Die BauNVO

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Die BauNVO
Die Baunutzungsverordnung
- terra incognita des Baurechts?
Klaus Füßer
Dr. Hans-Peter Hüsch
Leipzig/Weimar,
im August 2003
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1. Funktion der BauNVO in der Bauleitplanung
Mit der Bauleitplanung steht den Gemeinden ein wichtiges Instrument zur planerischen Steuerung des Baugeschehens im Gemeindegebiet zur Verfügung. Durch
den Bebauungsplan bestimmt die Gemeinde Inhalt und Schranken des Eigentums
der im Planbereich gelegenen Grundstücke. Hierfür bedarf sie gemäß Art. 14
Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage, die sich in § 9 BauGB und in den
ergänzenden Vorschriften der aufgrund der Ermächtigung in § 2 Abs. 5 BauGB
erlassenen Baunutzungsverordnung (BauNVO) findet. Durch sie wird der
festsetzungsfähige Inhalt eines Bebauungsplans abschließend geregelt
(Typenzwang); die Gemeinde hat kein Festsetzungsfindungsrecht. Weicht die
Gemeinde bei der Aufstellung von Bebauungsplänen von den Vorgaben des § 9
BauGB und der BauNVO ab, so ist die von diesem Fehler betroffene Festsetzung
wegen Verstoßes gegen den bauplanungsrechtlichen Typenzwang, durch den die
Beachtung des Gesetzesvorbehalts des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet
wird, unwirksam (vgl. zum Vorstehenden etwa BVerwG, Beschluss vom
31.1.1995 – 4 NB 48.93 -, BRS 57 Nr. 23 = BauR 1995, 351 = NVwZ 1995, 696 =
DVBl. 1995, 520 m. w. N.).
Beispiele:
Das planerische Ziel, auf Baugrundstücken von mindestens 1.000 m²
Größe nur ein einziges Wohnhaus mit höchstens zwei Wohngrundstücken
zuzulassen, kann nicht allein durch die Kombination der Festsetzung
einer entsprechenden Grundstücksmindestgröße, der Festsetzung
„Einzelhäuser“ und der Festsetzung der Zwei-Wohnungs-Klausel erreicht
werden. Grund: Die Kombination verschiedener zulässiger Festsetzungen
darf nicht zur Folge haben, dass auf diese Weise „neue“ Festsetzungen
entstehen, die von den Vorgaben des abschließenden Festsetzungskatalogs inhaltlich abweichen (vgl. BVerwG, a. a. O.).
Unzulässig wäre etwa auch die bauplanerische Festsetzung eines
„Wohngebiets für Einheimische“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.2.1993 - 4 C
18.91 -, BVerwGE 92, 56 = NJW 1993, 2695).
Eine Ausnahme gilt für vorhabenbezogene Bebauungspläne (vgl. § 12 BauGB).
Hier ist die Gemeinde im Bereich des (vom Vorhabenträger vorgelegten und mit
der Gemeinde abgestimmten) Vorhaben- und Erschließungsplans nicht an die in
§ 9 BauGB und in der BauNVO vorgegebenen Festsetzungsmöglichkeiten gebunden (§ 12 Abs. 3 Satz 2, 1. Halbsatz BauGB).
2. Bedeutung der BauNVO für Vorhaben nach § 34 BauGB
Die Zulässigkeit von Vorhaben im nicht qualifiziert beplanten Bereich richtet sich
nach § 34 BauGB. Diese Vorschrift stellt wie die für den Außenbereich geltende
Vorschrift des § 35 BauGB einen Kompromiß zwischen dem Grundsatz der
Planmäßigkeit, nach dem die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke
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grundsätzlich durch Bauleitpläne vorzubereiten und zu leiten ist (§ 1 Abs.1
BauGB), und der verfassungsrechtlich verankerten Vorstellung der
Rechtfertigungsbedürftigkeit der Einschränkung der Dispositionsbefugnisse des
Grundstückeigentümers (sog. „Baufreiheit“) dar. § 34 BauGB ist insofern der
gesetzlich geregelte „Planersatz“ (dazu BVerwG, Urt. v. 11.2.1993 – 4 C 15.92 -,
ZfBR 1993, 191 (193)), der im Hinblick auf die geordnete städtebauliche
Entwicklung der Gemeinde mit seinem maßgeblichen Kriterium des SichEinfügens in die örtlichen Gegenheiten der näheren Umgebung auf den
vorfindlichen Bestand verweist. Diese „gesetzliche Ersatzplanung“ ist freilich von
vornherein in ihrer Trennschärfe im Vergleich zum Bebauungsplan regelmäßig
begrenzt, wegen der eher vagen Maßstäbe enthält die Regelung des § 34 BauGB
im Grundsatz keinen detaillierten Ersatzplan, etwa im Sinne der Regelungen der
im Rahmen von Bebauungsplänen geltenden BauNVO.
2.1. Grundfall des § 34 Abs. 1 BauGB: regelmässige Irrelevanz der
BauNVO
Im unbeplanten Innenbereich kommt es für die Beurteilung eines Vorhabens
grundsätzlich nicht auf die Vorschriften der BauNVO an. Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1
BauGB ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich in einem im Zusammenhang
bebauten Ortsteil befindet, und es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung,
der Bauweise und der zu überbauenden Grundstücksfläche in die Eigenart der
näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen
an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewährt bleiben, eine
Beeinträchtigung des Ortsbildes darf nicht eintreten (§ 34 Abs. 1 S. 2 BauGB).
Für die Frage des Sich-Einfügens ist davon auszugehen, dass sich der jeweils
beachtlichen Umgebung eines Vorhabens ein Rahmen entnehmen lässt. Ein
Vorhaben, dass sich – in jeder Hinsicht – in diesem Rahmen hält, fügt sich in der
Regel seiner Umgebung ein (vgl. dazu Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches
Baurecht, 2. Auflage, München 2003, Rn. 232 m.w.N.).
Für die Bestimmung der insofern maßgeblichen „Bandbreite“ kommt es vor allem
auf die vorfindlichen faktischen Verhältnisse an. Es geht nicht um die Zuordnung
von Rechtsbegriffen, sondern die Feststellung der Bandbreite der tatsächlich
prägenden Bebauung, d.h. es ist auf die tatsächlich vorhandenen Nutzungen
abzustellen (BVerwG, Urt. v. 3.4.1987 – 4 C 41.84 -, UPR 1987, 380 (382)).
Die BauNVO kommt für die Bestimmung des Rahmens insofern aber durchaus
als Auslegungshilfe in Betracht:
Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG konkretisiert sie sachverständig
allgemein anerkannte Grundsätze des Städtebaus (vgl. nur BVerwG, Urt. v.
23.3.1994 – 4 C 18.92 -, DVBl. 1994, 702f. m.w.N.). Auch wenn sie nicht pauschal
im Rahmen der Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB herangezogen werden darf
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(BVerwG, Urt. v. 15.12.1994 – 4 C 19.93 -, BauR 1995, 506), bilden die in der
BauNVO für die jeweiligen Gebietstypen genannten absoluten Maße der
Bebaubarkeit (vgl. § 17 BauNVO) vorbehaltlich einer nach dem faktischen
Bestand der näheren Umgebung eindeutig anderen Prägung Anhaltspunkte dafür,
was bei Grobzuordnung der näheren Umgebung zu den Baugebietstypen gemäß
§§ 2 ff. BauNVO „noch im Rahmen“ liegt.
In ähnlicher Weise wird in der Rechtsprechung bei der Anwendung des sog.
„Gebots der Rücksichtnahme“ – ein sich ansonsten „im Rahmen“ haltenden
Vorhabens kann unzulässig sein, wenn es die gebotene Rücksichtnahme auf die
in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlt lässt – auf die in der
BauNVO vorgenommene Einteilung der verschiedenen Baugebietstypen
zurückgegriffen, wenn es um die Schutzansprüche der Umgebungsbebauung
bspw. gegen die durch die Emissionen des hinzukommenden Vorhabens
bewirkten Immissionen und in diesem Zusammenhang um die Frage „gesunder
Wohn- und Arbeitsverhältnisse“ (§ 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB) geht.
2.2.
Spezialfall des § 34 Abs. 2 BauGB: „faktisches BauNVO-Gebiet“
Für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Vorhabens hinsichtlich der Art der
Nutzung - und nur für diese (!) – enthält § 34 Abs. 2 BauGB eine im Verhältnis zur
Grundnorm des § 34 Abs. 1 BauGB verdrängende Spezialnorm: Entspricht die
nähere Umgebung des zu beurteilenden Vorhabens einem der in der BauNVO
beschriebenen Baugebiete, verweist § 34 Abs. 2 BauGB insofern auf die
BauNVO, als das die Zulässigkeit insofern allein danach zu bewerten ist, ob es
gemäß der BauNVO nach den Regelungen für den betreffenden Gebietstyp
allgemein zulässig wäre (also nach Abs. 2 der Vorschriften zum jeweiligen
Gebietstyp). Für die Beurteilung der Zulässigkeit des Maßes der baulichen
Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstückfläche kommt es
hingegen weiterhin alleine auf die Anwendbarkeit des Maßstabes des SichEinfügens nach der Grundnorm des § 34 Abs. 1 BauGB an. Ebenso sind die
übrigen Voraussetzungen dieser Norm weiter anwendbar, wie gesicherte
Erschließung, gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, keine Beeinträchtigung
des Ortsbildes, kein Widerspruch zu einem ggf. bestehenden sog. einfachen
Bebauungsplan (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.2.1990 – 4 B 240/89 -, NVwZ 1990,
557 (558)).
Freilich ist die mittelbare Anwendbarkeit der BauNVO nach § 34 Abs. 2 BauGB
- was entgegen einer Tendenz in der Praxis mancher Bauverwaltungen nicht
genügend betont werden kann – davon abhängig, dass die Eigenart der näheren
Umgebung eindeutig einem bestimmten der in der BauNVO genannten
Gebietstypen entspricht. Abstrakt kommt es insofern darauf an, dass nach der
vorhandenen Bebauung und Nutzung der Bestand der näheren Umgebung der
Art der Nutzung nach klar erkennbar dem jeweiligen in Abs. 1 der §§ 2 bis 9
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BauNVO definierten Zwecke des Baugebiets dient, der näherem Umgebung
gleichsam „ins Gesicht geschrieben“ ist, dass sie faktisch genauso einem der für
den jeweiligen Gebietstyp definierten Zwecke dient wie ein entsprechend
ausdrücklich durch Bebauungsplan verbindlich festgesetztes Gebiet. Es muß sich
also um ein „typenreines Gebiet“ handeln. Das BVerwG warnt in ständiger
Rechtsprechung ausdrücklich davor, gewachsene inhomogene städtebauliche
Verhältnisse gleichsam „mit Gewalt“ unter einen BauNVO-Gebietstyp zu
subsumieren. Weist die nähere Umgebung Merkmale zweiter Gebietstypen auf,
verbietet sich die Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB (vgl. nur BVerwG, Beschl.
v. 2.7.1991 – 4 B 1/91 -, NVwZ 1991, 982f.; Beschl. v. 24.7.1992 – 2 B 91 -,
GewArch 1993, 96f.).
Auch sind nicht alle der in §§ 2 ff. BauNVO genannten Baugebietstypen für eine
Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB geeignet: Eine entsprechende Anwendung
der Regelungen über das besondere Wohngebiet (§ 4a BauNVO) gemäß § 34
Abs. 2 BauGB kommt insofern nach Auffassung des BVerwG schon deshalb im
Grundsatz nicht in Betracht, weil diesem Gebietstyp ein klares städtebauliches
Leitbild im Sinne eines auf bestimmte Nutzungen begrenzten Ideals, welches auf
faktische Verhältnisse übertragen werden könnte, gerade nicht zu eigen ist (vgl.
BVerwG, Beschl. v. 11.12.1992 – 4 B 209.92 -, ZfBR 1993, 144). Hieraus läßt sich
nach Auffassung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts nicht schlussfolgern,
dass § 34 Abs. 2 BauGB auch auf die in § 10f. BauNVO behandelten
Sondergebietstypen nicht anwendbar sei. Vielmehr sei § 34 Abs. 2 BauGB
insbesondere auch auf die in § 11 BauNVO genannten Sondergebietstypen
anwendbar (ThürOVG, Urt. vom 19. März 2003 – 1 KO 853/01 – mit dem Beispiel
eines „faktischen Sondergebiets Einkaufszentrum“, unveröffentlicht, über juris
zugänglich). Der Umstand, dass ein Sondergebiet seine spezifische
Zweckbestimmung wegen der Art der Nutzung erst durch den jeweiligen
Bebauungsplan enthalte, die BauNVO insofern keine zwingenden Vorgaben
mache, stehe dem jedenfalls dann nicht entgegen, wenn sich im Einzelfall
ungeplant ein Gebiet entwickelt habe, dass sich eindeutig einem der in § 11 Abs.
