Prothetik an der Halswirbelsäule
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Prothetik an der Halswirbelsäule
Medizin Aktuell Prothetik an der Halswirbelsäule Beweglich – aber richtig! Bei Bandscheibenvorfällen oder auch einer Spinalkanalverengung an der Halswirbelsäule kennen Chirurgen häufig nur eine Antwort: Versteifung! Doch kaum irgendwo leidet unser Rückgrat so sehr unter der festen Verbindung zweier Wirbel wie hier. Denn es ist nicht nur die Bewegungseinschränkung, welche eine erhebliche Einbuße an Lebensqualität bedeutet. Auch wird die Degeneration weiterer Wirbeletagen begünstigt, schließlich muss die eingeleitete Kraft ja irgendwo aufgefangen werden. Seit Jahren versucht man daher, mit Zwischenwirbelprothesen die Versteifung zu vermeiden. Doch das ist gar nicht so einfach: ORTHOpress sprach in der Stuttgarter Galenus Klinik mit Dr. Franz Copf, der weltweit zu den erfahrensten Wirbelsäulenchirurgen gehört. Herr Dr. Copf, aus welchen Gründen werden Eingriffe an der Halswirbelsäule durchgeführt? Dr. Copf: Die Ursachen sind prinzipiell ähnlich wie bei der Lendenwirbelsäule. Es kann durch eine vorgewölbte oder vorgefallene Bandscheibe, aber auch durch eine Verengung des Wirbelkanals zu einer Bedrängung der Rückenmarksnerven kommen. Um hier eine effektive Druckentlastung zu erreichen, ist eine Operation meist unumgänglich. Sind die Symptome eines HWS-Bandscheibenvorfalls mit denen an der LWS zu vergleichen? Dr. Copf: Wenn es durch den eingeklemmten Nerv zu Schädigungen kommt, so bilden sich diese an der HWS meist nicht zurück. Es ist daher große Eile geboten, damit es nicht zu solchen irreparablen Schäden kommt. Herr Dr. Copf, warum ist die Halswirbelsäule schwieriger zu behandeln als beispielsweise die Lendenwirbelsäule? Dr. Copf: Bei der Halswirbelsäule liegen Links: prothetische Versorgung an der Halswirbelsäule Rechts: Versteifung Medizin Aktuell „Durch eine prothetische Versorgung kann die Beweglichkeit der Halswirbelsäule und so die Lebensqualität der Betroffenen besser erhalten werden“, so Dr. Copf. Nerven und Gefäße sehr eng beieinander. Darüber hinaus steht ganz generell für einen Eingriff wenig Platz zur Verfügung. Operationen an den Halswirbeln sind daher nur wenigen Spezialisten vorbehalten. Typischerweise werden die Halswirbel bei einem solchen Eingriff versteift, um die bei der Druckentlastung durch die entfernten Gewebs- und Knochenanteile reduzierte Höhe der Wirbeletage auszugleichen und die verloren gegangene Stabilität wiederherzustellen. Sie sind jedoch kein Freund dieser Lösung. Dr. Copf: Richtig, denn im Gegensatz zur Lendenwirbelsäule, welche nur eingeschränkt beweglich ist, handelt es sich bei der HWS um ein richtiges Gelenk mit einem immensen Bewegungsumfang, der auf insgesamt sieben Etagen verteilt ist. Wenn man hier einzelne Etagen versteift, so müssen die noch beweglich gebliebenen Wirbelgelenke deren ursprüngliche Bewegung mitübernehmen. Dafür sind diese natürlich nicht ausgelegt – über kurz oder lang führt diese Mehrbelastung zum Verschleiß. Ein langfristiger Misserfolg ist in den meisten Fällen vorprogrammiert. Sie favorisieren daher eine Versorgung mit beweglichen Zwischenwirbelendoprothesen, bei denen die ursprüngliche Bewegung erhalten bleibt. Dr. Copf: Nur auf diese Art und Weise kann eine Situation wiederhergestellt werden, bei welcher neben der erzielten Schmerzfreiheit auch die eigentliche Funktion der Wirbel rekonstruiert wird. Allerdings ist dies eine theoretische Forderung, deren Umsetzung schwierig ist – es reicht nicht aus, nach der Ausräumung des Bandscheibenfachs einfach eine Prothese in den entstandenen Hohlraum zu implantieren. Warum nicht? Dr. Copf: Es sind mehrere Faktoren, wel- che bestimmen, wie erfolgreich eine Versorgung des Patienten mit einer Prothese ist. Erste Voraussetzung ist die gleichmäßige, symmetrische Druckentlastung der Neuroforamina (Nervenaustrittslöcher) und ein konsequentes Bewegungsrelease. Am wichtigsten ist, das Bewegungszentrum der Prothese den anderen Wirbeln exakt anzupassen. Nur wenn diese Voraussetzung gegeben ist, hat man die Beweglichkeit in ihrer ursprünglichen Form wiederhergestellt. Führt man aber durch die Falschimplantation ein „neues“ Bewegungszentrum ein, so stellt sich mittelfristig eine Situation ein, die der Versteifung nicht unähnlich ist. Wie kommt es dazu? Ist Bewegung nicht gleich Bewegung? Dr. Copf: Ein falsches Bewegungszentrum führt – wie auch die operative Versteifung – zu einer Mehrbelastung der anderen Wirbel. Es kommt zu einer artifiziellen Degeneration benachbarter Wirbeletagen und schließlich zur Selbstversteifung, weil unser Körper versucht, durch knöcherne Anbauten eine Stabilisierung herbeizuführen. Aber wie kann als operierender Arzt sicher sein, das richtige Bewegungszentrum „erwischt“ zu haben? Dr. Copf: Tatsächlich hinkt die Industrie noch stark hinterher, was Hilfsmittel zur korrekten Implantation angeht. Zwar kann man das Bewegungszentrum anhand von normalen CT-Bildern erahnen, die Umsetzung während des Eingriffs ist jedoch eine andere Sache. In der Galenus Klinik haben wir daher ein Entwicklungslabor eingerichtet, das uns die gleichen Möglichkeiten bietet, wie sie auch großen Medizintechnikherstellern zur Verfügung steht. Mit speziellen bildgebenden Verfahren können wir das Bewegungszentrum exakt berechnen und die Implantation dann mit Hilfe eines von Mit einem speziellen Rahmensystem wird die Prothese so eingebracht, dass das natürliche Bewegungszentrum erhalten bleibt. uns entwickelten Rahmensystems vornehmen. Die Folge ist eine millimetergenaue Platzierung der Prothese, welche die vormalige natürliche Bewegung so genau wie möglich nachbildet. Besonders wichtig ist diese Rekonstruktion übrigens, wenn mehrere Etagen übereinander prothetisch versorgt werden müssen, was nicht die Ausnahme, sondern inzwischen eher die Regel darstellt. Sogar ein Ersatz von drei oder vier Wirbeletagen wird von uns auf diese Art und Weise routinemäßig vorgenommen. Bei Hüft- oder Knieprothesen stellt sich immer wieder die Frage nach der Lebensdauer einer Endoprothese. Wie sieht das bei einer Zwischenwirbelendoprothese aus? Dr. Copf: Durch Abrieb bzw. entzündliche Reaktionen verursachte aseptische Lockerungen, wie man sie bei den großen Gelenken kennt, gibt es bei der Wirbelsäulenprothetik so nicht. Wir gehen daher heute davon aus, dass unsere Patienten mit einer solchen Lösung lebenslang versorgt sind. Herr Dr. Copf, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch!