Bäuerliche und unterbäuerliche Bevölkerungsgruppen in der
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Bäuerliche und unterbäuerliche Bevölkerungsgruppen in der
Thomas Felleckner Bäuerliche und unterbäuerliche Bevölkerungsgruppen in der preußischen Provinz Sachsen während der Revolution von 1848/49 Wissenschaftliche Schriften im Schulz-Kirchner Verlag Reihe 9 Geschichtswissenschaftliche Beiträge Band 112 Thomas Felleckner Bäuerliche und unterbäuerliche Bevölkerungsgruppen in der preußischen Provinz Sachsen während der Revolution von 1848/49 Idstein 2003 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Besuchen Sie uns im Internet: www.schulz-kirchner.de 1. Auflage 2003 ISBN 3-8248-0215-5 Alle Rechte vorbehalten © Schulz-Kirchner Verlag GmbH, Idstein 2003 Druck und Bindung: Rosch-Buch Druckerei GmbH, Scheßlitz Printed in Germany Bäuerliche und unterbäuerliche Bevölkerungsgruppen in der preußischen Provinz Sachsen während der Revolution von 1848/49 I. Einleitung: Forschungsstand und Fragestellung 7 II. Voraussetzungen 1. 2. 3. 4. 5. 6. Historisch-kulturelle Besonderheiten Boden- und Besitzverhältnisse Zur Bedeutung der Mißernte von 1846 Die soziale Lage der Bauern Die soziale Lage der unterbäuerlichen Schichten der Stand der Agrarreformen 20 27 30 42 47 59 III. Verlauf 1. 2. 3. 4. 5. 6. Forderungen und Petitionen Wahlverhalten Haltung zu Krone und Parlament Die Vereins- und Gemeindeebene Der Gemeindeordnungsentwurf von 1849 Landbevölkerung und Militär 74 99 126 144 158 161 IV. Schlussbetrachtung 175 Bibliografie 180 I. Einleitung: Forschungsstand und Fragestellung Mit einem Anteil von 72 Prozent war die Landbevölkerung Mitte des 19.Jahrhunderts die zahlenmäßig größte Gruppe innerhalb der preußischen Gesamtbevölkerung 1. Ihre Bedeutung für den Verlauf der Revolution von 1848/49 ist jedoch bis heute noch keineswegs ausreichend erforscht. So kam die bundesdeutsche Geschichtsschreibung bis zu den achtziger Jahren weitgehend ohne die Landbevölkerung als politischer Größe aus 2. Lediglich die spektakulären Aktionen der Landbewohner im Süden Deutschlands erfuhren eine gewisse Beachtung, jedoch nicht als politische Bewegung, sondern als soziale Proteste. Für den nord- und mitteldeutschen Raum existierten lange Zeit gar keine brauchbaren Untersuchungen. Solche erschienen vor allem deshalb entbehrlich, da es in diesen Regionen im wesentlichen ruhig geblieben war und die dortige Landbevölkerung daher als sicheres Reservoir der Konterrevolution galt 3. Aber auch spätere Untersuchungen zur 1848er Revolution aus der Feder bürgerlicher oder marxistischer Autoren vernachlässigten die Landbevölkerung zunächst weitgehend. Vor allem aus Gründen der politischen und gesellschaftlichen Identitätsbildung und bindung waren die Historiker der jeweiligen ideologischen Lager entweder an Belegen für die historische Gestaltungskraft des Bürgertums oder aber des Proletariats interessiert. Die Landbevölkerung figurierte in beiden Fällen als politisch und geistig führungsbedürftige Größe. Die westdeutsche Geschichtsschreibung orientierte sich hierbei stark an Lehrmeinungen des 1 Siehe die Statistische Übersicht der verschiedenen Wohnplätze in den Regierungsbezirken des Preußischen Staates zu Ende des Jahres 1849, hg. von C.F.W.Dieterici, in: Mittheilungen des Statistischen Bureaus in Berlin 4 (1851), S.1-30, hier : S. 5ff. Die Provinz Sachsen liegt mit 70 Prozent Landbevölkerungsanteil ziemlich genau im Staatsdurchschnitt. Siehe hierzu Zander, A., Die wirtschaftliche Entwicklung der Provinz Sachsen im 19.Jahrhundert, Halle/Saale 1934, S. 173 f. 2 Zu nennen sind hier hauptsächlich : Mommsen, Wilhelm, “Größe und Versagen des deutschen Bürgertums. Ein Beitrag zur Geschichte der Jahre 1848-1849”, Stuttgart 1949 (2. Aufl. München 1964) / Stadelmann, Rudolf, “Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848”, München 1948 (2. Aufl. ebda. 1970, 3. Aufl. ebda. 1973) / Meinecke, Friedrich, “1848. Eine Säkularbetrachtung”, Berlin 1948, aber auch Valentin, Veit, “Geschichte der deutschen Revolution von 1848/49”, 2 Bde., Berlin 1930/31. Obwohl die Sichtweisen der hier genannten inhaltlich keineswegs einhellig sind, ist ihnen die weitgehende Ignorierung der Landbevölkerung gemein. Eine Ausnahme in der bundesdeutschen Historiographie stellt Günter Franz dar, der in mehreren Studien insbesondere die politische Rolle der Bauern untersuchte. Aber auch seine jüngeren Beiträge (“Die Bauern in den deutschen Landtagen des 19. Jahrhunderts”, in: Geschichte in der Gesellschaft, Festschrift für Karl Bosl, Stuttgart 1974, S. 28-49, “Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes in der Neuzeit”, Darmstadt 1976) weichen nicht grundsätzlich von der bereits in seinem Hauptwerk (“Politische Geschichte des Bauerntums”, Celle 1959) vertretenen Auffassung ab, dass dem Bauerntum keine aktive politische Bedeutung zukäme. Siehe hierzu exemplarisch : Ders., “Der Bauer in der politischen Welt”, in: Historisch-politische Hefte der Ranke-Gesellschaft, H. 15, 1964, S. 1-27, hier S. 9 : “Gewiß ist, daß die Nichtbeteiligung der Bauern (...) zum Scheitern der Revolution beigetragen hat, (...). Aber ebenso gewiß war, daß der Bauer nicht eigentlich konservativ war, sondern politisch uninteressiert. (...) .Er war monarchistisch gesinnt und nicht konstitutionell, die allgemeine Politik aber lag ihm fern”. Eine sehr gute Zusammenfassung der Annäherung der Forschung an das Thema “Landbevölkerung und Revolution 1848/49” findet sich bei Düwel, A., Sozialrevolutionärer Protest und konservative Gesinnung. Die Landbevölkerung des Königreichs Hannover und des Herzogtums Braunschweig in der Revolution von 1848/49, Diss.phil., Frankfurt a.M. 1996, S. 16 ff. Ebenfalls hierzu im Folgenden bei Koch, Rainer, “Die Agrarrevolution in Deutschland 1848. Ursachen - Verlauf - Ergebnisse”, in: Langewiesche, Dieter (Hg.), “Die deutsche Revolution von 1848/49”, 1983, S. 362-394. 