2 BauNVO beispielhaft aufgeführten Sondergebiete zuordnen lasse (ThürOVG
a.a.O., S. 7 (juris)).
In der Praxis ist es häufig schwierig, das Vorliegen eines entsprechend
typenreinen Baugebiets nach dem Maßstab der näheren Umgebung festzustellen:
Keine Probleme mit der Anwendbarkeit des § 34 Abs. 2 BauNVO bestehen, wenn
die nähere Umgebung sowohl vom Gesamteindruck zu einem bestimmten
Gebietstyp passt als auch sämtliche vorfindliche Nutzungen sich einem der für
das betreffende Gebiet allgemein zulässigen Nutzungen (Abs. 2 der §§ 2
BauNVO) zuordnen lassen, einschließlich der Anwendbarkeit der Sondervorschrift
in § 13 BauNVO für untergeordnete freiberufliche oder ähnliche gewerbliche
Nutzungen.
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Schwieriger wird es, wenn der in der näheren Umgebung vorfindliche Bestand an
Nutzungen nur unter Zuhilfenahme der im jeweiligen Abs. 3 der §§ 2 BauNVO
enthaltenen Regelungen für ausnahmsweise zulässige Nutzungen unter den in
Betracht gezogenen Gebietstyp passt. Denn ein im engeren Sinne „typenreiner“
Gebietstyp, der dem Idealbild des Verordnungsgebers für den jeweiligen
Baugebietstyp entspricht, liegt nicht (mehr) vor. Freilich gehört die Zulassung der
ausnahmsweise zulässigen Nutzungen nach der inneren Logik der §§ 2 BauNVO
zumindest im weiteren Sinne zur „Typik“ des jeweiligen Baugebietstyps. Deshalb
hindert nach der Rechtsprechung des BVerwG jedenfalls das Vorliegen einzelner
nur nach Abs. 3 des jeweiligen Gebietstyps zulässiger Nutzungen in der näheren
Umgebung die Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB nicht, solange diese
Nutzungen so untergeordnet sind und sich in den sonstigen Bestand so einfügen,
dass sie nicht ihrerseits prägend wirken:
„Der danach zu bestimmende Gebietscharakter wird durch
Ausnahmen noch nicht in Frage gestellt, solange beispielsweise die
erkennbaren "Grundzüge der Planung" nicht berührt werden (vgl. §
31 Abs. 1 BauGB). Daß in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4
Abs. 3 BauNVO Vorhaben nur ausnahmsweise zulässig sind, steht
mithin der Annahme eines allgemeinen "faktischen" Wohngebiets
noch nicht entgegen. Das ist dann anders, wenn die vorhandenen
Vorhaben sich nicht auf wirkliche Ausnahmefälle beschränken,
sondern gerade als "Ausnahmen" eine eigene prägende Wirkung
auf die Umgebung ausüben“ (BVerwG, Beschl. v. 11. 2.2000, - 4 B
1/00 -, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr 197 = BRS 63 Nr 102).
Als Faustregel kann formulieren: Muß man sich beim Vergleich des vorfindlichen
Bestands mit den nach der BauNVO vorgesehenen Gebietstypen mühen, sich
zwischen zwei „Kandidaten“ zu entscheiden, spricht alles dafür, dass § 34 Abs. 2
BauGB als eng begrenzte Ausnahme schon im Ansatz nicht passt und die
Zulässigkeit des Vorhabens auch hinsichtlich der Art der Nutzung nach § 34 Abs.
1 BauGB zu beurteilen ist.
Ist § 34 Abs. 2 BauGB anwendbar, und fällt die Nutzung des zur Beurteilung
anstehenden Vorhabens unter Abs. 2 der anwendbaren Gebietsvorschrift nach
§§ 2 ff. BauNVO, ist es gemäß § 34 Abs. 2 1. Hs. BauGB ohne weiteres wegen
der Art der Nutzung zulässig. Gemäß § 34 Abs. 2 2. Hs. BauGB kann auf die
nach der jeweiligen Gebietsvorschrift gemäß Abs. 3 ausnahmsweise zulässigen
Nutzung über § 31 Abs. 1 BauGB zurückgegriffen werden und auch die Vorschrift
des § 31 Abs. 2 BauGB über die Erteilung von Befreiungen gilt entsprechend.
3. Baugebiete und Nutzungsarten
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3.1.
Allgemeine Vorschriften für Bauflächen und Baugebiete
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB kann der Bebauungsplan die Art der baulichen
Nutzung festsetzen. Was unter „Art der Nutzung“ zu verstehen und wie sie im
Bebauungsplan festzusetzen ist, ergibt sich nicht aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB,
sondern aus den Regelungen der BauNVO.
Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauNVO können im Bebauungsplan die in § 1 Abs. 2
BauNVO bezeichneten Baugebiete festgesetzt werden, die im Einzelnen in den
§§ 2 bis 11 BauNVO geregelt sind. Durch die Festsetzung eines (oder mehrerer)
dieser Baugebiete werden nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO die diese Baugebiete
konkretisierenden Bestimmungen der §§ 2 bis 14 BauNVO grundsätzlich Bestandteil des Bebauungsplans (zu möglichen abweichenden Bestimmungen im
Plan nach § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO s. unter 4.), d.h. die Zulässigkeit von Nutzungen in den von der Gemeinde festgesetzten Baugebieten beurteilt sich grundsätzlich allein nach den dafür geltenden Vorschriften der BauNVO.
Die Gemeinde ist an die in der BauNVO bereitgestellten Baugebiete gebunden
(zu diesem Typenzwang s. schon oben). Sie muss (auch bei den noch zu erörternden abweichenden Bestimmungen) bei der Festsetzung des jeweiligen Baugebiets stets dessen allgemeine Zweckbestimmung wahren, wie sie sich aus
den Bestimmungen der BauNVO (vgl. §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 u.s.w. BauNVO) ergibt. Das bedeutet, dass die Gemeinde nicht (etwa aus Gründen des Immissionsschutzes) ein bestimmtes Baugebiet festsetzen darf, obwohl sie mit der Festsetzung in Wahrheit andere städtebauliche Ziele verfolgt oder - insbesondere bei der
Überplanung bebauter Gebiete - das Ziel faktisch nicht erreicht werden kann. Andernfalls handelt es sich um einen „Etikettenschwindel“, der zur Unwirksamkeit
der jeweiligen Baugebietsfestsetzung und damit grundsätzlich zur Nichtigkeit des
gesamten Bebauungsplans führt.
Beispiele:
Es ist mit § 9 Abs. 1 BauGB und den Bestimmungen der Baunutzungsverordnung nicht vereinbar, ein "eingeschränktes Industriegebiet" in der
Weise festzusetzen, dass in ihm nur die bei Inkrafttreten des Bebauungsplans bestehenden Anlagen nach § 9 Abs. 2 BauNVO sowie deren Änderungen und Erweiterungen im Rahmen des Bestandsschutzes zulässig
sind, im Übrigen aber nur nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe
im Sinne von § 8 Abs. 2 BauNVO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6.5.1993
- 4 NB 32.92 -, BRS 55 Nr. 10 = BauR 1993, 693).
Die Überplanung eines faktischen Mischgebiets, in dem die Wohnnutzung
überwiegt, als Kerngebiet setzt eine erkennbare Bestandsaufnahme bei
der Ermittlung der abwägungsrelevanten Gesichtspunkte voraus. Außerdem müssen gewichtige Gründe für eine Umgestaltung des Gebietscharakters angeführt werden können, und die erforderlichen Veränderungen
müssen zumindest langfristig realisierbar erscheinen (vgl. OVG NW, Urteil
vom 21.8.1997 - 11 a D 156/93.NE -, BRS 59 Nr. 40 = BauR 1998, 294).
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Die Gemeinde kann die Art der baulichen Nutzung allerdings nicht nur durch die
Festsetzung von Baugebieten nach der BauNVO, sondern auch durch sonstige
Flächenfestsetzungen bestimmen, soweit § 9 BauGB sie dazu ermächtigt (Beispiel: Flächen für den Gemeinbedarf nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB).
Ausnahmen vom Typenzwang ergeben sich durch die Möglichkeit der Festsetzung von Sondergebieten sowie für die bereits erwähnten vorhabenbezogenen
Bebauungspläne.
3.2.
Inhalt der einzelnen Baugebietstypen
Die §§ 2 bis 9 BauNVO enthalten Regelungen zu den standardisierten Gebietstypen; der Absatz 1 der Bestimmungen enthält jeweils eine Aussage über die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets; im zweiten Absatz werden jeweils
die allgemein zulässigen und im dritten Absatz die ausnahmsweise zulässigen
Vorhaben aufgeführt.
Es lassen sich grundsätzlich unterscheiden Baugebiete für eine Wohnnutzung,
Gebiete mit gemischter Nutzungsstruktur und für gewerbliche Nutzung vorgesehene Gebiete; hinzu kommen die in den §§ 10 und 11 BauNVO angesprochenen
Sondergebiete (dazu s. unter 5.). Im Einzelnen:
3.2.1 Baugebiete für eine Wohnnutzung
Die BauNVO kennt vier Baugebiete, die ausschließlich oder vorwiegend dem
Wohnen dienen: Kleinsiedlungsgebiete (§ 2), reine Wohngebiete (§ 3), allgemeine Wohngebiete (§ 4) und besondere Wohngebiete (§ 4 a). Während das
reine Wohngebiet ausschließlich dem Wohnen dient und andere Nutzungen nur
ausnahmsweise zulässig sind, sind in Kleinsiedlungsgebieten sowie allgemeinen
und besonderen Wohngebieten daneben auch andere Nutzungen allgemein zulässig.
Der Begriff „Wohnen“ im planungsrechtlichen Sinn ist abzugrenzen insbesondere
von den sozialen Einrichtungen, die im reinen Wohngebiet nur ausnahmsweise
zulässig sind (vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Kriterien für eine Wohnnutzung sind
nach der Rechtsprechung „eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts“ (BVerwG, Beschluss vom 25.3.1996 - 4 B 302.95 -, BRS 58
Nr. 56 = BauR 1996, 676 = NVwZ 1996, 893).
Zu beachten ist die Regelung des § 3 Abs. 4 BauNVO, die für alle Wohngebiete
sowie für Misch- und Kerngebiete festlegt, dass zu den in diesen Gebieten zuläs-
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sigen Wohngebäuden auch solche gehören, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen.
Beispiel:
Zu den danach in einem reinen Wohngebiet zulässigen Wohngebäuden
kann auch ein Übergangswohnheim für psychisch Kranke gehören (vgl.
VG Gera, Urteil vom 12.11.1998 - 4 K 444/98 GE - in juris nur Leitsätze).
Eine Einschränkung der Wohnnutzung kann durch besondere - nutzungsbezogene - Festsetzungen im Bebauungsplan nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 bis 8 BauGB erfolgen.
3.2.2 Gebiete mit gemischter Nutzungsstruktur
Als Gebiete gemischter Nutzungsstruktur kennt die BauNVO Dorfgebiete (§ 5),
Mischgebiete (§ 6) und Kerngebiete (§ 7).
Mischgebiete dienen nach § 6 Abs. 1 BauNVO dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Diese beiden Hauptnutzungen stehen gleichwertig nebeneinander und müssen auch
quantitativ erkennbar vorhanden sein. Ein bestimmtes Mischungsverhältnis ist
aber weder zwingend vorgegeben, noch ist die Gemeinde ermächtigt, das quantitative Verhältnis von Wohnen und Gewerbe im Bebauungsplan festzulegen. Im
Ergebnis darf allerdings keine der Hauptnutzungsarten die andere optisch eindeutig dominieren. Die gebotene quantitative Mischung kann die Gemeinde durch
die noch zu behandelnden Gliederungsinstrumente (s. unter 4.) sicherstellen.
Dorfgebiete als „ländliche Mischgebiete“ dienen nach § 5 Abs. 1 BauNVO der
Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem
Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handelsbetriebe. Diese drei Hauptnutzungen stehen grundsätzlich gleichwertig nebeneinander, wobei die Wohnnutzung hier mehr als in anderen Gebieten Immissionen
land- und forstwirtschaftlicher Betriebe hinzunehmen hat (vgl. hierzu auch § 5
Abs. 1 Satz 2 BauNVO).
