Streifzug durch die Geschichte des Handwerks - Elektro

Transcription

Streifzug durch die Geschichte des Handwerks - Elektro
Ein Streifzug durch die Geschichte des Handwerks
!
!
!
!
andere giga ntische V orh ab en vo n M enschenhand
erric htet w urden, die n ic ht nu r ein g era d e zu ve r blüffendes technisches, w ie auch handw e rk liches
K n o w -H o w vo ra u s s e tze n . D e n k e n w ir n u r a n d ie
geheim nisvollen, großen Steindenkm äler, in Form von
Dolm en und Megalithen in England und Frankreich, an
großartige und handwerklich-technisch perfekte Bauten
in Südam erika, deren Sinn und Zweck allerdings den
W issenschaftlern im m er noch Rätsel aufgibt.
Auf jeden Fall ist davon auszugehen, dass die M enschen, die auf oftm als so wunderbare W eise ihre Spu
ren hinterlassen haben, keine in Felle gehüllte Barbaren waren, die gerade mal einen primitiven Faustkeil
in ihrer Hand hielten.
Erstaunlicherweise gab es zu diesen Zeiten, jedenfalls
nach Lehrm einung, überhaupt noch keine W erkzeuge,
m it denen m an beispielsweise solch harten Gesteine
wie G ranit und vor allem in solchen Ausm aßen bearbeiten konnte. Gehärtete M etalle, wie Eisen waren
noch gar nicht entdeckt !
Der wissenschaftliche Disput geht weiter und wir wollen
uns an dieser Stelle auch nicht einm ischen. Eines ist
jedoch klar : die Anfänge von handwerklicher Kunst
reichen weiter zurück, als noch vor k urzer Zeit angenom m en.
Die Entwicklung des Handwerks, eines von “Händen
g e fo rm te n W e rk e s ”, s in d u n tre n n b a r m it d e r a llgem einen Entwicklung des Menschen verbunden.
W enn m an vom “Menschen” spricht, spricht man auch
vom Handwerk.
N e ben vielem U n gek lärten aus diesen Z e ite n a u f
unserer Erde, lässt sich zum indest in Mitteleuropa seit
dem Ende der Jungsteinzeit eine relativ klare Entwicklung der handwerklichen Kultur verfolgen.
Anknüpfend an unseren “Feuerstein-Meister” m üssen
wir uns auch die ungeheuren Zeiträum e klarm achen,
in denen beispielsweise die W eiterentwicklung von
Steinwerkzeugen voranging. Tausende Jahre tat sich
nichts !
Bis eines Tages ein aufm erksam er Mann am Feuer
entdeckte, dass aus den Steinen, die die Feuerstelle
begrenzten und die m it rötlichen Streifen durchzogen
waren, kleine Rinnsaale einer Flüssigkeit hervortraten.
Kupfer ! Nach dem Erkalten der Feuerstelle nahm er
die rötlich-glänzenden unregelm äßigen Gebilde, die
entstanden waren, in die Hand. Er wusste nicht, was
er dam it tun sollte, also hing er sich ein besonders
schönes, m it einem Loch versehenes Metallplättchen
als Am ulett um den Hals.
Schnell sprach sich der neue Schm uck herum . Auch
andere wollten solche geheim nisvollen Gegenstände
besitzen. E s setzte ein fieberhaftes S am m eln von
Steinen ein, die von rötlichen Adern durchzogen waren.
Man fand auch Brocken, die gelbe oder helle Äderchen
zeigten. Der W eg zu den Metallen war bereitet !
D iese für die M enschheit ungeheuer bedeutsam en
Entdeckungen fanden nicht nur an einer bestim m ten
Stelle oder gar gleichzeitig auf diesem Planeten statt.
Vielm ehr vollzogen sich diese Entwicklungen völlig
zeitversetzt über tausende Jahre und an den unterschiedlichsten Plätzen aller Kontinente.
Bald schon gewann m an ganz gezielt das Metall aus
den Erzen an der Erdoberfläche.
Das Handw erk in alter Zeit
Der Aufstieg des Handw erks und der Städte
Das Handwerk nach dem Dreißigjährigen Krieg
Die industrielle Revolution, der Liberalismus
und die Entw icklung bis in die Gegenw art
Das Handwerk in alter Zeit
Der M ann trägt schwer an seiner Last. Tief gebeugt
schleppt er auf seinem Rücken einen aus W eidenruten
geflochtenen Korb ins Lager seiner Sippe. Am nahe
gelegenen Bachlauf hat er Feuersteinknollen ausgegraben, die er jetzt seinem Bruder bringt. Dieser hat
besonderes Geschick, die Brocken aus Feuerstein zu
bearbeiten. Er hat es in A uge und G efühl, w o die
Sprünge und Risse im Feuersteinknollen gehen, wo
m an ansetzen m uss und w ie stark m an den Schlag
führen m uss, dam it aus dem ungefügen blauen Stein
m it der grauen Rinde die kunstvolle Steinaxt wird, m it
der m an sogar Bäum e fällen kann.
Er verstand es, m it allerlei Hilfsm itteln wie Sand, Ton
und verschiedenen T ierknochen die grob zurechtgehauenen Steinwerk zeuge und -waffen w eiter zu
bearbeiten.
Kanten wurden begradigt, dam it S chneiden daraus
wurden, die anschließenden Flächen poliert, dam it die
W erk ze uge bes s ere E igens c haften annahm en, ja
sogar Löcher arbeitete der erste Handwerksm eister mit
viel Geduld in den Stein.
Sein Großvater hatte diese Kunst des “Bohrens” von
einem längeren Streifzug jenseits des G ebirges vor
vielen Jahren m itgebracht. Die von ihm hergestellten
Äxte, Schaber, Messer, Pfeil-und Speerspitzen sind
wegen der besonders guten Ausführung nicht nur bei
seiner Sippe b egehrt, sondern sind auch begehrte
T a u s c h o b je k te b e i fr ie d lic h e n B e g e g n u n g e n m it
anderen Stäm m en.
Ganz früh hat m an die Töpferei entdeckt. Irgendwann
in dieser E poche m ögen Frauen festgestellt haben,
dass T onerde im Feuer hart wird und sich dann auf
solch einer Tonscherbe das Regenwasser ansam m elt
und nicht versickert.
W elche Gelegenheit, welche Möglichkeit, Flüssigkeiten
aufzubewahren. Das Töpferhandwerk entwickelte sich
ra s c h . S icher besaß jede F am ilie F ähigk eiten zu
dieser Keram ikherstellung und nicht nur bestim m te
Personen.
D er “erste Handwerksm eister” , wie wir ihn nennen,
m ag so oder ähnlich gewirkt haben. N iem and kann
genau sagen, wo und wann diese erste Meisterwerkstatt existiert hat. Die Steinzeit - wie wir sie nennen um fass t einen für uns ere heutig e n Z e itm a ß s täbe
u n g e h e u r e n Z e itra u m . S ie re ic h t vie lle ic ht ze h n tausende Jahre in das geheimnisumwitterte Dunkel der
Menschwerdung zurück. Dabei verlief die Entwicklung
der Völker auf unserer Erde durchaus unterschiedlich.
Sowohl unter zeitlichen, als auch unter qualitativen
Gesichtspunkten.
M ittlerweile gibt es unu m stöß liche B ew eise, dass
schon vor m ehr als zehntausend Jahren Bauten und
1
Erste einfache Bergwerke wurden angelegt. Kupfer,
G o ld , Z in n w a r e n d ie e r s t e n W e r k s to f f e d ie zu
Schm uc k gegens tänden, W affen und W erkzeugen
verarbeitet wurden.
Versuch über Versuch wird in der “ersten” Schm iedewerkstatt angestellt.
Vielleicht durch Zufall, wie vieles in der Geschichte der
Menschheit, wurde irgendwo beim Schm elzen von Erz,
K u p f e r u n d Z in n v e rm is c h t - u n d d a s E rg e b n is Bronze- war viel härter als die bekannten Metalle. Ein
neuer W erkstoff war geboren. Eine neue Zeit brach an.
W elch’ Möglichkeiten taten sich auf ! So geschehen
vor über 4000 Jahren irgendwo in Mitteleuropa.
Die Schm iedekunst war geboren. Der Schm ied “weiß”
m ehr als die anderen ! Das geheim nisvolle Elem ent
des Feuers steht ihm zu Diensten - er gilt als ein heim
licher Kenner göttlicher G esetze, denn ihm gehorcht
das Feuer !
ER lernt die Metalle zu form en, zu härten. ER kannte
den Am boss. Er war vielleicht der erste selbständige
und w ic htigs te H andwerker ! D enn er verstand es
W affen herzustellen, Äxte , Schwerter, Dolche und
Pfeilspitzen, die im Kam pf m it anderen Stäm m en und
Völkern von fundam entaler Bedeutung waren.
Der Schm ied führt zugleich Thors Ham m er, das uralte
Sym bol des Rechtes und der W eihe - wir haben es
heute noch, wenn wir eine Grundsteinlegung m it drei
Ham m erschlägen beginnen, oder wenn Gegenstände
unter den Ham m er kom m en.
D ie S u c h e d e s S c hm iedes nac h im m er bes seren
Metallen führte vor vielleicht 3000 Jahren in Europa zur
Entdeck ung des Eisens. Bei den Kelten taucht das
Eisenschwert zum ersten Mal nördlich der Alpen auf.
Die “Hallstatt-Zeit” ist ein Begriff für diese Epoche. Hier
auf dem Gebiet des heutigen Österreichs hatte sich
e in e e r s te b e r g m ä n n is c h e F ö r d e ru n g d e s E rze s
entwickelt.
Eisenschwerter waren allen anderen W affen natürlich
an Festigkeit weit überlegen.
S e lte n n o c h w a r d a s E is e n , d a r u m w e r tv o ll u n d
siegverleihend. So beschränkte sich seine Verwertung
anfänglich fast nur auf W affen.
Aber nicht nur der Schm ied prägte die handwerklichen
Fähigkeiten unserer Vorfahren.
Vor allem die Holzbearbeitung war in den waldreichen
Gebieten Mitteleuropas ausgeprägt. Man verstand es
Pfosten und Balk en zu behauen und zu behobeln,
H olzhäu s e r m it G ie beldäc hern zu bau en un d das
Sparrenwerk der Dächer nicht schlechter zu errichten,
als es heute noch bei schilfgedeckten Häusern der Fall
ist.
Bänk e, S tühle u nd S c hem el w urden gefertigt, aus
Schlafbänken entwickelten sich die Betten und sicher
hat es auch schon Tische in unterschiedlicher Gestalt
gegeben.
Natürlich hatte der W aldbauer allerhand Gerätschaften
zur Bestellung des A ck ers in seinem H aus. Hakenpflug, E gge w are n b ek annt u nd u m C hristi G eburt
wurde der Pflug m it zwei R ädern erfunden, den die
Röm er dam als noch nicht kannten.
Karren, Kasten-und Ackerwagen, sowie Kum m et und
Joch für Pferde u nd O chsen verm ochten die Stellm acher und Zim m erer ebenfalls herzustellen.
Benutzt wurden Äxte in unterschiedlicher Ausführung,
erste einfache Sägen, Ziehklingen als einfache Hobel
und Bohrer m it oben angebrachtem Q uerholz. Das
L o tb le i zu m H a u s b a u w a r bek annt un d vo r a lle m
Holznägel wurden benutzt.
Bronzenägel waren zu weich und solche aus Eisen
wahrscheinlich zu teuer.
Man arbeitete m it Zapfen und Nut bei Holzverbindungen und verwandte das W inkelm aß.
Zweifellos verstanden es die germ anischen Stäm m e,
Tierhäute zu gerben und dam it haltbar zu m achen.
Hergestellt wurden einfache Schuhe, Dolchscheiden,
Schilde, Helm e, allerlei Riem en, Trinkbecher , Eim er,
ja sogar Handschuhe aus Leder.
Dieses Gewerbe setzte jedoch m ehr voraus, als einer
einfachen Bauernfam ilie zur Verfügung stand. Spezielle G erätschaften, die Fähigkeit zur H erstellung der
Gerberlohe oder auch die Nähe zu fließendem W asser
s in d h ie r u n a b d in g b a r. D ie s w e is t a u f e in e frü h e
Spezialisierung ähnlich dem Schm ied hin und m acht
den G erber und S attler zu einem frühen, vielleicht
selbständigen Handwerker.
Dagegen war die W eberei ein reines H ausgewerbe
und als M aterial standen W olle, später Leinen und
Flachs zur Verfügung. Kleider, Röcke, M äntel für die
Frauen sowie Hem den, W ickelbinden um die W aden
und später sogar Vorläufer von Hosen wurden für die
Männer gefertigt. Auch W ollm ützen und Handschuhe
waren bekannt.
Der Schm ied, der Zim m erm ann, G erber, Töpfer und
W eber waren also die ersten H andw erker aus den
Reihen unserer Vorfahren.
Und dies bis vor 2000 Jahren.
D ie Entwicklung der m enschlichen G esellschaft in
Europa hatte bis zum Beginn unserer Zeitrechnung,
der Blütezeit Rom s, einen durchaus unterschiedlichen
Stand erreicht.
Kultur, Handwerk, W issenschaft, Staatswesen, Handel
- alle Bereiche der m enschlichen G esellschaft waren
nördlich und südlich der Alpen völlig unterschiedlich
ausgeprägt.
Das röm ische Reich repräsentierte als Schm elztiegel
der M ittelm eervölker den bis dahin erreichten gesellschaftlichen Stand dieses Raum es.
W ährend die nördlichen Völker auch aufgrund ihrer
anders gearteten Lebensräum e andere Fähigkeiten
entwickelten, die denen der Röm er nicht nachstanden.
Allerdings auf anderen Gebieten.
Das Zusamm entreffen beider Völker war aber nicht nur
kulturell und technisch, sondern auch handwerklich
eine bedeutende, ja historisch einm alige große Befruchtung. Das Handwerk hatte sich natürlich aufgrund
der völlig unterschiedlichen Lebensweise von Röm ern
und G erm anen auch die jeweiligen Erfordernissen
nach sehr unterschiedlich entwickelt.
Städte waren nördlich der Alpen unbekannt, also war
auch kein städtisches Leben m it all seinen W esenszügen und vor allem der handwerklicher Kultur, wie sie
Städte hervorbringen, vorhanden. Vor allem kannte
m an nicht die Steinbaukunst, wie sie die Röm er zu
einer B lüte gebracht hatten. D ie O rganisation der
rö m is c h e n G e s e lls c h a f t v e r la n g t e a b e r d a n a c h .
S traß en , s teine rne B rück en und Viadukte, um nur
einige Beispiele zu nennen, wurden durch ihre Maurer
und Steinarbeiter errichtet, die wir auch heute zum Teil
noch bewundern können.
