Musica ricercata

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Musica ricercata
Dienstag, 21. Juli, 20 Uhr
Helmut List Halle
Musica ricercata
Albert Lavignac (1846–1916)
Le grand galop
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Bagatelle, op. 119/3
À l’Allemande
aus: Andante con Variazioni für Mandoline und Klavier,
WoO 44B
Bagatelle, op. 119/10
Allegramente
Igor Strawinski (1882–1971)
Aus: Drei leichte Stücke für Klavier zu vier Händen
Marche
Valse
Polka
aus: Fünf leichte Stücke für Klavier zu vier Händen
Balalaika
Española
Galop
Sergej Prokofjew (1891–1953)
aus: Sonate in C für Violoncello und Klavier, op. 119
2. Satz: Moderato
aus: Sarkasmen, op. 17
Nr. 2, 1, 4 und 5
Valérie Aimard (*1969)
Revolte in Carnegie Hall
György Kurtág (*1926)
aus: Játékok („Spiele“)
Träge – nebenbei
Das Häschen und der Fuchs (von der 6-jährigen Krisztina
Takàcs komponiert)
Schläge (3x3 – 3 Töne, 3 Rhythmen)
Hommage à Tschaikowski
Stummspiel (Zank 2)
György Ligeti (1923–2006)
aus: Musica Ricercata
Nr. 3 Allegro con spirito
Nr. 4 Tempo di valse (poco vivace – „à l’orgue de Barbarie“)
Nr. 6 Allegro molto capriccioso
Nr. 10 Vivace. Capriccioso
Nr. 1 Sostenuto – Misurato – Prestissimo
Witold Lutosławski (1913–1994)
Sacher Variation
Béla Bartók (1881–1945)
aus: 3 Burlesken, op. 8c
Nr. 3 Molto vivo capriccioso
Nr. 2 Etwas angeheitert: Allegretto
Improvisation
Pierre-Laurent Aimard, Klavier
Tamara Stefanovich, Klavier
Valérie Aimard, Pantomime
Konzertdauer:
ca. 70 Minuten ohne Pause
Radio: Mittwoch, 19. August, 19.30 Uhr, Ö1
Musica ricercata
„Konzert-Fantasie in Musik und Pantomime
mit dem Lachen von Beethoven, Bartók,
Kurtág, Ligeti, Lutosławski, Prokofjew und
Strawinski“ – so hat Pierre-Laurent Aimard
den heutigen Abend überschrieben. Man
hört also gewissermaßen ständig einen dieser Komponisten im Hintergrund lachen,
während vorne auf der Bühne alles andere
als „nur“ musiziert wird. Die Töne verlängern
sich in pantomimische Aktion hinein. Dazu
hat Aimard ein extrem witziges Programm
aus kleinen Fetzen klassischer Musik und
großen Werken der klassischen Moderne
zusammengestellt, gewürzt mit schnellen
­
Schnitten hinein in die zeitgenössische
­Musik.
Zur Geschichte
Musik, die lacht
Mit einem Schmunzeln auf den Lippen berichtete Pierre-Laurent Aimard im „styriarte storytelling“ von der Idee zum
heutigen Programm. Tamara Stefanovich, Valérie Aimard
und er hätten sich bereitwillig auf das lustige styriarte-Motto dieses Jahres eingelassen: „Wir versuchen, Lachen und
Musik zu kombinieren. Da gibt es Musik, die lacht – von Beet­
hoven mit seinen Witzen, Bartók mit seinen Burlesken, Prokofjew mit seinen tragischen Dimensionen und Sarkasmen
etc. Wir versuchen, mit dieser Musik zu lachen, wenn ich das
so sagen darf. Daneben gibt es szenische Situationen, die wir
präsentieren, Musik und Pantomime. Meine Schwester Valérie,
die styriarte-Hörer schon als Cellistin kennen, macht auch
Pantomime. So wird das Publikum, das uns drei als Musiker
schon kennt, einen anderen Aspekt unseres musikalischen
Lebens entdecken.“
Lavignacs Galopp
Als der Pariser Verleger Henry Lemoine um 1860 den „Galopp-Marsch“ von Albert Lavignac drucken wollte, sah er sich
vor eine besondere Herausforderung gestellt: Er hatte die
Noten so in einem Notenheft unterzubringen, dass vier Pianisten die Musik für ihre acht Hände gleichzeitig lesen konnten. Es handelt sich nämlich um ein Werk „à huit mains sur
un seul piano“ („zu acht Händen auf einem einzigen Klavier“).
