannt zum Feind hin
spähen. Unsere Soldaten waren aber
ausgerissen nach Hofkühl oder noch
weiter. "Sind Sie der Bürgermeister?"
fragt der amerikanische Stoßtruppführer.
"Nein", sagt Herr Becker, " er ist katholischer Priester". "Der Geistliche hier im
Dorfe", füge ich hinzu.
Dann erzählen wir ihnen in Kürze den
wahren Sacherhalt. Dass im Dorfe keine
Soldaten seien; nur 4 oder 5, die sich
ergeben wollen und die wir hier hinauf
bringen können. Damit scheinen sie aber keine Eile zu haben. Der Truppführer, ein überlanger Kerl, fragt: "Aber die
Soldaten, die da schießen?" "Die sind
dort hinter dem Dorfe gewesen. Sie hatten 4 Flakgeschütze von 2cm, mit denen
sie geschossen haben. Dann haben sie
dieselben gesprengt, wenigstens drei",
das könne ich ihnen bestätigen, "und sie
sind dann geflohen. Aus dem Dorfe hat
niemand geschossen". Sie glauben das
nun auch.
Während unseres deutsch - amerikanischen Radebrechens wird das amerikanische Arifeuer stärker. Der Truppführer
gibt sofort nach rückwärts Befehl, das
Feuer einzustellen. Wir hocken noch
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zusammen mit den Amerikanern, unter
denen einer am linken Oberarm leicht
verwundet ist, als die erste Phosphorgranate in der Nähe einschlägt. "Verfluchte Schweinerei!", ruft der Truppführer. Sein Befehl war anscheinend dort
oben noch nicht eingetroffen. Und - sch sch - sch -sausen die Phosphorgranaten
ins Dorf. Sprühendes Feuer links und
rechts, hier oben und unten im Dorf.
Pahn's Haus gab ich verloren, weil in der
Umgebung viele einschlugen. Die
Schwestern werden mich vermissen und
ich muss hier oben tatenlos zusehen.
Ja, das ganze Dorf wird in wenigen Minuten in Flammen stehen, dachte ich.
Dicker Rauch stieg von einem der Häuser auf. Ich dachte an Stienen's Haus.
Es war Siepen's Stall. Jetzt konnte man
vor Rauch und Nebel nichts mehr erkennen. Da schlugen wieder welche ein
in die Tannen vor Hillmann's Haus. Sie
waren fürs Haus ein guter Schutz, denn
die Granaten krepierten in den Tannenspitzen und in tausend Funken sprühte
das Feuer durch die Gegend. Ein grausiges "Spiel".
Da! Wieder eine dicht am Hohlweg neben der Gruppe. Die Amerikaner zogen
sich darauf eiligst zurück nach oben in
den Wald. Herr Becker mit ihnen. Dann
wieder eine Granate rechts von uns auf
den Fußpfad an Hillmann's Anlagen vorbei, und - links, dicht neben mir. Sprühfeuer über uns. Der amerikanische Posten und der Verwundete blieben mit mir
im Wasser liegen. Durch die Fahne, die
ich befeuchtete, atmete ich. Sollte jetzt
noch eine näher treffen, wären wir drei
verloren. Es waren kritische Augenblicke.
Plötzlich hörte das Feuer auf. Der Befehl
war wohl angelangt. Siepen's Stall
brannte lichterloh in allen Fugen krachend. Anderes konnte ich auch nicht
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mehr erkennen. Hoffentlich ist es im
Dorf nicht zu schlimm! Die Hoffnung
blieb.
Kurze Zeit darauf kam ein Sanitäter,
dem ich dann half, den Verwundeten zu
verbinden. Man brachte ihn nach Hillmann's zu Bett. Ich ging mal ins Dorf,
das allmählich wieder aufatmete, dann
wieder hinauf. Es mussten ja bald die
Amerikaner einziehen. Der Ortsbürgermeister Peter Klein kam. Wir machten
uns ein Friedenspfeifchen an.
Da kamen auch schon einige Gruppen
Amerikaner. Sie wollten nun ins Dorf. Mit
geladenem und entsichertem Gewehr
begleiteten sie uns. Siepen's Haus wurde zuerst durchsucht - nach Soldaten.