Kerngebiete dienen nach § 7 Abs. 1 BauNVO vorwiegend der Unterbringung von
Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur. Wohnen ist im Kerngebiet (abgesehen von den in § 7 Abs. 2
Nr. 6 BauNVO geregelten Sonderfällen) nur zulässig, wenn der Bebauungsplan
dies festsetzt (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO). Das Kerngebiet dient u.a. auch der
Unterbringung der sonst nur im Sondergebiet zulässigen Einkaufszentren und
großflächigen Einzelhandelsbetriebe (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO) sowie der
Unterbringung von Vergnügungsstätten.
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3.2.3 für gewerbliche Nutzung vorgesehene Gebiete
Als Gebiete mit vorwiegender oder ausschließlicher gewerblicher Nutzung kennt
die BauNVO Gewerbegebiete (§ 8) und Industriegebiete (§ 9).
Gewerbegebiete dienen nach § 8 Abs. 1 BauNVO vorwiegend der Unterbringung
von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben. Für die rechtliche Einordnung einzelner Betriebe in diese Kategorie kommt es hier (wie auch bei ihrer Einordnung in andere Kategorien, z.B. der das Wohnen nicht wesentlich störenden
Gewerbebetriebe nach § 6 Abs. 1 BauNVO) auf eine typisierende Betrachtung
an.
Industriegebiete dienen nach § 9 Abs. 1 BauNVO ausschließlich der Unterbringung von Gewerbebetrieben, und zwar vorwiegend solcher, die (wegen ihres hohen Störungsgrades) in anderen Baugebieten unzulässig sind.
4. Gliederung von Baugebieten (§ 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO)
Bei der Festsetzung der Baugebiete der §§ 2 bis 9 BauNVO sind nach Maßgabe
der Regelungen des § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO weitere Differenzierungen hinsichtlich der Art der Nutzung möglich. Durch diese „Feinsteuerung“ kann in begrenztem Umfang örtlichen Gegebenheiten oder planerischen Detailvorstellungen
der Gemeinde Rechnung getragen werden. Die Differenzierungen müssen stets
städtebaulich gerechtfertigt sein und die allgemeine Zweckbestimmung des
jeweiligen Baugebiets wahren, auch soweit dies in den einzelnen Bestimmungen nicht noch ausdrücklich gefordert wird.
Beispiel:
In einem Bebauungsplan, der ein allgemeines Wohngebiet festsetzt,
dürfen nicht alle Nutzungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauNVO ausgeschlossen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.2.1999 - 4 BN 1.99 -,
BRS 62 Nr. 71BauR 1999, 1435 = NVwZ 1999, 1340).
Die Festsetzungen nach § 1 Abs. 4 bis 7 BauNVO können sich dabei auch auf
Teile des jeweiligen Baugebiets beschränken (§ 1 Abs. 8 BauNVO).
Im Einzelnen sind folgende Differenzierungsmöglichkeiten zu unterscheiden:
3.1.
Ausschluss oder Rückstufung von allgemein zulässigen Nutzungen
(§ 1 Abs. 5, ggf. i.V.m. Abs. 9 BauNVO)
§ 1 Abs. 5 BauNVO erlaubt der Gemeinde, in den Baugebieten der §§ 2, 4 bis 9
BauNVO (also nicht in reinen Wohngebieten) bestimmte der dort nach der
BauNVO zulässigen Arten von Nutzungen völlig auszuschließen oder für nur
ausnahmsweise zulässig zu erklären. „Bestimmte Arten von Nutzungen“ in die-
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sem Sinne sind die in den §§ 2, 4 bis 9 und 13 BauNVO mit einem typisierenden
Begriff als allgemein zulässig bezeichneten Nutzungen. Der Ausschluss oder die
„Rückstufung“ kann sich auf eine einzelne Nutzungsart beschränken und muss
sich nicht etwa jeweils auf alle in einer Nummer zusammengefassten Nutzungen
erstrecken (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.5.1987 - 4 N 4.86 -, BVerwGE 77,
308 = BRS 47 Nr. 54 = BauR 1987, 520 = NVwZ 1987, 1072).
Beispiele:
Vergnügungsstätten oder Einzelhandelsbetriebe, die in § 7 Abs. 2 Nr. 2
BauNVO jeweils als allgemein zulässige Nutzungen aufgeführt werden
(zu ersteren vgl. BVerwG, a. a. O.).
Darüber hinaus lässt § 1 Abs. 9 BauNVO hier noch weiter gehende Differenzierungen zu: Danach kann die Gemeinde im Bebauungsplan aus den in der
BauNVO aufgeführten Arten von Nutzungen nur bestimmte Arten von Anlagen
(d.h. Unterarten von Nutzungen) herausgreifen und (im Anwendungsbereich des
§ 1 Abs. 5 BauNVO) im jeweiligen Baugebiet für nicht zulässig oder nur ausnahmsweise zulässig erklären. Bei den bestimmten „Arten von Anlagen“ muss es
sich jeweils um eine typisierbare Unterart der von der BauNVO in dem Baugebiet zugelassenen Nutzungen handeln.
Beispiele:
Spielhallen als Unterart der Vergnügungsstätten oder Einzelhandelsbetriebe bestimmter Branchen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom
27.7.1998 - 4 BN 31.98 -, BauR 1998, 1197 = NVwZ-RR 1999, 9).
Es ist nicht zulässig, im Bebauungsplan einzelfallbezogene Regelungen für
bestimmte konkrete Anlagen zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.5.1987
- 4 C 77.84 -, BVerwGE 77, 317 = BRS 47 Nr. 58 = NVwZ 1987, 1074).
Beispiel:
Differenzierungen nach der Größe von Anlagen (wie etwa die Verkaufsfläche von Handelsbetrieben) sind nur dann ausnahmsweise zulässig,
wenn die Größe zugleich bestimmte Arten von Anlagen typisiert (vgl.
BVerwG, a.a.O.).
Voraussetzung für die „Feindifferenzierung“ nach § 1 Abs. 9 BauNVO ist stets ihre
Rechtfertigung durch besondere städtebauliche Gründe. Damit ist nicht
notwendig gemeint, dass die Gründe von größerem oder im Verhältnis zu § 1
Abs. 5 BauNVO zusätzlichem Gewicht sein müssen. Vielmehr ist erforderlich,
aber auch ausreichend, dass es spezielle städtebauliche Gründe für die gegenüber § 1 Abs. 5 BauNVO noch feinere Ausdifferenzierung der zulässigen Nutzungen gibt (vgl. BVerwG, a.a.O.).
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4.2.
Ausschluss oder allgemeine Zulassung von Ausnahmen
(§ 1 Abs. 6, ggf. i.V.m. Abs. 9 BauNVO)
§ 1 Abs. 6 BauNVO enthält zwei Regelungen für die in den Baugebietsvorschriften der §§ 2 bis 9 jeweils in Abs. 3 aufgeführten Ausnahmen. Die Gemeinde kann
entweder bestimmen, dass einzelne oder alle Ausnahmen nicht Bestandteil des
Plans werden (Nr. 1) oder dass sie in dem jeweiligen Baugebiet allgemein zulässig sind ( Nr. 2).
Die Regelung des § 1 Abs. 9 BauNVO erlaubt auch hier eine weitere Differenzierung nach Arten von Anlagen.
4.3.
horizontale Gliederung (§ 1 Abs. 4 BauNVO)
§ 1 Abs. 4 BauNVO erlaubt für die in den §§ 4 bis 9 bezeichneten Baugebiete
(also nicht für Kleinsiedlungsgebiete und reine Wohngebiete) Festsetzungen, die
das Baugebiet entweder nach der Art der baulichen Nutzung (Satz 1 Nr. 1) oder
nach der Art der Betriebe und Anlagen und deren besonderen Bedürfnissen und
Eigenschaften (Satz 1 Nr. 2) „horizontal“ gliedern, so lange das Baugebiet in seiner Gesamtheit noch dem jeweiligen Gebietstypus entspricht.
Nr. 1 ermöglicht etwa die Gliederung eines Gewerbegebietes in einen Teil nur für
„nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe“ (die mit einer benachbarten Wohnnutzung vereinbar sind) und einen anderen Teil für „nicht erheblich belästigende
Gewerbebetriebe“. Nicht zulässig ist dagegen etwa die Gliederung eines Mischgebiets in der Weise, dass in der einen Hälfte nur eine (eingeschränkte) gewerbliche Nutzung möglich ist und in der anderen Hälfte eindeutig die Wohnnutzung
dominiert. Dies widerspräche der Zweckbestimmung des Mischgebiets, das durch
die Mischung von Wohngebäuden einerseits und das Wohnen nicht wesentlich
störenden Gewerbebetrieben andererseits charakterisiert ist (vgl. VGH BW, Urteil
vom 6.2.1998 - 3 S 1699/97 -, BRS 60 Nr. 27 = BauR 1998, 976).
Nr. 2 lässt noch weiter gehende Differenzierungen zu. Praktisch bedeutsam ist
insbesondere die nach dieser Bestimmung möglich Festsetzung von Emissionsgrenzwerten, da zu den hier erwähnten besonderen Eigenschaften von Betrieben und Anlagen auch ihr Emissionsverhalten gehört (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 18.12.1990 - 4 N 6.88 -, BRS 50 Nr. 25 = NVwZ 1991, 881).
Für Gewerbe- und Industriegebiete können nach § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO entsprechende Festsetzungen auch für mehrere Gebiete einer Gemeinde im Verhältnis zueinander getroffen werden, d.h. es genügt, wenn z.B. mehrere Gewerbegebiete, gemeinsam betrachtet, den Gebietstypus wahren.
13
3.4.
vertikale Gliederung (§ 1 Abs. 7, ggf. i.V.m. Abs. 9 BauNVO)
§ 1 Abs. 7 BauNVO erlaubt (ergänzend zu den Sonderregelungen des § 4 a
Abs. 4 Nr. 1 und des § 7 Abs. 4 Nr. 1 BauNVO) in den Baugebieten nach den
§§ 4 bis 9 BauNVO (also nicht in Kleinsiedlungsgebieten und reinen Wohngebieten) generell eine sog. vertikale Gliederung baulicher Anlagen nach den im jeweiligen Baugebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässigen Nutzungen. Die Festsetzung müssen sich auf bestimmte Geschosse, Ebenen oder sonstige Teile
baulicher Anlagen beziehen (Beispiel: Festsetzung, dass im Mischgebiet ab einem bestimmten Geschoss ausschließlich Wohnungen zulässig sind); die Festsetzung prozentualer Anteile bestimmter Nutzungen ist von § 1 Abs. 7 BauNVO
nicht gedeckt (vgl. dagegen für Kerngebiete die Regelung in § 7 Abs. 4 Nr. 2
BauNVO).
Eine „vertikale Gliederung“ nach § 1 Abs. 7 BauNVO muss stets durch besondere städtebauliche Gründe gerechtfertigt sein, d.h. es muss spezielle Gründe
für eine Gliederung von Nutzungsarten gerade nach Geschossen etc. geben
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 4.6.1991 - 4 NB 35.89 -, BVerwGE 88, 268 =
BRS 52 Nr. 9 = BauR 1991, 563).
Beispiele:
Das Planungsziel der Erhaltung einer gewachsenen Mischstruktur und
Verhinderung des Verödens von Stadtteilen kann einen besonderen
städtebaulichen Grund darstellen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
Nicht ausreichend ist dagegen etwa die planerische Absicht, einen bestimmten Anteil von Wohnnutzung in einem bestimmten Gebiet zu sichern
(vgl. BVerwG, a.a.O.), oder ein allgemeiner Hinweis auf einen „hohen
Bedarf an Gewerbeflächen“ (vgl. VGH BW, Urteil vom 30.7.1998 - 5 S
2181/97 -, BRS 60 Nr. 28).
Auch hier ist die weiter gehende Differenzierungen ermöglichende Bestimmung
des § 1 Abs. 9 BauNVO anwendbar.