Schon auf dem Titel der Erstausgabe freilich kündigte der
Verleger die Alternativen an: zu sechs Händen, zu vier Händen,
zu zwei Händen, zu zwei Händen leicht, zu vier Händen leicht,
zu acht Händen leicht und zu acht Händen auf zwei Klavieren,
schließlich auch für Orchester und für Militärmusik. Zwölf
Ausgaben für ein und dasselbe Stück Musik! Der Schöpfer
dieses köstlichen Marsches war Harmonie-Professor am Pariser Konservatorium und ein fleißiger Pädagoge. Er veröffentlichte die jeweils ersten Standardwerke zum Thema „Notendiktat“ und Pedalgebrauch auf dem Klavier. Pädagogisch geprägt
sind auch seine Klaviersonatinen, während anderes aus seiner
Feder Genres der Salonmusik bedient (Berceuse, Nocturne etc.).
Beethovens Kleinigkeiten
Witze müssen kurz sein, das wusste auch Ludwig van Beethoven. Der Rheinländer in Wien konnte witzig sein und sich
dabei kurz fassen – zwei Eigenschaften, die man dem grimmigen Schöpfer von „Schicksalssymphonien“ und pathetischen
Klaviersonaten kaum zutraut. Just in der Zeit der riesigen
„Missa solemnis“ hat er sich ein Vergnügen daraus gemacht,
Kürzest-Stücke für Klavier zu einem Band so genannter „Bagatellen“ zusammenzustellen. So heißen diese Stücke freilich
nur, weil sie als Ganzes zuerst in Paris gedruckt wurden („Nouvelles Bagatelles ou Collection des Morceaux faciles et agréables“). In Wien waren die Nummern 7 bis 11 bereits unter dem
Namen „Kleinigkeiten“ erschienen, und zwar in der „Wiener
Piano-Forte-Schule von Frd. Starke, Kapellmeister“. Der erfahrene Pädagoge bemerkte dazu: „Dieser dem Herausgeber von
dem großen Tonsetzer freundschaftlich mitgetheilte Beytrag
führt zwar die Ueberschrift ‚Kleinigkeiten‘; der Kundige wird
aber bald wahrnehmen, daß nicht nur der eigenthümliche
Genius des berühmten Meisters sich in jedem Satze glänzend
offenbart, sondern daß auch diese von Beethoven mit so eigener Bescheidenheit ‚Kleinigkeiten‘ genannten Tonstücke
für einen Spieler ebenso lehrreich sind, als sie das vollkommenste Eindringen in den Geist der Composition erfordern.“
Die Bagatelle Opus 119 Nr. 3 ist ein köstlicher „Deutscher
Tanz“, also ein schneller Walzer. Elegant schwingt sich der
Pianist bis zum viergestrichenen D in die Höhe. Nichts kann
diesen schlanken Tänzer aus seiner perfekten Haltung bringen, bis ein Trampel die Tanzfläche betritt. Elegant und Grobian lösen einander ab, bis der Satz in einem letzten Schlenker in die Höhe ausklingt.
