NETZWERK
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Dezember 1999 Rundbrief NETZWERK für örtliche und regionale Familienpolitik Bauen und Wohnen von und für Familien Kundenorientiertes Management in den Kommunen Dokumentation des Fachgesprächs am 16. November 1999 in Leipzig Zusammenstellung: Martina Kuhnt Elke Blume Michaela Michalowitz Eine Veranstaltung des Netzwerks für örtliche und regionale Familienpolitik im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung, Hannover mit Unterstützung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit und Familie, Dresden Dezember 1999 Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik Inhaltsverzeichnis S SSeite 4 Einführung 4 Wünsche von Familien an ihre Wohnung und ihr Wohnquartier 4 ORn Adelheid Braumann 3 Prof. Dr. Bernd Nentwig 4 Familiengerechtes Bauen und Wohnen Familien als Nutzer und Erhalter Michael Seibt 4 7 Die Kommune als Mittler und Bindeglied Wohnungspolitische Lösungsansätze der Stadt Görlitz Oswald Müller 4 10 Familienhof Leipzig - Connewitz Einführung in das Projekt Hella Wend Petra Löser Dr. Bertram Harendt 13 14 15 4 Wir machen mit! Familien im Familienhof Leipzig - Connewitz 4 Wohnungs- und Siedlungsplanung für und mit Familien 4 17 Dr. Dirk Heuwinkel 18 Rubriken Informationen / Broschüren Aktuelles aus dem Netzwerkbüro Impressum 23 24 24 Dank an die Unterstützer Vielen Dank an die finanziellen und ideellen Förderer des Netzwerks für örtliche und regionalen Familienpolitik - besonders das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und die beteiligten Länder Niedersachsen, Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen, Rheinland-Pfalz, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Brandenburg, Bremen, Saarland. oo Die hier abgedruckten Beiträge sind nahezu identisch mit den von den Autoren zur Verfügung gestellten Manuskripten. An einigen Stellen wurden sie aus den Tonbandaufzeichnungen ergänzt. Einige Texte sind aus den Tonbandaufzeichnungen transkribiert und z.T. erheblich überarbeitet. uuuu 2 Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik 4 Einführung ORn Adelheid Braumann Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin Wenn über Bauen und Wohnen von und für Familien diskutiert wird, muss gefragt werden: Wie sehen Familien heute aus? Welche Wünsche haben Familien an familiengerechtes Wohnen und was können wir gemeinsam tun, die Wohnsituation von Familien zu verbessern? Noch bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts war mit Familie das ganze Haus gemeint. Haushalten, Arbeiten und Wohnen - alles geschah in ein und derselben Umgebung in den gleichen Räumlichkeiten. Im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung kam es zwar mehr und mehr zur Entkopplung von Wohnen und Arbeiten, aber noch immer ist die Wohnung zentraler Punkt im Leben der Menschen geblieben. Sie bedeutet Schutz, Geborgenheit und Ruhe. Familien, als Mieter oder Eigentümer, bieten heutzutage kein einheitliches, sondern eher ein buntes und vielfältiges Bild. Heute gibt es nicht mehr nur die sogenannte Kernfamilie. Der demographische Wandel, der Wertewandel und die weitere Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Menschen haben eine Vielfalt von gesellschaftlichen Lebenslagen und Lebensverhältnissen entstehen lassen. Neben dem klassischen Familienmodell gibt es Alleinerziehende, Seniorenhaushalte, noch wenige Mehr-Generationen-Familien, dafür aber in größerer Zahl verschiedene Formen nichtehelicher Lebensgemeinschaften, die zusammen in einer Wohnung oder einem Haus leben. Wenn vom Wohnen die Rede ist, geht es um das Wie des Lebens. Bauen und Wohnen berühren die Wurzeln menschlicher Existenz. Sie haben etwas zu tun mit Menschenwürde und dem Recht auf Leben. Diese Worte stammen vom früheren Bischof der Diözese Rottenburg, Bischof Dr. Kasper. Trefflicher ist die Bedeutung der Wohnung - des Ortes, an dem sich das Familienleben abspielt - nicht auszudrükken. Mit der Bereitstellung einer ausreichend großen und bezahlbaren Wohnung wird ein entscheidender Beitrag zur Ermöglichung der Familiengründung, der Wahrnehmung von Familienaufgaben und der Möglichkeit des harmonischen Zusammenlebens von Jung und Alt geleistet. Besonders für Familien mit Kindern steht deshalb das Wohnen im Mittelpunkt. Wobei klar sein muss, wenn heute vom Wohnen gesprochen wird, ist nicht nur die Wohnung gemeint. Das Wohnumfeld ist für das Wohlbefinden der Familien genauso wichtig. Obwohl derzeit von einem zahlenmäßig ausreichenden Wohnungsangebot in Deutschland gesprochen werden kann, sehen sich noch immer Familien mit mehreren Kindern und allein erziehende Elternteile auf den Wohnungs- Dezember 1999 märkten einer strukturellen Wohnungsnot ausgesetzt. Hinzu kommt, dass noch immer zu wenig auf die Belange und Wünsche der Familien als potentielle Mieter oder als Eigentümer sowohl bei der Planung von Stadtvierteln, einzelner Wohnquartiere, als auch bei der Planung der Wohnungsgröße oder der Grundrisse der Wohnungen eingegangen wird. Die Nichtbeachtung der Belange von Familien und Nichteinbeziehung in das Planungs- und Gestaltungsgeschehen führt zur Fluktuation, zum Leerstand, zur Konzentration von Familien mit geringen Einkommen und/oder von Familien mit vielen Kindern, Arbeitslosen, d.h. von sozial Schwachen in einzelnen Wohnquartieren. Das erfahren insbesondere Wohnungsgesellschaften mit Wohnungsbeständen in Ballungsgebieten und auch die Kommunen selbst. Die Konzentration führt zur Stigmatisierung dieser Wohngebiete und der dort wohnenden Menschen. Die Ausgrenzung und Vereinsamung der Menschen in anonymen Baustrukturen wiederum führt zu Vandalismus, Gewalt und Kriminalität. Der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft (GdW) hat sich mit diesem Erscheinungsbild, das er mit Überforderte Nachbarschaften beschreibt, im letzten Jahr verstärkt beschäftigt und neben den Politikern aller Ebenen auch die Vermieter selbst zum Handeln aufgerufen. Eine familienorientierte Wohnungs- und Städtebaupolitik ist außerordentlich wichtig. Es muss uns darum gehen, dass dort, wo es Bedarf gibt, mehr bezahlbare Wohnungen entstehen, dass die Lebensqualität unserer Städte und Gemeinden nicht zu zerstört und die Wohnquartiere lebendig gestaltet werden. Der sozialen Entmischung muss entgegengewirkt werden. Dabei muss auf den verschiedenen Politikebenen, d.h. auf Bundes- Landes- und Kommunalebene der Ressortegoismus abgestellt werden. Als Beispiel für diesen neuen Denkansatz sei hier das in diesem Jahr vom Bundesbauministerium gestartete Modellprojekt Soziale Stadt genannt. Die Tatsache, dass das Nachwachsen von Kindern Grundbedingung der Bestandserhaltung der Gesellschaft und der Systeme der sozialen Sicherheit ist, muß jedem Einzelnen - egal ob auf der Ebene der Politik, der Wirtschaft oder im Verbandsleben - Ansporn zur Verbesserung der Bedingungen für Familien sein. Die Zukunft muss gestaltet werden, um sie für die Familien, für die nachwachsende Generation lebbar zu machen. Dabei muss besonderes Augenmerk auf den Zusammenhalt der Gesellschaft gelegt werden. Die Möglichkeiten eines effektiveren kommunalen Handelns sind vielgestaltig; es gilt nur die Reserven noch zu entdecken und zu nutzen. Instrumentarien zur Gestaltung familienfreundlichen Bauens und Wohnens sind vorhanden, so z.B. das 2. Wohnungsbaugesetz, das Baugesetzbuch oder das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Auf der Grundlage vorhandener Instrumentarien muss es gelingen, die verschiedenen Ressorts auf kommunaler Ebene zu verzahnen und die Frage der Verbesserung der Lebensqualität der Familien komplexer anzugehen. Die Ansprüche der Menschen an ihre Wohnung und ihr Wohnumfeld sind so unterschiedlich wie die familiären Konstellationen. Sie haben individuelle Wünsche und Bedürfnisse und sie haben individuelle Sichtweisen, die Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover 3 Dezember 1999 Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik Wohnform für die Familie oder die alten Menschen wird es nicht geben, Vielfalt ist gefragt. Die Einbindung der Familien im breiteren Sinne geschieht in beiderseitigem Interesse. Zum einen fühlen sich Familien mit ihren Belangen ernst genommen, fühlen sich in ihrer Kommune wohl und gestalten das gesellschaftliche Leben der Kommunen auch in anderen Bereichen, nicht zuletzt zum Wohle ihrer Kinder, gern mit. Sie haben kein Interesse wegzuziehen. Zum anderen setzen Bürger, die aktiv am politischen Leben der Kommunen teilnehmen, viele Initiativen vor Ort frei, ersparen unter Umständen kommunale Ausgaben und erhöhen das Steueraufkommen der Kommune. Letztlich erfüllt eine Kommune, die über ein ausgewogenes Sozialgefüge verfügt, eine gute Standortvoraussetzung für Investoren. Ganz oben auf der Bedarfsliste junger Familien steht häufig eine Wohnung oder ein Eigenheim mit Garten, wo Kinder Platz zum Spielen und Toben sowie die Eltern Erholung finden können. Noch zu selten ist der Wunsch nach Wohneigentum zu erfüllen, da unter anderem zu wenig Bauland von den Kommunen ausgewiesen und dadurch Bauland überteuert angeboten wird. In einer Zeit, in der es darum geht, neue Wege der Verzahnung kommunaler Kompetenzen aufzuspüren und zu entwickeln, sollte darüber nachgedacht werden, ob die Möglichkeiten der Senkung der Baukosten für den Mietwohnungs- und Eigenheimbau auf kommunaler Ebene voll ausgeschöpft sind. Der Zusammenschluss von einzelnen größeren Städten mit Umlandgemeinden zu Planungsverbünden könnte ein durchaus sinnvolles ergänzendes Instrumentarium darstellen. Diese Planungsverbünde könnten miteinander abgestimmte Flächennutzungs- und Bebauungsplänen erstellen, was mehrere Konsequenzen hätte. So könnten durch Ausweisung abgestimmter Baulandflächen die Baulandpreise und damit die Baukosten für Bauwillige in den einzelnen Kommunen sinken. Was wiederum zu weniger Wegzügen, ausgewogenerer Ansiedlung, Sicherung eines sozialen Gleichgewichts in der Kommune und letztlich zu mehr Lebensqualität in der Kommune führen würde. 4 Wünsche von Familien an ihre Wohnung und ihr Wohnquartier Prof. Dr. Bernd Nentwig Bauhaus Universität, Professur: Baumanagement und Bauwirtschaft, Weimar Gesellschaftliche Entwicklungen mit Wirkung auf das Wohnen Bevölkerungsentwicklung die Zahl der Kinder nimmt ab die Anzahl der Menschen im Rentenalter steigt Gesellschaftliche Konflikte Arbeitsplatzmangel führt zu Einkommensverlusten und härterer Konkurrenz Fremdenfeindlichkeit und Kriminalität folgen Sicherheitsstandards der Wohnungen müssen angepaßt werden Räumliche Verteilung die Zuwanderung in die Ballungsräume hält an Kleinstädte im Umland der Ballungszentren sind langfristig die attraktivsten Wanderungsziele in den Kernstädten werden hauptsächlich Ein- und Zweipersonenwohnungen nachgefragt in größeren Umlandgemeinden haben familiengeeignete Wohnungsbauprojekte Erfolgschancen Haushaltsentwicklung der Anteil der Ein- und Zweipersonenhaushalte vergrößert sich im Wohnungsbau werden kleine Haushalte in allen Alters- und Einkommensschichten nachgefragt werden Standards die Bandbreite unterschiedlicher Standards der Wohnungsausstattung vergrößert sich eine Steigerung des Standards ist nur für kaufkräftige Haushalte zu erwarten der größere Marktanteil basiert auf begrenzter Kaufkraft und Stabilisierung bestehender Standards Erwerbstätigkeit und Nichterwerbstätigkeit Art und Dauer der Erwerbstätigkeit ändern sich Frauen sind stärker in das Erwerbsleben eingebunden Männer erfahren häufiger Brüche in ihrer beruflichen Laufbahn die Unsicherheit der Erwerbseinkommen begründet eine verstärkte Nachfrage nach kostengünstigem Wohnraum und nach Möglichkeiten zu verschiedenen häuslichen Beschäftigungen (bspw. Telearbeit) Auswirkungen der modernen Kommunikationsmittel Dezentralisierung von Arbeitsplätzen Büroarbeit in der eigenen Wohnung größere Organisationen streben eine Dezentralisierung mittleren Grades an: 4 Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik - Zentralverwaltungen in Citylagen - Satellitenbüros an kostengünstigen Standorten, die von Zentralverwaltung und Wohnquartieren gut zu erreichen sind Gellschaftliche Forderungen an die Umweltverträglichkeit Bauwerke werden in Zukunft nur dann akzeptiert, wenn ökologische Anforderungen ebenso erfüllt werden wie Nutzerbedürfnisse und Wirtschaftlichkeit der Antagonismus zwischen Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz macht die Erörterung der Wertigkeit gesellschaftlich geforderter Umweltschutzziele für das Bauen erforderlich Entwicklungslinien in der Stadt- und Raumplanung Von der monozentrischen zur polyzentrischen Entwicklung in den Großstädten geht die Entwicklung weg von der monozentrischen Struktur hin zur polyzentrischen Ausrichtung der Funktionsverteilung dieser Trend wird auch regional in den Agglomerationsräumen zu beobachten sein Funktionenmischung in der Stadt die Siedlungs-Strukturentwicklung wird sich stärker an der Stadt der kurzen Wege orientieren daraus folgt eine Mischung verträglicher