Fertigfutter Deutsche servieren Haustieren den letzten Fraß
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Fertigfutter Deutsche servieren Haustieren den letzten Fraß
Fertigfutter Autor: Elke Bodderas|17.06.2011 Deutsche servieren Haustieren den letzten Fraß Die Deutschen geben dreimal mehr für Haustierfutter aus als für Babynahrung. Doch gesund für Katze und Hund ist das Futter deshalb nicht. Foto: pa Guten Appetit. Ohne die Geschmacksverstärker im Hundefutter würden Vierbeiner womöglich einen großen Bogen um ihren Napf machen Nach allen Erfahrungen – und es waren erstaunliche und schockierende darunter, die die Redaktion während der Recherche für diesen Artikel sammelte – gibt es für Hunde- und Katzenbesitzer zwei kurze Empfehlungen: Lesen Sie die Checkliste mit den Inhaltsstoffen, die nicht auf einer Futterpackung aufgeführt sein sollten. Zweitens, für Eilige, eine Faustregel: weniger Fertigfutter, dafür mehr Frisches vom Metzger. Innereien, Knochen, Pansen. Das ist billig und spart den Tierarzt. Das sollte nicht auf der Futterpackung stehen Füllstoffe in großen Mengen: Getreide, Soja, Mais. Die meisten Füllstoffe sind minderwertig, für Hund und Katze kaum verwertbar, belasten die Verdauung. Niemand ernährt seine Haustiere so teuer wie die Deutschen. Etwa 2,6 Milliarden Euro gaben sie 2010 für Tierfutter aus, dreimal so viel wie für Babynahrung. Früher genügten einem Hund Tischreste, Wasser, Pansen. Heute kosten das glutenfreie Spinat-Dinkel-Gebäck für Allergikervierbeiner oder die veganen Öko-Hundekekse gut das Doppelte eines Entenbratens. „Viele ernähren ihren Hund teurer als sich selbst“, beobachtet Professor Hansjoachim Hackbarth, Leiter des Instituts für Tierschutz und Verhalten der Tierärztlichen Hochschule Hannover. „Fressen ist die einfachste Art der Kommunikation und geht immer – das ist wesentlich bequemer, als die wahren Bedürfnisse des Hundes zu befriedigen, die nach Bewegung und Spiel.“ Und so überbieten sich die Futterkonzerne mit Kreationen für jedes Tier, für junge und alte Hunde, für Dicke und Diabetiker, für Kurzfell-, Langfell-, Blaufell-Katzen. „Die Futterindustrie füttert die Tiere mit vermenschlichten Menüs“, schreibt der Ernährungskritiker Hans-Ulrich Grimm, Autor des Buches „Katzen würden Mäuse kaufen“. Kreationen die krank machen Richtig bekömmlich und gesund scheine das jedoch nicht zu sein. „Immer mehr Vierbeiner leiden an Krankheiten, die es unter Tieren eigentlich nicht gibt: Diabetes, Allergien, Krebs.“ Dass mit den Umsatzzahlen der Futterindustrie die Krebsrate bei Hunden und Katzen massiv angestiegen ist, behaupten inzwischen viele Tierärzte. In den liebevoll designten Futterschalen werden vor allem Abfälle aus der Lebensmittelproduktion verwertet, „Schlachtabfälle der Kategorie 3, was an sich nicht schlecht sein muss“, sagt die Veterinärin und Ernährungskritikerin Jutta Ziegler. Sie beobachtet vor allem die Diät- und Trockenfutter der großen Hersteller mit Misstrauen: „Macht man sich die Mühe, den Inhalt zu entschlüsseln, sieht man, dass oft kein Fleisch drin ist“. Trotzdem werde es als hochwertiges Diätfutter verkauft. „Steht Fleischmehl drauf, sind wenigstens Fleischabfälle drin. Steht Geflügelmehl drauf, sind gemahlene Krallen, Borsten, Schnäbel und Federn drin“. Um den Geschmack zu überdecken, würde dem Futter vor allem künstliche Geschmacksstoffe zugesetzt. „Die Tiere sind nicht dumm. Ohne Geschmackskorrekturen würden sie diesen Müll niemals anrühren.“ Anders als bei Lebensmitteln für Menschen müssen Geschmacksverstärker und Aromen auf Tierfutter-Verpackungen nicht deklariert werden. Die Liste wäre lang. Die wahren Inhaltsstoffe übertünchen Hefeextrakt, Zucker, Karamell und Melasse hat die Industrie Leberspray, Fettgeschmack, Aromen und Gewürze im Angebot. Sie verstärken den Hunger, machen Zutaten schmackhaft, schmeicheln der menschlichen Nase und geben Tierfutter exotische Geschmacksnoten, die bis zur Erfindung des Fertigfutters kein Haustier je vor der Schnauze hatte. Neben den Klassikern wie Glutamat, „Die Aromen im Futter maskieren unangenehme Zutaten“, loben die Aromahersteller in ihren Prospekten für die Tierfutterhersteller. „Mit der Maskierung des Futtermülls lässt sich dem Tier fast alles unterjubeln“, schreibt Grimm. Allein im Jahr 2000 seien 52.000 Tonnen Geschmacksverstärker