Kurz sind sie wahrhaft, diese komponierten „Kleinigkeiten“,
etwa die Nr. 10, die ganze 20 Zweivierteltakte im schnellen
Tempo umfasst – ein Zwischensatz, nicht mehr. Ein weiteres
Kuriosum aus Beethovens Kammermusik sind die Variationen
in D-Dur für Mandoline und Cembalo, die er 1796 in Prag für
die schöne Komtesse Josephine Clary und sich komponiert
hat. Die spätere Gräfin Clam-Gallas war eine fähige Sopranistin und eine ausgezeichnete Mandolinistin. Ihr widmete
Beethoven ein Adagio, eine Sonate und die besagten Variationen, die mit einem marschartigen Thema anheben und am
Ende in einem flinken Finale ausklingen. Pierre-Laurent Aimard
beschränkt sich auf Anfang und Schluss. Zum ersten Mal
gedruckt wurde dieses Stück übrigens 1940 im „Sudentendeutschen Musikarchiv“.
Strawinskis leichte Stücke
Igor Strawinskis Kinder Théodore und Ljudmila (geboren
1907 und 1908) verlebten eine glückliche Kindheit am Genfer
See. Natürlich lernten sie das Klavierspielen, und als sie so
weit waren, mit dem Vater vierhändig zu spielen, schrieb er
zwei Zyklen von leichten Stücken für sie: erst drei Stücke „mit
leichtem Secondopart“ (1914/15), dann fünf Stücke „mit leichtem Primopart“. Der Vater übernahm den jeweils schwereren
Part, auch in der Uraufführung zusammen mit dem spanischen
Pianisten José Iturbi 1919 in Lausanne. 1922 hat der Komponist diese Stücke sogar zweihändig auf dem Pianola der Firma
Pleyel eingespielt. Wenig später wurden daraus die beiden
Suiten für Orchester.
Im ersten Zyklus hat Strawinski jeden der drei Sätze einem
anderen Kollegen gewidmet: Den Marsch seinem italienischen
Freund und Biographen Alfredo Casella, den Walzer seinem
Pariser Mitstreiter Erik Satie und den Galopp dem legendären
Impresario der „Ballets russes“, Sergej Diaghilew. Mit jedem
der Stücke verband Strawinski ein ironisches Bild, das er
freilich nur für den Galopp beschrieben hat. Hier stellte er
sich vor, wie Diaghilew als Zirkusdirektor seine Tänzerinnen
bzw. Kunstreiterinnen mit der Peitsche dressierte.
Im zweiten Zyklus ließ er sich von folkloristischen Quellen
inspirieren wie einer neapolitanischen Tarantella oder einer
russischen Balalaika. Auf diesen Satz folgt in Aimards Auswahl die „Española“, eine Huldigung an die spanische Folklore, und zum Schluss der „Galopp“. Hier erinnerte sich Strawinski an seine Jugendjahre in St. Petersburg, als man zum
Ausklang vergnüglicher Abende in den dortigen Lokalen regelmäßig die Musik Jacques Offenbachs als „Rausschmeißer“
spielte – vermutlich verbunden mit reichlich Wodka. Die
Orchesterfassung dieses Satzes versetzte Maurice Ravel in
einen Taumel der Begeisterung: Er wollte diesen Galopp immer
wieder und immer schneller hören!
Prokofjews Sarkasmen
So leicht wie seinem älteren Landsmann Strawinski ist Sergej
Prokofjew das Leben und die Kunst nicht eingegangen. Nach
den glänzenden Jahren der internationalen Erfolge in Paris
und New York, nach der Heirat im Bayerischen Ettal entschloss
er sich 1936, in die Sowjetunion zurückzukehren, ohne auch
nur zu ahnen, in welches Klima der Verfolgung und Unterdrückung er sich begeben würde. Die UdSSR unter Stalin
brachte selbst die geschätzten Repräsentanten des „sowjetischen Realismus“ an ihre Grenzen. Prokofjew suchte sich
seine Nischen in Form von Musik für Kinder und leicht gän-
gigen Opern. Dabei musste sich der Schöpfer von „Peter und
der Wolf“ und „Die Liebe zu den drei Orangen“ von den Kindern,
die er mit seinen Werken so tief beeindruckte, manches gefallen lassen. Nach einer Vorstellung von „Peter und der Wolf“
kam ein Mädchen auf ihn zu und sagte: „Der sieht ja aus wie
die vierte seiner Drei Orangen!“ Prokofjews hochroter Kopf
und die wulstigen Lippen waren lebenslang sein Marken­
zeichen – neben dem exzessiven, virtuosen Klavierspiel und
seinen Kompositionen.