3 Siehe dazu wiederum Franz, Günther, “Die agrarische Bewegung im Jahre 1848”, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie (ZAA) 7 (1959), S.176-193, hier: S. 186, sowie : Ders., Quellen, a.a.O., S. 435. Zurückgreifend auf Klein, Tim, (Hg.), “Der Vorkampf deutscher Einheit und Freiheit. Erinnerungen, Urkunden, Berichte, Briefe”, Ebenhausen-München und Leipzig 1914, S.339, zitiert Franz hier eine briefliche Stellungnahme westpreußischer Bauern vom 4.Mai 1848, in welcher sich diese in extrem königstreuer und revolutionsfeindlicher Weise zu den Vorgängen in Berlin äußerten. Siehe ebenfalls dazu : Schildt, Gerhard, “Landbevölkerung und Revolution. Zur Ursache für die Niederlage der Revolution von 1848 in Preußen”, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU), 43. Jg. H.5, Mai 1992, S. 290-303, hier : S. 292 f. 7 19. Jahrhunderts, etwa der von Wilhelm Heinrich Riehl, welcher bereits unmittelbar nach der Revolution gefolgert hatte: “In den socialen Krisen unserer Tage hat der Bauer eine wichtigere Rolle gespielt, als die meisten ahnen, (..). Nur die Passivität des Bauern hat im März 1848 die deutschen Throne gerettet.(..). Ein Agitator, welcher der Bauern sich zu bemächtigen verstünde, würde erst ein wirklich fürchtenswerther Agitator sein, er hätte die wirkliche Majorität des Volkes auf seiner Seite, nicht bloß der Kopfzahl nach, sondern auch nach der materiellen und moralischen Macht”.4 Besondere Beachtung fand vor allem die These Riehls von der Passivität der Bauern. Diese hätte es den bürgerlichen und aristokratischen Protagonisten gestattet, den Kampf unter sich, an der eigentlichen Mehrheit der Bevölkerung vorbei, auszutragen. Es steckte in den Äußerungen Riehls jedoch auch einiges Weiterführende. So ging er zwar von einer Führungsbedürftigkeit der Landbevölkerung aus, trug aber immerhin ihrem grundsätzlichen gesellschaftlichen Gewicht Rechnung. Folgen wir diesem letzten Teil seines Ansatzes, dann musste sich 1848 die Waagschale zwischen Revolution und Reaktion zwangsläufig derjenigen Seite zuneigen, welche die Landbevölkerung oder zumindest deren Großteil für die eigenen Ziele zu gewinnen verstand 5. Hieraus ergibt sich wiederum die Frage, ob der Einfluss der Landbevölkerung auf den Verlauf der Revolution tatsächlich gering gewesen sein kann. Insbesondere, wenn die Landbevölkerung nicht nur passiv war, sondern aktiv Stellung bezog, spezifische Forderungen entwickelte und deren Verwirklichung betrieb, ergab sich angesichts der zahlenmäßigen Stärkeverhältnisse viel stärker für die anderen gesellschaftlichen Gruppen die Notwendigkeit, sich den Forderungen der Landbevölkerung anzuschließen, anstatt umgekehrt. Jede Politik, welche sich klar definierten ländlichen Massenforderungen entgegenstellte oder diesen nicht in ausreichender Weise Rechnung trug, musste dann geradezu scheitern. Diese Folgerung ist wiederum nur unter der Voraussetzung schlüssig, dass es Mitte des 19. Jahrhunderts gemeinsame Ziele der Landbevölkerung gab. Für die Provinz Sachsen kann dies angesichts der regional unterschiedlich weit fortgeschrittenen Differenzierung der ländlichen Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse nicht pauschal vorausgesetzt werden. Um die Bedeutung der Landbevölkerung für den Verlauf der Revolution von 1848/49 zu bestimmen, ist also die Betrachtung der individuellen sozialen Verhältnisse notwendig sowie die Klärung der Frage, ob diese innerhalb der ländlichen Bevölkerungsgruppen zur Entstehung revolutionärer Zielsetzungen und Methoden oder lediglich zu Reformbestrebungen innerhalb des vorgegebenen politischen und ökonomischen Herrschaftssystems führten. Sowohl für die demokratische als auch für die marxistische Geschichtsschreibung in Deutschland stand stets fest, dass die Revolution von 1848/49 gescheitert ist. Beide Seiten sahen in ihrem Scheitern etwas prinzipiell Bedauernswertes, eine Art verpasste Chance. Dementsprechend betrachteten beide Seiten den unbefriedigenden Verlauf der Revolution auch als ausschlaggebend für die weitere gesellschaftliche und staatliche Entwicklung Deutschlands 6. 4 Riehl, Wilhelm Heinrich, “Der deutsche Bauer und der moderne Staat”, in: Dt. Vierteljahresschrift,Jg.1850, 3.H. S. 67-130, hier : S. 67f. Eine Differenzierung zwischen bäuerlicher und unterbäuerlicher Bevölkerung erfolgt bei Riehl nicht. Er diagnostiziert für beide Gruppen Passivität. 5 Siehe vgl. hierzu Düwel, A., a.a.O., S. 13. 