Walker, S. - UNESCO-Welterbe Tektonikarena Sardona
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Walker, S. - UNESCO-Welterbe Tektonikarena Sardona
Ausbildungslehrgang 2011 GeoGuide Sardona Gesteinshandbuch Simon Walker, BSc Geologie 12.09.2011, v1.0 1 1. Einleitung: Im grossräumigen Gebiet des UNESCO-Welterbes Tektonikarena Sardona trifft man verschiedenste Gesteinstypen unterschiedlichen Alters an. Sie alle geben Einblick in die zur jeweiligen Zeit herrschenden geologischen Bedingungen. In einem weiteren Schritt enthalten sie auch wichtige Informationen, die zur Rekonstruktion der gebirgsbildenden Prozesse beitragen können. So gesehen stellen Gesteine geologische Archive dar, die Hinweise über (1) ihre Entstehungsbedingungen und (2) ihre tektonische Entwicklung beinhalten. Das Gesteinshandbuch soll einen Überblick über die Gesteinsabfolge vermitteln, welche im Gebiet der Glarner Alpen angetroffen wird. Nach einer Einführung in die systematische Gesteinsbeschreibung, werden die Gesteine, welche für den persönlichen Gesteinskoffer gesammelt wurden ausführlich beschrieben. Das letzte Kapitel beschreibt anhand eines Profilschnitts die heutige Lage der Gesteine im Gebirge. Geologische Fachbegriffe sind mit hochgestellten Nummern versehen, welche auf der letzten Seite des Handbuchs erklärt sind. 2. Übersichtstabelle: Für den persönlichen Gesteinskoffer wurden acht unterschiedliche Gesteinstypen ausgewählt. Die Handstücke sind mit TS1-TS8 beschriftet, wobei TS1 das älteste, TS8 das jüngste Gestein bezeichnet. Tabelle 1 zeigt eine Übersicht der gesammelten Handstücke und ist dem Alter entsprechend chronologisch geordnet: Tabelle 1: Handstücke TS1-TS7 und Einordnung in die geologische Zeittabelle. Geologische Zeitperiode: Quartär Beginn vor Millionen Jahre: Ausgewählter Gesteinstyp (Handstücknr.): 1.6 Tertiär 65 Kreide Lithologie1: Nordhelvetischer Flysch → Kalksandstein (TS 7) Quinten-Kalk → mikritisches Kalkgestein (TS 6) Röti-Dolomit → Dolomitgestein (TS 5) 145 Jura 205 Trias 250 → grüner Schiefer (TS 4) Perm 290 Verrucano → rotes Konglomerat (TS 2) Karbon 355 Frühpaläozoikum und älter → roter Tonschiefer (TS 3) Altkristallin → Gneis (TS 1) 2 In diesem Zusammenhang stellt ein Gestein, der Kalk-Mylonit aus der Lithologie des Lochsitenkalks, ein Spezialfall dar. Dieses Gestein wurde am Überschiebungskontakt neu gebildet, während die Glarner Hauptüberschiebung aktiv war. Aus diesem Grund wird dieses Gestein nicht in der ersten Tabelle, sondern separat aufgeführt: Tabelle 2: Spezialfall des Lochsitenkalks Handstück TS 8 Geologische Zeitperiode: Tertiär Alter: Lithologie: unbekannt Lochsitenkalk Ausgewählter Gesteinstyp (Handstücknr.): Kalk-Mylonit (TS 8) Die persönliche Handstücksammlung ist eine Auswahl von Gesteinen, welche grundlegend am lokalen Gebirgsbau beteiligt sind. Die Vielfalt an verschiedenen Gesteinen der Glarner Alpen ist jedoch noch viel grösser. Um einen Einblick in die vollständige Gesteinsabfolge zu erhalten, ist in Abbildung 1 auf Seite 3 ein so genanntes „stratigraphisches Sammelprofil“ dargestellt. Dieses zeigt die lückenlose Gesteinsabfolge, in welcher die verschiedenen Lithologien mit ihren Gesteinstypen einst übereinander abgelagert wurden. Solch eine ungestörte Abfolge wird auch als Normalabfolge bezeichnet. Es ist wichtig zu erkennen, dass erst tektonische Prozesse später dazu führten, dass an der Glarner Hauptüberschiebung alte Gesteine über viel jüngeren zu liegen kamen. Die rote Linie im Sammelprofil stellt genau diese tektonische Komponente dar. Sie zeigt, welche Lithologie durch die Hauptüberschiebung überfahren wurde. Neben der schematisch eingefärbten Gesteinssäule sind jeweils die Lithologien (z.B. Nordhelvetischer Flysch) mit ihren verschiedenen Gesteinstypen (z.B. Sandsteine, Tonschiefer) aufgeführt. Die verwendeten Farben im Stratigraphischen Profil sind für die jeweiligen Zeitabschnitte typisch und auch in vielen geologischen Karten und Profilen so wiederzufinden. Zusätzlich sind die entsprechenden Handstücke des persönlichen Gesteinskoffers gekennzeichnet. 