Spuren seiner Kindermusik finden sich auch in der großen,
dreisätzigen Sonate für Cello und Klavier, die er 1949 für zwei
Hoffnungsträger des russischen Musiklebens geschrieben
hat: für Mstislaw Rostropowitsch und Swjatoslaw Richter.
Der Mittelsatz ist ein Scherzo im moderaten Tempo, das mit
einer Art russischem Kinderlied anhebt.
Eine völlig andere Art von Humor, nämlich einen entfesselten,
diabolischen Spott hat der junge Prokofjew seinen Fünf Sarkasmen Opus 17 anvertraut. Das Fiasko der Uraufführung
1915 hat er selbst geschildert: „Die Menschen fassten sich an
den Kopf; die einen, um sich die Ohren zuzuhalten, andere
vor Begeisterung, noch andere, weil es ihnen um den armen
Pianisten leid tat, der einmal Anlass zu so großen Hoffnungen
gegeben hatte.“ Der junge Prokofjew wollte damals der Neuen Musik neue Ausdrucksbereiche erschließen, in diesem Fall
des Humors: „Scherz, Lachen, Spott“ schrieb er sich auf seine
Fahnen, wobei in den „Sarkasmen“ vor allem die dritte Farbe
vertreten ist. Sein Freund Karatygin schrieb zu den Stücken:
„Die Teufel der unbändigen Fantasie Prokofjews vollführen
auf den Gräbern sämtlicher Fundamente des musikalisch
Schönen einen orgiastischen Tanz.“ Noch krasser beschrieb
die Wirkung der Zeitgenosse Assafjew: „Es handelt sich um
überaus scharfe und durchdringende Darstellungen der dunklen Kräfte im Leben, seines Bösen und seines Giftes.“ Zum
Lachen ist einem bei diesem Zyklus wahrlich nicht zumute.
Im zweiten Stück, das Pierre-Laurent Aimard voranstellt, gibt
es „meisterhafte Schilderungen widerlicher, beklemmend
wirkender Erscheinungen: Kriechen, Flattern und Huschen“
(Christof Rüger). „Stürmisch“ und „ironisch“ steht über dem
ersten Stück, einem wilden f-Moll-Tanz. „Zum Arsenal von
Prokofjews ‚Diablerien‘ gehören hier Ironie (1. Thema), Spott
(2. Thema) und hässliche Brutalität (stampftanzartiges 3.
Thema)“ (Rüger). Die Lieblingsstücke des Komponisten waren
die Nummern 4 und 5. Das vierte Stück wird seiner Überschrift
„smanioso“, also „besessen“, vollauf gerecht: „In wahrer Besessenheit zieht ein Pandämonium unheilvoller, boshafter
Geister am Hörer vorüber, ein Hexensabbat.“ (Rüger) Dem
fünften Stück stellte Prokofjew eine Beobachtung voran:
„Manchmal machen wir uns über jemand oder etwas in boshafter Weise lustig und merken erst bei genauerem Hinsehen,
wie erbärmlich und unglückselig der Gegenstand des Spottes
ist; dann wird uns unbehaglich, und das Lachen klingt uns
in den Ohren, als verlache es uns selbst.“
Kurtágs Streichhölzer
„Meine Muttersprache ist Bartók, und Bartóks Muttersprache
ist Beethoven.“ Auf diese einfache Formel bringt der greise
György Kurtág noch heute die Traditionslinie, in die er seine
Musik stellt. Dabei verlief seine Entwicklung nicht ungebrochen:
Die klassische Ausbildung in ungarischer „Nationalmusik“ traf
während des Studiums in Paris auf die so ganz anderen Klangwelten von Messiaen und Milhaud. Dies geschah 1957, nach
dem blutig niedergeschlagenen Volksaufstand in Ungarn. Gleich
in mehrfacher Hinsicht verfiel der junge Komponist in einen
„regenwurmartigen Ungezieferzustand“, aus dem er sich nur
herausschälen konnte, indem er beschloss, das Kürzest-Stück
zu seinem Lebensinhalt zu machen. „Streichholzkompositionen“, so nennt sie ihr Schöpfer selbst. Eine solche „Streichholz-
schachtel“ ist auch sein Klavierzyklus „Játékok“ („Spiele“). 1973
begann er mit dieser Serie, um Klavierschülern schon in der
allerersten Stunde etwas zum Spielen zu geben. Bis heute ist
der Zyklus auf mehr als acht Bände angewachsen.