Im Gegensatz zum Mittelmeerraum , gab es im waldrei2
che n N orden keinen M angel an H olz. Es erscheint
daher einleuchtend, dass die dortigen Völker für die
Häuser ihrer D örfer dieses Material m it erstaunlicher
handwerklicher Fertigkeit verwandten, wie es wiederum
die Röm er nicht verm ochten. Seit der Begegnung der
Legionen Cäsars mit den germ anischen Stämmen sind
viele Dinge in das Leben unserer Vorfahren übernom m e n w o rd e n . A b e r a u c h a n d e r s h e ru m e rre ic h te
m anches die Römer von den Germ anen. Der Hygiene
nicht gerade abträglich war die Bekanntschaft m it der
aus dem W ollfett der Schafe zubereiteten Substanz der Seife, die die Röm er von den Germ anen im portierten, genauso wie Rüben, Rettiche oder westfälischen
Schinken.
Gem auerte W ände und Dachziegel, Glas und Töpferscheibe waren den G erm anen unbekannt. Das Maurerhandwerk entwickelte sich in den folgenden Jahrhunderten ganz wesentlich unter röm ischem Einfluss,
wie noch heute unsere aus dem Lateinischen abgeleite te W ö rte r Z ie ge l, M a ue r, P fe ile r, P f o rte , S tra ße
bew eisen . Eb enso w ie E strich, Ke ller, Ke m ena te,
Mörtel und Kalk.
Die Röm er bringen allerlei technische Erfindungen mit:
Göpel, Tretmühle, W assermühle, Drehtüren, Flaschenzüge, Lupe und Brennglas. Der Erdglobus und W indfahnen waren in Rom bekannt.
Die G lasbearbeitung hatte einen bewundernswerten
Stand erreicht.
Kaiser Tiberius soll einen unzerbrechlichen Pokal aus
Hartglas besessen haben.
Der röm ische Geschichtsschreiber Plinius spricht von
Tischtüchern aus Asbest, die nicht gewaschen, sonder
ausgeglüht wurden. Bleierze aus Bergwerken wurden
zu R ohre n, M ünzen und G es c h o s s en ve ra rb eitet.
W iederum kannten die Röm er keine Fässer. Plinius
schreibt: ”m an verwahrt den W ein am Fuß der Alpen
in hölzernen Gefäßen und um gibt diese m it hölzernen
Reifen”. Dank sei unseren Vorfahren für diese Erfindung ! (Es geht ja nichts über einen im Eichenfass
gereiften Reserva)
Eines der wichtigsten Arbeitsm ittel des Bauern war im
Norden höher entwickelt :
Der Pflug ! Die Germ anen hatten bereits den Räderpflug m it mindestens einer eisernen Pflugschar, der es
erlaubte, viel tiefer und viel gründlicher zu ackern, als
es der röm ische Bauer konnte. Dafür wurden durch sie
auf nördlichem Terrain Kirschen, Pflaum en, Pfirsiche
und - natürlich W ein angesiedelt.
Diese bei weitem nicht vollständigen Beispiele lassen
aber die ungeheure W irkung auf die gesellschaftliche
Entwicklung im Europa dieser Epoche erahnen.
D ie wichtigste Folge der g egens eitigen Berührung
jedoch ist die indirekte Einwirkung. Der Kampf mit dem
röm is c hen R eic h zwang die G erm anen, ihre kleinrä u m ig e n S ta m m e s g e b ild e zu g r o ß e n S tä m m e n
zusam m en zu fassen. Dam it aber entstanden m achtvolle Könige, die als Auftraggeber auch für handwerkliche Kunstschöpfungen mehr aufwenden konnten, als
der einzelne große Bauer.
N icht zuletzt hatte auch die N otwendigk eit, den röm ischen W affen bessere Mittel gegenüber zu setzen,
einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des Handwerks nördlich der Alpen.
Auch die Entwicklung des Handwerks in Rom selbst ist
m it dem Aufstieg und dem Verfall dieser klassischen
Gesellschaft verbunden. W ar es noch in frührömischer
Zeit durchaus ehrbar, als freier Bürger einem Handw erk nachzugeh en, so w ar es m it der steigenden
Anzahl von Sklaven, die aus allen Mittelm eergebieten
nach Rom ström ten, im m er m ehr eine Aufgabe dieser
Sklaven, handwerkliche Arbeiten auszuführen. Natürlich brachten diese M enschen auch die unterschiedlichsten Techniken, Künste und Fertigkeiten m it. Auf
dem H öhepunkt der röm ischen M acht b eruhte die
m eiste handwerkliche Kunst des großen R om s auf
Sklaven und später der Freigelassenen.
Es war aber Sklavenarbeit.
In den unterschiedlichen E pochen des röm ischen
Im perium s soll es aber auch schon besondere Zünfte
oder Gilden(“collegia”)der Goldschmiede, Zimmerleute,
Färber, Schuster, Gerber, Kupferschmiede und Töpfer
gegeben haben, was zumindest auf eine nicht untergeordnete Bedeutung dieser Handwerke schließen lässt.
Mit dem Anbruch der Völkerwanderungszeit, die m an
sich angew öhnt h at m it dem Einfall der Hunnen in
Europa im Jahre 375 n. Chr. anzusetzen, ist auch der
N iedergang des alten Rom nicht m ehr aufzuhalten.
Z w a r k a m e s s c h o n la n g e vo rh e r zu ve rs tä rk te n
Käm pfen, mit den auf die römischen Grenzen drückenden Völker, a be r nun k an n da s ries ige R eich dem
A n s tu rm d e r ve rs c h ie d e n s te n V ö lk e r n ic h t m e h r
wiederstehen. W aren es Klim averänderungen, plötzliches Bevölkerungswachstum oder ein nicht ergründbarer innerer Antrieb der M enschen auf dem eurasischen Kontinent, die die Völker durcheinander wirbelten - niem and weiß es genau !
Die röm ischen W eltreich zerbrach und m it ihm seine
Kunst, Kultur und Gesellschaft.
A n de r Bildhauerkunst oder der M alerei sind diese
Zerfallserscheinungen besonders deutlich zu erkennen. Keine geringe Rolle spielte hierbei das Christentum in seiner frühen E n ts teh un gs zeit. A blehnung
gegenüber allem Darstellenden, Bildlichen, die ja aus
dem alten H eidnischen, der alten W elt der G ötter
k o m m e n , s in d M e rk m a le d ie s e r Z e it. D a m it s in d
na tü rlic h , u n d d a s n u r a ls B eispiele, die a lte h erv o r r a g e n d e B ild h a u e r k u n s t u n d M a le r e i s c h w e r
getroffen. Erst in späteren Jahrhunderten, wie wir es
an prachtvollen Kathedrale und W andmalereien sehen
können, wird diese anfängliche Einstellung überwunden.
Natürlich war der Einfluss der Röm er auf alle Gebiete,
die sie besiedelten, unauslöschlich. Nun kam en aber
auch andere Strömungen der um herziehenden Völker
m it zum Tragen. W ährend in Rom das Handwerk im
N iedergang begriffen w ar, bekam es nörd lich und
südlich der A lpen durch die vielfältigsten frem den
Einflüsse neue Im pulse.
Die bisher röm isch besiedelten Gebiete, ob am Rhein,
an der Donau, in Oberitalien oder in Britannien wurden
von nun an von den dort eingebrochenen Stäm m en
und Völkern besiedelt. Die Langobarden in Oberitalien,
die Angelsachsen in Britannien, die Franken in Gallien
- alle hatten sie die röm ischen Einflüsse in die germ anischen Traditionen ihrer Handwerke einfließen lassen.
Auf der eine Seite zeugen gerade bei Ausgrabungen
entdeckte Goldschm iedearbeiten, z.B. Königskronen,
G eschm eide und k unstvoll gearbeitete S c hwerter
dieser Zeit von hohem handwerklich- künstlerischem
3
K önnen, auf der anderen S e ite s in d r e la tiv w enig
schriftliche Ü berlieferungen bekannt, aus denen der
S tand d es H andwerks im D etail abgeleitet werden
kann.
Ein anderes wesentliches, gesellschaftshistorisches
M om ent m uss m an bei der Betrachtung der Entwicklung des Handwerks im ersten Jahrtausend n. Chr.
unbedingt m it heranziehen.
W ar noch bis zum Ende der Völkerwanderungszeit, im
Reiche der Franken bis etwa 500 n. Chr., der Bauer
und Handwerker noch freier Mann auf seinem Lande,
auch wenn es oftm als noch so klein war, so setzte m it
der Christianisierung eine unheilvolle Entwicklung für
die allerm eisten Menschen ein, überall dort, wo die
Kirche langsam ihre Macht ausbreitete.
Die Unfreiheit kom m t ! Man kann sehr gut nachvollziehen, dass von der geknechteten und geschundenen
Bevölkerung dieser Zeit natürlich keinerlei schöpferis c he Im pulse auf d en u nte rschiedlichsten gesellschaftlichen G ebieten ausgingen. Das dunkle frühe
M ittelalter hielt auch für das Handwerk nichts G utes
bereit. Frondienste, Leistung des Zehnten, Zwangsschenkung auf dem T otenbett sind Merkm ale dieser
Zeit, unter denen die allerm eisten zu U nfreien, zu
“B arscha lk en “ w urden und den G rund herren und
Bischöfen dienen m ussten.
In dem M aß e, w ie d ie freie L an db evö lk eru ng arm
wurde, m ehrte sich der R eichtum der K irche in den
Jahren von 500-1000 n. Chr. ins Unerm essliche.
Mächtige Bistümer entstanden, die gewaltigen Grundbesitz ihr Eigen nannten und keinerlei Abgaben an den
König entrichten m ussten.
In den Klöstern sam m elten sich eine große Anzahl von
Bauern m it handwerklichen Fähigkeiten an, so dass
bald fast jedes Kloster komplett mit allen Handwerkern
aus ges ta tte t w a r, die natürlich nu r für den Klerus
arbeiten m ussten.
Sie waren ja unfrei ! In d ies er Z eit liegen auch die
W urzeln der späteren Zünfte.
Die an den Klöstern und Bischofssitzen zusam m engezogenen Bauern und Handwerker begannen, wo immer
e s ih n e n m ö g lic h w a r , s ic h zu “ B r u d e r s c h a fte n ”
zusam m en zu schließen. Diese Bruderschaften waren
nur für religiöse Zwecke geschaffen, andere Aufgaben
und Ziele waren verboten.
Kaiser Karl der G roße (Karolingische Zeit) verbot im
Jah re 779 n. C h r. jede G ilde “m it wec hse lseitiger
Eidverpflichtung” außer jenen, die der Alm osenspende
und der B eihilfe bei B randschaden und Schiffbruch
dienen sollten.
D ies e B ruderschaften sind die erste Form , m it der
n o c h u n f re ie H a n d w e r k e r zu e in e m e ig e n e n Z u sam m enschluss gelangten.
D a g e g e n h a t e in e a n d e re , u rs p rü n g lic h re in d e n
grundherrlichen Interessen dienende Organisation für
die Geschichte des Handwerks eine starke Bedeutung
bekom m en - das “Magisterium ”. Es ergab sich aus der
Lage der Dinge, dass jeder Fronhof und jedes Kloster,
das über eine größere Anzahl von Handwerkern eines
H andwerk es verfügte, jem and beauftragte, der die
Arbeit dieser Leute zu leiten hatte - einen wie sich die
Klöster lateinisch ausdrückten “magister”. Der Mann an
der Spitze einer solchen Handwerkergruppe brauchte
dabei durchaus nicht im m er selber Handwerker zu
sein, sondern von der Arbeit nur einiges zu verstehen.
O ft w ar diese S tellung m it H ofäm tern verbunden.
Richterliche Aufgaben, G ewerbepolizei und G ewerbegericht zählten zu den Aufgaben des “Magisters”. Im
Laufe der Zeit entwickelte sich aus dieser Konstellation
sogar die M öglichkeit, dieses Am t zu kaufen oder es
aus dem Handwerk heraus selbst zu übernehm en. In
unterschiedlichem Tempo und an verschiedenen Orten
gelang es zunächst den wirtschaftlich am stärksten
aufstrebenden G ruppen das M agisterium zu überwinden. So etwa in Basel und in Mainz, wo die Münzer
diese Angelegenheit selbst in die Hand nehm en und
daraus eine erste echte Gilde entsteht. Sie wird bald
eine vornehm e Gruppe und ist in zunehm enden Maße
weniger Handwerker, als Händler, W echsler Kaufleute
und stellt in der Folge häufig das G roßbürgertum in
den Städten. Andere Handwerkergruppen m ögen in
ähnlicher W eise ihre A nstrengungen unternom m en
haben.
Der Begriff Gilde wird dabei in den unterschiedlichen
Regionen auch unterschiedlich angewandt. Einm al
bezeichnet es eine G ruppe von alteingesessenen
Bürgern, in anderen Städten sind Zusamm enschlüsse
von Handwerkern gem eint oder die Korporation von
Kaufleuten trägt diesen Nam en.
D ie s e A r t d e r W ie d e rg e w in n u n g d e r F r e ih e it is t
sicherlich nicht d enk bar gew esen, w enn n icht e in
neues Mom ent in der städtischen Entwicklung aufgetaucht wäre.
D a s w a r d ie M a sse der in die S tädte ström ende n
Bauern. Stadtluft m acht frei !
W er in die Stadt ging, der wollte sich dem Druck seines
Grundherren entziehen. Es waren vielleicht die Selbstbew usstesten und T üchtigsten, die diesen S chritt
wagten.
So kam auch als neues E lem en t der G edanke der
persönlichen Freiheit und der schaffenden Arbeit als
bedeutende Triebfeder eines aufstrebenden Handwerk
in die Stadt. Von Anfang an - bis zum heutigen Tag w ar der W eg des H andw erks m it einem ständigen
Kam pf für Gleichberechtigung und der Respektierung
ihrer Interessen verknüpft. Da war der Stadtherr, ein
Bischof, G raf oder Herzog. Er erließ Gesetze, legte
Steuern auf und sprach Recht. Ihm gegenüber trat das
Großbürgertum , die “Gilde” , vor allem Kaufleute und
andere wohlhabende Leute nicht “niederer” Herkunft.
D ie G ilde strebte zwar nach städtischer Selbstverwaltung, aber beileibe nicht nach einer Art , die alle
Bürger um fasst hätte. Beide Kräfte waren durchaus
nicht daran interessiert, ein starkes Handwerk (heute
würde man sagen Mittelstand) entstehen zu lassen. Je
s c h w ä c h e r d ie H a n d w e rk e r w a re n , u m s o b illig e r
m ussten sie arbeiten und verkaufen. Man m uss nicht
gerade besondere W eihen em pfangen ha ben, um
Parallelen bis in unsere heutige Zeit zu erkennen.
In dieser Zeit, und entstanden aus diesen Käm pfen,
liegen die W urzeln des deutschen Handwerks, die die
gesellscha ftliche E ntwick lung in M itteleuropa über
J a h rh u n d e rte b is zu m h e u tig e n T a g e w e s e n tlic h
m itbestim m t haben.