3.5.
planungsrechtliche Absicherung vorhandener Anlagen
(§ 1 Abs. 10 BauNVO)
Die Regelung des § 1 Abs. 10 BauNVO ermöglicht bei der Überplanung überwiegend bebauter Gebiete eine über den Bestandsschutz hinausgehende planungsrechtliche Absicherung solcher Anlagen, die nach der Festsetzung des Baugebiets dort zu „Fremdkörpern“ werden, d.h. in dem Baugebiet nunmehr „an sich“
unzulässig sind. Die Bestimmung ist auch dann anwendbar, wenn die Anlage nur
deshalb unzulässig ist, weil sie zu einer Nutzungsart gehört, die nach § 1 Abs. 5
BauNVO ausgeschlossen worden ist (BVerwG, Beschluss vom 11.5.1999 - 4 BN
15.99 -, BauR 1999, 1136 = NVwZ 1999, 1338). Nach Satz 1 kann die Gemeinde
im Bebauungsplan festsetzen, dass Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsände-
14
rungen und Erneuerungen dieser Anlagen allgemein zulässig sind oder ausnahmsweise zugelassen werden können. Satz 2 erlaubt der Gemeinde, nähere
Bestimmungen über die Zulässigkeit dieser Erweiterungen etc. zu treffen, also
konkret objektbezogene bindende Vorgaben zu machen. Satz 3 lässt es genügen, wenn bei Festsetzungen nach Abs. 10 die allgemeine Zweckbestimmung
des Baugebiets „in seinen übrigen Teilen“ (d.h. in den nicht von den Festsetzungen erfassten Teilen) gewahrt bleibt.
5. Sondergebiete
Die BauNVO sieht in §§ 10 und 11 von der Systematik der §§ 2 bis 9 BauNVO
abweichende Sonderregelungen vor, wobei sich freilich die jeweiligen Regeln
erheblich unterscheiden:
5.1.
Sondergebiete, die der Erholung dienen
Die Regelung in § 10 BauNVO über die der Erholung dienenden Sondergebiete
durchbricht die Systematik der §§ 2 ff. BauNVO insofern, als aufgrund der
Mannigfaltigkeit der unter diesem Titel vereinigten Gebiets(unter-)typen eine der
im jeweiligen Abs. 1 der §§ 2 ff. BauNVO entsprechenden nähere
Zweckbestimmung nicht möglich ist. Deshalb regelt § 10 Abs. 2 S. 1 BauNVO
zwingend, dass die präzise Zweckbestimmung i.S.d. Art der Nutzung im
Bebauungsplan näher darzustellen und festzusetzen ist. § 10 BauNVO sieht in
den Absätzen 3 bis 5 für die in Abs. 1 genannten Untertypen neben einer
Grundregel für die allgemein zulässige Nutzung (jeweils in Satz 1) neben einem
Rahmen zusätzlicher Festsetzungsmöglichkeiten wegen der Art der Nutzung
Regelungen zum notwendigen oder fakultativen Umfang der Festsetzungen zu
dem Maß der Nutzung vor: In Wochenendhausgebieten muß (§ 10 Abs. 3 S. 2
BauNVO), in Ferienhausgebieten kann (§ 10 Abs. 4 S. 2 BauNVO) eine
entsprechende Regelung getroffen werden.
5.2.
Sondergebiete mit sonstiger Zweckbestimmung
Im Gegensatz zu § 10 BauNVO gibt § 11 BauNVO in noch geringerem Umfang
inhaltliche Vorgaben an die Gemeinde bei der Wahl und Ausgestaltung von
atypischen Festsetzungen der Nutzungsart. § 11 BauNVO enthält lediglich eine
Rahmenvorschrift für solche Festsetzungen:
Tatbestandsvoraussetzung der Zulässigkeit der Festsetzung eines Sondergebiets
durch die Gemeinde ist es, dass die durch die Festsetzung beabsichtigte Nutzung
sich von den Baugebieten der §§ 2 bis 10 BauNVO wesentlich unterscheidet. § 11
BauNVO gibt der Gemeinde kein Mittel an die Hand, sich durch
Sondergebietsfestsetzungen dem grundsätzlich geltenden Typenzwang der
BauNVO zu entziehen; Festsetzungsgehalte, die unter Nutzung der
15
Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 1 Abs. 4 ff. BauNVO auch auf der Basis der in
§§ 2 bis 10 BauNVO vorgesehenen Baugebietstypen „machbar“ sind, dürfen nicht
künstlich in ein Sondergebiet verlagert werden (BVerwG, Urt. v. 28.2.2002 – 4 CN
5.01 -, UPR 2002, 313ff.; Beschl. v. 16.9.1998 – 4 B 60.98 -, NVwZ-RR 1999,
224; OVG Koblenz, Beschl. v. 6.3.2002 – 8c 11470/01 -, BauR 2002, 1205 ff.).
Unter Beachtung dieser Maßgabe ist allerdings die in § 11 Abs. 2 BauNVO
enthaltene Aufzählung nicht abschließend, sondern bloß beispielhaft
(„insbesondere“). Zu beachten ist freilich, dass auch die Festsetzung eines
Sondergebiets nicht davon entbindet, unter Beachtung des Abwägungsgebots
(§ 1 Abs. 6 BauGB) im Hinblick auf die mit den im Gebiet ausgewiesenen
Nutzungen selbst angelegten Konflikte sowie die Schutzbedürfnisse der
Umgebung hinreichende Festsetzungen zu Art und Maß der baulichen Nutzung
zu treffen. Sind mit der vorgesehenen Nutzungsart bspw. erhebliche Emissionen
verbunden, die auf angrenzende immissionsempfindliche Nutzungen treffen, muß
die Gemeinde durch geeignete Festsetzungen im Bebauungsplan für das
Sondergebiet dafür sorgen, dass die Schutzbedürfnisse der Nachbarschaft im
Rahmen der vorgesehenen Nutzungsart eingehalten werden. Eine vollständige
Verlagerung der Problemlösung auf anschließende vorhabenbezogene
Zulassungsverfahren kommt nach dem Gebot der Konfliktlösung auch unter
Beachtung der Option planerischer Zurückhaltung nicht in Betracht.
6. Planungsrechtliche Beurteilung von Einzelhandel in Bauleitplänen,
aktuelle Probleme
Besonderer Bedeutung kommt in letzter Zeit wieder die Problematik der
bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetriebe und
insofern insbesondere der in § 11 Abs. 3 BauNVO enthaltenen Regelung zu.
6.1.
Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 S. 1 BauNVO
§ 11 Abs. 3 S. 1 BauNVO schreibt vor, dass Einkaufszentren (Ziff. 1),
großflächige Einzelhandelsbetriebe – d.h. Betriebe, die auf den Verkauf auf
Endverbraucher gerichtet sind -¨(Ziff. 2) und sonstige großflächige
Handelsbetreibe, die im Hinblick auf den Verkauf an Endverbraucher ähnliche
Wirkungen haben wie großflächige Einzelhandelsbetriebe, außer in Kerngebieten
nur in den für sie ausgewiesenen Sondergebieten zulässig sind (; zur
– problematischen Figur - des „faktischen Sondergebiets ‚Einkaufszentrum’“ vgl.
oben 2.2.).
Zum Begriff des „Einkaufszentrums“ für das BVerwG aus:
„In Übereinstimmung auch mit dem allgemeinen Sprachgebrauch ist ein
Einkaufszentrum im Rechtssinne nur dann anzunehmen, wenn eine
16
räumliche Konzentration von Einzelhandelsbetrieben verschiedener Art
und Größe - zumeist in Kombination mit verschiedenartigen
Dienstleistungsbetrieben - vorliegt, die entweder einheitlich geplant ist
oder sich doch in anderer Weise als "gewachsen" darstellt. Ein
"gewachsenes" Einkaufszentrum setzt außer der erforderlichen
räumlichen Konzentration weiter voraus, daß die einzelnen Betriebe a u
s d e r S i c h t d e r K u n d e n als aufeinander bezogen, als durch
ein gemeinsames Konzept und durch Kooperation miteinander verbunden
in Erscheinung treten. Diese Zusammenfassung kann sich in
organisatorischen oder betrieblichen Gemeinsamkeiten, wie etwa in
gemeinsamer Werbung oder einer verbindenden Sammelbezeichnung,
dokumentieren. Nur durch solche äußerlich erkennbaren Merkmale ergibt
sich für die Anwendung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO die
notwendige planvolle Zusammenfassung mehrerer Betriebe zu einem
"Zentrum" und zugleich die erforderliche Abgrenzung zu einer beliebigen
Häufung von jeweils für sich planungsrechtlich zulässigen Läden auf mehr
oder weniger engem Raum“ (BVerwG, Beschl. v. 15. Februar 1995 - 4 B
84/94 -, zitiert nach juris).
„Großflächigkeit“ eines Einzelhandelsbetriebs gemäß § 11 Abs. 3 S. 1 Ziff. 2
BauNVO liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab
einer Verkaufsfläche (incl. Treppen, Schaufenster, Kasse und Eingangsbereich
sowie Regalstellflächen (dazu BVerwG, Urt. v. 22.5.1987 – 4 C 77.84 – NVwZ
1987, 1990 (1991)), aber in der Rechtspraxis regelmäßig ohne überdachte
Aussenbereiche bspw. zum Abstellen von Einkaufswägen) von ca. 700qm (vgl.
insb. BVerwG, Urt. v. 22.5.1987 – 4 C 19.85 -, NVwZ 1987, 1076 ff., seitdem st.
Rspr.).
Soweit teilweise in der jüngeren Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird,
der Schwellenwert für die Großflächigkeit sei im Hinblick auf den Strukturwandel
im Einzelhandel und den sich daraus typischerweise für den Betrieb eines
betriebswirtschaftlich
funktionsfähigen
„Verbrauchermarkt“
ergebenen
Mindestflächenbedarf eher bei 800 qm Verkaufsfläche anzusetzen (so OVG
Koblenz, Urt. v. 2. März 2001 – 1 A 12338/99 -, BauR 2001, 1062 = NVwZ-RR
2001, 573; offen gelassen in ThürOVG, Urt. v. 21.8.2001 – 1 KO 1240/97 -, zitiert
nach juris), kann dem nicht gefolgt werden (vgl. wie hier NdsOVG, BauR 2001,
1239 ff.): Das BVerwG hat im Rahmen eines auf die oben zitierten
Entscheidungen folgenden jüngeren Beschlusses (Beschl. v. 11.2.1991 – 4 B
50.90 -, zitiert nach juris) ausdrücklich bekräftigt, dass mit der BauNVO 1990 die
Zulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben gegenüber dem vorher geltenden Recht
der BauNVO 1977 – zu dem die erwähnten Entscheidungen ergangen waren nicht erweitert werden sollte (BVerwG a.a.O.). Vor diesem Hintergrund
verwundert es nicht, dass die jüngste Rechtsprechung – soweit ersichtlich – dem
Vorschlag des OVG Koblenz nihct gefolgt ist, vielmehr ihm ausdrücklich
widersprochen hat (vgl. NdsOVG a.a.O.).
Die in § 11 Abs. 3 S. 1 BauNVO angeordnete Rechtsfolge der Zulässigkeit nur im
Kerngebiet und im Sondergebiet gilt für großflächige Einzelhandelsbetriebe und
17
sonstige großflächige Handelsbetriebe aber nur im Hinblick auf die ihnen
zugeschriebenden ungünstigen Auswirkungen (vgl. § 11 Abs. 3 S. 2 BauNVO).
Insofern ist die in § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO enthaltene Vermutungsregelungen zu
beachten: Ab 1200 qm Geschossfläche (was üblicherweise circa 800 qm
Verkaufsfläche entspricht) wird das Eintreten dieser Wirkungen vermutet; bei
einer unter diesem Schwellenwert liegenden Geschossfläche wird vermutet, dass
entsprechende Wirkungen nicht eintreten. Die Vermutungsregel gilt freilich gemäß
§ 11 Abs. 3 S. 4 BauNVO nicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass
Auswirkungen bereits bei mehr als 1200 qm Geschossfläche vorliegen bzw. trotz
der Überschreitung des Schwellenwerts nicht vorliegen; dabei sind in Bezug auf
die in § 11 Abs. 3 S. 2 BauNVO bezeichneten Auswirkungen insbesondere die
Gliederung und Größe der Gemeinde und ihrer Ortsteile, die Sicherung der
verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des
Betriebs zu berücksichtigen. Hierbei geht § 11 Abs. 3 Sätze 1 bis 4 BauNVO von
dem „negativen Leitbild“ des
„großflächigen Betriebs mit einem breiten Warenangebot für den privaten
Bedarf der Allgemeinheit zugrunde, der insbesondere aus Gewerbe- und
Industriegebieten grundsätzlich ferngehalten werden soll, weil er trotz
seines angestrebten großen Einzugsbereichs in einer funktionalen
Beziehung zum Wohnen steht“ (ThürOVG a.a.O., S. 9 (juris), im Anschluß
an BVerwG, Urt. v. 3.2.1984 – 4 C 54.80-, BVerwGE 68, 342 (345)).