3 Gesteinstypen: Lithologie: Handstücknr.: Abbildung 1: lückenloses Sammelprofil der Gesteine im Gebiet der Glarner Alpen, die Hauptüberschiebung mit dem Lochsitenkalk enspricht dem roten Strich; Abbildung aus Pfiffner (2009), Geologie der Alpen. 4 3. Gesteinsbestimmung – systematische Kriterien: Stein ist nicht gleich Stein. Sie sind die Produkte von unterschiedlichsten geologischen Prozessen und deshalb äusserst vielfältig in ihrer Erscheinung. Anhand verschiedener Merkmale können Gesteinsarten unterschieden und ihre Entstehungsgeschichten abgelesen oder interpretiert werden. Um die verschiedenen Gesteine im Feld richtig zuordnen und ansprechen zu können gibt es eine Reihe von Bestimmungskriterien, welche mit Hilfe von Lupe, Stahlnagel, Salzsäure und ein wenig theoretischem Hintergrundwissen (Kapitel 6 Kursbeilagen) ausgeführt werden können. Häufig lässt sich erst durch die Kombination verschiedener Merkmale das Gestein definitiv identifizieren. Folgende Kriterien sollten jeweils systematisch betrachtet werden: - Gesteinsgruppe Die Gesamtheit aller Gesteine wird grundsätzlich in drei Gesteinsgruppen unterteilt: magmatische, metarmorphe oder sedimentäre Gesteine. An der Glarner Hauptüberschiebung gibt es mit dem Lochsitenkalk zusätzlich noch einen Spezialfall, der zur Gesteinsgruppe der tektonischen Gesteine gezählt wird. Die Zuordnung des Gesteins in die entsprechende Gruppe ist wichtig für das Verständnis seiner Entstehung. - Farbe Die Farbe eines Gesteins ist ein eher subjektives Merkmal. Trotzdem kann gerade in den Glarner Alpen bereits die Farbbestimmung ein wichtiges Indiz zur Gesteinsbestimmung darstellen (bspw. Verrucanogesteine). Die Farbe sollte sowohl an verwitterten als auch an frisch gebrochenen Flächen bestimmt werden. Diese können sich oft deutlich unterscheiden. - Gesteinszusammensetzung: Minerale/ Komponenten Ein Gestein besteht vereinfacht gesagt aus einem Gemenge von (1) Mineralen oder aus einem Gemenge von (2) Trümmern von Mineralen und Gesteinsbruchstücken. Einzelne solcher Trümmer werden als Komponenten angesprochen. Die Identifikation der Gesteinsbestandteile wird im Feld mit Hilfe der Lupe vorgenommen und benötigt einige Erfahrung. (1) Im Einzelfall kann ein Gestein aus nur einer einzigen Mineralart bestehen (z.B. reines Kalk-oder Dolomitgestein), im Regelfall wird es sich aber aus verschiedenen Mineralarten zusammensetzen (z.B. Granit oder Gneis). Die erkannten Minerale 5 werden beschrieben (Farbe, Grösse, Form etc.) und ihr prozentualer Anteil am Gesamtgemenge abgeschätzt. (2) Für Gesteine, welche aus verfestigten Trümmern von Mineralen und/oder Gesteinsbruchstücken aufgebaut sind (=klastische Sedimentgesteine oder “Trümmergesteine“) ist die Grösse der Komponenten namensgebend. Tabelle 3 zeigt die genormten Korngrössenfraktionen für klastische Sedimentgesteine und den darausfolgenden Gesteinsbezeichungen. Für Gesteine mit Komponenten >2 mm ist die Kornform ausschlaggebend für die Bezeichnung des festen Sedimentgesteins. Ein Konglomerat enthält dabei gerundete Komponenten, eine Brekzie vorwiegend eckige. Die einzelnen Komponenten werden beim festen Sedimentgestein durch chemische Ausscheidungen zusammengehalten. Diese zementartigen Ausscheidungen werden als Matrix bezeichnet. Tabelle 3: Korngrößentabelle klastischer Sedimentgesteine nach DIN 4022 - Reaktion mit Salzsäure Salzsäure (7-10% HCl) ist ein sehr effizientes Hilfsmittel im