Gespielt wird hier mit allen denkbaren ironischen Brechungen
von Klaviermusik – von der Stilkopie bis zum „Stummspiel“.
Dabei darf durchaus einmal „danebengegriffen“ werden. Zwei
alternative Fassungen zeichnen für viele Stücke die Tonhöhen
mal nur umrisshaft vor, mal ganz exakt auf. Kindliches spielt
mit hinein, wie in dem Stück „Das Häschen und der Fuchs.
Von der sechsjährigen Krisztina Takács komponiert“. Abstrakte Musikspiele bilden einen zweiten Bereich wie in „Schläge“, wo Kurtág mit „drei Tönen und drei Rhythmen“ spielt.
Andere Stücke spielen auf Klassiker und Romantiker an wie
Scarlatti oder Verdi, Tschaikowski oder Strawinski. Der Untertitel der Reihe betont den Charakter ganz privater Momentaufnahmen. Für Kurtág sind es „Tagebucheintragungen,
persönliche Botschaften“.
Ligetis Bagatellen
„Ich wäre so gerne ein fabelhafter Pianist!“ hat György Ligeti
einmal bekannt. „Um eine saubere Technik zu bekommen,
muss man mit dem Üben noch vor dem Eintreten der Pubertät beginnen. Diesen Zeitpunkt habe ich hoffnungslos verpasst:
Als ich fünfzehn war, mieteten wir schließlich einen Flügel!“
So bekannte der ungarische Komponist im Einführungstext
zur CD „Works for Piano“ mit Pierre-Laurent Aimard. „Ich
verstehe viel von Anschlagsnuancen, Phrasierung, Agogik,
vom Aufbau der Form. Und spiele leidenschaftlich gerne
Klavier – doch nur für mich selbst ... Ich lege meine zehn
Finger auf die Tastatur und stelle mir Musik vor. Meine Finger
zeichnen dieses mentale Bild nach, während ich Tasten­
drücke, doch die Nachzeichnung ist sehr ungenau.“
Aus dieser leidenschaftlichen Liebe zum Klavier heraus hat
er in den Jahren 1951 bis 1953 seinen ersten Klavierzyklus
geschaffen: „Musica ricercata“. Er selbst nannte es „ein Jugendwerk aus Budapest, noch weitgehend von Bartók und
Strawinski beeinflusst. Das erste Stück enthält nur zwei Töne
(samt Oktavtranspositionen), das zweite drei usw., so dass
das elfte Stück (eine monotone Fuge) alle zwölf Töne verwendet.“ Obwohl aus diesen Zeilen eine gewisse Distanz zu dem
Jugendwerk spricht, war Ligeti doch zumindest stolz auf den
Finalsatz, eine Hommage an Girolamo Frescobaldi, den frühbarocken Organisten des Petersdoms.
