Wir sind Afrika - Straßenkreuzer

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Wir sind Afrika - Straßenkreuzer
Straßenkreuzer
D a s
S o z i a l m a g a z i n
17. Jahrgang · Ausgabe Juni 2010 www.strassenkreuzer.info
1,70 €
davon 90 Cent für
die/den Verkäufer/in!
Wenn im Leben vieles schief läuft, bleiben häufig Lethargie und
Isolation. Deshalb hat das Sozialwerk der Heilsarmee Nürnberg
seinen Bewohnern ein Freizeit- und Beschäftigungszentrum
eingerichtet. Eine Bibliothek gibt es hier ebenso wie modernste
Fitnessgeräte. – Von wegen bei der Heilsarmee werden nur die
Stimmbänder trainiert …
Die Sozialwerk Nürnberg gGmbH ist eine Facheinrichtung
der Wohnungshilfe mit über 90 Mitarbeiter/innen.
Über 220 bedürftige Menschen wohnen hier und lernen,
wieder eigenständig zu leben.
Mehr Informationen: Tel. 0911 / 28 73-12 01
Internet: www.sozialwerk-nuernberg.de
Sozialwerk
Nürnberg
Mögen sich die Zeiten ändern,
der Auftrag bleibt …
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Muckibude?
Ja. Und Heilsarmee!
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Sie unseren sozialen Beschäftigungsbetrieb!
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Einfahrt Färberstr. 21
Di - Fr: 12 bis 18 Uhr
zwischen Bilder Bingold
Sa: 11 bis 16 Uhr
und Sparkasse
Unser Beschäftigungsbetrieb wird gefördert und unterstützt von der ARGE
und aus dem Bund-Länderprogramm Soziale Stadt mit Mitteln
-des Bayerischen Staatsministeriums für
Wissenschaft, Forschung und Kunst und
-der Städtebauförderung von Bund,
Freistaat Bayern und Stadt Nürnberg
Träger: Lilith e.V., Verein zur Unterstützung von Frauen mit Drogenproblematik
„...scho wieder su a
Kinnergschrei?!“
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26.03.10 10:16
Zwischen kleinen Engeln und
kleinen Biestern liegen oft nur
zwei Wohnungstüren...
Beim Mieterverein gibt‘s kein
Ohropax. Dafür schlichten wir
bei Streitigkeiten zwischen
Mitgliedern.
Wir klären ihre Fragen rund
um ihr Mietverhältnis.
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Deutschen
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Editorial
Inhalt 3
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
sicher kommt Ihnen unser Titelthema irgendwie bekannt vor. Stimmt. „Wir sind Afrika“ klingt wie die Fortsetzung von „Du bist
Deutschland“ – und ist noch treffender als das
Vorbild. Schließlich hat sich die Menschheit in
Afrika aufrecht auf zwei Beine gestellt, bevor
sie losgezogen ist in die Welt. „Lucy“, die vor
ungefähr 3,2 Millionen Jahren starb, gilt als unsere Vorfahrin. Sie
Psst! Gerade hat ein Vortrag
bei der Straßenkreuzer Uni
hatte noch eine flache Stirn, die sicher fürs Kopfballspiel gut geeignet
begonnen.
gewesen wäre, aber schon ein großes Hirn und beide Hände frei.
Über 80 Hörer sind hier ganz
Die wichtigsten Voraussetzungen mithin für unsere menschliche
Entwicklung.
Ohr und später bei der Diskussion mit ihren Fragen und
Ansichten dabei.
Dass ein paar Millionen Jahre später die Europäer verächtlich auf
Das Foto entstand bei der
Afrika geschaut, seine Natur und die Menschen ausgebeutet haben
Heilsarmee, als Prof. Hans
– ist eins der dunklen Kapitel unserer Geschichte. Noch heute gilt
Afrika als rückständig, Hungersnöte und brutale Kriege wie der
Kudlich spannend und kurzweilig über den Sinn von
­Gesetzen referierte.
in Ruanda prägen unser Bild des schwarzen Kontinents. Vielleicht
Wenn Sie auch dabei sein
kann unser aktuelles Magazin daran rütteln – und die Fußball-WM
wollen, dann machen Sie sich
sowieso. Wenn die Stars über den afrikanischen Rasen dribbeln,
raffinierte Spielzüge entwickeln und mit hoher Stirn ins Tor köpfen.
Aber bevor wir zu sehr schwärmen eins noch: „Die Armen sind die
Neger Europas.“ Das hat, vor mehr als 200 Jahren, der französische
Schriftsteller Nicolas-Sébastien de Chamfort gesagt. Stimmt das etwa
noch heute? Viele Menschen in unserem Land sind gezwungen,
für unanständig niedrige Löhne zu arbeiten. Sie leben unter kaum
akzeptablen sozialen Bedingungen. Und sie werden – wie im 18. Jahrhundert die dienstbaren Sklaven – von ihrer Umwelt zwar gesehen,
aber nicht als ebenbürtige Menschen wahrgenommen.
Wenn unsere Verkäufer in die Öffentlichkeit treten und den Straßen-
am besten erst durch einen
Blick in unser Programm
schlau und dann in echt.
Bei Vorträgen zu „Neue Medien“ oder „Ernährung“ z.B. in
Räumen der Stadtmission,
der Caritas oder im Haus
Großweidenmühle. Bildung
für alle gibt es bei der Straßenkreuzer Uni kostenlos und
auf höchst verständlichem
Niveau.
Momentaufnahme
Man muss sich realistische
Ziele stecken
5
Kulturgut
Wir empfehlen im Juni
6
Kolumne
Klaus Schamberger:
Der Neger riecht den Braten
8
Meinungs-Bild
Woran denken Sie beim
Stichwort Schule?
9
Titelthema:
Wir sind Afrika
10
„Rassismus vergiftet das
gesellschaftliche Klima“
Menschenrechts-Experte
Heiner Bielefeldt im
­Gespräch
10
Nicht arm, nur anders
Matto Barfuss ist auch in
­Afrika zu Hause
12
Andere Kinder waren zu
dick…
Pierre Geisensetter hat sich
hochgekämpft
13
„Ich kämpfe mit diesem
Leben“
Helene Bunkini it auf einer
langen Reise nach Hause
14
Viel Wüste, viel Schatten
Bunte und bedenkliche
­Assoziationen
16
Schreibwerkstatt
18
Was uns bewegt
20
Das Interview
Weckt das sichere Leben
die Lust auf Krimis, Frau
­Janousek?
24
Sozialbörse
26
Kopf und Zahl
27
Andere Ansichten
Martina Wember
28
Infos unter www.strassenkreuzer.info oder in der Re-
kreuzer anbieten, dann geht es genau darum: Würde und Respekt
daktion
im Umgang miteinander. Eine Aufgabe, eine Arbeit und ein eigener
Foto: Udo Dreier, www.bayernpress.de
Verdienst helfen dabei ungemein. Hier wie in Afrika.
Ilse Weiß und
Gabi Pfeiffer
Straßenkreuzer Redaktion
29
Straßen der Welt
Obdachlose Kinder in Denver
rechnen mit besseren Noten
Der Straßenkreuzer ist eine Zeitschrift,
die Menschen in sozialer Not hilft, sich
selbst zu helfen. Die Zeitschrift wird von
Wohnungslosen und Armen auf der Straße
verkauft. Vom Verkaufspreis 1,70 Euro
behalten sie 90 Cent.
Bitte kaufen Sie den
Straßenkreuzer nur bei
VerkäuferInnen, die ihren
Ausweis deutlich sichtbar
tragen. Der Straßenkreuzer
wird nicht an der Haustür
verkauft.
Straßenkreuzer e.V.
Glockenhofstraße 45
90478 Nürnberg
Telefon 0911/459 76 36
Fax 0911/431 86 71
post@strassenkreuzer.info
www.strassenkreuzer.info
Kopf und Topf
Das Kreuzer-Rätsel und
­Kochen mit Jochen
30
Impressum
15
Für die Umwelt
Klimaschutz geht nur
gemeinsam. Wir investieren
in umweltgerechte Energieerzeugung, effiziente Kraftwerkstechnik, die Nutzung
erneuerbarer Energien sowie
w w w. f l ad . d e
Wasser- und Gewässerschutz.
Weitere Informationen
unter www.n-ergie.de oder
Telefon 0180 2 111444
(6 Cent pro Anruf aus dem
Festnetz, Mobilfunk höchstens 42 Cent pro Minute)
Momentaufnahme 5
Man muss sich
realistische Ziele
stecken
Wie schön und beruhigend, wenn das Leben in
geordneten Bahnen verläuft. Wenn ein Mensch
Schicksalsschläge und Niederlagen verkraftet;
trotz allem nicht vom rechten Weg abkommt. Alle
schaffen das nicht. Manche geraten auf Abwege,
andere kämpfen darum, wieder einen Fuß auf
ihren lange verlassenen Pfad setzen zu können.
Solche Menschen haben Abstürze und Fehltritte
erlebt, oft auch Gewalt. Hier können sie davon in
ihren eigenen Worten berichten. Ungeschönt, so
wie das Leben in diesem Moment ist
Roland Stubenvoll, 43 Jahre alt, ist gelernter
Krankenpfleger und Fachwirt im Sozial- und
Gesundheitswesen. Von 1996 bis 2004 war er
nach einigen Zwischenstationen Leiter eines
Langzeitwohnheims für psychisch Kranke.
Anstehende konzeptionelle Veränderungen
verbunden mit Sparmaßnahmen wollte er
nicht mittragen und landete so auf der Suche
nach einem neuen Job eher zufällig als Nachfolger von Bruder Martin bei der Straßenambulanz im Hummelsteiner Weg in Nürnberg.
Wie gefällt Ihnen die Arbeit als Leiter der
Straßenambulanz?
Die Arbeit gefällt mir sehr, sie ist abwechslungsreich und spannend. Viele Klienten
sind dankbar, dass es uns gibt. Wir bieten
Sprechstunden in Mudra und Hängematte
an und kooperieren mit anderen Einrichtungen wie der Wärmestube. Außerdem
bekommen wir sehr viel Unterstützung. Im
medizinischen Bereich durch die Stadt, die
Caritas übernimmt unser Defizit und der
Allgemeinarzt Dr. Renner hat in Absprache
mit der kassenärztlichen Vereinigung für uns
einen Arzt angestellt und trägt seine Finanzierung und das Risiko. Die Zusammenarbeit
mit anderen Stellen läuft prima.
Wie verkraften Sie Ihre Arbeit?
Ich wohne außerhalb. Wenn ich Nürnberg
abends verlasse, lasse ich die Arbeit dort zurück, jedenfalls meistens. Ich treibe viel Sport,
um den Kopf freizubekommen; Radfahren,
Schwimmen und Laufen. Sehr wichtig ist
es vor allem, sich in der Arbeit realistische
Ziele zu setzen. Also z. B. zufrieden zu sein,
wenn man einem Langzeitdrogenabhängigen
ein besseres und sichereres Leben mit den
Drogen verschafft und nicht den Anspruch
hat, ihn von den Drogen wegzubekommen.
Das klappt selten und das Frustpotenzial ist
groß. Außerdem, wenn einer von den Drogen loskommt, hat er vielleicht immer noch
keine Wohnung und keinen Job. Obwohl es
natürlich schön ist, wenn jemand wieder
richtig auf die Beine kommt.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ein großer Wunsch geht bald in Erfüllung,
denn die Straßenambulanz zieht um, in das
ehemalige Kloster St. Ludwig. Alle Einrichtungen wie Behandlungsräume und Mittagstisch werden endlich unter einem Dach
sein, wir können dann auch durchgehende
Öffnungszeiten bieten. Das neue Platzangebot wird viel Ärger ersparen. Keiner schüttet
mehr Suppe über den Anderen, weil es so
eng ist, jeder bekommt einen Sitzplatz und
wir werden sogar ein Bad mit Badewanne
haben. Die schönen Räume werden gerade
unserer Klientel sicher gut tun. Je schöner
etwas ist, desto besser passt man auch darauf
auf. Die Kirche zahlt die Sanierung und über
die Caritas können wir das Ganze langfristig
zu einem sozial verträglichen Preis mieten.
Schön wäre es, wieder einen zuverlässigen
Ehrenamtlichen zu finden, der einmal wöchentlich übrige Brote der Bäckerei Beck
einsammelt.
Interview: Beate Bluhm, freie Autorin
Foto: Bogdan Itskovski, freier Fotograf
6 Kulturgut
Theater
Film
Pirouette trifft
­Streetdance
Traumwelten und
Liebesfluchten
Vor 20 Jahren gab es am Nürnberger Opernhaus mal eine tollkühne Idee: Was könnte dabei
herauskommen, wenn die blütenweiße BallettCompagnie des Theaters mit den knallbunten
Streetdance-Artisten von Black Blanc Beur aus
der Pariser Vorstadt gemeinsame Sache machen?
Es war wohl zu kühn, die Proben wurden bald abgebrochen, die Kids aus Frankreich brachten die
Dance-Show um die Geschichte der „Blue Jeans“
auch ohne Tütü-Schnörkel erfolgreich heraus.
Jetzt traut sich wieder jemand ans tanzwütige
Crossover-Abenteuer: „Love hurts...Petrushka“
verbindet an drei Juni-Abenden im Fürther Stadttheater bewegte Welten, die sonst nichts miteinander zu tun haben wollen.
DIE IDEE: Im klassischen Ballett sind die Paarungs-Rollen klar verteilt (er hebt, sie schmachtet), aber bei der Begegnung mit Breakdance und
HipHop könnte sich die edle Pose herausgefordert
fühlen. So denkt Dirk Elwert, der die Konzeption des Tanz-Stücks „Love hurts...Petrushka"
entwarf. Fränkische Theaterfreunde kennen ihn,
er erfand mit Jean Renshaw einst das legendäre
„Tanzwerk Nürnberg“.
DAS STÜCK: Das klassische Ballett „Petruschka“ ist der passende Sammelplatz aller Aktionen
– es hat den Jahrmarkt als Schauplatz und holt
Puppenspieler ins Spektakel um Liebe und Leidenschaft.
STIL UND AKTEURE: Die Choreographen Mario Schröder (klassisch) und Julie Pecquet (Streetdance, Break Dance) führen die Ensembles auf
eine gemeinsame Plattform, wo auf Spitze und
im Turnschuh der ultimative Schrittwechsel gewagt, der Funkenschlag beim Aufeinanderprallen
der ungleichen Künste erwartet wird.
MUSIK: Etablierte Groß-Klassik mit dem Anspruch der Zeitlosigkeit und populärer ClubSound im aktuellen Zeitgeist: Igor Strawinsky
trifft DJ Opposum. Immerhin, in ihrem eigenen
Genre gelten beide als schräge Vögel – das verbindet.
Ein aufregendes Experiment ist mit diesem
„Dancical“-Gastspiel zu besichtigen: Der Beginn
einer neuen „Bewegungs-Art“ oder doch nach
einmaligem Versuch die Rückkehr zur tanzbaren
Trennkost?
„Love hurts…Petrushka“
10., 11. und 12. Juni, 19.30 Uhr
Stadttheater Fürth
Karten von 10 bis 46 Euro unter 0911/974-2400
Dieter Stoll, Kulturjournalist und Kritiker
Nicht erst seit gestern ist Nürnberg eine
gewachsene Filmstadt. Neben den bekannten großen Festivals, die längst Publikumsmagnete sind, passiert jedoch
auch im Untergrund und an der Basis der (Metropol)Region jede Menge in Sachen
Lichtspielkunst. Bestes Beispiel: Das regelmäßige Kurzfilm-Festival „futureShorts“.