An der Tür verlangte der Amerikaner
"Licht!". Hesse steckte eine Kerze an,
die er voran trug. Mich schoben die Amerikaner vor sich her. Dann gings
durch alle Flure und Zimmer. In alle Ecken und Winkel musste geleuchtet
werden. Die Amerikaner schauten in alle
Schränke, in und unter die Betten, in
Stall und Keller. Ernste Kommandos.
Nur beim kleinen Brigittchen wurden sie
zutraulicher. Paradiesaugen der Kinder
blicken nicht feindselig!
Die soldatische Haltung der Amerikaner
war korrekt. Sie waren in allem sehr anständig. Persönlich kann ich mich in keiner Weise beklagen.
Als wir zu Schulten's kamen, standen
die 5 Soldaten bereits am Wege, die
Hände erhoben, um sich zu ergeben, ihr
weniges Gepäck zu Füßen. Sie wurden
untersucht und ans Haus gestellt. Andere Trupps untersuchten nun die übrigen
Häuser. In Pahn's Haus entdeckten sie 2
Russen, die ich ihnen als mir bekannt
vorstellte. Allmählich beruhigte sich das
Dorf. Die größte Gefahr war wohl vorüber. Siepen's Stall war indessen nieder
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gebrannt, bei Schneider's hatte man zeitig das Dach gelöscht. Schulten's hatten
einen Volltreffer auf dem Stall in die Vorratskammer erhalten. Die Trümmer lagen auf dem Wege. Alles in allem war
der Schaden noch erträglich. Wir können von Glück sprechen. Gott sei gepriesen!
Noch ein kleines Erlebnis: Als die Häuserkontrolle vorbei war, wollten Herr und
Frau von Schledorn gern nach Hause.
Es war wohl etwas gefährlich. Doch ich
riet zu gehen. Sie nahmen ihr Gepäck
und ich begleitete sie hinauf. Ich war der
Ansicht, dass oben kein Militär sei. "Mitgegangen - mitgehangen!" Als wir plaudernd oben ankamen, wurden wir mit
Gewehrläufen empfangen und zur Ruhe
gemahnt, am Arm genommen und durch
den Zaun unten am Hause "an die Wand
gestellt". Sie tasteten unsere Taschen
ab und mahnten immer wieder zum leisen Sprechen. Sie vermuteten im nahen
Walde deutsche Soldaten. Daher ihre
Vorsicht. Schließlich sagte ich ihnen, ich
sei katholischer Priester, hier vom Dorf.
Sie stutzten ein wenig, wurden aber
freundlicher. Dann prüften sie meine
Aussage. Da ich keinen Talar trug, fragten sie nach dem Priesterkragen. Mir
ging es wie in der "Göttlichen Komödie",
als Beatrice zu Dante sagt: "Heb den
Bart!". Sie hoben sachte den hehren
Bart und tasteten ringsherum den Priesterkragen ab. Anscheinend waren sie
sehr befriedigt. Auch unter ihnen seien
drei Theologen. Ein amerikanischpolnischer Soldat war mit einem polnischen Arbeiter ins Haus gegangen. Herr
von Schledorn gab noch einen Kellerschlüssel ab. Wir mussten warten. Ich
wünschte auch ins Haus zu gehen, um
die von deutschen Soldaten verwundete
Fräulein Beeren zu sprechen. Sie war
oben auf der Verandatreppe. Um sie zu
verbinden, wollte ich Schwester Marianne heraufholen und fragte darum. Nach
- 45 -
Überlegung mit dem Truppführer kam
die Antwort: Ich könne nicht heruntergehen, sondern ich solle mit einem Posten
gehen, um ihren Arzt zu holen, vielleicht
in Tecklinghausen oder Oberveischede.
Nun sagte ich, es sei ja wohl nicht so
schlimm, ich könne auch morgen früh
die Schwester bringen. Ja, gut, ich müsse aber die Nacht hier bleiben. Nein,
sagte ich, das geht nicht. Der Kommandant vom Dorf hat mich als Begleiter mit
nach hier gehen lassen und ich muss
zurück. Na, dann könne ich allein heruntergehen, die anderen müssten hier
bleiben. Man half mir durch den Zaun.