Nutzungen und Verzicht auf außerh. liegende Großinfrastrukturen die Rückkehr zur umfassend durchmischten Stadt ist jedoch unwahrscheinlich Liegenschaftskonversion, Industriebrachen, aufgegebene Bahnflächen ehemalige militärische Liegenschaften gewinnen für die Entwicklung der Städte und Gemeinden an Bedeutung innerstädtische, brachliegende Industrieflächen bieten weitere Potententiale für die Innenentwicklung auch die Umnutzung aufgegebener Bahnflächen bietet für die Kommunen interessante Entwicklungsmöglichkeiten Entwicklung des Baulandbedarfs in den alten Bundesländern steigt der Wohnungsbedarf weiterhin stärker als die Zahl der vorhandenen Wohnungen der Wohnungsbedarfs kann aufgrund fehlender Kaufkraft häufig nicht gedeckt werden die immer knapper werdenden Flächenressourcen in den Kernstädten führen über die Preise zu einer Verstärkung der Suburbanisierungsprozesse Neue raumordnende und städtebauliche Leitvorstellungen der Konflikt zwischen Ausweisung von Bauland und den Natur- und Bodenschutzanforderungen wird sich wesentlich verstärken Dezember 1999 neue, zukunftsgerichtete Planleitbilder werden notwendig Strategien zur Sicherung der Funktionsfähigkeit hoch verdichteter Stadtregionen Ausbau von Entlastungsorten mit Arbeitsstätten zur Reduzierung von Pendelströmen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs im regionalen Umland verstärkte, interkommunale Zusammenarbeit bei der Baulandausweisung optimierte räumliche Zuordnung von Arbeitsstätten und Wohnbauflächen Kooperation zwischen Bauträgern und Kommunen Entwicklungen im Planungsbereich Grundzüge einer integrierten Planung Planung liefert in Zukunft nicht nur eine Arbeitsanleitung, sondern den ganzheitlichen Ansatz für die Lösung einer Aufgabe Funktionalität und Gestaltung bleiben wesentliche Planungsziele mehr als bisher wird der Umweltschutz einbezogen Dauerhaftigkeit und damit Reduzierung des Instandhaltungsbedarfs finden stärkere Berücksichtigung das Ziel der Wirtschaftlichkeitsoptimierung einschließlich Betrieb und Verwaltung wird alle Planungsphasen prägen die Planung der Zukunft beschäftigt sich daher verstärkt auch mit: der optimalen Abstimmung von Funktions- und Gestaltungsplanung, Standort und Gebäudepreisklasse der Minimierung der Betriebskosten und der Optimierung der Gebäudebewirtschaftung der genauen Folgenabschätzung von Planungsänderungen einschließlich ihrer zeitlichen und monetären Auswirkungen der stärkeren Beachtung der Marktsituation und allgemeiner Randbedingungen wie Rechtsfragen (Baurecht), Steuerfragen (AfA), Finanzierungskonzeptionen (Zinsen und Eigentümerkonstruktionen) Wohnumfeld Sicherheit Einkaufsmöglichkeiten Sportmöglichkeiten Naherholungsmöglichkeiten Gesundheitsversorgung Schulen Bildungseinrichtungen Gastronomische Einrichtungen Lage Verkehrsanbindung Verkehrsmittel Ruhender Verkehr Geographische Lage Nähe zu anderen attraktiven Räumen Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover 5 Dezember 1999 Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik Wünsche von Familien an ihr Wohnquartier Wichtige Aspekte der Stadtviertelwahl zentrale Lage Angebot an Freizeit- und Kultureinrichtungen besondere Atmosphäre des Viertels historische Bausubstanz gute Einkaufsmöglichkeiten ruhige Lage kinderfreundliche Umgebung Grünanlagen Kosten Mietpreis Baulandpreis Erschließungskosten Baupreisniveau Berufstätigkeit Entfernung zum Arbeitsplatz Regionale Lohn- und Gehaltsunterschiede Arbeits-/Karrieremöglichkeiten am Standort Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten Standortfaktoren für Wohnbauten Ortsqualitäten Grünanlagen Historisches Ortsbild Ortsgestalt und -struktur Qualität des Umlandes Immissionen/Umweltbedingungen Luftreinheit Geruch Lärm Strahlung Wasserqualität Klima/Wetter Bevorzugte Lage des Stadtviertels 43% der Haushalte bevorzugen innerstädtischen Wohnstandort 39% bevorzugen städtische Außenbezirke 18% bevorzugen nichtstädtische Gebiete Wichtige Aspekte der Wohnungswahl zentrale Lage gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel günstiger Mietpreis Wohnungsgröße vorteilhafte Raumaufteilung Qualität der Ausstattung Wohnwünsche hinsichtlich der Haustypen 53% Ein- oder Zweifamilienhaus (jedoch leben 86% in Mehrfamilienhäusern) 31% Etagenwohnung in einem Mehrfamilienhaus 8% Reihenhaus 3% Hochhaus Wohnwünsche hinsichtlich der Anzahl der Räume grundsätzlich gilt: in den meisten Familien besteht der Wunsch nach einem persönlichen Raum für jedes Familienmitglied (gesellschaftlicher Trend zur Individualisierung) Wohnwünsche hinsichtlich der Fläche durchschnittliche gewünschte Fläche pro Person: 37-61 Quadratmeter (abhängig von den Einkommensverhältnissen) Kultur/Historie Kultureinrichtungen Unterhaltungseinrichtungen Historische Bedeutung Image Image des Mikrostandortes Image der Region Umweltimage Städtisches Flair 6 Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik 4 Familiengerechtes Bauen und Wohnen Familien als Nutzer und Erhalter Michael Seibt Baugenossenschaft FREIE SCHOLLE eG, Bielefeld Ziel Das übergeordnete Ziel der Geschäftspolitik der Freien Scholle besteht darin, für die Mitglieder der Genossenschaft lebensgerechtes Wohnen zu ermöglichen. Lebensgerechtes Wohnen bedeutet, innerhalb eines Siedlungsgebietes für jeden Lebensabschnitt eine den jeweiligen Bedürfnissen entsprechende Wohnung bzw. ein entsprechendes Wohnumfeld bereitzuhalten. Die Freie Scholle setzt dieses Ziel sowohl innerhalb des Wohnungsbestandes als auch im Rahmen ihrer Modernisierung und bei ihren Neubauprojekten um. Zur Unterstützung ihrer alten Mitglieder hat sie darüber hinaus als erstes bundesdeutsches Wohnungsunternehmen 1987 mit dem Aufbau einer eigenen Altenarbeit begonnen. Wohnraumanpassung im Bestand Lebensgerechtes Wohnen lässt sich für alte und behinderte Mitglieder im Wohnungsbestand in erster Linie durch Wohnraumanpassungsmaßnahmen erreichen. Sie erhalten dadurch die Möglichkeit, auch bei Krankheit oder Gebrechlichkeit weiterhin in ihrer Wohnung leben zu können. Wohnraumanpassungsmaßnahmen umfassen die ganze Bandbreite von der nachträglichen Installation eines Handlaufs bis hin zum Bau einer Rampe als rollstuhlgerechten Zugang zur Erdgeschoss-Wohnung eines Mitglieds. Wichtige Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Altenberatung und betreuung der Freien Scholle zu, die im Rahmen der aufsuchenden Hilfe den individuellen Hilfebedarf der betroffenen Mitglieder ermittelt, erforderliche Umbaumaßnahmen einleitet, Hilfeleistungen organisiert und die Finanzierung der Leistungen abklärt. Darüber hinaus leistet der Freie Scholle Nachbarschaftshilfeverein e.V. u.a. mit seinem mobilen sozialen Dienst einen wichtigen Beitrag dazu, dass die alten Mitglieder der Freien Scholle auch bei Krankheit oder Behinderung selbstbestimmt in ihrer Wohnung bleiben können. Eine weitere Aufgabe des Vereins besteht darin, die Gemeinschaft im Stadtteil zu fördern und zu stärken. Zu diesem Zweck unterhält er mehrere Nachbarschaftstreffs mit einem umfassenden Begegnungsangebot für alle Generationen. Wie die Begegnungsangebote in den Nachbarschaftstreffs darf sich natürlich auch Wohnraumanpassung im Bestand nicht nur auf die alten Mitglieder der Genossenschaft be- Dezember 1999 schränken. Wichtig ist vielmehr, auch im Althausbestand familiengerechten Wohnraum zu schaffen. Hierzu werden neben- oder untereinander liegende Kleinwohnungen durch einen Durchbruch zusammengelegt. Im Althausbestand ist dies die einzige Möglichkeit, um eine familiengerechte Wohnungsgröße zu erreichen. Die dadurch entstehenden Wohnungsgrundrisse sind - beispielsweise wegen gefangener Räume - nicht ideal. Andererseits ist diese Form der Zusammenlegung aber die einzige Möglichkeit, um Familien im Bestand eine preiswerte Wohnung anbieten zu können. Zwar bieten Maßnahmen zur Wohnraumanpassung alten wie jungen Mitgliedern die Möglichkeit, in dem ihnen vertrauten Wohnumfeld wohnen bleiben zu können. Das Hauptproblem der Wohnraumanpassungsmaßnahmen besteht allerdings darin, dass diese Nachbesserungen die Wohnbedürfnisse der betroffenen Mitglieder nur bedingt erfüllen können. Wohnungen für alle Generationen durch die Modernisierung Als Beispiel für das Modernisierungskonzept der Freien Scholle steht das Siedlungsgebiet Spindelstraße. Zu Beginn der fünfziger Jahre entstanden hier rund 600 Wohnungen im sogenannten Schlichtwohnungsbau, das heißt die Wohnungen wurden in normierten Bauverfahren mit einfachster Ausstattung errichtet. Bei dem weitaus größten Teil dieser Wohnungen handelt es sich um Kleinwohnungen mit maximal 55 m² Wohnfläche. Nachdem immer mehr langjährige Mitglieder ihre Wohnung im Siedlungsgebiet aus Altersgründen aufgeben mußten, waren diese Wohnung aufgrund ihrer Größe und Ausstattung vorrangig für junge Singles, d.h. Studenten und Auszubildende interessant. Sie verblieben allerdings nicht lange in ihrer Wohnung, so dass in den achtziger Jahren eine sehr hohe Fluktuation zu verzeichnen war. Langjährige, funktionierende Nachbarschaften wurden dadurch zerstört, neue bauten sich nicht wieder auf. Bei der Modernisierung beschränkt sich die Freie Scholle deshalb nicht nur auf die technische Erneuerung der Wohnungen. Ziel ist es vielmehr, durch Grundriss-Veränderungen den Wohnungsschlüssel des Siedlungsgebietes so zu verändern, dass es möglich ist, bei einer Veränderung der Lebenssituation durch Familiengründung, Auszug der Kinder oder einer im Alter auftretenden Behinderung innerhalb des selben Siedlungsgebietes eine passende Wohnung zu finden. Darüber hinaus baute die Genossenschaft im Zuge der Modernisierung den bestehenden Nachbarschaftstreff zum Nachbarschaftszentrum Spindelstraße mit einem Begegnungsangebot für alle Generationen um. Außerdem entstanden hier neben drei familiengerechten Wohnungen mit rund 100 m² Wohnfläche weitere sieben barrierefreie Wohnungen, in denen bei Bedarf Betreutes Wohnen möglich ist. Es gibt eine Gästewohnung, die auch für die Kurzzeitpflege genutzt werden kann. Der Hebammen e.V., der Allgemeine Pflegedienst sowie ein Beratungsbüro des Freie Scholle Nachbarschaftshilfevereins bieten ein umfassendes Beratungs- und Betreuungsangebot. Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover 7 Dezember 1999 Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik Ergänzt wird das Modernisierungsprogramm im Siedlungsgebiet Spindelstraße durch ein Neubauprojekt, in dem 41 barrierefreie Zwei- und Drei-Zimmer-Wohnungen sowie drei familiengerechte Maisonette-Wohnungen entstehen. Das Projekt ergänzt den Wohnungsbestand so, dass die Freie Scholle für jede Lebenssituation eine entsprechende Wohnung anbieten kann. Die Erfahrungen aus der Modernisierung des Siedlungsgebietes Spindelstraße zeigen, dass sich die Fluktuation innerhalb des modernisierten Hausbesitzes signifikant verringern lässt. So lag 1998 die Kündigungsquote im modernisierten Hausbesitz des Siedlungsgebietes Spindelstraße bei 5,8 Prozent, während sie im Gesamtdurchschnitt bei 9,4 Prozent betrug. Damit ist es durch die Modernisierung gelungen, die sozialen Strukturen zu stabilisieren und funktionierende Nachbarschaften wiederzubeleben. 