Lösungshinweise Examensklausur Tinnitus:

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Lösungshinweise Examensklausur Tinnitus:
Lösungshinweise Examensklausur Tinnitus:
A. Ansprüche des K gegen das Theater ?
I.
Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen des Gehörschadens gem. §§ 280 I,
253 II BGB
Voraussetzung: Schuldverhältnis B – K
gemischttypischer Theaterbesuchsvertrag (Elemente: §§ 535, 631 BGB)?
1. übereinstimmende Willenserklärungen (-); weder B noch K wollten einen Vertrag
schließen.
2. Lehre vom sozialtypischen Verhalten (Hamburger Parkplatzfall, BGHZ 21, 319)?
-
wird nicht mehr vertreten, da Widerspruch zur Privatautonomie
-
stattdessen Vertragsschluss gem. § 151 S. 1 BGB (Medicus, BR Rn. 190) oder – bei
Minderjährigen – Herausgabe der erlangten Vorteile über Bereicherungsrecht
(BGHZ 55, 128 – Flugreise).
-
kein Vertragsschluss gem. § 151 S. 1; Theater will nicht mit jedem Besucher einen
Vertrag schließen (Plätze begrenzt), jedenfalls nicht mit K (Hausverbot)
II. Schadensersatz und Schmerzensgeld gem. §§ 831, 253 II BGB
1. Verrichtungsgehilfe
-
mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn in dessen Interesse tätig
-
weisungsgebunden (arg. § 831 I 2, 2. Hs. )
G und Regisseur = Arbeitnehmer des Theaters (+)
2.
Rechtswidrige unerlaubte Handlung
a) Verletztes Rechtsgut:
aa)
Körper: körperliche Unversehrtheit (+)
bb) Gesundheit: Störung der normalen körperlichen Lebensfunktionen (=
Krankheit): (+) Ohrgeräusche
b) Handlung: aktives Tun oder Unterlassen ?
natürliche Betrachtung: positives Tun
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Aber: Schuss für normalen Zuschauer ohne Folgen; Schwerpunkt des
Tatvorwurfs (Otto, Jura 2000, 549) eher unterlassene Warnung empfindlicher
Zuschauer
BGH NJW 2006, 610 und Vorinstanzen (OLG Frankfurt NJW 2004, 2833; LG
Wiesbaden NJW-RR 2004, 887) prüfen nur Verkehrspflichtverletzung.
schwieriges Aufbauproblem: am besten Vergleich beider Möglichkeiten
aa) Unterlassen:
(1) Verkehrssicherungspflicht des B gegenüber K:
Grundlage: Schaffung einer Gefahrenlage durch Eröffnung Verkehr
(2)
Geschützt: Personen, mit deren Gefährdung der Pflichtige üblicherweise
rechnen muss, also idR nicht Unbefugte (Palandt/Sprau, § 823 Rn. 47; BGH
NJW 1957, 499; VersR 1964, 727). Daher wohl keine VSP gegenüber K.
A.A. vertretbar: Purer Zufall, dass nicht „normaler“ Theaterbesucher einen
‚Tinnitus-Schaden erleidet, sondern „Unbefugter“ .
(3) Reichweite VSP: nicht Schutz vor jeder abstrakten Gefahr, sondern nur vor nahe
liegenden Gefahren
Maßstab: Urteil eines „verständigen, umsichtigen, vorsichtigen und
gewissenhaften Angehörigen der betreffenden Berufsgruppe“ (BGH NJW
2006, 611)
Fallbezogen: Gehörschaden möglich (ab 84 dB), aber lt. SVst. extrem
unwahrscheinlich (Promillebereich); BGH NJW 2006, 611: keine nahe liegende
Gefahr!
Vergleichsfälle:
aus Sägegatter herausgeschleudertes Kantholz trifft Abholer (BGH
NJW-RR 2003, 1459 f.)
abgesplitterte Metallteile beim Einschlagen eines Metallstifts in den
Holzstiel einer Harke (BGH VersR 1975, 812)
BGH: nicht voraussehbare Gefahr; Unfallverhütungsvorschriften sahen –
damals - keine Sicherungsvorkehrungen vor
Argumente des K:
-
Möglichkeit, geräuscharme Schreckschusspistolen einzusetzen? BGH: aus
Möglichkeit folgt keine Pflicht!