Abweichungen von der beschriebenen Fallgestaltung können auf betrieblicher
Seite darin bestehen, dass der Betrieb beschränkt ist auf ein schmales
Warensortiment, das durch Waren geprägt ist, die auf Transportmöglichkeiten der
Kunden angewiesen sind, auf Artikel, die üblicherweise in Verbindung mit
handwerklichen
Dienstleistungen
angeboten
werden,
wie
z.B.
ein
Kraftfahrzeughandel mit Werkstatt, oder auf solche, die ein einer gewissen
Beziehung zu gewerblichen Nutzungen stehen, wie z.B. ein Baustoffhandel. Sog.
„Fachmärkte“ mit einem auf eine bestimmte Branche zugeschnittenen
Warenangebot erfüllen die Voraussetzungen für einen atypischen Betrieb i.S.d.
§ 11 Abs. 3 S. 4 BauNVO indes allein wegen ihrer Fachmarkteigenschaft nicht
(ThürOVG a.a.O., m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur).
6.2.
Verbrauchermärkte im reinen und allgemeinen Wohngebiet
Unterschreiten Einzelhandelsbetriebe (z.B. kleinere sog. „Discounter“ oder
insbesondere „Verbrauchermärkte“) den Schwellenwert der Großflächigkeit i.S.d.
§ 11 Abs. 3 S. 1 Ziff. 1 BauNVO, ist – entgegen einer verbreiteten Praxis –
deshalb keineswegs auf die Zulässigkeit im allgemeinen bzw. reinen Wohngebiet
zu schließen:
Die allgemeine oder ausnahmsweise Zulässigkeit einer Nutzung – z.B. im Sinne
eines „Verbrauchermarkt“-Vorhabens - im jeweiligen Gebietstyp ist bei direkter
oder indirekter (§ 34 Abs. 2 BauGB) Anwendung der jeweiligen Vorschriften (§§ 3
18
Abs. 3 Ziff. 1, 4 Abs. 2 Ziff. 2 BauGB) in Einzelfall positiv festzustellen. M.a.W.:
Die Verneinung der Anwendbarkeit des § 11 Abs. 3 S. 1 BauNVO entbindet nicht
von der Notwendigkeit der Prüfung, ob es sich bei dem „Laden“ um einen solchen
handelt, der auch „der Versorgung des Gebiets dient“ i.S.d. § 4 Abs. 2 Ziff. 1
BauNVO (vgl. dazu nur jüngst OVG Münster BauR 2001, 907 f.; VG
Gelsenkirchen NWVBl 2001, 268 f.).
Damit kommt es bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens eines
Verbrauermarktes im allgemeinen Wohngebiet darauf an, festzustellen, dass
dieser darauf zugeschnittenen ist, dieses Gebiet (zwar nicht notwendig im Sinne
des Gebietes des betreffenden Bebauungsplans, aber zumindest des „Ortsteils“
(vgl. § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB)) zu versorgen. Nach der insbesondere dem
allgemeinen Wohngebiet zugrundeliegenden Typik (vgl. § 4 Abs. 1 BauNVO)
sollen neben außer Wohnnutzung im allgemeinen Wohngebiet nur solche
Nutzungen untergebracht werden, deren Störwirkungen geringfügig sind,
insbesondere auch im Hinblick auf die mit ihnen typischerweise verbundenen
Immissionen, einschließlich des ihnen zuzuschreibenden Verkehrsaufkommens.
Hierbei kann nicht vorschnell ein Gebietsbezug angenommen werden, sondern
die Frage ist näher zu betrachten:
„Ob eine Anlage als gebietsbezogen qualifiziert werden kann, ist
ausgehend vom Betriebskonzept des Betreibers zu vorderst anhand
objektiver Kriterien zu beurteilen, wie insbesondere die Größe und
sonstige Beschaffenheit der Anlage, der daraus sich ergebenden
Erfordernisse einer wirtschaftlich tragfähigen Ausnutzung, der örtlichen
Gegebenheiten und der typischen Verhaltensweise der Bevölkerung“
(OVG Münster a.a.O., 906).
Dementsprechend wurde verschiedentlich in der jüngeren instanzgerichtlichen
Rechtsprechung darauf abgestellt, ob – im Sinne des § 3f. BauNVO Idealbildes –
eine Verkaufsstätte auf die Deckung des Einkaufsbedarfs der Wohnbevölkerung
zielt, die jene typischerweise auch ohne Kraftfahrzeug erreichen kann (VG
Gelsenkirchen a.a.O., 269) bzw. ob im Hinblick auf Lage und Ausstattung des
Vorhabens mit Parkplätzen die Verkaufsstätte darauf zielt, sich weniger aus der
Versorgung der umliegenden Wohnbevölkerung zu amortisieren als durch
„Mitnahmeeffekte“ im Hinblick auf die an dem Grundstück vorbeifahrenden
Kraftfahrer, bspw. auf einer an den Verbrauchermarkt angrenzenden Straße mit
bedeutender innerörtlichen oder sogar überörtlicher Funktion (vgl. so NdsOVG,
BauR 2001, 1239 f.: Ablehnung der Anwendbarkeit von § 4 Abs. 2 Ziff. 1 BauNVO
auf einen ALDI-Markt mit 688 qm im Hinblick auf die verkehrsgünstige Lage und
45 vorgesehene Stellplätze).
19
7. Maß der baulichen Nutzung
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB kann der Bebauungsplan auch das Maß der baulichen Nutzung festsetzen. Die näheren Einzelheiten ergeben sich aus den Bestimmungen der §§ 16 ff. BauNVO.
Nach § 16 Abs. 2 BauNVO kann das Maß der baulichen Nutzung bestimmt werden durch Festsetzung
− der Grundflächenzahl oder der Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen,
− der Geschossflächenzahl oder der Größe der Geschossfläche,
− der Baumassenzahl oder der Baumasse,
− der Zahl der Vollgeschosse sowie
− der Höhe der baulichen Anlagen.
6.1.
Grundflächenzahl (GRZ) bzw. Größe der Grundfläche; Begrenzung
der Bodenversiegelung
Wenn die Gemeinde im Bebauungsplan das Maß der baulichen Nutzung festsetzen will, muss sie nach § 16 Abs. 3 BauNVO stets die Grundflächenzahl oder die
Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen festsetzen. Dies gilt auch dann,
wenn im Bebauungsplan eine überbaubare Grundstücksfläche nach § 23
BauNVO festgesetzt wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.12.1995 - 4 NB
36.95 -, BRS 57 Nr. 25 = BauR 1996, 353 = NVwZ 1996, 894). Etwas anderes
kann dann gelten, wenn in den textlichen Festsetzungen ausdrücklich bestimmt
wird, dass die zulässige Grundfläche der im Plan festgesetzten überbaubaren
Grundstücksfläche entspricht (vgl. OVG NW, Urteil vom 13.3.1998 - 11a D
128/93.NE -, BRS 60 Nr. 32; SächsOVG, Urteil vom 4.10.2000 - 1 D 19/00 -, BRS
63 Nr. 36 = SächsVBl. 2001, 34).
Unterlässt die Gemeinde eine Festsetzung der Grundflächenzahl oder Größe der
Grundflächen der baulichen Anlagen, ist der Bebauungsplan nichtig.
Die Grundflächenzahl (GRZ) gibt an, wie viel qm Grundfläche baulicher Anlagen
je qm Grundstücksfläche zulässig ist (§ 19 Abs. 1 BauNVO). Die genaue Bezugsgröße für die Berechnung ergibt sich aus § 19 Abs. 3 BauNVO (vgl. hierzu auch
die ergänzende Regelung in § 21 a Abs. 2 BauNVO). Die „zulässige Grundfläche“
(vgl. § 19 Abs. 2 BauNVO) errechnet sich aus der Multiplikation der Grundstücksgröße mit der GRZ.
Beispiel:
Bei einer GRZ von 0,4 und einer Grundstücksgröße von 500 qm dürfen
200 qm überbaut werden.
20
Statt die zulässige Grundfläche relativ (in Abhängigkeit von der Grundstücksgröße) zu bestimmen, kann die Gemeinde im Bebauungsplan auch die absolute
Größe der Grundfläche (GR) festsetzen (z.B.: GR 200 qm).
Bei der Berechnung der Grundfläche ist die Regelung des § 19 Abs. 4 BauNVO
zu beachten, die der Begrenzung der Bodenversiegelung dient (vgl. hierzu
auch die sog. Bodenschutzklausel in § 1 a Abs. 1 BauGB). Dieses Ziel soll dadurch erreicht werden, dass - anders als nach der BauNVO 1977 - grundsätzlich
alle baulichen Anlagen (soweit sie nicht ohnehin schon nach Absatz 2 zu berücksichtigen sind) bei der Ermittlung der GR berücksichtigt werden (vgl. § 19 Abs. 4
Satz 1 BauNVO). Diese Anrechnungsregel wird durch die komplizierten Regelungen der Sätze 2 bis 4 in verschiedener Hinsicht modifiziert:
Nach Satz 2 darf die zulässige Grundfläche durch die Grundflächen der in Satz 1
bezeichneten Anlagen um bis zu 50 % überschritten werden, jedoch insgesamt
nur bis zu einer GRZ von 0,8 („Kappungsgrenze“; vgl. auch die Regelung für
überdachte Stellplätze und Garagen in § 21 a Abs. 3 BauNVO).
Beispiel:
Bei einer GRZ von 0,6 und einer Grundstücksgröße von 500 qm dürfen
300 qm von der jeweiligen Hauptanlage überbaut werden. Hinzu kommen
„an sich“ 150 qm für die in Abs. 4 Satz 1 bezeichneten anderen baulichen
Anlagen. Wegen der genannten „Kappungsgrenze“ dürfen aber
insgesamt höchstens 400 qm überbaut werden.
Die Baugenehmigungsbehörde kann ohne besondere Voraussetzungen Überschreitungen der 50 %-Grenze bzw. der Kappungsgrenze in geringfügigem Ausmaß zulassen. Darüber hinaus kann die Genehmigungsbehörde nach Satz 4 im
Einzelfall Überschreitungen der sich aus Satz 2 ergebenden Grenzen zulassen,
wenn diese entweder nur geringfügige Auswirkungen auf die natürlichen Funktionen des Bodens haben (Nr. 1) oder wenn die Einhaltung der Grenzen zu einer
wesentlichen Erschwerung der zweckentsprechenden Grundstücksnutzung
führen würde (Nr. 2).
Nach Satz 3 kann die Gemeinde ohne besondere Voraussetzungen im Bebauungsplan von Satz 2 abweichende Bestimmungen treffen, d.h. sie kann die 50 %Grenze oder die Kappungsgrenze herauf- oder herabsetzen oder auch Überschreitungen als Ausnahme zulassen. Die abweichenden Bestimmungen binden
auch die Baugenehmigungsbehörde bei der Zulassung von Überschreitungen im
Einzelfall (vgl. Satz 4, 1. Halbsatz).
21
6.2.
Geschossflächenzahl (GFZ) bzw. Größe der Geschossfläche;
Baumassenzahl (BMZ) bzw. Baumasse; zur Anrechnung von Aufenthaltsräumen
Durch die Festsetzung der auf den Grundstücken zulässigen Geschossfläche
(§ 16 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) kann die Gemeinde die Dimensionierung der Baukörper und damit die Bebauungsdichte im Plangebiet steuern.
Die mögliche Festsetzung einer Geschossflächenzahl (GFZ) gibt dabei an, wie
viel qm Geschossfläche je qm Grundstücksfläche zulässig sind (§ 20 Abs. 2
BauNVO). Sie wird nach den Außenmaßen der Gebäude in allen Vollgeschossen
berechnet (§ 20 Abs. 3 Satz 1 BauNVO); die Flächen von Aufenthaltsräumen in
anderen Geschossen (z.B. im ausgebauten Dachgeschoss) einschließlich der zu
ihnen gehörenden Treppenräume und einschließlich der Umfassungswände sind
grundsätzlich nicht mitzurechnen. Die Gemeinde kann im Bebauungsplan aber
vorsehen, dass Aufenthaltsräume in anderen als Vollgeschossen ganz oder teilweise (z.B. nur zu 50 %) mitgerechnet werden. Von der festgesetzten Anrechnung kann der Bebauungsplan wiederum Ausnahmen (z.B. für Wohnflächen bis
zu einer bestimmten Größe) zulassen (§ 20 Abs. 3 Satz 2 BauNVO).
Bestimmte untergeordnete bauliche Anlagen bleiben bei der Ermittlung der Geschossfläche - anders als bei der Ermittlung der Grundfläche - unberücksichtigt
(§ 20 Abs. 4 BauNVO; vgl. auch die Regelungen für Stellplätze und Garagen in
§ 21 a Abs. 4 und 5 BauNVO).