30 Länder sind beteiligt, über 100 Städte – sieben davon in Deutschland: Das 2003 in
London gegründete „futureShorts“-Festival gilt als eines der innovativsten und bedeutendsten Kurzfilmlabels weltweit. Nürnberg ist exklusiv dabei in dem erdumspannenden
Cineasten-Netzwerk zwischen Deutschland und Kenia, Frankreich und Bangladesch,
Kolumbien und Afghanistan. Jeden Monat präsentiert die Kult-Kino-Kneipe Casablanca
eine neue Ausgabe.
Beim nächsten „futureShorts“-Termin am 18. Juni heißt das Motto „One World Dreaming“ – mit Beiträgen aus Deutschland, Brasilien, Frankreich, Großbritannien, Singapur,
Kanada und den USA. Es geht um bizarre Traumwelten und das Verwischen der Grenzen
unserer Realität. Da ist zum Beispiel die ironische Erzählung „Teleglobal Dreamin“, bei
der eine philippinische Call-Center-Agentin ihren amerikanischen Kollegen mit auf
einen Ausflug nimmt ..., oder „I’ll Wait For The Next One“, bei dem sich ein Mann vor
der Liebe in eine U-Bahn-Station flüchtet. Außerdem: Ein Musikvideo über die englische
Musikerin Kate Bush, sieben kurze Liebesgeschichten mitten aus dem pulsierenden Leben
(„Snapshots“) und ein Spielzeug-LKW, der eine Kettenreaktion auslöst.
futureShorts, 18. Juni, ab 21 Uhr, Casablanca, Brosamerstr. 12, Nürnberg, Eintritt ??
www.casablanca-nuernberg.de
Stefan Gnad, freier Journalist
Frei!
Eine große
­Nachtmusik
Die Lorenzkirche mit ihrer gotischen Architektur und ihren
Kunstwerten ist ja an sich schon ein
Erlebnis. Wer sich einer Führung
anschließt und die Geschichte der
einzelnen Werke erklärt bekommt,
begreift spätestens dann, was für
ein Kulturdenkmal mitten in Nürnberg steht. Wirklich „göttlich“ wird
es, wenn man die Akustik dieses
Bauwerks genießen darf. Eine einzigartige Gelegenheit dazu bietet der
Lorenzer Klangmarathon unter dem
Titel: „Himmel und Erde...“
Vertraute und ungewöhnliche
Klänge und Texte im Kirchenraum
versprechen der Windsbacher Knabenchor (Leitung Karl-Friedrich
Beringer), das Vokalensemble St.
Lorenz (Leitung Matthias Ank),
Stefan Hippe am Akkordeon, das
Schlagzeugensemble der Musikhochschule Nürnberg (Leitung Hermann Schwander), sowie Karsten
Leykam und Matthias Ank an allen
drei Orgeln
Freitag, 18.06. von 20 Uhr bis
­Mitternacht, ­Lorenzkirche Nürnberg,
Eintritt frei
www.kirchenmusik-st-lorenz.de
Heiko Lenthe, Straßenkreuzer-Mitarbeiter
Musical
Abtauchen zu den Beatles
Die Beatles zählen zu den erfolgreichsten Bands
des 20. Jahrhunderts und es gibt wohl wenige Klassenfahrten und Zeltlager, bei denen Klassiker wie
„Yesterday“ oder „Let it be“ nicht am Lagerfeuer geklampft und gesungen werden.
Dass es bei den Beatles aber auch noch ganz andere
Seiten zu entdecken gibt, zeigt die Musicalproduktion „Imagine“ des Faches Musikpädagogik der Uni
Erlangen-Nürnberg. Dort bringen die Lehramtsstudenten ein eigens dafür geschriebenes Stück auf die
Bühne, das sich an den psychedelisch-skurrilen Zeichentrickfilm „Yellow Submarine“ aus dem Jahr 1968
anlehnt. Mit einem videoanimierten Bühnenbild, auf
dem ein gelbes U-Boot hin und her flitzt, knallbunten
Kostümen und übergroßen Requisiten schafft es die
Inszenierung, den subversiven und teils absurden
Humor der Vorlage auf die Bühne zu transportieren.
Dazwischen gibt es eine lange Liste bekannter, aber
auch unbekannterer Beatles Songs, die aufgrund ihres
experimentellen Charakters die Vorreiterrolle der
Pilzköpfe für die Rock- und Popmusik eindrucksvoll
unterstreichen.
Ein Muss nicht nur für Beatles-Fans. Auch Anhänger
des Zeitgeistes der 60er und 70er Jahre kommen voll
auf ihre Kosten. Was für ein schönes, buntes, abgedrehtes und entrücktes Pop-Spektakel!
„Imagine“
2., 3., 4., 5., 10., 11., 12. Juni,
Aula der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät,
Regensburger Str. 160, Nürnberg
Karten von 12 bis 20 Euro an allen bekannten
­Vorverkaufsstellen
Matthias Stubenvoll, Chorleiter und Dozent an der Uni
Erlangen-Nürnberg
Kulturgut 7
Buch
Konzert
Jung sein
Vergessene
­Prilblumen-Kinder
Feiner Folk Open Air
Mit Schweinen
­feiern
Der Romantitel „Nebenan ein Mädchen“
klingt schier gelangweilt. Auch Kapitelüberschriften wie „Schlafenszeit“ oder „Frieda
geht einkaufen“ lassen nichts Aufregendes
vermuten. Dabei geschieht Ungeheuerliches
in Stefan Kiesbyes Debütroman, der irgendwie ein Krimi ist.
Moritz, der Ich-Erzähler, ist etwa elf Jahre
alt. Er gehört zu den Dachsen, deren Feinde die Füchse sind. Dachse und Füchse
wachsen in den 70ern in einem norddeutschen Industriekaff auf. Ihre Väter arbeiten
in der Süßwarenfabrik, im Schlachthof, in
der Gummifabrik. Und würde Moritz nicht
Prilblumen und Bay City Rollers-Poster
beschreiben: Man könnte seine Geschichte
glatt Jahrzehnte vorverlegen. So archaisch
ist hier die Welt, so allgegenwärtig sind hier
die Traumata des Krieges.
In kurzen, manchmal nur halbseitigen Kapiteln reiht sich ein Erlebnissplitter an den
nächsten. Moritz erzählt vom Bandenleben
im Wald, von der Schule, vom ersten Sex mit
der Schwester, von den Sauna-Orgien der Eltern, vom Foltern und gefoltert werden, von
einem vergessenen Bunker und einem vergessenen Mädchen, von der ersten, falschen
Liebe und vom letzten, fürchterlichen Kampf
mit den Füchsen, auf den alles zuläuft.
Der Leser lässt sich auf einen Pubertierenden ein, dem er sozusagen alles aus der Nase
ziehen muss: Raus kommt nur das Allernötigste. Vieles bleibt unerklärt, unhinterfragt.
Und die über allem wabernde Mixtur aus
pervertierter Sexualität, Gewalt und Gefühllosigkeit erscheint umso bedrohlicher (und
spannender!) je lakonischer, knapper und
unbeteiligter Moritz davon berichtet. Dass
ihn weder diese unerbittliche Erzählhaltung
noch das Verbrechen, das er am Ende begeht, zum zynischen Monster machen, ist
das Kunstfertige – und Erschreckende – an
diesem Roman.
Stefan Kiesbye, Nebenan ein Mädchen,
Seeling Verlag, 10,80 Euro (Gerade ist das
Buch auch bei Heyne erschienen. Für 3 Euro
weniger. Doch vielleicht – wenn Sie es sich
leisten können – kaufen Sie ja trotzdem die
Ausgabe des kleinen Seeling Verlags, der den
Roman für Deutschland entdeckt hat)
Gabi Blossey, Texterin
In Nürnberg ist Dan Reeder aufgrund seiner skurril-witzigen Kunst kein Unbekannter. Eine selbst aufgenommene
CD, die er 2003 an sein Idol John Prine gesandt hat und
dessen Begeisterung dafür, haben ihm einen Plattenvertrag
beschert. Mit seiner unverkennbaren Stimme und auf zum
Teil selbstgebauten Instrumenten singt und spielt er sich
in die Herzen seiner Zuhörer. Aktuell wurde seine dritte
CD veröffentlicht, die ihm internationale Beachtung einbringt. Der Komponist und Dichter feiner Country- und
Folkstücke füllt in Amerika Säle. In der Region ist der
Ausnahmekünstler aber selten zu erleben. Umso schöner:
Dan Reeder eröffnet das Sommerfestival des St. Katharina
Open Air 2010. Das passt. Hier kann man unter offenem
Himmel lauschen. Etwas Besonderes sind die mehrstimmigen Stücke, die die Wärme der Gospelmusik in sich
tragen. Begleitet wird Dan Reeder von Jasmin Dazert (Gesang, Gitarre, Bass) und Stephan Golser (Gitarre).
Dan Reeder
Freitag, 18. Juni, 20 Uhr, Katharinenruine, Nürnberg,
Eintritt: 15 Euro
Artur Engler, Straßenkreuzer CD-Macher
Die Jugendfarm Erlangen ist ein Abenteuerspielplatz mit Tieren, betreut von
pädagogischen Fachleuten. Ziegen und
­Kaninchen, Enten, Meerschweinchen,
­Pferde, Ponys, Katzen und Schweine leben auf dem großen Gelände
im Meilwald. Kinder ab sechs Jahren
sind willkommen. Besonders beliebt
sind die Geburtstags­angebote, die das
Team anbietet. Mit Lagerfeuer, basteln,
Schatzsuche, Ziegen spazieren führen,
Ponys striegeln – und die neugierigen
Schweine feiern auch mit.
Jugendfarm e.V., ­Spardorfer Str. 82,
Erlangen, Tel. 09131/21 365
www.jugendfarm-er.de
Kindergeburtstage ab 40 bis ca.
80 Euro
Ilse Weiß, Straßenkreuzer Redaktion
Ausstellung
Glaubensfragen
unter ­Oberlichtern
Da dachte man, der Kunstverein Kohlenhof
möchte sich kurz vor seinem 25sten Geburtstag in Luft auflösen. Der Ausstellungsraum
im Kunst- und Galeriehaus Defet war verwaist, die Vögel ausgeflogen. Und nun das:
Gleich neben dem Germanischen Nationalmuseum hat der Verein einen neuen Raum
bezogen. Klein, aber lässig und großstädtisch,
mit schönen Oberlichtern (früher war hier
ein Nähraum) und neuem Enthusiasmus. Bis
19.6. stellt hier die Münchner Künstlerin Annegret Bleisteiner aus. Eine große Installation, Videos und Zeichnungen sind zu sehen,
studiert hat sie seinerzeit Malerei bei Reuter
und Knaupp in Nürnberg, später bei Trockel
und Klapheck in Düsseldorf.
Egal, zu welchem Werkzeug sie greift: Immer
wieder schichtet sie Ebenen übereinander, mehrere Bewusstseinsstadien
existieren nebeneinander in einer zeitlosen Gleichzeitigkeit. Träum ich
oder wach ich? Ist das, was ich sehe, wirklich das, was ich glaube zu sehen?
Bei Annegret Bleisteiner darf man sich nie sicher sein – beim Kunstverein
Kohlenhof dagegen schon.
Annegret Bleisteiner: Duale Reise.
Ausstellung bis 19.Juni im Kunstverein Kohlenhof, ­Grasersgasse 15,
Nürnberg, Do, Fr, Sa 14-20 Uhr, www.kunstvereinkohlenhof.de
Wolfgang Gillitzer, Straßenkreuzer-Grafiker
8 Kolumne
Klaus Schamberger
Der Neger
riecht den Braten
leben 70 Prozent aller Neger von der nicht immer vorhandenen
Hand in den Mund, umgerechnet von ungefähr 75 Cent täglich.
So kostengünstig und billig kann man in Afrika verhungern.
Alle fünf Sekunden stirbt dort ein Kind unter zehn Jahren an
den Folgen von Hunger – kehrt also weit vor der Zeit heim in
das von der auch sonst sehr hilfreichen Kirche verheißene Himmelreich. Auch das wieder ein Verdienst von uns aus Europa.
Und jetzt haben wir ihnen praktisch auch noch die allergrößte
Gnade widerfahren lassen: Sie dürfen die Fußballweltmeisterschaft veranstalten und erhalten endlich die in Afrika so dringend notwendigen Gebäude wie etwa Fußball-Stadien, VIPLogen, Presse-Zentren. Hoffentlich geht der südafrikanische
Neger dann auch hin zur Fußball-Weltmeisterschaft. Nicht dass
er wieder den ganzen Tag daheim in seiner Pappdeckel-Villa
rumschnackselt und sich in keiner Weise dafür interessiert,
wie viel ein Michael Ballack im Schweiße seiner Füße verdient.
Nämlich eine Jahres-Gage, von der der Neger von nun an bis
in alle Ewigkeit leben könnte. Was aber keinen Sinn hat, weil
er durchschnittlich nur 45 Jahre lang lebt. Falls man von einem
Leben sprechen kann.
Abschließend möchten wir noch einmal bekräftigen, wie eingangs erwähnt, dass der Neger riecht. Und zwar riecht er jetzt
langsam den Braten, den wir uns seit 400 Jahren täglich auf
seine Kosten in die Röhre schieben.
Was dann kommt und warum es kommt, das kann man in dem
Buch von Jean Ziegler (ehemaliger Professor der Universität
Genf, unter anderem ausgezeichnet mit dem Internationalen
Litertaturpreis für Menschenrechte, seit 2008 Mitglied des
UNO-Menschenrechtsrats) „Der Hass auf den Westen – wie
sich die armen Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg
wehren“ nachlesen. Es ist nicht lustig, aber bedenkenswert,
und kostet 19,95 Euro – also einen Betrag, den sich die Fürstin
Gloria von Thurn und Taxis halt einmal von ihrem wortreichen
Mund absparen müsste. Vom Schnackseln steht in dem Buch
(C. Bertelsmann, 288 Seiten) allerdings nix drin.
Klaus Schamberger, Tageszeitungs- und Rundfunk-Journalist, Autor, lange
Jahre u.a. als „Spezi“ unterwegs.
Die Kolumne im Straßenkreuzer wird abwechselnd von vier Autoren
geschrieben. Auf Klaus Schamberger folgen nächste Ausgabe Manfred
Schwab, danach Gisela Lipsky und Matthias Kröner.
Cartoon: Gerd Bauer
Afrika ist uns sehr gut bekannt. Jeder Depp und jede
Deppin weiß, dass zum Beispiel der Bewohner von
Afrika, der Neger, dass der riecht, am liebsten nix
ärwert und, wie eine Durchlaucht aus dem oberpfälzischen
Höchstadel, im Rang einer Faschingsprinzessin, schon einmal
beliebt hat anzumerken, er schnackselt viel zu viel. Weswegen
er von Gott persönlich momentan mit Aids bestraft wird. So
lange, bis er endlich auf die Ermahnungen unserer größten
moralischen Instanzen, katholische Kirche und die erwähnte
Faschingsprinzessin, horcht und mit dem Schnackseln aufhört.
Viele Humanisten bei uns haben sich aber trotz aller dort vorkommenden Todsünden dieses Kontinentes schon immer mit
großer Sorgfalt und Liebe angenommen und tun es heute noch.
Dabei nehmen wir große Strapazen auf uns. Im Schweiße unseres Angesichts machen wir in Afrika Urlaub, lassen uns also
dort nach oft bis zu fünfstündigen entbehrungsreichen Flügen
in armseligen, lediglich sechssternigen Unterkünften nieder,
um dann hinter hohen Mauern und zahlreichen SecurityWächtern bei Hummer, Langusten, Froschschenkeln, Loup
de Mer und anderem furchtbaren Ungeziefer zwei Wochen
lang zu darben. Und noch dazu kostet es ein Saugeld. Jemand
hat neulich ausgerechnet, dass ein Neger mit seiner rachgierig
zusammengeschnackselten Familie von dem Geld für zwei
Wochen Urlaub in einer Club-Anlage in Kenia fünf Jahre lang
leben könnte. So lieb und teuer is uns Afrika! Der Neger hat es
da leicht. Er braucht nur einmal keinen Club-Urlaub in Kenia
machen – schon hat er wieder für fünf Jahre ausgesorgt.