4
Stadt gek om m en er H an dw erk er de r U rsprung der
späteren Zünfte sei. Es setzte eine Entwicklung ein, die
sich sehr unterschiedlich vollzog. Sie war abhängig von
vielen Faktoren. Stand die Stadt unter bischöflicher
Verwaltung, übte der König noch unm ittelbar seine
Rechte aus oder hatte er sie schon an die Stadtherren
abgegeben, w ie w aren die M ac htverhältnisse der
Bevölkerungsschichten untereinander. Selbst geografische G esichtspunkte, die m it H andelsprivilegien
verk nüpft waren und dam it natürlich auch m it wirtschaftlicher S tärk e, s pielten e ine g roße R olle. Ein
e in h e itlic h e s B ild d ie s e r E n ts te h u n g s p h a s e d e s
stä dtis chen H andw erk s k ann m an a uf keinen F all
feststellen. Es vollzogen sich aber zwei Entwicklungen
: A uf de r eine n S eite ström ten in im m er größerem
Um fang freie Leute vom Lande in die Städte, die sich
eine neue wirtschaftliche Grundlage schaffen wollten.
Mit ihnen kom m en zahlreiche Unfreie vom Lande, die
“die Stadtluft freim achen” soll. Auf der anderen Seite
löst sich das alte “Magisterium ” langsam auf. Stück für
Stück werden alte Abhängigkeiten abgebaut, bis nur
noch Reste (Am tsbürtigkeit, Ernennung eines “Königsm eisters” durch den Landesherren, Zahlung bestim m ter Abgaben) fortbesteht. Hofdienste verschwinden
gänzlich.
Vom einstigen “Lohnwerker” der ausschließ lich im
frem den Hause und m it gestelltem Material arbeitete
vollzog sich der Schritt zum eigentlichen selbständigen
Handwerker, der seine Produkte in seiner W erkstatt
o d e r s o g a r a u f d e m M a rk t a n b ie te n k o n n te . D a s
W ürzburger Privileg für die Schuhm acher-Innung von
1128 spricht von Abgaben an die Obrigkeit, die doch
eher auf ein bereits m it eigenem Material arbeitendes
H a n d w e r k s c h lie ß e n la s s e n . E in e M a g d e b u r g e r
Urkunde der Schuhm acher von 1152 behandelt ganz
besonders den Verkauf von Schuhen auf dem Markt,
also nicht “Lohnarbeit”, sondern V erarbeitung von
eigenem Material.
Es ist also alles noch im W erden in diesen Städten des
10. und beginnenden 11. Jahrhunderts. Alte Röm erstädte m it Bischofssitzen, Ansam m lungen von Marktbuden, die langsam zu einem festen Handelsplatz m it
dauernder Marktgerichtsbarkeit werden, Zusam m enschlüsse von verkehrsgünstig gelegenen Dörfern,
Vorburgen, die sich zur Gemeinde auswachsen - alles
das besteht nebeneinander. Freies B ürgertu m m it
gildenartiger Verfassung neben langsam sich befreienden einst völlig hörigen und neu eingewanderten freien
u n d f r e iw e r d e n d e n H a n d w e rk e rn , S c h iff e r n u n d
Händlern.
D abei m uss ausdrücklich gesagt werden, dass die
allerm eisten Bürger auch der Stadt, mit landwirtschaftlicher Arbeit befasst waren, um schlicht ihre Nahrungsm ittel zu erzeugen.
D ie R echtsverhältnisse sind uneinheitlich . Es gibt
O rtschaften, wo m ehrere Gerichte nebene inander
bestehen: ein Bischofsgericht, ein kaufm ännisches
Markgericht, das Schultheißengericht der Gem einde
und daneben noch das ganz ländliche Grafschaftsgericht.
Die kaufm ännischen und großbürgerlichen Gilden sind
es, die zuerst einm al den Kam pf m it dem Stadtherrn
führen und Schritt für Schritt die Rechte des Gem einwesens auszubauen versuchen, weil es ihre eigenen
Rechte sind. Erst hinter ihnen rückt das Handwerker-
Der Aufstieg des Handwerks und der
Städte
E s g ib t k a um g rö ß ere G le ic hfö r m ig k e it u n d d o c h
g r ö ß e re V e r s c h ie d e n h e it a ls in d e r L e b e n s - u n d
Gesellschaftsordnung der Periode um das Jahr 1000
n. Chr..
Ü b r ig e n s w a rte te s ch on d am a ls d ie W e lt a u f d e n
U ntergang u nd n ac h d en Ü berlieferungen glaubte
Kaiser Otto III .nicht daran, den Jahreswechsel 999 auf
1000 zu überleben.
Von den alten Röm erstädten am Rhein einm al abgesehen , war das L a n d d a m a ls n o c h g a n z wes entlich
unstädtisch. Überall setzen jedoch starke Neurodungen ein, D ö rfe r, B u rg e n , K lö s ter und M ark tplätze
e n ts te h e n . T ro tzd e m w a r e s s e lb s t fü r d a m a lig e
V erhältniss e e in a rm e s L a n d . Be festigte S traß en
kannte m ann nicht. Die gesundheitlichen Verhältnisse
dieser Zeit m üssen katastrophal gewesen sein.
Viele Schriften deuten auf ständige Erkältungskrankheiten und dam it zusam m enhängende Leiden hin. Das
Klim a soll in dieser Epoche ebenfalls eine Verschlechterung erfahren haben. Fensterglas war viel zu teuer
und deshalb waren oftm als nicht einm al die Burgen der
Ritter dam it ausgestattet, so dass das Bärenfell vor
dem Kam in ein zugiges Plätzchen war. Lediglich die
hohe Geistlichkeit hob sich aus dieser Armut etwas ab.
H inzu kam en ständige kriegerische Auseinandersetzungen und R aubzüge vor allem an den Außengrenzen des dam aligen Reichsgebietes und kosteten
viele Menschenleben. Man m usste neben dem harten
R ingen um den Lebenunterhalt s ehr oft auch ganz
einfach sein nacktes Leben verteidigen. Diese Grenzkriege und Ü berfälle führten im Laufe der Zeit dazu,
d a s s s ic h im m e r m e h r M e n s c h e n s ic h u n te r d e n
S c h u tz d e r B u r g e n b e g a b e n u n d d a m it s tä rk e re
A n s a m m lu n g e n a n s o lc h e n P lä tz e n e n ts ta n d e n .
N atürlich betraf dies auch andere M arktplätze oder
Klöster.
D ie objek tiven V orauss etzungen zur Ve rteidigung
waren an solchen Orten wesentlich besser gegeben,
als in kleinen Dörfern am W aldesrand. Daraus sollten
s ic h s päter die sta rk b e fe s tig te n S tä d te m it ihrem
Stadtm auern, Toren und Zinnen entwickeln.
Von Landschaft zu Landschaft sind die Rechts- und
Lebensverhältnisse ganz verschiedenartig. Man kann
nicht von “der Stadt” des 10. und 11. Jahrhunderts
sprechen. Es gab vielm ehr völlig verschiedene Typen
von Städten: Es gab die alten Röm erstädte am Rhein
m it ihren Bischofssitzen wie, Konstanz, Basel, Straßburg, Speyer, W orm s, Mainz, Köln, Trier und Lüttich,
a b e r a u c h A ugs burg, die sic h durc haus ebenfalls
v o n e in an de r u nte rs ch ie de n. E in e a n d e r e G ru p p e
bildeten Städte die seit etwa dem 9.Jahrhundert im
inneren Deutschland em por kam en, wie: Magdeburg,
B rem en, H am burg, G öttingen, D ortm und, Leipzig,
Tangerm ünde, Bam berg, W eim ar oder Gotha. Eine
dritte G ruppe m ac hen die seit Ende des 11. Jahrhunderts künstlich angelegten Gründungen aus, denen
gleich ein fertiges Stadtrecht erteilt wurde wie : Meißen,
Dresden, Greifswald und - Chem nitz .
Mit viel Eifer ist darüber gestritten worden, ob die auf
d e m F r o n h o f zu s a m m e n g e f a s s t e n H ö r ig e n u n d
u n fre ie n H a n d w e rk e r u n te r ih re m M a g is te r, d e m
“M agisterium ”, oder ob die freie Einung freier in die
5
tum herauf, danach die ganz Arm en.
Einer der heftigsten Käm pfe ging um das Marktrecht
zwischen K aufm annsgilden und Handwerkern. W er
darf auf dem Markt feilhalten ? Eine zentrale Frage des
M ittelalters. W ochen- und Jahrm ärkte gab es schon
vor der Jahrtausendwende. Die Bedeutung der Jahrm ärkte ist von besonderem Gewicht, lockten sie doch
Kaufleute und Händler aus Fern und Nah herbei. Diese
Märkte wurden auf einen Sonn- oder Feiertag gelegt.
Oftm als auch in Verbindung m it der Kirchweihe. Sollte
ein solcher Jahrmarkt Erfolg haben, so musste er unter
k öniglichen S c hutz g e s te llt w e rd e n , d am it die Sicherheit auch über die Grenzen des Grundherrn hinaus
gesichert waren.
W ochenm ärkte zu erlauben, stand dagegen ganz im
Erm essen des Grundherren.
Eine andere Frage war, ob denn auch ein Handwerker,
der nicht in der Stadt ansässig war, auf dem Markt
seine W aren verkaufen durfte. Dies war durchaus nicht
eindeutig entschieden und sicherlich auch in ein und
d e r s e lb e n S ta d t zu v e rs c h ie d e n e n Z e ite n u n te r schiedlich geregelt. Abhängig vom jeweiligen Machtgefüge in der Stadt : Stadtherr - kaufm ännische Gilden
- Handwerker.
Auch auf einem anderen G ebiet, das später im m er
wieder von Bedeutung war, zeigte sich die gewachsene
Stärke des Handwerks - dem Militärischen.
Im jahrhundertelangen Ringen der Königsgeschlechter
um G ebiete, F ürs tentüm er und ganze Königreiche
wogte der Kam pf hin und her. Zeiten der Ruhe folgten
Zeiten der Kriege und Bürgerkriege. D ie Kirche war
voll mit in diesen Kam pf einbezogen. Der König setzte
den Papst ab, der Papst sprach den Bann über den
König und Fürsten wählten einen Gegenkönig. Macht
und E influss stand über allem und wurde von jeder
G ewalt m it allen Mitteln angestrebt. Auf der anderen
S eite erk an n te m a n a u c h im H a n d w e rk , das zum
Beispiel die politischen Ziele des deutschen Königs
H e in r ic h I V . n a c h R e ic h s e in h e it u n d d a m it n a c h
innerem Frieden, im Interesse der Bürger lagen. Auch
aus diesem Grund unterstützte das Handwerk in der
Erhebung von W orm s im Jahre 1074 den König im
Kam pf gegen Klerus und abtrünnige Fürsten. Die Stadt
stellte 6000 Bewaffnete, die m eisten Handwerker, für
des Königs Sache.
Die Handwerker käm pften nicht nur für den König und
für ein einheitliches R eich, sondern für ihre eigene
Freiheit, für die Freiheit der Stadt von der Macht der
Stadtherren und für ihre persönliche Freiheit gegen die
Reste der Hörigkeit.
Selbst in Zeiten fehlender Zentralgewalt, die mit Beginn
der “kaiserlosen Zeit” 1256 einsetzte, hatte beispielsweise der Rheinische S tädtebund im Beschluss zur
Aufrechterhaltung der Reichseinheit das klare Bekenntn is zu F rie d e n u n d V e rte id ig u n g d e r e rru n g e n e n
Rechte form uliert.
Den Aufstieg der Städte konnte niem and aufhalten,
obwohl sie von den unterschiedlichsten Landesherren
nicht gerade m it Rechten überhäuft wurden. Gerade
so, wie es die Interesse n der Fürsten un d K önige
verlangten, suchte man m it bestim m ten Privilegien die
Unterstützung der Stadtbevölkerung für die eigenen
Ziele zu erlangen.
Es waren im W esentlichen zwei wichtige Punkte, die
zur Blüte der m ittelalterlichen Städte und des Hand-
w e rk s u n d d a m it des ganzen m itte le u ro p ä is c h e n
W irtschaftsraum es führten.
Zum einen war es die innere Kraft der Stadtbevölkerung, ihre Organisation, die Arbeitsteilung und der Fleiß
der Handwerker und der weltoffene Drang der Kaufleute freien Handel zu führen. Dies war zweitens Motor
und Bedingung zugleich, um die im 12.Jahrhundert
einsetzende gewaltige W elle der Kolonisation und
Städtegründungen zu erklären. D ie m achtpolitische
A u s d e h n u n g d e r d e u ts c h e n F ü rs te n u n d K ö n ig e
m achten M ecklenburg und Pom m ern zu deutschen
G ebieten, die natürlich besiedelt werden m ussten.
Stadtgründungen gab es wie am Fließband. Rostock,
Schwerin, Greifsw ald oder Stettin und W olgast und
Danzig sind nur Beispiele im nördlichen Bereich. Aber
auch die Lausitz , Schlesien und Böhm en werden zu
Lehensgebieten auf deren Boden sich ein im m enser
Aufschwung vollzieht. Parallel zu den erforderlichen
Rodungen entstehen in Böhm en beispielsweise Städte
wie Brünn, Olm ütz, Aussig, Budweis oder Melnik, die
König Ottokar von Böhm en gründete. In all die Städte
u n d D ö rfe r s trö m te n K a u fle u te , H a n d w e rk er un d
Bauern aus Franken Schwaben oder Sachsen um ihr
Glück zu suchen und dabei m it ihrem Fleiß und ihrer
Schaffenskraft in der neuen Heim at Zeichen zu setzen.
Große Handelstraßen entstehen. Von Nord nach Süd,
von W est nach Ost durchziehen sie Mitteleuropa und
bedürfen des S chutzes der Landesherren, den sie
m eistens auch gewähren, denn sie zogen ja ebenfalls
großen Nutzen aus reichen Städten und florierendem
Handel.
Bis nach Südungarn und Rum änien strömten deutsche
Siedler, die von ungarischen Königen ob ihrer Fähigkeiten und ihres Fleißes gerufen wurden. Die Siebenbürger Sachsen sind noch heute ein Begriff und stehen
für deutsches H andwerk und für solche Städte wie
Kronstadt oder H errm anstadt. Ü brigens kann m an
noch heute gerade in Ungarn die tiefen handwerklichen
W urzeln aus dieser Zeit in Gesprächen m it dortigen
Handwerkern spüren.
Viele deutsche Begriffe wurden ins polnische, tschechisch oder ungarische übernom m en.
Beispielsweise der schlesische Ausdruck “Zeche” für
Zunft wurde im polnischen zu “cech”, W erk statt zu
“ w a r s zta t ”, S c h e ib e zu “s zib a ”, H a k e n zu “ h a k ” ,
Rathaus zu “rathuz”, Maurer zu “m urarz”, Bäcker zu
“piekarz” und die Dörfer bezeichnete m an als “gilda”
vom deutschen “G ilde”. Im Ungarischen kennt m an
den “Pék” als Bäcker, den “bakrim a” als Pochriem en,
das “biglajz” als Bügeleisen, den “m olnar” als Müller,
den “m ester” als Meister, die “m utér” als Schraubenm utter oder den “drot” als Draht. Man könnte dies noch
lange fortsetzen.