Die fünf Stücke unserer Auswahl lassen jeweils andere Facetten seiner späteren Entwicklung erahnen: Nr. 3 kennt man
in der späteren Bearbeitung als erste der „Sechs Bagatellen“
für Bläserquintett, wobei man kaum wahrnimmt, dass dieses
Scherzo nur mit drei Tönen in den unterschiedlichsten Lagen
spielt. Der Walzer des vierten Stücks offenbart ironische
Eleganz. Kaum eine Minute dauert das sechste Stück mit
seinen siebentönigen Skalen. Auch das zehnte Stück kennt
man in der Quintettfassung, wobei auf dem Klavier die Dissonanzen schriller wirken, ironischer. Es folgt das erste Stück,
wo sich schon früh Ligetis „Denken in Bewegungsmustern
unabhängig vom europäischen Taktdenken“ offenbart – wie
gesagt, alles nur auf einem Ton.
Übrigens hat Filmregisseur Stanley Kubrick das zweite Stück
aus Ligetis „Musica Ricercata“ 1999 für seinen Film „Eyes wide
shut“ verwendet. Dadurch wurde die Klaviermusik des Ungarn
plötzlich auch außerhalb der Neue-Musik-Szene bekannt.
Lutosławskis Sacher Variation
Vorsicht: Wenn in der Musik von „Sacher“ die Rede ist, meint
man nicht das Hotel Sacher in Wien oder das Café Sacher auf
der Grazer Herrengasse, schon gar nicht die „Sachertorte“,
sondern stets Paul Sacher, den Schweizer Mäzen, Dirigenten
und Mentor der zeitgenössischen Musik. 1975 schrieb der
große Pole Witold Lutosławski für ihn das Cellostück „Sacher
Variation“. Damit ist auch Polen in Aimards Rundreise durch
die Humorlandschaften Ost- und Südosteuropas vertreten.
Bartóks Burlesken
Die Titel der drei kleinen Klavierstücke, die Béla Bartók zwischen 1908 und 1911 komponiert hat, sprechen für sich: „Zänkerei“, „Etwas angeheitert“ und „Molto vivace capriccioso“,
also „sehr lebhaft und kapriziös“. Die Tatsache, dass er das
erste Stück seiner damals fünfzehnjährigen Schülerin Márta
Ziegler widmete, lässt am ehesten auf Szenen in geselliger
Runde und anregender weiblicher Begleitung schließen.
Schon im folgenden Jahr 1909 heiratete der Klavierprofessor
Bartók seine Schülerin Márta, er war 28 Jahre alt, sie erst 16.
Der erste Sohn wurde schon 1910 geboren. Was sich hinter
diesen „Burlesken“ wohl an Erotik im angeheiterten Zustand
verbergen mag?
Josef Beheimb
Die Interpreten
Pierre-Laurent Aimard, Klavier
Der französische Pianist Pierre-Laurent Aimard wurde 1957
in Lyon geboren und studierte am Pariser Konservatorium.
Im Alter von zwölf Jahren begegnete er Olivier Messiaen und
wurde in kurzer Zeit zum berufenen Interpreten seiner Werke. Bereits im
Alter von 15 Jahren gewann Aimard den renommierten Messiaen-Preis, was den Beginn seiner
internationalen Karriere markieren sollte. Seitdem ist er auf
der ganzen Welt aufgetreten,
unter anderem mit Dirigenten
wie Kent Nagano, Andrew Davis,
Giuseppe Sinopoli und Pierre Boulez.
Letzterer gründete 1976 das Ensemble InterContemporain
(EIC) und berief Aimard zum Solopianisten. 18 Jahre blieb
Aimard dem EIC treu, lernte in dieser Zeit eine große Bandbreite Neuer Musik kennen und entwickelte sich zu einer der
Schlüsselfiguren dieses Repertoires. Seine Arbeit brachte ihn
mit den führenden Komponisten wie Stockhausen, Ligeti
und Kurtág zusammen, aber er förderte auch Nachwuchskomponisten wie George Benjamin und Marco Stroppa durch
die Aufführung ihrer Werke.