im Tierfutter eingesetzt worden, insgesamt habe sich allein bei Glutamat der weltweite Gesamtabsatz von 262.000 Tonnen im Jahre 1976 auf 1,7 Millionen Tonnen im Jahr 2005 erhöht. Vor allem Glutamat ist umstritten, weil er zu Verhaltensänderungen und Entwicklungsstörungen führen kann. Obendrein verändert der Stoff „das Fressverhalten und steigert die Gefräßigkeit“, wie eine Studie der Universität Kiel ergab. Ein Großteil der Hunde und Katzen in den Industrieländern ist inzwischen so grotesk fett, dass Forscher verzweifelt nach Gründen suchen – und sogar schon einen Virus als Ursache bemühen. Haustiere oder behaarte Bowlingkugeln? Neben mangelnder Bewegung und zu großen Rationen beklagt dagegen die USTierernährungsspezialistin Elisabeth Hodgkins ähnlich wie beim Menschen die völlig verwürzten Geschmäcker der Vierbeiner: „Hunde unterscheiden nicht mehr zwischen dem, was sie brauchen, und dem, was sie wollen“. Verantwortlich für den Wohlstandsspeck könnte aber auch das Trockenfutter vieler Hersteller sein, bei Experten höchst umstritten. Trockenfutter besteht im Wesentlichen aus Tiermehl und Getreide. Das Gemisch wird bei Hitze und großem Druck in Form gepresst. „Die meisten Pellets sind mit Geschmacksverstärkern beschichtet“, heißt es in Hills Handbuch „Klinische Diätetik für Kleintiere“. Das Futter ist schwer verdaulich, obendrein quellen „die Extrudate sehr stark im Magen auf und sind Hauptverursacher der oft tödlichen Magendrehung des Hundes“, warnt Jutta Ziegler. Mit der großen Menge an pflanzlichem Eiweiß und Getreide im Industriemix ließe sich auch erklären, warum die Zahl nieren- und blasenkranker Katzen so stark zugenommen habe: „Für Katzen ist das ein Giftcocktail. Um bei Trockenfutternahrung ausreichend Flüssigkeit zu erhalten, müsste die Katze die dreifache Menge an Wasser trinken. Das tut sie aber nicht, denn sie ist ein Wüstentier.“ Nur mit Pellets gefütterte Hunde entwickelten obendrein einen empfindlichen Darm. Futter selbst kochen Der Hamburger Tierarzt Dirk Schrader gibt den Tierhaltern statt Arzneien meist nur einen Ratschlag mit: „Futter selbst kochen.“ Auch Ziegler empfiehlt so viel Abwechslung wie möglich im Napf, gekochtes Gemüse, aber hin und wieder auch rohes Fleisch zu füttern und auch Knochen: „Die Tiere sind dann weniger verwurmt als die mit Industrienahrung gefütterten Artgenossen.“ Wer drei Mal in der Woche Hund oder Katze fleischige Knochen anbiete (für Katzen auch durch den Fleischwolf gedreht), der müsse sich auch um den Calcium-Phosphorhaushalt seines Tieres keine Sorgen machen. Mit dem neuen Trend zu Rohkost und Natur im Napf kommt auch die Öko-Branche zu Ehren: Hundeplätzchen mit Biosiegel, wie „Walnuss-Knochen“, „Fitness-Kekse mit Tofu“, „HonigHäschen“, die vegetarischen Hundekekse „bio Cheesy Dream“ oder die veganen Mais-Chips „Amí Croky vanilla“. Eigentlich alles, was die Öko-Feinkost für Zweibeiner feilbietet, gibt’s in der Version für das Krümelmonster an der Leine – einschlägige Kochbücher inklusive („Vegetarische Hunde- und Katzenernährung“). Gesund ist dieser Trend eher weniger. Vor zu viel Öko und Getreide im Napf warnten kürzlich Tierärzte der Universität Kansas: Der Trend zu Bio bei Hunden könne fatal sein, da dem Futter meist reichlich Gemüse und Obst beigemischt sei. Die Mischung von Mineralien und Vitaminen gerate in Schieflage. Auch Gewürze und Kräuter können für Hunde und Katzen gefährlich werden, Bio hin oder her. So enthalten viele Belohnungen oder Futterergänzungen Knoblauch. In der Knolle finden sich Schwefelverbindungen, auf die Hunde und Katzen mit Vergiftungserscheinungen reagieren: Erbrechen, Durchfall, Schweratmigkeit und Blut im Urin. Für einen Hund können schon fünf Gramm toxisch wirken. Überhaupt haben Dinkel-Plätzchen und Bio-Tierfutter mit Nachhaltigkeit soviel zu tun, wie ein Sonnenstudio mit blauem Himmel. In dem Buch „Time to eat the dog?“ ist der ökologische Fußabdruck von Hunden berechnet worden. Die zehn größten Hundehalternationen brauchen die Landmasse von Neuseeland, um ihre Tiere zu füttern. Allein in Deutschland müssen täglich 23 Millionen Mäuler gestopft werden. „Ohne Leckerchen und Verwöhnfutter geht bei vielen Kunden nichts“, mäkelt Hundetrainer Martin Rütter, viele übersähen, dass sie selbst von enormer Bedeutung für den Hund seien – als Gegenüber.