6 Vgl hierzu u.a. Bleiber, Helmut, “Bauern und Landarbeiter in der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 in Deutschland”, in: ZfG 17, H. 3, (1969), S. 289-309. Hier : S.308 f. : “Der Klassenkompromiß zwischen Junkern und Bourgeoisie (...) und die damit zusammenhängende Konservierung altpreußischmilitaristischer und bürokratischer Züge im gesellschaftlichen Leben Deutschlands erleichterten im 20. Jh. den imperialistischen Kräften ihre aggressive und antidemokratische Politik im Innern wie nach außen, ohne sie freilich ursächlich zu bestimmen, wie fälschlich von vielen liberalen Historikern behauptet wurde und wird. (...). Die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848/49 wird als Höhepunkt der deutschen Geschichte zwischen 8 Hieraus wird verständlich, warum in der Zeit der Systemkonkurrenz der Frage nach der spezifischen Schuld einer bestimmten Gesellschaftsgruppe am Scheitern der Revolution so viel Beachtung geschenkt wurde. Die Folge war, dass sich ideologisch fundierte und politisch intendierte Revolutionsdeutungen etablieren konnten 7, welche nicht nur einen höchst fragwürdigen Streit um das historische Erbe von 1848 einleiteten, sondern - insbesondere innerhalb der bürgerlichen Geschichtsschreibung - auch eine kritische Einbeziehung der Landbevölkerung in diesen Kontext verhinderten 8. Die DDR-Forschung ging auf diesem Gebiet insgesamt gesehen wesentlich engagierter vor. Durch die Herausstellung der revolutionären Komponente und den Nachweis zahlreicher ländlicher Aufstandsbewegungen bezog sie eine Gegenposition zur klassischen bürgerlichen Lehrmeinung, welche die Landbevölkerung über weite Strecken als einheitlich reaktionäre oder rein passive Größe wahrgenommen hatte 9. Obwohl die ostdeutschen Historiker damit dem großen Bauernkrieg von 1525 und der Novemberrevolution von 1918 auch künftig bevorzugter Gegenstand marxistischer Geschichtsschreibung sein”.Vgl. dazu Mommsen, Wilhelm, “Größe und Versagen des deutschen Bürgertums. Ein Beitrag zur Geschichte der Jahre 1848-1849”, Stuttgart 1949, S. 129 : “Rückblickend ist der Gedanke sehr verführerisch, daß schon 1848 deutsche Demokratie hätte siegen können, wenn die Revolution vom März nicht abgebremst, sondern durchgekämpft worden wäre, und dann eine demokratische Republik aus einer echten nationalen Volkserhebung, nicht wie siebzig Jahre später, aus einer Niederlage erwachsen wäre”. 7 Zwei besonders bezeichnende Aspekte mögen die Systemkonkurrenz auf historiographischem Gebiet verdeutlichen : Ein “Zentraler Forschungsplan der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften der DDR bis 1975” machte es den ostdeutschen Historikern in Bezug auf die Revolution von 1848/49 ganz offiziell zur Auflage, ihre Beiträge darauf auszurichten, dass die DDR als “rechtmäßiger Erbe aller revolutionären, fortschrittlichen und humanistischen Traditionen der deutschen Geschichte” erscheint. Wesentlich informeller, aber aus ähnlichen Beweggründen, betrieb im Jahre 1974 der damalige Bundespräsident Heinemann die Errichtung der “Erinnerungsstätte Rastatt”, in welcher dem “demokratischen Erbe der BRD eine lebendige Stätte der Anschauung und Begegnung” geschaffen werden sollte. Siehe hierzu ausführlich bei Langewiesche, Dieter (Hg.), “Die Deutsche Revolution von 1848/49”, Wege der Forschung Bd.CLXIV, Darmstadt 1983, S. 1-18 (Einleitung, von Dieter Langewiesche), hier : S.8. 8 Siehe dazu auch Schildt, “Landbevölkerung und Revolution”, a.a.O., S. 291. Schildt erklärt die auffällige diesbezügliche Abstinenz bundesrepublikanischer Historiker dagegen mit dem “ereignis- und geistesgeschichtlichen Forschungsinteresse der Vergangenheit” und dem “lange erschwerten Zugang zu den preußischen Archiven”. 9 Einen guten Überblick der jeweiligen Positionen und Motivationen in Bezug auf die Revolution als ganzes bieten v.a. Bleiber, Helmut, “Die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848/49 in Deutschland in der bürgerlichen Geschichtsschreibung der BRD”, in: Ders. (Hg.), “Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung in Deutschland 1789-1871. Festschrift für Karl Obermann zum 70. Geburtstag”, Berlin (Ost) 1977, S. 193-227, sowie : Dorpalen, Andreas, “Die Revolution von 1848/49 in der Geschichtsschreibung der DDR”, in: HZ 210 (1970) S. 324-368. Die wichtigsten speziellen Untersuchungen zur Landbevölkerung von DDR-Historikern sind : Kossok, Manfred, “Bemerkungen zum Verhältnis von Agrarstruktur, Agrarbewegung und bürgerlichem Revolutionszyklus”, in: Kossok, Manfred u. Loch,Werner, (Hgg.), “Bauern und Bürgerliche Revolution”, Vaduz 1985, S. 13-35. Unter dem gleichen Titel bereits erschienen in: ZfG 28 (1980) S. 1039-1059. / Bleiber, Helmut u. Schmidt, Walter, “Deutsche Bauernbewegungen und Bürgerliche Umwälzung zwischen 1789 und 1871”, in: Kossok/Loch, ”Bauern und Bürgerliche Revolution”, a.a.O., S 87-112. / Ders., “Zum Anteil der Landarbeiter an den Bewegungen der Dorfbevölkerung in der deutschen Revolution 1848/49”, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1975) 4, S. 65-81. Ders. , “Bauern und Landarbeiter in der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 in Deutschland”, in: ZfG 17 (1969) H. 3, S. 289-309. Ders., “Die deutschen Bauernbewegungen im Spannungsfeld zwischen Reform und Revolution während der bürgerlichen Umwälzung 1789 bis 1871”, in: ZfG 28 (1980) S. 1080-1095. / Heitz, Gerhard u. Vogler, Günter, “Agrarfrage, bäuerlicher Klassenkampf und Bürgerliche Revolution in der Übergangsepoche vom Feudalismus zum Kapitalismus”, in: Kossok/Loch, a.a.O., S. 43-62. / Soboul, Albert, “Bauernfrage und Bürgerliche Revolution”, in: Kossok/Loch, a.a.O., S. 63-70. / Zeise, Roland, “Der Kampf um die Mobilisierung der Landbevölkerung in Sachsen im Frühjahr 1848”, in: Sächsische Heimatblätter, Dresden 1966, H. 5, S. 429-444. Ders. ,”Bauern und Demokraten 1848/49. Zur antifeudalen Bewegung der sächsischen Landbevölkerung in der Revolution vom Sommer 1848 bis zum Vorabend des Dresdner Maiaufstandes”, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte, IV. Bd., Weimar 1972, S. 148-178. Ders., “Das Verhältnis der antifeudalen Volksmassen auf dem Lande zur kleinbürgerlichen Demokratie in der Revolution von 1848/49 in Sachsen”, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Dresden, H. 1, (1969), S. 15-21. Ders. ,”Zur Rolle der Bauern in der Bürgerlich-Demokratischen Revolution 