Alternativ zur Geschossflächenzahl kann die Gemeinde auch die absolute Größe
der Geschossfläche (GF) festsetzen.
Bei GFZ und GF kann die Gemeinde zugleich auch Mindestmaße festsetzen
(§ 16 Abs. 4 Satz 1 BauNVO).
In Gewerbe-, Industrie- und sonstigen Sondergebieten kann die Dimensionierung
der Baukörper auch durch Festlegung einer Baumassenzahl oder der Baumasse
erfolgen (vgl. § 17 Abs. 1 BauNVO). Die Baumassenzahl (BMZ) gibt an, wie viel
Kubikmeter Baumasse je qm Grundstücksfläche zulässig sind (§ 21 Abs. 1
BauNVO); für die Berechnung gelten die Regelungen des § 21 Abs. 2 und 3
(i.V.m. § 20 Abs. 4) BauNVO). Aufenthaltsräume in anderen Geschossen als Vollgeschossen müssen hier - anders als bei der Berechnung der GF - mitgerechnet
werden (§ 21 Abs. 2 Satz 2 BauNVO).
Alternativ kann im Bebauungsplan die Baumasse (BM) auch als absolute Zahl
festgesetzt werden.
22
7.3.
Obergrenzen für GRZ, GFZ und BMZ
Bei der Bestimmung des Maßes der baulichen Nutzung im Bebauungsplan ist die
Gemeinde grundsätzlich an die von § 17 Abs. 1 BauNVO vorgegebenen Obergrenzen für die GRZ, GFZ und BMZ (für reine und allgemeine Wohngebiete beispielsweise GRZ 0,4 und GFZ 1,2) gebunden. Die Obergrenzen gelten mittelbar
auch für die Festsetzung der entsprechenden absoluten Werte GR, GF oder BM
(vgl. hierzu näher Fickert/Fieseler, BauNVO, § 16 Rdn. 37 f., § 17 Rdn. 9). Sie
dürfen nur unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 überschritten werden,
insbesondere müssen (nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 1: besondere) städtebauliche
Gründe die Überschreitung erfordern. Ob eine Überschreitung der Obergrenzen des § 17 Abs. 1 BauNVO städtebaulich erforderlich ist, beurteilt sich
nach dem mit der jeweiligen Planung verfolgten städtebaulichen Konzept und
danach, ob eine vom städtebaulichen Standard abweichende städtebauliche Aufgabe zu lösen ist; erforderlich ist mithin eine städtebauliche Ausnahmesituation
(so - zu § 17 Abs. 3 BauNVO: BVerwG, Urteil v. 25.11.1999 - 4 CN 17.98 -, BRS
62 Nr. 26 = BauR 2000, 690 = NVwZ 2000, 813; Urteil vom 31.8.2000 - 4 CN
6.99 -, UPR 2001, 73 = ZfBR 2001, 126). „Erfordern“ im Sinne des § 17 Abs. 2
und 3 BauNVO bedeutet, dass die Überschreitung der Obergrenzen des § 17
Abs. 1 BauNVO vernünftigerweise geboten sein muss (in diese Richtung schon
BVerwG, Beschluss vom 23.1.1997 - 4 NB 7.96 -, BRS 59 Nr. 72 = BauR 1997,
442 = NVwZ 1997, 903).
Beispiele:
Belange der Stadtbildgestaltung und des Immissionsschutzes (z.B. abschirmende Wirkung eines Baukörpers) können besondere Gründe im
Sinne von § 17 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO darstellen (vgl. VGH BW, Beschluss
vom 10.12.1997 - 3 S 2023/97 -, BRS 60 Nr. 33 = BauR 1998, 977); entsprechendes gilt für die Umsetzung besonderer, qualifizierter planerischer
Lösungen bzw. städtebaulicher Ideen (vgl. BVerwG, Beschluss vom
26.1.1994 - 4 NB 42.93 -, Buchholz 406.12 § 17 BauNVO Nr. 5).
Der Zweck, in einem innerstädtischen und durch den öffentlichen Personennahverkehr gut erschlossenen Gewerbe- und Industriegebiet unter
Ergänzung und Erneuerung der vorhandenen Infrastruktur und Bebauung
für vorhandene Betriebe mit vielen Arbeitsplätzen Entwicklungsmöglichkeiten zu sichern und Ansiedlungsmöglichkeiten für neue Betriebe zu
schaffen, reich zur Begründung der städtebaulichen Erforderlichkeit im
Sinne von § 17 Abs. 3 BauNVO aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.8.2000,
a.a.O.).
7.4.
Zahl der Vollgeschosse
Auch durch die nach § 16 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässige Festsetzung der Zahl
der Vollgeschosse kann die Gemeinde auf die Dimensionierung der Baukörper
Einfluss nehmen. Die Zahl der Vollgeschosse (alternativ die Höhe baulicher Anlagen) muss bei Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung im Bebauungsplan
23
festgesetzt werden, wenn sonst öffentliche Belange, insbesondere das Orts- und
Landschaftsbild beeinträchtigt werden können (§ 16 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Die
Festsetzung kann durch Angabe eines Höchstmaßes (dem ein Mindestmaß zugeordnet werden kann) oder zwingend erfolgen (vgl. § 16 Abs. 4 BauNVO). Weitere Vorgaben (etwa Höchstgrenzen für die Zahl der Vollgeschosse in den einzelnen Baugebieten) enthält die BauNVO nicht. Hinsichtlich des Vollgeschossbegriffs verweist § 20 Abs. 1 BauNVO auf das jeweilige Landesrecht. Für
Thüringen ist dies zurzeit die Regelung des § 2 Abs. 5 ThürBO, wonach Vollgeschosse solche Geschosse sind, deren Deckenoberkante im Mittel mehr als 1,40
m über die Geländeoberfläche hinausragt und die über mindestens zwei Drittel
ihrer Grundfläche eine lichte Höhe von mindestens 2,30 m haben; eine gleich
lautende Regelung enthält für Sachsen § 2 Abs. 6 SächsBO.
Zu beachten ist, dass ein Gebäude nur einzige Zahl von Vollgeschossen aufweist,
so dass auch bei Hanglagen die Festsetzung nicht in der Weise erfolgen darf,
dass bergseitig eine geringere Zahl von Vollgeschossen festgesetzt wird als
talseitig. Regelmäßig unwirksam sind auch Festsetzungen, die vorschreiben, dass
das oberste Geschoss als Dachgeschoss angelegt werden muss (Beispiel: „I + I
DG“). Für derartige gestalterische Festsetzungen bietet die BauNVO nach
Auffassung des BVerwG keine Grundlage (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom
5.7.1991 - 4 NB 22.91 -, Buchholz 406.12 § 16 BauNVO Nr. 1 sowie Beschluss
vom 25.2.1997 - 4 NB 30.96 -, BRS 57 Nr. 51 = BauR 1997, 603 = NVwZ 1997,
896). Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat sich dieser Auffassung in seinem
(unveröffentlichten) Beschluss vom 14.11.1997 - 1 EO 975/96 - angeschlossen
und hierzu ausgeführt:
„Die Unwirksamkeit der Festsetzung über die zulässige Geschosszahl ergibt sich zudem daraus, dass sie mit der Ermächtigungsgrundlage des
§ 16 Abs. 2 BauNVO nicht in Einklang steht. § 16 Abs. 2 BauNVO enthält
eine abschließende Aufzählung von vier Gruppen von Faktoren, durch die
das Maß der baulichen Nutzung bestimmt werden kann. Einer der Faktoren ist die Zahl der Vollgeschosse nach § 16 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO. Die
genannte Bestimmung enthält dagegen weder eine Ermächtigung für die
Festsetzung, dass ein weiteres Vollgeschoss nur im Dachraum errichtet
werden darf, noch für eine Festsetzung des Inhalts, dass über einem
Vollgeschoss noch ein „ausgebautes Dachgeschoss“ erlaubt ist. Für derartige gestalterische Festlegungen besteht auch kein Bedürfnis, da diese
auf andere Weise - etwa durch die auch hier erfolgte Festsetzung einer
bestimmten Dachneigung - vorgenommen werden können (vgl. ...).“
7.5.
Höhe baulicher Anlagen
Durch die Festsetzung der Zahl der Vollgeschosse lässt sich keine genaue Begrenzung der Höhe baulicher Anlagen erreichen, da die ThürBO (wie die anderen
Landesbauordnungen) für Geschosse nur eine Mindesthöhe vorschreibt. Eine
genauere Begrenzung kann die Gemeinde durch Festsetzung der Höhe baulicher
24
Anlagen vornehmen, die durch Angabe eines Höchstmaßes (dem ein Mindestmaß zugeordnet werden kann) oder zwingend erfolgen kann (§ 16 Abs. 4
BauNVO). Für Anlagen ohne Geschosse (z.B. Schornsteine) ist diese Festsetzung die einzige Möglichkeit, durch den Bebauungsplan die Höhe zu begrenzen.
Bei Festsetzung der Höhe der baulichen Anlagen sind die erforderlichen Bezugspunkte zu bestimmen, von und bis zu denen die Höhe der baulichen Anlagen gerechnet wird (vgl. § 18 Abs. 1 BauNVO). Unterer Bezugspunkt kann etwa eine
Höhe über NN oder die im Bebauungsplan festgelegte Geländehöhe (vgl. dazu
§ 9 Abs. 2 BauGB) sein, oberer Bezugspunkt die Firsthöhe (bei Satteldächern).
8. Bauweise und überbaubare Grundstücksflächen
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB kann der Bebauungsplan weiter die Bauweise sowie die überbaubaren und die nicht überbaubaren Grundstücksflächen festsetzen.
Die Einzelheiten regeln hier die §§ 22, 23 BauNVO.
8.1.
Offene und geschlossene Bauweise; Doppelhausprobleme
Nach § 22 Abs. 1 BauNVO kann die Bebauung als offene oder geschlossene
Bauweise festgesetzt werden; Abs. 4 lässt auch die Festsetzung einer davon abweichenden Bauweise zu.
Offene Bauweise bedeutet, dass die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand errichtet werden, und zwar als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen bis
zu einer Länge von 50 m (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauNVO). Wie groß der
bei der offenen Bauweise einzuhaltende Grenzabstand sein muss, ergibt sich aus
der jeweiligen Landesbauordnung
Die Gemeinde kann im Bebauungsplan Flächen festsetzen, auf denen nur eine
oder zwei der genannten Hausformen zulässig sind (§ 22 Abs. 2 Satz 3 BauNVO).
Einzelhaus ist ein freistehendes Gebäude, Doppelhaus ein aus zwei funktionell
selbständigen Gebäuden durch Aneinanderbauen an einer Seite zu einer Einheit
zusammengefügtes Gebäude; eine Hausgruppe liegt vor, wenn mindestens drei
selbständige Gebäude aneinandergebaut werden.
Ob von einem Doppelhaus im Sinne des § 22 BauNVO nur dann gesprochen
werden kann, wenn es auf zwei (aneinander grenzenden) Grundstücken steht,
war bisher umstritten (vgl. hierzu näher Fickert/Fieseler, BauNVO, § 22 Rdn. 6.3 6.3.2 m.w.N.; vgl. dort auch Rdn. 6.4 - zum Begriff der Hausgruppe), dürfte aber
auf der Grundlage der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung zu bejahen
sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2000 - 4 C 12.98 -, BVerwGE 110, 355 = BRS
63 Nr. 185 = BauR 2000, 1168 = NVwZ 2000, 1055; dem folgend etwa BayVGH,
Beschluss vom 21.7.2000 – 26 CS 00.1348 -, BRS 63 Nr. 96 = BauR 2001 214 =
25
NVwZ-RR 2001, 228). In dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht
den bauplanungsrechtlichen Begriff des Doppelhauses weitgehend geklärt. Die
der Entscheidung vorangestellten amtlichen Leitsätze lauten:
„Ein Doppelhaus im Sinne des § 22 Abs. 2 BauNVO ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten
Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden.
Das Erfordernis der baulichen Einheit ist nur erfüllt, wenn die beiden Gebäude in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander
gebaut werden. Insoweit ist die planerische Festsetzung von Doppelhäusern in der offenen Bauweise nachbarschützend.
Kein Doppelhaus entsteht, wenn ein Gebäude gegen das andere so stark
versetzt wird, dass es den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt
und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst.“
Im Einzelfall kann allerdings problematisch sein, wann die beiden „Haushälften“
nach Maßgabe der in der zitierten Entscheidung genannten Kriterien noch als
„Doppelhaus“ angesehen werden können (vgl. dazu etwa BayVGH, Beschluss
vom 10.11.2000 - 26 CS 99.2102 -, BRS 63 Nr. 97 = BauR 2001, 382).