Feld. Es gilt zu beachten, dass dabei die Salzsäure auf frische Bruchflächen aufgetragen wird. (1) Karbonatgesteine (Kalkgestein, Dolomitgestein) reagieren wenn sie in Kontakt mit Salzsäure kommen. Es besteht folgende Faustregel: Kalkgestein schäumt stark auf, Dolomitgestein nur schwach und zögerlich. (2) Mit dem Salzsäuretest kann ebenfalls Mergel von Ton unterschieden werden. Mergelige Gesteine beinhalten karbonatische Anteile und zeigen eine leichte Reaktion, bei reinen Tonsteinen bleibt die Reaktion aus. 6 - Gefüge Nur selten sind Minerale oder Komponenten räumlich gleichmässig im Gestein verteilt. Der Begriff Gefüge fasst dabei die geometrischen Aspekte der Gemengteile zusammen und beinhaltet sowohl Form und Gestalt als auch deren Anordnung im Raum. Abbildung 2 zeigt schematisch auf, wie in einem Gestein einzelne Minerale durch gerichtete Spannungen eingeregelt werden. Die so entstehenden Ebenen S sind dann als Schieferungsflächen im Gestein erkennbar: Abbildung 2: gerichtete Spannungen bewirken das Ausrichten der grünen Schichtmineralen in parallele Schieferungsflächen S; schematische Darstellung. Je nach Abstand der Schieferungsflächen benützt man die Begriffe Gneis (cm-dm), Schiefer (mm-cm) oder Phyllit (<mm). Achtung: Diese Einregelungen sind nicht zu verwechseln mit sedimentären Strukturen z.B. Wechsellagerungen bei Sedimentgesteinen wie Flysch. Wechsellagerungen entstehen direkt bei der Ablagerung infolge von Sedimentationswechsel oder –unterbrüchen und werden als Schichtungen oder Bankungen beschrieben. - Geländeformen Gesteine prägen das Aussehen der Gebirgslandschaft. Je nach Gesteinsart ergeben sich unterschiedliche Berg- und Hangformen. Während massive, harte, verwitterungsbeständige Schichten steile Felswände aufbauen können, entstehen durch verwitterungsanfällige Gesteine eher weiche, grasbewachsene Geländeformen. 7 4. Gesteinsbeschreibung TS1-TS8: Nachstehend sind die ausgewählten Handstücke TS1-TS8 des Gesteinskoffers ausführlich beschrieben. Sowohl Verrucano wie auch Flysch sind als Sammelbegriffe aufzufassen. Die dazugehörigen Gesteinstypen sind deshalb sehr vielfältig und deshalb nicht alle „Vertreter“ in der Gesteinssammlung vorhanden. Einige wichtige Verrucano- und Flysch-Gesteinstypen sind deshalb in einem Nachtrag auf Seite 15 zusätzlich mit Foto dokumentiert. ▪ TS 1: Gneis Lithologie: Gestein gehört zum Altkristallin des Aar-Massivs Gesteinsgruppe: metamorphes Gestein (Gneis) Gesteinsname: Epidot-Chlorit-Quarz-Gneis Alter: Paläozoikum: frühkarbonisch und älter (> 300 Millionen Jahre alt) Beispiellokalität: Vättis (SG); Koordinaten: 751 787/197 212 verwittert: dunkelgrün mit gelbbraun und dunkelbraun fleckigen Bereichen frisch: grünlich grau Quarz (65%) - grauweisse, linsenartige Körner mit muscheligem Bruch2 - blassgrüne, lagige Bändchen Chlorit (20%) dunkelgrüne, schuppenartige Plättchen; können mit dem Stahlnagel abgeschält werden; Anhäufungen fühlen sich leicht seifig an und verursachen seidenartigen Glanz Epidot (5-10%) hellgrün, kleinprismatisch3; deutlich härter als Chlorit Pyrit (< 5%) winzige, kupfergelbe, metallglänzende Würfelchen; häufig als verwachsene Kristall-Aggregate4 Farbe: Minerale: Reaktion mit Salzsäure: keine Reaktion Gefüge : Gefüge ist gneisartig ausgeprägt; Chloritminerale fliessen in dünnen Lagen um Quarz und Epidot herum und definieren wellige Schieferungslagen; Pyrit überwächst zerbrochene Quarzkörner Geländeformen: Gestein ist jediglich im Fenster6 bei Vättis anzutreffen und bildet dort aufgrund seiner grossen Härte und Verwitterungsresistenz die steilen Talflanken am Eingang ins Calfeisental Entstehung: Die Gesteine des Altkristallins sind Teil der alten kontinentalen Kruste des europäischen Kontinents. Mehrfach wurden die