Gleichzeitig blieb Aimard dem „traditionellen“ Klavierrepertoire als Solist und Kammermusiker treu. Regelmäßig trat er
mit führenden Orchestern auf. Gemeinsam mit Nikolaus
Harnoncourt spielte er hier bei der styriarte alle Werke Beet­
hovens für Klavier und Orchester, Konzerte, die auch auf CD
dokumentiert vorliegen. Beim Grazer Festival startete er im
Jahre 2005 gemeinsam mit dem Chamber Orchestra of Europe einen Zyklus mit Klavierkonzerten Mozarts. Der CDMitschnitt dieses ersten Konzertes 2005 erntete weltweit
Jubelkritiken, „Die Zeit“ urteilte sogar: „Dies ist eine der schönsten Mozart-Aufnahmen aller Zeiten.“
Aimard nimmt derzeit exklusiv für die Deutsche Grammophon
auf. Bachs „Kunst der Fuge“, seine erste DG-CD, erhielt den
Diapason d’Or und den Choc du monde de la musique. Diese
Einspielung ist auch der Topseller bei den Klassik-iTunesDownloads. Zu weiteren Preisen gesellt sich noch ein Grammy
für die Einspielung von Charles Yves’ „Concord Sonata“ und
Yves-Liedern mit Susan Graham. Anlässlich Liszts 200. Geburtstag erschien 2011 Aimards Doppelalbum mit Kompositionen von Liszt und Werken von dessen Zeitgenossen und
Nachfolgern. Im Jahr 2014 erschien zuletzt seine Einspielung
des 1. Teils des Wohltemperierten Klaviers bei der Deutschen
Grammophon.
Nach der styriarte gastiert Pierre-Laurent Aimard heuer bei
den Festspielen in Mecklenburg-Vorpommern, dann bei den
Salzburger Festspielen und im Mostly Mozart Festival in New
York. Darauf geht es nach Rumänien, Frankreich, Schweden,
Wien, Belgien, Italien, in die Schweiz, die Niederlande und
nach Deutschland.
Tamara Stefanovich, Klavier
Tamara Stefanovich begann im Alter von fünf Jahren mit
dem Klavierspiel als Schülerin von Lili Petrovic, gab mit sieben ihr erstes öffentliches Konzert und wurde im Alter von
dreizehn Jahren jüngste Studentin an der Universität in
Belgrad. Neben Musik umfasst ihre breite universitäre Ausbildung auch Fächer wie Psychologie, Pädagogik und Soziologie. Mit 19 absolvierte sie ihren Masterabschluss Klavier in
ihrer Heimatstadt Belgrad. Darüber hinaus studierte sie am
Curtis Institute bei Claude Frank und anschließend bei Pierre-Laurent Aimard an der Hochschule für Musik und Tanz in
Köln, wo sie jetzt auch arbeitet.
Tamara Stefanovich ist für faszinierende Interpretationen eines breiten
Repertoirespektrums bekannt, sie
trat bereits in allen großen Konzertsälen der Welt auf und ist
regelmäßiger Gast bei internationalen Festivals. Im Rahmen
ihrer Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Esa-Pekka Salonen,
Pierre Boulez und Vladimir Jurowski
arbeitet Stefanovich u. a. mit Ensembles
wie dem Cleveland Orchestra, dem Chicago und dem London
Symphony Orchestra, dem NDR Sinfonieorchester oder der
Britten Sinfonia. Soloabende führten sie sowohl ins Concertgebouw als auch ins Muziekgebouw Amsterdam sowie zur
Konzertreihe „Piano aux Jacobins“ nach Toulouse. Im Frühjahr
2012 wirkte Stefanovich als Solistin auf der außerordentlich
erfolgreichen Deutschland-Tournee der Jungen Deutschen
Philharmonie in Messiaens „Turangalîla Symphonie“ mit.
