Halbjahresbericht Bayern 2015: Gefahren des Cyber
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Halbjahresbericht Bayern 2015: Gefahren des Cyber
Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr Verfassungsschutzinformationen Bayern 1. Halbjahr 2015 Gefahren des Cyber-Jihad In Videos und Online-Magazinen wird zu Terrorakten auch in Deutschland aufgerufen Anzahl deutschsprachiger Webseiten mit Bezug zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS) steigt Ausreisewillige Jihadisten finden im Internet vielfältige Unterstützungsangebote IS baut „Cyber-Armee“ auf, um westliche Computernetzwerke und Internetauftritte schädigen zu können Das Internet als Propaganda-, Rekrutierungs- und Steuerungsmedium Islamisten nutzen das Internet in immer stärkerem Maße als Propaganda-, Rekrutierungs- und Steuerungsmedium, aber auch um jihadistisch motivierte elektronische Angriffe auf westliche IT-Infrastruktur durchzuführen. Sie machen damit von den vielfältigen Möglichkeiten Gebrauch, die ihnen der Cyberspace bietet: Er ist schnell, kostengünstig und damit ressourcenschonend zu nutzen, von jedem Ort mit Internetanbindung aus zugänglich und ermöglicht weitgehende Anonymität. Die salafistisch-jihadistische Terrororganisation Islamischer Staat (IS) hat deshalb ein ganzes Netzwerk von Einrichtungen aufgebaut, die die Ziele des IS im Internet voranbringen sollen. Dazu zählen die ISMedienstellen „al-Hayat Media Center“, „al-Furqan Media“, „all’tisam Media“, „al-Ghuraba Media“ und „Ajnad Media (Anashid)“. -2- Auch mehrere deutsche Unterstützerprojekte haben sich herausgebildet. Die al-Qaida-Organisation, die im Hinblick auf den Führungsanspruch im weltweiten Jihad in Konkurrenz zum IS steht, nutzt ebenfalls schon seit langem das Internet für ihre Ziele. Zuletzt haben die Aktivitäten von al-Qaida im Internet jedoch nachgelassen. Vier Hauptmotive sind es, die die Internetaktivitäten salafistisch-jihadistischer Organisationen und Gruppierungen bestimmen: die Verbreitung ihrer extremistischen Ideologie, die Rekrutierung neuer Unterstützer und Sympathisanten, die Nutzung des Internets zur internen Kommunikation und Steuerung ihrer Aktivitäten und die Durchführung elektronischer Angriffe auf westliche IT-Netzwerke und Internetauftritte. 1. Propaganda Die Reichweite des Internets ist enorm: Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2014 sind rund 80 Prozent der Deutschen online, die tägliche Verweildauer im Netz beträgt im Schnitt fast drei Stunden.1 Insbesondere junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren verbringen einen Großteil ihres Alltags im Internet, vorwiegend in sozialen Netzwerken oder Instant-Messaging-Diensten (Sofort-Nachrichten- Versand) – im Schnitt mehr als vier Stunden täglich. Junge Menschen in diesem Alter sind die Hauptzielgruppe islamistischer Internetpropaganda und Rekrutierungsaktivitäten – insbesondere solche junge Menschen, die in einem instabilen sozialen Umfeld leben und auf der Suche nach Orientierung, Halt und Anerkennung sind. Salafistische Gruppierungen sprechen die jungen Menschen im Internet gezielt dort an, wo sie sich am häufigsten aufhalten: in sozialen Netzwerken und auf Online1 ARD‐ZDF‐Online‐Studie 2014 -3- Plattformen. Sie passen sich dabei der Lebenswelt junger Menschen in westlichen Ländern an und verwenden Begriffe und Symbole, die die Jugendlichen aus der Alltagskommunikation im Internet kennen, beispielsweise sogenannte „Emoticons“ (kleine Piktogramme, die in E-Mails oder im Chat genutzt werden, um Emotionen auszudrücken). Ihre Propaganda verbreiten salafistische Organisationen und Netzwerke über verschiedene virtuelle Kanäle. Dazu zählen neben eigenen Internetpräsenzen insbesondere Video-Plattformen, Online-Magazine und soziale Netzwerke. Videos Salafisten nutzen schon seit Langem die Videoplattform Youtube, um Propagandavideos zu verbreiten. Die Brutalität der über Youtube zugänglich gemachten Aufnahmen hat durch den IS noch einmal deutlich zugenommen. Im Nachgang zum Irak-Feldzug des IS im Sommer 2014 verbreitete das al-Hayat Media Center eine Flut an Videos von bislang nicht gekannter Brutalität. Zu sehen waren Aufnahmen von Kriegsgefangenen, die zu hunderten erschossen oder auf andere Weise grausam getötet wurden. Die Videos waren professionell produziert und wurden teils in HD-Qualität angeboten. Mit diesen gewaltverherrlichenden Bildern versucht sich der IS als unerbittlich und erfolgreich darzustellen. Die Gegner des IS sollen verunsichert und abgeschreckt werden. Andere Videos verherrlichen im Kriegsgebiet ums Leben gekommene Jihadisten, um dadurch weitere Islamisten zur Nachahmung zu motivieren. So veröffentlichte beispielsweise die IS-Medienstelle al-Ghuraba Media im April ein Propaganda-Video mit dem Titel „Deutsche Shuhada“ (übersetzt: „Deutsche Märtyrer“). In zusammengefügten Bildsequenzen werden darin mehrere im syrisch-irakischen Kriegsgebiet ums Leben gekommene Jihadisten aus Deutschland gezeigt. Bereits im Herbst 2014 war eine Videosequenz festgestellt worden, in der ein inzwischen bei Kampfhandlungen im Irak getöteter Jihadist aus München mit einer Kalaschnikow in der Hand zu sehen ist. https://www.youtube.com/watch?v= -4- Immer wieder werden Aufnahmen von Kampfhandlungen auch mit sogenannten Naschids unterlegt. Naschids sind kurze und melodisch einprägsame Lieder, in der Regel ohne jede Instrumentalbegleitung, in deren Texten meist der Jihad verklärt wird. Salafisten lehnen zwar grundsätzlich jegliche Musik mit der Begründung ab, diese sei Ausdruck der Verdorbenheit der von ihnen als gottlos und materialistisch betrachteten westlichen Welt. Aufgrund ihres religiösen Inhalts und des Verzichts auf eine Instrumentalbegleitung werden Naschids jedoch als erlaubt (arabisch: Halal) angesehen. Die emotionalisierende Wirkung der Naschids verstärkt in den Videos noch die Wirkung der Bilder aus den Jihadgebieten in Syrien und im Irak. Der bekannteste deutsche Naschid-Interpret ist Denis Cuspert, der früher unter dem Künstlernamen „Deso Dogg“ als Gangsta-Rapper aktiv war. Cuspert reiste bereits Anfang 2013 nach Syrien aus, wo er sich an Kampfhandlungen beteiligte. Im Frühjahr 2014 leistete er den Treueid auf den Führer des IS, Al Baghdadi. Sowohl sein Treueschwur als auch seine weitere zivile und militärische Entwicklung im IS-Kalifat wurden vom IS medial begleitet. Cuspert ist nach wie vor eine wichtige Figur für die IS-Propaganda und veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen Naschids, teilweise in deutscher Sprache. In einem im Mai veröffentlichten Video mit dem Titel „Für die Sache Allahs“ wirbt er für die Teilnahme am Jihad und fordert zu Terroranschlägen in Deutschland auf. Auch in Videobotschaften anderer Jihadisten wurde in den letzten Monaten neben den USA, Großbritannien, Australien und Frankreich wiederholt auch Deutschland als Ziel terroristischer Aktivitäten genannt. Online-Publikationen Seit Frühjahr 2014 gibt der IS das englischsprachige Online-Magazin „DABIQ“ heraus. Der Titel bezieht sich auf einen Ort in Syrien, an dem gemäß islamischer Überlieferung die http://jihadology.net Entscheidungsschlacht zwischen Muslimen und Ungläubigen stattfinden soll, um ein neues Zeitalter einzuleiten. Das Magazin erscheint inzwischen im 5-WochenRhythmus und wird sowohl über den