„Salomo ist eine Projektionsfläche“
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„Salomo ist eine Projektionsfläche“
Interview „Salomo ist eine Projektionsfläche“ Ein Gespräch mit der Bibelwissenschaftlerin Barbara Schmitz über die Salomoüberlieferung, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde, über die historische Person und die literarische Gestalt des Königs. Welt und Umwelt der Bibel: Nehmen die meisten Forscherinnen und Forscher an, dass es einen historischen Salomo gab? Barbara Schmitz: Alle drücken sich derzeit vorsichtig aus. Mir erscheint es plausibel, dass es eine historische Person Salomo gegeben hat, der ein Sohn von David war beziehungsweise in enger Beziehung zu ihm stand. Allerdings gibt es jenseits der biblischen Überlieferung keinen Beleg für Salomo. Dies gilt ja auch für David: Außerbiblisch findet sich lediglich ein „Haus David“ auf der Inschrift von Tel Dan aus dem 9. Jh. vor Christus, aber mehr nicht. Selbst hierfür gibt es kein zweites Bildoder Schriftdokument, das diesen Befund stützen würde. Weise und prächtig – so wird Salomo überliefert. Doch wie er nach der biblischen Erzählung auf den Thron gelangt, ist haarsträubend: durch Brudermord und die Intrige der Mutter ... Passt das zu einem weisen König? In der Darstellung der Königsbücher wird Salomo entschuldigt, indem er aus den Kämpfen um die Thronfolge Davids weitgehend herausgehalten wird. Es sind der Prophet Natan und seine Mutter, die die Fäden ziehen. Damit wird Salomo entschuldigt für das, was im Kontext der Thronnachfolge passiert – zum Beispiel für den Brudermord. So kann Salomo später zu jenem unantastbaren König werden, der sein salomonisches Urteil fällen und den Tempel bauen wird. Welche Rolle spielt Salomo im Vergleich zu seinem Vater David? In der Chronik, dem zweiten großen Geschichtswerk, das in der Bibel überliefert 10 wird, wird Salomo als erfolgreiche Miniaturausgabe seines großen Vaters David dargestellt. In den älteren Königsbüchern ist das auch ein wenig so. Im Vergleich zu David konturiert Salomo das Reich, er restrukturiert es teilweise, verwaltet es und bringt es voran. Er gestaltet, was er geerbt hat – und er ist ein guter Erbe! Den Tempel in Jerusalem hat er nicht geerbt, den baut er in Eigenregie neu. Ein großer Teil der Salomoerzählung dreht sich um seinen Tempelbau. Ja, es ist das Projekt, das Salomo realisiert hat – und es ist auf der anderen Seite das Projekt, das David nicht realisieren sollte. Es wird erzählt, dass David, wie es für altorientalische Herrscher üblich ist, Gott einen Tempel errichten wollte, aber Gott selbst – so jedenfalls erzählt es 2 Sam 7 – es ihm untersagt habe: Statt des Hauses, das David Gott bauen wollte, wolle Gott David ein Haus bauen. Mit diesem Wortspiel verdeutlicht die Erzählung von 2 Sam 7, dass es bei David um die dynastische Kontinuität in Juda, nicht um den Tempelbau gehe. Der Tempelbau wird erst seinem Sohn Salomo zugeschrieben. Der dichteste Reflexionstext über Sinn und Funktion des Tempels ist das sogenannte Weihegebet in 1 Kön 8,22-53. Ein wichtiger Gedanke darin ist, dass Gott nicht im Tempel wohnt, sondern diesen übersteigt (1 Kön 8,27-30.40-51) – ein Gedanke, der die spätere, exilische Perspektive sehr deutlich anzeigt. Welche Bedeutung hat König Salomo für die Geschichte Israels, so wie die Gestalt gezeichnet wird? In der literarischen Darstellung wird es so geschildert, dass Salomo zur Vollendung bringt, was David vorher erkämpft hat: das Gebiet des jungen „Reichs“ Israel mit Jerusalem als Zentrum. Das wird unter Salomo ausgebaut und zu einer Größe gemacht – neu kommt nur der Tempel in Jerusalem hinzu. Die Zeit Salomos wird literarisch als eine heile Anfangszeit gezeichnet: Jerusalem als Zentrum