8 Neubauwohnungen für Jung und Alt Die Erstellung lebensgerechten Wohnraums darf sich natürlich nicht nur auf den Wohnungsbestand beschränken, sondern sollte vielmehr auch bei den Neubauvorhaben Berücksichtigung finden. Zu Beginn der achtziger Jahre hatte die Freie Scholle ihre Neubautätigkeit wegen der Bedingungen, die an die Abnahme öffentlicher Mittel geknüpft waren, eingestellt, die öffentlichen Mittel zurückgezahlt und beschlossen, nur noch frei finanzierten Neubau zu betreiben. Über Bielefeld hinaus bekannt geworden ist die Freie Scholle mit dem Nachbarschaftszentrum an der Meinolfstraße. Neben gewerblichen und gesundheitsdienstlichen Einrichtungen und einem Aktivitätenzentrum entstanden hier im ersten Bauabschnitt 29 barrierefreie Zwei- und Drei-Zimmer-Wohnungen. Zur Zeit laufen die letzten Arbeiten für den zweiten Bauabschnitt. Hier hat die Freie Scholle zwei Gruppenwohnungen für Betreutes Wohnen, zwei Gästewohnungen und Praxisräume für eine Ergotherapie sowie weitere 59 barrierefreie Genossenschaftswohnungen mit zwei und drei Zimmern, Küche und Bad gebaut. Dabei stehen die Drei-Zimmer-Wohnungen im Nachbarschaftszentrum ausdrücklich auch Familien mit Kindern offen. Das Konzept, innerhalb eines Neubauprojektes unterschiedliche Wohnungen für die unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Altersgruppen zu verwirklichen, wird darüber hinaus auch in zwei weiteren Neubauprojekten umgesetzt: So entstehen im Osten Bielefelds 33 Wohnungen, darunter sieben Einfamilien-Reihen-Häuser mit vier und fünf Zimmern mit 100 bzw. 120 m² Wohnfläche sowie 14 Drei-Zimmer-Wohnungen mit rund 85 m². Alle ErdgeschossWohnungen sind barrierefrei gebaut. Bis Ende des Jahres 2001 baut die Freie Scholle in einem weiteren Neubauprojekt insgesamt 64 Wohneinheiten, die in erster Linie Familien vorbehalten sein werden. Dieses Neubauvorhaben ergänzt die Modernisierung des benachbarten Siedlungsgebietes AlbertSchweitzer-Straße, in dem aufgrund der baulichen Voraussetzungen nicht in ausreichendem Maße, Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik familiengerechte Wohnungen geschaffen werden können. Dafür entstehen hier aber in größerem Umfang barrierefreie Zwei-Zimmer-Wohnungen. Rückzahlung der öffentlichen Mittel als erste Voraussetzung Voraussetzung für diese Geschäftspolitik waren zwei Dinge: 1. die Rückzahlung der öffentlichen Mittel und 2. die Einbeziehung unserer Mitglieder in die genossenschaftlichen Entscheidungsprozesse. Mit der Rückzahlung der öffentlichen Mittel hatte die Freie Scholle Anfang der achtziger Jahre begonnen. Dadurch sind seit dem 1. Januar 1998 92 Prozent unseres Wohnungsbestandes frei von jeglichen Bindungen. Letztlich war dies eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Genossenschaft die Modernisierung ihres Hausbesitzes wie dargestellt durchführen konnte. Doch auch wenn die Freie Scholle die aufgenommenen öffentlichen Mittel zurückgezahlt hat, heißt das nicht, dass sie sich nicht mehr zu ihrer sozialen Verantwortung bekennt. Aber sie legt großen Wert darauf, dass sie ihre Entscheidungen selbst treffen kann. Dies war in der Vergangenheit durch die Bedingungen, die an die Abnahme öffentlicher Mittel geknüpft waren, nicht mehr möglich. Ausbau der genossenschaftlichen Selbstverwaltung als zweite Voraussetzung Die zweite Voraussetzung - die Einbeziehung unserer Mitglieder in die genossenschaftlichen Entscheidungsprozesse - ist darauf zurückzuführen, dass die genossenschaftlichen Grundprinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung seit jeher das Fundament der Geschäftspolitik der Freien Scholle sind. Dazu gehört, dass die Geschäftspolitik nicht am grünen Tisch in der Verwaltung, sondern gemeinsam mit unseren Mitgliedern gestaltet wird. Einige Vorgaben hierzu macht uns dazu zunächst einmal das Genossenschaftsgesetz. Danach wählen die Mitglieder in ihren Siedlungsgebieten in direkter und geheimer Wahl die Mitglieder der Vertreterversammlung. Diese wählt den Aufsichtsrat, der wiederum den Vorstand bestellt. Beide haben einmal jährlich über ihre Arbeit Rechenschaft abzulegen. Dem Selbstverständnis der Genossenschaft entsprechend, ist es auch die Aufgabe der Verwaltung, den Mitgliedern der Freien Scholle einen Rahmen zur Verfügung zu stellen, in dem sie gemeinsam mit anderen, aber nicht auf Kosten anderer selbstbestimmt wohnen können. Über die gesetzlich vorgeschriebene Vertreterversammlung hinaus findet deshalb in der Freien Scholle einmal jährlich eine Vertreterkonferenz statt. Auf diesen zweitägigen Veranstaltungen werden gemeinsam mit den Vertreterinnen und Vertretern die Richtlinien für die Geschäftspolitik festgelegt. Es werden geschäftspolitische Entscheidungen getroffen wie zum Beispiel die Leitlinien für die Geschäfts- Dezember 1999 politik oder auch die Umsetzung einer unternehmensbezogenen Nutzungsgebühr. Nun sollte in einer Genossenschaft Selbstverwaltung nicht nur für die Vertreter möglich sein. Die Freie Scholle führt deshalb für ihre Siedlungsgebiete Mitgliederseminare durch. Sie sind einerseits eine wichtige Gelegenheit, um die Mitglieder über aktuelle Themen zu informieren. Andererseits bieten die Seminare den Mitgliedern die Möglichkeit, Missstände in ihren Siedlungsgebieten anzusprechen, so dass die Genossenschaft eine Lösung für die Probleme suchen kann. Allerdings sollte die Einbeziehung der Mitglieder nicht nur alle drei bis vier Jahre im Rahmen eines Seminars erfolgen. Deshalb entwickelte die Freie Scholle mit ihren Vertreterinnen und Vertretern ein Modell für eine erweiterte Selbstverwaltung, das nach und nach in den einzelnen Siedlungsgebieten eingeführt wird. Damit verfügen die Siedlungsgebiete über Gremien, die den Mitgliedern die Möglichkeit geben, um zum Beispiel im Haus über den Standort für die Fahrräder oder die Kinderwagen, im Teilbereich einer Siedlung über den Standort neuer Abstellplätze oder den Standort des Spielplatzes oder im Siedlungsrat über die Jahresplanung der Modernisierung und Instandhaltung zu diskutieren und zu entscheiden. Vor-Ort-Betreuung als wesentlicher Bestandteil der Selbstverwaltung Wichtiger Bestandteil der erweiterten Selbstverwaltung ist die Vor-Ort-Betreuung. Sie gewährt den Mitgliedern nicht nur einen kurzen Weg zur Verwaltung, sondern sie trägt auch dazu bei, eine Vielzahl von Konflikten im Gespräch mit den betroffenen Mitgliedern schnell, unbürokratisch und einvernehmlich zu lösen. Neben dem Mitgliederbetreuer stehen außerdem ein Altenbetreuer und ein Siedlungswart für Reparaturen als Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung. Da sie ihre sehr unterschiedlichen Arbeitsbereiche eng aufeinander abstimmen, tragen sie maßgeblich zur Erhöhung der Wohnqualität in ihren Siedlungen bei. Zusammenfassung Wenn die Freie Scholle die Schaffung lebensgerechten Wohnens als übergeordnetes Ziel der Geschäftspolitik definiert, entsteht damit im Rahmen von Modernisierungsund Neubaumaßnahmen zwangsläufig auch familiengerechter Wohnraum. Dabei wird deutlich, dass gerade Familien für stabile Strukturen innerhalb des Siedlungsgebietes sorgen und einen entscheidenden Beitrag zu gut funktionierenden Nachbarschaften leisten. Die Selbstverwaltung der Freien Scholle bietet dabei jungen wie alten Genossenschaftsmitgliedern die Möglichkeit, selbstbestimmtes Wohnen zu verwirklichen, ohne dass dadurch die anderen Mitglieder in ihren Interessen eingeschränkt werden. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen dabei, dass immer mehr junge Mitglieder diese Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover 9 Dezember 1999 Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik Chance begreifen und - entgegen allen derzeitigen gesellschaftspolitischen Entwicklungen - bereit sind, sich für ihr Wohnen in ihrer Genossenschaft zu engagieren. 4 Die Kommune als Mittler und Bindeglied - Wohnungspolitische Lösungsansätze der Stadt Görlitz Oswald Müller Leiter des Bauverwaltungsamtes, Görlitz der große Run auf den Eigenheimbau infolge Marktabschöpfung der Vergangenheit angehören dürfte, die Eigentumswohnung in der Beliebtheitsskala beim Erwerb von Eigentum eher bildlich gesprochen - im Keller rangiert. Unter Beachtung dieser Kriterien sowie der Gesamtwohnungsmarktsituation steht nun die Frage, wo und wie die Kommune als Mittler auftreten soll und muß. Das ist durch die Wohnungsbauentwicklung zu DDR-Zeiten äußerst problematisch. 1. Imageverbesserung des Altstadtquartiers Einleitung Zum besseren Verständnis dieses Beitrages ist es notwendig, vorab einige Informationen über die Stadt Görlitz zu geben: Stadtprofil: Östlichste Stadt Deutschlands mit ca. 65.000 Einwohnern, besitzt wertvollste Bausubstanz, besonders der Gotik, Renaissance und des Barock, hat 4 Sanierungsgebiete mit insgesamt ca. 120 ha hat ein 380 ha großes Gründerzeitviertel, besitzt 3500 Einzeldenkmale, von Fachleuten als schönste Stadt Deutschlands prognostiziert, besaß 1910 bereits 85.000 Einwohner und ist seit 1945 zweigeteilt, mit dem Problem des Einwohnerschwundes, und liegt am 15. Meridian und bestimmt damit die Mitteleuropäische Uhrzeit. Aus der Altstadt ausgezogen, weil das Wasser durch Dach und Decke an den Wänden herabrann, machte scheinbar den Rückzug in sanierte Altstadtgebäude zu einem Kopfproblem. Noch immer ist die Altstadt bei vielen Einwohnern leider mit einem Negativimage verbunden. Hier versuchte die Stadt, durch gezielte Aktionen, wie Tag der offenen Sanierungstür, Tag des Denkmals die Einmaligkeit des individuellen Wohnens zu demonstrieren die Vorzüge des individuellen Grüns (wo Kinder auch ohne Aufsicht spielen und Erwachsene einen Kaffee oder ein Glas Wein in Muße trinken können) gegenüber dem anonymen Grün zwischen zwei Wohnblocks darzustellen. Der im Stadtprofil beschriebene Einwohnerschwund ist verbunden mit einer überdurchschnittlich hohen Altersstruktur. Das bedingt logischerweise einen hohen natürlichen Abgang infolge Tod. Der weitere Schwund begründet sich durch Abwanderung arbeitssuchender Personen, die aufgrund einer hohen Arbeitslosigkeit gezwungen sind, ihr Glück westwärts zu suchen sowie durch Abwanderung bauwilliger Familien, die vor die Stadtgrenze ziehen infolge vermutlich preiswerterer Angebote, insbesondere beim Erwerb von Grund und Boden. Fest steht, dass die Kommunen - auch wenn sie es wollten - aufgrund ihrer Haushaltslage nicht selbst das Wohnen für Familien in der breiten Palette realisieren können. Sie können nur Mittler und Bindeglied sein zwischen bauwilligen aber auch mietwilligen Familien und der Wirtschaft bzw. den Vermietern. Die Situation in Görlitz ist so, dass gegenwärtig die Konzentration der Wohnungsleerstände in der Innenstadt auftritt, die am Stadtrand liegenden Wohngebiete des Plattenund Blockbaues noch verträgliche Leerstände von 2 4 % aufweisen, Sanierungsgebiete in Görlitz (1-4) 2. Gebäuderückbau und Verbesserung des Wohnumfeldes Politische Brisanz besitzt das Thema der Leerstände von Wohnungen und insbesondere der Umgang mit dieser Problematik. Vorweg genommen - man sollte zwar die Ost-West-Thematik nicht laufend strapazieren-, dennoch gibt es zwischen Ost- und Westdeutschland zwei fast grundverschie- 10 Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik dene Entwicklungen auf dem Sektor Familienentwicklung und Bauen. Ostdeutschland ist geprägt durch eine anhaltende negative Bevölkerungsentwicklung. Alle größeren Städte verlieren ständig Einwohner. Herausgegebene Zahlen von der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung verdeutlichen, dass selbst Städte wie Leipzig, Dresden, Magdeburg und Halle davon betroffen sind. Während Leipzig und Dresden bis zum Jahr 2010 ca. 5 - 10 % der Einwohner verlieren, ist in Magdeburg der Verlust schon mit 28 % beziffert. Flächendeckende Wohnungsleerstände sind wohl leider unausbleiblich. Wenn jedoch eine Stadt wie Görlitz in ihrer Einwohnerzahl eine rückläufige Entwicklung zeigt, dann bleiben zukünftig Gedanken zum Gebäuderückbau nicht mehr nur in den Amtsstuben. Die Praxis zeigt bereits heute, neben Einzelabbruchmaßnahmen in Gera, Schwerin oder auch Hoyerswerda, dass selbst finanziell am Abbruch (Ausdünnen, Reduzieren von Wohnraum - wie immer man es nennen will -) kein Weg vorbei führt. Leere Wohnungen erzeugen Kosten, liefern jedoch keine Erlöse. Es ist nur eine Zeitfrage, wann in den einzelnen Städten die Verträglichkeitsschwellen überschritten werden und wann die großen Vermieter (WBG, Genossenschaft/ Private) gemeinsam mit der Kommune nach gängigen Konzepten suchen. Bisher herrscht zum Teil noch die These vom Kopf in den Sand stecken. Alter von - bis 0 - 10 11 - 20 21 - 30 31 - 40 41 - 50 51 - 60 61 - 70 71 und älter Gesamt Dezember 1999 werden. Individuelle, auf jede Stadt zugeschnittene Konzepte sind gefragt. Bund und Länder müssen dazu ihren finanziellen Anteil leisten, da diese Aufgaben weder von Kommunen noch Vermietgesellschaften allein leistbar sind. Gegenwärtig werden in Görlitz in dem größten Plattenbaugebiet (ca. 15.000 Einwohner) erste Schritte gegangen. Unter Beachtung der Bedeutung der Innenstadt muß das zu bringende Opfer auf die Plattensiedlungen gelegt werden. Städtebaulich ist das alles klar, aber die Bürger sind in diese Entscheidung einzubeziehen. Dabei gibt es das Paradoxon, dass die Plattensiedlungen nur Leerstände von ca. 4 % aufweisen, was wirtschaftlich noch nicht bedenklich ist. Die Innenstadt weist jedoch einen mehrfachen Leerstand auf. In der themenbezogenen Mittlerfunktion einer Kommune ist nun über die Herangehensweise im gesamtstädtischen Interesse zu entscheiden. Zum Einen politisch brisant, da ein beträchtliches Wählerpotential in der Platte wohnt, zum Anderen ist mit Anordnungen seitens der Kommune das Problem nicht lösbar. 3. Bürgerbeteiligung Einwohner gesamt davon männlich weiblich Nur mit Überzeugung und wesentlichen Argumenten ist eine Lösung möglich. Der Weg kann also nur der geschilderte sein, d.h. Abbrüche ganzer Wohnblocks und/oder Durchführung von Teilabbrüchen durch Herabzonen von Gebäuden von 6 auf 3-4 Geschosse im Plattenbaubereich. Gleichzeitig müssen die Bürger von den Vorteilen des Innenstadtwohnens überzeugt werden. 