alles über den speedboat-sport der katamaran im
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alles über den speedboat-sport der katamaran im
104 104 Oben: Kalsows Pokalsammlung in Pelzerhaken/Holstein Mitte: Guido Cappellinis Boot beim großen Preis von Abu Dhabi Unten: Die Sieger in Abu Dhabi 2006: Guido Cappellini, Scott Gillman und Thani Al Qamzi Anruf beim Signore. Wie viele Unfälle haben Sie überlebt? „Ungefähr 100. Ich zähle und erinnere mich nicht gern.“ Welcher war denn der schlimmste? „Bristol, 1988. Ich bin mit 170 frontal gegen die Hafenmauer gefahren. Damals hieß ich bei den anderen Fahrern Guido Crashelini.“ Denken Sie oft an den Tod? „Wieso? Dafür habe ich keine Zeit. Die anderen Fahrer nennen mich inzwischen Guido Winellini.“ Der Rennenthusiast Cappellini beginnt nun zu fabulieren, von der Droge Geschwindigkeit, die ihn seit 25 Jahren fasziniert, vom Tempo, das man auf dem Wasser doppelt so intensiv erlebt wie an Land. Die Fliehkräfte! Cinque G, capisci? Adrenalina! Dann ist es kurz still in der Leitung, und als Schwärmellini wieder dran ist, hebt er zu seiner Schimpfkanonade über den Promoter der Formel 1 an. „Unser Sport ist unglaublich spektakulär, aber kaum jemand kennt ihn. Was ist das für ein Marketing? Die versauen alles! Ich mache diese Scheiße nicht länger mit!“, ruft er in den Hörer, es folgen einige Flüche auf Italienisch. Schluss, Basta, er habe sein Team zurückgezogen und eine eigene Rennserie gegründet, die nun der ehemalige Marketingchef von Juventus Turin leitet. Die Hälfte der Fahrer habe sich bereits angeschlossen. Auch Gillman? Man hört ein verächtliches Schnauben, als sei Cappellini gerade mit seinem Boot in einer Jauchegrube zum Stehen gekommen. „Wissen Sie: Er hat keine Eier, das ist sein Problem.“ Hat Fabian Kalsow Eier? „Oh ja, ein guter Junge, sehr schnell unterwegs. Ihm fehlt noch Erfahrung, aber er kann eines Tages Weltmeister werden.“ Wenn er mal aufhört, meint Cappellini, aber das sagt er nicht. MAX man ihn darauf anspricht. „Noch nicht“, sind zwei Worte, die man im Gespräch immer wieder hört. Kalsow, der Versicherungsverkäufer, möchte positiv klingen. Seine Zukunft könnte doch so schön und so rosig sein: junger Fahrer, schnelles Boot, professionellstes Team. Demnächst Weltmeister? Wenn nicht alles so heimlich wäre. Er hat immer daran geglaubt, es zu schaffen, seit jenem Tag, als er in der „ADAC Motorwelt“ von einem Sichtungslehrgang für Motorbootfahrer las. Kalsow hinterließ einen wunderbaren Eindruck und ging den Verantwortlichen auf die Nerven, um trotz abgelaufener Meldefrist noch starten zu dürfen. Die anderen Starter fuhren mit schicken Booten vor, gezogen von den Oberklasselimousinen ihrer Eltern. Kalsow, der Sohn einer alleinerziehenden Mutter, hatte sein unbeklebtes Cappellini hat einen Hai vorn auf sein Arbeitsgerät lackieren lassen, und das nicht zum Spaß. Manche halten ihn wegen seines Fahrstils schlicht für verrückt. Boot hinter seinen alten Golf gekoppelt. Trotzdem gewann er. Nach der Formel ADAC startete er in der Formel 3, schließlich, mit Hilfe seiner Sponsoren, seit 2005 in der höchstmöglichen Klasse. Zu den wichtigsten Momenten in Kalsows Karriere gehörte die Begegnung mit Guido Cappellini, dem Besitzer des Rennstalls, in dessen Diensten Kalsow fährt. Cappellini ist 47, neunfacher Weltmeister, wohnt in Como und Monte Carlo, ist Millionär, Besitzer des erfolgreichsten F1-Teams und einer eigenen Rennbootfabrik. Cappellini hat einen Hai vorn auf sein Arbeitsgerät lackieren lassen, nicht zum Spaß. Manche halten ihn wegen seines Fahrstils schlicht für verrückt. In der „Gazzetta dello Sport“ erschienen Artikel mit der Überschrift „Cappellini Cannibale!“, und im Internet kann man eine Auswahl unglaublicher Unfälle besichtigen, nach denen man sich fragt, wie viele Schutzengel der Allmächtige abgestellt hat, den Cappellini zu beaufsichtigen. Sein größter Rivale ist ein Amerikaner namens Scott Gillman. Seit dem letzten Unfall, als Cappellini ihn regelrecht überfuhr, hassen sie einander. ALLES ÜBER DEN SPEEDBOAT-SPORT GROSSER PREIS AUF DEM WASSER Seit 1981 ist Speedboating von der Union Internationale Motonautique (UIM) in Monaco als Formel-1-Sport anerkannt. Die Teams treten auf Seen, Flüssen oder in geschützten Buchten gegeneinander an. DER KURS Je nach festgelegter Strecke rasen die Piloten auf im Durchschnitt 1800 Meter langen Runden um Bojen. Ein Rennen ist zwischen 50 und 60 Runden lang. Die schnellsten Fahrer schaffen die Strecke in etwa 45 Minuten. Sie dürfen die Zeit von 90 Minuten nicht