Kurznachrichtendienst Twitter als auch durch Upload-Plattformen verbreitet. „DABIQ“ enthält aktuelle Meldungen aus den Kampfgebieten in Syrien und im Irak und dient der ideologischen Rechtfertigung der terroristischen Aktivitäten des IS. In der Berichterstattung von „DABIQ“ rückte der Wes- -5- ten zuletzt mehr und mehr in den Fokus. Beispielsweise wurde dazu aufgerufen, Anschläge in allen Staaten zu begehen, die Teil der Allianz gegen den IS sind. Wichtig sei, so heißt es in einem Artikel, dass der Anschlag erkennbar dem IS zuzurechnen sei. Auch Deutschland wird in „DABIQ“ wiederholt genannt. http://jihadology.net Neben „DABIQ“ veröffentlicht der IS mit den „Islamic State News“ (ISN) und dem „Islamic State Report“ (ISR) weitere Online-Magazine, die jedoch nur unregelmäßig erscheinen. Sie sollen den Eindruck vermeintlicher Normalität im zivilen Leben des IS erzeugen. So berichten die Magazine beispielsweise über den Verbraucherschutz in der IS-Hauptstadt Raqqah oder über das angebliche Aufblühen der Wirtschaft unter dem IS. Die Situation in den vom IS kontrollierten Gebieten soll dadurch für potenzielle neue Kämpfer wie auch für Frauen, die überlegen, einen IS-Kämpfer zu heiraten, besonders positiv und einladend dargestellt werden. Al-Qaida gibt mit „INSPIRE“ bereits seit 2010 ein Online-Magazin mit jihadsalafistischer Propaganda heraus. Die Bedeutung und Reichweite von „INSPIRE“ ist inzwischen aber massiv zurückgegangen, es werden kaum noch neue Ausgaben produziert. Die letzte Ausgabe ist im Winter 2014 erschienen. Auch das arabischsprachige Online-Magazin „Al-Qaida-Airline“ wird aufgrund der massiven Medienarbeit des IS in der jihad-salafistischen Szene kaum noch wahrgenommen. Um dem medialen Erfolg der IS-Magazine zu begegnen, veröffentlichte al-Qaida mit „RESURGENCE“ und „AL RISALAH“ zwei neue englischsprachige Magazine. Während sich die zwei bisher erschienenen Ausgaben von „RESURGENCE“ vorrangig an eine Leserschaft im asiatischen Raum wandten, berichtet -6- „AL RISALAH“ hauptsächlich aus den von al-Qaida kontrollierten syrischen Gebieten und sucht dabei eine scharfe Abgrenzung zum IS. Die erste Ausgabe von „AL RISALAH“ erschien im Juli. Der strategische Vorteil des IS gegenüber al-Qaida besteht insbesondere darin, mit dem „Kalifat“ faktisch ein Staatsgebiet zu besitzen. Die militärischen Erfolge, durch die der IS diese Gebiete unter seine Kontrolle gebracht hat, steigerten massiv das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des IS in der islamistischen Szene. Internetpräsenz in deutscher Sprache Es ist Teil der Kommunikationsstrategie des IS, nationale Öffentlichkeiten in der jeweiligen Landessprache anzusprechen. Dadurch erhofft sich der IS eine größere Reichweite, gerade auch bei Konvertiten, die nicht arabisch sprechen. Die Anzahl deutschsprachiger Webseiten mit IS-Bezug bzw. die Verbreitung von in die deutsche Sprache übersetzten Propagandamedien hat stark zugenommen. So bieten beispielsweise die Internetportale „Baqiya“ und „IS Media Deutsch“ Dokumente des IS in deutschsprachigen Versionen an, darunter mehrere Ausgaben der ISMagazine „DABIQ“, ISN und ISR sowie weitere Veröffentlichungen verschiedener IS-Medienstellen. Arabischsprachige Videos werden mit deutschen Untertiteln versehen. Auf einschlägigen deutschsprachigen Kanälen und Profilen in den sozialen Netzwerken Twitter und Facebook werden die Internetangebote beworben. In den letzten Monaten haben sich deutsche Unterstützerseiten und Profile in sozialen Netzwerken herauskristallisiert, die die Erfolge des IS glorifizieren. Dazu zählen insbesondere die Internetpräsenzen „NIWelt“ (Nachrichten aus der Islamischen