Auf diese - und das sei ausdrücklich hervorgehoben friedliche Ausstrahlung auf die Nachbarvölker, kann
das deutsche Handwerk noch heute stolz sein.
Diese Epoche ist neben den natürlich vorhandenen
m achtpolitischen Auseinandersetzungen, W irrungen
und m ittelalterlichen Unzulänglichkeiten des Lebens
ein Beweis für den wirtschaftlichen Aufschwung in ganz
Europ a. H an dw erk er, Kaufleute, Bauern und auch
friedlich gesonnene, aber wehrhafte Ritter hatten einen
großen Anteil daran. Vor allem aber war es die städtische Kultur, die neue gesellschaftliche und wirtschaftliche Kräfte freisetzte und dabei weit über die Stadtm au6
ern hinaus ausstrahlte.
Das Handwerk war wirtschaftlich erstarkt und versuchte fortan, diese Stellung auch in der gesellschaftlichen
Hierarchie durchzusetzen.
W ie sah es nun im Innern dieses Handwerks aus und
welchen Um fang hatte es
angenom m en ?
Die rein räum liche Ausdehnung der deutschen Bevölkerung, die Aufschließung neuer H andelswege, die
g e s te ig e rten L e b e n s b e d ü rfn is s e v e rlang ten eine
deutliche Steigerung der gewerblichen W arenproduktion. Einher ging dam it eine Differenzierung, Verfeinerung und Arbeitsteilung des Handwerks, die alles bis
dahin Vorhandene übertraf.
Ganz klar vollzieht sich jetzt die T rennung von Bauer
und Handwerker. Das heißt natürlich nicht, dass nicht
die m eis ten s tädtischen H andwerk er wie auch alle
anderen angesehenen Bürger der Stadt noch ein Stück
Ack er vor den Stadttoren hatten und ihre Kuh oder
Ziege dort weiden ließen. W ohl aber vollzog sich eine
Trennung vom sogenannten dörflichen Handwerk, das
vom Markt in der Stadt verschwand. Die Handwerkszünfte sc hließen sich ge gen diese Ko nk urrenz ab
nehm en auch k eine S öhne solcher ländlicher “Pfuscher” in ihre Reihen auf. Vorwiegend wird im eigenen
H aus produziert. Vor allem aber tritt eine deutliche
Aufspaltung der handwerklichen Tätigkeit ein.
Der Streifzug durch die m ittelalterlichen Handwerke
beginnt mit dem Schm ied, eines der ältesten Gewerbe.
F rüh bildete sich in den Städten der G oldschm ied
heraus. Es gibt den G eschm eidm acher, der k ünstlerische Schm iedearbeiten in Messing und Eisen oder
auch Edelm etallen herstellt. D er “R otgießer” ist der
eigentliche Kupferschm ied. Der “Grapengießer” oder
“K ann engießer” fertigt den m etallenen dreifüßigen
Kochtopf des Mittelalters den “Grapen”. Der Ausdruck
“Kannengießer” wurde aber wahrscheinlich eher auf
den Zinngießer angewandt, der vor allem Essgeschirr
w ie T eller, Be che r, H um pen , Ka nne n, Sc hüsseln,
Leuchter oder Löffel herstellte (die Gabel kannte m an
noc h nic ht). D euts c he Z innerzeugnisse waren ein
b e ge hrte s H a nd els gu t u nd s te llte n e in w e rtv o lle s
Handelsprodukt dar. Es gab natürlich den W affenschm ied, den Schwertner, der die W affe fertigte und
den Schwertfeger, der sie putzte und glatt m achte.
Messerschmiede (Klingenschmied, Klingner, Messerer)
stellten wie der N am e sagt M esser und Dolche her.
Augsburg und Passau ware n hierfür sehr bek annt
(Passauer W olfsklingen). Der Bogner stellte in Deutsch
land Bogen aus Eibenholz, dann aus Horn oder Eisen
her. Im 12.Jahrhundert kom m t die Arm brust auf. Das
G ew erbe d er A rm brus ter e ntsteht. H arnisch -oder
Panzerschm iede stellten R üs tungen her, “Ringler”
fertigten Kettenhem den und der Helm - oder “Hubenschm ied” häm m erte die kriegerische Kopfbedeckung.
Der Hufschmied ist nicht wegzudenken und gilt zu dem
als “R oß arzt”. V on ihm wird auc h die H eilung von
Pferden verlangt und wenn Not am Mann war, hatten
auch die Menschen m ehr oder weniger Vertrauen zu
ihm . Doch nicht im m er m üssen seine Heilm ethoden
auf den Menschen gepasst haben - “Roßkuren” waren
daher ein Begriff und haben sich in der Bedeutung bis
heute gehalten.
E s g a b G r o b s c h m ie d e , w ie P f lu g s c h m ie d e u n d
W e rk ze ug sc hm ie d e , a b e r a u c h a u s g e s p r o c h e n e
Feinschm iede, wie den Nadelm acher oder “Nestler”.
W erkzeugm acher wie Feilenhauer, Spengler, Drahts c h m ie d e , S c h le if e r , S c h e r e n m a c h e r. A u s d e m
Schm iedehandwerk entwickelte sich das Uhrm acherund Zeigerm acherhandwerk.
Der Zim m erm ann, der W agenbauer, der Rademacher,
der “Holzschuher”, der Böttcher, der “Schäffler”, der
Schöpfgefäße herstellt oder der “Daubenhauer” der
Fassdauben m acht sind Beispiele von Holzhandwerk e rn . D a s d e u ts c h e D r e c h s lerh a n d w e rk is t h o c h
a n g e s eh e n . D er K istenm acher fertigt K is ten, d a s
Schreiner- und Tischlerhandwerk entwickelt sich. Der
Holzschnitzer ist eigentlich schon ein wahrer Künstler,
der sein Metier vor allem in der Schnitzerei von Altären
und dergleichen hatte.
Le d e rve ra rb e itu n g u n d K ü rs c h n e re i is t u ra lt. S ie
erfuhren jedoch einen qualitativen Aufschwung. Im m er
m ehr verwendet der Schuhm acher fertiges Leder, das
e in g e fü h rt w ird u n d m a c h t e s n ic h t m e h r s e lb e r
zurecht. D er “R otgerber” verwendet Eichenlohe um
d e m L e d e r e in e ro te F arbe zu geben, w as s c h o n
dam als im 1 3. J ah rhu ndert sehr gefragt war. D er
“W eißgerber” verwendet Alaun zu Färbung, wie der
“Rußgerber” für schwarzes Leder zuständig ist. Es gibt
Sattler, Riem er, Kum m eder (er fertigt Pferdegeschirre,
Kum m e), die wiederum dem Beutler oder Taschenmacher “nicht ins Handwerk pfuschen dürfen”.
Die W eberei war ebenso ein weit in sich aufgeteiltes
Gewerbe. Der W ollschläger, der “W ullenweber”, der
“Lohenweber”, der Tuchscherer waren alle Glieder in
der Kette der Verarbeitung von W olle und ein einträgliches G eschäft. Färber bildeten ein eigenständiges
Gewerbe, das unterteilt war in Schwarzfärber und Blau
und Schönfärber (W aidner).
Im Bekleidungsgewerbe gab es natürlich den Schneider und den Kürschner. Aber auch so manche Spezialisten traten auf , wie der “Mäntler”, der natürlich Mäntel
herstellte, der “Leinhösler”, der Stum pfhosen m acht
oder der “Buntfatter”, der m it feinen Fellen arbeitet.
W ie m an sich gut anzog, so begann m an auch besser
zu e s s e n . E s entw ick elte s ic h in d e n S tä d te n e in
Nahrungsm ittelgewerbe handwerklicher Art. Bäcker
oder “Pfister” begannen ihr H andwerk zu teilen. Es
entstehen Feinbäcker, der Sem m ler, der Stutner, der
Mutzenbäcker, der Pastetenbäcker, der “Küchler” oder
auch “Lebkuchner”. Aber auch das Metzgergewerbe
verfeinerte sich. Neben dem eigentlichen Metzger gibt
es Seifer (Ziegenschlächter), Viehhändler, Knochenhauer, Kuttler, die gegen Lohn schlachteten und die
Abfälle bekam en und weiterverarbeiteten. Der Fleischs a lze r, d e r d a s F le is c h rä u c h e rt u n d e in le g t, de r
W urstm acher, der diese aufkom m ende Kunst verfeinert und der “Garbräter”, der zubereitete Speisen über
die Straße verkauft - der dam alige Partyservice - sind
Beispiele für die Spezialisierung. Man speiste gut und
m an trank gut ! Das alte deutsche Hausgetränk, der
M et, hergestellt aus gewürztem Honig, erfreute sich
noch lange starker Beliebtheit. Es setzte sich jedoch
im m e r m e h r d ie B ierh ers tellung durc h. D urc h d ie
ausgeprägten Handelswege bezog m an beste Gerste
und Hopfen, beispielsweise aus Böhm en. Vor allem in
Norddeutschland war das Bier ein begehrtes Handelprodukt. Dabei lag im M ittelalter die “Biergrenze”, wo
nicht m ehr das Bier, sondern der W ein Volksgetränk
ist, weiter im Nordosten als heute. (W enn m an jetzt
7
überhaupt noch von solchen Grenzen sprechen kann)
I n B a y e r n w a r d e r W e in , n ic h t d a s B ie r, b is in s
17.Jahrhundert hinein das Volksgetränk. Der W einbau
wurde weiter nach Norden hin betrieben als heute, was
vielleicht auch an einer klim atisch günstigeren Epoche
lie g t. J e d e n f a lls w a r d e r W e in b a u m it a ll s e in e n
handwerklichen Konsequenzen weit verbreitet. Auf
guten T runk hielt das Bürgertum der m ittelalterlichen
deutschen Stadt und in vielen Zunftdokum enten finden
sich Bestim m ungen, dass für kleine Verstöße gegen
die Zunftordnung der Schuldige es durch Bier oder
W ein “bessern” m üsse. Vieles deutet darauf hin, dass
bei Festen und Feierlichkeiten sehr heftig den alkoholischen Getränken zugesprochen wurde.
E s gab natürlich noch eine ga nze M eng e and erer
Handwerke wie die Gruppen der Glaser und Glasm aler, die sich erst entwickelten, denn vor allem Fensterg la s w a r n o c h n ic h t verb re itet und sehr teuer. Im
Baugewerbe hatten die Steinm etze ein große Bedeutung. Es gab M aurer und Ziegelm acher. W enn m an
heute die großartigen Bauten dieser Zeit wie Kathedralen, Münster aber auch die wunderbaren alten Rathäuser voller Bewunderung und Respekt betrachtet, dann
m uss m an sich klar m achen, dass diese gewaltigen,
in Harm onie und Kunstfertigkeit perfekten Bauten das
W e r k v o n H a n d w e r k e r n u n d n ic h t vo n g e le h r te n
A rchitek ten sind! Selbst der E ntw urf und die K onstruktion lag in den Händen der Baum eister, die das
W erk dann auch um setzten und vollendeten.
Die m ittelalterliche H ochblüte des H andwerks, seine
Ausdehnung, war gewiss begünstigt durch die zahlreichen Handelstraßen, die sich auf deutschem Gebiet
kreuzten, durch mancherlei Anregungen und Einflüsse
aus Italien, Frankreich und dem Orient und günstige
Beschaffungsm öglichkeiten von Rohstoffen durch eine
große Ausdehnung des Reichsgebietes. Entscheidend
war jedoch, was die Bürger durch ihre handwerkliche
Kultur aus dieser günstigen Lage wirklich gem acht
haben, wie es ihnen gelang die Qualität ihrer Produkte
so zu steigern, dass ihnen Absatzgebiete sicher waren
und der Ruf dieser W aren eine ständige Nachfrage
sicherte. Untrennbar verbunden, ja Voraussetzung
dafür war die Leistung, eine O rganisation des deutschen H andwerk s w eit ü be r den d eu tschen R aum
hinaus zu schaffen, die Jahrhunderte hindurch funktioniert hat, Zehntausenden von Fam ilien Verdienst gab
und dafür sorgte, das die Q ualität der Produkte sich
abhob von Billigwaren. Hier liegen die Grundlagen des
Begriffs “Made in Germ any” und bilden zweifelsohne
die weit zurück reichenden W urzeln des W ohlstandes
in der jetzigen Zeit.
men, ist den erwähnten Königen eher nicht zuzurechn e n , d a b e id e in d e r G eschichtsschre ib u n g n ic h t
gerade städtefreundlich beschrieben werden, dafür
mehr der Geistlichkeit verbunden waren. Es ist daher
auch anzunehm en, dass unter dem be de ut en den
Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) der eigentliche Prozess
der Stadtgründung einsetzte. Der Beginn und Anlass
hierfür könnte der Aufenthalt des Kaisers im damalig
so genannten Reichsterritorium “Pleißenland” im Jahre
1165 gewesen sein. Denn gerade unter diesem Kaiser
kam es zu vielfältigen S tädtegründungen w ie das
L a nge n s a lza , H e ilig e n s ta d t, L a n d s h u t, B ra u n a u,
Straubing oder München belegen. Barbarossa sah, im
G e g e n s atz zu s e in e n b e id e n V o rg ä n g ern , in d e r
Stärkung der Städte auch eine vor allem wirtschaftliche
Stärkung der Reiches und damit auch eine Sicherung
d e r K aiserlichen Z e n tra lg e w a lt a u f a ltd e u ts c h e m
Boden, wie auch in den neu besiedelten Gebieten.
Jedenfalls kann m an für C hem nitz kein eindeutiges
Gründungsdatum zuordnen (vielleicht um 1170). Die
erste nachweisliche urkundliche Erwähnung erfolgte
1216.
Als eines der w ichtigste Dokum ente für die spätere
Entwicklung von Chem nitz ist das Bleichprivileg von
1357 zu nennen. Hierin bestim m en die meißnischen
M a rk g ra fe n Friedrich und B althasar, d a s s “N y k e l
Manhoupte m üntzmeister zcu Friberg, Nykele Schultheissin zcu Myteweide, Mathis Maltzm eister burger
zcu Kempnitz unnde Hentzel Randecken burger zcu
Friberg” erlaubt wird, am Chemnitzfluss eine Bleiche
anzulegen, die niem and im U m kreis von 10 Meilen
stören solle. Die G eburtsstunde für das Chemnitzer
Textilgewerbe ! Die W asserverhältnisse und Lage der
Flussauen müssen besonders gute Voraussetzungen
für den Bleichprozess geboten haben. Dass aber auch
die A nw esenheit einer ausreichenden A nzahl von
Leinewebern die Standortw ahl b eg ün stigte, ist anzunehmen.