1848/49”, in: Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde, Berlin (Ost) 1968, H. 9, S. 785-793. / Becker, Gerhard, “Antifeudale Petitionen preußischer Bauern vom März 1848”, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG), XVI. Jg. (1968) H.2, S. 9 das Gesamtbild um eine wichtige Facette ergänzten, wurde der wissenschaftliche Erkenntniswert ihrer Darstellungen allzu oft durch das Odium der politisch-ideologischen Prärogative beeinträchtigt oder sogar aufgehoben 10. Da wissenschaftliche Methode und Forschungsziel im Wesentlichen vorgegeben waren, verblieben auch kaum inhaltliche Spielräume, beschränkten sich die Unterschiede häufig auf stilistische Nuancen. Das Defizit der DDRForschung war fundamentaler Art. Die marxistische Geschichtsphilosophie erwies sich in der Praxis als zu steif und zu widerspruchsvoll, um der historischen Wirklichkeit gerecht zu werden. An dieser Unzulänglichkeit konnten auch die späteren Versuche ostdeutscher Historiker, durch die Infragestellung einst sakrosankter marxistischer Standpunkte die theoretische Verkrustung aufzubrechen, nichts Wesentliches ändern 11. So blieb dort im Großen und Ganzen alles beim Alten. Getreu der Marxschen Theorie hatte die Landbevölkerung der Bourgeoisie die “Armee zum Schlagen” zu stellen, damit diese ihre historische Mission, den Sturz des Feudalismus und die Errichtung der eigenen politischen und wirtschaftlichen Herrschaft, erfüllen konnte 12. Da die bürgerliche Herrschaft nach Marx keinen Endzustand, sondern nur eine notwendige Zwischenstufe auf dem Weg zur proletarischen Revolution darstellte, hätte die Bourgeoisie mit der Entmachtung des Feudaladels also langfristig lediglich den Weg für ihren eigenen Untergang geebnet 13. Genau diese ihm von 182-198. Ders. u. Hoffmann, Jürgen,(Hgg.) “Proteste gegen die Rückberufung des Prinzen von Preußen”, in: ZfG 23 (1985),S. 795-820. / Schaaf, Fritz, “Der Kampf der deutschen Arbeiterbewegung um die Landarbeiter und werktätigen Bauern, 1848-1890”, Berlin (Ost) 1962. / Schmidt, Walter, “Kommunisten, Arbeiterklasse und Bauern in der Revolution von 1848/49. Zur Stellung von Marx und Engels zur Bauernfrage”, in: Brendler, Gerhard u. Laube, Adolf (Hgg.), “Der deutsche Bauernkrieg 1524/25. Geschichte-Traditionen-Lehren”, Berlin (Ost) 1977, S. 349-361. 10 Siehe dazu u.a. Schildt, “Landbevölkerung und Revolution”, a.a.O., S. 292 f. So wurden teilweise konservative Adressen von Landbevölkerung geflissentlich verschwiegen, wie Schildt am Beispiel des Vorwortes der Dokumentation “Proteste gegen die Rückberufung des Prinzen von Preußen”, herausgg. Von Gerhard Becker und Jürgen Hoffmann, a.a.O., nachweist. 11 Was etwa die Bewertung des “Preußischen Weges” als solchem sowie dessen Auswirkungen auf das politische Verhalten der bäuerlichen Landbevölkerung betraf, näherten sich im Laufe der Achtziger Jahre Teile der DDR-Forschung und der jüngeren bundesdeutschen inhaltlich deutlich an. Siehe dazu Manfred Kossoks, “Bemerkungen zum Verhältnis von Agrarstruktur, Agrarbewegung und bürgerlichem Revolutionszyklus”, a.a.O., S. 27 : “Tatsächlich kann es nicht darum gehen, jede Volksbewegung (...) für den Fortschritt zu reklamieren. Die Geschichte vollzieht sich konkret und widersprüchlich”, sowie S. 30 : “Eine ganz Europa und (...) Lateinamerika und Asien einschließende komparative Betrachtung läßt erkennen, daß der “preußische Weg” zweifellos die Hauptvariante der (...) Agrarumwälzung darstellt”. Auch sah Kossok keineswegs mehr “ein automatisches Junktim” zwischen “dem Grad (...) feudaler Ausbeutung und dem sozialen Radikalismus” (ebda., S. 32). Ebenfalls neu war die Feststellung daß “kein eigentlicher “Landhunger” existierte”, außer bei der “Dorfarmut”, deren Interessen jedoch 1848/49 keine besondere Rolle gespielt hätten (Ebda. S. 33). Besonders deutlich wird ausgerechnet Bleiber, ”Deutsche Bauernbewegungen und Bürgerliche Umwälzung zwischen 1789 und 1871”, a.a.O., S.98: “(...) der (...) preußische Weg (...), war prinzipiell ein möglicher Weg für die Bauernschaft. (...) Aber mochte diese Befreiung (...) auch teuer erkauft sein, so blieb sie doch eine Befreiung, die für den einzelnen Bauern, (...), einen Fortschritt darstellte” (S. 108). Auf S. 111 konzediert Bleiber gar: “Unbestreitbar war (...) der Gegensatz der Bauernschaft zu den Guts- bzw. Grundherren (zum Zeitpunkt der Revolution von 1848) wenn nicht aufgehoben, so doch entschärft”. Im Gegensatz zur bisher sakrosankten Marxschen Verelendungstheorie, verzeichnete Bleiber also objektive Verbesserung der sozialen Lage, zumindest für einen Teil der Landbevölkerung unter kapitalistischen Bedingungen. Damit nicht genug, kritisierte er Marx und Engels sogar direkt, indem er deren Behauptung, dass 1789 in Frankreich die dortige Ständeversammlung dem “Feudalismus mit einem Federstrich den Garaus gemacht hätte”, bescheinigt, dass sie “den historischen Tatsachen nicht stand(halte)”. Siehe ebda. 12 Idealtypisch formuliert wurde das dialektische Verhältnis beider “Klassen” u.a. bei Bleiber / Schmidt, “Die deutschen Bauernbewegungen im Spannungsfeld zwischen Reform und Revolution (...)”, a.a.O., S. 1080 : “Beide Kräfte sind aufeinander angewiesen. Die Bauernschaft stellt der Bourgeoisie die “Armee zum Schlagen”. Die Bourgeoisie aber vermag allein der (...) bäuerlichen Bewegung (...) Zielgerichtetheit zu verleihen und so ihre geschichtsbildende Potenz voll zur Geltung zu bringen”. 13 Siehe dazu u.a. die berühmt-berüchtigte diesbezügliche Formulierung von Friedrich Engels : “Kämpft also nur mutig fort, ihr gnädigen Herren vom Kapital! Zum Lohn dafür sollt ihr eine kurze Zeit herrschen (...)”, in: 10 Marx zugedachte historische Mission erfüllte das Bürgertum 1848 jedoch nicht, womit es sich in seinen sowie den Augen der DDR-Forschung des Verrats an der Revolution schuldig machte 14. Aber auch die Landbewohner nahmen die Rolle, welche ihnen Marx und Engels in der Revolution zugedacht hatten, nicht an. Um “Armee zum Schlagen” im Dienste der Bourgeoisie sein zu können, hätte es nicht nur eine sozial homogenere Landbevölkerung, sondern vor allem Ziele erfordert, die mit denen des Bürgertums übereinstimmten 15. Dieses Dilemma konnte die DDR-Forschung nur dadurch teilweise lösen, indem sie Ansätze der westddeutschen Forschung übernahm und nun ebenfalls das Vorhandensein starker konterrevolutionärer Tendenzen zumindest bei den Bauern konzedierte 16. Die bundesdeutsche Forschung bezog seit Beginn der achtziger Jahre den Faktor Landbevölkerung stärker in die Erforschung der Revolution von 1848/49 ein 17. Am deutlichsten formuMEW, Bd. 4, Berlin (Ost) 1972, S. 520 f.. Siehe vgl. dazu bei Schildt, ”Landbevölkerung und Revolution”, a.a.O., S. 292, der unter Verweis auf Bleiber, (“Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung”, in: ZfG 25 (1977), S. 305-332, hier: S. 315) feststellt, dass die Auffassungen über die “Mission” des Bürgertums innerhalb der marxistischen Forschung differierten. 14 Siehe hierzu v.a. Dorpalen, “Die Revolution von 1848 in der Geschichtsschreibung der DDR”, a.a.O., S.329 ff.. Dorpalen sieht den Hauptwiderspruch der DDR-Forschung in der Unvereinbarkeit der “Mission” mit den objektiven Selbsterhaltungsinteressen des Bürgertums. Dabei geht er davon aus, dass das Bürgertum bereits hinsichtlich der Gefahr, die eine völlige Entmachtung der alten herrschenden Klasse für die eigene Position bedeuten würde, sensibilisiert war. Allerdings belegt er diese Vermutung nicht. 15 Siehe dazu u.a. Hardach, Gerd, “Klassen und Schichten in Deutschland 1848-1970. Probleme einer historischen Strukturanalyse”, in: Geschichte und Gesellschaft (GG) 3, (1977), S. 503-524, Schildt, Gerhard, “Tagelöhner, Gesellen, Arbeiter. Sozialgeschichte der industriellen und vorindustriellen Arbeiter in Braunschweig 1830-1880”, Stuttgart 1986. Schildt kommt hier zu Ergebnissen, von denen einige auch für die Landbevölkerung der Provinz Sachsen interessant, teilweise sogar übertragbar sind. So waren etwa die strukturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse Braunschweigs denen im nördlichsten Regierungsbezirk Magdeburg ähnlich. Dies trifft jedoch nicht für die beiden übrigen Regierungsbezirke der Provinz Sachsen, insbesondere den Regierungsbezirk Erfurt, zu, wo die Verhältnisse sich von denen Magdeburgs völlig unterschieden. Siehe ebenfalls Sauermann, Dietmar, “Das Verhältnis von Bauernfamilie und Gesinde in Westfalen”, in: NJb 50 (1978), S. 27-44. Speziell für die Provinz Sachsen liegen ausschließlich Darstellungen ostdeutscher Historikern vor. Siehe hiervon insbesondere Rach, Hans-Jürgen, Weissel, Bernhard (Hgg.), ”Bauer und Landarbeiter im Kapitalismus in der Magdeburger Börde. Zur Geschichte des dörflichen Alltags vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts”, Berlin 1982, sowie Rach, H.-J., “Gedanken zur Ausgestaltung eines Programms volkskundlicher Erforschung des Proletariats dargestellt an Ergebnissen und Erfahrungen in der Magdeburger Börde”, in: Zwahr, Helmut (Hg.), “Die Konstituierung der deutschen Arbeiterklasse von den 30er bis zu den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts”, Berlin (Ost) 1981, S. 183-195. Darüberhinaus verdienen auch die älteren Darstellungen nach wie vor Beachtung. Siehe dazu u.a. Lengerke, Alexander von, “Die ländliche Arbeiterfrage. Beantwortet durch die dem königlich preußischen Landes-Oeconomie-Collegium aus allen Gegenden der Preußischen Monarchie eingegangenen Berichte Landwirtschaftlicher Vereine über die materiellen Zustände der arbeitenden Klassen auf dem Lande”, Berlin 1849 sowie die die Lengerkeschen Untersuchungen fortführenden Mitteilungen des Statistischen Büros. 16 Siehe dazu exemplarisch Kossok, Manfred, “Bemerkungen zum Verhältnis von Agrarstruktur, Agrarbewegung und bürgerlichem Revolutionszyklus”, a.a.O., S. 1059 : “Für die revolutionäre Aktionsfähigkeit und die perspektivische Funktion der Bauern als Haupttriebkraft der herannahenden Umwälzungen gewannen die (...) schon errungenen Positionen (bäuerlicher Eigenbesitz) eine entscheidende Bedeutung”. Und schließlich, immer noch sehr vorsichtig formuliert, auf S. 1042 : “Unter den Bedingungen einer bereits im Vollzug befindlichen Agrarrevolution ließ sich die (sozial zunehmend differenzierte) Bauernschaft nicht mehr von der Bourgeoisie in toto als “Armee zum Schlagen” vereinnahmen”. 17 Siehe hierzu als frühestes Beispiel eines überregionalen Ansatzes : Koch, Rainer, “Die Agrarrevolution in Deutschland 1848. Ursachen-Verlauf-Ergebnisse”, in: Langewiesche, Dieter, (Hg.), “Die Deutsche Revolution von 1848/49”, Darmstadt 1983, S. 362-395. Es überwiegen jedoch Regionaluntersuchungen. Siehe hierzu u.a.: Mooser, Josef, “Rebellion und Loyalität 1789-1848. Sozialstruktur, Sozialer Protest und politisches Verhalten ländlicher Unterschichten im östlichen Westfalen”, in: Steinbach, Peter, (Hg.), “Probleme politischer Partizipation im Modernisierungsprozeß”, Berlin 1982, S. 57-87. Ders., “Religion und Sozialer Protest. Erweckungsbewegung und ländliche Unterschichten im Vormärz am Beispiel von Minden-Ravensberg”, in: Volkmann, Heinrich / Bergmann, Jürgen (Hgg.) , “Sozialer Protest. Studien zu traditioneller Renitenz und