Oder noch ein Beispiel, wie wir uns um Afrika oft schwerwiegende Gedanken machen: Da hat einmal ein uns bekannter Nürnberger Pausenkaschber in Addis Abeba, welches die
Hauptstadt von Äthiopien ist, an der Bar des Addis Abebischen
Hilton Hotels einige Cognac praktisch als Medizin, als Antiidioticum, eingenommen, um den Anblick der außerhalb
des Hotels herumlungernden, oft sehr nachlässig gekleideten
Addis Abeber, auch weitgehend alles Neger, besser ertragen zu
können. Der Barkeeper hat ihm dann vorgerechnet, dass ein
durchschnittlicher Äthiopier vom Gegenwert dieser drei Cognac ein Jahr lang mit Essen, Trinken, Wohnen, Kleidung sehr
gut zurecht kommt. So schön hat es der Neger, drei Cognac,
und schon lebt er ein Jahr in Saus und Braus.
Oder wenden wir uns früheren Zeiten zu, dem glorreichen
Zeitalter der Entdeckungen, in welchem das Fundament für
den unermesslichen Reichtum Afrikas für immer betoniert
worden ist. Wer war es denn, der dort Gold und Diamanten
und vor allem für den Sklavenhandel sehr gut geeignete Negerkinder, Frauen und Männer entdeckt hat? Wir, die Europäer. Oder später auch die ja ebenfalls aus Europa stammenden
Amerikaner. Diese haben zunächst Amerika vom Indianer
befreit, die USA gegründet und dann erst Zeit gehabt, auch
Afrika zu befreien – nämlich von der Bürde seiner lästigen
Bodenvorkommen wie Erdöl, Kupfer, Uran, Platin, Kobalt,
Titan und so weiter. Naturgemäß befinden sich 70 Prozent der
afrikanischen Erdölvorkommen in der sanftmütigen Hand von
Benefiz-Unternehmen wie Shell, Exxon, BP, Total oder Texaco.
Dafür verfügt aber der von seinen Bodenschätzen vollkommen
befreite afrikanische Neger ebenfalls über 70 Prozent. Und zwar
D
Meinungs-Bild 9
Woran denken Sie beim Stichwort Schule?
Uta Spitzbarth, Supervisorin und Sozialarbeiterin
Carmen Lau, Schneiderin
Ralf Gaberle, Schreiner
Carlo Schnabel, Verkäufersprecher Straßenkreuzer
Eduard Stoica, Kunstmaler
Irmi Kurz, Lebenskünstlerin
Umfrage: Ilse Weiß · Fotos: Gerd Grimm
10 Wir sind Afrika
„Rassismus vergiftet
das gesellschaftliche Klima“
Oft genügt eine dunkle Hautfarbe, um diskriminiert oder angefeindet zu werden. Wo Rassismus anfängt, wie er befördert wird und warum er unsere demokratischen Grundsätze des Zusammenlebens gefährdet, weiß Professor Heiner
Bielefeldt. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Uni Erlangen-Nürnberg
Straßenkreuzer: Herr Professor
Wer es dann schafft, hereinzukommen und einen Asylantrag zu
Bielefeldt, beim Fußball richten
stellen, landet in einer Gemeinschaftsunterkunft. Wie ist das zu
sich Beschimpfungen und Ras-
bewerten?
sismus meist gegen dunkelhäu-
Es gibt eine schikanöse Praxis, die von Deutschland entscheidend
mit geprägt wurde und in Europa Schule gemacht hat. Viele schaffen
es gar nicht, ins Land zu kommen, weil Deutschland sich mit einem
Gürtel sogenannter sicherer Drittstaaten umgeben hat. Da wird nicht
mehr gefragt: „Was hast du erlebt oder erlitten?“, sondern nur: „Wo
kommst du her?“ Und wenn Zweifel bleiben, bedeutet das schon
Ablehnung und Illegalität oder allenfalls Duldung. Das ist eines
Rechtsstaats nicht würdig.
tige, afrikanische Spieler. Ist das
symptomatisch?
Innerhalb der
verschiedenen Formen von Rassismus in der Gesellschaft hat die
Form, die sich an der Hautfarbe
festmacht, eine ganz besondere
Brisanz. Die Betroffenen gehören
zu den so genannten sichtbaren
Minderheiten. Viele von ihnen
empfinden auch dies als besondere Diskriminierung.
Heiner Bielefeldt:
Sind dunkelhäutige Menschen tatsächlich von Rassismus besonders betroffen?
Es gibt unterschiedliche Formen des Rassismus. Der Antisemitismus
beispielsweise ist ja nicht an der Hautfarbe orientiert. Gemeinsam
ist aber allen Formen, dass man Menschen entpersonalisiert, einfach
einer Gruppe zuschlägt, und diese Gruppe abwertet. Noch bevor
Betroffene etwas sagen, glaubt man schon zu wissen, dass sie alle
lügen oder betrügen. Ob diese Gruppe sich durch ihre Hautfarbe
unterscheidet oder nach anderen biologischen, pseudobiologischen,
kulturellem oder religiösen Merkmalen definiert wird, ist sekundär.
Prägt auch das Bild des Schwarzen als „Scheinasylant“ unsre
Wahrnehmung?
Das spielt ganz bestimmt eine Rolle. Das war vor allem so, bevor in
den 90er Jahren eine Verfassungsreform das Grundrecht auf Asyl
weitgehend entleert hat. Damals haben sich Begriffe wie „Scheinasylant“ oder „das Boot ist voll“ eingeschlichen. Das wurde stark auf eine
bestimmte Gruppe von Menschen zugeschnitten. Bootsflüchtlinge
aus asiatischen Ländern hatten einen besseren Status als solche aus
Afrika. Das dürfte auch heute noch so sein...
...und setzt sich fort in der Abschottungspraxis der EU.
Ja. Die steht im Widerspruch zum Selbstverständnis der EU als Raum
der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts. Zum Recht gehört ein
Mindestelement des Asyls, nämlich, dass niemand einfach an der
Grenze abgefangen und wieder zurückgeschickt wird in Länder, wo
ihm Schreckliches widerfahren ist. Dieses Recht gilt nach der Genfer Flüchtlingskonvention und nach der europäischen Menschenrechtskonvention als verbindlich, und trotzdem wird es nicht nur
missachtet, sondern systematisch ad absurdum geführt, etwa durch
die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Das ist nicht nur inhuman,
sondern auch rechtswidrig.
Kann es sein, dass wir Afrikanern schon deswegen mit Vorbehalten begegnen, weil uns der Kontinent so fremd ist?
Ja, Afrika wird von Europäern als etwas ganz Fremdes und Exotisches wahrgenommen: Als Kontinent, in dem Katastrophen, auch
humanitäre Katastrophen, als selbstverständlich gelten und Kriege
einfach ausbrechen wie Seuchen. Es müssen schon hohe Opferzahlen
erreicht werden, ehe man das in Deutschland und Europa überhaupt
zur Kenntnis nimmt. Afrika ist in der Tat ein Nachbarkontinent, der
uns unendlich weit entfernt vorkommt.
Wo beginnt Rassismus? Fällt schon darunter, wenn Afrikaner von
der Polizei auffällig oft kontrolliert werden oder wenn man sie bei
Behörden duzt?
Man sollte den Begriff Rassismus schon einigermaßen behutsam und
nicht allzu inflationär einsetzen. Nicht jeder unfreundliche Akt ist
Rassismus. Anders ist es, wenn der begründete Eindruck entsteht,
dass hinter dem Verhalten eine Mentalität steckt, eine Struktur von
Ausgrenzung und Abwertung. Wenn also ein Beamter kaum einen
duzt, Afrikaner aber schon, dann steckt schon eine rassistische Mentalität dahinter. Oder wenn bei Razzien nur Dunkelhäutige herausgegriffen werden, ohne dass es dafür einen besonderen Grund gibt.
Sind solche Verhaltensweisen in der Gesellschaft weit verbreitet?
Es gibt erstaunlich wenige Erkenntnisse darüber, wie es um den
versteckten Rassismus in Deutschland bestellt ist. Wir kennen aber
Tests etwa der Art, dass sich jemand um eine Wohnung oder eine
Job bemüht, einmal mit einem deutschen Namen, dann mit den
gleichen Unterlagen mit einem afrikanisch klingenden Namen. Die
Bewerbungschancen sinken rapide. Erst recht, wenn ein Foto beiliegt.
Da kann man Rassismus zum Teil nachweisen.
Wie sollen Betroffene darauf reagieren?
Zunächst einmal ist es gut, dass sie die Möglichkeit haben, sich zu
beschweren. Es ist wichtig, dass man sich gegen massive Formen
von Diskriminierung wehren kann. Wir haben zum Beispiel das
allgemeine Gleichstellungsgesetz, das auch eine gewisse Präventivwirkung entfaltet. Juristische Schritte müssen aber das letzte Mittel
Wir sind Afrika 11
Ein Flüchtling hilft einem
­anderen nach der Ankunft in
einem spanischen Hafen.
sein, denn wir wollen keine Gesellschaft, in der man ständig zum
Rechtsanwalt rennt.
Welche Möglichkeiten gibt es sonst noch?
Wichtig ist, dass man sich zusammenschließt, aber nicht nur unter den Betroffenen. Wir brauchen ein gesellschaftliches Klima der
Solidarität, vor allem dort, wo rassistische Straftaten begangen und
gar Schwarze durch die Straßen gejagt werden. Da braucht es offene
Türen, also Bürger, die sagen, bei uns kann jemand Zuflucht finden.
So etwas verändert auch das Klima in einer Stadt. Rassismus ist ja
nicht nur Sache der Betroffenen, sondern geht uns alle an. Rassismus vergiftet das gesellschaftliche Klima. Er ist die brutale direkte
Verneinung dessen, was im Grundgesetz ganz oben steht, nämlich
die Würde des Menschen.
Was kann man tun, um das Klima zu verbessern?
Ganz wichtig ist, das Thema in die Agenda der Schulen aufzunehmen,
nicht nur in die Lehrpläne, sondern als Teil der schulischen Praxis.
Darüber hinaus brauchen wir zivilgesellschaftliche Organisationen.
No-Go-Areas darf es einfach nicht geben. Wir müssen über zynische
Vorurteile wie „Scheinasylant“ aufklären. Wer unter extremen Risiken seine Heimat verlässt in der Hoffnung, bessere Lebenschancen zu
erhalten, aber kein Asyl bekommt, ist nicht automatisch ein Betrüger.
Bringt es denn etwas, wenn man beispielsweise den Begriff Negerkuss nicht mehr verwendet?
Das würde ich nicht übertreiben. Man muss das Selbstverständnis
Betroffener ernst nehmen, aber es geht in erster Linie nicht um Sprache oder Sprachregelung.
Könnte die Fußball-Weltmeisterschaft helfen, Afrika und seine
Bewohner besser zu verstehen?
Die WM wird unser negatives Afrikabild doch etwas ändern. Für
die Afrikaner, nicht nur für die Südafrikaner, ist die WM eine Herzensangelegenheit. Hier können sie sich als Gastgeber präsentieren,
die stolz sind auf ihr Land, in dem Aufbruchstimmung herrscht. Sie
könnten die Wahrnehmung dafür schärfen, dass Afrika kein Kontinent ist, den man einfach abschreiben kann und den man vor allem
mit Aids, Katastrophen oder Massenmorden in Verbindung bringt.
Wer soll gewinnen?
Ich bin so wenig kompetent, dass ich nicht einmal weiß, wer noch
im Rennen ist. Aber ich fände es toll, wenn es ein afrikanisches
Land wäre.
Interview: Sharon Chaffin, Redakteurin bei der Nürnberger Zeitung
Herbert Fuehr, Redakteur bei den Nürnberger Nachrichten
Foto links: Bernd Böhner, Fotograf bei den Erlanger Nachrichten
Foto rechts: Reuters/Francisco Bonilla, Spanien
12 Wir sind Afrika
Nicht arm, nur anders
Matto Barfuss, der Gepardenmann, hat Afrika zur zweiten Heimat gemacht
frika, das ist für ihn eine Reise zu den Wurzeln der Menschheit. Und wenn Matto H. Barfuss zurückkommt nach
Deutschland, fühlt er sich immer häufiger eingeschnürt
von all den Regularien und dem risiko-minimierten Leben hier. „Im
Busch ist es so: Wenn ich einen Fehler mache, bin ich dran.“ Mitte
April ist er zu seiner 53. Expedition aufgebrochen, die zehn Wochen
dauern soll. Wieder eine, bei der jede Entscheidung zählt.
Sein Landcruiser ist schon geflutet worden und am Lagerfeuer eine
hochgiftige „Boomslang“ unter seinem Stuhl durchgekrochen, auch
die Bürgerkriegsgebiete in Ostkongo und Ruanda hat er bereist. Toi
toi toi, nichts passiert. Was lockt den 40-Jährigen, der lange Zeit in
Herrieden bei Ansbach gelebt hat und der nun in Rheinau an der
französischen Grenze zu Hause ist, seit 15 Jahren immer wieder
nach Afrika? Ein Kindheitstraum. Er wollte die Tiere, die er im Zoo
besucht hatte, einmal in freier Natur sehen.
A
Afrikas Kindern die Natur erklären
Inzwischen hat er mit einem Rudel Geparden gelebt, er hat Berggorillas im Kongo porträtiert und – nach einer Reise durch Tansania,
Sambia und Namibia – vor kurzem sein Buch „Mit den Löwen durch
Afrika“ herausgebracht. Seine Ölgemälde, Fotografien und Filme
begeistern Naturfreunde hierzulande, für Afrika hat er ein Schulbuch
gemacht. Weil die Kinder (und ihre Eltern) ihre wilden Tiere nicht
mehr kennen und aus Angst vor ihnen nach der Regenzeit große
Flächen abbrennen. Ein schädlicher Eingriff in eine gefährdete Natur.
Besser wäre es, schreibt Barfuss in „Löwe & Co“, sich richtig zu verhalten und friedlich mit den Tieren zu leben. „Macht es nicht wie wir
mit Wolf, Luchs und Bär“, plädiert der Deutsche für den Artenschutz.
Sechs Monate pro Jahr ist er in Afrika unterwegs. Auch in abgelegenen Gegenden, wo er manchmal der einzige Weiße unter Schwarzen
ist und Kinder bei seinem Anblick zu weinen beginnen. „Das ist
spannend und manchmal ein bisschen nervig. Die beste Methode,
um das Eis zu brechen, sind eine freundliche Miene und ein Scherz.“
Wie überall auf der Welt.
Ob seine Liebe zu Afrika ein Leben lang hält? Matto Barfuss kann es
sich nicht anders vorstellen. „Afrika hat es verdient, dass wir uns damit beschäftigen“, sagt er. Mit den Ländern, mit den Leuten. Gleichzeitig ist der Künstler überzeugt, dass Afrika nur „funktioniert“, wenn
man sich ganz darauf einlässt. Sich als Europäer auf den anderen
Rhythmus einstellt, als Mensch mit der Natur zu leben lernt und
akzeptiert: „Afrika ist nicht arm, es ist nur anders.“
Text: Gabi Pfeiffer; Foto: Matto Barfuss
www.matto-barfuss.de
Wir sind Afrika 13
m Juli 1972 wurde Pierre unehelich geboren — seine Mutter
schuftete damals in Thüringen am Fließband einer Por­
zellanfabrik. Seinen Vater, er besuchte Ostdeutschland
nur wenige Wochen für eine berufliche Weiterbildung, lernte er nie
kennen. Dessen Heimatland, das westafrikanische Mali, hat er bis
heute nicht besucht. Groll, das betont er, hegt er nicht. „Ich spüre
das einfach nicht, diese Lust, nach meinen afrikanischen Wurzeln zu
suchen. Ich denke und fühle sehr deutsch“, sagt er und zeigt das breite
Lächeln, mit dem er seit Jahren die Programm-Chefs überzeugt und
sich bei verschiedenen Fernsehsendern begehrte Moderatoren-Jobs
in den Sendungen „Herzblatt“ und „Leute heute“ angelte.