Gesteine durch Gebirgsprozesse metamorph überprägt. Heute liegen sie als Produkte der Alpinen Gebirgsbildung vor. 5 8 ▪ TS 2: rotes Konglomerat/ Brekzie Lithologie: Verrucano Gesteinsgruppe: Sediment (klastisches Ablagerungsgestein7) Gesteinsname: rotes Konglomerat/ Brekzie mit sandiger Grundmasse Alter: Paläozoikum: permokarbon (250-300 Millionen Jahre alt) Beispiellokalität: Murg (SG); Koordinaten: 734 932/219 092 verwittert: blassrosa/ beigegrau frisch: rosa bis rotviolett/ lauchgrün bis grau Kiesfraktion eckige sowie gerundete Trümmer: - Gesteinsbruchstücke älterer Gesteine (25%) - monomineralischer8 Quarz (5%) Farbe: (2-63 mm) Komponenten: Sandfraktion (0,063-2 mm) Matrix9 eckige sowie gerundete Trümmer: - weissgraue bis blass rosafarbene Quarzkörner (30%) - Gesteinsbruchstücke älterer Gesteine (20-30%) - graue bis rote Feldspatkörner (10%) karbonatführend; schäumt leicht bei Kontakt mit Salzsäure Reaktion mit Salzsäure: jediglich Matrix schäumt leicht auf Gefüge: dichte, sandige Grundmasse mit eingeschwemmten grösseren Komponenten; schlecht sortiert; keine Gradierung10 Geländeformen: bilden steile, schroffe, zackige Felswände und Gipfel; verwitterungsresistent Entstehung: Das Gestein ist als kontinentales Abtragungsprodukt des variszischen Gebirges11 anzusehen. Verwitterungsschutt des ehemaligen Gebirges wurde in einem tektonischen Graben abgelagert. Episodische Flutereignisse transportierten die Gesteinstrümmer als Schutt- und Schlammströme ins Becken. Die Konglomerate und Brekzien entsprechen einer randnahen Ablagerung mit geringem Transportweg. 9 ▪ TS 3: roter Tonschiefer Lithologie: Verrucano Gesteinsgruppe: Sediment (klastisches Ablagerungsgestein) Gesteinsname: roter Tonschiefer Alter: Paläozoikum: permokarbon (250-300 Millionen Jahre alt) Beispiellokalität: Murgtal (SG); Koordinaten: 734 047/213 171 verwittert: helle Rottöne frisch: sattes weinrot mit weissgrünen Linsen Tonfraktion rot ausgebildete Tonmineralien (95%): sind zu klein, um als einzelne Komponenten ausgeschieden zu werden; brechen splittrig Farbe: (<0.002 mm) Komponenten: Siltfraktion (0.002-0.063 mm) Quarz (5%): winzig kleine Körner; farblos mit Glasglanz Reaktion mit Salzsäure: keine Reaktion Gefüge: Schieferung durch planare Einregelung der Tonminerale Geländeformen: bilden weiche, grasbewachsene Geländeformen; nicht sehr verwitterungsresistent Spezielles: weissgrüne elliptische Linsen=Reduktionshöfe; Farbunterschied durch Reduktion von Eisen Fe3+ (rot) zu Fe2+ (weissgrün) Entstehung: Das Gestein ist als kontinentales Abtragungsprodukt des variszischen Gebirges anzusehen. Verwitterungsschutt des ehemaligen Gebirges wurde in einem tektonischen Graben abgelagert. Die feinstkörnigen Tonschiefer entsprechen dabei einer troginternen Ablagerung. Die winzigen Tonmineralien wurden wahrscheinlich durch fliessende Gewässer weiter ins Troginnere transportiert und in Tümpeln oder Seen abgelagert. 10 ▪ TS 4: grüner Schiefer Lithologie: Verrucano Gesteinsgruppe: schwach metamorphes Gestein (Schiefer) Gesteinsname: Grüner Serizit-Tonschiefer Alter: metamorphe Überprägung im Zusammenhang mit Überschiebungsprozessen (vor 30-20 Millionen Jahren) Beispiellokalität: Flims (GR); Koordinaten: 740 600/188 600 verwittert: grüngrau bis silbern frisch: blassgrün bis blaugrau Tonminerale blassgrüne bis blaugraue Schichtminerale mit Grössen < 0,002 mm; können nicht als einzelne Körner ausgeschieden werden Farbe: (60-70%) Minerale: hellgraue bis grünliche Flächen; können mit dem FinSerizit (25-30%) gernagel geritzt werden; zeigen Perlmuttglanz; fühlen sich seifig an Pyrit (< 5%) mm grosse, kupfergelbe Würfelchen; meist rostfarben verwittert Reaktion mit Salzsäure: im Allgemeinen keine Reaktion; zwischen den Schieferungsflächen