-
Risiko von Gesundheitsschäden ab 84 dB? BGH: beweist nur Eignung der
Verletzung!
-
Arbeitsplatzschutznormen und Lärmschutzbestimmungen für Volksfeste und
Livemusik-Darbietungen? BGH nicht einschlägig!
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Ergebnis: keine Haftung des B
bb) Haftung des B bei positivem Tun
(1)
Rechtsgutsverletzung: s.o.
(2)
Haftungsbegründende Kausalität
(a)
Äquivalenz: Schuss = condicio sine qua non für den Hörschaden (+)
(b)
Adäquanz: wenn die betreffende Handlung im Allgemeinen und nicht nur
unter ganz besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem
gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen
geeignet ist, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen (BGHZ 3, 261,
267; BGH NJW 1976, 1144; Medicus, SR I, Rn. 598; Larenz, SR I, § 27 III b:
Maßstab erfahrener Beobachter).
Danach Adäquanz eher zu verneinen (Risiko eines Hörschadens ganz
unwahrscheinlich („im Promillebereich“).
Gegenarg.: BGHZ 18, 286 bejahte Adäquanz in einem Impfschadensfall bei
einee Schadenswahrscheinlichkeit von weniger als 0,01 %. Besonderheit:
Urheber hat entfernt liegende Möglichkeit eines schädigenden Ereignisses
bewusst in Kauf genommen (hier: -)
Ergebnis: Schuss = keine adäquate Bedingung für Hörschaden (aA vertretbar)
(c) Ausschluss der Zurechnung wegen Vorschädigung des K?
(-) Schädiger kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wenn der
Verletzte gesund gewesen wäre (BGHZ 132, 341, 345; RGZ 155, 38, 41 f.;
Palandt/Heinrichs, Vorb v § 249 Rn. 67 f.).
aber wohl keine Zurechnung bei „ganz ungewöhnlichen, keinesfalls zu
erwartenden Verläufen; Beispiele:
-
geringfügige Ehrverletzung („kleiner Scheißer“) verursacht
Gehirnblutung (BGH NJW 1976, 1143, 1144 unter II 2 b aa)
-
falsche Anschuldigung im Anschluss an Verkehrsunfall führt zu einem
Schlaganfall (BGHZ 107, 359, 363; krit. von Bar JZ 1989, 1071; Lipp,
JuS 1991, 809, 811)
-
Herzinfarkt durch Erregung über Hunderauferei (OLG Karlsruhe
MDR 1993, 29)
Vertretbar ist daher auch an dieser Stelle ein Ausschluss der Zurechnung, aber
auch weiterhin seine Bejahung.
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(3)
Rechtswidrigkeit:
(a) Grundsatz: bei unmittelbaren Rechtsgutsverletzungen ist Rechtswidrigkeit
indiziert; Ausnahmen: mittelbare Rechtsgutsverletzung;
Verkehrssicherungspflichten
Unwerturteil bei unmittelbarer Verletzung:
(Erfolgsunrecht)
Verwirklichung des Erfolgs
Bei mittelbarer Verletzung von Rechtsgütern versagt diese Lehre; sonst
Notwehr gegen Autohersteller; hier und bei VSP bewährt sich Lehre vom
Handlungsunrecht (vgl. Larenz/Canaris, SR II/2, § 75 II 3).
(b) Hier unmittelbare Verletzung der Rechtsgüter des K:
(aa) daher: Rechtswidrigkeit indiziert (+)
(bb) A.A. Vertretbar; arg.: grundsätzlich erlaubtes Handeln kann nicht per se
rechtswidrig sein
Rechtfertigungsgrund verkehrsrichtigen Verhaltens (BGHZ 24, 21)
Kritik: Schädiger haftet ohnehin nicht
- §§ 823, 826 setzen Verschulden voraus
- Keine Haftung für schuldlosen Verrichtungsgehilfen
(Kausalitätsvermutung des 831 I 2, 3. Alt. widerlegt: auch der
sorgfältig ausgesuchte und überwachte Gehilfe kann sich nicht
besser als verkehrsrichtig verhalten (Medicus, BR Rn. 606 und 782).
Ergebnis: Jedenfalls keine Haftung des B gem. § 831 I 2, 3. Alt.