von Bildung und Wissenschaft mit außenpolitischen Beziehungen und Handelskontakten, Bauprogramme in den wichtigsten städtischen Zentren wie Megiddo, Hazor et cetera, entlang der internationalen Handelsstraßen. Im 19. und 20. Jh. bezeichneten die Exegeten diese Zeit als „Salomonische Aufklärung“. Die Idee ist nicht völlig abwegig: In der literarischen Darstellung wird unter Salomo eine Blütezeit geschildert – was den Auslegern analog zur europäischen Aufklärung erschien. Wir bekommen eine Ur-Königszeit geschildert, vergleichbar mit einer Kindheitsgeschichte. Darin geht es auch nicht darum, etwas über den real neugeborenen Jesus oder Johannes zu erzählen, sondern in den Anfängen etwas zu verorten, was aus späterer Perspektive als wichtig erscheint. Historisch formuliert wird etwas in die Anfänge zurückprojiziert, was später erhoffte und erwünschte Realität ist – Friede, Glück, Wohlstand, Stabilität. Damit wird Salomo zu einer echten Projektionsfläche. Um ihn herum bildet sich ein Projektionsraum für politische Ideen und zum Teil auch politische Realitäten, die in einer späteren Zeit in eine ideale Frühzeit verlegt werden: Die Idee, Jerusalem als einzig legitimen Kultort JHWHs zu etablieren, ist eine Idee des 7. Jh. vor Christus. Auch die Bauten, die Salomo zugeschrieben wurden in Megiddo oder Hazor, die Befestigungsanlagen, die sogenannten Ställe Salomos ... sie welt und umwelt der bibel 4/2012 06-11_Einfuehrung_druck_neu_korr.indd 10 17.09.12 11:40 alle sind literarische Rückprojektionen und – wie man an der Geschichte der Archäologie sieht – sehr erfolgreiche: Schließlich ist die Archäologie der biblischen Darstellung lange gefolgt und hat diese Bauten für salomonisch gehalten. Aber wie passt es zu dieser idealen Anfangszeit, dass Salomo am Ende in der Bibel als gescheitert dargestellt wird? Die Erzählungen über die frühen Könige werden in der späteren Königszeit erstmals aufgeschrieben. In dieser Zeit konnte man die Augen nicht davor verschließen, dass zwei getrennte Königreiche existiert haben: das Nord- und das Südreich. Das heißt, diese ideale Anfangszeit musste irgendwie enden – schlichtweg eine Notwendigkeit der Gegebenheiten. Ein zweiter Punkt ist: Im 7. Jh. vC gibt es unterschiedliche Königsmodelle in der biblischen Deutung, etwa Manasse, den Versager, oder Joschija, den Musterkönig. Da bietet sich eine Gestalt wie Salomo an, die Ambivalenzen der Könige, die man aktuell erlebt, in die Anfangszeit zurückzuverlegen. Wertet das Salomo ab? Nun, aus den Königen David und Salomo leiten sich die Bewertungsmaßstäbe für alle weiteren Könige ab. Man findet gute und schwache Eigenschaften. Durch diese Darstellung der Königsbücher hätten die späteren Könige aus den Anfängen bereits lernen können, was ‚richtig’ und was ‚falsch’ ist. Das ist literarisch gut gemacht. Die Themen, über die Salomo ‚stolpert’, sind die, die auch später immer wieder – meist negativ – thematisiert werden: die Verehrung anderer Gottheiten und der Einfluss von Frauen. Das Interessante bei Salomo ist, dass beide ‚Problemfelder’ als die zwei Seiten derselben Medaille dargestellt werden: Die bei Salomo erzählte Internationalisierung äußert sich, wie im Alten Orient üblich, in der Heirat von Frauen aus benachbarten Königsdynastien, die ihre Gottheiten mitgebracht und diese – zusammen mit Salomo – verehrt hätten. Das hat auch aus einer modernen, gendersensiblen Sicht eine hohe Ambivalenz. In der Darstellung wird es einerseits so geschildert, dass Salomo den Einfluss der Frauen zulässt und mitmacht, andererseits wird zugleich die Schuld auf diese Frauen verlagert. Zugleich bringen diese Erzählungen zur Sprache, welchen Preis die Prof. Dr. Barbara Schmitz ist Professorin für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen an der Universität Würzburg. Zuletzt von ihr erschienen ist „Geschichte Israels“, in der Reihe „Grundwissen Theologie“ UTB (3547), 2011. Internationalisierung mit sich bringt – ein Thema der späten Königszeit, jener Zeit, in der Juda wirtschaftlich blühte, in den internationalen Handel eingebunden war und sich in Juda die Städte vergrößerten. Wie kann man sich denn vorstellen, wann und wie die Erzählung über Salomo in den Königsbüchern entstanden ist? Das ist schwierig zu sagen – und das ist wohl die derzeitige Standardantwort, wenn man nach der Entstehungszeit der Texte des Alten Testaments fragt. Wir haben es auf jeden Fall mit gewachsener Literatur zu tun, an der biblische Autoren zu unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlichen Zielen gearbeitet haben. Derzeit besteht über die Datierung der Texte in der alttestamentlichen Forschung kein annähernder Konsens. Eine Forschungsrichtung nimmt eine Niederschrift der Texte erst im Babylonischen Exil, im 6. Jh. vC an. Ich denke aber, dass die Salomogeschichte kein reines Produkt des Exils ist, sondern dass es schon zuvor eine Überlieferung gegeben hat. Insofern würde ich davon ausgehen, dass in der mittleren, vielleicht eher der späteren Königszeit erste Erzählzusammenhänge über die Königszeit entstanden sind. Vielleicht liegen diesen auch wieder ältere Traditionen zugrunde, aber hierüber kann man nur spekulieren. Von daher haben wir Textpassagen, die nach dem Untergang des Nordreichs – 722 vC – oder im Kontext der Regierungszeit von Joschija – 639 bis 608 vC – entstanden sind. Sie bewerten die Könige in der Linie Davids im Südreich weitgehend positiv, die Könige des Nordreichs negativ, was das Scheitern des Nordreichs erklärt. Diese Texte gehen noch davon aus, dass das Südreich, das Kernland Davids und Salomos, nicht untergehen wird. Dass Jerusalem später von den Babyloniern doch erobert und der Tempel Salomos zerstört wurde, musste dann neu erklärt werden. Vermutlich wurden in diesem Zusammenhang dann auch die Defizite in der Gottestreue Salomos in die Erzählung eingetragen: Schon Salomo war schuldig geworden, deshalb hatte sein Tempel keinen ewigen Bestand. Gab es schriftliche Quellen, die bis in die Zeit Salomos im 10. Jh. vC zurückreichen? Das wiederum glaube ich nicht. Dass wir Zeitgenössisches aus der Zeit Salomos haben, würde dem archäologischen Befund aus dem 10. Jh. vC widersprechen: Wir haben in Juda bisher dort keine, schon gar nicht größer angelegte Schriftlichkeit vorgefunden. Mündliche Traditionen? ... die dann später verschriftlicht wurden, ja, das ist plausibel. Im 10. Jh. vC ist der historische Salomo – wenn man den neuen archäologischen Forschungen folgt – Vorsteher eines kargen Bergdorfs, wie Israel Finkelstein es beschreibt. Ungefähr 300 Jahre später ist er in den biblischen Texten dann der König der Superlative. Er erscheint wie ein Pharao oder assyrischer Großkönig, den die Königin von Saba besucht. Wie kann das so schnell gehen? Es gibt bei Siegfried Lenz eine Erzählung, über einen Jungen, der einen großen Fisch in einem der masurischen Seen gefangen hat. Der Lehrer möchte das Tier ausstopfen lassen, um es seinen Schülern zeigen zu können. Der Großvater des Jungen untersagt das, weil – so der Großvater – dieser Fisch von Jahr zu Jahr wachsen würde, wenn man ihn nicht ausstopfe, sondern von ihm erzähle! So ähnlich mag es mit König Salomo gewesen sein: In den Erzählungen wurde er immer größer, prächtiger und weiser – und diese Erzählungen sind damit der Spiegel der Zeit, in der sie erzählt werden und nicht der Zeit, über die sie handeln. W Die Fragen stellte Helga Kaiser. welt und umwelt der bibel 4/2012 06-11_Einfuehrung_druck_neu_korr.indd 11 11 17.09.12 11:40