können jedoch sekundär karbonathaltige Substanzen ausgeschieden sein, welche aufschäumen Gefüge: stark geschiefert; Tonminerale und Serizit allesamt eingeregelt; Pyrit häufig zwischen Schieferungsflächen Geländeformen: bilden brüchige Geländeformen; sehr verwitterungsanfällig Entstehung: Diese Gesteine sind nur im südlichen Bereich der Glarner Hauptüberschiebung anzutreffen. Erhöhte metamorphe Bedingungen und fluidbedingte12 Reaktionen haben das Ausgangsgestein TS 3 bei den gebirgsbildenden Prozessen leicht umgewandelt. Dies widerspiegelt sich in Farb- und Gefügeänderungen sowie der Bildung von neuen Mineralien wie Serizit und Pyrit. 11 ▪ TS 5: Dolomitgestein Lithologie: Röti-Dolomit Gesteinsgruppe: Sediment (flachmarines, chemisches Ablagerungsgestein13) Gesteinsname: Dolomitgestein Alter: Mesozoikum: mittlere Trias (230-245 Millionen Jahre alt) Beispiellokalität: Tamins (GR); Koordinaten: 749 605/188 272 verwittert: weissgrau bis gelblich frisch: Mittelgrau Minerale: Dolomit Dolomitminerale zeigen nur zögerliche Reaktion mit Salzsäure: - wenige, winzig kleine, farblos durchscheinende Kristalle mit Glasglanz - dichte feinstkörnige Masse; keine einzelnen Körner erkennbar Reaktion mit Salzsäure: schwaches und zögerliches Aufschäumen Gefüge: massig, dicht; durchzogen von feinen weissen, netzartig angelegten Dolomitadern; keine sedimentär bedingten Strukturen sichtbar im Handstück; im Aufschlussmassstab jedoch leicht gebankt14 Geländefomren: bildet über den weichen Geländeformen wegen der geringen Mächtigkeit maximal 20 Meter hohe Felswände Spezielles: im Feld durch die gelbliche Farbe gut erkennbar; typischer elefantenhautartiger Verwitterungsüberzug Entstehung: Das Dolomitgestein entspricht chemischen Ausfällungen an flachen Küsten im Zusammenhang mit Wechsel von Austrocknungs- und Überschwemmungsphasen. Erhöhte Salinität15 durch hohe Verdunstungsraten sowie Einflüsse von meteorischen Grundwasserflüssen16 und Algenmatten waren wichtige Faktoren zur Bildung des Dolomits. Farbe: 12 ▪ TS 6: mikritisches Kalkgestein Lithologie: Quinten-Kalk Gesteinsgruppe: Sediment (tiefmarines, biochemisches Ablagerungsgestein17) Gesteinsname: mikritisches Kalkgestein Alter: Mesozoikum: spätjurassischer Malm (145-160 Millionen Jahre alt) Beispiellokalität: Felsberg (GR); Koordinaten: 755 854/191 051 verwittert: mittel- bis dunkelgrau; matt frisch: mittel- bis dunkelgrau Kalzit (> 95%) Kalzitminerale zeigen heftige Reaktion mit Salzsäure: - wenige, winzig kleine, farblos bis milchig weisse, durchscheinende Kristalle mit Glasglanz - dichte feinstkörnige Masse; keine einzelnen Körner erkennbar Limonit (< 5%) kleine, rostfarbene Punkte in korrosionsartigen Löchern Farbe: Minerale: Reaktion mit Salzsäure: heftiges Aufschäumen Gefüge: massig, dicht; diffuse Laminierung von feinen helleren und dunkleren Lagen; im Aufschlussmassstab gut gebankt Geländeformen: bildet meist hohe, steile Felswände Entstehung: Das Kalkgestein entstand durch weitverbreitete und langzeitige Ablagerung von feinem Kalkschlamm (=Mikrit) in grosser Meerestiefe. Die winzig kleinen Körner stammen von chemisch-bakteriellen Abscheidungen von Meerespflanzen und fein zermahlenen Hartteilfragmenten von Meeresorganismen. Später wurde dieser feine Kalkschlamm kompaktiert und verfestigt. 