Welt) und „FiWelt“ (Focus Islamische Welt). In der Berichterstattung kommen gelegentlich zwar auch andere islamistische Gruppierungen vor, wie z.B. die al-Qaida nahestehende Jabhat al-Nusrah in Syrien, der Schwerpunkt liegt jedoch auf Berichten über IS-loyale Organisationen in Libyen, Jemen, Nigeria, Afghanistan, Somalia, dem Gaza-Streifen und dem Kaukasus, die den Treueeid auf den ISKalifen Al Baghdadi geschworen haben. Ähnlich wie bei den IS-Gebieten in Syrien https://niwelt.wordpress.com/author/niwelt/ -7- und dem Irak wird auch hier neben militärischen Erfolgen über die vermeintliche Normalität zivilen Lebens berichtet. 2. Rekrutierung Die sogenannte „Da’wa“-Arbeit ist ein wesentlicher Bestand der salafistischen Ideologie. Die Bezeichnung leitet sich ab vom islamischen Wort „Da’wa“ (Missionierung). Im Salafismus ist damit die Rekrutierung neuer Anhänger und Unterstützer der salafistischen Szene gemeint. Dabei sind zwei extremistische Strömungen des Salafismus zu unterscheiden: ein sogenannter politischer Salafismus, der auf die Ausübung direkter Gewalt zur Erreichung seiner Ziele verzichtet, und der JihadSalafismus, dem Organisationen wie der IS oder al-Qaida zuzuordnen sind. Die Übergänge zwischen beiden Strömungen sind allerdings fließend. Politischer Salafismus Die „Da’wa“-Arbeit politischer Salafisten über das Internet findet sowohl auf den Webseiten der einzelnen Organisationen als auch in sozialen Netzwerken wie Facebook, Youtube, Twitter oder Instagram statt. Dort finden sich unter anderem Einladungen zu Islamseminaren oder Vorträgen verschiedener bundesweit tätiger salafistischer Prediger sowie Aufrufe zu Spendensammlungen für Muslime in den Krisenregionen, darunter auch Syrien. Diese Aufrufe werden häufig von Hilfsorganisationen auf deren eigenen Webseiten gestartet und parallel dazu über soziale Netzwerke verbreitet. Einige dieser Hilfsorganisationen sind eindeutig der salafistischen Szene zuzuordnen. Eine besondere Rolle bei den „Da’wa“-Aktivitäten der salafistischen Szene spielt das Netzwerk Die Wahre Religion (DWR) mit dem Hauptprotagonisten Ibrahim Abou Nagie. DWR steht nicht nur hinter dem Koranverteilungsprojekt „Lies!“, sondern betreibt auch eine eigene umfangreiche Missionierungs-Webseite. Neben den Informationen über das „Lies!“-Projekt finden sich dort salafistisch geprägte Textbeiträge und Videos salafistischer Prediger. Zudem gibt es mit der Seite „Kinder im Islam“ einen eigenen Bereich für Kinder sowie für Eltern und Erzieher. Dort stehen Spiele und Basteltipps, Arbeitsblätter, Geschichten, Gebete und Hörbücher zum Download oder zum Ausdrucken bereit. -8- Das Internetangebot ist altersgerecht aufbereitet und richtet sich hauptsächlich an Kinder im Vorschul- bis Grundschulalter. Eltern und Erzieher werden angeregt, die eingestellten Vorlagen zu nutzen. Wenngleich aus den Vorlagen und Inhalten selbst die salafistische Prägung nicht unmittelbar erkennbar ist, ergibt sich der salafistische Einfluss durch die Verbindung zum salafistischen Netzwerk DWR. Es ist davon auszugehen, dass die meisten Nutzer der Seite zur Anhängerschaft von DWR und damit zur salafistischen Szene zu zählen sind. Das im Herbst 2011 von DWR ins Leben gerufene Koranverteilungsprojekt „Lies!“ hat aufgrund religiös-ideologischer Differenzen in der salafistischen Szene im letzten Jahr außerhalb Bayerns einige Konkurrenzprojekte wie „Jesus im Islam“ oder „Der Schlüssel zum Islam“ bekommen, es läuft aber trotzdem unvermindert weiter. Koranexemplare werden in Fußgängerzonen an Info-Tischen und von mobilen „Da’wa“-Teams verteilt. In Bayern finden seit 2012 „Lies!