In der geschlossenen Bauweise werden die Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand gebaut, wenn nicht die vorhandene Bebauung eine Abweichung erfordert
(§ 22 Abs. 3 BauNVO). Dieser planungsrechtlichen Vorgabe tragen die Landesbauordnungen durch Bestimmungen Rechnung, wonach in diesen Fällen eine
Abstandsfläche nicht erforderlich ist (vgl. etwa § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr.1
ThürBO/SächsBO).
Abweichungen von der geschlossenen Bauweise sind zulässig, sofern die vorhandene Bebauung es erfordert (vgl. § 22 Abs. 3, 2. HS BauNVO). Nach landesrechtlichen Vorschriften - z.B. § 6 Abs. 1 Satz 4 ThürBO/SächsBO - können Abweichungen wegen eines auf dem Nachbargrundstück vorhandenen Gebäudes
nur gestattet oder verlangt werden, soweit hierfür eine planungsrechtliche
Rechtfertigung besteht. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Abweichung
nach § 22 Abs. 3, 2. HS BauNVO oder im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB wegen des nachbarschützenden Rücksichtnahmegebots erforderlich ist (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 12.1.1995 - 4 B 197.94 -, BRS 57 Nr. 131 = BauR 1995,
365 = NVwZ-RR 1995, 310). Einer planungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf
auch die nach § 6 Abs. 1 Satz 3 ThürBO/SächsBO mögliche Abweichung von der
offenen Bauweise.
Wenn die Gemeinde eine abweichende Bauweise zulassen will, muss diese im
Bebauungsplan (durch zeichnerische oder textliche Festsetzungen) näher umschrieben werden. Dabei ist die Gemeinde weitgehend frei; sie kann insbeson-
26
dere auch festsetzen, inwieweit an die vorderen, rückwärtigen und seitlichen
Grundstücksgrenzen herangebaut werden darf oder muss (§ 22 Abs. 4 Satz 2
BauNVO). Denkbar ist z.B. die Festsetzung, dass an eine der seitlichen Grenzen
angebaut werden muss (sog. halb offene Bauweise). Die Festsetzung einer abweichenden Bauweise kann auch durch Baulinien oder -grenzen erfolgen (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 29.12.1995 - 4 NB 40.95 -, BRS 58 Nr. 36 = NVwZ-RR
1996, 629).
8.2.
überbaubare Grundstücksflächen
Überbaubare Grundstücksflächen sind jeweils die Grundstücksteile, auf denen
bauliche Anlagen errichtet werden können. Sie können durch die Festsetzung von
Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen bestimmt werden(§ 23 Abs. 1
Satz 1 BauNVO).
Im Falle der Festsetzung einer Baulinie muss grundsätzlich auf dieser Linie gebaut werden (§ 23 Abs. 2 Satz 1 BauNVO). Durch Festsetzungen vorderer, hinterer und seitlicher Baulinien kann im Bebauungsplan somit der Grundriss von Gebäuden zwingend festgesetzt werden.
Eine festgesetzte Baugrenze darf grundsätzlich nicht überschritten werden (§ 23
Abs. 3 Satz 1 BauNVO); dies gilt entgegen dem zu engen bzw. missverständlichen Wortlaut der Vorschrift nicht nur für Gebäude und Gebäudeteile, sondern für
alle baulichen Anlagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.6.2001 - 4 C 1.01 -, BRS 64
Nr. 79 = BauR 2001, 1698 = NVwZ 2002, 90).
Beispiel:
Eine Werbetafel ist außerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen grundsätzlich nicht zulässig (vgl. BVerwG, a. a. O.)
Ein Zurücktreten hinter die Baugrenze ist dagegen stets zulässig.
Die Festsetzung einer Bebauungstiefe besagt, bis zu welcher Tiefe (gerechnet
von der tatsächlichen Straßengrenze ab) gebaut werden kann (vgl. § 23 Abs. 4
BauNVO). Bei der Bebauungstiefe handelt es sich um eine hintere Baugrenze
(vgl. den Verweis in § 23 Abs. 4 Satz 1 auf § 23 Abs. 3 BauNVO).
Auf den nicht überbaubaren Flächen können Nebenanlagen im Sinne von § 14
BauNVO und bauliche Anlagen, die nach Landesrecht in den Abstandsflächen
zulässig sind oder zugelassen werden können, errichtet werden. Die Gemeinde
kann hierzu im Bebauungsplan abweichende Regelungen treffen (vgl. § 23 Abs. 5
BauNVO).
27
Eine besondere Festsetzung der nicht überbaubaren Grundstücksflächen und der
Stellung der baulichen Anlagen (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB) sieht die BauNVO
nicht vor.
9. § 15 BauNVO
Die in einzelnen Baugebieten allgemein oder ausnahmsweise zulässigen
baulichen oder sonstigen Anlagen sind nach § 15 Abs. 1 BauNVO im Einzelfall
unzulässig, wenn sie
nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des
Baugebiets widersprechen oder
von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der
Eigenart des Baugebiets selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar
sind oder
wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
§ 15 BauNVO ist ein planungsrechtliches Korrektur- und Steuerungsinstrument.
Zu beachten ist freilich, dass die Behörde bei der Anwendung von § 15 BauNVO
keine eigene Entscheidung trifft. Nur soweit der Bebauungsplan selbst noch keine
abschließende planerische Entscheidung enthält, ermöglicht § 15 BauNVO eine
„Nachsteuerung“ (BVerwG, Beschl. v. 6.3.1989 – 4 NB 8.89 -, NVwZ 1989, 960).
9.1. Eigenart des Baugebiets
Die Eigenart eines Gebiets ergibt sich aus Abs. 1 der jeweiligen
Baugebietsvorschrift. Sie wird mitbestimmt durch sonstige Festsetzungen des
Bebauungsplans, etwa im Wege der Feinsteuerung nach § 1 Abs. 4 ff BauNVO,
im übrigen auch durch Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung und
die überbaubaren Grundstückflächen und die im Bebauungsplan festgesetzten
Verkehrsflächen und deren voraussichtliche Aufnahmefähigkeit für das im Gebiet
ausgelöste Verkehrsaufkommen (BVerwG, Urt. v. 3.2.1984 – 4 C 17.82 –
BVerwGE 68, 369 (377), st. Rspr.).
Ein „Widerspruch“ zur Eigenart des Gebiets liegt nicht schon bei jeder – auch nur
geringfügigen – Abweichung von der Eigenart des Gebiets vor. Von Bedeutung
sind nur solche Abweichungen, die sich im Verhältnis zu den nach dem Plan
zulässigen, die Eigenart des Baugebiets bestimmten Vorhaben als Missgriff
derstellen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn durch die Zulassung eines
Vorhaben eine von mehreren allgemein zulässigen oder eine ausnahmsweise
zulässige Nutzungsart so zu dominieren droht, dass das Gebiet deshalb in einen
anderen Gebietstyp „umkippt“. Um ein solches „Umkippen“ zu verhindern und die
Eigenart des Gebiets zu wahren, ist es erforderlich und zugleich ausreichend,
dass im jeweiligen Gebiet eine der zulässigen Hauptnutzungsarten bzw eine
zugelassene ausnahmsweise Nutzung nicht nach Anzahl und Umfang
28
beherrschend und in diesem Sinne übergewichtig in Erscheinung tritt (BVerwG,
Urt. v. 4.5.1988 – 4 C 34.86 -, BVerwGE 79, 309 (312f.)).
9.2. Verursachung von oder Ausgesetztsein gegenüber unzumutbare
Belästungen und Störungen
Belästigungen sind – ohne das es auf die Begriffsbildung in § 3 BImSchG
ankommt – Beeinträchtigungen des subjektiven Wohlbefindens. Störungen sind
die aufgrund der von einer Anlage ausgehenden Einwirkungen aller Art resultieren
Nachteile. Räumlicher Bezugspunkt für die Belästigungen und Störungen ist das
konkrete Baugebiet selbst und dessen Umgebung. Die „Umgebung“ reicht hierbei
so weit, als die unmittelbaren Auswirkungen einer Anlage reichen, welche die
Nutzung anderer Grundstücke in bebauungsrechtlicher Hinsicht beeinträchtigen
können. Auch Auswirkungen im Hinblick auf die dem einer baulichen Anlage
zuzuordneten Verkehrslärm kommen insofern in Betracht.
Belästungen und Störungen führen nur dann zur Unzulässigkeit, wenn sie
unzumutbar sind. Was zumutbar ist, hängt vom jeweiligen Gebietstyp ab. In
Bereichen, in denen Gebiete unterschiedlicher Qualität und unterschiedlicher
Schutzwürdigkeit zusammentreffen (sog. „Gemengelagen“) ist – im Sinne der
Bildung einer Art von Mittelwert – davon auszugehen, dass wechselseitig eine
gesteigerte Pflicht zur Rücksichtnahme besteht. Feste Grenzwerte bestehen
insofern für die jeweiligen Immissionsarten nicht. Da sich der Umfang des i.R.d.
§ 15 BauNVO zumutbaren sich freilich regelmässig mit den sich aus dem
Immissionsschutzrecht ergebenden Anforderungen deckt, kann insofern auch
regelmässig auf die einschlägigen technischen Regelwerke und die dort
genannten Grenzwerte zurückgegriffen werden (vg. nur BVerwG, Beschl. v.
3.5.1996 – 4 B 50.96 -, NVwZ 1996, 1001 (1002), für Lärm).
Hierbei ist zu beachten, welche Zielrichtung und welcher Verbindlichkeitsgrad
entsprechenden Regelwerken zukommt: Zielt das technische Regelwerke aus
immissionschutzrechtlicher Sicht auf ein absolutes Mindestschutzniveau i.S.d.
maximal hinzunehmenden Zumutbarkeitsschwellen zielen, handelt es sich um
Regelgrenzwerte, die beim Vorliegen von Besonderheiten auf seiten der
immissionsbetroffenen Nutzung im Einzelfall nach unen korrigiert werden können
und müssen; regelt die technische Norm hingegen die Bestimmung regelmässig
hinzunehmender Immissionspegel, die in jedem Fall hinnehmbar sind, ist eine
entsprechende Einzelfallbetrachtung entbehrlich (für den ersten Fall: 18.
BImSchV („SportanlagenlärmschutzVO“; für den letzten Fall: TA Lärm und TA
Luft). Technische Regelwerke ohne normativ klaren Verbindlichkeitscharakter
können allenfalls als Anhalt dienen (bsp.: die sog. Geruchsimmissionsrichtlinie
(GIRL) bzw. entsprechende VDI-Richtlinien).
29
10. Nachbarschutz
10.1. Allgemeines
Um den Umfang des Nachbarschutz im Rahmen der jeweiligen Norm zu beurteilen, ist folgende systematische Unterscheidung nützlich, die auf einen Vorschlag
von Ortloff (in Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht II. 4. Aufl. 1998,
S. 221 ff.) zurückgeht und die mittlerweile auch Eingang in die Rechtsprechung
gefunden hat (vgl. etwa ThürOVG, Beschluss vom 25.6.1999 - 1 EO 197/99 -,
ThürVGRspr. 1999, 197 = ThürVBl. 1999, 257 = LKV 2000, 119 - dort zum Abstandsflächenrecht):
Generell nachbarschützende Normen sind solche, bei denen der nachbarliche
Interessenausgleich gleichsam schon im Gesetz vorweggenommen worden und
direkt in die gesetzgeberische Wertung für die Festlegung der in der Norm enthaltenen Anforderungen an das Bauen eingegangen ist. Diesen Vorschriften
kommt ein nachbarschützender Charakter zu, ohne dass noch ein Blick auf die
konkreten Verhältnisse des Nachbargrundstücks erforderlich wäre. Anders formuliert: Der nachbarliche Abwehranspruch gegen eine Verletzung dieser Normen besteht unabhängig von den tatsächlichen Auswirkungen des Vorhabens im Einzelfall. Beispiele für solche Regelungen sind die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenregelungen oder die Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung.
Partiell nachbarschützende Normen sind solche, die zum Ausdruck bringen,
dass sie zwar nicht in voller Reichweite (generell) nachbarschützend sind, dass
sie aber im konkreten Einzelfall einen nachbarlichen Interessenausgleich ermöglichen oder verlangen. Durch dieses Erfordernis ist das Gebot der Rücksichtnahme in der jeweiligen Vorschrift verankert und macht eine konkrete Einzelfallbeurteilung erforderlich. Nur dann, wenn die Verletzung der jeweiligen Norm im
Einzelfall zugleich eine besonders schützenswerte Rechtsposition eines Nachbarn verletzt und dies zu unzumutbaren Beeinträchtigungen führt, steht dem
Nachbarn ein Abwehranspruch zu. Beispiele für solche Regelungen sind etwa
§ 34 Abs. 1 BauGB oder § 15 Abs. 1 BauNVO.