13 ▪ TS 7: Kalksandstein Lithologie: Nordhelvetischer Flysch Gesteinsgruppe: Sediment (klastisches Ablagerungsgestein) Gesteinsname: muskovitreicher Kalksandstein Alter: Känozoikum: spätes Eozän bis frühes Oligozän (25-30 Millionen Jahre alt) Beispiellokalität: Matt (GL); Koordinaten: 732 396/202 346 verwittert: dreckig grau frisch: dunkelgrau mit kleinen silbernen Punkten Sandfraktion - graue und schwarze Gesteinsbruchstücke älterer Gesteine (20%) - silbern glänzende Muskovitschüppchen, können mit Stahlnagel abgeschält werden (15%) - farblos bis weisse Quarzkörner, muscheliger Bruch, nicht ritzbar (5-10%) Farbe: (0,063-2 mm) Komponenten: Matrix stark kalzithaltig; schäumt stark bei Kontakt mit Salzsäure (50%) Reaktion mit Salzsäure: Matrix schäumt stark auf Gefüge: massig, dicht; Komponenten sind gut sortiert und homogen verteilt; im Aufschlussmassstab Wechsellagerung mit tonigen oder mergligen Zwischenlagen Geländeformen: weiche Hangformen, breit auslaufende Talabschnitte Entstehung: Das mächtige Flysch-Sedimentpaket ist das Produkt der Sedimentation entlang von Tiefseetrögen. Die Alpine Gebirgsbildung war zu dieser Zeit bereits weit fortgeschritten. Von Süden aufgeschobenen Gesteinsmassen drückten die europäische Platte nieder und führten so zur Ausbildung des genannten Tiefseetrogs im nördlichen Vorland. Erosionsfracht aus den Gebirgszügen wurde längs den steilen Küsten deponiert und in Form von aquatischen Trübeströme18 in den Vorlandtrog sedimentiert. Die Sedimentation erfolgte episodisch, was zur Ausbildung der typischen Wechsellagerung führte. 14 ▪ TS 8: Kalk-Tektonit Lithologie: Lochsitenkalk Gesteinsgruppe: tektonisches Gestein =Produkt der tektonischen Situation; wirkte vermutlich als Schmiermittel der Glarner Hauptüberschiebung Gesteinsname: Kalk-Tektonit Alter: Entstand beim Überschiebungsprozess (vor 30-20 Millionen Jahren) Beispiellokalität: Hätzingen (GL); Koordinaten: 722 735/202 401 verwittert: dreckig beigegrau frisch: weiss und graue Lagen; ± gelbe Lagen Kalzit - graue Lagen aus Kalkgestein - milchig weisse Lagen und Adern Dolomit - gelbliche Lagen nahe am Kontakt zum Verrucano Farbe: Minerale: Reaktion mit Salzsäure: heftiges Aufschäumen Gefüge: massig, dichtes Gestein zeigt: 1) chaotisches „Knetgefüge“ durch duktil19 verformte graue und milchig weisse Lagen, welche durch mehrere Generationen von Kalzitadern zerschnitten und versetzt werden 2) abwechselnd, parallel liegende weisse und graue Lagen, welche wenig „verknetet“ sind Geländeformen: bildet häufig eine dünne, leicht zurückgewitterte Kerbe Spezielles: schwarze, feingezackte Stylolithe=unlösliche Rückstände bei Lösungsprozessen; scharfer Kontakt zum darüberliegenden Verrucano; lobenförmiger Kontakt zum darunterliegenden Flysch Entstehung: Die Entstehung des Lochsitenkalks steht im direkten Zusammenhang mit den Bewegungen an der Überschiebungsfläche. Die enormen Kräfte der Deckenbewegung konzentrierten sich hauptsächlich in einer begrenzten Scherzone und vermochten dort das Gestein duktil zu deformieren. Zudem kam es immer wieder zur Bildung von kleinen Rissen, welche durch Kalzitausfällung aus heissen Lösungen (=Fluid) versiegelt wurden. Diese Kalzitadern wurden danach ebenfalls duktil verformt und parallel zur Überschiebung „ausgeschmiert“. Zusammengefasst handelt es sich beim Lochsitenkalk um eine chemische und mechanische Gesteinsneubildung aus den umgebenden Gesteinen (Kalke, Flysch, Verrucano, etc.). Er kann somit im Detail eine komplexe Zusammensetzung aufweisen. 15 Nachtrag: 20 ▪ roter/ grüner Quarzporphyr Verrucano Lithologie: magmatisches Gestein (saurer Vulkanit) Gesteinsgruppe: roter/ grüner Quarzporphyr Gesteinsname: Paläozoikum: permokarbon (250-300 Millionen Jahre alt) Alter: Die Gesteine zeigen 2-5 mm grosse Quarzkristalle in einer roten bis Erkennungsgrüner feinkörniger Grundmasse. Das Gefüge ist massig bis leicht merkmale: schiefrig ausgeprägt. Es gibt keine Reaktion mit Salzsäure. Foto: Entstehung: Die roten/ grünen Quarzporphyre entstanden durch vulkanische Aktivität am Rande des Verrucanotrogs. Saure vulkanische Gesteine flossen seitlich in den Trog und erstarrten als Quarzporphyr Linsen und Lagen. 