5 620 8 598 8 388 9 852 8 301 9 556 7 700 7 517 65 532 2 844 4 290 4 294 5 080 4 177 4 599 3 500 1 986 30 770 2 776 4 308 4 094 4 772 4 124 4 957 4 200 5 531 34 762 Das wiederum funktioniert nur durch Beispielwirkung - sprich Schaffung von Innenstadtwohnungen mit familiengerechtem Wohnumfeld (Aufenthaltszone/Grünbereich von Hofanlagen, Schaffung von entsprechenden Infrastrukturmaßnahmen) wenn zumindest keine Nachteile bei den Mietpreisen entstehen (lt. Mietspiegel sind qm-Kaltpreise Alt- und Neubau ausgeglichen, wobei der Wohnungszuschnitt Vorteile für die Platte bietet) Einwohner nach Alter und Geschlecht Jede Entwicklung bietet jedoch auch eine Chance. Mit Durchführung von Städtebau begleitenden Maßnahmen, die wiederum auch nur mit staatlichen Förderungen machbar werden, wird ein besseres Wohnumfeld (mehr Grün, bessere Besonnung, bessere Sichtbeziehungen) und damit eine Aufwertung der Wohngebiete erzeugt. Gebiete mit hohem Leerstand jedoch werden zukünftig mehr und mehr zu Problemgebieten. Personen und Familien mit nicht ganz intakten Lebens- und Verhaltensweisen sammeln sich an und erzeugen mit erschreckender Geschwindigkeit weitere Leerstände. So werden diese Wohngebiete alsbald zu echten Problemgebieten. Diese Thematik dürfte zukünftig eine Hauptaufgabe der Mittlerfunktion, insbesondere von städtischen Kommunen In Görlitz wurden ca. 120 ha als Sanierungsgebiete förmlich festgelegt. Alle Gebiete befinden sich in der Innenstadt mit ihrer denkmalgeschützten Bausubstanz. Zu Beginn der Sanierung war die Leerstandsquote zwischen 38 und 54 %. Schon aus diesem Grund wählte die Stadt diese Gebiete zu Sanierungsgebieten aus, weil auch zu befürchten war, dass eine Entwicklung gerade dieser schwer geschädigten Bereiche ohne fremde Hilfe, also ohne Förderung, nicht möglich erschien. Bei der Sanierung spielt die Stadt eine hervorragende Mittlerrolle. Dabei werden alle Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zwischen Eigentümern/ Investoren/ Bewohnern/ Gewerbetreibenden und Stadt ausgenutzt. Nichts läuft ohne Bürgerinformation. Eine eigens herausgegebene Sanierungszeitung mit hohem Anspruch, verfaßt durch die Bauverwaltung, übermittelt Ergebnisse und Informationen. Sie regt aber auch zum Dialaog an. Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover 11 Dezember 1999 Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik Im Übrigen ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Stadt und Betroffenen so positiv, dass selbst in all den Jahren des Wiederaufbaues kein einziger negativer Bericht in der örtlichen Presse stand. Das grenzt schon ans Phantastische, wenn man die Handlungsweisen mancher Journalisten kennt. 4. Bauland für Familien Kriterien für die Standortauswahl Mittler muß eine Kommune auch für das Klientel der Eigenheimbauer sein. Geeignete Standortauswahl mit gleichzeitig preiswerten Erschließungsleistungen ist eine unabdingbare Maßnahme. Die meisten Städte haben sich - nach anfänglichen Schwierigkeiten - auf diese Rolle eingestellt, nachdem Abwanderungszahlen von meist finanziell starken Familien negativ zu Buche geschlagen haben. Gerade mit letzterem Klientel wurde über Diskussionen und Beispielrechnungen versucht, eine reale Aufrechnung aller entstehenden Kosten vorzunehmen, um die oft kurzsichtige Beurteilung und Entscheidung zu beeinflussen. In den meisten Fällen wird nur der reine Kaufpreis für den qm Grund und Boden gesehen. In allen umliegenden Gemeinden sind jedoch die von den Zweckverbänden berechneten Investitionskosten für Erschließungskosten im Abwasserbereich höher als in der Stadt. Dieser Faktor sowie die oft durch die weiten Wege bedingten Anschaffungskosten eines 2. oder gar 3. Autos mit den damit verbundenen Betriebskosten wurden bisher meist nicht mit ins Kalkül gezogen. Dabei ist an dieser Stelle auch das Verhalten des Landes bei den Programmen der Eigentumsförderung kritikwürdig. Beim Ringen um bessere Prozentpunkte bei der Eigentumsquote - Sachsen liegt da bundesweit (auch im Vergleich mit ostdeutschen Ländern) nicht sehr günstig - werden die Einkommensgrenzen sehr weit nach unten gezogen. Dies ist schon bedenklich, angesichts steigender Zahlen überschuldeter Haushalte. Bei der Standortauswahl wird ein wichtiger sozialer Faktor oft nicht bedacht. Städter, die aufs Land ziehen, werden im Regelfall von den Einheimischen nicht ohne weiteres integriert. Sie werden allenfalls in der 2. Generation Dörfler. Der Wohlfühleffekt ist ganz einfach nicht vorhanden. Besonders, wie Erfahrungen in westdeutschen Bereichen zeigen, tritt mit zunehmendem Alter der Betroffenen, ein Drang nach Kommunikation, nach Geschäftebummeln oder Teilnehmen am gesellschaftlichen Leben ein. Allein sein auf dem Land, wenn die Kinder ausgezogen sind, ist besonders auch im Krankheitsfalle problematisch. Die Erfolge der Kommunen dürften allein in der Argumentation gering sein. Hier hilft tatsächlich nur, dass Kommunen versuchen, preiswertes Bauland in bester Lage zu erschließen und zu veräußern. Da aber die Marktwirtschaft beim Grund und Boden nicht auszuschließen ist, sprich, dass städtische Grundstücke noch immer teurer sind, folgt oft das zuvor geschilderte. Über ökologische Nachteile bei der Neuerschließung von Eigenheimstandorten wird oft zu wenig nachgedacht. Da wird eine neue Infrastruktur, vielleicht sogar noch gefördert, aufgebaut und tatkräftig versiegelt, obwohl bestehende Gebäude mit vorhandener gut funktionierender Infrastruktur da sind. Den Bürgermeister in der Landgemeinde freut es. Eigenheimbauer sind bzw. sollten gute Steuerzahler sein. Auch - oder gerade aus diesem Grunde - versagt die Mittlerrolle der Stadtkommune. Die Landkommune als Konkurrent hat die besseren Karten in der Hand. Selbstkritisch muß man feststellen, dass Kommunen - zumindest in der Vergangenheit - nicht immer alle Unterstützungsmöglichkeiten genutzt haben. Wenn schon Grund- und Bodenpreise so hoch sind, dann muß eine Lösung über die Erteilung von Erbbaurechten gesucht werden. Das entlastet die finanzielle Haushaltssituation der Häuslebauer enorm. Dieser Fakt spielt jedoch nur eine Rolle, wenn auch die Kommune Eigentümer des zu bebauenden Grundstückes ist. 5. Auswahl des Bauträgers Wichtig scheint auch, dass die Kommune mit der richtigen Auswahl des Bauträgers, so ihr diese Entscheidung obliegt, einen wesentlichen Einfluß auf die Qualität des Endproduktes Haus ausüben kann. Wer kennt nicht zum Teil furchtbar anzusehende Standorte? Wenn man bedenkt, dass die Entscheidung zum Hausbau beim überwiegenden Anteil der Häuslebauer eine Entscheidung für das gesamte Leben ist, so ist dies ein wesentlicher Faktor. Die Frage, ob zu unterkellern ist, ist dabei nicht so wichtig, weil subjektive Ansichten eine Rolle dabei spielen. Wichtig ist, dass sich zukünftige Eigenheimbauer Zeit für ihre Entscheidung lassen, dass sie sich Grundrisse und Wohnumfeld erklären und ausführlich beraten lassen. Ein viel zu kleiner Teil holt sich Informationen bei der Stadt. Zusammenfassung Bei der Städtebauförderung ist die Stadt nicht nur Mittler, im Sinne der Dialogführung, sondern insbesondere auch Mittelgeber - sprich Geldgeber. Im Regelfall ist sie mit ca. 1/3 aller Ausgaben im Investitionsbereich dabei. Von Sanierungsbeginn bis heute wurden in den vier Sanierungsgebieten 127 Millionen DM Fördermittel ausgereicht, davon 40 Millionen DM allein durch die Stadt. Das entspricht infolge Sogwirkung einer Gesamtinvestition von 505 Millionen DM. Unter Einbezug aller angereizten privaten Investitionen ist die Gesamtinvestitionssumme 1,1 Milliarde DM. 12 Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik 4 Familienhof Leipzig - Connewitz Einführung in das Projekt Hella Wend Kreisverbandsvorsitzende des Deutschen Familienverbandes, Kreisverband Leipzig e.V., Leipzig Wir freuen uns, dass Sie unser Wohnprojekt, den Familienhof Connewitz, als Tagungsort ausgewählt haben. Sie werden somit hautnah mit diesem Wohnort konfrontiert, der nicht umsonst mit dem Güte-Zertifikat des Deutschen Familienverbands für familienfreundliches Wohnen ausgezeichnet wurde. Zu Anfang möchte ich Ihnen einige Passagen aus dem in Kürze vorliegenden Leipziger Familienbericht vorlesen. Die Erarbeitung dieses Berichtes ist ein Auftrag des Stadtrates. Der Deutsche Familienverband, Kreisverband Leipzig, hatte den Antrag auf die Bildung eines Familienbeirates gestellt, hierbei haben uns die Rundbriefe des Netzwerkes für örtliche und regionale Familienpolitik gute Dienste geleistet. Der Beirat hat dann in Zusammenarbeit mit einer großen Zahl von Bürgern, Verwaltungsangestellten, Vereinsmitgliedern und Wissenschaftlern die Erarbeitung des Familienberichtes vorgenommen. Ich selbst bin Mitglied des Beirats und denke, Leipzig kann stolz auf einen hervorragenden Familienbericht sein. Leipzig Nun aber zu den Zitaten: Familienbericht Nebenbei entspricht das einer Förderung von 500 Arbeitsplätzen pro Jahr. Es gibt kein besseres Förderprogramm in Deutschland! Denn so ganz nebenbei werden Gebäude saniert, wird die technische Infrastruktur erneuert und werden die Wohnbedingungen von Bürgern und Familien zeitgemäß verbessert. Die Erfolgschancen der Stadt als Mittler sind bei der Durchsetzung von Forderungen zur beispielsweise besseren Hofgestaltung hervorragend. Kein Wunder, wenn sie gleichzeitig Fördermittelgeber ist. Vor Kurzem wurde die Arbeitsgemeinschaft historischer Städte Sachsens gegründet. Hier wollen ca. 30 Städte ihre kommunalen Probleme gemeinsam mit den Fachministerien des Freistaates ansprechen und beraten. Das ist sicher der richtige Weg, dass Städte und Gemeinden gemeinsam mit dem Land zum Wohle von Bürgern und Familien Lösungen suchen. Das Thema Innenstadtbelebung oder Urbanisierung darf keine Worthülse sein. Inwieweit die Stadt ihrer Mittlerrolle gerecht wird, hängt von vielen Faktoren ab. Kommunalpolitlik muß immer mit der kleinsten Einheit der Gesellschaft, mit der Familie, einher gehen. Dazu muß sie immer mehrere Wege gehen. Sie zu suchen und zu finden ist oberstes Gebot einer guten Kommunalpolitik, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Das zeitgemäße Wohnen ist und bleibt das wichtigste Instrument beim Stadterhalt. Der Begriff Stadt war immer mit ihren Bürgern verbunden. Schon aus diesem Grunde sollte und muß die Kommune ihre Entscheidungen im Sinne und mit den Bürgern treffen. Dezember 1999 1989 wanderten knapp 4.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren mit ihren Eltern in die alten Bundesländer ab. Über ein Drittel der 1990 Geborenen lebten schon ein Jahr später nicht mehr in Leipzig. Das Gros dieser Familien zog in den Westteil Deutschlands. Die Massenabwanderung junger qualifizierter Arbeitskräfte verändert die Altersund Sozialstruktur und minderte die Zahl der Familiengründungen in Leipzig. Diese Wanderungen dominierten bis 1992. Mit ihrem Rückgang nahmen Wegzüge insgesamt ab, um seit 1993 durch Wanderungen vor allem ins Leipziger Umland wieder zuzunehmen. 1996 und 1997 verließen fast 10.000 Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern die Stadt. Die Familien, die in die nähere Umgebung zogen, hatten oft mehrere Kinder. Allein 1996 nahm die Zahl der in Leipzig wohnenden Familien mit zwei Kindern um 3.900 ab. Seit 1998 nimmt die Neigung von Paaren mit Kindern ab, ins Umland zu ziehen. Viele Paare mit Kindern haben die Absicht, günstigere Wohn- und Lebensbedingungen innerhalb Leipzigs zu finden. Sie wollen geringere Wohnkosten bei relativ mehr Wohnraum in Verbindung mit einem kinderfreundlichen Wohnumfeld. Inzwischen nimmt die Unzufriedenheit in den mehrgeschossigen Mietwohnungssiedlungen im Leipziger Umland zu. Rund ein Viertel der Bewohner hat vor, die Siedlung wieder zu verlassen. Die Stadt konnte 1998 der Hälfte aller Bauwilligen ein Grundstück in Leipzig anbieten. Die ausgewiesenen Flächen reichten jedoch nicht aus, und sie sind oft zu teuer. Die Kommune muß Anreize für den Verbleib der Familien mit Kindern schaffen, wenn es mittel- bis langfristig genügend Familien in den Städten geben soll. Familien, in denen Junge und Alte zusammenleben und die, eingewoben in Verwandtschafts- und Nachbarschaftsnetze, Leben in den Stadtteil bringen. Solche Familien mildern soziale Problemballungen, die durch Isolation und örtliche Konzentration hilfebedürftiger Menschen entstehen. Genau das waren die Probleme, die meine eigenen erwachsenen Kinder, Enkelkinder und die vielen Freundesfamilien bedrängten. Bei der Gründung des Deutschen Familienverbandes, Kreisverband Leipzig, 1993/94 kam die Notwendigkeit zu einer verbesserten Wohnsituation bei vielen Müttern und Vätern zur Sprache. Hier mußte etwas geschehen! Positiv wurde in den entsprechenden Verwaltungsstellen vermerkt, dass wir als Verein auftraten und dass wir ein Konzept entwickelten, dass keine Einfamilienhäuser, sondern ein Wohnprojekt mit Eigentumswohnungen in der Stadt bevorzugten. Es sollte ein Wohnprojekt werden - so sagte es der erste Entwurf einer Satzung aus - das beispielhaft und langfristig sozialverträgliches Wohnen in der Stadt ermöglicht. Es sollten dort wohnen: Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover 13 Dezember 1999 Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik Familien mit 2 und mehr Kindern, Familien mit behinderten Kindern, Familien mit behinderten Angehörigen, Alleinerziehende und Senioren, sie sollten Kompromißbereitschaft bei Konfliktlösungen zeigen und musikliebend sein. Aber schon bald türmten sich die Probleme im wahrsten Sinne des Wortes haushoch. Leipzig hatte 1996 einen Quadratmeterpreis für Eigentumswohnungen von DM 4.200 bis DM 5.000. Die ersten Schritte auf dem steinigen Weg konnten gegangen werden, als ich bei einer kommunalen Veranstaltung die