Konsequenz: B haftet weder für Unterlassen, noch für positives Tun seiner
Verrichtungsgehilfen.
III. Ansprüche des K auf Aufhebung des Hausverbotes
1. Hausverbot Ausfluss der Vertragsfreiheit des B
2. Kontrahierungszwang des B:
a) Vertragsfreiheit gilt nicht schrankenlos. In Sondergesetzen zahlreiche Ausnahmen,
insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge:
- § 10 Allgemeines Eisenbahngesetz (Sartorius 962): Kontrahierungszwang für
öffentliche Eisenbahnen,
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- § 22 PersonenbeförderungsG (Sartorius 950): Kontrahierungszwang für
Straßenbahn, Bus und Taxi,
- § 10 Energiewirtschaftsgesetz (Sartorius 830): Abschlusspflicht für
Energieversorgungs-Unternehmen bei der Lieferung von Elektrizität und Gas,
- § 3 PostdienstleistungsVO (Sartorius [E] 910b): Kontrahierungszwang für
Postdienstleistungen,
- § 5 Abs. 2 PflVersG: Kfz-Haftpflicht
b) Allgemeiner Kontrahierungszwang gem. § 826 BGB?
Zirkelschluss; Pflicht zum Vertragsschluss wird vorausgesetzt, ist aber gerade zu
begründen.
Vorzugswürdig: Gesamtanalogie zu den gesetzlichen Vorschriften (ggf. i.V.m.
dem Sozialstaatsprinzip, Art. 20 GG).
c) Voraussetzungen:
-
Angewiesensein der Interessenten auf den Vertragsschluss (oft, aber nicht nur
beim Angebot lebenswichtiger Güter oder Dienste),
Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer anderweitigen Befriedigung des
Bedarfs (fehlende Ausweichmöglichkeit) und
Fehlen eines sachlichen Grundes für die Ablehnung.
d) Anerkanntes Bsp.: Kontrahierungszwang für Theaterkritiker
RGZ 133, 388 erkannte Kontrahierungszwang an, billigte aber Schutz vor
unsachlicher Kritik.
Besser OLG Köln (NJW-RR 2001, 1051): Hausverbot für kritischen
Sportjournalisten unwirksam (arg. Schutz der Art. 3, 5 und 12 GG).
Ergebnis: K kann gegen Hausverbot mit Erfolg vorgehen
B. Ansprüche des Theaters (B) gegen K
I. Auf Löschung der Kritik gem. § 824 BGB
keine Tatsachenbehauptung, sondern Bewertung
II. Auf Löschung der Kritik gem. § 823 I (Allgemeines Persönlichkeitsrecht)
1. Rechtsgut: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ iSd § 823 I
BGB
Zur Persönlichkeit gehört die – strafrechtlich gem. §§ 185 ff StGB geschützte –
Ehre.
2. Widerrechtlichkeit
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Wegen Konturlosigkeit des APkR positiv festzustellen. Dabei Abwägung
zwischen Kunstfreiheit des K (Art. 5 III GG) und Persönlichkeitsrecht des B
(Art. 2 I GG).
a) Grundsatz: Vorrang Art. 5 GG, aber Kunst- und Meinungsfreiheit nicht
schrankenlos.
b) Schranken: wenn Kritik Menschenwürde antastet oder Formalbeleidigung
oder Schmähung darstellt (BVerfG 1995, 3303, 3304 – Soldaten sind Mörder).
c) Schmähkritik: wenn nicht mehr Auseinandersetzung in der Sache im
Vordergrund steht, sondern persönliche Herabsetzung (BVerfGE 82, 272, 281
= NJW 1991, 95; NJW 1995, 3303, 3304).
aa) „Ekeltheater“: Kontext mit Werturteil über Vorstellung; nachvollziehbare
Polemik: viele Menschen finden Exkremente ekelig.
bb) „Sinnloser Lärm um nichts“: polemische Kritik angesichts der Schüsse
nachvollziehbar und von sachlichem Anliegen getragen.
cc) “Erbärmliche Inszenierung“ im Grenzbereich; aber auch hier sachlicher
Bezug zum Stück; außerdem: wer selbst provoziert, riskiert deftige Kritik
(BGHZ 31, 308, 313; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 98).