In den ersten überlieferten Urkunden nach 1330 findet
m an Nam en wie : Schuw ichte, Ditherich der bader,
H a n n u s d e r g e r w e r , M a lc zm e is te r , S w e r tv e g e r ,
G oltsm ied e, Ledrer, C ziec hn er, S po rer od er B ierschröter. Diese Handwerker müssen also schon in der
S tadt tätig gew esen sein. S c ho n 1331 zeugt eine
Übereinkunft der Stadt m it den K losterherren, dass
kein Dorfhandwerker - von der Kirchweih abgesehen auf dem Markt von Chemnitz etwas anbietet, von einer
gewissen Stärke des Handwerks auch gegenüber dem
R a t, d e r deren F o rd e ru n g e n in d ie s e m F a ll a u c h
u m s e tzte . D ie Ü berlieferungen und S chrifts tü c k e
besagen jedoch, dass gerade durch das wirtschaftliche
Erstarken des H andwerks vielfältige Konflikte zw ischen Stadtherren und Handwerk ausgelöst wurden.
Die herangewachsenen wirtschaftlich potenten Kräfte
aus dem H andw erk rangen um Teilhabe am Stadtregiment. Zur Durchsetzung der entstandenen Forderungen eigneten sich als mittelalterliche Korporationen
die Zünfte in ganz besonderer W eise. Sie boten zum
einen Möglichkeiten zur Lösung gewerbeinterner und
w irtschaftspolitischer Fragen, eröffneten aber auch
Gelegenheiten zur politischen Kom munikation. Es ist
nicht verwunderlich, dass die Stadtherren natürlich ihre
Macht nicht gern teilen wollten und alles taten, um ein
organisiertes, also “zünftiges“ Handwerk zu verhindern.
W ie sah es nun mit dem Handwerk nach der Stadtwerdung von Chemnitz aus ?
Das erste, uns erhaltene Dokum ent, was in Zusammenhang mit der Entwicklung von Chemnitz zu sehen
is t, s te llt e in U rk u n de aus dem J ah r 1 1 4 3 d a r. In
die s em S c hrifts tüc k b e s tätig t der deuts che K önig
Konrad III. die durch seinen Vorgänger Kaiser Lothar
1136 erfolgte Gründung des Benediktinerklosters auf
dem heutigen Schloßberg. Damit verbunden war das
Recht, einen reichsoffenen Marktplatz einzurichten, der
vom Zoll befreit war. Vielleicht ist hier die Absicht zu
erkennen, einen Fernhandelsplatz zu errichten.
Der W ille, die Gründung einer Rechtsstadt vorzuneh8
Es ging in Chemnitz sogar soweit, dass der Versuch
unternommen wurde, den Landesfürst zunftfeindlich zu
beeinflussen.
Die sich formierenden Innungen, wie sie im obersächsischen Raum heißen, hatten es also auch zu Beginn
ih r e r E n ts te h u n g n ic h t e in fa c h . U m 1 3 4 5 g a b e s
de m na c h led ig lic h s e c h s Z ü n fte : “...Is w are n dri
h a n tw e rk , n u s in t ir s e c h s e w ord en die w ile d ie ir
innunge haben.” Um 1415 gab es : sartores( Schneider), fabri (Schm iede), p is tores (B äc k er), lanifices
(Tuchmacher/W ollweber), sutores (Schuster), carnifices (Fleischer), linifices (Leinew eber) , w ie aus der
W ach - und Zirkelordnung hervorgeht. In w eit über
fünfzig Jahren kam gerade mal eine Zunft dazu. Aus
dieser Zeit finden sich fast keine schriftlichen Überlieferung en, die einen Blic k in d as zunftinterne Leben
ermöglichen könnten. W ahrscheinlich war der Umfang
des Regelwerkes in dieser Phase durchaus noch mit
m ü n d lic h e n , a lth e r g e b r a c h te n V e r e in b a ru n g e n ,
Absprachen und Überlieferungen zu beherrschen. Erst
1470 beginnen mit dem Chemnitzer Tuchmacherstatut
die mehr oder weniger detaillierten Überlieferungen der
Zunftordnungen in unserer Stadt.
genossen benannte m an lediglich m it der einschlägige n H an dw erk sbe ze ic h n u n g : b e k ere (um 13 45 ),
snider und sm yt (1379),fleischawer (1402) und schustir
(1432). Erst im Laufe der Zeit entstand die Notwendigkeit, den Stand der selbständigen Handwerker eindeutiger von dem der Gesellen oder dam als Knechte
zu unterscheiden. Dies war wie alles in der Geschichte
ein Prozess, der sich in Deutschland territorial und
zeitlich sehr unterschiedlich gestaltete. In Chem nitz
stam m t der erste Beleg aus dem Jahr 1414 : “W er
ouch yn eym e handwerke meisterwerdin wil, der salczu
den kerczen desselben handwerks zcwei pfundwachsis
gebin”.
Der Übergang zur selbständigen Handwerkerschaft ist
hier (Chem nitz) erstm al mit Auflagen, Leistungen oder
Bedingungen verknüpft, die in späterer Zeit im m er
größere Ausm aße annahm en. Zu den Vorleistungen
gehörten der Nachweis über Geburt, Lehre, W anderjahre, Bürgerschaft und Eheschließung, dann folgte die
M utung oder Anwartschaftszeit und die Zahlung von
G ebühren und anderer G elder an Rat und Zunft. In
zunehmendem Maße setzte sich die Anfertigung eines
Meisterstückes durch. In Chem nitz ist das relativ spät
1536 bei den Beutlern belegt.
V on A usnahm en abgesehen, hielten sich bis zum
Dreißigjährigen K rieg alle Anforderungen an einen
Aufnahm ekandidaten der Zunft aus zeitlicher, materieller als auch rein handwerklicher Sicht in vernünftigen
G renzen. Diese H ürden k onnten ohne weiteres von
einem tüchtigen G esellen genom m en werden, ohne
dass er sich restlos verschuldete. Erst
im Laufe des 17.Jahrhunderts wurden die Anforderungen derart hoch geschraubt, dass von einen regelrechten Fernhalten von der Zunft gesprochen werden kann.
Bedenken m uss m an aber ausdrücklich, dass diese
V erhaltenw eise der Zünfte nicht aus Laun en oder
Selbstherrlichkeit heraus geschah, sondern im veränderten sozialökonom ischen Kontext dieser Zeit zu
s u c h e n is t. S ollte, aus der dam alig e n S ic h t e in e r
ganzen gewerblichen Kultur, das Handwerk Prinzipien
u n d P rivile g ie n au fge be n, d ie ü b e r J a h rh u n d e rte
Zehntausende von Fam ilien in Deutschland eine große
soziale Sicherheit gegeben haben ?
Man konnte dies bei ernsthafter und näherer Betrachtungsweise nicht verlangen, da die sich abzeichnenden
frühkapitalistischen Prinzipien von Kapital und Markt
a u s g e fü h lm ä ß ig e n und rationellen G rü n d e n d e n
uralten G rundprinzipien des H andw erk s widersprachen. M it dem fehlenden analytischen W issen, verm ochte m an nicht, alle m it dem Begriff der Ehrbarkeit
verbundenen Grundfesten des Handwerksstandes m it
den Veränderungen auf sozialökonomischen und damit
gesellschaftlichen Gebiet zu verbinden.
Die Erfahrungen solcher Prozesse können gerade in
der jetzigen Zeit wertvolle Anregungen auch für so
m anche Neuorientierung im heutigen Handwerk sein.
Der von Anfang an geführte Kam pf des Handwerk, um
einen gesicherten gesellschaftlichen S tand, hatte
natürlich im m er politische Auseinandersetzungen m it
dem Stadtregim ent zur Folge, die auf alle Belange der
Stadtbürger ausstrahlten.
Durch die Festlegungen der Zünfte, wie Um fang der
P roduk tio n, Zahl der M eiste r und w eite rer D eta ils
bekam das Handwerk natürlich starken Einfluss auf die
Preisbildung in der Stadt. Dies wiederum konnte den
In d e n d e u ts c h e n Z ü n f te n h a tte s ic h e in e in n e r e
O r d n u n g e n t w ic k e lt, d ie d u rc h e in e V ie lza h l vo n
V ors c hriften , R egeln, Schranken und m oralischen
G rundsätzen gestützt w urd e. D er B eitritt zur Zunft
verlangte eine freie und “ehrbare” Herkunft. Sie will
sich dagegen sichern, dass Unwürdige in ihre Reihen
eindringen und auf diese W eise die gesellschaftliche
Stellung untergraben. Ferner fordert das alte Handwerk
s tets , d as s n iem and a ufgenom m en werden dürfe,
gegen den persönlich etwas vorlag. E r m usste also
nicht nur freien (ehrlichen) und ehelichen Abkom m ens
sein, sondern m usste auch persönlich in jeder W eise
ehrenhaft sein. W enn bei jeder Lehrlingsaufnahm e und
Gesellenlossprechung die ganze Zunft befragt wurde,
ob gegen den Lehrlin g u n d G e s e lle n a u c h n ic h ts
Ehrenrühriges vorläge, so war dies nichts anderes, als
was jed er a uf E hre h altende S tand , wie etwa das
Rittertum und die Bürgergeschlechter der Städte auch
taten.
D ie im m e r w ie de r a n g e fü h r te n a lte n , ve r zo p f te n ,
erstarrten und schikanösen Bestim m ungen, wie sie in
späteren Jahrhunderten zu finden sind und den Begriff
der “Zünftlerei” zum Ausdruck vollendeter Engherzigkeit und organisierten gegenseitigen Neides gem acht
haben, waren dem alten Handwerk des 13.,14. und 15.
Jahrhunderts frem d. Die Voraussetzungen zur Aufnahm e in die Zunft waren also an die volle W ertigkeit
eines Bürgers der Stadt gekoppelt. In einem ging m an
natürlicher W eise noch weiter: Er m usste zum indest
Proben seines Könnens abliefern. Bei den Berliner
Bäcker von 1271 heißt es : “W er das Handwerk haben
will, soll an des Meisters Ofen backen, dass man sieht,
ob er sei W erk kann.” Das war auch aus der Sicht der
S ta dtherren ve rn ünftig, das s die N ahru n g s m itte lversorgung der Stadt nicht unter der Unfähigkeit eines
Mannes litt.
U rsprünglich scheint es, hatte der Begriff “M eister”
einen m ehr politischen Inhalt, denn noch im 15.Jahr
h u n d e r t m e in te d er C h em n itze r R a t, w en n er vo n
Meister sprach , die Vorsteher der Zunft, die Vierm eister oder späteren O berm eister. D ie übrigen Z unft9
Ratsherren nicht gerade gefallen , so dass sich das
V e rh ä ltn is v o n S tadtherren und Z ünften in eine m
ständigen Spannungsfeld befand, in dem m an sich je
nach m om entaner Machtlage gegenseitig Zugeständnisse abzuringen versuchte. Dieses kom plexe Verhältn is h a tte z u m B e is p ie l z u r F o lg e , d a s s zw a r d ie
K a u fh e rre n a n n ie drigeren P reisen durc h h ö h e re
Konk urrenz Interesse hatten, aber auf der anderen
Seite auch an hochwertigen W aren interessiert waren,
was wiederum ein Mitwirken der Zünfte erforderte, um
“Pfuscher” fernzuhalten.
B r a u t v o r d e r H o c h ze it “... d u rc h zw e i b e e id ig te
Am btsm eister zur anzeig ihrer unbefleckten Jungfrawschaft antasten oder begreiffen zu m üssen”.
W aren die grundlegenden Forderungen erfüllt, wurde
das Lehrgeld ausgehandelt, zwei Bürgen benannt, die
m it finanziellen Beträgen dafür einstehen sollten, dass
der Lehrling die Ausbildung auch wirklich absolvierte
und nicht vorzeitig davon lief. W ar alles besprochen
u n d g eregelt, gelobte der L e h rlin g b e i g e ö ffn e te r
Zunftlade die Lehre durchzustehen, fleißig, gehorsam
und gottesfürchtig zu sein. Dann wurde er vom Viero d e r O b e rm e is te r in s H a n d w e r k a u f g e n o m m e n ,
seinem Lehrherrn übergeben und alle P a pier des
Lehrjungen in die Zunftlade hinterlegt. Dann begann
nach einer Probezeit von 8 T agen bis 3 Monaten die
Lehrzeit. Die Lehrzeiten selbst waren von Gewerbe zu
Gewerbe stark differenziert und lag zwischen ursprünglich 2 Jahren (die Tuchm acher in Chem nitz, 1470), wie
in vielen Handwerken auch in anderen Teilen Deutschlands, bis zu 6 Jahren (Beutler, 1649). Generell kann
m a n vo n e in e r Z u n a h m e d e r L e h rze it b is zu m
18.Jahrhundert auf ca. 4 Jahre sprechen. Die höchste
erm ittelte Lehrzeit in Sachsen h ab en die Leipziger
Goldschm iede m it 8 Jahren zu bieten.
Der Lehrling unterstand der Erziehungs- und Aufsichtsgewalt des Lehrm eisters und war so Teil der ganzen
Hausgesellschaft des M eisters. In der R egel wurde
vom Lehrling gefordert,
er solle früh der erste in der W erkstatt sein und abends
hat m an ihm das Ausfegen des Raum es überlassen.
Eine festgelegte Lehrausbildung gab es nicht. Sein
Ausbildungsfortschritt hing also in großem Maße von
seiner Fähigkeit ab, mit den Augen zu beobachten und
m it den Händen nachzuahm en. Selbstredend spielte
auch das Können des Meisters selbst eine große Rolle
und in welchem zeitlichen Rahm e er die Möglichkeit
bekam , die eigentlichen Lehre auszufüllen. Es ist
durchaus nicht ungewöhnlich und zu seiner Zeit auch
nicht kritikwürdig gewesen, wenn der Lehrjunge auch
zu anderen Tätigkeiten in der Hauswirtschaft herangezogen wurde, denn die Aufwendungen für den Haush a lt, d e n L e b e n s u n te rh alt un d fü r d ie N a h ru n g s gewinnung waren im Mittelalter wesentlich höher und
la s s e n s ic h n ic h t m e h r m it h e u tig e n M a ß s t ä b e n
m essen. Auf grobe Verstöße achtete die Zunft, so dass
zum indest bis zum Ende des 16.Jahrhunderts auf eine
gesunde Ausbildung zu schließen ist, wovon auch der
hohe Stand der H andw erksprodukte dieser Epoche
zeugt. Positiv m ochte es auch von der Tatsache sein,
dass kein M eister m ehr als einen Lehrling ausbilden
durfte.
H ier k om m t auc h d ie F rage d es N achwuchses ins
Spiel. Sollten kontinuierlich, also auch für die Zukunft
gleichbleibende Qualität geliefert werden, bedurfte dies
gut ausgebildeter G esellen. Es entwickelte sich eine
geordnete Ausbildung, die es bis dahin nicht gab.
W ann eine geordnete Lehrzeit das erste Mal verlangt
w u r d e , lie g t im D u n k e ln . D ie f rü h e s te U rk u n d e
stam m t von den Kölner Drechslern aus dem Jahr 1182
und fordert : “...dass niem and, der nicht selbst zwei
Jahre gelernt habe, Lehrlinge anlernen solle.”
Ein Mindestalter für Lehrlinge wurde vorgeschrieben,
wie auch m itunter ein H öchstalter. D ie Buchbinderordnung von Nürnberg (1598) schrieb vierzehn Jahre
vor, die O rdnung der Schneider in H ohenzollern von
1593 dreizehn bis vierzehn, die Zieglerordnung von
W ürttem berg (1589) fünfzehn Jahre, w eil sonst der
Lehrling die schwere Arbeit nicht schaffen könne. Der
M e is te r m u ß te s ic h in v ä te r lic h e r W e is e u m d e n
Lehrling küm m ern, ihn im Sinne der M oralvorgaben
des Handwerks erziehen, ihm Ernährung und Kleidung
sichern. Allerding erhielt er dafür m eisten auch Lehrgeld von den Eltern des Lehrlings. Um Missstände
und ein Ausnutzen der Lehrlinge zu verhindern, führten
einzelne Zünfte Lehrlingsprüfungen ein. Stellte sich
dann heraus, dass der Meister seinem Lehrling nichts
beigebracht hatte, dann wurde der Lehrling bei einem
anderen Meister untergebracht und der erste Meister
m usste den Schaden bezahlen. In diesen Dingen , wie
auch in allen anderen gewerblichen Fragen besaß die
Zunft ihre eigen Gerichtsbarkeit, m it aller Konsequenz
für ihre Zunftgenossen.
Die Aufnahm e als Lehrling eines Zunftm eisters war an
eine lange Reihe von Forderungen gebunden. Er hatte
ein Zertifikat seiner ehrlichen Herkunft vorzulegen, das
h e iß t, d a s s e r n ic h t e in e r F a m ilie e in e s S ta n d e s
entstam m te , die als unehrlich galt. Er m usste außerdem ehelicher Herkunft sein. Nur in Ausnahm efällen
konnte durch Anruf des Landesherren eine Sondererlaubnis durch die Eltern erwirk t werden. Vielfach
wurde durch die Obrigkeit in speziellen Anordnungen
die Ehrbark eit ausdrück lich bestätigt. Zum Beispiel
erklärte Kaiser Ferdinand II. die Kriegstrom peter und
Paukenschläger für ehrlich. Ähnliches wurde auf dem
Reichsdeputationstag in Frankfurt 1577 für die Leineweber, Barbiere, Schäfer, Müller, Zöllner oder Pfeifer
angeordnet. Hier zeigen sich schon aus der heutigen
Sicht sonderbare Missbräuche, die vielleicht sogar in
G ründ en aus frühe r Ze it zu suc hen sind, die aber
oftm als völlig übertrieben w aren. N icht nur was die
Lehrlinge angeht trieb das überspitzte Ehrbarkeitsgebot zum Teil drollige, ja skandalöse Blüten, sondern
auch bei der Eheschließung. So hatten die Schuhm ac her von Brem en die sonderbare G ew ohnheit, die
W ar der letzte T ag d er vorgeschriebenen Lehrzeit
vollendet, so konnte der Lehrling die Aufnahm e unter
die Gesellen verlangen, falls er nicht zu den Handwerk e n g ehörte , d ie e in e P rü fu n g in d e r e in e n o d e r
anderen Form verlangten. D as form ale Ritual der
Lossprechung fand im m er vor geöffneter Zunftlade vor
vers am m eltem H an dw e rk s tatt. B es on de rer W ert
wurde auf die Anwesenheit von G esellen gelegt, in
deren Kreis der Lehrling nun eintreten sollte. Nach
m ehr oder weniger um fangreich dargebotenen Redensarten wurde der Geburtsbrief und das Bürgengeld
zu rü c k g e g e b e n s o w ie d e r L e h rb r ie f a ls ü b e r a u s
wichtiges Papier überreicht. Nun fragte der Altgeselle,
10
ob er gesonnen sei, auszustehen, was ein anderer
ehrliche r G ese lle aus ge s tand en ? U nd erhielt zur
Antwort : ja, sie m öchten es aber leidlich m achen, also
nicht übertreiben. D ie ursprünglich harm losen und
he ite re n H ä n s e le ie n (T a u fe n , S c h leifen, H obe ln)
arteten aber später vielfach in einer W eise aus, dass
m it V erboten da g e g en eingeschritten w urde. V om
A ns atz h e r w a re n e s g u te alte B räuc he, die dazu
diene n sollten, den neu en G ese llen in eine S char
Gleicher aufzunehm en, ihn m it den alten Gebräuchen
des H andw erk s vertraut zum achen, ehrbares Auftreten, Begrüßungen und Redensarten zu verm itteln
und ihn auf die W anderjahre vorzubereiten. So bezeichnet der “Metzgersprung von München” einen zum
Volksfest gewordenen Brauch der Metzgergesellen am
Rosenm ontag.
Beispielsweise hatten die Schuhknechte von Chem nitz
im Laufe des 15.Jahrhunderts von den Meistern das
Zugeständnis eines Badetages abgetrotzt. 1496 ließen
sie sich das vom Rat in ihren Statuten bestätigen, doch
nicht eher , als sie 3 Paar Schuhe gemacht hätten.Eine
besondere Stellung nim m t im m er wieder der “blaue
M ontag” ein und ist M ittelpunkt zah lreic h e r zäher
K äm pfe. D a die G esellen m eisten in W oc henlohn
bezahlt wurden, konnten sie nur gewinnen, wenn sie
ihre Arbeitzeit beschränkten. Da sowieso Montag der
Tag war, an dem die Gesellen , die wandern wollten,
zum T or hinaus begleitet w urden, die Backstuben
besonders besucht wurden und m an sich überhaupt
vom Trunk des Sonntags gern ausruhte, so kann m an
sich vorstellen wie der Montag zu seinem Namen kam .
Manchm al wird angenom m en , dass der sogenannte
blaue oder gute Montag jeden Montag betraf, was aber
durch nichts unterm auert ist. Vielm ehr handelt es sich
um eine gew isse A nzahl von Montagen, die illegal
“abgefeiert” , aber später zum Teil offiziell sanktioniert
wurden. Beispielsweise wurden den Schlossergesellen
in Chem nitz 1618 jährlich 3 freie M ontage zugestanden.
Hatte der Lehrling seine Lehrzeit bestanden und war
freigesprochen, standen die W anderjahre bevor. W ann
diese Gepflogenheit erstm als praktiziert wurde, ist nicht
nachzuweisen. Es w ird s ic h wohl um einen langen
Prozess gehandelt und, gerade in der Zeit territorialer
Ausdehnung und eines blühenden Handel, junge Leute
in die Ferne gelockt haben. Zurückgekehrte Burschen
brachten W eltoffenheit, neue Techniken und Sitten mit
und waren wichtige Bindeglieder des H andwerks im
Deutschen Reich. Die Zünfte erkannten sicherlich die
Nützlichkeit solchen Erfahrungserwerbs und nahm en
d ie W a n d e re m p fe h lu n g e n S tü c k fü r S tü c k in d ie
Zunftordnungen auf - erst der Neid und die Furcht vor
Konkurrenz missbrauchten das W andern als ein Mittel,
um die Niederlassung von Gesellen als Meister durch
unverständiges Ausdehnen der W anderzeit zu erschweren. Bei den Ham burger G erbern (1375) und
Lüneburger Schuhm achern (1389) gibt es in deren
Zunftordnungen erste Hinweise auf das W andern. Es
gab kaum einen Stand, außer vielleicht der Geistlichkeit, der einen solch starken Zusam m enhang trotz der
s c hw ierigen Verk ehrsverhältnisse über das ganze
Reich besaß, wie das Handwerk.
Ursprünglich war der Stand des G esellen von einer
W a r te p o s itio n g e k e n n ze ic h n e t a u f d e m W e g zu r
Erlangung der Meisterwürde. Erst als die gesellschaftpolitischen Spannungen und Entwicklungen ab dem
16. Jahrhundert es fraglich w erden ließen, ob viele
G esellen jem als eine eigene W erkstatt begründ en
könnten, treten die Gesellenkorporationen stärker in
den Vordergrund. Von nun an entspannen sich im m er
wieder Auseinandersetzungen m it Meister und dem
Rat hinsichtlich der sozialen Absicherung, vor allem in
Arbeitszeit- und Lohnfragen.
S o g a lt b e is p ie ls w e is e 1 7 8 0 b e i d e n M a u r e r n in
Chem nitz für die Som m erzeit ein Arbeitstag von früh
um 5 Uhr bis abends um 6 Uhr, abzüglich 2 Stunden
Pausen. In den “W erkstatthandwerken” waren es aber
durchaus bis zu 13 Stunden. Ein zähes Ringen gab es
überall um spezielle Freizeitfonds, die z.B. das Aufsuchen des Bades gestatteten.
W ir können aus den Überlieferungen annehm en, dass
es sich oftm als um einen k ollek tive n B adebesuch
geh and elt h a t, b e i d e m zu n ä c h s t d a s e ig entliche
waschen, das ”balbieren” vorgenom m en wurde und
dan ach das ge m einsa m e Sitzen “in einer W ann e”
zelebriert w urde. H ier durfte keiner “ungewaschen
sein”!
W enn m an auf die Verdienste der H andwerk er und
Löhne der Gesellen abzielt, so betritt m an ein äußerst
kom pliziertes Terrain. Z um einen war der W ert des
Geldes allgem ein großen Schwankungen unterlegen
und zum anderen legte so ziem lich jeder Landesfürst
den W ert, den N am en u nd d ie U nterteilung seiner
Münzen selbst fest. Man m uss auch bedenken, dass
sich der W ert einzelner m aterieller Güter und Dienstleistungen untereinander zum größten Teil vollkommen
ve rs c h o b e n h a t. E s n u tzt a ls o s e h r w e n ig , w e n n
beispielsweise der Roggenpreis als Vergleichsnorm al
herangezogen wird. Die m eisten Vergleiche, die rein
auf arithm etischen Um rechnungen basieren und nicht
die jeweiligen Lebensqualitäten- und ansprüche m it
e in b e zie h e n (s o w e it d a s ü b e rh a u p t g e h t) fü h re n
deshalb zu unbrauchbaren Ergebnissen. T rotzdem
kann m an aus allen überlieferten Q uellen schlussfolgern, dass zum indest bis zum Dreißigjährigen Krieg
das Handwerk in seiner G esam theit in bem erkensw ertem W ohlstand lebte und nach dem Krieg eine
k on tinu ierliche A bw ärtsbew egung in den m eisten
Gewerben einsetzte.
D agegen käm pften natürlich die aktiven und wehrhaften Gesellenkorporationen besonders an. Im m er
wieder kom m t es zu Auseinandersetzungen zwischen
den G esellen auf der einen und dem R at und den
Zunftm eistern auf der anderen Seite. Im Mittelpunkt
s te h e n f a s t im m e r d ie m ite in a n d e r v e r w o b e n e n
Sachverhalte : Arbeitszeit, Lohn und Gesellenehre.
1724 legten in W ürzburg die “Schuhknechte”, also die
Schuhm achergesellen die Arbeit wegen Lohnstreitigkeiten nieder, 1723 verließen die Schneidergesellen in
H annover die W erkstätten und sam m elten sich vor
dem S tadttor, w eil ein M eister gegenüber seinem
Gesellen “gröblichst Handwerksrecht und Gewohnheit”
verletzte. In Chem nitz kann m an solcherlei Geschehnisse ebenfalls verfolgen.
11
167 7 wa ren einem in d ie S ta d t gek om m ene n P osam entierergesellen 7 G roschen angeboten worden,
die hiesigen G ese llen erhielten aber einen halben
G roschen m ehr. D a sie Lohndrückerei befürchteten,
entspann sich daraus ein kleiner Aufstand. Die Meister
w and ten sich an den R at und beide hielten es für
richtig, “Solchen frevel zubestraffen”. Die aufgebrummten 2 Tage Gefängnis verfehlten indes ihre W irkung,
denn wenig später zeigten die Viermeister dem Rat an,
dass 15 G esellen ”einen Auffstandt gem achet, nicht
a r b e ite n w o lte n , s o n d e r n b e is a m m e n lä g e n u n d
söffen”. Auch hier reagierte der Rat auf Drängen der
Zunft m it Gefängnis und Geldstrafen.
m is c h e n E n tw ic k lu n g d e s g e s a m te n H a n d w e rk s
entstanden und w eiter oben schon anges prochen
wurden.
Kam ein G eselle beispielsweise auf seiner W anderschaft in Chem nitz an, suchte er die für sein Gewerbe
zuständige Herberge auf. Das konnte ein separates
G e b ä u de s e in , w ie b e i d e n B ä c k e rg e s e lle n o d e r
Leineweberknappen, w ar aber m eistens das Haus
eines Meister, der als Herbergsvater fungierte. In der
Herberge traf der Anköm m ling die rasch zusammengerufenen G esellen seines Handwerks und erhielt von
ihnen einen Begrüßungstrunk der sich oft zum Leidwesen der M eister einige Stunden ausdehnen konnte.
Dann erfolgte die Arbeitssuche, die vom Altgesellen
o d e r d e m d a f ü r zu s tä n d ig e n M e is te r, m e is t d e m
Herbergsvater, geleitet wurde.
Ein streng festgelegter Verhaltenskodex verpflichtete
die Gesellen zu Sittsam keit und Gehorsam . Besondere
Aufm erk sam keit fiel auf das Bett, ein m it Strohsack
und Decke ausgestattete Schlafstelle. In vielen Vorschriften wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass
m an es nicht “verunehren” solle. Es m öge daher auch
nur eine solche Menge Bier getrunken werden, dass
m an sie nicht “m uste wieder geben”. Die ausdrücklichen H inw eise darauf, kam en nicht von ungefähr.
Verm utlich nahm es die Burschenschaft oftm als nicht
allzu genau m it d ere rlei A uflag en . M uss m an dem
rom antischen Klischee der W anderschaft angesichts
der staubigen Straßen, der Entfernung zur Heim at und
der steigenden Unsicherheit, ob sich die vielen Entbehru n g e n u n d O p fe r a u c h je m a ls lohnen, durchau s
k ritis c h g e g e n ü b e r s t e h e n , s o w a r e n d o c h d ie s e
Gesellenburschen von Lebensfreude und Optim ism us
er fü llt : “ C h ris tuß im he rtzen , die L ieb ste im arm ,
vertreibet vül Schm ertzen vnd m achet fein warm .”
K am nun der G eselle aus der Frem de zurück und
wollte nun ebenfalls Meister werden, m usste er eine
sogenannte “M utzeit” (Anwartschaft, nicht von Mut)
ab s olviere n. In d ies er Z eit k on n te s ic h d ie Z un f t
vergewissern, ob sich der G eselle draußen redlich
gehalten hat und zugleich sehen, ob er wirklich etwas
gelernt hat. Die “Mutzeiten” waren ursprünglich nicht
sehr lang, höchsten ein halbes bis ein Jahr, und die
“M eisterstücke” waren weder überm äßig kostspielig
noch überm äßig schwer herzustellen - das kam erst
auf, als auch das Meisterstück zum Mittel der Fernhaltung neuer Meister wurde.
Im ess- und trinkfreudigen Mittelalter war es außerdem
üblich, d ass der n e u a u fgenom m ene M eiste r ein
“Meisteressen” gab und der Lehrling bei der Lossprechung der Zunft einen Trunk bezahlte. H eute ist es
anders herum und der frischgebackene Geselle stößt
m it dem Oberm eister auf der Innung Kosten an. Die
Bader von Lüneburg gaben sogar die Speisekarte vor
: “einen Schinken, ein Gericht grüner Fische und zwei
Stöfchen W ein”. Es hielt sich zu dieser Zeit alles im
R ahm en, denn die M aler un d G las er von Lübeck
forderten, dass die G esam tkosten nicht über 5 Mark
betragen sollten und dass er eine Tonne Bier “unde
nich m er” gebe.
Ü b rig e n s w a re n d ie s e lu k u llischen E reignisse im
Mittelalter nicht nur im Handwerk verbreitet, denken wir
nur an den “Doktorschm aus” der späteren Universitäten.
Trinkbecher einer Schneiderinnung
Goldschmiedearbeit von 1586
Dass das Bild des Mittelalters ein sehr Facettenreiches ist, gilt auch für das G esellenwesen. M an verstand es auch , sich überaus intensiv zu am üsieren.
W öchentlich traf m an sich zum gem einschaftlichen
Bier, veranstaltete Fastnachtstänze und ging zu den
Tanzveranstaltungen auf den Tanzboden des Gewandh a u s e s . V o r a lle m b e i A n k u n ft u n d A b g a n g v o n
W andernden, Freisprachen, M eisterschaften, Hochzeiten und dergleichen hatten die Gelage im Rahm en
des Kommunikationssystem s einen hohen Stellenwert.
D a s “ W a n d e r n ” na h m e in e ze n tr a le S te llu n g im
m ittelalterlichen Zunft- und Gesellenwesen ein. W aren
ursprünglich die berufliche Qualifikationserweiterung,
A u f n a h m e n e u e r P r o d u k tio n s - u n d M o d e tre n d s ,
Vergrößerung der individuellen W elt-und Menschenkenntnis, Charakterprägung, aber auch jugendlicher
Bewegungsdrang und Abenteuerlust von wesentlicher
Bedeutung, so wurde das W andern zunehm end von
anderen Einflüssen geprägt, die aus der sozialökono12
Die Zunft bedeutet zu dieser Zeit alles - der einzelne
Meister geht in ihr auf. Sie ist Lebengem einschaft, eine
Gem einschaft der Ehrbarkeit und der guten Leistung.
Die Zunft nim m t teil, wenn der junge Meister heiratet,
sie nim m t an der Kindstaufe teil, sie gibt ihm das letzte
G eleit. Die Zunft ist Kam pfgem einschaft im Verteidigungsfall und verlangt von M eistern und G esellen,
dass sie die vorgeschriebenen W affen besitzen und
führen können.
F rühzeitig is t d iese G em einschaft nicht nur für die
Meister da , sondern auch für die Gesellen. Die ersten
Ansätze, sicher nicht m ehr, von Beihilfen im Krankheitsfall und bei Unfällen sind zu erkennen. Kranke
M eister oder die unverschuldet in N ot geraten sind,
e rh a lte n e in e n Z u s c h u s s a u s d e r Z u n ftla d e . D ie
Zim m erleute von Straßburg bestim m en 1478 : “Und
w ere es Sac he, das s er s ic h ve rh ie w e (e n tw e der
verheb t oder m it der A xt verhaut), so so ll ihm der
Meister Essen und drinken geben”.
D as gegenseitige “Ausspannen” vo n G esellen war
unter den Meistern ausgeschlossen und verboten. Die
Zunft regelte diese Angelegenheiten genauso, wie die
Lohnverhältnisse und die Arbeitszeit. Die Nachtarbeit
o d e r “L ic h ta rbeit” war verboten, n ic h t n u r u m d ie
Feuersgefahr für die Stadt zu beschränken, sondern
a u c h , u m z u v e rh in d e rn , d a s s e in M e is te r d u r c h
d a u e rn d e N a c h ta rb e it m e h r p ro d u zie rte , a ls d ie
and eren. S onn tags wurde selbstverständlich nicht
gearbeitet und auch Sam stag-Abend war meistens frei.
Die Zunft regelte alle Angelegenheiten in ihrem Inneren
selbst oder versuchte es in großen Teilen. Gerade über
der Frage der Zunftsgerichtbarkeit ist ein nicht geringer
Teil der Käm pfe zwischen Rat und Zünften entstanden.
Nicht nur reine Handwerkssachen wurden innerhalb
der Zünfte entschieden, sondern auch andere Streitigkeiten zwischen Zunftgenossen. Dabei ist es wichtig,
dass diese innere Rechtsprechung keine Körperstrafen
k annte und dass auch keine größeren Verbrechen
verhandelt wurden. W er einm al so etwas begangen
hatte, war für das ehrbare Handwerk unehrlich und m it
dem wollte es nichts m ehr zu tun haben. Auch nicht als
Richter.
Dieses alte Handwerk legte viel W ert auf Tradition, auf
Ehrbarkeit und hatte auch seine Überlieferungen und
kleinen Geheim nisse, die zu Teil noch aus vorchristlicher Zeit stam m en. Diese werden von Generation zu
Generation weiter gegeben und befinden sich m anchm al sogar in und auf den alten Zunftladen, wie zum
Beispiel der Lade der Bäckerzunft zu Chem nitz um das
Jahr 1568, wom it wir auf unserer Zeitreise in unserer
Heim atstadt angelangt wären. Das m ehrfach restaurierte Kleinod deutscher Handwerksgeschichte befindet
sich heute im Chem nitzer S chloßbergm useum . Die
Sym bole und Darstellungen auf dieser Lade lassen die
tiefen from m en, vielleicht auch m ystischen Verbindungen in die Vergangenheit erahnen. Auf beiden Seiten
befindet sich die “ Laf-Rune”, die alte germ anische
R echts run e üb er de r B retzel u nd in der M itte der
Löwenkopf. Es gibt kaum eine Bäckerzunft, die nicht
den Löwenkopf und die Bretzel führt - aber die wenigsten wissen, dass der Löwenkopf die “Verbildlichung”
der alten Laf-Rune ist und die eigene Gerichtsbarkeit,
und zwar im Sinne des alten Rechts bedeutet und die
Bretzel die alte Bergrune, den Berg, in dem die Toten
schlafen gegangen sind und aus dem sie wiederkehren. Die alten Meister haben dam it sagen wollen, dass
hier das alte frei R echt gehütet und geh eg t werde.
W eiter finden wir 13 Fem erosen - denn die Dreizehn
war die alte Glückszahl, die “dreizehnte T ür” ist der
erste Monat des neuen Jahres und dam it das neue
Leben. W ir sehen die beiden Männer m it je einem zur
Schleife gewundenem Tuch in der Hand. Dieses Tuch
findet m an auf alten Grabsteinen wieder und scheint
die alte Odalsschleife darzustellen. Sie bedeutet das
neue Leben aus der Mutter Erde und ist ein bäuerliches Zeichen. W ie es sich für eine Bäckerzunft, die die
Frucht der Erde , das Korn, verarbeitet geziem t, gehört
dieses Sym bol auf die Zunftlade.
Um diese Zeit zeigten sich die ersten Vorboten kom m ender dunkler Jahre in d en de utsc he n L anden.
Sowohl äußere, wie auch innere Entwicklungen, die
dann zu solchen späteren Ereignissen wie den Bauerk rie g e n o d e r d e m D re iß ig jä h rig e n K rie g fü h rte n ,
brachten für die Städte und dam it auch für das Handwerk nichts Gutes.
Um 1500 blühte jedoch das Handwerk noch im ganzen
Lande w ie eine bunte B lum e in seinen s c hö nsten
Farben.
Das deutsche mittelalterliche Handwerk zeigte sich auf
seiner Höhe.
Noch im m er überwiegt der Holzbau in der Stadt. Die
m eisten H äuser sind un terk ellert, h ab en ihr e geschm ückten Fachwerkgiebel zur Straße zu gewandt
und für die Dächer wird im m er m ehr der Dachziegel
verwendet. Die meisten Häuser sind sehr schm al, denn
es ist sehr w enig P latz inn erh alb der S ta dtm auer
vorhanden, die Grundstücke deshalb klein.
D ie Fenster sind a lle m it L äd en ausgestattet und
nunm ehr überwiegend aus Glas - den allseits bekannten ”Butzenscheiben”. Überhaupt ist es, in die dam alige
G esellschaft hineinversetzt, kein ärm liches Leben.
Neben den Grundprinzipien des Zunftwesens, und der
Kaufm annsgilden, ein solides Auskom m en für alle zu
sichern, führen zum indest eine Zeit lang auch m erkwürdige Finanzgebahren m ancher Landesherren zur
Schaffung großer m aterieller W erte. Auf Erzbischof
W ichm ann von Magdeburg soll zum Beispiel der Fakt
zurück zuführen s ein, am Ende des Jahres alles in
U m la u f b e fin d lic h e G e ld zu e in e m u m e tw a 2 0 %
geringerem W ert um prägen zu lassen. Sicher nur, um
Lade der Bäckerzunft zu Chem nitz ca. 1586
13
seine Kasse zu entlasten. Dies hatte jedoch den Effekt,
dass das Geld im Laufe eines Jahres im m er m ehr an
W ert verlor. Jeder war also bestrebt, in Sachwerte zu
investieren - das Geld schrie nach Anlage. Das Geld
lief so der Arbeit nach. Die Leute m ussten es ausgeben !
V ie lle ic h t h a t d ie s e A rt d e r G e ld e n tw e rtu n g zu m
“goldnen Boden” des Handwerks zumindest zeitweise
beigetragen, wie auch die Errichtung von herrlichen
Dom en und Rathäusern in auffallend kleinen Städten
hierin m it zu erklären ist.
Viele Handwerke hatten eine solche Höhe erreicht, das
deren Technik en und dam it die P rodukte heute nur
noch von wenigen Spezialisten oder überhaupt nicht
m ehr zu realis iere n sind. D enk en w ir an K ünstlerH andwerker wie Veit Stoß oder Tielm ann R iem enschneider mit ihren unnachahm lichen Kunstwerken der
H olzsc hnitzere i. S ehen w ir in die W erkstätten von
Lucas C ranach und H olbein, in denen zu dem viele
Lehrlinge und Gesellen beschäftigt waren. Auch die
Schm iedekunst hat beispielsweise im Ausschm ieden
von Eisen eine verbreitete P erfek tion e rreicht, die
heute nur m it Mühe der Meister unter Meistern erreicht.
In diese Zeit fallen solch historische Erfindungen, wie
die Buchdruckkunst eines Johann Gutenberg oder die
Taschenuhr, das “Nürnberger Ei”, von Peter Henlein.
Eine Fülle von technischen Erfindungen und Entwicklungen, viele große Bauten und kluge kleine Gegenstände, aber auch ein durc haus ges ellschaftlicher
Friede zeugen von der Schaffenskraft, der Innovation
und der Lebensqualität des städtischen Handwerks bis
zum Ende des 16. Jahrhunderts.
In diese Zeit fallen auch die ersten Bem ühungen der
Städte, neben den schon bestehenden Kloster- oder
Dom schulen, auch städtische Schulen zu etablieren,
in denen neben Latein und Religion auch R echnen,
Deutschschreiben und Deutschreden gelehrt werden
konnten. Das ging nicht ohne Kam pf m it der Geistlichk eit, die vor jeder Zunahm e der Volksbildung Angst
hatte, weil sie aus der Schulung des Verstandes nur
eine Gefährdung ihrer eigenen, gut dotierten Einkünfte
befürchtete. Gerade das Handwerk der alten Städte
d r ä ng te im m e r w ie de r a uf d ie E in fü hru ng s o lc h e r
Schulen und war sich in dieser Frage m it den Ratsgeschlechtern durchaus einig. Beispielsweise war es
trotz der verzweifelten Versuche der Pfaffen gelungen,
1261 in Lübeck, 1267 in Breslau, 1281 in Ham burg,
1403 in Stettin und 1420 in Braunschweig städtische
deutsche Schulen einzuführen. In letzterer Stadt gab
es sogar regelrechte Unruhen, bei denen die Zünfte
m ehrfac h in W affen traten, um ihren Forderungen
gegenüber der G eistlichkeit Nachdruck zu verleihen.
Auch diese Leistungen des alten deutschen H andwerks sollten nicht vergessen werden.
G e g e n E n d e d e s 1 5 . J a h r h u n d e r ts m a c h e n s ic h
Entwicklungen bem erk bar, die auch unm ittelbaren
Einfluss auf das Handwerk haben. Alte Absatzgebiete
deutscher Handwerkswaren fallen weg oder es wird
schwieriger, W aren dorthin zu liefern. Die wirtschaftlic h e U m g e s ta ltu n g E n g la n d s b r a c h te ve r s tä r k te
Konkurrenz m it sich. Die “Hansa” oder auch “Hanse”
sah sich in steigendem Maße W ettbewerbern gegenü b e r. E s k a m ü b e r a ll zu A u s e in a n d e r s e tz u n g e n
zwischen den bestehenden Handelsgesellschaften mit
den Engländern, den Holländern oder den Ländern des
O stseeraum es. A ber auch in P olen , B öhm en und
U n g a rn w u r d e n d ie H a n d e ls b e zie h u n g e n d u r c h
Z urü c k drä ng un g d es de utsc hen E influsses s tar k
beschädigt. Der Niedergang des deutschen Außenhandels war augenfällig. Europa begann wirtschaftlich
ein völlig anderes Gesicht zu bekom m en.
Es gab jedoch keine Kraft, die im dam aligen Deutschla n d d ie s e r E n t w ic k lu n g h ä t te e n t g e g e n s te u e r n
k ö n n e n . E s f e h lte e in e e in h e itlic h e F ü h ru n g , d ie
Kleinstaaterei und M acht der F ürsten nahm im m er
m ehr zu, die Vorzugsstellung der “röm ischen” Kirche
wurde im m er unerträglicher. Vor allem die Last auf der
Bauernschaft forderte die kom m enden Erhebungen
förm lich herauf. Es gärte in der Stadt, es gärte auf dem
Land. Überall kam es zu Bauernaufständen, die dann
1 5 2 4 im g ro ß e n B a u e r n k r ie g g ip f e lte n . O f tm a ls
b e te ilig te n s ic h in v e rs c h ie d e n e n O rte n auch die
Handwerker m it an diesen Erhebungen. Ging es doch
fü r d e n Z u n ftm e is te r g e g e n d ie a lten F einde, die
L a n d es h e rr e n , d ie d ie S tä d te a b h ä n g ig m a c h e n
w ollten, die hohe G eistlichkeit als Stadtherren, die
Steuerfreiheit der geistlichen Stifter und nicht zuletzt
gegen das röm ische Recht, überhaupt alles , was er
unter dem Schlagwort “Rom ” zusam m engefasste und
wogegen er von der R eform ation Luthers wirkliche
Hilfe erwartete.