Architektin Christiane Domke kennen lernte, die sich für unser Projekt begeisterte. Im Verbund mit ihr und der Stadt konnte konkret nach Bauland Ausschau gehalten werden. Sie besaß auch den langen Atem, der mit den Bauwilligen nötig wurde, da keiner recht wußte, wie die finanziellen Wege begangen werden sollten. Genossenschaft? Bauherrengemeinschaft? Wie und wann kann Fördergeld beantragt werden? Wieviel Eigenkapital ist nötig? Einigen Familien dauerte der Prozeß zu lange und sie wanderten ins Umland ab. Da war es ein Glücksfall, dass ich von der Karl Kübel Stiftung hörte und einfach spontan in Erfurt anrief. Dr. Bertram Harendt war nach Einsicht in das bereits hervorragend geplante und gezeichnete Projekt überzeugt, dass die Stiftung als Maßnahmeträger einsteigen konnte und stieß auf diese Weise zur Gruppe. Inzwischen konnte mit der Stadt auch ein Nachlaß für das Bauland vereinbart werden. Und so steht jetzt in Leipzig dieser Familienhof mit einem grünen Innengarten, einer Sauna, einem Gemeinschaftsraum und noch vielen anderen Vorzügen. Vor 3 Tagen besuchte ich eine eben hier eingezogene Familie hier in ihrer Wohnung. Der Familienvater von 4 Kindern sagte kurz und bündig auf meine Frage, wie er sich denn fühle: ICH BIN GLÜCKLICH! Was kann man mehr erwarten. Petra Löser Leiterin der Geschäftsstelle des Deutschen Familienverbandes, Kreisverband Leipzig e.V., Leipzig Die Grundlagen für das Projekt waren geschaffen. Ein tolles Wohnpaket war erarbeitet, ein Grundstück mit geklärten Eigentumsverhältnissen ausgewählt, ein Maßnahmeträger war gefunden. Jetzt konnte es losgehen! Prämisse war die Einbeziehung der Familien von Anfang an. Familien waren schon bei den Gesprächen im Grund- stücksverkehrsamt dabei, gemeinsam wurde die Entscheidung für den Standort Biedermann-/Hermannstr. getroffen. Die Vorteile des Standortes: gut ausgebaute Infrastruktur, viele Schulen, Kindergärten, Einkaufsmöglichkeiten, Arztpraxen, zentrumsnah, sehr gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, Nähe Auewald. Eine wichtige Arbeitsgrundlage waren die Bautreffen mit den Baufamilien. Dadurch erhielten die Familien immer die neuesten Informationen über den aktuellen Stand. Einflußnahme auf das Bauprojekt war immer möglich, viele Fragen, Vorschläge und Bedenken wurden besprochen und diskutiert. Das Projekt wurde überarbeitet und konkretisiert und mit den verschiedenen Ämtern abgestimmt. Am 16.12.1997 wurde die Baugenehmigung beantragt. Das Warten auf diese Genehmigung stellte alle auf eine harte Geduldprobe. Familien, denen eine Sanierung ihrer bisherigen Wohnung bevorstand, entschieden sich für eine bereits fertige Wohnung. Bei einigen drängten familiäre Probleme zu schnellen Entscheidungen. Beginn der Finanzierungsgespräche mit dem Maßnahmeträger Als Problem stellte sich bei einigen bauwilligen Familien fehlendes Eigenkapital heraus. Auch dafür gab es eine Lösung: Die Erarbeitung eines Selbsthilfekonzeptes. Durch Erbringen von Eigenleistungen kann fehlendes Eigenkapital erwirtschaftet werden. Endlich war es soweit: Am 22. Juli 1998 wurde die Baugenehmigung erteilt! Ein Bauvorhaben ohne Probleme gibt es nicht. Diese Erfahrung haben natürlich auch wir gemacht. In der Bauphase benötigen die Familien besondere Unterstützung. Nach wie vor erfolgen von uns organisierte Bautreffen, Fragen und Probleme werden besprochen und geklärt. Wenn sich die Gemüter zu sehr erhitzen, versuchen wir als Verband zu schlichten. Oft reicht schon ein Anruf bei der Architektin oder beim Maßnahmeträger in Erfurt um die Wogen zu glätten. Für die Familien war und ist es auch ein Lernprozeß, d.h. berechtigte Forderungen durchzusetzen Kompromissbereitschaft zu zeigen Mehrheitsbeschlüsse zu akzeptieren. Im Laufe der Realisierung des Bauvorhabens entwickelte sich - nach unserer Einschätzung - bereits eine soziale Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft zu fördern, betrachten wir als eine wichtige und notwendige Aufgabe des Familienverbandes. Seit dem 01.11.1999 befindet sich die Geschäftsstelle des Deutschen Familienverbandes im Familienhof. Vor Ort sind wir für die Baufamilien, die Bauunternehmen und alle anderen Partner ansprechbar. Unser Familienhof steht kurz vor seiner Fertigstellung, die ersten Familien haben ihr neues Zuhause bereits bezogen. 14 Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik Dezember 1999 Perspektive Innenhof FAMILIENHOF CONNEWITZ Biedermannstr. 46, 48 /Hermannstr. 28 Dr. Bertram Harendt dfh-Siedlungsbau Sachsen - Thüringen GmbH, Erfurt 1. Zusammenwirken der Beteiligten Die dfh-Siedlungsbau GmbH ist ein Unternehmen der Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie. Als Teil einer Stiftung, als eine Stiftungsgesellschaft ist es nicht möglich, das Anliegen für Familie und Kinder überall zu bewerkstelligen. Die dfh-Siedlungsbau ist an feste Standorte gebunden, z.B. in Erfurt, in Worms und in Bensheim. Um familiengerechtes Bauen zu ermöglichen, braucht man Partner vor Ort. Und so ist es immer wieder gut und wichtig festzustellen, daß es vor Ort Leute gibt, die das auch wollen. Ob es nun eine Kirchgemeinde in Gera ist, der Familienverband in Leipzig oder das Diakoniewerk in Gotha, es sind Initiativträger vor Ort, die solche Projekte in Gang setzen. Häufig ist es so, dass man sich dann z.B. in so einem Netzwerk oder im Ministerium in Dresden trifft und feststellt, man will das Gleiche. Dann können verschiedene Gaben, Fähigkeiten und Möglichkeiten zusammengebracht werden, um es erfolgreich umzusetzen. Dieses Netzwerk ist also nicht nur ein Zusammenschluß, dass der eine mit dem anderen kommuniziert, sondern ein Netzwerk funktioniert nur dann, wenn alle gemeinsam in die gleiche Richtung gehen. Erst dann ist erreicht, daß man für Familien etwas bewirkt. Der erste Schritt ist, wenn man kommuniziert. Aber dann nach der Kommunikation auch gemeinsam den Weg in die gleiche Richtung gehen, das ist der zweite Schritt. Der ist hier in Leipzig gelungen. Das geht auch nur, wenn z.B. die Stadt mitwirkt. Die Stadt hat das Grundstück nicht nur bereitgestellt, sondern per Beschluß, auch kostengünstig bereitgestellt. Das Amt für Stadtsanierung hat während der ganzen Zeit hier beraten, unterstützt, betreut, begleitet. Immer wieder mit al- len Mitteln versucht, Dinge in Gang zu schieben, damit nicht Hemmnisse entstehen, sondern im Gegenteil positive Wege. Und der Familienverband hat hier alles getan was möglich war, um einfach diese Form des Zusammenhaltes der Familien zu fördern. 2. Die Rolle des Maßnahmeträgers Als Maßnahmeträger hat die dfh-Siedlungsbau natürlich dabei eine besondere Rolle. Das professionelle Management zu übernehmen bedeutet - Projektentwicklung - Projektsteuerung -, aber z.B. auch Vertragspartner in allen Antragsverfahren und rechtlichen Dingen zu sein. Die dfh ist Investitionsträger (hier nach dem Investitionsvorrangsbescheid), wenn das ganze Projekt scheitert, dann gucken alle die dfhErfurt an. Was hat da nicht geklappt bezüglich dieses Investitionsvorrangbescheides. Aufgaben der dfh waren Grundstücksaufkauf, - angelegenheiten, alle Vorbereitungen wie Planung, Genehmigung, Fördermittel bis hin zur gesicherten Finanzierung der Familien, die häufig bei solchen Projekten nicht einfach ist. Im Falle des Familienhofes Leipzig haben die Familien wirklich die Selbsthilfe mitgetragen, sie haben mitgemacht. Bei den Räumlichkeiten, den Gemeinschafts- Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover 15 Dezember 1999 Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik anlagen, den Außenanlagen, das ist zum Teil in Selbsthilfe gemacht worden. Das ist der dankbare Teil, den der Maßnahmeträger für solch ein Projekt machen kann, wofür er auch häufig gelobt wird. Es gibt aber auch einen undankbareren Teil dabei. Den des Vertragspartners, an den Forderungen gerichtet werden. Bei aller Solidarität führt das häufig auch zu Streit und Konflikt. Es gibt unattraktive Entscheidungen, die zu treffen sind. In Zielkonflikten zwischen Ökologie, Baukosten und idealen Grundrissen muß mal ein Nein bezüglich Ausstattung, Material im Grundriß, in den Außenanlagen ausgesprochen werden. Irgendwann muß ein Kompromiß auch mal auf den Punkt gebracht werden. Da ist der Maßnahmeträger häufig in der undankbareren Rolle. 2.1 Von der Projektskizzierung bis zum Einzug Der Familienhof Leipzig ist ein Projekt des selbstgenutzten Wohneigentums. Eigentumswohnungen sind in der Nachfrage stark zurückgegangen, dieses Risiko liegt im Moment bei der dfh. Aber es ist ein Projekt, indem die Familien jetzt glücklich einziehen können. Am Anfang gab es einen Entwurf, ein Bild. Und dieser Entwurf war ungeheuer wichtig, um sagen zu können: Da wollen wir mal hin. Und für uns als Familie ist es wichtig, daß wir dort mit einziehen können. Natürlich mußten noch vielen Veränderungen durch Bauämter etc. berücksichtigt werden. Aber im Grundsatz gestaltet, geplant für und von Familien. 3. Auswirkungen des Projektes auf die Stadtteilentwicklung Rundumbetreuung von der Idee bis zum Einzug Beratung kostenlos und unverbindlich Planung der Grundrisse und Außenanlagen Finanzielle Betreuung Begleitung vom Finanzierungsvorschlag, dem Besorgen öffentlicher Fördergelder bis zur Abrechnung der Familien und ihrer Helfer durch Fachpersonal beim Bauen Verwaltung Klären aller Fragen mit den zuständigen Baubehörden und Besorgen erforderlicher Beurkundungen und Eintragungen Gewährleistung 5 Jahre für den Rohbau Versicherung der Helfer, der Baustelle und der Gebäude Bezogen auf diesen Stadtteil - es gab viele, die gesagt haben: Dieser Stadtteil ist eigentlich attraktiv, aber im Moment unattraktiv. Weil die Situation momentan noch nicht beruhigt ist. Sie ist noch nicht so, wie man sich ein sozial stabiles, ruhiges Wohnviertel wünscht. Aber so ein Objekt führt natürlich dazu, daß dieser Stadtteil sich dahingehend entwickelt. Da wo dieses Gebäude jetzt steht, da war früher wilde Brachfläche, wilder Parkplatz. Ein wie man sagt, dreckiger Flecken innerhalb dieses Viertels, mit den entsprechenden Auswirkungen. Und jedes Gebäude, was in dieser Form in diesem Stadtteil entsteht, führt natürlich zu einer Beruhigung und Verbesserung der Wohnsituation. Für diesen Stadtteil ist es eigentlich aus unserer Sicht ein Kristallisationspunkt, von dem aus positive Aspekte für den ganzen Stadtteil entstehen können. Das Familienbegegnungszentrum im Familienhof gehört dazu. Hier wird eine sogenannte Spielerei eingerichtet, d.h. eine Ausleihstätte für Gesellschaftsspiele, ein Anlaufpunkt für Familien im Viertel. Das führt auch dazu, dass sich ein ganzer Stadtteil familiengerecht entwickeln kann. Eine solche Entscheidung muß irgendwo einen Anfangspunkt haben und der ist im Familienhof Connewitz gesetzt worden. Bauen und Wohnen von und für Familien: Umsetzung im Familienhof Leipzig - Connewitz Beteiligung der Familien von Anfang an Rundumbetreuung der Familien von der Idee bis zum Einzug (und darüber hinaus) niedrige Erwerbskosten bei überdurchschnittlicher Ausstattung Einbringung von Eigenleistungen bei fehlendem Eigenkapital familiengerechte, variable Grundrisse Ausbau der Wohnungen unter ökologischen Gesichtspunkten Gemeinschaftsanlagen, wie begrünter Innenhof mit Bewohnertreff, Festplatz, Kinderspielbereich, Grillecke Gemeinschaftsräume für Nachbarschafttreffs und Hausfeste, Sauna Familienbegegnungszentrum mit Spielerei PKW - Einstellplätze im Untergeschoss 16 Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik 4 Wir machen mit! Familien im Familienhof Leipzig - Connewitz Bärbel D. verheiratet 3 Mädchen im Alter von 14, 13 und 9 Jahren Als ich das erstemal angesprochen wurde, hier mitzumachen, war meine spontane Reaktion: Nein. Ich muß dazu sagen, es war Ende 1997 und wir waren im April 1997 erst umgezogen. Und da ist man noch nicht ganz eingerichtet und dann heißt es, wollt Ihr hier mitmachen. Das hat sich aber ganz schnell gewandelt, was verschiedene Ursachen hatte. Wir haben versucht die Wohnung, in der wir vorher gewohnt haben (eine sehr schöne Neubauwohnung), käuflich zu erwerben. Leider war das nicht möglich. Daraufhin haben wir uns beraten lassen und sind auf die Idee gekommen uns in Connewitz zu engagieren. Wir waren bei vielen Baufamilientreffen, die es eigentlich schon von Anfang an gab. Als es hier noch nicht losging, haben wir uns schon vorher getroffen und uns dann im April 1998 entschieden, hier mitzumachen, indem wir den Kaufvertrag unterschrieben haben. Gründe gab es verschiedene. Natürlich haben wir in ganz Leipzig eine Wohnung mit drei Kinderzimmern gesucht. Es war unheimlich schwierig eine Wohnung zu finden, die drei Kinderzimmer hat. Die großen Wohnungen hatten oft nicht die richtigen Zuschnitte. Und wer von Ihnen Kinder in dem Alter hat, der weiß, wie es da manchmal zugehen kann, dann ist man froh, wenn da mal ein bißchen Ruhe einzieht. Das war mit ein Grund für unsere Entscheidung, dass wir hier den Grundriß auf unsere Bedürfnisse zuschneiden konnten. Ein weiterer Vorteil war, dass