Pierre ist mutig und selbstbewusst, manchmal wurde er als Kind
wegen seiner Hautfarbe geneckt, wohl verletzende Erfahrungen,
aber für diskriminierend oder rassistisch hielt er auch die Sprüche
der anderen Kinder früher nicht. „Andere Kinder waren zu dick,
manche zu langsam – jeder hatte einen Punkt, auf den die anderen
einhackten.“
Pierre ist sportlich und muskulös, eine seiner Eigenschaften, die
verhinderte, dass er zum Außenseiter wurde. „Ich wurde vielleicht
manchmal wegen meiner Hautfarbe geärgert – aber ich war immer der, der wählen durfte“, stellt Pierre fest und kleidet so in ein
anschauliches Bild, wie Außenseiter-Karrieren in der Schule meist
entstehen. Jungen und Mädchen, zu ungelenk, zu unbeweglich, zu
schwach für Sport und Spiele. Kinder, die als letzte übrig bleiben,
wenn Sportmannschaften gewählt werden.
I
Mit Bomberjacke und Springerstiefeln
Schockiert war er erst später, als seine Freunde aus der Kindheit auf
einmal in Bomberjacken und Springerstiefel schlüpften. Eine „Orientierungsphase“, wenn auch bescheuert, ein „Modetrend“, urteilt er heute. Er erinnert sich noch recht gut,
wie alle plötzlich die deutschen Rocker „Böhse Onkelz“
und deren rassistische Texte hörten.
Doch für ihn begann eine neue Zeit. 1991 legte er das
Abitur ab, zog in ein internationales Studentenwohnheim nach Erlangen, lebte Tür an Tür mit Indern und
Afghanen – „eine tolle Zeit, ich fühlte mich überhaupt
nicht mehr anders“. Sein Geld kellnerte er sich, wie viele
Studenten, zusammen, er heuerte als Fitness-Trainer
an. Doch die Rechtswissenschaften waren ihm zu trocken, er bemühte sich um ein Praktikum beim Radiosender N1, das Studium schmiss er erst hin, als er beim
Radio bleiben durfte.
Fünf Jahre war seine samtige Stimme unter anderem in der MorningShow zu hören, am Wochenende büffelte er für einen Abschluss als
Werbefachwirt. Bis er sich „auf gut Glück“ beim Bayerischen Rundfunk bewarb und vom Fernsehen entdeckt wurde. „Ich habe heute
tolle Kollegen, einen schönen Beruf – meine Güte, mein Großvater
stand am Hochofen! Wo hat man das schon, dass man in der Arbeit
jeden Tag lacht und Spaß hat?“
Undercover-Recherchen, wie Günter Wallraffs Tour durch Deutschland sind seine Sache nicht. „Was erwartet der Mann, wenn er sich
in irgendeinem Fußballstadion mit schwarz gefärbtem Gesicht in
irgendeinen Fanblock setzt? Eine intelligente Diskussion? Bestimmt
nicht.“
Geisensetters Weg ist ein anderer. Statt Aufdeckern und dem Medienpranger wünscht er sich Mitmenschen, die aufstehen und ihre Stimme erheben – im Alltag, ohne großes Aufsehen. All den rassistischen
Feindseligkeiten entgegentreten, ob im Fußballstadion oder in einer
Behörde. Geisensetter ist ein Teamspieler, kein Einzelkämpfer. Und
das wünscht er sich auch für die Gesellschaft. „Bei einem FußballSpiel schwenken alle ihre Flaggen – aber in der Politik?“ Er erinnert
an die Fußball- WM, das deutsche Sommermärchen. Was für eine
Erfahrung musste das für die angereisten Fans aus Mexiko, dem Iran
oder den USA sein? Deutschland voller Sonnenschein und Humor,
Leidenschaft an jeder Straßenecke. Für ihn aber auch der Beweis,
dass dieses Land lebenswert ist. Mehr Toleranz hat Geisensetter
– „und ich bin um die halbe Welt gereist“ – jedenfalls nirgendwo
anders gefunden. Er wünscht sich nur eines: „Diese Euphorie, diesen
Enthusiasmus – wäre doch toll, wenn wir in Deutschland auch in
anderen Fragen so zusammenhielten.“
Text: Ulrike Löw, Gerichtsreporterin bei den Nürnberger Nachrichten; Foto: privat
Andere Kinder
waren zu dick …
Pierre Geisensetter wurde als uneheliches Kind geboren, seine Mutter stand am Fließband,
der Opa am Hochofen. Er kommt von unten und ist heute als Moderator den HollywoodStars ganz nahe. Ein Gespräch über Sport, Günter Wallraff und das tolerante Deutschland
14 Wir sind Afrika
„Ich kämpfe mit
Helene Bunkini musste mit ihrer
Familie aus dem Kongo fliehen.
Ihre Kinder sind in Nürnberg
daheim, doch die ehemalige
Chefsekretärin erlebt die Gegenwart wie eine Zwischenstation
auf einer langen Reise nach Hause
m Anfang“, sagt Helene, „habe ich immer geweint. Oh Gott,
das war so schwer!“ Inzwischen sind es vierzehn Jahre,
dass sie in der Stadt lebt, die sie „Njumberg“ nennt. Einen
fast zärtlichen Klang hat das. Die Noris ist für Helene Bunkini der
Endpunkt einer langen und mehr als beschwerlichen Reise. Wenn
sie Besucher in ihrer Wohnung in einem neugotischen Bürgerhaus
empfängt, führt sie sie zu einem typisch deutschen Ecksofa vor einer
Stehlampe. Souvenirs aus ihrer Heimat, wie sie so viele Afrikaner an
den Wänden haben, sucht man hier vergebens. Ihre Tochter Sarah,
in Franken geboren, erklärt ein bisschen süffisant: „Meine Mutter
hat sowas nicht, sie ist eine moderne Frau.“ Wenn diese moderne
Frau auf dem Sofa sitzt und ihre Geschichte erzählt, lacht sie immer
wieder. Obwohl die Geschichte nicht zum Lachen ist.
Chefsekretärin in einer großen Textilfabrik im Kongo war Helene
Bunkini, immer auf dem neuesten Stand der EDV, mit gutem Einkommen. Die Arbeit hatte ihr Spaß gemacht. Dann musste sie mit
ihrem Mann vor den Schergen Mobutus fliehen, im fünften Monat
schwanger war sie da. In Deutschland wurde die Familie von einem
Asylbewerberheim ins nächste verschoben. Weil sie das Bundesland
nicht verlassen durften, kannten sie niemanden außerhalb Bayerns.
„Wir gehen da hin, wo viele Afrikaner sind, da kann man zusammen
sein“, sagten sie sich, als sie endlich als Flüchtlinge anerkannt waren.
So zogen sie nach Nürnberg.
A
Ob sie lieber woanders wäre? „Nein“, sagt die 46-Jährige, „ich kann
nicht in Paris oder in Belgien leben, ich bin Nürnberg gewohnt.“
Doch es hat lange gedauert, bis sie sich hier eingewöhnt hat. Das
lag vor allem am Ausländerrecht. „Im Kongo habe ich ein anderes
Leben gehabt, jeden Tag musst du aufstehen und zur Arbeit, aber
hier – mein lieber Gott! Du musst zu Hause bleiben, es gibt nichts
zu tun. Ich habe immer geweint.“ Als Sekretärin kann sie hier nicht
arbeiten, „dafür muss ich perfekt Deutsch sprechen“, erzählt sie. Und
lacht. Als Altenpflegerin hat sie einige Zeit gearbeitet, dann als Zimmermädchen und im Versand bei Quelle, bis ihr Rücken kaputt war.
Seit drei Jahren arbeitet Helene Bunkini jetzt in einem Kindergarten
in Gleißhammer. „Ich kann sagen, ich kämpfe mit diesem Leben.“
Tanzen und singen zur Beerdigung
Ihr Leben in Nürnberg ist allerdings ganz anders als das im Kongo.
„Zum Beispiel bei einer Beerdigung, wir kommen alle zusammen.
Wir tanzen, singen, trinken, die ganze Nacht. So wie eine Party. Hier
ist das ganz anders“, sagt Helene. Und wenn man jemanden besuchen
will, muss man vorher anrufen. „Bei uns gibt es das nicht, da geht
man einfach hin.“ Dafür gibt es hier Systeme, die es im Kongo nicht
gibt: Kranken-, Arbeitslosen-, Rentenversicherung. „Wenn man im
Kongo alt ist oder krank“, erklärt sie, „dann muss man bei seiner
Familie betteln. Kinder sind die Versicherung.“
Wir sind Afrika 15
Impressum
Straßenkreuzer – Das Sozialmagazin
Jahrgang 17 / Heft 6 / Juni 2010
Der Straßenkreuzer ist
Mitglied im Internationalen Verband
der Straßenzeitungen INSP
(www.street-papers.org)
und im lokalen sozialen Netzwerk
„Anlauf “
Herausgeber: Straßenkreuzer e.V.
Glockenhofstr. 45, 90478 Nürnberg
Tel. (0911) 4597636, Fax 4318671
e-mail: post@strassenkreuzer.info
www.strassenkreuzer.info
Vorstand: Norbert Kays, Peter Meusch,
Dieter Maly und Karlheinz Schnabel
diesem Leben“
Straßenkreuzer Redaktion:
Ilse Weiß (verantw.), Gabi Pfeiffer
Sprecher der ehrenamtlichen
Redaktion: Walter Grzesiek und
Thomas Meiler
Geschäftsstelle: Helmut Nill
Redaktionelle Mitarbeit
in dieser Ausgabe:
Tanja Baumeister, Gabi Blossey, Beate
Bluhm, Bernd Böhner, Francisco Bonilla,
Sharon Chaffin, Herbert Fuehr, Artur
Engler, Wolfgang Gillitzer, Stefan Gnad,
Walter Grzesiek, Karin Henjes, Martina
Hildebrand, Florian Kaiser, Ulrike Löw,
Michael Neary, Klaus Schamberger,
Dieter Stoll, Matthias Stubenvoll
Fotos:
Anestis Aslanidis, Matto Barfuss,
Tanja Baumeister, Adrian Diubaldo,
Gerd Grimm, Stefan Hippel, Bogdan
Itskovski, Heiko Lenthe, Herbert Liedel,
Peter Roggenthin, Martin Schano, Petra
Simon, Regina Suchy
Titelfoto: Hunta, fotolia
Zeichnungen: Gerd Bauer,
Martina Wember
Schreibwerkstatt:
Waldemar Graser, Heiko Lenthe,
Siglinde Reck, Martina Tischlinger,
Inge Tusjak, Kerstin Wieland
Manuskripte sind nach Absprache mit
der Redaktion willkommen.
Rücksendung nur gegen Rückporto.
Namentlich gekennzeichnete Artikel
geben nicht unbedingt die Meinung der
Redaktion wieder.
Gestaltung: www.gillitzer.net
Mit ihren eigenen Kindern ist das so eine Sache: „Ich muss für sie
immer extra kochen“, lacht Helene. Denn Sarah und vor allem ihr
elfjähriger Bruder Joel essen zwar gelegentlich kongolesische Kost.
Doch lieber hat Joel etwas ganz anderes: „Reis, Pommes, Döner,
Spaghetti“, zählt er auf. Er ist in Nürnberg geboren, geht auf die Scharrerschule, spielt bei DJK im Mittelfeld, tritt als Statist im Opernhaus
auf. „Ich bin hier daheim“, sagt er. „Ich war ja nie im Kongo.“ Joel
gehört nach Nürnberg, auch wenn er am Anfang nichts verstanden
hat, wenn seine Lehrerin Fränkisch sprach.
Überhaupt, die Sprache. „Sarah spricht gut Französisch, aber ich
habe noch Probleme“, sagt der Sechstklässler. Seine Mutter denkt
Französisch, muss ihre Gedanken ins Deutsche übersetzen. Sarah
denkt Französisch und Deutsch, Joel nur Deutsch. Sarah hat von
ihren Eltern noch Kikongo gelernt, einfach durch Zuhören. Doch
ihr Lebensmittelpunkt ist Nürnberg. „Ich will in den Ferien mal in
den Kongo fahren, aber hier fühle ich mich wohler“, sagt die 14-Jährige. Hier hat sie ihre Freunde, hier will sie Jura studieren und als
Rechtsanwältin arbeiten.
Für Helene Bunkini dagegen ist klar: So gut es ihr in „Njumberg“
inzwischen gefällt, eigentlich will sie doch in den Kongo zurück.
„Wenn die Kinder groß sind, gehe ich“, sagt sie. „Ich gehe einfach
fort.“ Und sie lacht wieder.
Florian Kaiser, freier Autor
Foto: Anestis Aslanidis, freier Fotograf
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Höng, Ilka-Maria Mertel, Helmut
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Bei Spenden bis 200 EUR genügt der
Überweisungsschein als Steuerbeleg.
Bitte weisen Sie darauf hin, wenn Ihre
Spende nicht veröffentlicht werden soll.
Verkaufspreis 1,70 EUR (davon 90 Cent
für die Verkäufer/-innen)
Der nächste Straßenkreuzer erscheint
am 29.6.2010.
Anzeigenschluss: 9.6.2010
Zehn kleine Negerlein
Afrika scheint weit weg. Gleichzeitig gibt es keinen Kontinent, der
so viele bunte wie bedenkliche Assoziationen weckt. Dabei lässt
sich Afrika leicht erkunden. Musik, Kultur, Menschen, Tiere und
Geschichten sind ganz nah. Eine Spurensuche, die auch Klischees
und Vorurteile zeigt
Viel Wüste, viel Schatten
Jean-Pierre Muteba lebt vom Übersetzen. Er spricht
sechs Sprachen und hat 1994 ein eigenes Büro in der
Südstadt gegründet. Und er lebt für die Anliegen der
Afrikaner. Seit 2004 engagiert sich der 51-Jährige
im Integrationsrat (dem früheren Ausländerbeirat),
widmet viel Zeit ehrenamtlichen Aufgaben, der Hilfe für Flüchtlinge und hier lebenden Menschen mit
afrikanischen Wurzeln. Allein wegen ihrer schwarzen Hautfarbe stoßen sie noch immer auf Vorurteile,
manche Deutsche reagieren offen mit Pöbeleien und
Gewalt. „Um rassistisch zu handeln, muss man kein
NPD-Anhänger sein“, sagt Muteba. Vor drei Jahren gründete er deshalb den Verein Afrokid e.V.,
der die Integration der Afrikaner fördern und ihre
kulturelle Identität bewahren helfen soll. Die Treffen
finden im Lokal „Konji“ in der Wodanstraße statt,
das Muteba betreibt.
Aktiv gegen Vorurteile
Die Bierbrauer aus Nürnberg
führen den Mohren als Markenzeichen. Negative Reaktionen
gibt es keine, eher neugierige
Nachfragen: Der Mohr geht auf den
heiligen Mauritius zurück, der als
mauretanischer Feldherr in Frankreich stationiert war, Christ wurde
und als Märtyrer starb. Außerdem
war Hans Tucher der Erste ein berühmter Kreuzritter, der Jerusalem
verteidigte. Das Wappenschild der
Mohren (Mauren) geht auf diese
enge Beziehung der
Tucher zu Kirche
und Religion
zurück.
Tuchermohr
Die Regisseurin, die drei
Reichsparteitagsfilme in Nürnberg gedreht und die Ästhetik
der Nazis mit geprägt hatte,
ging in den 60er Jahren nach
Afrika. Sie fand dort die Nuba. Es
entstanden mehrere, auch preisgekrönte Serien über den Stamm.