Ergebnis: keine Schmähkritik
III. Ansprüche auf Löschung gem. §§ 823 I (eingerichteter und ausgeübter
Gewerbebetrieb), 823 II iVm § 185 StGB, 826, 1004 analog BGB
scheitern aus den gleichen Gründen wie Anspruch wegen Verletzung APkR (unter II. )
IV. Anspruch auf Bezahlung der Theaterkarte
1.
Deliktische Ansprüche:
a) § 823 I BGB
Verletzte Rechtsgüter:
-
Eigentum wegen der vorübergehenden Gebrauchsbehinderung durch
unberechtigte Einnahme eines Sitzplatzes (vgl. MünchKomm/ Mertens, §
823 Rn. 112 ff.) (+)
-
Besitz (+)
-
Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb: (-) kein
betriebsbezogener (finaler) Eingriff; Kritik an Regie, nicht am Theater
b) Anspruchsgrundlage § 823 II BGB i.V.m. § 265a StGB (Erschleichen von
Leistungen):
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fraglich, da es K nicht auf die Unentgeltlichkeit des Theaterbesuchs, sondern auf
die Umgehung des Hausverbots ankam (zur Absicht vgl. SchönkeSchröder/Lenckner/Perron, StGB, § 265a Rn. 12).
Ohne Hausverbot hätte K wahrscheinlich Pressekarten erhalten
c) Problem: Schaden
aa) Differenzhypothese:
Vergleich der tatsächlichen
hypothetischen Vermögenslage (ohne Rechtsgutsverletzung)
mit
der
Leistungserschleichung: keine Einnahmen des B/übliche Kosten
Keine Erschleichung: keine Einnahmen des B /übliche Kosten
Differenz: 0
bb)
Normativer Schaden? Entgangene Gebrauchsvorteile (Sitzplatz im
Theater) als Schaden?
nach BGHZ 98, 212, 222 nur ersatzfähig, wenn es sich um Lebensgüter
handelt, deren ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche
Lebensführung von zentraler Bedeutung ist (-)
Bsp.: KfZ, Fahrrad, Wohnung, Haus (+);
Pelzmantel, Laptop, Motorboot, Pferd (-)
Ergebnis: kein Schaden (-)
2. Bereicherungsrechtlicher Anspruch gem. § 812 I 1, 2. Alt., 818 II
a) Etwas erlangt: Theateraufführung
b) durch Leistung (-) oder in sonstiger Weise (+): K wurde von Personal nicht
bemerkt
c) Eingriff rechtsgrundlos, wenn in Widerspruch zum Zuweisungsgehalt
eines fremden absoluten Rechts (Eigentum des B)
d) auf Kosten des B: K unmittelbar auf Kosten des B bereichert; Prüfung
zudem überflüssig, da Merkmal mit Subsumtion unter a – c feststeht
e) Rechtsfolge: Herausgabe des Erlangten (-), Gebrauchsvorteile nicht mehr
rückgabefähig
f) Wertersatz gem. § 818 II: üblicher Preis
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g) Wegfall der Bereicherung (§ 818 III): Gebrauchsvorteile nicht mehr real
vorhanden
K aber bereichert, soweit er Aufwendungen erspart hat.
Tatfrage: hätte K sich Karte gekauft? Kritiker bekommen gewöhnlich
Pressekarten und zahlen nichts; dann wäre K nicht bereichert (-)
3. Anspruch gem. §§ 819 I, 818 IV, 292 analog, 989, 990 BGB auf Zahlung des
Eintritts
a) K war bösgläubig (+)
b) Verschärfte Haftung: im Ergebnis keine Berufung auf § 818 III, sondern
jedenfalls Wertersatz gem. § 818 II (Wert des Theaterbesuchs =
Eintrittsgeld)
Ergebnis: K muss Eintrittsgeld zahlen (+)
C. Anwaltliche Erwägungen:
Erfolgsaussichten Klage Theater gering (keine Schmähkritik, allenfalls Eintrittspreis)
Erfolgsaussichten Klage des K: nur bezüglich Hausverbot; zwar Risiko der Widerklage
(Grund: kein Kostenvorschuss erforderlich), aber Risiko der Verurteilung gering.
Empfehlung: Klage auf Aufhebung des Hausverbots (§ 242 BGB)
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