9.2.
Nachbarschutz im Bebauungsplangebiet
10.2.1 Festsetzungen des Bebauungsplans
Hier ist nach den einzelnen Festsetzungen im Bebauungsplan zu differenzieren:
Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung sind nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG kraft Bundesrechts für alle Eigentümer im Plangebiet generell drittschützend. Diese können sich gegen jede gebietsfremde Nutzung im
30
Plangebiet zur Wehr setzen, ohne dass es darauf ankommt, ob sie hierdurch (unzumutbar) beeinträchtigt werden. Dieser Anspruch auf Bewahrung der festgesetzten Gebietsart beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses: Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er
deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen
(so BVerwG, Urteil vom 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151 = BRS 55
Nr. 110 = BauR 1994, 223 = NJW 1994, 1546).
Beispiel:
Der Eigentümer eines Grundstücks im durch Bebauungsplan festgesetzten Gewerbegebiet hat einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung
eines im Sinne des § 8 Abs. 1 BauNVO erheblich belästigenden und daher nur in einem Industriegebiet nach § 9 BauNVO allgemein zulässigen
Gewerbebetriebs (im konkreten Fall einer Bauschuttrecyclinganlage).
Darauf, ob die von dem Gewerbebetrieb ausgehenden Belästigungen unzumutbar im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO oder erheblich im
Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind, kommt es für den Schutz des
Gebiets gegen „schleichende Umwandlung“ nicht an (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2.2.2000 - 4 B 87.99 -, BauR 2000, 1019 = NVwZ 2000,
679).
Auch die Beschränkung der höchstzulässigen Zahl der Wohnungen in Wohngebäuden (durch eine sog. Zwei-Wohnungs-Klausel) nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB
vermittelt Drittschutz, wenn sie den Gebietscharakter im Sinne einer Bebauung
vorwiegend mit Familienheimen bestimmt und sich damit als Ausdruck der Art der
Nutzung erweist (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 26.7.1996 - 1 EO 662/95 -,
BRS 58 Nr. 52 = NVwZ-RR 1997, 596 = ThürVGRspr. 1997, 29 = ThürVBl. 1997,
20).
Noch nicht abschließend geklärt ist die Reichweite des Anspruchs auf Wahrung der Gebietsart, also die Frage, ob alle Eigentümer im jeweiligen Baugebiet
sich gegen jede gebietsfremde Nutzung auf einem anderen Grundstück unabhängig von der Entfernung zu ihrem Grundstück zur Wehr setzen können. Für
den Gebietsartschutz im unbeplanten Innenbereich geht das BVerwG davon aus,
dass dieser durch die wechselseitige Prägung der benachbarten Grundstücke begrenzt ist und nicht notwendig alle Grundstücke in der Umgebung erfassen muss,
die zu derselben Baugebietskategorie gehören (vgl. BVerwG, Beschluss vom
20.8.1998 - 4 B 79.98 -, BRS 60 Nr. 176 = BauR 1999, 26 = NVwZ-RR 1999,
105). Diese Beschränkung des Nachbarschutzes auf die „nähere Umgebung“ im
Sinne des § 34 BauGB dürfte sich auf den beplanten Bereich übertragen lassen
(dafür z.B. Mampel, BauR 1998, 697, 707). Einen generell wirkenden gebietsübergreifenden Nachbarschutz dürfte es auch im Geltungsbereich eines Bebauungsplans nicht geben.
Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung werden im Regelfall als
grundstücksbezogen und damit nicht nachbarschützend angesehen (vgl. etwa
31
BVerwG, Beschluss vom 23.6.1995 - 4 B 52.95 -, BRS 57 Nr. 209 = BauR 1995,
823 = NVwZ 1996, 170; kritisch dazu Mampel, NJW 1999, 975, 979). Etwas anderes gilt dann, wenn sich dem Bebauungsplan und seiner Begründung selbst
entnehmen lässt, dass den entsprechenden Festsetzungen eine Schutzwirkung
für den Nachbarn zukommen soll.
Für Festsetzungen über die Bauweise gilt: Die Festsetzung der geschlossenen
Bauweise hat grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung; der Festsetzung
der offenen Bauweise gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO wird dagegen jedenfalls für die jeweils angrenzenden Nachbarn überwiegend drittschützende Wirkung beigemessen (so für die Doppelhausfestsetzung in der offenen Bauweise
das bereits zitierte Urteil des BVerwG vom 24.2.2000 - 4 C 12.98 -, BVerwGE
110, 355 = NVwZ 2000, 1055).
Für die Bestimmung der überbaubaren Grundstücksflächen durch die Festsetzung von Baulinien und Baugrenzen ergibt sich aus § 23 BauNVO kein Drittschutz kraft Bundesrechts, da das „Regelungsprogramm“ der Norm nur das einzelne Baugrundstück betrifft und keinen Bezug zu Flächen außerhalb des Grundstücks aufweist (so Mampel, BauR 1998, 697, 711; aus der Rechtsprechung vgl.
etwa BVerwG, Beschluss vom 10.10.1995 - 4 B 215.95 -, BRS 57 Nr. 219 = BauR
1996, 82 = NVwZ 1996, 888). Eine nachbarschützende Wirkung kann diesen
Festsetzungen nur zukommen, wenn sich eine entsprechende Schutzrichtung
dem jeweiligen Bebauungsplan und seiner Begründung entnehmen lässt. In der
Rechtsprechung wird dies vielfach für die Festsetzung seitlicher Baulinien und
Baugrenzen zugunsten der jeweils angrenzenden Nachbarn angenommen (so
etwa VGH BW, Urteil vom 11.2.1993 - 5 S 2313/92 -, BRS 55 Nr. 71).
9.1.2 Unzulässigkeit im Einzelfall nach § 15 Abs. 1 BauNVO; Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen (§ 31 BauGB)
Bei § 15 Abs. 1 BauNVO handelt es sich nach der (neueren) Rechtsprechung
des BVerwG um eine Norm, in der das Rücksichtnahmegebot verankert ist, und
die daher partiell nachbarschützend ist. Das BVerwG hat hierzu in seinem
Grundsatzurteil vom 5.8.1983 - 4 C 96.79 - (BVerwGE 67, 334 = BRS 40 Nr. 48 =
BauR 1983, 543 = NJW 1984, 138) ausgeführt:
„§ 15 Abs. 1 BauNVO stellt sich für den Fall der Anwendung von Bebauungsplänen als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebotes
dar (...). Die Lage oder der Umfang eines Gebäudes, besonders aber die
von einem Gebäude ausgehenden Belästigungen oder Störungen können
sich nämlich auch auf das nachbarliche Verhältnis der Planbetroffenen
auswirken; deswegen ist nach dieser Vorschrift insoweit Rücksicht auf
nachbarliche Belange zu nehmen. Allerdings hat der Senat bisher § 15
Abs. 1 BauNVO als eine nicht nachbarschützende Vorschrift angesehen,
weil ein bestimmter und abgegrenzter Kreis Betroffener nicht hinreichend
deutlich bezeichnet sei (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1973 - BVerwG 4 C
71.71 - DVBl. 1974, 358 = DÖV 1974, 381, in BVerwGE 44, 244 nicht ab-
32
gedruckt). Er modifiziert nunmehr seine Ansicht wie folgt: Stellt sich § 15
Abs. 1 BauNVO (auch) als eine - zunächst objektiv-rechtliche - Ausprägung des Rücksichtnahmegebotes dar, so müssen auch insoweit die Regeln gelten, die der Senat für den in besonderen Fällen anzuerkennenden
Drittschutz des Rücksichtnahmegebotes aufgestellt hat (...). Dem in § 15
Abs. 1 BauNVO verankerten Gebot der Rücksichtnahme kommt danach
eine drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist; das gilt für diejenigen
A u s n a h m e f ä l l e , in denen - erstens - die tatsächlichen Umstände
handgreiflich ergeben, auf wen Rücksicht zu nehmen ist, und - zweitens eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des Betroffenen anzuerkennen ist (vgl. Urteil des Senats vom 25. Februar 1977 - BVerwG 4 C 22.75
- BVerwGE 52, 122 (130/131)). Die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die
Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was
beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, sind dann gegeneinander abzuwägen. Ein solcher Drittschutz des Rücksichtnahmegebotes wird nur selten eintreten, wo die Baugenehmigung im Einklang mit
den Festsetzungen des Bebauungsplanes erteilt wird. Er wird aber dort
eher zum Zuge kommen, wo die Baugenehmigung von den Planfestsetzungen im Wege der Ausnahmeerteilung oder sogar unter Verstoß gegen
sie abweicht.“
Bei der Erteilung von Ausnahmen (§ 31 Abs. 1 BauGB) oder Befreiungen (§ 31
Abs. 2 BauGB) von nachbarschützenden Festsetzungen in Bebauungsplänen
können die Nachbarn beanspruchen, dass die Abweichung von der jeweiligen
Festsetzung fehlerfrei erfolgt (vgl. etwa VGH BW, Urteil vom 18.1.1995 - 3 S
3153/94 -, BRS 57 Nr. 215).
Für die Erteilung von Befreiungen (§ 31 Abs. 2 BauGB) von nicht nachbarschützenden Festsetzungen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das Tatbestandsmerkmal der erforderlichen Würdigung der nachbarlichen Belange als
Ausdruck des Rücksichtnahmegebots partiellen Nachbarschutz vermittelt (vgl.
etwa BVerwG, Urteil vom 19.6.1986 - 4 C 8.84 -, BRS 46 Nr. 173 = BauR 1987,
70 = NVwZ 1987, 409).
Gegen eine (ohne Erteilung einer Befreiung) unter Verstoß gegen nicht nachbarschützende Festsetzungen eines Bebauungsplans kann nach der Rechtsprechung des BVerwG Nachbarschutz in entsprechender Anwendung des § 15
Abs. 1 BauNVO unter Berücksichtigung der Interessenbewertung des § 31 Abs. 2
BauGB gegeben sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 6.10.1989 - 4 C 14.87 -, BVerwGE
82, 343 = BRS 49 Nr. 188 = BauR 1989, 710 = NJW 1990, 1192).
Demgegenüber erkennt das BVerwG für die Erteilung von Ausnahmen (§ 31
Abs. 1 BauGB) von nicht nachbarschützenden Festsetzung (bisher) einen
entsprechenden partiellen Nachbarschutz nicht an, selbst wenn die Genehmigungsbehörde derartige rechtswidrige Ausnahmen bereits wiederholt erteilt und
dadurch das Plangebiet verändert hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1982 - 4 C
49.79 -, BRS 39 Nr. 79 = NJW 1983, 1574).
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9.1.1 Nachbarschutz im unbeplanten Innenbereich und im Außenbereich
Im unbeplanten Innenbereich besteht nach der neueren Rechtsprechung des
BVerwG dann derselbe Nachbarschutz wie im Plangebiet, wenn die Eigenart der
näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO entspricht und demnach
§ 34 Abs. 2 BauGB zur Anwendung kommt. § 34 Abs. 2 BauGB ist danach also
generell nachbarschützend (vgl. das bereits zitierte Grundsatzurteil des
BVerwG vom 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151 = NJW 1994, 1546).
Im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 BauGB sieht das BVerwG das Rücksichtnahmegebot im Tatbestandsmerkmal des „Einfügens“ verankert, das ausnahmsweise (s. dazu oben) drittschützende Wirkung hat. § 34 Abs. 1 BauGB ist
also partiell nachbarschützend (vgl. schon BVerwG, Urteil vom 13.3.1981 - 4 C
1.78 -, BRS 38 Nr. 186 = BauR 1981, 354).
Im Außenbereich (§ 35 BauGB) kommt Nachbarschutz nur nach Maßgabe des
in § 35 Abs. 3 BauGB verankerten Rücksichtnahmegebots in Betracht (grundlegend BVerwG, Urteil vom 25.2.1977 - IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122 = BRS 32
Nr. 155 = NJW 1978, 62). § 35 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB sind demnach nur
partiell nachbarschützend. Der Inhaber einer nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Nutzung kann allerdings von anderen Vorhaben in seiner Umgebung eine
besondere Rücksichtnahme erwarten. Es gibt jedoch auch für diesen keinen allgemeinen Schutzanspruch auf Bewahrung des Außenbereichs (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 3.4.1995 - 4 B 47.95 -, BRS 57 Nr. 224).