3 Amerikaner gingen auf der Weide seitlich neben mir bis zum Weg. Dann baten
sie um meinen priesterlichen Segen,
den ich ihnen erteilte. Sie bekreuzten
sich und zogen auf ihren Posten. Ich
ging ins Dorf. In Schulten's dunklem
Holzschuppen raschelten die Posten.
Ich meldete mich von der Begleitung
zurück und nannte meinen Beruf. Man
ließ mich ruhig heimgehen. Etwa 1/2 1
war es. Gegen 1/2 2 kam die große Einquartierung für die Nacht. In jedes Haus
ca. 50 - 80 Mann, die am Mittwochmorgen nach Hofkühl oder Repe weiterzogen.
+ + +
Gott hat uns durch seine heiligen Engel
und Patrone wirklich gut behütet. St.
Servatius hat seine Kapelle erhalten. St.
Barbara - ihr Bild verehren wir im rechten Chorfenster - wehrte die schädliche
Artillerie ab. St. Agatha - deren Bild wir
im linken Chorfenster verehren - hielt
den verheerenden Phosphorbrand gnädig ab. Unsere liebe Himmelsmutter und
St. Joseph haben uns getreulich beschirmt, unser Leben, Leib und Seele
behütet, besonders unsere lieben Kinder. Wir danken dem lieben Gott für so
großen Schutz und soviel väterlich lie-
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bende Sorge. Unser Vertrauen auf IHN
sei Fest! Unser Dank sei Christ - katholische Treue gegen seine heiligen Gebote
und eine echte, nie ermüdende Nächstenliebe.
Osterfreude durchzieht unsere Seele:
"Der Friede sei mit euch!"
ALLELUJA!
Am Sonntag vom Guten Hirten, den 15.
April 1945
P. Steinbach C.S.Sp.
Von Herzen danke ich den vielen Betern
dieser Tage.
Anmerkung von Albert Schnepper:
In Rieflinghausen wurde gleich nach
dem Kriege ein Bildstock gegenüber von
Hillmanns Haus an einem Eschenstamm
angebracht. Bei einem Blitzeinschlag im
Jahre 1988 blieb der Bildstock unversehrt. Auf der Tafel unter dem Kruzifix
steht die Inschrift: FRIEDE 10.4.1945
Foto: Albert Schnepper
Rieflinghausen heute.
Ausschnitt aus der Deutschen Grundkarte,
1: 10.000 Mit freundlicher Genehmigung
der Stadt Attendorn, Bauverwaltungsamt.
- 46 -
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NEUERSCHEINUNG
Vom Bauernhof zum Kaiserhof
Die Vorfahren von Maria Otto: Bauern, Könige und Kaiser
Genealogie der Döhmer Ottos über 50 Generationen
und 1500 Jahre im kurkölnischen Sauerland und darüber hinaus
von Berthold Rauterkus
In diesen Tagen erscheint im Bochumer
Europäischen Universitätsverlag ein
Buch unseres Mitglieds Berthold Rauterkus zur Genealogie der Familie Otto
vom Dahm.
Der Hof zum Dahm gehört zwar heute
zur Gemeinde Finnentrop, war jedoch
seit Jahrhunderten nach Helden und
Attendorn orientiert. Die meisten Vorfahren der Familie Otto lebten im Gebiet
der heutigen Stadt Attendorn, so z.B. in
den
Ortschaften
Mecklinghausen,
Milstenau, Dünschede, Ennest, Lichtringhausen, Ebbelinghagen oder Bürberg u.v.m. Und auch heute noch leben
viele Nachfahren der Familie im Attendorner Bereich. Fast alle sind in den Anlagen des Buches namentlich genannt
und können so ihre Ahnenkette weit zurück verfolgen.