Tamara Stefanovich arbeitet mit einer Vielzahl führender
zeitgenössischer Komponisten zusammen. Sie leitet häufig
Workshops und Meisterkurse beim Klavier-Festival Ruhr, wo
sie sowohl regelmäßig auftritt als auch Education-Projekte
betreut. Weitere Education-Projekte führten sie u. a. in die
Kölner Philharmonie, die Philharmonie Luxembourg und die
Barbican Hall in London.
Zu ihren zahlreichen Veröffentlichungen zählen Bartóks
Konzert für zwei Klaviere, Schlagzeug und Orchester gemeinsam mit Pierre-Laurent Aimard, Pierre Boulez und dem London
Symphony Orchestra (Gold Record Academy Award und
nominiert für den Grammy und den MIDEM Classique); außerdem Mozarts Konzert für zwei Klaviere und Orchester mit
Jonathan Nott, Pierre-Laurent Aimard und der Camerata
Salzburg für ARTE. Weiters erschienen Einspielungen von
Bach, Mozart, Haydn und Strawinski und ihre jüngste Aufnahme mit Werken Thomas Larchers (April 2014).
Valérie Aimard, Pantomime
Valérie Aimard (1969 in Lyon geboren) studierte bei Michel
Strauss und Philippe Muller an der Pariser Musikhochschule
CNSM. Um ihren musikalischen Horizont
zu erweitern, nahm sie gleichzeitig an
zahlreichen Meisterkursen bei renommierten Cellisten (Geringas,
Claret, Starker), aber auch bei Pianisten, Violonisten, Sängern und
Dirigenten teil. Entscheidend
geprägt wurde ihre musikalische
Entwicklung durch das Zusammentreffen mit dem amerikanischen Cellisten Bernard Greenhouse 1992.
Sie ist Preisträgerin verschiedener internationaler Wettbewerbe im Bereich Cello und Kammermusik. So erhielt sie etwa
1991 im Wettbewerb Maria Canals (Barcelona) den ersten Preis.
Ihre bemerkenswerte Laufbahn als Cellistin führte sie in mehr
als zwanzig Länder, wo sie als Solistin und Kammermusikerin
auftrat (so wurde sie etwa schon mehrmals zum renommierten Festival von Marlboro in den USA eingeladen).
Auch ihre Aufnahmen wurden vielfach ausgezeichnet. Diskographisch begann sie ihre Laufbahn 1996 mit der Kodály-Sonate für Solocello (Agon). Später nahm sie bei Harmonia Mundi Mendelssohns Werke für Cello und Klavier gemeinsam mit
ihrem Bruder, Pierre-Laurent Aimard, auf, sowie eine CD mit
französischer Musik von Debussy, Honegger, Chausson und
Vierne gemeinsam mit Cédric Tiberghien. Ihre Aufnahmen
erhielten die wichtigsten französischen Auszeichnungen
(Diapason d‘Or, Choc du Monde de la Musique, ffff de Télérama).
Valérie Aimard ist begeisterte Musikpädagogin und unterrichtet an der Pariser Musikschule des 13. Bezirks. Außerdem
ist sie dem CNSM in Paris weiterhin als Professorin für Kammermusik verbunden. Außerhalb ihrer Cellokarriere tritt
Valérie Aimard in Soloprogrammen als Schauspielerin auf
und geht ihrer Passion für die Pantomime nach.
Die Witze des Tages
Ein Pinguin geht zur Polizei und
sagt zum Polizisten: „Mein Zwillingsbruder ist verschwunden.“
Der Polizist: „Wie sieht er denn aus?“
von Pierre-Laurent Aimard
(ihm wurde dieser Witz von Harrison Birtwistle erzählt)
Der Steinway übt
manchmal einen seltsamen Zauber aus. Er
spielt dann besser als
der Pianist und dies
ist eine wunderbare
Überraschung.
OPERNRING 6 – 8, WIEN
WWW.STEINWAYAUSTRIA.AT
HELMUT LIST HALLE, Harald Eisenberger
MARTHA ARGERICH
Flexibel im Format.
Unbeugsam im Inhalt.
KOMPAKT
E-PAPER
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