überschreiten. Der Sieger erhält ein Preisgeld von 5000 Euro. DAS ERFOLGSGEHEIMNIS Die Katamarane sind extrem schnell und trotzdem manövrierfähig. Zwischen Rumpf und Wasseroberfläche sammelt sich Luft. So sind bei vollem Tempo nur der Propeller und einige Zentimeter des Hecks unter Wasser. Der Fahrer ist über Funk mit seinem Team verbunden. PFERDESTÄRKEN & CO. Speedboote fahren mit 400 PS und Flugzeugbenzin (100 LL Avgas), es gibt keine Gangschaltung und keine Bremse. Sie sind mit Mercury-2,5-Liter-V6-Außenborder-Motoren ausgestattet und beschleunigen auf geraden Strecken problemlos auf Tempo 200 km/h. Die Beschleunigungsdauer von 0 auf 100 km/h liegt bei 3,5 Sekunden. Sie sind 6 Meter lang, 2,5 Meter breit und müssen mindestens 390 Kilo wiegen. Das Verhältnis Gewicht/ Pferdestärken liegt also fast bei 1:1. KOSTEN Die Grundversion eines Speedboots kostet 100 000 Euro. Das aufwendige Tuning von Motor und Karosserie steigert den Preis der Boote um ein Vielfaches. DIE FAVORITEN Die wichtigsten Teams in der Formel 1 sind Team Tamoil, Emirates Team, Qatar Team – insgesamt gibt es zehn Teams. SICHERHEIT Seit dem tragischen Tod von Stefano Casiraghi 1990 in Monaco und dem tödlichen Unfall des Formel-1-Fahrers Vincenzo Polli sitzen die Piloten in einer Zelle aus extrastarkem Material. Die Katamarane sind aus Karbonfiber und Kevlar hergestellt – beide Stoffe sind extrem leicht, widerstandsfähig, hitze- und feuerbeständig. Die Boote haben Airbags und Schleudersitze, ähnlich wie in Flugzeugen. star DER KATAMARAN IM DETAIL 1 4 5 3 2 6 8 Mehr Infos: www.fabian-kalsow.de www.guidocappellini.com www.f1boat.com Fotos: Christian Kerber für MAX (1), PR (4) 104 wurden die Cockpits verstärkt und die Boote mit einem Airbag versehen, der zwar den Aufprall nicht mindert, die Havaristen aber schwimmen lässt. Wie gefährlich sein Sport sein kann, erlebte Kalsow vor kurzem in Dubai, wo die Temperatur in den Cockpits, nebenbei bemerkt, mehr als 90 Grad Celsius beträgt. Ein anderer Pilot nahm ihm an einer Boje die Vorfahrt. „Beim Aufprall flog ich sehr hoch und machte eine 360-Grad-Drehung in der Luft“, erzählt Kalsow. Er landete sicher – und fuhr einfach weiter. Erst im Ziel, als der Adrenalinpegel abebbte, bekam er keine Luft mehr. Im Krankenhaus stellten die Ärzte fest, dass seine gesamte linke Körperhälfte mit schweren Blutergüssen übersäht war. Wochenlang konnte er sich kaum bewegen. In jedem Moment eines Rennens, in jedem Moment eines Trainings ist es möglich, dass das Boot unkontrolliert abhebt. Die Qualität eines Piloten zeigt sich darin, wie konstant er die Rennmaschine in einen schwebenden Status treten kann, zwischen Wasser und Himmel. Wenn eine Handbreit Luft zwischen See und Rumpf liegt und nur noch der von einer mächtigen V6-Maschine befeuerte Propeller ins Wasser schneidet, erreichen die Boote maximale Geschwindigkeit. Ein Formel-1-Boot fährt nicht. Es fliegt. Jeder Ausritt wird zur Mutprobe, und wer die Zeitlupe eines Rennens sieht, erkennt, wie die Katamarane über die Wellen tanzen. Eine Unachtsamkeit, ein kleiner Fehler, wenn die Gischt des Vordermanns die Sicht nimmt, und es war vielleicht die allerletzte Runde. In Dubai werden die Unerschrockenen behandelt wie Stars, hofiert und mit Limousinen vom Flughafen abgeholt. Für den Grand Prix im chinesischen Chongzhou baute man extra ein gewaltiges Stadion an den Fluss. Ob Rennbootfahren aber der neue Nationalsport in China wird, ist zu bezweifeln: Kalsow überrundete den chinesischen Fahrer schon nach der dritten Runde und insgesamt neun Mal. Wenn er wieder in Deutschland landet, fährt Kalsow mit seinem VW Lupo nach Pelzerhaken zurück. Zu seinen Sponsoren gehört der Wassersportverein Lorch. Dass er hierzulande der Schnellste auf dem Wasser ist, wissen nur ein paar Eingeweihte. Was auch daran liegt, dass das Sportfernsehen eher überträgt, wenn korpulente Männer Dartpfeile werfen, Holzstämme zersägen oder Karten spielen. Kalsows Stimme bekommt einen ziemlich verzweifelten Unterton, wenn 7 SPEEDBOOTWELTMEISTERSCHAFT 2007: DIE TERMINE 13. 5. 20. 5. 1. 7. Juli 16. 9. 21. 10. 24. 11. 8.12. 15.12. Portimão, Portugal La Rochelle, Frankreich Porto Carras, Griechenland Italien, Termin und Ort noch nicht festgelegt Xi’An, China Shenzhen, China Doha, Katar Abu Dhabi, VAE Sharja, VAE 9 0 q ß 1 Lenkrad mit Funkfunktion 2 Sicherheitskanzel 3 Airbag 4 Bootshaube 5 Luftansaugschlauch 6 Motor 7 Fahrersitz mit Fünfpunkt-Gurt 8 Airbag-System 9 AWACS-Box (Team Radio) 0 B12-Volt-Starter- und Hauptbatterien ß Geschwindigkeitssensor q Propeller