Daß auch ehemalige Bürger der Stadt
Attendorn nicht unerwähnt bleiben, veranschaulicht der folgende Buchauszug:
....Die Ur-Ur-Urgroßeltern von Anna Maria Elisabeth Becker (D47) = 10. Vorgeneration von Maria Otto
Eberhard Becker (D1504) wurde im Jahr
1585 in Kirchhundem geboren. Er war
Bauer in Förde und Burggraf (Kastellan)
der Burg Bilstein und übte als solcher
die Aufsicht über den Burgbezirk aus,
was gerade in den schrecklichen Jahren
des Dreißigjährigen Krieges eine verantwortungsvolle Aufgabe war und ihm
Ansehen in der Bevölkerung einbrachte.
- 47 -
Eberhard Becker (D1504) hatte 3 Geschwister:
x Elisabeth (Elsa) Becker, * Februar
1587. Ihre Taufpatin war Elisabeth
von Fürstenberg, die Ehefrau des
Drosten Caspar von Fürstenberg zu
Bilstein, die bereits wenige Monate
danach am 1. Juni 1587 nur 40jährig
starb. Schon vor 1614 war Elsa Becker mit Christoph Tütel, einem Handelsherrn zu Attendorn, verheiratet,
der um 1590 in Attendorn geboren
wurde, 1621 Hospitalvorsteher in Attendorn war und auch 1648 urkundlich erwähnt wird. Ihr Sohn war der
um 1615 geborene Christoph Tütel,
der Kaufmann und Bürgermeister zu
Attendorn war. Schon dessen Urgroßvater Wilhelm Tütel war 1538
und 1556 Bürgermeister in Attendorn, ebenso wie dessen Vater Johann Tütel schon 1504 und letztmals
1535. Die Attendorner Familie Tütel
lässt sich zurückverfolgen bis zu dem
ca. 1400 geborenen Johann Tütel,
der mit Elseke Volquin, der Tochter
von Johann Volquin, verheiratet war.
Einer der Tütel-Vorfahren war der um
1350/60 in Alkmaar/Holland geborene Prof. Dr. jur. Joh. Vorburg, der
1394 Rector der Universität zu Köln
war und 1414 als Gesandter zum
Konstanzer Konzil erwählt wurde.
1417 war er Gesandter an Papst
Martin V. ...
"Vom Bauernhof zum Kaiserhof" beschreibt die Genealogie einer Familie
aus dem kurkölnischen Sauerland, das
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über 600 Jahre lang bis 1801 als südlicher Teil des Herzogtums Westfalen
zum Herrschaftsgebiet der Kölner Kurfürst-Erzbischöfe gehörte. Der Autor hat
fast 600 bürgerliche Vorfahren dieser
Familie in 15 Generationen bis ins frühe
15. Jahrhundert gefunden und in 41 Ahnentafeln zusammengestellt. Eine dieser
600 Ahnen in der 10. Vorgeneration hatte als Vater einen Adligen, dessen Vorfahren im westfälischen Adel über 20
Generationen und fast 600 Jahre lückenlos zurückverfolgt werden konnten
bis vor das Jahr 1000, als eine Enkelin
des zum fränkischen Königsgeschlecht
der Karolinger gehörenden Königs von
Westfranken in das Werler Grafengeschlecht einheiratete. Deren Vorfahren
sind ohne Lücken etwa 400 Jahre lang
über 12 Generationen bekannt bis etwa
zum Jahre 600. Der Leser findet so Könige und Kaiser, Heiliggesprochene, von
Karl dem Kahlen über Ludwig den
Frommen bis hin zu Kaiser Karl dem
Großen. Selbst die Merowinger werden
über eine Tochter des Merowingerkönigs Dagobert II. erreicht.
Die gesamte Ahnenkette über 1500 Jahre und 52 Generationen ist in einem im
Buch enthaltenen Faltblatt zusammengefasst.
Als einzige nicht zur Ahnenkette hin zu
Karl dem Großen gehörende Stammtafel
der Vorfahren Maria Ottos im Bereich
des westfälischen Adels wird auch die
Ahnentafel von Henneke von Schade zu
Ludwig Ritter von Milstenau dargestellt.
Milstenau liegt nur wenige Kilometer entfernt von Maria Ottos Geburtsort Dahm.
Milstenau war bis etwa 1370 ein eigenständiger Rittersitz.