kollektiver Gewalt in 11 lierte Rainer Koch den Wandel in der Betrachtungsweise, als er im Jahre 1983 explizit auf die “strategische politische, ökonomische und demographische Position der ländlichen Bevölkerung und der landwirtschaftlichen Urproduktion” verwies 18. Im Gegensatz zur bisher vorherrschenden Sichtweise bezeichnete Koch das Verhalten der Landbevölkerung als ausschlaggebend für Erfolg oder Niederlage der Revolution 19. Demnach hätte ein Bündnis von “Demokratie und Bauer” der Revolution zum Sieg verhelfen können. Stattdessen vollzog sich laut Koch ein solches zwischen Bauern und Aristokratie, nachdem sich durch die Abschaffung der Privilegien des Landadels zwischen beiden Gruppen eine “neue gemeinsame Interessenlage gegenüber der ärmeren Landbevölkerung” ergeben hatte 20. Konsequenterweise entDeutschland vom Vormärz bis zur Reichsgründung”, Opladen 1984, S. 304-324. Parisius, Bernhard, “Daß die liebe alte Vorzeit wo möglich wieder hergestellt werde. Politische und soziokulturelle Reaktionen von oldenburgischen Landarbeitern auf ihrem sozialen Abstieg 1800-1845”, in: Volkmann/Bergmann, a.a.O., S. 198-211. 18 Koch, Rainer, “Die Agrarrevolution in Deutschland 1848”, a.a.O., S. 364. Koch verweist u.a, darauf, daß die Landwirtschaft auch in puncto Produktionszuwachs, (gemessen in Arbeitsleistung pro Arbeitskraft, zit.n. : Helling, Gertrud, “Berechnung eines Index der Agrarproduktion in Deutschland im 19. Jahrhundert”, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1965, H. IV, S. 125-151), die Eisenindustrie und den Steinkohlebergbau deutlich übertraf. Ebenfalls dazu : Meitzen, August, “Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des preußischen Staates nach dem Gebietsumfange von 1866”, 3 Bde., Berlin 1868-71, hier: Bd. 3, S. 444 ff. Meitzen schätzte den Kapitalwert sämtlicher ländlicher Liegenschaften auf insgesamt 6,0326 Milliarden Thlr., gegenüber nur 1,528 Milliarden städtischen Besitzes. Vom Gesamteinkommen der preußischen Bevölkerung, das Meitzen auf 1,2 Milliarden Thlr. schätzte, verteilten sich auf die insgesamt 2 Millionen ländlichen Nahrungen immerhin 660 Millionen Thlr. Ebenfalls dazu : Gropp, Volkmar, “Der Einfluß der Agrarreformen des beginnenden 19. Jahrhunderts in Ostpreußen auf Höhe und Zusammensetzung der preußischen Staatseinkünfte”, Berlin 1967, Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 9, Pruns, Herbert, “Staat und Agrarwirtschaft. Subjekte und Mittel der Agrarverfassung und Agrarverwaltung 1800-1865”, Hamburg/Berlin 1979, S. 53 ff. Zur Bevölkerungsstatistik siehe Dieterici, “Die statistischen Tabellen des preußischen Staats. Nach der amtlichen Aufnahme des Jahres 1843”, Berlin 1845, S. 28 ff., 157 f. Demnach lebten in den 979 Städten Preußens 4.263.413 Menschen, gegenüber 11.208.352 Landbewohnern. Zum Gesamtkomplex siehe Schissler, Hanna, “Preußische Agrargesellschaft im Wandel. Wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Transformationsprozesse von 1763 bis 1847”, (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 33) Göttingen 1978, S. 105 ff. 19 Vgl. hierzu u.a. Dipper, Christof, “Die Bauernbefreiung in Deutschland 1790-1850”, Stuttgart-Berlin-KölnMainz 1980, Schieder, Theodor, “Staatensystem als Vormacht der Welt 1848-1918”, Berlin 1979, S. 11-57, Kapitel “Europa und die Revolution von 1848” / Faber, Karl Georg, “Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Restauration und Revolution. Von 1815 bis 1851.”, Wiesbaden 1979, S. 192 ff., 208 ff. / Stuke, Horst / Forstmann, Wilfried, (Hgg.), “Die europäischen Revolutionen von 1848”, Königstein im Taunus 1979. Bereits die Kritik Thomas Nipperdeys an dem Versuch, die Verantwortung für das Scheitern der Revolution pauschal den bürgerlich-liberalen Kräften zuzuschieben, wies implizit auf die Bedeutung der Landbevölkerung hin (“Kritik oder Objektivität? Zur Beurteilung der Revolution von 1848”, in: “Ideen und Strukturen der deutschen Revolution von 1848”, Frankfurt a.M. 1974, S. 143-162, im Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, H. 42, wieder abgedruckt in Langewiesche, Dieter (Hg.), “Die deutsche Revolution von 1848/49”, a.a.O., S. 163 ff.) Koch vollzog eine eindeutige Abwendung von den Thesen Riehls, der zwar ebenfalls von der grundsätzlichen Wichtigkeit der Landbevölkerung ausgegangen war, allerdings auch von ihrer völligen Passivität und politischen Unwirksamkeit. Auch Langewiesche (a.a.O., S. 16 ff.) folgt noch teilweise dieser traditionellen Auffassung, wenn er vom Zusammenprall “traditioneller” (ländlicher) und “moderner” (bürgerlicher) Politikmuster spricht, an deren grundsätzlicher Unvereinbarkeit die Revolution gescheitert sei. Andererseits betont auch er (ebda., S. 18) die “in der Literatur oft unterschätzte Rolle der Agrarbewegungen für das Revolutionsgeschehen”. 