Erst die Glorifizierung blonder
Arier, dann schwarze Afrikaner
– ist das kein Widerspruch? –
„Offensichtlich hatte sie nicht
so starke Berührungsängste, so
lange die gut aussehen“, sagt
der Filmkenner und Journalist
Herbert Heinzelmann. „Und sie
ist ja auch nicht zu den Pygmäen
gegangen, sondern zu den großgewachsenen Nuba.“ Unschuldig
ist diese Schönheit nicht, sie
wird bewusst hergestellt: Alte
und Kranke hat Riefenstahl
ausgeblendet – wie schon bei
den Reichsparteitagsfilmen, bei
denen nur ein Hundertstel des
gedrehten Materials verwendet
wurde.
Leni Riefenstahl
Texte: Gabi Pfeiffer, Straßenkreuzer Redaktion,
Herbert Fuehr, Nürnberger Nachrichten
Fotos: Regina Suchy, Stefan Hippel, Peter Roggenthin
Um es gleich zu sagen: Die meisten
Afrikaner im Tiergarten sind gar
keine. Sie sind Nachzuchten aus
europäischen Zoos und viele sind
geborene Nürnberger. 50 bis 60 der
rund 300 Tierarten werden dem
schwarzen Kontinent zugeordnet.
Neben Giraffe, Gorilla und Gepard
auch Strauß und natürlich die Zebras, darüber hinaus der Rotschnabeltoko, die Mähnenspringer und
Wanderheuschrecken. Die Löwen
allerdings, das Panzernashorn und
die Kropfgazelle gehören nach Asien.
Ob sie gern hier leben? In menschlicher Obhut, mit regelmäßigem
Nahrungsangebot und ohne Fressfeinde, leben sie jedenfalls länger
als in freier Wildbahn. Etliche Tiere
führt der Weg aus dem Zoo wieder
in die Wildnis, wo sie den Bestand
bedrohter Arten aufstocken.
Sicherheit für Zebra & Co
Upps, beide Bezeichnungen
für das süße Naschwerk
stammen aus kolonialen
Zeiten und sind politisch
höchst unkorrekt. Über
Alternativen dazu wird
im Internet seitenfüllend
diskutiert. Es bleibt der
„schaumgefüllte schokoladenglasurüberzogene
Waffelkegel“ oder die
„Schaumküsse“, die Dickmanns und der Süße Wolf
auf ihre Kartons drucken.
Am charmantesten sind
die Schweizer. Sie sagen
„Choco Köpfli“.
Die Spendendose, bei der
ein Schwarzer
nickend für den
Münzeinwurf
dankt, ist ein Kind
des Kolonialismus
– und der menschlichen Beschränktheit. Wie anders
konnte man sich
die armen Afrikaner vorstellen, für
die in deutschen Kirchen gesammelt wurde? Heute geht’s auch
ohne Sinnbild, schlichte Boxen
appellieren an die Großzügigkeit
und Gutherzigkeit der Gläubigen.
Nickneger
Negerkuss
Die Stadt Nürnberg hat in ihren „Grundsätzen
für die Straßenbenennung“ u.a. festgelegt, dass
Straßen nicht nach Lebenden benannt werden
dürfen. Entgegen diesem Grundsatz erfolgte
1991 die Ehrung des noch lebenden Gegners
der Apartheid und Friedensnobelpreisträgers
Nelson Mandela. Eine spektakuläre Ausnahme von einem selbst auferlegten Grundsatz.
Vorausgegangen waren Anträge verschiedener
Stadtratsfraktionen, in Nürnberg einen Platz
der Opfer der Apartheid zu schaffen. Da man
prinzipiell gegen abstrakte politische Namen
war, entschied man sich für Nelson Mandela.
Mohrenkopf und
Nelson-Mandela-Platz
Das Afrika-Virus hat Dieter Weberpals 1987 gepackt.
Im Jahr darauf gründete der Flötist aus Nürnberg
„Argile“, seitdem steht die Gruppe in Besetzungen
zwischen zwei und zwölf Musikern auf der Bühne.
Der größte Unterschied? In Afrika gibt es die Trennung zum Publikum in unserem Sinne nicht, sagt
der 55-Jährige, und beim Trommeln wird die Pause
als Einstieg zum Mitmachen begriffen. Musik ist also
das Gruppenerlebnis per se. Auch Harfe und Gitarre
kommen ursprünglich aus Afrika, Soul und Jazz haben
ihre Wurzeln dort. Die Weltmusik von Argile klingt
zeitlos schön und sie ist immer noch gefragt. Wer selbst
und mehr hören möchte: Vom 2. bis 4. Juli finden in
Forchheim die Afrika Kulturtage statt.
Wiege der Musik
Der Fehltritt von Gloria von Thurn und Taxis
haftet noch heute: „Der Schwarze schnackselt
eben gern.“ So hatte die Fürstin 2001 in einer
Talkshow geplappert, als es um Geburtenkontrolle und Aids in Afrika ging. Vergessen hatte
sie wohl, dass es in vielen Ländern keine oder
nicht ausreichend Kondome gibt und dass –
mangels Rentensystem – nur eine große Zahl
Kinder den Eltern ihren Lebensabend sichern
kann.
Schnackseln
Das Volkslied ist in Verruf gekommen.
Denn die „zehn kleinen Negerlein“
schwinden auf grausame Art, bis
keines mehr da ist. Im amerikanischen
Original von 1868 sind es übrigens Indianer, dann wurde umgetextet. Auch ein
Krimi von Agatha Christie hieß so, James
Krüss nimmt es als Titel für ein Buch übers
Einmaleins. Die Versform ist so eingängig,
dass sie inzwischen unzählige Abwandlungen hat: Darunter „Zehn kleine Jägermeister“ von den Toten
Hosen und „Zehn kleine Nazischweine“ von der Punkband Slime.
Wir sind Afrika 17
18 Schreibwerkstatt
Wüste, Voodoo, eine WM und mehr Geschichten über Afrika
Manchmal praktiziert die Straßenkreuzer-Schreibwerkstatt eine flinke Schreibübung: Jede/r sagt der Reihe
nach spontan ein Wort zu einem vorgegebenen Thema, alle notieren jedes Wort. Dann schreibt jede/r in fünf
Minuten eine Geschichte, in der alle genannten Begriffe vorkommen.Die Begriffe, zum Thema „Afrika“:
WM 2010, Apartheid, Afri-Cola, Busch, Äthiopien, Elefant, Heimat, Voodoo, Wüste, Mensch
Die Geschichten:
Der Voodoo-Zauber beginnt rechtzeitig zur WM 2010.
Die Heimat der Elefanten ist verwaist. In der Wüste
sitzt der Mensch am Lagerfeuer, trinkt Afri-Cola und
Der Mensch wird bei der WM 2010 wieder einmal viel
redet über die Apartheid, die es angeblich nicht gibt.
Afri-Cola vertilgen und sich keine Gedanken darüber
Ein neuer Haile Selassie ist im Busch von Äthiopien
machen, dass in der Heimat der Elefanten vor nicht
geboren worden.
allzu langer Zeit die Apartheid überwunden wurde
Und jetzt ist Schluss, ich weiß nicht mehr weiter.
und in Äthiopien der letzte Busch in „blühende“ Wüste
Bertram Sachs
verwandelt wird. Vielleicht sollte ihm da einmal ein
Voodoo-Priester auf die Sprünge helfen.
Peter Nensel
Eine ziemliche Entwicklung vom ersten Menschen bis zur
WM 2010. Damals in Äthiopien trank man ja noch kein Afri-Cola. Wissenschaftler haben das bei Auswertungen des
Mageninhaltes der ältesten Mumien festgestellt. Eine irre
Wanderung haben wir gemacht – von Afrika, der Ur-Heimat des Humanoiden, durch den Busch bis zum Meer. Von
dort aus in die ganze Welt. Hätte der Ötzi einen Elefanten
mit nach Europa genommen, hätte er die Alpen vielleicht
überquert. Wie nach ihm Hannibal. Die Elefantenpfleger
der Römer konnten ja bekanntlich Voodoo, deshalb wurde
Rom schließlich zum Imperium. Der Weltmacht-Status
ging dann ja an die Engländer, die zusammen mit den Buren die Apartheid erfanden. Und wenn es nach mir ginge,
dann spielen die jetzt Fußball in der Wüste – ohne Oase!
Heiko Lenthe
Wüste Schimpfereien durfte sich Busch anhören, als er
wieder mal wie ein Elefant durch den oft zitierten Porzellanladen ging. Auch noch eine Afri-Cola in der Hand!
Das ging gar nicht, Schleichwerbung! Und anstatt über
die WM 2010 zu reden, legte er nur apart sein Jackett
ab, reichte es der Voodoo-Königin Heid-von-Äthiopien
und bewies mal wieder: Mensch Leute, Porzellanläden
sind wirklich meine Heimat!
Siglinde Reck
Als die Königin von Saba in Äthiopien mit ihrem Gefolge und Elefanten Salomo besuchte, ahnte sie wohl
noch nichts von der WM 2010. Von Apartheid hielt sie
nichts, da sie heftig für Salomo entflammte. Afri-Cola
allerdings schätzte sie sehr, als Erfrischung im heißen
Busch. Die königliche Personalpolitik wirkt noch
heute nach. Der Mossad holte dann vor 25 Jahren die
Nachkommen der beiden (ca. 10 000 Menschen) mit
der Aktion „Moses“ nach Israel, wo sie heute noch
leben.
Waldemar Graser
Schreibwerkstatt 19
Sommerliche Haiku
wo ist der acker
fragt der kartoffelkäfer
dort vorn sagt der wurm
die biene klopft bei
den melissenblüten an
ich sammle nektar
Cartoons:
Gerd Bauer, Cartoonist und
Illustrator, Nürnberg
die weinbergschnecke
keucht ich muss den berg schaffen
sie braucht die fernsicht
das sanddornbäumchen
am zaun achtlos abgestellt
jetzt mein balkonschmuck
angelika fühlt
sich nutzlos keiner braucht mich
keine pest mehr hier
die eintagsfliege
sagt das war n fünf sekunden
sie verlässt mich schnell
ersatzlösungen
sind oft die bessere wahl
die liebe statt hass
ausgetrocknetes
flussbett für uns im sommer
glück übersprudelnd
mein schatten läuft mir
genauso schnell hinterher
schwitzt er auch wie ich
markklößchen stehn noch
immer in den regalen
wo bleibt der euro
rettungsschirm tut not
umgedreht vollgelaufen
alle ersaufen
Waldemar Graser
Freitag, der Dreizehnte
Die alte Frau gilt in ihrer Umgebung immer noch als wendig und aktiv, aber sie weiß es besser:
Jeden Morgen kommt sie ein bisschen schwerer in die Gänge, das Kurzzeitgedächtnis spielt
Streiche und ungezählte Erinnerungen – „da möchte ich auch nochmal hin…“ – enden in
leiser Resignation. Die langjährige Wohnung ist ihr so groß geworden wie der Wintermantel,
der um die Beine schlackert. Frühling, Zeit, ihn wegzuhängen. Wie oft noch? Sie sitzt am
Küchentisch und rührt im Kaffee, ihrem zuverlässigen Stimmungsretter. Dabei fällt ihr Blick
auf den Kalender: 13. April!
Sie begreift: Heute ist ihr 60. Hochzeitstag, damals ein Freitag. Niemand hat sie daran erinnert.
Nicht ihr Mann, der schweigt seit Jahren für immer, nicht die Kinder, schon gar nicht die Enkel.
Warum auch sollten sie?
Dann kramt die Frau in alten Fotos, sucht von der Hochzeit in den Trümmern Nürnbergs ein
Gruppenbild. An die 30 Personen sind drauf, auf mehr als 20 von ihnen müsste sie ein Kreuzchen
malen. Ohne Bitterkeit sagt sie laut zum Foto, was sie denkt: „Das Blödeste am Altwerden ist
das Übrigbleiben.“ Sie sucht weiter, verliert sich in fröhlichen alten Kinder- und Urlaubsfotos,
und wie an jedem Hochzeitstag fällt ihr Mutters merkwürdiger Glückwunsch ein, den diese
zum Weg aufs Standesamt mitgegeben hat: „Werde nie eine Effie Briest!“ Wurde sie?
Der Tag verrinnt, sie ist froh drüber und trinkt jetzt im Andenken an den „Fünfzigsten“, den sie
noch gemeinsam feiern konnten, ein paar Kräftige aus der Pulle. „Ruh dich aus von einer, die
nie den Fuß vom Gas bekam!“ Und sie freut sich, dass die gemeinsamen Jahre doch viel farbiger ausfielen als die jener Frauen auf
einer alten Witzpostkarte, die an der
Klotüre pappt: „Was haben Sie mit
Kunterbunter Regenbogen
Ihrem Mann gemeinsam?“ – „Viel.
Wir alle lieben Afrika! Warst du schon einmal dort,
Wir haben am selben Tag geheiratet.“
bleibst du in Gedanken immer aus Europa fort.
Zufrieden geht sie ins Bett.
Diese wunderbare, fast noch ursprüngliche Welt
Emma Mayer
ist das, was uns von Anfang an gefällt.
Wer den Kilimandscharo auch nur von ferne sah,
war seinem Glück und seiner Sehnsucht nah.
Hat Sehnsucht nach dem flirrenden Klima.
Es ist angenehm warm und auch sonst ganz prima.
Viele wilde Tiere, Steppenduft und klare Luft
machen auf das Leben dort einfach Lust.
Von Afrika sprechen als Lebensglück,
dies alles lassen wir beim Weggehen zurück.
Die scheinbare Leichtigkeit und was uns daran gefällt
ist wie Europa, nur auf den Kopf gestellt.
Afrika, ein Kontinent in einer bunten Regenbogenwelt!
Reise dorthin, wenn es dir in Europa nicht mehr gefällt.
Inge Tusjak
20 Was uns bewegt
Schwierige Lebenssituation,
geringes Einkommen
oder ohne festen Wohnsitz?
Mit Ihrer Hilfe können wir rechnen
FrauenZimmer
Praxis für alternative Heilmethoden
Poppenreuther Str. 5, 90419 Nürnberg
Tel: 0911 / 217 84 01
Mail: r-ettl@nefkom.net
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Tagestreff für Frauen
in Notlagen
Hessestraße 10, Nürnberg
Telefon 26 69 56
Ohne seine Freunde und Förderer wäre der Straßenkreuzer auf vielen
Straßen und Plätzen des Großraums sicher nicht so gut in Fahrt: Etwa
50 Frauen und Männer verkaufen seit 15 Jahren das Sozialmagazin.
Danke, dass Sie unser Projekt in den letzten Wochen mit Ihrer Spende
unterstützt haben!
Helmut Klein, Sparda-Bank Nürnberg, Kollekte der Evangelisch-lutherischen
Kirchengemeinde, Katja Krämer, Klaus Häublein, Marie-Luise Schlögl,
Andrea Haubner, Dr. Ernst Schlottky, Familie Korunig, Birgit Jordan, Kerstin
Lauterbach, Rainer Büschel, Art Decorations (Schwaig), Inge Pemsel, Renate
Übelein, Angelika Simak, Ulrike Dumler, Claudia Czymai, Sabine Platzer, Heidi
Steinbauer, Kirsten Jope, Peter Panke, Jürgen Dreher, Horst Förther, Dr. med.
Siegfried Schroll, Max Göbel, Familie Bauriedel, Uschi Heinrich-Rothmund,
Annett Rosel Angelika Mey, Christian Skuhr, Sabine Riedel, Andrea Scheuerle,
Christine Burmann, Siglinde Reck-Friedrich, Evangelisch-lutherische
Kirchengemeinde (zur Trauung Ehepaar Lange), Hannelore und Jürgen Bernert,
Alberto Gelardi, Gerald Parsch und Irene Parsch-Braun, Hannelore und Klaus
Besendörfer, Marianne Jonatat, Norbert Wolff, Gerda Reuss
Dauerspender: Klaus Geißdörfer, Wolfgang Ehras, Udo + E. Ernst, Annelie Dörfler,
Ulrich Jung, Susanne Worbs, Marcellus Sustainability Consulting.