Buchauszug:
Ludevicus miles (=Ritter) de Middelstena
(=Milstenau) * ca. 1220/30
I
- 48 -
Volpertus de Middelstena * ca. 1260
I
NN von Milstenau, Erbin zu Milstenau
* ca. 1300, verheiratet ca. 1330 mit Volpert Schade zu Milstenau, Burgmann zu
Grevenstein
I
Volpert Schade von Middelstena zu
Grevenstein * ca. 1330 + vor 1396
I
Henneke (Volpert?) von Schade zu Grevenstein und Meinkenbracht * ca.
1360/70, verheiratet mit NN Engel
I
Henneke (Johann) von Schade zu Meinkenbracht * ca. 1400 + Herbst 1455,
verheiratet mit Margarete von Geygen
I
Volpert von Schade zu Grevenstein,
Berge und Blessenohl, Erbe zu Berge *
ca. 1430 + vor 1470, verheiratet mit Sibylle von Grona
I
Georg (Jorgen) von Schade, Burgmann
zu Grevenstein * ca. 1470 + 1539, verheiratet ca. 1500 mit Jutta von Stockhausen
I
Henneke von Schade der Ältere zu Grevenstein * ca. 1510 + vor 1566, verheiratet ca. 1540 mit Catharina von Schorlemer * ca. 1520 + nach 1578 (eine Ahnin
der Dichterin Annette von DrosteHülshoff)
I
Henneke von Schade zu Grevenstein,
Drost zu Eversberg und Medebach * ca.
1550 + nach 1629; mit Margaretha Wiegenstein, * ca. 1560 + 13.11.1627, hatte
er die gemeinsame Tochter Anna Schade, die eine Angehörige der 10. Vorgeneration Maria Ottos war.
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Berthold Rauterkus
Vom Bauernhof zum Kaiserhof
Die Vorfahren von Maria Otto: Bauern, Könige
und Kaiser. Genealogie der Döhmer Ottos über
50 Generationen und 1500 Jahre im kurkölnischen Sauerland und darüber hinaus.
Bochum: Europäischer Universitätsverlag 2006,
29,90 Euro, 397 S., 21 x 29,5 cm, mit zahlreichen Abbildungen und einem Faltblatt 29,5 x 150
cm, ISBN 9783932329494
20 Exemplare des Buches sind voraussichtlich
ab Mitte Mai beim Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. zu den Geschäftszeiten
montags von 18.00 bis 20.00 Uhr sowie bei der
Ortsheimatpflegerin Birgit Haberhauer-Kuschel,
Tel. 02722 - 7473 zum Vorzugspreis von 23,50
Euro erhältlich.
NEUERSCHEINUNG
Wandern und Pilgern auf der Heidenstraße
Auf den Spuren von Handelsleuten und Jakobuspilgern im Sauerland sowie im Oberbergischen Land zwischen Attendorn und Marienheide
von Annemarie und Herbert Schmoranzer,
Hans Ludwig Knau und Ekkehard Loch
Wie schon beim ersten Band des Wander- und Pilgerführers ist es das Anliegen der Autoren, den frühgeschichtlichen Verkehrsweg Heidenstraße für
Wanderer und Pilger wiederzubeleben diesmal auf der Teilstrecke Attendorn Marienheide.
Mit Hilfe des neuen Wander - und Pilgerführers kann die Streckenführung ausgehend von historischen Karten mit aktuellen Übersichtskarten im Maßstab
1:25 000 und Kartenausschnitten im
Maßstab 1: 5 000 selbst "gefunden"
werden. Kleinformatige Fotos in den
Karten erlauben eine reibungslose Orientierung und laden dazu ein, Pausen
an kultur- oder technikgeschichtlichen
Höhepunkten einzulegen. Wie im ersten
Band werden unter der Rubrik "Wissenswertes am Wege" wegbegleitende
Besonderheiten der unterschiedlichsten
Art vorgestellt. Den einzelnen Wegabschnitten folgen Hinweise zu Gastronomie, Verpflegung und Erholung. Lohnende Ausflugsziele wie z.B. Talsperren
und mittelalterliche Bergbauspuren können durch vorgestellte Abstecher von
der Heidenstraßen-Route erreicht werden.