20 Für Koch wurde das von ihm ausgemachte Bündnis zwischen Bauern und Adel damit zur “entscheidenden sozialgeschichtlichen Weichenstellung der 48er Revolution” (a.a.O., S. 393). So diagnostiziert er in Süddeutschland bereits für Anfang April 1848 eine Abkoppelung der bis dahin “die Revolution tragenden (...) bäuerlichen Volksmassen” von den demokratischen Kräften “durch den zügigen Rechtsverzicht der Standes- und Grundherren” (ebda., S. 384). Lediglich dort, wo dieser Verzicht verschleppt wurde, etwa in Kochs Beispielregion Nassau, hätte sich die Verbindung zwischen Bauern und Demokraten länger gehalten und hätten sich die bäuerlichen Forderungen radikalisiert. Was bei Koch hingegen noch weitgehend unberücksichtigt blieb, waren die selbstständigen Aktionen ländlicher Bevölkerung, die völlig ohne erkennbare Verbindung zu oder geistige Beeinflussung von bürgerlich-demokratischen Kräften abliefen, für welche es jedoch durchaus Beispiele gibt. Vgl. hierzu v.a. Gailus, Manfred, “Zur Politisierung der Landbevölkerung in der Märzbewegung von 1848”, in: Steinbach, Peter (Hg.), “Probleme politischer Partizipation im Modernisierungsprozeß”, Stuttgart 1982, S. 88114, hier: S. 104 f. Dort verweist Gailus auf einen solchen Vorfall im Großherzogtum Sachsen-WeimarEisenach, des mit 259.921 Einwohnern größten der thüringischen Kleinstaaten. Dort gingen die Landbewohner 12 schied daher für Koch auch kein irgendwie gearteter “Verrat” des Bürgertums, sondern die fehlende Bereitschaft der Bauern, sich über ihre exklusiven wirtschaftlichen Interessen hinaus politisch und sozial zu engagieren, über das Schicksal der Revolution von 1848/49 21. Über diesen Punkt ist die bundesdeutsche Geschichtsschreibung bis heute nicht wesentlich hinausgelangt, allerdings dominiert mittlerweile die These, dass die strukturelle Überlegenheit der konservativen Kräfte, denen auch die Landbevölkerung zugerechnet wird, für den Verlauf der Revolution ausschlaggebend war 22. Über die Beweggründe, die das politische Verhalten der Landbewohner in der Anfangsphase der Revolution bestimmten, sagte auch Koch hingegen wenig Neues. So führte er die Bereitschaft breiter ländlicher Bevölkerungsteile zu revolutionären Massenaktionen im März und April 1848 in erster Linie auf “die schlechten Ernten 1846/47” zurück, durch welche die “Diskrepanz” zwischen festgeschriebenen Belastungen einerseits und den stark schwankenden Ernteerträgen andererseits besonders offenkundig geworden sei und die vor allem in Gegenden, wo ohnehin bereits die Praxis “ruinöser Realteilungen” herrschte, zu zahlreichen Konkursen geführt hätten 23. Neuere Untersuchungen haben diese Einschätzung weitgehend widerlegt. Zwar waren die Ernten 1845 und insbesondere 1846 tatsächlich allgemein schlecht ausgefallen, jedoch fiel bereits die 1847er Ernte wieder ausgesprochen gut aus, teilweise wurnicht nur selbständig gegen die Repräsentanten des alten Systems vor, sondern fanden hierbei sogar “das ansässige Bürgertum und Kleinbürgertum (...) um den bedrängten Großherzog und sein System geschart”, also auf der Gegenseite, vor. 21 Koch, a.a.O., S. 392. Größtenteils unklar bleibt bei ihm die Bedeutung der unterbäuerlichen Schichten im ländlich-revolutionären Kontext. Die traditionelle Lehrmeinung, v.a. vertreten von Günther Franz (“Die agrarische Bewegung im Jahre 1848”,in: ZAA 7 (1959), S. 176-193, hier S. 179) und Rudolf Stadelmann (“Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848”, Darmstadt 1962, S. 22ff.) betonten neben dem grundsätzlich “unpolitischen” Charakter der Agrarunruhen auch stets, dass sich die ländlichen Unterschichten an ihnen nicht beteiligt, sondern sich vielmehr ruhig und passiv verhalten hätten. Diese Sichtweise ist, zumindest in ihrer Ausschließlichkeit, durch die neuere Forschung eindeutig widerlegt. Vgl. dazu Gailus, Manfred, “Zur Politisierung der Landbevölkerung in der Märzbewegung von 1848”, a.a.O., S.88 f., 96 ff., wo mehrere Beispiele für eine aktive Beteiligung ländlicher Unterschichten an revolutionären Aktionen im nord- und mitteldeutschen Raum sowie in Schlesien aufgeführt werden. Siehe dazu Bleiber, “Bauern und Landarbeiter in der bürgerlichdemokratischen Revolution von 1848/49 in Deutschland”, a.a.O., S. 300, 307 / Hübner, Hans, ”Die mecklenburgischen Landarbeiter in der Revolution von 1848/49”, in: BzG (1968), H. 5, S. 858-875 / Zeise, Roland, “Zur Rolle der Bauern in der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 in Deutschland”, in: Geschichte und Staatsbürgerkunde (1968), H. 10, S. 785-793. Im Gegensatz dazu siehe v.a. Schildt, Gerhard, “Tagelöhner, Gesellen, Arbeiter.”, a.a.O., S. 107 ff., wo anhand zahlreicher Quellen eine ausgewiesen gegenrevolutionäre politische Gesinnung der ländlichen Unterschichten nachgewiesen wird. Schildt geht davon aus, dass die Aktionen der ländlichen Unterschichten Ausfluss der Spannungen innerhalb der ländlichen Gesellschaft selbst waren : “Es war nicht der Staat, dem die Häuslinge feindlich gegenüberstanden, sondern es waren die Bauern, die sie haßten” (Ebda., S.91). Dementsprechend seien die unterbäuerlichen Schichten zwar vielfach sozialrevolutionär (“Schrei nach Land”, ebda., S. 114), politisch jedoch gegenrevolutionär eingestellt gewesen, standen den “liberalen, bürgerlichen Forderungen (...) nicht nur fremd, (...) sogar eher feindselig gegenüber” (ebda., S. 107). 22 Siehe hierzu von den neueren Beiträgen bei Dipper, Christof, “Rebellion auf dem flachen Land”, in: Damals, Das aktuelle Magazin für Geschichte und Kultur, Januar 1998, S. 38-41. Dort heißt es immerhin: “Das Dorf hat die Aufstände überhaupt erst zur Revolution werden lassen, jedenfalls in Teilen Deutschlands” (S. 41). Ebenfalls dazu bei Tullner, M., “Die Revolution von 1848/49 in Sachsen-Anhalt, Halle 1998, ders., “Entstehung und Formierung sozialer und politischer Interessengruppen im Vormärz und in der preußischen Revolution von 1848/49 in der preußischen Provinz Sachsen, in: Sachsen-Anhalt: Beiträge zur Landesgeschichte, Halle 1998, H.12, S.7-42. Für die These der strukturellen konservativen Überlegenheit sprechen besonders Schildt, G., “Landbevölkerung und Revolution. Zur Ursache für die Niederlage der Revolution von 1848 in Preußen”, a.a.O., und Düwel, A., “Sozialrevolutionärer Protest und konservative Gesinnung (...)”, a.a.O., S. 13, 235 ff. 23 Die These von der “Hungerrevolution” ist alt, die Bedeutung der Missernten für die revolutionäre Aktionsbereitschaft innerhalb der Landbevölkerung des Jahres 1848 häufig herausgestrichen worden, vgl. dazu u.a. Abel, Wilhelm, “Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch einer Synopsis”, Hamburg und Berlin 1974. Warum Koch sie bemüht, bleibt unklar, da ihm z.B. die Erkenntnisse Bergmanns, der ein Ende der Versorgungskrise bereits für 1847 nachweist, bekannt waren. Siehe Bergmann, Jürgen, “Ökonomische Voraussetzungen der Revolution von 1848. Zur Krise von 1845 bis 1848 in Deutschland”, in: Wehler, H.U. (Hg.), “200 Jahre amerikanische Revolution und moderne Revolutionsforschung”, Göttingen 1976, S. 254-288. 