andreas slominski
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ANDREAS SLOMINSKI FALLEN Die Werkgruppe konnte im Jahr 1991 anlässlich der Verleihung des Karl-Strö- her-Preises an Andreas Slominski für das Museum für Moderne Kunst erworben werden. Der 1959 in Meppen geborene Künstler lebt und arbeitet in Hamburg und Berlin. Das, womit sich Andreas Slominski seit 1984 beschäftigt, könnte man ganz allgemein als Feldforschung be- schreiben — ein ästhetisches Erkunden von Alltagswahrnehmungen beiläufigster Wanken gebracht. Die Werke haben oft einen doppelten Boden und bilden einen Hinterhalt. Schönheit und Entsetzen, Banalität und Erhabenheit, Witz und tiefer Ernst vermischen und durchdringen sich zu einem komplexen Werk. Als Basis seines bildnerischen Denkens könnte man seine systematische Sammlung von herkömmlichen Fallen bezeichnen. Die fängisch gestellte Falle, als eigen- Art. In der Unscheinbarkeit der ausge- ständige plastische Skulptur betrachtet etwas Heimtückisches, aber auch Listiges, räume versetzt, grenzt oftmals an die wählten Dinge und Materialien liegt oft und als Exponat in Galerie- und Museums- was uns schmunzeln läßt. Es kommt im- Ausstellbarkeit. Die eigenständige Wirk- des Kontextes und der Inhalte. Dabei hält das Kunstwerk. mer zu einer Umwendung der Funktion, Andreas Slominski alles in einem überaus labilen Gleichgewicht. Das Beiläufige wird zur Skulptur. Die Originalitätsansprüche werden durch Instabilität ins lichkeit der Falle als Objekt erzeugt erst Bei der ausgestellten „originalen“ Falle von 1985 handelt es sich um ein Ratteneisen. Die fängisch gestellte Falle hat etwas Gefährliches. Aber nur wenn sie gespannt ist, hat sie diese potentielle Energie, eine Art statische Aktion, die im Betrachter gleichfalls eine Spannung auslöst. Einerseits sind wir neugierig, wie sie „wahre“ Proportion der menschlichen Gestalt zu fassen und zu kanonisieren. Im Werk Ohne Titel von 1987 wer- den gewöhnliche, unbenutzte Spül-, funktioniert, andererseits haben wir Wisch-, und Staubtücher auf den tradi- Das Material und die Form dieser Falle Sorgfalt, fast mit obsessiver Manie sind des Schreies des Tieres aus, aber auch die volle Anordnung wird auf den ersten Angst vor der schmerzlichen Verletzung. lösen in uns gleichzeitig die Vorstellung eines metallischen Klangs. Seit der Bronzezeit macht der Mensch listig, sinnreich und zum Teil mit raffinierten Konstruktionen den Nagern den Garaus. Die enorme, fast wissenschaftliche Sammlung solcher Fallen von Andreas Slominski zeigt den Tod der „Maus“ (und des Elefanten) in seiner tionellen Sockel gehoben. Mit äußerster sie gefaltet und gestapelt. Die absichts- Blick deutlich. Ein bis ins kleinste Detail kalkulierter Prozess, der den Zufall völlig auszuschließen scheint; was dem Gebilde jedoch nichts von seiner ungeheuren Zartheit und poetischen Erscheinung nimmt. Es ist aber auch die Ordnung in unserem häuslichen Wäscheschrank. vielfältigen Gestalt. Aber „der Köder Sauberkeit und Reinheit sind nicht nur (Andreas Slominski, 1988). Alle Arbei- nen auch zum Verhängnis werden. Man muß nicht immer aus Speck bestehen“ in Deutschland oberstes Gebot. Sie kön- ten Slominskis können „Fallen“ im über- denkt unwillkürlich an die Funktion der der „Falle“ ist für ihn zu einem Überbe- fähigkeit oder ihre Wischqualität, ihre auf der Suche nach seiner eigenen künst- Glätte. Sie sind wertlos und wertvoll zu- tragenen Sinne sein. Die Vorstellung griff geworden. Sie wurde zur Lösung lerischen Ausdrucksform, zur künstle- rischen Strategie. Aus alltäglichen Gebrauchsgegen- ständen und mit der Kombination ihrer unterschiedlichen Gebrauchswerte, kon- struiert Andreas Slominski „Fallen“- Formen. Als Ordnungsprinzip benutzt er häufig harmonische Proportionsverhältnisse, z.B. den „Goldenen Schnitt“, deren Anwendung wir in der bildenden Kunst und Architektur seit der Antike kennen. Alle Bemühungen um diese Glie- derungs- und Kompositionsprinzipien wurden immer von der Idee getragen, die unterschiedlichen Gewebe, ihre Saug- flauschige Weichheit oder imprägnierte gleich. Es ist eine Poesie des Banalen. Ein ernstes Spiel. Vom Staub keimfrei ge- schützt, liegen die Reinigungstücher in einer Vitrine wie Schneewittchen in ihrem gläsernen Sarg. Aber wer küsst schon Staubtücher? Eine Beunruhigung gleicher Art stellt auch das Schrift-„Bild“ von 1988/89 an der gegenüberliegenden Wand dar. Die Begriffe sind aus dem Kontext eines Kreuzworträtsels herausgelöst. Was aber hat „Elendsviertel/Mz.