- 49 -
Das Autorenpaar Annemarie und Herbert Schmoranzer hat sich seit 1986 der
Erforschung des Sauerlandes, der Hellwegregion und des Hochstiftes Paderborn nach Spuren der mittelalterlichen
und heutigen Jakobuspilgerfahrt und verehrung verschrieben. Zahlreiche Vorträge, Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen sind seitdem von Annemarie
Schmoranzer zu diesem Themenkreis
erschienen. Bei der Wiederbelebung der
alten Fernwege für Wanderer und Pilger
sind beide Ideengeber und Motor geworden. Mitautor des ersten Wanderund Pilgerführers durchs kurkölnische
Sauerland zwischen Oberkirchen und
Attendorn war Franz-Norbert Scheele.
Beim Folgeband stehen dem Ehepaar
Schmoranzer als Co-Autoren Hans
Ludwig Knau aus Kierspe und Ekkehard
Loch aus Lüdenscheid zur Seite.
Hans Ludwig Knau, Ortsheimatpfleger
von Meinerzhagen, beschäftigt sich seit
vielen Jahren als Mitglied der Altertumskommission für Westfalen und des Arbeits- und Geschichtsausschusses des
Vereins Deutscher Eisenhüttenleute intensiv mit der Erforschung der Eisenherstellung und -verarbeitung im Märki-
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schen Sauerland und dem Bergischen
Land. Zahlreiche Vorträge und Publikationen entstanden von ihm zu diesem
Thema. Ekkehard Loch widmet sich als
ehrenamtlicher Beauftragter für Bodendenkmalpflege der Stadt Lüdenscheid
und Vorsitzender des Arbeitskreises Bodendenkmalpflege im Heimatbund Märkischer Kreis besonders der Auffindung
und Erhaltung von Bodendenkmälern. Er
hat an verschiedenen heimatgeschichtlichen Veröffentlichungen mitgearbeitet.
Beteiligt an der monatelangen Erforschung der historischen Trasse in Exkursionen und Arbeitssitzungen waren
auch Werner Cordes aus Attendorn,
Klaus Filmer aus Attendorn-Ennest,
Ortsheimatpflegerin Birgit HaberhauerKuschel aus Attendorn, Ortsvorsteher
Fred Oehm aus Meinerzhagen-Valbert,
Reiner Potyka aus Kierspe, Franz-
Norbert Scheele aus Meschede sowie
Bianca Taufall aus Kierspe.
Herausgegeben wird dieser Band, der
im März im Paderborner BonifatiusVerlag erscheint, vom Heimatbund des
Märkischen Kreises und vom Sauerländer Heimatbund, die das Projekt der
Wiederbelebung
der
Heidenstraße
nachhaltig unterstützen.
Herbert Schmoranzer / Annemarie Schmoranzer
/ Hans Ludwig Knau / Ekkehard Loch:
Wandern und Pilgern auf der Heidenstraße
Auf den Spuren von Handelsleuten und Jakobuspilgern im Sauerland sowie im Oberbergischen Land zwischen Attendorn und Marienheide
Herausgegeben vom Heimatbund Märkischer
Kreis und vom Sauerländer Heimatbund. Ca.
150 Seiten, durchgehend farbig bebildert, Spiralheftung.
Ca. 16,90 Euro
ISBN 978-3-89710-9
Erlebnisse aus der Landwirtschaft in Attendorn
von Josef Hormes
Bis Ende der dreißiger Jahre, zum Teil
auch noch bis nach dem Kriege, hatten
viele Attendorner neben ihrem Beruf
noch eine kleine Landwirtschaft. Das
waren die so genannten „Kleinbauern“,
wie man sie scherzhaft nannte. Sie besaßen meist 1 Kuh, 1 Ziege, 1 oder 2
Schweine, Hühner mit Hahn und natürlich noch einen Hund und eine Katze.