13 den sogar Rekorderträge erzielt. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den vorangegangenen Missernten und den 1848er Ereignissen ist somit nicht nachweisbar 24. Breite Anerkennung genießt dagegen die These, dass es vor allem die Verzögerung historisch überfälliger Reformen auf dem Agrarsektor gewesen sei, welche die Landbevölkerung der betroffenen Regionen zu revolutionären Aktionen veranlasst habe 25. Ob es sich hierbei aber tatsächlich um eine auf sämtliche Aufstandsgebiete übertragbare Gesetzmäßigkeit handelt, ist angesichts der erheblichen Lücken in der Erforschung der deutschen Landbevölkerung während der Revolution von 1848/49 fraglich. Auch hat innerhalb der bundesdeutschen Forschung die These, dass ein zwingender kausaler Nexus zwischen ausgebliebener Agrarreform einerseits und revolutionärer Aktionsbereitschaft andererseits bestehe, aus gutem Grund nie Fuß fassen können 26. Offensichtlich waren für das politische Verhalten der Landbewohner neben der unmittelbaren Versorgungssituation und dem jeweiligen Grad der Bauernbefreiung noch andere Faktoren maßgeblich. Hierzu machte Gerhard Schildt die für Preußen interessante Entdeckung, dass es sich 1848 bei den “königstreuen” Gebieten um “altpreußische”, vorwiegend protestantische gehandelt habe, wogegen die weniger loyalen Provinzen “in hohem Maße katholisch” gewesen seien und auch erst seit relativ kurzer Zeit zu Preußen gehörten 27. Dieser Sichtweise zufolge lag in den erstgenannten Gebieten eine gewisse traditionelle Anhänglichkeit an die Dynastie der Hohenzollern vor, während dieser integrative Faktor in den neuen Provinzen noch fehlte. Stattdessen begann sich dort ein “politischer Katholizismus” herauszubilden, der zwar prinzipiell revolutionsfeindlich, von seinem traditonellen und kulturellen Selbstverständnis her jedoch gleichzeitig auch antipreußisch war 28. Obwohl dieser Ansatz in besonderer Weise den Verhältnissen des strukturell heterogenen preußischen Staates Rechnung trägt, ist er innerhalb der Forschung bisher nicht sonderlich vertieft worden. Für die Betrachtung der Landbevölkerung in der Provinz Sachsen soll dies versucht werden. 24 Laut Gerhard Schildt (“Tagelöhner, Gesellen, Arbeiter”, a.a.O., S. 111) herrschte zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Revolution eine “relativ gute Ernährungslage”, so dass die schlechten Ernten 1845/46 allenfalls noch “psychologisch nachgewirkt” haben könnten. Auch das Preisgefüge hatte sich bereits wieder normalisiert, so dass auch “die wirtschaftliche Lage der untersten Volksschichten bis zur Ernte von 1848 günstig” gewesen sei. Die Tatsache, dass die “Revolution der Schubkraft elementarer Not entbehrte” sei jedoch bisher “in der Forschung kaum angesprochen worden”. Grundsätzlich sind hierbei regionale Spezifika zu beachten sowie die Aussage Werner Conzes, dass ein Großteil der Bevölkerung knapp, ja dürftig und in Krisenzeiten elend und gefährlich” gelebt habe, was sicherlich auch für die Masse der Landbewohner zutraf. Siehe Conze, Werner, “Vom “Pöbel” zum “Proletariat”, in: VSWG 41 (1954), S. 333-364, hier: S. 347. Es ist demnach weniger die akute Krise vor 1848, sondern vielmehr die chronische Notlage des Pauperismus, die in diesem Zusammenhang Beachtung verdient. 25 Siehe u.a. Gailus, Manfred, “Zur Politisierung ...”, a.a.O., S. 89. Zumindest für die bäuerlichen Aktionen im süddeutschen Raum wird das i.a. angenommen, insbesondere im Odenwaldgebiet ist ein solcher Zusammenhang evident. 26 Im Gegensatz zur marxistischen Forschung, die einen solchen immer betonte, siehe hierzu u.a. Bleiber, “Bauern und Landarbeiter ...”, a.a.O., S. 293 ff. Bereits Stadelmann belegte am Beispiel Schlesiens, dass auch unter völlig unbefriedigenden sozialen und agrarrechtlichen Verhältnissen lebende Landbewohner keineswegs automatisch zu Aktivposten der Revolution wurden, siehe Stadelmann, Rudolf, “Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848”, a.a.O., S. 26. Vgl. hierzu Schildt, Gerhard, “Landbevölkerung und Revolution”, a.a.O., S. 299. Unter Verweis auf einen Artikel der Kölnischen Zeitung vom 13.04.1848, der sich auf den Stand der Agrarreformen in der Provinz Sachsen bezieht, macht Schildt darauf aufmerksam, dass “die bäuerlichen Gravamina in den königstreuen Provinzen in nicht viel geringerem Maße bestanden” hätten, als dies in den aufständischen der Fall war. 27 Siehe Schildt, “Landbevölkerung und Revolution”, a.a.O., S. 299 f. Als “konservativ” veranschlagte Schildt die Landbevölkerung in den Provinzen Preußen, Pommern, Brandenburg und in den altpreußischen Teilen der Provinz Sachsen, wogegen es in Schlesien, Westfalen und den thüringischen Teilen der Provinz Sachsen weniger ruhig zugegangen sei. 28 Ebda., S. 299. verweist Schildt auf den “Mischehenstreit” zwischen katholischer Kirche und preußischem Staat und bezeichnet diesen sogar als “Vorspiel des Kulturkampfes”. 14