“-Aktionen statt, regelmäßig in größeren Städten wie München, Augsburg, Regensburg, Nürnberg und Erlangen, aber auch in kleineren Orten außerhalb der Ballungszentren. Deutschlandweit werden jedes Wochenende bis zu 150 „Lies!“-Infostände betrieben. Die Aktivisten, die diese Infostände betreiben, haben sich teilweise über einschlägige Internetforen gefunden bzw. wurden über diese Foren von den jeweiligen Verantwortlichen zusammengeführt. https://www.youtube.com/user/Allahsreligion Nicht selten ist die aktive Beteiligung an „Lies!“-Infoständen ein wesentlicher Bestandteil eines Radikalisierungsprozesses. Immer wieder werden Fälle bekannt, dass aus diesem Personenkreis eine Ausreise nach Syrien oder in den Irak erfolgt ist; teilweise mit der festen Absicht, sich dort an Kampfhandlungen zu beteiligen. Jihadistischer Salafismus Derzeit liegen Erkenntnisse zu mehr als 65 Personen aus Bayern vor, die bereits in Richtung Syrien bzw. Irak ausgereist sind oder dies in nächster Zeit vorhaben. Bundesweit wird derzeit von mehr als 720 deutschen Islamisten ausgegangen, die auf Seiten jihad-salafistischer Gruppierungen an Kampfhandlungen in Syrien und im Irak teilnehmen oder diese Gruppierungen in sonstiger Weise unterstützen. -9- Seit 2014 ist zu beobachten, dass zunehmend auch Minderjährige auf die salafistische Propaganda ansprechen. Männliche Jugendliche werden vor allem durch Berichte über die militärischen Erfolge der „Mujahidin“ (Gotteskrieger) angespornt. Manche junge Mädchen fühlen sich durch das Bild angesprochen, das der IS vom „gottgefälligen“ Leben in Raqqa, der Hauptstadt des IS-Kalifats, zeichnet; nicht zuletzt auch in der Hoffnung, mit einem „Mujahidin“ verheiratet zu werden und so einen „gesicherten Platz im Paradies“ zu erhalten. Im Herbst 2014 konnte die Ausreise mehrerer Minderjähriger aus Bayern verhindert werden, indem die Eltern auf die Ausreiseabsichten ihrer Kinder hingewiesen wurden. Anfang 2015 ist eine Minderjährige aus dem Großraum München zunächst in die Türkei und von dort aus weiter nach Syrien ausgereist. Die Teenagerin hält sich derzeit vermutlich im Raum Raqqa auf. Der IS nutzt sie als Aushängeschild und Werbeträgerin, um weitere junge Frauen für eine Ausreise zu begeistern. In sozialen Netzwerken, wo Accounts auf ihren Namen angemeldet sind, schwärmt die Teenagerin vom Leben in der Gemeinschaft des IS und versucht Gleichgesinnte von den Vorzügen des Kalifats zu überzeugen. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit sind zahlreiche solcher Fälle bekannt: Junge, teils minderjährige Frauen treten über soziale Netzwerke in Kontakt mit Personen aus dem jihadistischen Milieu und werden von diesen zu einer Ausreise in eines der Kriegsgebiete des weltweiten Jihads animiert. Hilfestellung bei ihren Ausreisen erhalten die Interessierten über das Internet. Aufgrund der im salafistischen Milieu vorherrschenden Geschlechtertrennung ist davon auszugehen, dass diese Helferfunktionen gezielt von Frauen für Frauen erfüllt werden. Dabei bildet sich ein Netzwerk, das es Interessierten leicht macht, ihre Ausreisepläne umzusetzen. Darüber hinaus werden über das Internet Ausreiseanleitungen verbreitet. Sie informieren darüber, welche Vorbereitungen für eine Ausreise notwendig sind und wie die Ausreise insgesamt zu bewältigen ist. - 10 - 3. Kommunikation und Steuerung Das Internet als Kommunikationsmittel ermöglicht den Salafisten die unkomplizierte und schnelle Kontaktaufnahme zu Gleichgesinnten. Der Austausch erfolgt dabei sowohl über offen zugängliche als auch über verschlüsselte Kommunikationsplattformen. Moderne Instant-Messaging-Dienste wie WhatsApp, Viber und Telegram erfreuen sich in der salafistischen