es eine Eigentumswohnung ist. Wie anfangs schon erwähnt, schwebte uns schon seit längerer Zeit vor, eine Wohnung zu kaufen. Wir haben aber nicht das gefunden, womit wir einverstanden sein konnten. Und dass wir vorher schon einige Familien kannten. Ich muß sagen, dass hat auch schon dazu beitragen. Mit dem Stadtteil Connewitz hatte ich nicht so große Probleme. Ich kannte ihn nur ein bißchen aus der Presse, aber ich denke, es wird sich vieles relativieren. Man muß auch einfach den Kontakt suchen zu den Leuten, die in der Umgebung sind. Und bisher sind wir ganz gut zurechtgekommen. Von den Krawallen haben wir nichts mitgekriegt. Das hat man hier nicht gemerkt. Aus unserer familiären Situation war das wirklich eine gute Sache. Wir haben also die Entscheidung mit den Kindern getroffen, die das Projekt ja mittragen mußten, weil sie in der Schule bleiben wollten. Der Schulweg hat sich für sie etwas verlängert, aber das ist kein Problem. Und sie haben von den Eigenleistungen gehört, also unsere Mädchen mußten da schon mit ran. Das haben sie vorher gewußt und sich auch an den Eigenleistungen beteiligt. Das hat gut geklappt und es wirkt sich schon darauf aus, dass sie mit ihrem Eigentum anders umgehen. Wenn man selber gestrichen hat, dann paßt man schon auf, dass keiner eine Tür an die Wand knallt. Also unserer Familie hat es geholfen. Dezember 1999 Hans-Dieter H. verheiratet zwei Mädchen, im Alter von 4 und 7 Jahren Ich bin als Vertreter einer der Familien da, die nicht von Anfang an dabei waren, sondern irgendwann mal auf den fahrenden Zug aufgesprungen sind. Meine Frau ist eines Tages mit einem Zeitungsausschnitt nach Hause gekommen und hat gesagt. Das ist es. Und dazu erzähle ich eine kleine Vorgeschichte. Wir sind vor drei Jahren aus beruflichen Gründen nach Leipzig gekommen, aber immer mit der Perspektive, dass es eventuell nicht für lange ist. Und eines Tages im letzten Sommer, entschied sich, dass wir doch auf Dauer in Leipzig bleiben können und wollen. Und dann war eigentlich gleich die Frage, wollen wir bauen oder eine Eigentumswohnung erwerben. Wir sind ein bißchen über Land gefahren und haben noch nichts Konkretes im Kopf gehabt, bis diese Anzeige über den Familienhof in der Zeitung erschien. Und da haben wir gleich zugegriffen, dass wir uns um gar nichts anderes mehr gekümmert haben. Das was wir über den Familienhof gehört haben und was meine Frau über den Familienverband noch erfahren konnte, hörte sich sehr verlockend an. Die Möglichkeiten, dass wir an der Planung beteiligt werden und Wünsche einbringen können. Auch die Aussicht darauf, dass wir uns mit der Finanzierung und Planung nicht alleine herumschlagen müssen, sondern dass uns da unter die Arme gegriffen wird. Nachdem ich das über mehrere Monate mit der dfh durchgeackert habe, war ich heilfroh, dass ich das nicht habe alleine machen müssen. Ich wäre fürchterlich baden gegangen. Und so bahnte sich alles ganz positiv an. Die Finanzierung war ein relativ geringes Problem. Was mich am Anfang ein bißchen erschreckt hat war die Reaktion meines jetzigen Wohnumfeldes, als ich sagte: Ich ziehe nach Connewitz! Alle Leute schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Und ich als Neu-Leipziger konnte überhaupt nichts dazu sagen. Bis ich so ein bißchen durch die Gassen getigert bin und gesehen habe, was da z.T. eben für Häuser stehen, was für Leute da drin wohnen. Und dann habe ich mich mit meiner Frau beraten und wir haben gesagt, wir wissen, da wird noch einiges gebaut, die Lücken werden gefüllt. Das Viertel wird sich also verändern. Entweder ziehen die Leute weg, oder sie werden einem Anpassungsdruck ausgesetzt sein. Wir werden irgendwie zusammenkommen müssen. Ich weiß nicht, ob wir wirklich hoffen können, dass es sich hier leben läßt mit Leuten, die etwas anders leben als wir. Wir sind darauf gespannt und warten es eben ab. Was uns für den Familienhof noch eingenommen hat, dass wir spontan unseren Grundriß gefunden hatten, wir brauchten nichts weiter zu ändern. Es war die richtige Anzahl der Zimmer. Ich bin selbständig und brauche ein Arbeitszimmer, die Kinder brauchen ihr passendes Kinderzimmer. Und das war alles da. Und eventuell noch ein Zimmer, das wir später vielleicht mal für meine Mutter abteilen könnten. Meine Mutter hat ihre Wohnung aufgegeben und ist nur noch mit dem Wohnmobil unterwegs. Dann muß man schon ein bißchen peilen, ob es für sie die eine oder andere Woche bei uns in Deutschland ein Zimmer gibt. Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover 17 Dezember 1999 Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik 4 Wohnungs- und Siedlungsplanung für und mit Familien Dr. Dirk Heuwinkel Stellv. Direktor des Instituts für Entwicklungsplanung und Strukturforschung, Hannover Der Blick soll noch einmal auf die Zielgruppe der Familien gelenkt werden. Ist diese Gruppe für die Stadtentwicklung politisch überhaupt interessant? Was sind besondere Anforderungen der Familien an Wohnung und Wohnumfeld? Wie kann man diese Anforderungen in den Planungsprozessen angemessen berücksichtigen? Zur Bedeutung der Familien für die Stadtentwicklung Soziale Stadtentwicklung zielt auf ausgewogene und tragfähige soziale Strukturen sowie auf ein Gleichgewicht in der demographischen Entwicklung, d.h. konkret auf eine ausgeglichene Bilanz von Geburten und Sterbefällen, Zu- und Abwanderung, auf ein verträgliches Mischungsverhältnis zwischen Jung und Alt, Frauen und Männern, Singles und in Gemeinschaft Lebenden, Leistungsfähigen und Stützungsbedürftigen usw. und auf ein vielfältiges soziales, kulturelles und politisches Leben, ablesbar z.B. an Zahl und Vielfalt der Vereine, Gruppen und Initiativen sowie an lebendigen Nachbarschaften und an der Pluralität der Angebote und Anbieter im sozialen, kulturellen und sportlichen Bereich. Menschen, die im Familienzusammenhang leben, sind es - das belegt schon die Mitgliederstruktur der Sportvereine, der Musik- und Kunstschulen etc. - die das soziale und kulturelle Leben in einer Kommune besonders tragen. Ein paar Schlaglichter: Mütter und Väter übernehmen häufiger als Kinderlose ehrenamtliche Funktionen in Vereinen und Gruppen, familienorientiert lebende Jugendliche sind zu einem höheren Anteil Mitglieder in Vereinen und Gruppen; 75% der Personen, die häusliche Pflegeleistungen erbringen, sind verheiratete Frauen; Menschen in Familienhaushalten beteiligen sich intensiver als Kinderlose an Nachbarschaftshilfe. In Anbetracht dessen, dass die Heiratsneigung sinkt und das Scheidungsrisiko steigt, die Zahl der Kinder so dramatisch zurückgegangen und die Überalterung der deutschen Bevölkerung unausweichlich ist, wird klar, wie wichtig neben der Unterstützung von Familien in Notlagen die Sicherung der Leistungsfähigkeit der Familien ist, die heute noch als soziale Basis-Infrastruktur in den Städten, Kreisen und Gemeinden bezeichnet werden können. In den Familien und Nachbarschaften stecken die Solidaritätspo- tentiale unserer Gesellschaft. Es liegt also im Interesse der Kommunen, Familien zu fördern - besonders jene, die vor der Frage stehen, ob sie Kinder großziehen wollen, und die bereits dort lebenden Mütter und Väter, sowie die pflegenden Angehörigen. Sie alle benötigen verläßliche und familienfreundliche Rahmenbedingungen in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, im Schulwesen, im Gesundheitswesen, in Fragen des Wohnens etc. Dies gilt insbesondere für Wohnung und Wohnumfeld, die man als Produktionsmittel verstehen muß, mit denen Familien ihre alltäglichen Leistungen erbringen. Der Normalhaushalt ist schon lange nicht mehr die vorwiegende Form des Zusammenlebens. Die Zahl der Einund Zweipersonen-Haushalte hat gerade in den Städten stark zugenommen. Neue Haushaltstypen sind entstanden, wie Karriere-Singles, Alleinerziehende mit Kindern, Wohngemeinschaften, Alters-Singles etc. Diese sind Ausdruck einer größeren Wahlfreiheit in der Lebensplanung. Sich ausdifferenzierende Lebensweisen manifestieren sich in einer zunehmenden Heterogenität der Wohnbedürfnisse. Haushalte und Familien dürfen nicht verwechselt werden. Familien bestehen heute aus einem Netzwerk verwandtschaftlich verbundener Haushalte, vor allem wegen der Individualisierung der Lebensstile, des relativ hohen Wohlstandes vieler und der zunehmenden Lebensdauer. In der öffentlichen Diskussion wird in der steigenden Zahl kleiner Haushalte oft ein Symptom für den Funktionsverlust der Familie gesehen. Das familiale Netzwerk, tragende Struktur des sozialen Systems Familie, ist aber nicht zerstört, wie unsere Netzwerkforschungen zeigen1. Vielmehr bietet nach wie vor gerade die Familie verläßliche Solidarität und Hilfe in Notlagen. Wir müssen heute von einem modernen Familienbild ausgehen, das die Vielzahl unterschiedlicher Rechts- und Wohnformen berücksichtigt, in denen sich Familienleben heute vollzieht. Familien-Netzwerk Die in allen Familienformen vorzufindenden System-Eigenschaften sind es, die als Basis der sozialen Stadtentwicklung gestärkt und aufgebaut werden müssen: (a) die Möglichkeiten zur Teilhabe - sei es in Hausgemeinschaft, Nachbarschaft oder auf Distanz (keine Isolation und Vereinzelung), 18 Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik (b) die Möglichkeiten zur Erfahrung von Liebe, Angenommensein und Geborgenheit, (c) die Schaffung von Räumen zur Entfaltung der Persönlichkeit, (d) die wirtschaftliche Absicherung, (e) Erziehung, Betreuung und Pflege, (f) verpflichtende Solidargemeinschaft der Generationen und Geschlechter im Alltag und in Notlagen (Familie als Kontakt- und Hilfenetz), (g) Bereitschaft zum Engagement für andere (auch z.B. in Vereinen). Im Rahmen sogenannter Netzwerkforschungen kann man feststellen, dass auch ein sehr großer Teil der EinpersonenHaushalte in Kontakt zu anderen Haushalten des Familiennetzwerkes steht, die am selben Ort ansässig sind. Nicht nur in den Kernfamilien, auch zwischen den Haushalten werden innerhalb des Familiennetzwerkes erhebliche Leistungen erbracht. Die von A. Borchers durchgeführte und unter dem Titel Die Sandwich-Generation Ihre zeitlichen und finanziellen Belastungen 1 veröffentlichte Studie hat diese zwischen den Haushalten stattfindenden Kontakte und Hilfebeziehungen und Leistungsaustausche empirisch erstmals nach Zeiteinsatz und Geldwert erfaßt. Betrachtet werden die Kontakte und Leistungen aus dem Blickwinkel der mittleren Generation - das sind in der Studie die 40-60Jährigen. Kontakte und Leistungen wurden für eine Berichtswoche in Tagebüchern erfasst, soweit sie der bereits selbständig wohnenden Kinder-Generation oder der noch selbständig lebenden Eltern-Generation zugute kamen. Einige ausgewählte Ergebnisse im Überblick: 96 % der Frauen der mittleren Generation (40-60 Jahre) hatten innerhalb der Berichtswoche Kontakte zu den eigenen Eltern oder zu den eigenen Kindern mit selbständigen Haushalt. 75 % der Männer haben solche Kontakte. 87 % der Frauen haben Personen aus diesen beiden anderen Haushalten getroffen. 23 % der Frauen haben Kinderbetreuung gegenüber den Enkeln erbracht und 21 % Pflegeleistungen gegenüber den eigenen Eltern. 