Bei Mitgliedsbeiträgen und Spenden bis 200 Euro gilt als Nachweis beim
Finanzamt der Einzahlungsbeleg bzw. die Buchungsbestätigung. Wenn Sie
trotzdem eine Spendenbescheinigung wünschen, dann teilen Sie uns dies bitte
mit. Spendenkonto: LIGA Spar- und Kreditgenossenschaft eG, Kto. 105 119 332,
BLZ 750 903 00. Bitte weisen Sie darauf hin, wenn Ihre Spende nicht
veröffentlicht werden soll.
Hotel BISS – Petition abgelehnt
CSU/FDP-Mehrheit will ehemaliges Frauengefängnis meistbietend verkaufen
Seit 2001 arbeitet die Münchner Straßenzeitung BISS mit großer
Unterstützung der Bevölkerung an der Realisierung des sozialen Projekts Hotel BISS. Die gemeinnützige Stiftung will das
ehemalige Frauengefängnis Am Neudeck erwerben und in ein
Hotel umbauen, das bis zu 40 benachteiligten Jugendlichen eine
Ausbildung bietet (der Straßenkreuzer berichtete).
Jetzt hat die CSU/FDP-Mehrheit im Ausschuss für Staatshaushalt und Finanzfragen im Bayerischen Landtag die Petition von
BISS, das ehemalige Frauengefängnis am Neudeck ohne Ausschreibung zu einem angemessenen Preis kaufen zu können,
abgelehnt.
Damit folgt die CSU/FDP-Mehrheit im Ausschuss direkt der
Stellungnahme der für Immobilien zuständigen Abteilung des
Finanzministeriums. Obwohl dem Projekt Hotel BISS bereits
2008 von der Bayerischen Landesstiftung sowie vom Bayerischen
Sozialministerium mehrfach höchste Förderwürdigkeit sowie
die Förderhöchstsumme von 2,5 Millionen Euro zuerkannt
wurde, konnte sich der Ausschuss nicht dazu entschließen, die
Präambel der Bayerischen Verfassung im Sinne des Projekts
anzuwenden. Die Präambel in den Grundstücksverkehrsrichtlinien, die der Ausschuss selbst beschlossen hat, besagt: „Der
Ausschuss für Staatshaushalt und Finanzfragen des Bayerischen
Landtags behält sich vor, für Einzelfälle oder spezifisch gelagerte
Sonderfälle abweichende Vorgehensweisen zu bestimmen“.
Die Initiatoren von Hotel BISS werden auf jeden Fall ihr Unterstützer-Netzwerk aktivieren, unterstreicht BISS-Chefin Hildegard Denninger. „Wir sind tief enttäuscht, dass die Chance
einer aktiven Sozialpolitik einer kleinlichen Auslegung der bestehenden Verwaltungsvorschriften geopfert wurde, insbesondere nachdem der amtierende Ministerpräsident Seehofer und
Finanzminister Fahrenschon Unterstützung signalisiert haben.“
Kontakt: Hotel BISS, Hildegard Denninger, 089/33 20 33
www.hotelbiss.de
Was uns bewegt 21
Die tun was
Fenster auf,
Vitamine rein!
Eine Kräuter-Reihe von
Waldemar Graser – Teil 2
Wo Tomaten und
Freundschaften wachsen
Im Interkulturellen Garten Fürth pflanzen Gärtner aus
20 Nationen
Sie haben keinen Garten, keinen Balkon und möchten sich
doch frische Kräutervitamine gönnen? Kein Problem. Auch
im Topf auf dem Außenfensterbrett lassen sich einige grüne
Freunde gut ziehen.
Zum Beispiel Salbei. Salbei ist ein echtes Duft-, Würz- und Heil-
paket. Die frischen Blätter geben einen aromatischen Tee, lassen
sich gut gegen Mundgeruch kauen und helfen bei Entzündungen
im Mund- und Rachenraum. Salbei wirkt positiv auf Magen und
Darm und hilft gegen Menstruationsbeschwerden. Salbei ist in
der Küche vielseitig zu verwenden, etwa für Brathähnchen oder
Saltimbocca.
Der Topfboden sollte durchlässig sein, am besten Sand zugeben.
Salbei verträgt pralle Sonne, kann auch mal trocken stehen. Im
Winter verkraftet er bis um die Null Grad, aber hin und wieder
gießen. Sein Überleben im Topf ist so für viele Jahre gesichert.
Den Titel als zertifizierter Wild- und Heilkräuterexperte hat sich Waldemar Graser
hart erarbeitet: durch den Straßenkreuzer-Verkauf täglich nachmittags am Weißen
Turm. Über ein Jahr lang hat er gespart, um sich die Ausbildung leisten zu können.
Wir gratulieren!
Foto: Petra Simon, www.fototext.de
Keine Angst
vor großen Tieren
Charly Huber, langjähriger Straßenkreuzer-Verkäufer und schon immer Tierliebhaber, verkauft jetzt auch regelmäßig
in der Nähe des Tiergarten-Eingangsbereiches. Damit geht für Charly ein
lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Sein
aufgeweckter Hund Lord (der regelmäßig
Bestnoten vom Tierarzt bekommt), weiß
noch nichts von seinem Glück, künftig bis
zum Schmausenbuck auslaufen zu dürfen.
Alle Besucher, Familien wie „große Tiere“,
haben nach dem Zoo-Besuch auf dem
Weg zum Parkplatz die Gelegenheit, das
Sozialmagazin beim freundlichen Charly
zu kaufen. Charly Huber wird seinen
Stammkunden am Aufseßplatz treu bleiben und auch dort weiterhin vormittags
verkaufen.
‹Foto: Heiko Lenthe
Wie eine große Familie – so
beschreibt Nicole King die
Gemeinschaft des Interkulturellen Gartens in Fürth,
in dem sie neben über 40
weiteren Gärtnern pflanzt,
jätet und erntet. Der Garten wurde, basierend auf
dem Interkulturellen Garten in Göttingen, anlässlich
der 1000-Jahr-Feier der
Stadt Fürth durch das ZAB
(Zentrum aktiver Bürger)
initiiert, mit dem Ziel Migranten zu integrieren.
Früher wurde das Gelände am Rednitzufer gern als Müllhalde
von den Bürgern genutzt. Deshalb sind die Parzellen höher
angelegt, um die Pflanzen vor Altlasten zu schützen. Die Gärtner dürfen zudem nur natürliche Düngemittel und Kompost
verwenden, um das Grundwasser nicht zu belasten. Methoden,
die erst mal nicht allen Gärtnern vertraut sind. Deshalb lernen
schon die Kinder: Kompostieren ist wie Schokolade für die
Erde – lecker und nahrhaft!
Inzwischen wurde der Garten in einen Verein überführt und
wird von den Mitgliedern selbst verwaltet. Jedes Jahr kommen neue Gärtner zur Gemeinschaft hinzu. Das wichtigste
Kriterium ist Engagement, auch wenn zusätzlich noch ein
Nationalitätsschlüssel vorhanden ist, so dass es pro Land nur
zwei Gärtner gibt.
Für Nicole King ist der Garten eine bodenständige Methode,
um ihr Heimweh nach Texas zu überwinden. Als sie 2003 nach
Deutschland kam, wohnte sie in einer Wohnung und hatte
keinen Garten mehr. Der fehlte ihr sehr. Durch ihre eigene
Parzelle im Interkulturellen Garten hat sie nun nicht bloß die
Möglichkeit, Chilischoten, mexikanische Tomaten, Koriander
und Erdbeeren anzupflanzen, sondern sie hat eine richtige
Gärtner-Familie gefunden, mit der sie auch wichtige Feste wie
Thanksgiving feiert. Und das ist eigentlich auch das, was den
Garten von anderen unterscheidet: Eine große Gruppe mit
vielen kulturellen Unterschieden, die sich zum Grillen trifft,
deren Kinder im Garten spielen und die ihre Gärten bestellt.
Die 20 Nationen, die sich hier versammeln, von Argentinien
über Australien und den USA bis zu den Philippinen, wachsen
zusammen.
Früher war der Garten für alle geöffnet, heute ist dies nur noch
an bestimmten Tagen der Fall.
Interkultureller Garten Fürth e.V.
Auf der Uferpromenade, Weiherstr. 5, 90762 Fürth
www.interkultureller-garten-fuerth.de
Text/Foto: Tanja Baumeister
22 Was uns bewegt
Wovon wir in Zukunft leben werden
Eine Frage, die sich immer mehr Menschen stellen. Denn die hohe Produktivität der Volkswirtschaft führt zu steigender struktureller Arbeitslosigkeit.
Was tun? Götz Werner, Gründer der Drogeriemarktkette dm, tritt für ein
„bedingungsloses Grundeinkommen“ ein. Seine Thesen und seine Ideen,
wie dieses Modell bezahlt werden kann, stellt Götz Werner auf Einladung
des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik an der Uni Nürnberg vor.
Götz Werner: „Die Kraft der Initiative: Unternehmerisches Handeln und das
bedingungslose Grundeinkommen“
Dienstag, 8. Juni 2010, 19 Uhr, easyCredit-Hörsaal der Friedruch-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg, Lange Gasse 20, Nürnberg, Eintritt: frei
Fußball mit Meyer und Spielfreude
Fest angestellt beim Straßenkreuzer
Antonio Carlino, Uwe
Fischer, Max Greger,
Ingrid Gutmann und
Reinhard Semtner
sind die fest angestellten Verkäufer beim
Straßenkreuzer. Udo
Kuznia ist im Vertrieb
und für Büroarbeiten
des ­Straßenkreuzers,
Jürgen Heiß und Carlo
Schnabel sind als Stadtführer angestellt. Ihre Gehaltsfinanzierung ist bis
Dezember 2010 gesichert durch die Patenschaft dieser Firmen und Einzelpersonen:
Auerbach Stiftung • IG Metall Nürnberg • GfK Nürnberg • Gisela Glasser •
Bolko Grüll, Nürnberg • Ingo Grüll, Gärtringen • Karl-Dieter Hahn • Gabi
Hartwig, Parkstein • Heidi und Joachim Kaiser, Nürnberg • NN-Aktion
„Freude für alle • PD Dr. Ellen Obermann, Nürnberg • Dr. Roland Oeser • Dr.
Siegfried Schroll, Neunkirchen a. Brand • Sparda-Bank Nürnberg • Klaus
Stöckert, Schwabach • Irene Walther, Nürnberg • Anonyme Paten: ein Erlanger Ehepaar, zwei Nürnberger Bürger/innen
Schöne Aussichten
für Straßenkreuzer-Verkäufer
Gut, dass es Optiker wie
Boris Rühle gibt, die mit
offenen Augen durch die
Welt gehen. So fiel dem
40-jährigen Optikermeister auf, dass viele Straßenkreuzer-Verkäufer/innen
arg altmodische, wenig
ansehnliche Brillen tragen.
Das ändert Rühle nun und
schenkt jedem Verkäufer
eine neue Brille mit modernem Gestell und passenden Gläsern. Auch die Augenmessung mit der
Feststellung, ob jemand kurzsichtig oder weitsichtig ist, gehört zum Angebot
an die rund 50 Frauen und Männer, die den Straßenkreuzer verkaufen. In
Rühles Laden an der Sulzbacher Straße trafen sich Michael Wieland, Peter
Nensel und Kerstin Wieland zur Brillenwahl und waren von Rühles Angebot
begeistert. „Ich hab mir vor mindestens zehn Jahren zum letzten Mal eine
Brille geleistet“, sagt etwa Michael Wieland. „Das überlegt man sich schon,
wenn wenig Geld da ist.“ Boris Rühle hat „Respekt vor den Verkäuferinnen
und Verkäufern, die sich wirklich anstrengen, etwas aus ihrem Leben zu
machen. Ein guter erster Eindruck kann beim Verkauf helfen“, weiß er. Eine
schicke Brille gehört dazu und wird hoffentlich zu schönen Aussichten für
Straßenkreuzer-Verkäufer beitragen. Der Verein bedankt sich im Namen
aller kurz- und weitsichtigen Verkäufer/innen herzlich bei Boris Rühle.
Foto: Martin Schano
Im richtigen Leben spielt Bianca bei der Damenmannschaft des TSV
Falkenheim in der Bezirksliga. Beim „Cup der guten Hoffnung“, dem
jährlichen Fußballturnier der Nürnberger Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, verstärkte die junge Frau das Team Straßenkreuzer/
Wärmestube. Sie war sich für keine Grätsche zu schade und kaufte manchen männlichen Gegnern den Schneid ab. Da durfte sich Bianca schon
mal eine Umarmung von Ex-Club-Trainer Hans Meyer abholen, der
als Ehrengast zum Turnier gekommen war. Sieger war die Mannschaft
der Fachstelle für Wohnungsfragen und Obdachlosigkeit, das Team
Wärmestube/Straßenkreuzer kam auf den sechsten von acht Plätzen.
Foto: Gerd Grimm
Schicht-Wechsel – frischer Wind
für die Nordroute
Die Straßenkreuzer-Stadtführer haben die
Nordroute neu konzipiert. Das war nach
dem Umzug der Stadtmission von der Pirckheimer- in die Krellerstraße nötig geworden.
Nun führt Heiko Lenthe vom Friedrich-EbertPlatz ins Domus Misericordiae, Notschlafstelle und Wohnheim der Caritas Nürnberg. Im
Amt für Existenzsicherung am Kirchenweg
kümmern sich Fachleute um Menschen, die
keine Wohnung haben. Die Flüchtlingshilfe
im Stadtteilzentrum Desi steht ebenso auf
dem Programm wie ein Besuch im Haus
Großweidenmühle, der städtischen Einrichtung für Obdachlose mit
spannendem historischen Hintergrund.
Die Nordroute komplettiert das Angebot der „Schicht-Wechsel“-Führungen des Straßenkreuzers. Weitere Routen führen in den Süden und
durch die Altstadt nach Gostenhof zur Heilsarmee. Alle Führungen
ermöglichen Einblicke in den Alltag von Armut und gesellschaftlicher
Ausgrenzung. Mitarbeiter der Einrichtungen stellen ihre Arbeit vor.
Die Führungen werden individuell vereinbart, dauern jeweils ca. 2
Stunden und kosten für Erwachsene 5 Euro, für Schüler, Studenten 2,50
Euro. Wer einen Nürnberg-Pass hat, zahlt nichts. Weitere Informationen unter www.strassenkreuzer.info oder 0911/459 76 36
Foto: Gerd Grimm
Die Wärmestube braucht …
Kaffee, Zucker, Einwegrasierer, Papiertaschentücher, Klopapier,
Unterwäsche, Socken und (Turn-) Schuhe.
Außerdem sucht das Team der Wärmestube eine ehrenamtliche
Mitarbeiterin, die am Freitag zwischen 10 und 12 Uhr in der Kleiderkammer beim Sortieren und Ausgeben von Kleidung hilft.
Wenn Sie helfen können, nehmen Sie bitte mit der Wärmestube Kontakt auf: Ökumenische Wärmestube, Köhnstr. 3, 90478 Nürnberg, Tel.