Hierzu fielen mir so manche Begebenheiten wieder ein:
Es war vielfach üblich, dass wir Jungen
nachmittags gleich 2 oder 3 Kühe, also
aus verschiedenen Ställen, zum Hüten
- 50 -
trieben. Vor dem nächsten Stall riefen
wir dann: “Loot uut! Loot uut!“
Kurz vor dem Anstieg zum Himmelsberg, gerade vor der Herberge (so nannte man früher auch den Gasthof Hacke),
wollten die Kühe erst noch ihre Verdauung loswerden. Diese Ecke des Weges
war dann meistens regelrecht damit gepflastert, zum Ärger des Wirtes.
Zogen wir abends mit den Kühen wieder
heimwärts, riefen wir ihnen zu: „Häime
ho ho ho!“ Sie reagierten sofort darauf.
Kam man vor den Stalltüren an, wurde
„Loot in, loot in!“ gerufen.
Heft Verein für Heimatkunde
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Wenn der Klapperstorch in unserem
Kuhstall landete, kam einer der dabei
helfenden Männer in unsere Küche und
verlangte nach der Geburt ein Schmalzbrot. Auf meine Frage warum, hieß es
dann immer: „Für den Klapperstorch!“
(gemeint war, für die Kuh).
Jeder, der einen Kuhstall hatte, brauchte
auch eine Jauchegrube. Meistens wurde
noch der „Abtritt“ (Trockenklo) mit in die
Grube geleitet. Im Frühjahr und im
Herbst wurde die Grube entleert. Dazu
brachte uns einer der hiesigen Fuhrleute
das so genannte „Pirkelfaat“. Das wurde
abends mittels Eimer gefüllt und morgens zum Acker gefahren. Über den
großen Gestank in der ganzen Nachbarschaft brauchen wir nicht zu reden!
Früher waren unsere Jugendlichen auch
keine Heiligen. Es kam vor, dass man
das Pirkelfaat bei Nacht und Nebel öffnete und die ganze Jauche dann durch
die Gossen, oft bis zum Niedersten Tor,
floss. Hier möchte ich an ein Gedicht
von Engelbert Laymann erinnern (Bruder der Heimatdichterin Ferdinande Laymann), der so ein Erlebnis in „Dat
krammboulärte Pirkelfaat“ festgehalten
hat.
Wenn es im Herbst ans Schlachten der
Schweine ging – man sprach von einer
Hausschlachtung – gab es abends den
so besonders schmackhaften Panhas.
Wir Kinder bewaffneten uns zu Hause
mit einem Löffel und einer Scheibe Brot
und gingen zum Panhas-Lecken in die
Nachbarschaft, wo morgens geschlachtet worden war. Der große Panhas-Pott
ließ nach dem Leeren an den Innenwänden für uns genügend Reste zurück.
Wir saßen nun mitten in der Küche um
den Pott herum und kratzten den Panhas heraus.
Der Panhas-Knüppel! Mit dieser Bezeichnung kann bestimmt keiner etwas
anfangen. In unserer Nachbarschaft be-
- 51 -
fand sich ein etwa 1 Meter langer Stock,
der beim Kochen zum dauernden Rühren vom Panhas gebraucht wurde. Der
Kochtopf hatte eine besondere Größe,
damit auch noch die nächste Nachbarschaft mit je einem Teller voll dieser edlen Speise nach Hause gehen konnte.
Den Stock nannte man „PanhasKnüppel“. Er wurde in der näheren Umgebung bei Hausschlachtungen gebraucht.
Eine Reihe von Kleinbauern hatten auch
noch ein Pferd. Mit dieser Pferdestärke
besserten sie ihr Einkommen auf. Bei
der Bestellung der Felder und in der
Erntezeit waren diese Fuhrleute gut beschäftigt. Im Spätherbst wurde der Stalldung – man sagte einfach „Mist“ – auf
den Acker gefahren. Im Winter holte
man Holz aus den Bergen. In der dann
noch verbleibenden Zeit des Jahres
wurde der Erdaushub für Neubauten mit
einem „Rump“ (zweirädriger Karren) abgefahren, sowie Baumaterial herbeigeschafft.
Josef Hormes
Im November 2002
Heft Verein für Heimatkunde
14.03.2007
15:01 Uhr
Seite 52