26 % der Männer übernahmen Aufgaben im Bereich der Gartenarbeit, Handwerkerdienste und Behördenschriftwechsel. Diese Netzwerkleistungen - die weit überwiegend von den Frauen erbracht werden - sind es, die in ganz erheblichem Maße diese verwandtschaftliche Struktur am Leben hält. Wandel der Wohnbedürfnisse - Starrheit des Gebauten Wenden wir uns nun den Wohnbedürfnissen von Familien zu: Unser heutiger (Miet-)Wohnungsbestand wird noch weitgehend von Wohnungsstandards geprägt, die sich zwischen 1890 und 1930 herausgebildet haben. Der damalige Wandel im Wohnungsbau trug einerseits der Tatsache Dezember 1999 Rechnung, dass sich die Funktion der Familie im Zuge der Industrialisierung veränderte und immer mehr Aufgaben und Familienmitglieder abgab: Wohnungsgrößen und -zuschnitte wurden auf den Typus der Normal-Familie (aus Eltern und 2 Kindern) ausgerichtet; Wohnungen wurden als Orte der Nicht-Arbeit, des Konsums und der Freizeit gestaltet. Wohnen und Arbeitsstätten wurden räumlich getrennt, um die Wohngebiete von Lärm und Schmutz zu entlasten; Funktionen wurden ausgelagert: Lebensmittelverarbeitung und -bevorratung wurden industriell organisiert, Kinder in Kindergärten betreut, Werkstattarbeiten zur Instandhaltung von Geräten und Gebäuden auf Handwerker übertragen usw. Wohnungsbau stand andererseits zumeist auch vor der Aufgabe der Bewältigung des Wohnungsmangels. Aus dem Bemühen heraus, möglichst viele Wohnungen zu bauen, wurden deshalb Standardisierungen vorgenommen. Jede Neubauwohnung war für die einziehende Familie besser als die bisherige. In Phasen der Entspannung auf dem Wohnungsmarkt zeigen allerdings die Umzugsketten deutlich, dass die Wohnbedürfnisse der Familien mit diesen auf die Kleinfamilie hin programmierten Geschoß-Wohnungen nicht wirklich befriedigt werden. Wohnungsbau und Wohnungspolitik müssen heute von dem modernen Familienbild des Netzwerkes ausgehen! Vor dem Hintergrund der Vielfalt der familialen Lebensformen sollen drei im traditionellen Familien- und Wohn-Leitbild ausgeblendete Aspekte des Wohnens von Familien ins Blickfeld gerückt werden: Die Gestaltung des Wohnbereichs (Wohnung und Wohnumgebung) zu einem Ort, an dem (1) Familien ihre vielfältige Leistungen erbringen können, wie Erziehung, Erfüllung emotionaler Bedürfnisse, hauswirtschaftliche und handwerkliche Arbeiten, Betreuung und Pflege, Spiel und Entspannung usw.; (2) die lebensräumlichen Kontakt- und Hilfenetze zwischen den verschiedenen Haushalten der Familien und in den Nachbarschaften gestärkt werden; (3) die sich wandelnden Wohnansprüche im Familienzyklus auch ohne die Notwendigkeit eines Umzugs befriedigt werden können. Wohnung und Wohnumfeld als Orte vielfältiger Leistungen der Familien Familienfreundlich sind Wohnungen, wenn sie die Familien in ihrer Leistungskraft unterstützen. Führen wir uns also die Leistungen der Familien für sich selbst und für die Gemeinwesen vor Augen: Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Sicherung der wirtschaftlichen Existenz ihrer Mitglieder, Betreuung und Pflege behinderter, kranker und altersbedingt pflegebedürftig gewordener Menschen, Gewährung persönlicher Entfaltungsspielräume, Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover 19 Dezember 1999 Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik Vermittlung von Geborgenheit, Zuwendung und Liebe. Damit Wohnungen Familien in ihrer Leistungsfähigkeit unterstützen, müssen sie folgendes bieten: (1) Je Person ein Raum zum individuellen Rückzug Familien brauchen den Wechsel zwischen Nähe und Distanz. Jedes Haushaltsmitglied benötigt deshalb einen Rückzugsraum. Je Person sollte deshalb ein Raum zur Verfügung stehen. In Familien mit nur einem Elternteil wird häufig zusätzlich ein Rückzugsraum für den Elternteil benötigt. (2) Bereiche für Gemeinschaftsaktivitäten, Medienkonsum etc. Das klassische repräsentativ große Wohnzimmer mit Zugang zum Freisitz und Familienfernseher entspricht vielfach nicht mehr den Bedürfnissen. Gemeinschaftsaktivitäten und Kinderbetreuung gruppieren sich häufig um die Essenszubereitung, sind also dem Koch- und Eßbereich zuzuordnen. Kleine Funktionsküchen sind nicht mütter- und familiengerecht. Ein Wohnzimmer, das überwiegend Fernsehraum oder Rückzugsraum der Eltern ist, muß nicht größer sein als Individualräume. Elternschlafzimmer müssen so konzipiert sein, dass sie auch tagsüber als individueller Rückzugsraum genutzt werden können. Die Zunahme und Ausdifferenzierung der Kommunikations- und Datentechnik im häuslichen Bereich wird neue Wohnfunktionen hervorbringen, die möglicherweise bald eigene Raumansprüche begründen, so wie sich früher einmal das Badezimmer herausbildete. (3) Platz für Hauswirtschafts- und HeimwerkerArbeiten Informelle Arbeiten wie Kochen, Vorratswirtschaft, Wäschepflege usw. sind nach wie vor Tätigkeiten, die aus Kostengründen oder zur Erfüllung spezifischer Qualitätsansprüche (z.B. Bio-Küche) in den Familien erbracht werden. Heimwerker-Arbeit ist z.T. Hobby, meist aber auch notwendige Selbsthilfe in einer Zeit, in der Handwerker entweder gar nicht wegen kleinerer Aufträge kommen oder zu teuer sind. (4) Genug Abstellräume In Haushalten mit Kindern sammeln sich heute erheblich mehr Ausstattungsgegenstände an als früher. Es fehlt daher oft an Abstellräumen und Nebenflächen zur Aufbewahrung von Winterkleidung, Kindermöbeln, Hobbygeräten, Fahrrädern etc. (5) Abstellmöglichkeiten für Kinderwagen und Fahrräder in Hauseingängen Fehlende Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und Kinderwagen sind oft Anlaß für Reibungen und Störungen des Hausfriedens. Aufenthalts- und Begegnungsräume und Orte für Eigenarbeit werden - wenn die Wohnungen sie nicht bieten - auch in Form halböffentlicher soziokultureller Verfügungsflächen im Wohnumfeld nachgefragt. Insbesondere in städtischen Mietwohnquartieren haben derartige Angebote für alle Familienmitglieder eine wichtige Ergänzungsfunktion zur Grundversorgung in der eigenen, oft zu kleinen Mietwohnung. Die Entfaltung von informeller Arbeit gelingt am besten im Wohneigentum. Vor allem Familien im Eigenheim mit Garten sind im Vorteil gegenüber Familien, die in Mietwohnungen, insbesondere in Geschoßwohnungsbeständen leben. Eigenheime bieten in der Regel nicht nur genügend Räume für gemeinschaftliche Aktivitäten, Kommunikation und individuellen Rückzug, sondern auch für Hausarbeit, Heimwerker-Arbeit und Hobby. Damit Wohnumfeld und Quartier Familien in ihrer Leistungsfähigkeit unterstützen, müssen sie folgendes bieten: (1) Je Wohnung ein Freisitz Jede Wohnung sollte über einen eigenen Freisitz (Terrasse, Balkon, Mietergarten) verfügen. (2) Wohnungsnahe Flächen für gefahrloses Spiel Familien mit kleinen Kindern benötigen insbesondere Spielflächen in Sichtweite der Küchen, die so abgesichert sind, dass Eltern die Kinder nicht permanent beaufsichtigen müssen. (3) Halböffentliche Kommunikationsbereiche Die halböffentlichen Freiräume sind wichtige Kommunikationsbereiche für jüngere und ältere Menschen. Verkehrsberuhigung und die Rückgewinnung der Parkplätze für die soziale Nutzung tragen zur Entlastung der Familien bei. Wenn das Spielen im Wohnumfeld möglich ist, werden Eltern vom Bringen und Holen der Kinder entlastet. Wenn das Spielen gefahrlos möglich ist, mindert dies den Streß der Eltern. (4) Entlastung von weiten Versorgungs- und Freizeitwegen Das Wohnquartier sollte für die weniger mobilen Bewohner oder für solche, die den PKW-Gebrauch gering halten wollen, eine Grundausstattung mit Einkaufsgelegenheiten, ärztlichen Angeboten, Sport- und Freizeitmöglichkeiten bieten. (5) Entlastung von weiten Arbeitswegen Hinsichtlich einer möglichst engen räumlichen Zuordnung von Wohnung und Erwerbsarbeitsplatz sollten die Möglichkeiten der modernen Technik und Arbeitsorganisation konsequent genutzt werden. Verträgliche wohnungsnahe Arbeitsstätten tragen zur besseren Vereinbarkeit von Familienarbeit und Beruf bei. Als verträgliche Arbeitsplätze im Wohnquartier kommen insbesondere in Betracht: Büros, Sozialstation, Pflegewohnung. 20 Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik Bei der Ausweisung von Wohngebieten sollten in der Bauleitplanung keine reinen (WR) sondern allgemeine Wohngebiete (WA) festgelegt werden. Eine kleinteilige Mischung von Wohngebieten mit nichtstörendem Gewerbe (GE) oder Mischgebieten (MI) schafft die Voraussetzungen für eine familienfreundliche Nähe von Wohnungen und Arbeitsplätzen, für Mischgebiete neuen Typs. (6) Sicherheit im Wohnumfeld Wege und Plätze in den Wohnquartieren müssen so gestaltet werden, dass die Schulwege sicher und Angsträume z.B. für Frauen und Ältere vermieden werden. Stärkung der Familiennetze durch Maßnahmen in Wohnungswirtschaft und Siedlungsplanung Damit die Kontakt- und Hilfenetze zwischen den verschiedenen Haushalten der erweiterten Familie gepflegt werden können, kommt es darauf an, dass die Wohnungen altengerecht umrüstbar sind, damit ein möglichst langes selbständiges Leben in den Wohnungen mit familiärer Netzwerkhilfe möglich ist, und nicht zu weit voneinander entfernt sind, denn nur bei guter Erreichbarkeit, z.B. wenn die Wohnungen im selben Stadtteil liegen, ist Anteilnahme und - wenn nötig - Hilfeaustausch möglich. Die sozialen Netzwerke von Familien können z.B. durch folgende Maßnahmen in Wohnungswirtschaft und Siedlungsplanung gestärkt werden: (1) Vielfalt unterschiedlicher Wohnungsgrößen und -ausstattungen in einem Quartier Sie ist eine wichtige Voraussetzung für räumliche und soziale Nähe der Generationen und damit auch für gegenseitige Hilfe. Im Wohnungsneubau sollte eine Mischung der Wohnungstypen angestrebt werden von großen und kleinen Wohnungen und von Eigentums- und Mietwohnungen, damit unterschiedliche Generationen - z.B. junge Familien und Großeltern - in Nachbarschaft leben können. Auch Umbau und Modernisierung sind für eine Überprüfung des Wohnungsgemenges und für eine zweckmäßige Mischung und Gestaltung der Wohnungen (altengerecht, behindertengerecht, kindergerecht) innerhalb der Quartiere zu nutzen. (2) Wohnungen müssen altersgerecht umrüstbar sein Nur wenn Wohnungen altersgerecht hergerichtet werden können, ist Nachbarschaft von Jung und Alt mit den Möglichkeiten der Kontakt- und Hilfenetze im Alltag lebbar. (3) Multifunktionale Flächen für Familienfeste, Selbst- und Nachbarschaftshilfe (soweit die Wohnungen selbst zu klein sind) In solchen räumlichen Angeboten können soziale und kulturelle Dienste (Kinderbetreuung, Versorgung älterer Dezember 1999 Menschen, Krankenwohnung usw.) in Selbstorganisation erbracht werden. Auch ein Teil der sogenannten Ergänzungseinrichtungen kann in den halböffentlichen Raum verlagert werden, d.h. gemeinschaftlich genutzt werden (z.B. Werkstätten, Räume für Feiern, Gästezimmer). Durch Familienzentren, Alten- und Jugendtreffs kann quartiersbezogen eine familienergänzende Infrastruktur organisiert werden. Insbesondere für ältere Menschen und junge Familien mit kleinen Kindern, die am Wohnort in kein familiales Netz eingebunden sind, bilden derartige außerfamiliale Kommunikations- und Hilfsangebote eine wichtige Unterstützung im alltäglichen Leben. (4) Netzwerkfreundliche Wohnungsbelegung Die Belegung der Mietwohnungen sollte nicht allein nach Kriterien der Haushaltsgröße, Solvenz oder Lebensalter erfolgen, sondern die sozialen Kontakt- und Hilfenetze der Haushalte berücksichtigen. Auf diese Weise können auch in Mietwohnungsbeständen familien- und nachbarschaftsorientierte Netzwerke angeregt und unterstützt werden. Für die Vermieter hat dies den guten Nebeneffekt, dass sich die Bewohner mit ihrer Wohnung stärker identifizieren. Die soziale Kontrolle nimmt zu. Dem Wandalismus wird entgegengewirkt. Anpassung der Wohnung an sich wandelnde Ansprüche im Familienzyklus Die Ausrichtung auf Zielgruppen verhindert die Wahrnehmung, dass Wohnungen und Siedlungen verschiedenen Phasen des Familienzyklus gerecht werden müssen. Gerade an den Übergängen von einer Lebensphase zur nächsten erweist sich die Qualität des gebauten Lebensraumes, z.B. wenn ein Kind kommt, Jugendliche ihren Freiraum suchen, Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit in Einklang zu bringen sind, die Kinder das Haus verlassen, Krankheit und Pflege organisiert und bewältigt werden müssen, Altersgebrechen die Bewirtschaftung der Wohnung erschweren, der Partner stirbt. Derartige Veränderungen stellen die Familien und ihre Mitglieder vor neue, oft schwer zu bewältigende Aufgaben. Hierzu gehören insbesondere Veränderungen in den quantitativen und qualitativen Wohnansprüchen. Betrachten wir den Familienzyklus, so läßt sich generalisierend folgendes Bild des Wandels der Wohnbedürfnisse zeichnen: In der Phase der Familiengründung und des Heranwachsens kleiner Kinder suchen die Familienhaushalte kindgerechte Wohnbedingungen, d.h.: hinreichend große Wohnungen, Wohnen im Grünen, individuelle Wohnformen, in denen die Wohninnenbereiche und -außenbereiche möglichst eng miteinander verklammert sind, kurze Wege, Ruf- und Sichtkontakte zu Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover 21 Dezember 1999 Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik Spielplätzen der kleinen Kinder, Kindergärten, Spielplätze in der Nähe, gefahrlose Wohnstraßen. Wenn Kinder größer werden, entsteht Nachfrage nach Wohnungen mit eigenen Bereichen für die heranwachsenden Kinder, Sportmöglichkeiten, Schulangeboten, Beschäftigungsmöglichkeiten in der Nachbarschaft für den bisher familientätigen Elternteil. So wie die Vergrößerung des Haushalts einen erhöhten Wohnungswechsel-Bedarf erzeugt, kann auch die Verkleinerung des Haushalts Überlegungen hervorrufen, in eine kleinere Wohnung umzuziehen oder die Wohnung zu teilen. Anforderungen an das Wohnumfeld und die lebenssituationsspezifische Infrastruktur wandeln sich drastisch in der nachelterlichen Phase, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Die Suche nach neuen Gemeinsamkeiten und Beziehungsgrundlagen endet zunehmend häufiger auch in Ehescheidungen, was wiederum den Auszug zumindest eines Partners nach sich zieht und den Wohnungsbedarf erhöht. Für ältere Menschen ist es grundsätzlich wünschenswert, ihren oft seit langem angestammten Wohnstandort zu behalten, solange dies möglich ist. Der Hauptgrund für einen Wohnungswechsel im Alter ist das Eintreten der Hilfe- oder gar Pflegebedürftigkeit. Private Hilfenetze oder ambulante, professionelle Hilfen können die Selbständigkeit des Wohnens aber nur dann sichern oder zumindest für eine längere Zeit erhalten, wenn die Wohnung altengerecht ist oder hergerichtet werden kann. Die Qualität des Wohnstandortes als Lebensraum mißt sich folglich daran, ob sich entweder die Wohnungen den veränderten Anforderungen im Familienzyklus gut anpassen lassen (Flexibilität) oder ob die Mischung der Wohnungen im Quartier für alle Phasen im Lebenszyklus Möglichkeiten des Umzugs im Quartier bieten. Wohnungswesen und Städtebau können z.B. durch folgende Konzepte auf Familien- und Kinderfreundlichkeit hinwirken: (1) Nutzungsflexible Räume Die Vielfalt und der Wandel der Nutzungsanforderungen erfordern Nutzungsneutralität der Wohnung, die alternative Nutzungen von Räumen zuläßt. Diese läßt sich z.B. erreichen durch Verzicht auf unterschiedliche Raumgrößen und spezielle Einbauten. Grundrisse im Sozialen Wohnungsbau sind dagegen meist stark hierarchisiert und spezialisiert. (2) Wohnungsgrößen-Mix, Teil- und Zusammenlegbarkeit der Wohnungen Die sich wandelnden Anforderungen an die Wohnung im Lebenslauf erfordern Flexibilität der Zuordnungen, z.B. die Möglichkeit des Teilens und Verbindens von Räumen und Wohnungen oder die Mischung und sinnvolle Zuordnung von Wohnungen innerhalb eines Quartiers in Verbindung mit einem sozialen Belegungsmanagement und Hilfen beim Wohnungstausch. (3) Verfügbarkeit über Wohnung und Wohnumfeld Die Anpassung der eigenen Wohnung an wechselnde Anforderungen ist nicht nur eine Frage der Architektur, sondern auch der Verfügbarkeit. Wohneigentum bietet hierfür die besten Voraussetzungen, Wohnen zur Miete dagegen kaum Möglichkeiten für eine selbstbestimmte Gestaltung von Wohnung und Wohnumfeld, es sei denn, es lassen sich Arrangements der Mietermitbestimmung finden. (4) Vorbereitung von altersgerechtem Umbau der Wohnungen (5) Quartiersbezogene soziale Dienste Die qualitativen Anforderungen an das Wohnen gelten auch für das wohnungsbezogene Infrastrukturangebot. Anpassungsfähigkeit der quartiersbezogenen Einrichtungen (z.B. Mehrfachnutzung) sind vor allem für die lebensphasenbezogenen Infrastrukturen unumgänglich, da mit quantitativen Änderungen der Bedarfe gerechnet werden muß. (6) Wohnungsnahe Grundversorgung Die Menschen sind in den verschiedenen Lebensphasen in unterschiedlicher Weise verkehrlich mobil. Kinder und Jugendliche, Mütter mit Kindern und Ältere sind stärker als andere auf eine Grundversorgung mit Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitangeboten im Wohnquartier angewiesen. Verzahnung von Sozialplanung und Stadtplanung Angesichts der begrenzten Mittel in den Kommunen kommt es darauf an, deutlich zu erkennen, dass soziale Stadtentwicklung nicht unbedingt mehr Geld erfordert. Vielmehr sind alle ohnehin vorgesehenen kommunalen Maßnahmen und die der Investoren auf ihre Familienfreundlichkeit hin zu prüfen und - wenn möglich - zur Stärkung der sozialen Grundstrukturen in Familien und Nachbarschaften zu nutzen. Damit bei Neubau und Modernisierung Wohnungen entstehen, die die Familien und Nachbarschaften in ihrer Alltagsorganisation unterstützen, ist es nötig, die Handelnden immer wieder auf die sich wandelnden Wohnbedürfnisse der Familien aufmerksam zu machen und verfestigte Standards in Frage zu stellen. Hierzu könnte eine Arbeitsgruppe Familiengerechtes Wohnen in der Kommune den geeigneten Rahmen bieten. Partner für die Diskussion über Wohnbedürfnisse von Familien sind insbesondere Familien selbst als Mieter und Bauherren, Familienverbände, sachkundige Bürger, Verbraucherverbände, Architekten, Bauträger und Wohnungsgesellschaften, Baufinanzierer, Stadtplaner, Landschaftsplaner, etc. Kommunalpolitiker als Entscheidungsträger. Die Sozialplaner der Kommune (in Sozialamt, Jugendamt, Frauenförderung, Wohnungsamt usw.) haben die Möglich- 22 Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik keit, die Belange der sozialen Entwicklungsplanung in Planungsverfahren von Stadtplanung, Hochbauamt, Tiefbauamt einzubringen. Oft werden sie jedoch im Umlaufverfahren erst so spät einbezogen, dass eine qualifizierte Mitwirkung nicht mehr möglich ist. Deshalb sollte die Zusammenarbeit von Stadtplanung und Sozialplanung sowohl kontinuierlich strategisch als auch aktuell projektbezogen organisiert werden. Strategische Zusammenarbeit vollzieht sich z.B. im Rahmen der vorbereitenden Bauleitplanung. Die Ämter arbeiten auf dieser Ebene dem Bau- und Planungsdezernat mit Fachplänen zu. Solche Fachpläne sind z.B. der Schulentwicklungsplan, Altenplan, Kinder- und Jugendhilfeplan,Verkehrsentwicklungsplan etc. Derartige Pläne sind geeignete Anlässe, das kinder und familienpolitische Gewissen der Flächennutzungsplanung und der Bauleitplanung zu schärfen. Die Umsetzung in kinder- und familienfreundliches Handeln erfolgt jedoch im Vollzug der Bauleitplanung nur sehr langsam und indirekt. Deshalb könnte ein Verfahren der Familien- und Kinderfreundlichkeitsprüfung nützlich sein. 2 Projekte, die z. B. im Kommissionsstil bearbeitet werden, sind deshalb besser geeignet, kinder- und familienpolitische Ziele wirksam umzusetzen. Eine aus allen beteiligten Ämtern zusammengesetzte Projektgruppe bringt das Vorhaben ohne lange Mitzeichnungs- und Abstimmungswege zur Entscheidungsreife. Beteiligung der Familien Damit sich die Vielfalt der Lebensstile und Lebensphasen aber in diesen Siedlungen auch optimal entfalten können, ist ein höheres Maß an Mitgestaltung und Mitverantwortung notwendig als bisher. Sowohl bei der Gestaltung der Wohnungen, bei deren Nutzung und Nutzungsveränderung als auch bei der Gestaltung, Nutzung und Umnutzung der wohnungsbezogenen Freiflächen und Verfügungsräume. Stadtplanung und Wohnungswesen könnten die Kompetenz der Bürger noch besser nutzen. Eltern z.B. sind wegen ihrer Kinder besonders für Fragen der Wohnumfeldgestaltung sensibilisiert und bereit, sich für eine Verbesserung der Bedingungen mit Planungs-Kreativität oder mit Selbsthilfeorganisationen zu engagieren (z.B. Elternlotsendienst, Schulwegsicherung, Verkehrsberuhigung, Wohnumfeldgestaltung). Auch ältere Menschen sind Experten für ihr Wohnumfeld und dessen strukturelle Rücksichtslosigkeiten. Themenfelder die diese Altersgruppe besonders betreffen, sind Sicherheit im öffentlichen Raum (Angsträume), alten- und behindertengerechte Gestaltung von Wegen, Plätzen und Verkehrsanlagen u.ä. Dieses Engagement sollten sich kommunale Planer zunutze machen. Bei der Planung von Wohnungen, Infrastruktur und Wohnumfeldverbesserungen im Quartier bieten sich immer wieder Anlässe zur Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Dabei können die unterschiedlichen - häufig auch gegensätzlichen - Auffassungen über angemessenes Wohnen zur Sprache kommen und weitgehend ausgeglichen werden. Der Mehraufwand für diese frühzeitigen Beteiligungsschritte Dezember 1999 wird durch ein weniger widerspruchsbelastetes Verfahren später leicht aufgewogen. 1 2 Schubert, H. J.: Private Hilfenetze. Solidaritätspotentiale von Verwandtschaft, Nachbarschaft und Freundschaft. = Mat. d. Inst. f. Entwicklungsplanung u. Strukturforschung Bd.145, Hannover 1990 Borchers, A.: Die Sandwich-Generation - Ihre zeitlichen und finanziellen Leistungen und Belastungen. Frankfurt/M. 1997 Borchers, A., Heuwinkel, D.: Familien- und Kinderfreundlichkeits-Prüfung in den Kommunen: Erfahrungen und Konzepte. Stuttgart Berlin Köln 1998 4 Rubriken Informationen / Broschüren Hier wohnen wir... Kölner Leitfaden für kinderfreundlichen Wohnungsbau Für Entwicklung und Persönlichkeitsbildung von Kindern ist ihr Zuhause ein wesentlicher Sozialisationsfaktor. Daher kann kindgerechtem Wohnungsbau gar nicht genug Bedeutung zugemessen werden. Das Amt für Kinderinteressen der Stadt Köln und die Kölner Wohnungsbaugesellschaft Grund und Boden GmbH wollen dazu in Form dieses praktischen Leitfadens einen Beitrag leisten. Er ist keine detaillierte Planungsvorgabe, sondern soll zum Beschreiten neuer Wege anregen. Herausgeber: Stadt Köln Der Oberstadtdirektor Amt für Kinderinteressen Johannisstr. 66-80 50668 Köln Familien- und frauengerechtes Bauen und Wohnen Beispiele aus Hessen Verursacht durch tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen und die Vielfalt von Lebens- und Haushaltssituationen haben sich die Ansprüche an das Leben in den eigenen vier Wänden grundlegend verändert. Unter dem Gesichtspunkt familien- und frauengerechtes Wohnen entstanden in den zurückliegenden Jahren verschiedene Wohnprojekte in Hessen, von denen fünf in der Broschüre dargestellt werden. Beispielhaft wird aufgezeigt, dass in der Zusammenführung von familien- und wohnungspolitischen Zielsetzungen innovative Schritte im Bereich des öffentlichen Wohnungsbaus praxisnah umgesetzt und unmittelbar sichtbar und erlebbar werden können. Herausgeber: Hessisches Sozialministerium Dostojewskistr. 4 65187 Wiesbaden Innerstädtisches und stadtnahes Wohnen Mit der Initiative wird ein Problemfeld des Städtebaues aufgezeigt, das gleichermaßen kleine Gemeinden wie die Mittel- und Großstädte berühren kann: ortsnahe und inner- Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover 23 Dezember 1999 Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik örtliche Flächen, die aus vielerlei Gründen ihre bisherige Nutzung verlieren, werden oft zum Ballast, weil sich keine neue Verwendung bietet. Städte und Gemeinden, Stadtplaner und Architekten entwickeln Perspektiven für neue Wohnformen. Durch die Umnutzung vorhandener Brachflächen konnten Modelle familien- und kinderfreundlichen kostengünstigen Wohnens entwickelt werden. Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen - Geschäftsstelle Crailsheimer Str. 52 74523 Schwäbisch Hall Tel.: 0791/ 46-53 38 Fax: 0791/ 46-53 39 Ein Haus gemeinsam bauen... Organisierte Gruppenselbsthilfe im Eigenheimbau Das Wohneigentum ist nach wie vor die beliebteste Wohnform von Familien. Vielfach haben insbesondere junge Familien mit Kindern nur dann eine Chance, Eigentümer zu werden, wenn sie kosten- und flächensparende Projekte realisieren oder selbst einen Teil der Bauarbeiten übernehmen. Das Konzept der Organisierten Gruppenselbsthilfe verbindet die Aspekte; das gute, aber auch kostengünstige Bauen in Eigenleistung und die Zusammenarbeit mit anderen Selbsthelfern unter fachkundiger Anleitung. Die Broschüre gibt Informationen, Anregungen und Tipps rund um die Organisierte Gruppenselbsthilfe im Eigenheimbau. Sie richtet sich an alle Bauwilligen, aber auch an Architekten, Wohnungsbau- und Bauunternehmen und Gemeinden. Bestelladresse: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen Krausenstraße 17-20 10117 Berlin Ein Koffer voller Kinderrechte Eine Grundvoraussetzung für die Durchsetzung der Kinderrechte ist, dass sie eine große Bekanntheit genießen. Viele Erwachsene, die mit Kindern arbeiten, haben den Wunsch, selbst mehr über die Kinderrechte zu erfahren, um den Kindern diese Rechte näher zu bringen. Häufig fehlt aber gutes Informationsmaterial. Dazu hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einen Medienkoffer herausgegeben. Der Koffer wurde mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Medien gefüllt, die eine wertvolle Unterstützung bei der Behandlung der Kinderrechte gemeinsam mit Kindern sind. Die Materialien im Koffer haben einen Wert von fast 800,- DM. Durch die Unterstützung beteiligter Institutionen ist es möglich, den Koffer zu einem Preis von DM 450,- anzubieten. Bestelladresse: KiKo, Büro für Kinder und Kommunikation Gerhard-Becker-Str. 21-23 63075 Offenbach Tel.: 069/ 95 52 06 81 Fax: 069/ 86 68 73 E-Mail: Ki-Ko@t-online.de Anstöße - Familienpolitischer Ratgeber für die Kommunalpolitik Alle politisch interessierten Menschen und kommunale Mandatsträger, die an der Gestaltung familienpolitischer Rahmenbedingungen in der Kommune mitwirken wollen, können mit diesem Ratgeber eine Unterstützung erhalten. Mit Hintergrundinformationen und konkreten Handlungsvorschlägen können konsequente Lösungen zur Familienförderung entwickelt, initiiert und unterstützt werden. Ferner werden kompetente Ansprechpartner benannt, die entweder bei der Umsetzung Hilfestellung leisten oder weitergehende Informationen liefern können. Herausgeber: Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände in Nordrhein-Westfalen Tempelhofer Str. 21 52068 Aachen Tel.: 0241/ 9 66 04 20 Fax: 0241/ 9 66 04 21 Aktuelles aus dem Netzwerkbüro Das Netzwerk im Jahr 2000 Die gute Nachricht zu Beginn: Das Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik wird Ihnen auch im Jahr 2000 weiterhin mit seinem Kontakt-, Informations- und Beratungsservice zur Seite stehen. Sowohl der Bund als auch die Mehrzahl der Länder unterstützen dieses Leistungsangebot. Leider müssen wir im nächsten Jahr Interessenten aus Ländern, die nicht mitfinanzieren, unser bislang kostenfreies Angebot für Beratung und Recherchen in Rechnung stellen. IMPRESSUM Netzwerk-Rundbrief Netzwerk für örtliche und regionale Familienpolitik Herausgegeben vom Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15, 30163 Hannover Tel.: 0511/ 399-70 Fax: 0511/ 399-7229 Netzwerkbüro: Martina Kuhnt, Tel: 0511/ 399-7257 E-Mail: Kuhnt@ies.uni-hannover.de Netzwerkdatenbank: Elke Blume, Tel: 0511/ 399-7294 Internet: http://www.ies.uni-hannover.de Texte externer Autoren spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. 24 Netzwerkbüro im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung Lister Str. 15 30163 Hannover