0911 443962, Mi 10–14 Uhr; Di, Do, Fr 10–17 Uhr; Sa, So 9.15–17 Uhr. Die
Wärmestube kann leider keine Spenden abholen. Herzlichen Dank für
Ihre Unterstützung!
bonjourquebec.com/de
Nachhaltige Entwicklung liegt Quebec
am Herzen – den Straßenzeitungen auch
I
m Mai 2010 fand die 15. Jahreskonferenz der Straßenzeitungen in Melbourne statt. Diese Veranstaltung,
organisiert vom Internationalen Straßenzeitungsnetzwerk (INSP), bot Delegierten verschiedenster Länder
und Kontinente die Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen
und Projekte zur Unterstützung wohnungsloser Menschen
zu entwickeln. INSP repräsentiert mehr als 100 Straßenzeitungen aus nahezu 40 Ländern. Zusammen erreichen die im
INSP organisierten Magazine pro Ausgabe zehn Millionen
Leser. In den vergangenen Jahren half die weltweite Straßenzeitungsbewegung 250.000 Wohnungslosen und Armen mit
ihrem Beschäftigungsangebot des Zeitungsverkaufs bei ihrer
gesellschaftlichen Reintegration. Straßenzeitungen steigern
das Selbstwertgefühl und verhelfen sozial Benachteiligten, die
vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, zu neuer
Unabhängigkeit.
Tourism Quebec fördert ebenfalls nachhaltige Entwicklung
und setzt sich für verantwortlichen Tourismus ein. Deshalb hat
Tourism Quebec als erste Organisation die INSP Konferenz
durch eine Anzeigenkampagne in verschiedenen Straßenzeitungen weltweit unterstützt.
Diese Anzeigenkampagne belegt, dass INSP aufgrund der
Reputation seiner Magazine sowie seiner anspruchsvollen und
interessierten Leserschaft Anzeigenkunden von internationalem Format gewinnen kann.
INSP dankt Tourism Quebec und den Leserinnen und
Lesern der Straßenzeitungen weltweit für ihre Hilfe bei der
Steigerung der Lebensqualität für Menschen in sozialen
Schwierigkeiten. Solidarität sollte Teil unserer gesellschaftlichen Reise sein.
Ihnen allen in diesem Sinne eine gute Reise – und bis bald
in Quebec!
Serge Lareault
Publisher of L’Itinéraire, Montréal
Chairperson of INSP – Vorsitzender INSP
Das Interview 25
Weckt das sichere Leben die Lust auf Krimis,
Frau Janousek?
Das klingt kriminell: Fürth führt seit Jahren den Titel „sicherste Großstadt“ in Bayern, die Regale mit mörderischen
Büchern in der Volksbücherei aber werden regelrecht geplündert. Dabei schreiben sich rund zwei Dutzend Autoren im
Großraum die Finger an Regionalkrimis wund. Sigrid Janousek, 53, die schon 30 Jahre in der Volksbücherei Fürth
arbeitet, hat einen Verdacht
Straßenkreuzer: Frau Janousek, können Sie sich die Neugier auf
Mord und Totschlag in der Nachbarschaft erklären?
Vielen Lesern sind klassische Krimis wie die von
Chandler, Sjöwall-Wahlöö oder selbst die aktuellen von Stieg Larsson
zu abstrakt. Sie möchten beim Lesen schöne, vertraute Gegenden
wiedererkennen – wie überhaupt die heimatkundlichen Bücher bei
uns sehr gefragt sind.
Sigrid Janousek:
Muss es dann unbedingt ein Krimi sein?
Ich denke, ein guter Krimi ist immer auch Gesellschaftsschilderung
und bevor ich mich hinsetze und ein soziologisches Werk lese, greif
ich doch lieber zu spannender Lektüre. Wir haben viele Leser, die
sich mit einem Regionalkrimi auf ihr Urlaubsziel einstimmen.
Und Sie selbst schmökern auch?
der Aufklärung hilft, wird gemordet. Auch in „Morddeutung“ von
Jed Rubenfeld gibt es eine junge Frau, die tot in einem New Yorker
Hotelzimmer liegt. Der Fall wird dann mit der Hilfe von Sigmund
Freud, Carl Gustav Jung und Sándor Ferenczi – allesamt Größen der
Psychoanalyse – gelöst. Die Übergänge zum Thriller sind da fließend.
Was wird in der Volksbücherei am häufigsten verlangt?
Wir haben 250 Regionalkrimi-Titel, alle mindestens doppelt. Viele
auch als Hörbuch. Die Nachfrage ist ungebremst, seit Jacques Bernsdorf mit den Eifel-Krimis den Boom angeschoben hat. Wir haben
einen eigenen Standort dafür eingerichtet, über der Signatur gibt es
einen speziellen Aufkleber – weil sich die Leute dann am leichtesten
tun. Teilweise werden uns die Krimis schon an der Rückgabe-Theke
wieder aus der Hand genommen!
Ja, gerne. In meinem ersten Regionalkrimi liegt eine Leiche auf einem Auch die kriminelle Literatur, so scheint es, unterliegt dem ZeitGrabmal auf dem St.Johannis-Friedhof in Nürnberg, eine Journalistin geist und hat ihre Moden. Welche ausländischen Autoren werden
stolpert buchstäblich darüber. Mittlerweile gibt es ja auch Regional- denn gelesen?
krimis für Jugendliche, „Oskar und das Geheimnis der
Stieg Larsson natürlich und Camilleri mit seinem
verschwundenen Kinder“ von Claudia Frieser spielt im
„Commissario Montalbano“, vom neuen Donna Leon
„Mord in der
mittelalterlichen Nürnberg. Dazu werden sogar extra
kaufen wir immer gleich fünf bis sechs Exemplare.
Volksbücherei?
Stadtführungen angeboten.
Und Mankell ist natürlich ein Dauerbrenner – auch
Durchaus.“
Sprachlich sind die Krimis der heimischen Autoren
die Jugendbücher. Als er noch nicht so bekannt war,
nicht immer gut, oder?
haben die trotz vieler Auszeichnungen in den Regalen
Das ist wirklich wahr! Tessa Korber kann schreiben, Veit Bronnen- gestanden wie festgemauert.
meyer auch – aber viele andere… Wenn ich Sätze lese wie „blutrot Schweden ist eben doch weit weg. Apropos: Wie findet man Regiging die Sonne über dem Henkersteg unter“, dann muss ich das onalkrimis, wenn Ihre Regale immer leer geräumt sind?
weglegen. Aber das hängt sicher auch damit zusammen, dass alle In unserem Katalog – oder auch über das unabhängige und ausgehalbe Jahr ein neues erscheinen muss. Bei amerikanischen Krimis zeichnete Portal www.krimicouch.de . Auf dieser Internetseite kann
kann ich’s noch auf den Übersetzer schieben, wenn Metaphern nicht man in die Suchmaske auch einen Ortsnamen eingeben und die
stimmen oder „ein ungeschliffener Goldklumpen“ den Besitzer wech- zugehörigen Krimis erscheinen. Praktisch, finde ich.
selt. Das ist furchtbar. Ich habe auch schon Bücher an die Wand Könnten Sie sich denn vorstellen, dass ein neuer Regionalkrimi
geworfen – meine eigenen natürlich.
hier…?
Und wie steht es um den Plot?
Mord in der Volksbücherei? Durchaus. Wir können ja mal in den
Manche können es! Meine wirkliche Lieblingsautorin Virginia Doyle Keller gehen… Da gibt es einige Ecken, wo man jemanden vergraben
– ein Pseudonym – schickt Meisterkoch Jacques Pistoux auf Wan- könnte. Ich kenne manche Leser, bei denen ich ein starkes Bedürfnis
derschaft. Er kommt auch nach Nürnberg, wo er einen toten Jungen verspüre… Wenn sie zum Beispiel Bücher zurückbringen, aus denen
in einer Gasse findet. Im Mund hat er ein Stück Lebkuchen… Die noch das Wasser tropft, und behaupten: „Das war schon so“! Aber
Lebenssituation im 19. Jahrhundert ist gut geschildert, die Fälle sind morden würde ich deshalb natürlich nicht. Einen nagelneuen Krimi
spannend. Aber ich mag auch historische Krimis wie „SPQR“ von habe ich selbst mal ruiniert: Ich hatte mich am Papier geschnitten
John Maddox Roberts, der im alten Rom spielt, und die Fälle von und habe es nicht gemerkt, die Seiten waren dann buchstäblich blutRichter Di aus dem alten China, die Robert van Gulik geschrieben befleckt. Natürlich habe ich Ersatz gekauft – so begierig wie unsere
hat. Oder Carl Hiaasen, der witzige, skurrile Geschichten erzählt.
Leser auf Krimis sind.
Ohne Tote kommt vermutlich kein Krimi aus?
Spontan würde ich sagen, stimmt. Sogar in den Krimis von Frank
Tallis, wo der Psychoanalytiker Max Liebermann dem Detektiv bei
Interview: Gabi Pfeiffer, Straßenkreuzer Redaktion
Foto: Peter Roggenthin, www.roggenthin.de
26 Sozialbörse
211.000 Menschen in Deutschland
Der Straßenkreuzer misst die Qualität des Miteinanders, gibt dem
­Status Quo der sozialen Gerechtigkeit eine Größe und bilanziert das Auf
waren 2007 nicht krankenversichert.
und Ab der sozialen Wohltaten, Missstände und Frechheiten: Wo wird
45.000 sind es auch heute noch.
Geld gekürzt, was läuft falsch, wer ergreift die Initiative? Das soll an
­unserer Sozialbörse mehr interessieren als Dow, Dax und TecDax.
Zwar hat die Einführung der Versicherungspflicht die Zahlen massiv gesenkt.
Doch wer sich wieder versichern will,
Preise unter Strom
schreckt viele Arme ab.
Steigerung
der Preise von
2005 bis 2009
22%
17%
7,6%
Kauf, Unterhalt und Betrieb
von Kraftfahrzeugen
Sitzen zu viele Angestellte und Beamte in deutschen
Amtsstuben? Immerhin sind elf Prozent aller Erwerbstätigen im öffentlichen Dienst beschäftigt. In
den USA sind es jedoch 16 und in Großbritannien
sogar 19 Prozent.
Beiträge rückwirkend erstatten. Das
Fernreisen
mit der Bahn
Stets zu Diensten
muss alle seit 1. April 2007 angefallenen
Fahrten mit öffentlichen
Verkehrsverbünden
Die Strompreise steigen. Aber
nicht für alle: Während private
Haushalte kräftig in die Tasche
langen müssen – eine dreiköpfige Familie zahlte 2009 durchschnittlich
7,2 Prozent mehr als im Vorjahr –, kann die
Industrie satte Rabatte heraushandeln. Für
Großverbraucher sind die Strompreise um
20 Prozent gefallen. Glauben Sie nicht? Die
Zahlen stammen aus einer unverdächtigen
Quelle: dem Bundesverband der Energie- und
Wasserwirtschaft. Er prognostiziert übrigens
weitere leichte Steigerungen im laufenden Jahr,
für Kleinverbraucher.
All Inclusive für Arme
Der preiswerte All-Inclusive-Urlaub bleibt für die
Masse der deutschen Urlauber das einzig Machbare. Wer es sich leisten kann, sucht aber den
„besonderen Urlaub“ mit Öko-Anspruch, Kontakt
zu Einheimischen, ein wenig Abenteuer und das
Gefühl, individuell in fremde Kulturen eintauchen
zu können – aber immer auf Nummer sicher.
80 Prozent der Beamten leisten sich eine Urlaubsreise, aber nur 41 Prozent der Arbeiter.
Persönlichkeit
zählt
Moderne Zufluchtsstätte
„Spitzenarchitektur für Obdachlose“ verspricht der Titel des Hochglanzmagazins
Architectural Digest. Auweia, wie peinlich, ist der erste Gedanke – aber falsch
gedacht. In einem ausführlichen Beitrag ist zu erfahren,
dass da in Los Angeles sensible und menschliche Architektur entstand. Architekt Michael Maltzan: „Menschen,
die auf der Straße leben, ziehen zuallererst Schutzwälle
um sich hoch, innere ebenso wie solche aus Pappkartons,
um zumindest das Gefühl von Sicherheit zu bekommen.
Ich muss ihnen also erst gemauerte Schutzwälle geben,
damit sie sich seelisch wieder öffnen können.“ Nach außen
eine Art Trutzburg erweist sich das Gebäude nach innen
erstaunlich offen und großzügig, und von der schicken
Dachterrasse blicken die
Bewohner auf jene Straßen,
denen sie eben erst entkommen sind. – Respekt, Herr
Architekt!
Es sind nicht die Noten! Wenn Unternehmen neue Mitarbeiter frisch von
der Uni einstellen, zählen vor allem
Persönlichkeit, Kommunikationsfähigkeit und die praktischen Erfahrungen des Bewerbers. Das ergibt eine
Umfrage des CRF Instituts, einem
unabhängigen Zusammenschluss von
Personaldienstleistern, unter deutschen Unternehmen. Sprachkenntnisse sind nur für jeden vierten Chef
entscheidend, auf Auslandserfahrung
legt nur jeder sechste Wert. Und sogar Kreativität und ehrenamtliches
Engagement sind wichtiger als die
Schulnoten (zehn Prozent) und die
Studiendauer (drei Prozent).
Nein zum Ja-Wort
Die Bevölkerungsforscher
wissen es jetzt schon: Immer
mehr Menschen in Deutschland bleiben ledig – ihr Leben
lang. Von den Jüngeren wird
ein Drittel der Frauen niemals ein „Ja-Wort“ geben, bei
den Männern bleiben fast 40
Prozent ehelos.
Lebensmut verloren
Wenn Eltern sich das Leben nehmen, sind
auch ihre Kinder stärker suizidgefährdet.
Eine Studie von amerikanischen und schwedischen Wissenschaftlern hat Lebensläufe
von Kindern, deren Vater oder Mutter sich
umgebracht hatten, mit denen von Kindern
lebender Eltern. Ergebnis: Wer als Kind oder
Jugendlicher einen Elternteil durch Suizid
verloren hat, verübt später dreimal so häufig Selbstmord. Auch die Wahrscheinlichkeit
für Gewaltverbrechen steigt. Waren Kinder
beim Tod des Vaters oder der Mutter jedoch
mindestens 18 Jahre alt, erhöht sich das Risiko nicht.
Teure Gesundheit
Viel Glück und natürlich Gesundheit, das wünscht man sich
zum Geburtstag. Und muss den
Rest des Jahres zahlen: 3210 Euro
pro Einwohner hat das deutsche
Gesundheitssystem im Jahr 2008
gekostet. Ein Anstieg von rund
vier Prozent auf 263 Milliarden
Euro. Die Hälfte der Ausgaben
verschlingen Arztpraxen, Apotheken und Pflegeeinrichtungen.
Kopf und Zahl 27
Alles im grünen Bereich
Immer mehr, immer größer, immer moderner – Gewächshäuser im Knoblauchsland sind gläserne Symbole für die
starke Konkurrenz im nationalen wie internationalen Gemüseanbau und zeigen den Kampf um die letzten Flächen
im Gebiet nördlich von Nürnberg.
Das Knoblauchsland gilt seit jeher als „Gemüsegarten“ der Städte Nürnberg, Fürth und Erlangen. Nur im Nordwesten hat eine Spezialisierung auf Tabakanbau stattgefunden. Als in den 1960er Jahren die Folienabdeckung eingeführt wurde, konnte sich wohl niemand vorstellen, wie massiv wenige Jahrzehnte später riesige Gewächshäuser
das Landschaftsbild bestimmen würden.
1984 gab es im Knoblauchsland Glashäuser auf einer Fläche von 22 Hektar.
Heute hat sich die Fläche auf 57 Hektar vergrößert. Das entspricht einer Steigerung von 160 Prozent in knapp 25
Jahren. Eine aktuelle Bestandsaufnahme der Stadtverwaltung Nürnberg zum Gewächshausbestand und zur Entwicklung des Gebietes nennt den Flughafen, Bauflächen und Naherholung als größte Konkurrenten der Gemüsebauern. Sie verschweigt auch nicht, wie sehr Maschinenhallen und immer neue Gewächshäuser das Landschaftsbild
verändern. „Es bildet sich ein neuer Typus eines dörflichen Ortsrandes heraus, geprägt durch das spannungsvolle
Nebeneinander von technischen Bauwerken (Glashäusern) und der gewachsenen dörflichen Bebauung.“
Aus ökologischer Sicht verursacht der Gewächshausbau Probleme: Versiegelung des Bodens und damit weniger
Grundwasser, immer höherer Energiebedarf vor allem durch das Beheizen der Häuser, Verdrängung von Tieren.