“ mit der „Montage, Errichtung“ zu tun? Die ge- suchte Mehrzahl hat etwas Zynisches, die Reihung der Begriffe ist tautologisch. ANDREAS SLOMINSKI Wand gerichtet. Die Lösung erübrigt sich. und Werder/Havel) Die Pfeile sind ins Leere der weißen Dennoch lassen die „Schilder“ uns nicht ruhen. Wer der Eindeutigkeit der Wörter, misstraut wird versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen. Es bleibt ein Rätsel. Der Fallensteller schließlich erblickt und überwacht aus der Ecke heraus das ganze Geschehen. Die kleinformatige, aber keineswegs zögerlich oder zart aus- geführte Bleistiftzeichnung stammt aus einer ganzen Serie solcher „Porträts“, die oft nebenbei entstehen und den Arbeits- prozess des Künstlers begleiten. Andreas Slominski hat sie an anderem Ort auch schon zu ganzen Fallensteller-Familien gruppiert. Das Gesicht, man weiß nicht genau, (*1959, Meppen — lebt in Hamburg FALLE, 1985 Metall Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main Erworben mit Mitteln der Karl-Ströher-Stiftung, Frankfurt am Main Inv. Nr. 1991/319 FALLENSTELLER, 1989 Bleistift auf Papier Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main Inv. Nr. 1991/330 ob man in ihm ein Porträt erkennen kann, ILTISFALLE, 1998 in Dreiviertelansicht nach links gewen- Eisenbügelfalle trägt sehr verletzliche Züge. Es ist zwar det, blickt uns aber geradeheraus an. Der Betrachter wird betrachtet. Es ist kein stechender Blick, vielmehr ein komisches Gesicht mit melancholischem Ausdruck. Ist der Fallensteller, wenn es sich um ein Porträt handelt, das erfundene Selbstbildnis des Künstlers? Der Fallensteller als Alter ego? Sind wir nicht alle in unserer Gesellschaft Fallensteller und gehen gleichzeitig anderen ins Netz? Mario Kramer Glasfasermatten, Polystyroltafeln, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main Schenkung des Künstlers Inv. Nr. 2000/271 VOGELREUSEN, 1998 Weidengeflecht, Vogelfutter Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main Erworben mit Mitteln der Stiftung ARS EUROPA Inv. Nr. 2000/54.1-2 SCHILDKRÖTENFALLE, 1999 Metall, Farbe, Schnur Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main DOHLENHAUBE, 1999 Nadelholz, Maschendraht, Eisendraht, getrocknete Pflaumen Museum für Moderne Kunst, Erworben mit Mitteln der Stiftung Frankfurt am Main Inv. Nr. 2000/55 ARS EUROPA ARS EUROPA FUCHSFALLE, 1997 Walzmetallbänder und –stäbe, Schweinsohr Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main Erworben mit Mitteln der Stiftung ARS EUROPA Inv. Nr. 2000/64 ELRITZENFALLE, 2005 Glas, Eisendraht, Zinkblech, Zertifikat Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main Schenkung des Künstlers Inv. Nr. 2005/103.1-2 HAMSTERFALLE, 1998 Schichtholz, Maschendraht, Eisendraht Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main Schenkung des Künstlers Inv. Nr. 2000/51 Erworben mit Mitteln der Stiftung Inv. Nr. 2000/53 ANDREAS SLOMINSKI TRAPS This workgroup was purchased for the Museum für Moderne Kunst in 1991 on the occasion of the presentation of the Karl Ströher Prize to Andreas Slo- minski. Born in Meppen in 1959, the artist with art. The works are often ambiguous and lie in ambush. Beauty and horror, banality and sub- limity, wit and profundity blend and in- ter-penetrate to form a complex œuvre. Slominski’s systematic collection of con- Andreas Slominski lives and works in ventional traps can be referred to as the been preoccupied with what could quite king. Hamburg and Berlin. Since 1984 he has generally be described as field research – an aesthetic exploration of commonplace basis of his artistic-formative way of thin- Viewed as an independent three-di- perceptions of the most incidental kind. mensional artwork and an exhibition ob- about the inconspicuousness of the cho- trap often verges on non-exhibitability. There is often something treacherous ject in gallery and museum spaces, the set sen objects and materials, but also a sly Ultimately, however, its independent rea- The works always involve a twist of func- tutes the artwork. element that brings a smile to our faces. tion, context and content. In the process, Slominski keeps everything in a very pre- carious balance. The incidental becomes sculpture. A certain instability unhinges the expectations of originality associated lity as an object is precisely what consti- The “original” Trap of 1985 on view here is a rat trap. There is something dangerous about the primed trap. But only when it is set — i.e. when the bar is subjected to the tension of the spring — does it possess this potential energy, a kind of static action which likewise crea- traditional sculpture base. They have been folded and stacked with a care so meticulous as to be virtually obsessive. tes a sense of tension in the viewer. On The deliberate arrangement is immedia- works; on the other hand we are afraid of to the smallest detail, rigorously prohibit- the one hand we are curious about how it a painful injury. The material and form of this trap prompt us to imagine the animal’s scream but also a metallic twang. Since the Bronze Age, human be- ings have applied cunningness and intel- tely clear. It is a process calculated down ing any chance occurrence, but without detracting from the delicacy and lyricism of the image in the least. Yet it is also the order that prevails in our domestic cupboards. Cleanliness ligence as well as sophisticated devices to and tidiness are imperative – in Germany minski’s huge, almost scientific collection curse. The viewer finds himself thinking se” (and the elephant) in all its many cy or wiping qualities, their fluffy softness always have to be bacon” (Andreas Slo- worthless and valuable at once. It is a poe- the job of doing in rodents. Andreas Slo- of such traps shows the death of the “moushapes and forms. Yet “the bait doesn’t minski, 1988). All of Slominski’s works can be “traps” in the figurative sense. For but elsewhere as well. They can also be a about the various fabrics, their absorben- or waterproofed smoothness. They are try of the banal, a serious game. Protected from dust, the cleaning cloths lie in the him the “trap” idea has become a hyper- germ-free environment of their glass case of personal artistic expression, an artistic kisses dust cloths? nym, a solution in the search for a form strategy. Slominski employs objects of every- day use — and the combination of their differing practical values — to construct “trap” forms. He frequently applies har- monious ratios to their dimensions, for example the “golden section” in use in the visual arts and architecture since antiqui- like Snow White in her casket. But who The text “painting” of 1988/89 on the opposite wall represents the same type of disconcertment. The terms have been taken from a crossword puzzle. But what does “shanty town, pl.” have to do with “assembly, installation”? There is something cynical about the plural in question; the terms’ sequence is tautolo- ty. Such endeavours to define the princip- gical. The arrows point at the void of the always been borne by the idea of deter- Nevertheless, the “signs” are disquieting. les of structure and composition have mining and canonizing the “true” proportions of the human figure. In the work Untitled of 1987, com- monplace, unused dish, wiping and dust cloths have been placed on display on a white wall. The solution is superfluous. He who mistrusts the lucidity of the words will try to read between the lines. The puzzle remains unsolved. Finally, the Trap Setter watches and guards the goings-on from the vantage point of his corner. The small-scale but by ANDREAS SLOMINSKI ed pencil drawing is one of a whole series Werder/Havel) no means hesitantly or delicately execut- of such “portraits” often carried out by the by and accompanying the artist’s wor- king process. In other venues, Andreas Slominski has assembled them in entire trap-setter families. The features of this face — which may or may not be a portrait — are vulnerable. Even if it is turned leftward in a three-quarter view, it looks straight at us. The observer is being observed. It is not a piercing gaze, but a comical countenance with a melancholy expression. Is the trap setter — if this is indeed a portrait – an invented self-portrait of the artist, the trap setter as an alter ego? In (*1959, Meppen — lives in Hamburg and TRAP, 1985 Metal Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main Purchased with funds from the Karl-Ströher-Stiftung, Frankfurt/Main Inv. no. 1991/319 TRAP SETTER, 1989 Pencil on paper Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main Inv. no. 1991/330 our society, is not every one of us a trap POLECAT TRAP, 1998 into the traps set by others? iron jaw-trap setter who at the same time stumbles Glass fibre mats, polystyrene panels, Mario Kramer Museum für Moderne Kunst, Translation: Judith Rosenthal, Gift from the artist Frankfurt/Main Frankfurt/Main Inv. no. 2000/271 BIRD BASKETS, 1998 Wicker mesh, bird feed Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main Purchased with funds from the ARS EUROPA Foundation Inv. no. 2000/54.1-2 TURTLE TRAP, 1999 Metal, paint, string Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main Purchased with funds from the ARS EUROPA Foundation Inv. no. 2000/55 FOX TRAP, 1997 Rolled sheet metal strips and rods, pig’s ear Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main Purchased with funds from the ARS EUROPA Foundation Inv. no. 2000/64 MINNOW TRAP, 2005 Glass, iron wire, zinc sheet, certificate Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main Gift from the artist Inv. no. 2005/103.1-2 HAMSTER TRAP, 1998 Plywood, wire netting, iron wire Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main Gift from the artist Inv. no. 2000/51 JACKDAW TRAP, 1999 Coniferous wood, wire netting, iron wire, prunes Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main Purchased with funds from the ARS EUROPA Foundation Inv. no. 2000/53