21 ▪ roter/ grüner Spilit Verrucano Lithologie: magmatisches Gestein (basischer Vulkanit) Gesteinsgruppe: toter/ grüner Spilit Gesteinsname: Paläozoikum: permokarbon (250-300 Millionen Jahre alt) Alter: Das dunkelgrüne bis violett rote Gestein besteht aus winzig kleinen Kristallen, welche von Auge nicht sichtbar sind. Man erkennt lediglich Erkennungseine schiefrig ausgeprägte Grundmasse. Es gibt keine Reaktion mit Salzmerkmale: säure. Foto: Entstehung: Die Gesteine entstanden durch vulkanische Aktivität am Rande des Verrucanotrogs. Basische Vulkanite flossen seitlich in den Trog und erstarrten als Lagen. 16 22 ▪ Mergel Lithologie: Gesteinsgruppe: Gesteinsname: Alter: Erkennungsmerkmale: Nordhelvetischer Flysch Sediment Mergel Känozoikum: spätes Eozän bis frühes Oligozän (25-30 Millionen Jahre alt) Das dunkelgraue Gestein besteht aus winzig kleinen Tonmineralen und Karbonat, welche von Auge nicht sichtbar sind. Deutlichstes Merkmal ist die stark ausgeprägte Schieferung, welche dem Gestein sein blättriges Aussehen gibt. Entlang der Schieferungsflächen kann das Gestein mühelos gespalten werden. Die Mergel bilden im Flysch Wechsellagerungen mit Kalksandsteinen aus. Beim Kontakt mit Salzsäure schäumen sie leicht auf. Foto: Entstehung: Das mächtige Flysch-Sedimentpaket ist das Produkt der Sedimentation entlang von Tiefseetrögen. Die Alpine Gebirgsbildung war zu dieser Zeit bereits weit fortgeschritten. Von Süden aufgeschobenen Gesteinsmassen drückten die europäische Platte nieder und führten so zur Ausbildung des genannten Tiefseetrogs im nördlichen Vorland. Erosionsfracht aus den Gebirgszügen wurde längs den steilen Küsten deponiert und in Form von aquatischen Trübeströmen in den Vorlandtrog sedimentiert. Die Sedimentation erfolgte periodisch, was zur Ausbildung der typischen Wechsellagerung führte. 17 5. Tektonischer Bau der Glarner Alpen: Folgender Text bezieht sich auf das Profil in Abbildung 3 auf Seite 18. Die heutige Topographie wird durch die weisse Linie dargestellt. Alle Gesteinsschichten über dieser Linie wurden bereits abgetragen. Ihre ehemalige Lage und Geometrie konnte jedoch rekonstruiert werden. Der Glarner Deckenkomplex gehört zu den helvetischen Decken. Die Gesteinsabfolgen des Helvetikums wurden während der Entstehung der Alpen als Folge der Plattenkollision von Afrika und Europa als mächtige Gesteinspakete, Decken genannt, nordwärts verschoben. Im Falle des Glarner Deckenkomplexes fand der grösste Teil der Bewegung an einer Basisüberschiebung statt, die wir heute als Glarner Hauptüberschiebung bezeichnen. Die Überschiebungsbewegung hat vor ungefähr 25 Millionen Jahren begonnen. Über mehrere Millionen von Jahren bewegte sich die Glarner Decke mit Geschwindigkeiten von wenigen Millimetern pro Jahr mindestens 35 km weit in nördliche Richtung und schob sich über die dort gelegenen Gesteine. Die Bewegung fand zu Beginn auf einer leicht nach Südsüdost geneigten Fläche statt, die im Süden eine maximale Tiefe von ungefähr 16 km erreichte. An dieser Fläche wurden die Gesteine aufwärts geschoben. Durch das spätere Heben der Alpen, das im Bereich des Aar-Massivs schneller erfolgte als am Alpenrand und durch den gleichzeitigen Abtrag der überliegenden Gesteinsmassen, kam die Überschiebungslinie zu ihrer gekrümmten Form und an die heutige Position hoch in den Bergen. Insgesamt beinhaltet die Glarner Decke (Gesteine zwischen den markanten roten Linien Gl und Sä) eine mehr oder weniger ungestörte Serie von Sedimenten aus dem Perm, Trias, Jura sowie Teilen der frühen Kreide (dunkelbraun bis grau). Das Jurastockwerk (dunkel- und hellblau) ist nördlich von Flums verdoppelt und weiter im Süden zwischen Flums und Ringelspitz als so genannte Faltenkaskade verkürzt worden. Über der Glarner Decke wurden die restlichen