Andererseits ist die ortsnahe Versorgung mit Gemüse ein wichtiger Aspekt in Zeiten steigender Energiepreise.
Gemüsebauern erhalten auch keine EU-Förderung. Sie müssen sich im Markt durchsetzen. Zusammen mit den
Landwirten sollen nun Konzepte für Bebauung und eine gemeinsame Energieversorgung entwickelt werden.
Foto: Herbert Liedel, www.herbert-liedel.de
28 Andere Ansichten / Martina Wember
Martina Wember, geboren
1961 in Erlangen, studierte
Kommunikationsdesignund –wissenschaften an
der Kunsthochschule Berlin
Weissensee und der UdK. Sie
illustriert für den Tagespiegel,
Magazine und Verlage. Einige
prämierte Zeichenbücher
erschienen beim Verlag
Mandelkow, bei Ritter und
artistbooks. Ihr Plakatentwurf
für den Code der Stadt Berlin
wurde vergangenes Jahr
mit Gold ausgezeichnet. Ihr
Comic „Die Krokotasten“ ist
eine Hommage an Wilhelm
Busch und transportiert seine
„bösen Ideen“ in die heutige
Zeit. Martina Wember lebt und
arbeitet in Berlin.
www.wemberzeichnung.de
Straßen der Welt 29
Der Straßenkreuzer ist Mitglied im Weltverband der Straßenzeitungen, dem INSP
(International Network of Street Papers). Etwa 100 Magazine haben sich hier
zusammengeschlossen, pflegen den Austausch und wollen Sprachrohr sein für sozial
benachteiligte Menschen. Ein Klick auf die Seiten von www.street-papers.org zeigt die
Welt aus der Perspektive von Armut und Ausgrenzung, stellt aber auch viele Projekte vor,
die Mut machen, und Menschen, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Ein Blick auf diese
Seite führt regelmäßig in die Berichterstattung des INSP.
Obdachlose Kinder in Denver
rechnen mit besseren Noten
In Denver (Colorado) sind rund 16.000 Schüler „obdachlos“ gemeldet. Überall in den USA steigt die Zahl der Kinder ohne
ein sicheres Zuhause stark an. Denver hat eigens eine „Koordinatorin für die Ausbildung von obdachlosen Kindern und
Jugendlichen“ installiert und versucht nun, mit mehr Geld für Nachhilfe vor Ort und Übernahme anderer Schulkosten
den betroffenen Mädchen und Jungen bessere Chancen für ihre Zukunft zu bieten. Das hilft auch Eltern, wie das Beispiel von Luz Hernandez zeigt
uz Hernandez und ihre beiden Kinder leben im LambuthFamilienheim der Heilsarmee in Denver – und es geht ihnen heute deutlich besser als noch vor einem halben Jahr.
Damals hatte Hernandez zwar zwei Jobs und eine Wohnung, aber
kaum Zeit für ihre Kinder Tochter Lesley (13) und ihren Sohn Adrian
(12). Dass sich die Mutter und ihre Kinder im Heim wohlfühlen,
hat mit der einladenden Atmosphäre, mit Holzböden und Sesseln
zu tun, aber auch mit dem neuen Schulprogramm, das ins Haus
kommt. Das hilft den Kindern, zumindest in der Schule mit anderen
mithalten zu können.
Die Kinder im Heim lernen heute in einer Weise, wie es vor einem
Jahr noch nicht möglich war. „Denver Public Schools“ hat ein Programm für obdachlose Schüler eingeführt, in dem auch Adrian und
Lesley mit staatlicher Finanzierung Nachhilfe erhalten. Das Problem
der Obdachlosigkeit wächst in atemberaubender Geschwindigkeit.
Die Zahl obdachloser Schüler in Colorado lag im Schuljahr 2007/08
bei 12.302. Im Bericht des Bundesstaates Colorado für das Schuljahr
2008/09 werden bereits 15.834 obdachlose Schüler genannt. Ein
Zuwachs von 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
L
Immobilienkrise trifft die Jüngsten
Es ist ein Trend, der sich über die ganze Nation ausbreitet und getrieben wird durch Arbeitslosigkeit und die Kündigung von Hypotheken.
Schätzungsweise mehr als eine Million obdachlose Kinder sind in
den USA von Vorschule bis High School eingeschrieben.
Dana Scott ist „Koordinatorin für die Ausbildung von obdachlosen
Kindern und Jugendlichen“ in Colorado. Sie beobachtet nicht nur
eine steigende Anzahl, „auch die Komplexität der Fälle steigt“. So
bedingen sich nach ihrer Erfahrung oft Arbeitslosigkeit und häusliche Gewalt. Doch sogar Familien mit besten Absichten würden aufgrund der miserablen Wirtschaftssituation die Bildung ihrer Kinder
vernachlässigen. Wie die Mutter, die ihren Job unbedingt behalten
musste, um das Haus zu bezahlen. Da sie sich keinen Babysitter
leisten konnte, musste das ältere Kind zu Hause bleiben, um auf das
jüngere Kind aufzupassen. „In diesem Fall“, so Scott, konnte der
Schulbezirk „Geld auftreiben, um das jüngere Kind in einem Ganztageskindergarten unterzubringen“ damit das ältere wieder in die
Schule gehen konnte. Ein Szenario, das sich sehr häufig so abspiele.
Was Fachleute wie Dana Scott besonders beunruhigt, sind Fälle von
„Vor-Obdachlosigkeit“, die versteckt, außerhalb der Heime, geschehen. Ein Schüler der Mapleton High School etwa lebte fast ein Jahr
lang in der Garage seiner Verwandten, im Winter in eisiger Kälte.
Nun wohnt er im Urban Peak Heim in Denver. Die Schule sei der
einzige Ort gewesen, an dem der in Frieden lernen, essen und sich
waschen konnte, erzählt er.
Auch für Hernandez und ihre Familie war die schwierigste Zeit die,
bevor sie in das Heim kamen. Adrian erinnert sich, wie er manchmal
um drei Uhr früh aufwachte und seine Mutter weggehen hörte zu
einem ihrer Jobs. Nach solch unruhigen Nächten war es „schwer,
früh aufzustehen“, sagt der Junge. Wenn die Mutter bis spät nachts
arbeitete, passte die Oma auf die Enkel auf.
Jeder vierte Schulbezirk
Das Geld, das verfügbar ist, um obdachlosen Kindern zu helfen, wird
mehr – zumindest momentan. Für das laufende Schuljahr stehen in
Colorado insgesamt 1,38 Millionen Dollar zur Verfügung.
Dadurch konnten Programme in 48 der 178 Schulbezirke aufgebaut
werden, bisher war dies nur in 32 Bezirken möglich. Am meisten
Nachfrage habe für Nachhilfestunden bestanden, weiß ObdachlosenBeamtin Anna Stout. Die Kinder wollten „einen ruhigen Ort, wo
sie sich auf ihre Schularbeiten konzentrieren können, während die
alltäglichen Lebensumstände oft laut und chaotisch sind.“
Von Michael Neary, Denver Voice; übersetzt von Martina Hillbrand
Foto: Adrian Diubaldo
© Street News Service: www.street-papers.org
30 Köpfchen und Kröpfchen
Kreuzer-Rätsel
Kochen mit Jochen
Vorsicht, Falle!
Hähnchenbrust mit Risi Bisi
Jeder nennt den Zeugenberg in Ehrenbürg so
Jochen Banzhaf hat von seinen
bislang 71 Lebensjahren 46 in
Ein Junge heißt in Franken auch
ganz Deutschland als Restaurantfachmann und Koch gearbei-
Wird gerade im Burgfarrnbacher Schloss restauriert
tet. Zuletzt sorgte der gebürtige
Oberpfälzer im renommierten
Lamm – hat in Erlangen diesen sehenswerten Zusatz
„Goldenen Posthorn“ am Sebalder
Platz dafür, dass der Service bes-
Stand mal für Margarine aus Nürnberg
tens klappt. Ein Anspruch, den er
auch im Straßenkreuzer erfüllt.
Improtheater in Nürnberg, das Appetit macht
Unter dem Motto „Aus weniger
mach mehr“ serviert der Profi
Wenn der Kopf schmerzt, dröhnt fränkisch der
leckeres Essen, bei dem eine Prise
Fantasie wichtiger ist als eine
dicke Portion Euro!
(Ä=AE; Ö=OE; Ü=UE; ß=SS)
Die letzten Buchstaben ergeben von oben nach unten
das L
­ ösungswort!
Die Tatsachen:
Das Risi Bisi (Risi e Bisi) oder Erbsenrisotto, ist ein Klassiker der
venezianischen Küche. Traditionell wurde es in Italien zu Ehren des
Apostels Markus im April den Oberhäuptern, den Dogen, als erster
Gang eines Menüs serviert. Dogen gibt es nicht mehr, Risi Bisi schon.
Hier hat mal der gute Geschmack überdauert. Risi Bisi schmeckt als
Beilage oder pur. Es ist eine Variante der Risottogerichte, die immer
mit Rundkornreis zubereitet werden. Reis ist seit der Renaissance in
Italien bekannt und wird vor allem in der Poebene angebaut.
500 g Hähnchenbrust TK 2,20 Euro
300 g Reis, 1 kl. Dose Erbsen
2,20 Euro
1 kl. Glas Kapern, 1 Sahne
1 Zwiebel, 50 g Butter, Salz, Pfeffer, Zucker
Jetzt geht’s rund. Ob man nun Fußball-Fan ist oder
nicht, dem Sport für Millionen (im doppelten Sinne)
entkommt man kaum. Warum auch, haben wir uns
gedacht, als die Marketingabteilung von Dr.Oetker
angeboten hat, fünf Fan-Pakete für eine Verlosung
zur Verfügung zu stellen. Mit WM-Shirt und Fähnchen, Kühlbox und südafrikanischen Vuvuzela-Tröten.
Nur die eigens zur WM kreierte Pizza ist nicht im
Päckchen. Sie könnte ja verderben. Aber auch ohne
Pizza ist das Paket auf jeden Fall kein Spielverderber.
Nur besonders schnell sein müssen alle, die ein FanPaket gewinnen wollen. Damit es pünktlich zum WMBeginn bei Ihnen ankommt. Viel Glück!
Lösungen bitte bis 7. Juni 2010 per Post,
Fax oder Mail ins Redaktionsbüro des Straßenkreuzer,
Glockenhofstr. 45, 90478 Nürnberg
Fax 0911 / 4318671, Mail: post@strassenkreuzer.info
Absender nicht vergessen – viel Glück!
Lösung aus Heft 5/2010: „Trucker“ (Frost, Keller, Z-Bau, Mac, Sack, Sinne,
Bär). Je eine von drei Tageskarten für das Truckerfestival in Geiselwind mit
Gunter Gabriel haben gewonnen: Christine Schmalzbauer, Hermann Frieß,
Alexander Diezinger, alle Nürnberg.
Je ein Wochenendticket für das Festival vom 21.-24. Mai auf dem Gelände
des Autohofs Strohofer haben gewonnen: Peter Vogt, Fürth; Christa Rauh,
Langenzenn; Herbert R. Räder, Nürnberg. Wir gratulieren!
Gesamt
Bei 4 Personen
1,40 Euro
0,60 Euro
6,40 Euro
ca. 1,70 Euro
Los geht’s:
Hähnchenbrüste langsam auftauen. Dann in etwas Butter von beiden
Seiten anbraten, aus der Pfanne nehmen und bei 80 Grad im Ofen in
Folie gewickelt warm stellen.
Den Bratenfond in der Pfanne mit etwas Butter auffüllen und mit Sahne angießen. Langsam einkochen lassen, mit Salz und Zucker würzen
und die Kapern ohne Saft dazu geben. Ca. 10 Min. köcheln lassen.
Den Reis in Salzwasser gar kochen (Rundreis eignet sich besonders gut
für Risi Bisi). Kurz vor Schluss die Erbsen dazu geben (ohne Wasser)
und unter den Reis heben. Fertig ist das Risi Bisi.
Die fertigen Hähnchenbrüste aus dem Ofen nehmen, aus der Folie
wickeln, würzen und mit dem Risi Bisi servieren.
Das Rezept schmeckt natürlich auch mit Spargel statt Kapern.
Guten Appetit wünscht
Jochen
UnsersozialesEngagement.
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SOMMER 2010
Mi, 9. Juni 2010, 20.00 Uhr
Do, 1. Juli 2010, 20.00 Uhr
1. SERENADE
DA R F I C H B I T T E N ?
6. SERENADE
Mo, 14. Juni 2010, 20.00 Uhr
2. SERENADE
DURCH HAIN UND FLUR
Ein romantischer Abendspaziergang
mit Chefdirigent Alexander Shelley
Musik von Carl Maria von Weber,
Richard Strauss und Ludwig van
Beethoven • Solist: Matthias
Nothhelfer, Horn • Dirigent:
Chefdirigent Alexander Shelley
Di, 27. Juli 2010, 20.00 Uhr
7. SERENADE
B R AV O, B R AV I S S I M O !
Vorhang auf für Oper und Belcanto
Musik von Umberto Giordano, Pietro
Mascagni, Giacomo Puccini, Peter
Tschaikowsky, Giuseppe Verdi u. a.
Solisten: Anne Lünenbürger, Sopran •
Niclas Oettermann, Tenor • Randall
Jakobsh, Bass • Dirigent: Daniel Jakobi
Mi, 28. Juli 2010, 20.00 Uhr
8. SERENADE
Programm und Künstler wie 7. Serenade
Mi, 16. Juni 2010, 20.00 Uhr
So, 1. August 2010, 20.00 Uhr
3. SERENADE
OSCAR-VERDÄCHTIG!
9. SERENADE
S W I N G A RO U N D
THE WORLD
Symphonisches aus Hollywood
Musik von John Barry, Alan Menken,
Monty Norman, John Williams,
Hans Zimmer u. a.
Dirigent: Rasmus Baumann
Gastkonzert des Landes-Jugendjazzorchesters Bayern
Überraschungsprogramm aus Swing und Jazz
Leitung und Moderation: Harald Rüschenbaum
Do, 17. Juni 2010, 20.00 Uhr
Di, 3. August 2010, 20.00 Uhr
4. SERENADE
10. SERENADE
Programm und Künstler wie 3. Serenade
Programm und Künstler wie 1. Serenade
Mi, 30. Juni 2010, 20.00 Uhr
So, 8. August 2010, 20.00 Uhr
5. SERENADE
DAVON GEHT DIE WELT NICHT UNTER
11. SERENADE
SCHÖNE MISCHUNG
UFA-Melodien und Broadway-Highlights
Musik von Ralph Benatzky, Michael Jary,
Theo Mackeben, Irving Berlin, Cole
Porter, Andrew Lloyd Webber u. a.
Solistin: Karin Pagmar, Gesang und
Conférence • Dirigent: Heinz Walter Florin
Gastkonzert des Bayerischen
Landesjugendorchesters
Musik von Leonard Bernstein, Victor Herbert und
Peter Tschaikowsky
Solist: Maximilian Hornung, Violoncello •
Dirigent: Sebastian Tewinkel
K A RT E N T E L E F O N : ( 0 9 1 1 ) 4 7 4 0 1 - 5 4
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Tango, Swing & Cha-Cha-Cha
Musik von Georges Bizet, Glenn Miller,
Astor Piazzolla, Cole Porter u. a.
Solist: Lothar Hensel, Bandoneon •
Dirigent und Moderation:
Enrique Ugarte
Programm und Künstler wie 5. Serenade
Gut für die Region.
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