Szene steigender Beliebtheit. Videos des IS aus den Konfliktgebieten in Syrien und im Irak finden über Instant-Messaging-Dienste oder Twitter innerhalb kürzester Zeit eine weltweite Verbreitung in der jihadistischen Szene. Als besonders erfolgversprechend für die interne Nachrichtenübermittlung hat sich die Bildung von Instant Messaging-Gruppen herausgestellt. Die Mitglieder von Instant-Messaging-Gruppen stammen häufig aus der gleichen Region und sind untereinander persönlich bekannt. In diesen Gruppen tauscht man sich über ideologische Fragen aus, plant und steuert aber auch Aktivitäten. Ein Beispiel für eine überregional agierende deutsche Instant-Messaging-Gruppe ist die WhatsApp-Gruppe „Daulatul Islamiya“, die bis März von dem im Herbst 2014 aus Bayern ausgewiesenen Salafisten Erhan Aydeniz betrieben wurde. Nach der Gründung des Kalifats durch den IS im Sommer 2014 wurden nur noch Personen in die WhatsApp-Gruppe aufgenommen, die mit dem IS sympathisierten. Anhänger anderer islamistischer Gruppierungen wurden aus der Gruppe entfernt. 4. Elektronische Angriffe Islamisten nutzen das Internet auch, um durch elektronische Angriffe bestehende Internetseiten und Computernetzwerke in ihrem Sinne zu beeinträchtigen oder zu zerstören. In mehreren Verlautbarungen von dem IS zuzurechnenden Gruppierungen wurden Cyberangriffe als probates Mittel im Kampf gegen den Westen propagiert. Der IS arbeitet am Aufbau einer jihadistischen „Cyber-Armee“ und versucht, Personen mit entsprechenden IT-Kenntnissen dafür zu gewinnen. Den Sicherheitsbehörden sind einzelne Personen mit Deutschlandbezügen bekannt, die über einschlägige technische oder organisatorische Fähigkeiten verfügen und bekundet haben, die „Cyber-Armee“ - 11 - des IS unterstützen zu wollen. Diese Personen benutzen Software zur verschlüsselten Internetnutzung und -kommunikation und erstellen Schadsoftware zu Propagandazwecken. Nach derzeitiger Einschätzung verfügen sie allerdings noch nicht über die notwendigen Fähigkeiten für einen Angriff auf die Steuerungssysteme von Industrieanlagen oder Kritischer Infrastruktur, sie arbeiten jedoch daran, diese Fähigkeiten aufzubauen. Vorwiegend sind islamistisch motivierte Hacker bislang durch sogenannte „Defacements“ (das unberechtigte Verändern von Webseiten) aufgefallen. Defacement-Aktivitäten mit IS-Bezug zielen in aller Regel darauf ab, jihadistische Propagandabotschaften auf den Internetseiten westlicher Unternehmen und staatlicher Einrichtungen zu hinterlassen. Schwerpunkte sind derzeit insbesondere Ziele in den USA und in Israel. Die Spuren, die die Angreifer hinterlassen haben, führten immer wieder zu Einzeltätern oder regionalen Hackergruppen im arabischsprachigen Raum. Im Januar verübten mutmaßlich jihadistisch motivierte Hacker einen Angriff auf den Twitter-Account des U.S. Central Command. Über das gekaperte Profil verkündeten sie den „Cyber-Jihad“ und sprachen Drohungen gegen USSoldaten und deren Angehörige aus. Zudem veröffentlichten sie die Namen und Adressen zahlreicher US-amerikanischer Offiziere. Wie der Hacker-Angriff auf den Sendebetrieb der französischen Fernsehgruppe TV5Monde im April zeigt, ist aufgrund der vielfältigen Verschleierungsmöglichkeiten bei elektronischen Angriffen die tatsächliche Urheberschaft oft nicht eindeutig zu bestimmen. Dieser Angriffbrachte den Sendebetrieb über Stunden vollständig zum Erliegen und entzog dem Sender vorübergehend die Kontrolle über seine Webseite und seine Accounts in sozialen Netzwerken.In einer Erklärung warf ein „CyberCaliphate“ der französischen Regierung vor, mit ihrer Beteiligung am multinationalen Militäreinsatz gegen den IS diese Aktion herausgefordert zu haben. Obwohl die Terrororganisation IS die Verantwortung für den Hackerangriff auf TV5Monde übernommen hat, ist deren unmittelbare Täterschaft nicht eindeutig gesichert. Es gibt Indikatoren, die auf einen anderen Ursprung dieses Angriffs hindeuten. - 12 - Gegenmaßnahmen gegen Cyberangriffe Bei der Bearbeitung von Verdachtsfällen im CyberAllianz-Zentrum (CAZ) am Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz hat es sich wiederholt gezeigt, dass eindeutige Aussagen zu Herkunft und Motivation eines elektronischen Angriffs nicht in jedem Fall möglich sind. Fremde Nachrichtendienste, Cyberkriminelle und politisch oder religiös motivierte Hacker verwenden ähnliche Werkzeuge und Angriffsstrukturen. Sogenannte „Cyber-Söldner“ bieten ihre Hacker-Dienste gegen Geld an. Rückschlüsse auf den dahinterstehenden Auftraggeber oder eine klare und eindeutige Zuordnung zum IS sind meist nicht möglich. Umso wichtiger ist deshalb die Prävention gegen elektronische Angriffe – unabhängig davon, wer der potenzielle Angreifer ist und welche Ziele er verfolgt. Das CAZ unterstützt bayerische Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Betreiber Kritischer Infrastruktur (KRITIS) als zentraler Ansprechpartner und Kompetenzzentrum bei der Prävention und Abwehr von Bedrohungen aus dem Netz. Bei einem versuchten oder erfolgreich durchgeführten elektronischen Angriff auf ein Unternehmens- oder Hochschulnetzwerk berät sich das CAZ gemeinsam mit den Betroffenen zeitnah und vertraulich über das weitere Vorgehen. Das betroffene Unternehmen beziehungsweise die betroffene Hochschule erhält vom CAZ nach der forensischen Analyse und der nachrichtendienstlichen Bewertung eine Rückmeldung mit Handlungsempfehlungen. Von einem möglicherweise ähnlichen Angriff betroffene Unternehmen und Einrichtungen erhalten Informationen zu den erkannten Angriffsmustern, selbstverständlich in anonymisierter Form. Insbesondere im Bereich KRITIS sind terroristische Bedrohungsszenarien mit schwerwiegenden Folgen für die Allgemeinheit denkbar. Für die Übernahme der hochkomplexen Steuerungssysteme dieser Anlagen ist ein hoher Grad an spezifischem Wissen erforderlich. Zwar ist derzeit nicht feststellbar, dass der IS bereits über Spezialisten mit einem solchen Know-How verfügt, es ist aber davon auszugehen, dass der IS daran arbeitet, entsprechende Fähigkeiten aufzubauen. Umso wichtiger ist es deshalb, dass insbesondere in diesen Systemen keine Schwachstellen vorhanden sind, die die Manipulation oder Sabotage lebenswichtiger Einrichtungen ermöglichen könnten. Prävention ist der wichtigste Ansatz, um das - 13 - Sicherheitsniveau zu erhöhen sowie das Bewusstsein über bestehende Gefahren, Angriffsmöglichkeiten und Sicherheitslücken zu schärfen. Das CAZ arbeitet im Rahmen einer Sicherheitspartnerschaft eng mit den KRITIS-Betreibern zusammen und unterstützt diese mit vertraulichen Gesprächen, Informationsmaterial oder Fachvorträgen. Als präventive Maßnahme ist ein intensiver Austausch aller bekannten Angriffsvektoren und technischen Details unter (potenziellen) Opfern und KRITISBetreibern ist notwendig, um IT-Systeme und Kommunikationsstrukturen gegen mögliche Angriffe so weit wie möglich immun zu machen. Dabei erfolgt auch ein intensiver Erkenntnisaustausch mit anderen Bundesländern sowie mit den zuständigen Bundesbehörden. Dieser Austausch ist neben der vertraulichen Fallbearbeitung eine der Hauptaufgaben des CAZ. Kontakt: Cyber-Allianz-Zentrum Bayern Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz Knorrstraße 139, 80397 München, Tel.: 089 / 31201 222 E-Mail: caz@lfv.bayern.de www.verfassungsschutz.bayern.de