Gesteine der Kreide (grau, dunkel- und hellgrün) als Säntis-Decke entlang der höher gelegenen Säntisüberschiebung (Sä) abgeschert und rund 12 km weiter nach Norden bewegt. Die Glarner Hauptüberschiebung und die Säntis Überschiebung vereinigen sich im Untergrund nördlich des Walensees. Die Einheiten unterhalb der Glarner Hauptüberschiebung liegen mehr oder weniger noch auf dem Aar-Massiv (rosa), wo sie einst abgelagert wurden. Die Bewegung der darüberliegenden Decken und das späte Aufwölben des Aar-Massivs führten dazu, dass diese Gesteine jedoch mitverfaltet und teils durch Brüche versetzt wurden. Vor allem die mächtige Abfolge der Flyschgesteine (hellgelb) wurde stark gefaltet. Diese wurden nördlich des Ringelspitzes direkt durch die Glarner Hauptüberschiebung geschnitten. Weiter südlich befinden sich unterhalb der Hauptüberschiebung vorwiegend Kalkgesteine des späten Juras (hellblau). Profil aus Pfiffner (2009), Geologie der Alpen. Abbildung 3: Tektonischer Profilschnitt durch die Glarner Alpen im Querschnitt St.Gallen - Versam. Die heutige Topographie wird durch die weisse Linie dargestellt. Die ausgewählten Gesteine im Koffer sind bei den jeweiligen Einheiten vermerkt. Der Kalk-Tektonit des Lochsitenkalks befindet sich direkt auf der roten Linie Gl. Die Farben der verschiedenen Einheiten entsprechen jenen des Sammelprofils in Abb.1. 18 19 Begriffserklärungen: 1) Lithologie zusammenfassender Überbegriff für genetisch verwandte Gesteine/ Gesteinsschichten 2) muscheliger Bruch: Bruchflächen mit unregelmässig gebogener, muschelähnlicher Struktur ausgebildet 3) kleinprismatisch: geometrische Form, die ein Vieleck als Grundfläche hat und dessen Seitenkanten parallel und gleich lang sind 4) Aggregate Verwachsungen von Kristallen entweder einer oder mehrerer Mineralarten 5) Gefüge geometrischen Aspekte der Gemengteile; Form und Gestalt (=Struktur) sowie Anordnung im Raum (=Textur) 6) Fenster als Fenster wird in der Geologie ein durch Erosion freigelegter Teil des Untergrundes bezeichnet 7) klastisches Ablagerungsgestein Sedimentgestein, bestehend aus Erosionsbruchstücken und –trümmern eines alten Gesteins 8) monomineralisch nur aus einer Mineralart bestehend 9) Matrix chemische Ausscheidungen des feinsten Materials zwischen den Komponenten eines Gesteins, welches als Zement wirkt 10) Gradierung sortierte Grössenverteilung von Komponenten (z.B. grosse unten, kleine oben) 11) variszisches Gebirge alte, voralpine Gebirgsphase im mittleren Paläozoikum (vor ca. 300-400 Millionen Jahren) 12) Fluid heisse, wässrige, stark mineralangereicherte Lösungen im Gestein 13) chemisches Ablagerungsgestein Sedimentgestein, entstanden durch die direkte Ausfällung von Mineralen aus einer Lösung 14) Bankung deutlich sichtbares, meist horizontal abgelagertes Schichtgefüge von Sedimenten 15) Salinität Bezeichnung für den Salzgehalt eines Gewässers 16) meteorische Wässer aus Niederschlägen/ Regen stammende Wässer 17) biochemisches Ablagerungsgestein Sedimentgestein, entstanden durch die Ausfällung von Mineralen mit Hilfe von biologischen Organismen 18) aquatische Trübeströme schnelle Materialbewegungen mit hoher Sedimentdichte an steilen Abhängen unter Wasser 19) duktil stark verformbares Materialverhalten ohne dabei zu zerbrechen 20) Porphyr spezielle Gesteinsbezeichnung für saure Erguss- oder Ganggesteine (=Vulkanite) mit grösseren sichtbaren Kristallen in feiner Grundmasse 21) Spilit spezielle Gesteinsbezeichnung für basische Erguss- oder Ganggesteine (=Vulkanite) 22) Mergel Gesteinsbezeichnung für feingeschiefertes Sediment, bestehend aus Tonminerale und Karbonat Titelbild: Piz Sardona – Piz Segnas mit Überschiebungslinie unterhalb der Berggipfeln. © IG Tektonikarena Sardona, Foto: Ruedi Homberger, Arosa.