D ie zw ölf A rtik el d es Bauerkrieges verlangen freie
Pfarrwahl (Religion), Abschaffung des Leinen Zehnten
und des Blutzehnten, Verwaltung des Großen Zehnten
durch die Gem einden, Aufhebung der Leibeigenschaft,
neue Schätzung der Dienstabgaben, Verbesserung der
R e c h ts p f le g e , R ü c k g a b e d e s A llm e n d e be s itze s ,
W egfall des “Todesfalles”, das heißt jener furchtbaren
Pflicht, dass beim Ableben eines Bauern das beste
S tück seiner H abe der K irche abgegeben werden
m usste. Hier lagen Handwerk und Bauern nicht weit
auseinander. Die W ogen des Bauernkrieges zogen die
unterschiedlichsten religiösen und gesellschaftlichen
Strömungen und Ideen nach sich. Namen wie Thomas
Müntzer oder die grauenvolle Komödie der “W iedertäufer” in M ünster 1534 sind m it frühkom m unistischen
oder ganz einfach wahnwitzigen Ideen verbunden.
Die m ittelalterliche Zunft hat die G ütergleichheit und
G üterg em einschaft nie gewollt. G leichm äß ig gute
V ersorgung, Verm eidu ng aller ihr nicht eh rlich e rscheinenden Vorteile, daru m Kontrolle der Preise,
Forderung der guten Q ualität, Kontrolle, ja vielfach
G em einsam keit des R ohstoffeink aufs. Sie hatte es
aber stets begrüßt, wenn ein Meister durch Tüchtigkeit
und F leiß es zu e tw a s b ra c h te . D a s E ig entum zu
leugnen, wäre einem m ittelalterlichen Zunftm eister
niem als eingefallen - sein Haus und seine W erkstatt
w a re n fü r ihn das S tück L e b e ns ra u m , d a s e r b e herrschte und das er zu verwalten hatte.
Begeben wir uns auf dem Streifzug durch die mittelalterliche Geschichte des H andw erks w ieder nach
Chemnitz. Bis zum Übergreifen des D reißigjährigen
Krieges auf Sachsen hatte sich auch in Chemnitz das
Handwerk prächtig entwickelt. In erster Linie war die
handwerkliche Produktion jedoch auf die Herstellung
von Textilien orientiert. Das Bleichprivileg von 1357 hat
hierbei generell fördernd gew irkt, aber auch dafür
gesorgt, dass die Leinenerzeugung dom inierte. Zu
Beginn des Krieges um ca. 1620 waren in Chem nitz
14
mehr als 300 Meister mit der Leinen- und Barchentweberei beschäftigt. Nahezu 1000 städtische Meister der
Region gehörten zur Chemnitzer Hauptlade, das heißt
W eberstädte der Umgebung, wie Rochlitz, Mittweida,
Zschopau, Frankenberg oder Oederan richteten sich
nach den Chem nitzer Statuten. 1589 erlangten die
Chemnitzer Zunftstatuten der Leineweber für weitere
22 S tädte G ültigke it, w a s a u sdrück lich du rch den
Landesherren bestätigt wurde. Die Jahresproduktion
belief sich auf ca. 300.000 m Barchent (Mischprodukt
aus Flachs und Baumwolle) und W ollzeug im W ert von
85.000 Gulden. Diese Leineweber-Zunft war also eine
wirtschaftlich mächtige und damit auch reiche Innung.
Es verwundert also nicht, dass sie von 1530 - 1718 am
K irc h p la tz ü b e r e in e ig e n e s Z u n fth a u s v e r f ü g te ,
gen aus o w ie d ie T u c h m a c h e r s e it M itte des
16.Jahrhunderts in der Lohgasse.
D ie Auswirkungen des furchtbaren Krieges auf das
Handwerk, auf die wir später noch eingehen werden,
waren auch in Chemnitz verheerend. Am Ende waren
72% des Gebäudebestandes zerstört und die vordem
auf etwa 5500 Personen geschätzte Einwohnerzahl
w ar stark dezim iert. Nur noch 52 Meister stehen im
R egister u nd a llein 1 02 M eis ter s eien a n der Pest
ges to rb e n . In teres s ant ist die Tats ac he, dass die
Leineweberei zunächst “unzünftig” betrieben wurde und
das nicht nur in Chemnitz. Dieser Handwerkszweig galt
lange Zeit genauso wie Müller, Schäfer, Bader, Henker
und Abdecker als “unehrlich” nach den W ertevorstellungen des M ittelalters. Zum indest die Leinew eber
wurden von höchster Stelle um 1456 auf Grund ihrer
Verdienste um das Fürstentum von Kurfürst Friedrich
II. aus dieser m ißlichen Lage rein form al befreit. Die
Vorurteile hielten sich freilich noch lange und wurden
nur zögerlich abgebaut.
Neben den Leinewebern entwickelten sich die Tuchm acher (W ollweber) zu einem nicht unbedeutenden
gewerblichen Zweig, der 1630 im m erhin 8000 Stück
Tuch im W ert von rund 100.000 Gulden herstellte. Im
U m feld eines textilen G ew erbes w achsen natürlich
auch solche Handwerke wie das der Schneider, der
Hutmacher und später auch der Strumpfwirker. Speziell
im Schneiderhandwerk ergaben sich aus den relativ
bescheidenen materiellen Mitteln, die zur Ausübung
desselben notw endig w aren, keine nennensw erten
Z uga ngs bes chränk ung e n . Z u m a n d e re n unterlag
dieser Handwerkszweig vor allem in der 2. Hälfte des
1 7 .J a h r h u n d e r ts e in s c h n e id e n d e n A u fla g e n u n d
Beeinträchtigungen ihres gewerblichen Spielraumes
auf G rund von landesherrlichen Kleider-und Luxusordnungen.
Auch äußerlich sollte der Unterschied zu den adligen
Oberschichten gewahrt bleiben, so m ussten sich die
Bürger mit niederen Stoffqualitäten, dem W eglassen
von Besätzen und Zierwerk und überhaupt mit allem
einschränken, was irgendwie auffällig w ar. Strenge,
“ständig” geprägte Norm en für das Tragen von Kleidung schränkten Verbraucher wie auch Produzenten
ein. Viele Bürger, vor allem aus den mittleren Standesschichten, hätten gern gezeigt , was sie sich leisten
können.
Im Metallgew erbe setzte, w ie s c hon e rw ähnt, eine
frühe Differenzierung und Spezialisierung ein. Diese
E n tw ic k lu n g n a h m ih r e n A u s g a n g s p u n k t b e i d e n
S c h m ie d e n , d ie m inde stens seit Be ginn des
15.Jahrhunderts ihre Zunft besaßen. Die Feuerordnung
von 1492 forderte von den “Schmieden aller Art”, dass
sie eine gute steinerne Esse besitzen sollten und dort,
w o d iese das D a ch durchstoß e, m üs s e m a n e in e
Ziegelabdeckung anbringen. D ie Bezeichnung des
Handwerks deutet auf eine sogenannte Sammelinnung
hin, in der Sensen-, Huf-, W affen-, Messer-, Säge- und
K upferschm iede, W agner, S chlosser, R iem er und
G ürtler zusam m engeschlossen w aren. N eben der
Korporationsform, die ein eng bezeichnetes Handwerk
in einer Stadt verband und sicher am bezeichnendsten
für die Zunft steht, war dies die zweite Form. Es fanden
sich, spe ziell in kleineren Städten, nicht genügend
Meister eines spezialisierten Gewerks, um eine eigene
Innung mit Leben zu erfüllen. Deshalb verbanden sich
Meister verwandter Handwerke auf lokaler Ebene zu
den erwähnten Sammelinnungen. Die dritte Form der
Zusam m enschlüsse w aren die sogenannten Kreisoder Landesladen, deren Mitglieder sich überregional
organisierten und damit dem lokalen Zunftsystem fern
blieben. Beispiele hierfür sind in Chemnitz die Feilenhauer, die Zinngießer, W eißgerber oder die Hutm acher.
In den Lebensm ittelhandwerken lassen sich schon
frü h ze itig e n ts ta n d e ne Z ünfte verm u te n . B e i d e n
Bäckern deuten Überlieferungen auf des Jahr 1331 hin,
zumindest seit Anfang des 15. Jahrhunderts gab es
sie. Die Bäcker mussten ihr G etreide selber auf dem
Kornmarkt kaufen sich auch um das Mahlen kümmern.
G ebacken w urde im 15. Jahrhundert “szo uffte” der
B ä c k e r “b a c k e n w il u n d v o rtre y b e n m a g k ”. 1 5 2 3
erreichte der Druck der ärmeren Bäcker eine Reduzie-
Bäckermeister
15
rung der Backtage auf Montag, Dienstag und Freitag.
Von alters her wurde in den Brotbänken verkauft, die
sich unter den Lauben in einem Rathausdurchgang
befanden. Es wurde vom Rat und den Schaumeistern
streng auf vorgegebene Gewichtsvorgaben geachtet.
Eine oft gerügte Praxis der Bäcker bestand darin, den
W ecken oder Pfennigbroten mit W asser aufzuhelfen.
Bei Verstoß gegen die Backordnung drohte bis zwei
Monate Backverbot. Seit dem 17. Jahrhundert wurde
zunehmend “aus dem Fenster”, das heißt aus dem
eigenen Haus verkauft.
Auch die Fleischer scheinen sich als Innung zu Beginn
des 14. Jahrhunderts entwickelt zu haben. Haupttätigkeitsfelder der Fleischer bestanden im Viehkauf, dem
Schlachten und Fleischverwerten sowie im Verkauf der
W aren. Der Viehkauf ging vornehmlich in der Region
vonstatten und das Schlachten der Tiere im städtischen Schlacht- und Kuttelhof, der schon vor 1500 in
C h e m n itz b e s ta n d . E r m u s s a b e r ze itw e ilig n ic h t
sonderlich gut funktioniert haben, denn die Meister
wollten wieder zu Hause schlachten. Es ist überliefert
: “T a g e la n g lass e der Kuttler, der vom H a n d w e rk
eingesetzte Verwalter, das Blut in den Kessel kochen,
wasche die W annen, Tonnen und Zuber nicht aus und
sei permanent betrunken !”(1667) Auch im Fleischerh a n d w e r k f a n d e n s t r e n g e K o n tr o lle n n a c h d e n
Q u a litä ts -, S o rtim e n ts ,-Q uantitäts - und P reisvorschriften des Rates statt. Sie wurden vom Ratsbeauftra g te n s o w ie m in d e s te n s ein em V ie rm e is te r d e r
Innung durchgeführt. (Die Innung wurde damals von
ein bis vier “Viermeistern” oder Obermeistern geführt.)
Natürlich lassen sich nach den Quellen im Chemnitzer
Stadtarchiv noc h eine g anze R eihe w eitere H andwerksinnungen nachweisen. 1679 wurde Chemnitz als
Sitz der Kreislade der W eiß gerber auserkoren, die
Schuster dürften schon um 1334 zünftig agiert haben.
Täschner sind seit 1619, die Kürschner seit m indestens 1492 nachweisbar. Die Buchbinderinnung ist seit
m indestens 1673 nachweisbar, deren Innungslade,
G ründungs urk unde und P rotokollbücher die Jahrhunderte zum Glück überstanden und sich heute in den
Händen traditionsbewußter Handwerker befinden.
Natürlich war auch das Bau- und H olzgew erbe vertreten. Vermutlich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts
existierte bei den Tischlern eine Zunft. Die Drechsler
erhielten 1649 ihre Statuten. Innungen in den Baugewerben bildeten sich jedoch relativ spät. Maurer und
Zimmerleute fanden 1673 und die Glaser zwei Jahre
später zu ihren Vereinigungen.
Obwohl die Entwicklung des H andwerks in Chemnitz
auf Grund ihrer Gründungsgeschichte natürlich später
einsetzte als in den großen deutschen Reichsstädten
w ie K ö ln , S tra ß bu rg , M a in z o de r R e ge ns bu rg , s o
bildete sich doch eine eigenständige Struktur heraus,
die in eng em Z u s a m m e n h a n g m it geog rafisc hen,
wirtschaftlichen oder politischen Besonderheiten zu
sehen ist. Beispielsweise im Textilgewerbe das schon
erwähnte Bleichprivileg oder d ie N ähe zum frühen
Bergbau des Erzgebirges, deren Auswirkungen bis in
die Neuzeit anhalten sollten.
Das Handwerk nach dem Dreißigjährigen Krieg
Der Dreißigjährige Krieg war in seinem Ausm aß und
seinen Folgen eine der tiefsten Zäsuren in der deutschen G eschichte. Die Bevölkerung in vielen Teilen
des Landes war dezim iert durch Kriegsereignisse und
K rankheiten, H underte von D örfern w aren von der
Landkarte getilgt, Städte nur noch ein Schatten ihres
früheren Glanzes. Ganze Landschaften waren entvölkert, die Felder und W iesen von Buschholz bewachs e n . D ie V ie h b e s tä n d e w a re n a u f e in k o s tb a r e s
Minim um geschrum pft.
Die gesamte Jugend kannte keinen anderen Zustand,
als den der G ewalttat, der Flucht, der allm ählichen
Verkleinerung von Stadt und Dorf. Man m usste schon
auf der H öhe des Lebens stehen, um sich daran zu
erinnern, wie es vorn dem Krieg ausgesehen hatte.
Und welche W unden sind dem geistigen Leben der
Nation geschlagen worden ! Viele alte Bräuche gingen
zugrunde, das Leben wurde leerer und leidvoller. Das
Selbstregim ent der der Städte ging verloren und die
Leibeigenschaft wurde härter denn je in vielen Gegenden des Landes. D ie alte Kunstfertigkeit der W erkstätten war verküm m ert, das allgem eine Elend und die
gleiche Armut hatte keine Aufträge für die W erkstätten.
Auf künstlerischen Schm uck und sorgfältige Form en
wurde wenig m ehr gegeben, nur das Notwendigste
wurde verlangt. S o verk üm m erte und verarm te das
Handwerk. Jedes nachfolgende Geschlecht kannte und
konnte weniger, als das vorhergehende. Viele Kunstfertigkeiten gingen ganz verloren und wurden erst viel
später wieder entdeckt oder durch die Einwanderer der
kom m enden Jahrzehnte wiederbelebt.
Die eigentlichen Sieger des Krieges waren neben den
a u s lä n d is c h e n Z e n tra lg e w a lte n d ie V ie lza h l vo n
Landesfürsten. Ihre Residenzen blühten auf, während
die alten Reichsstädte und viele andere Landesstädte
vor sich hin küm m erten. M anche S tädte und Dörfer
hatten die Einwohnerzahl vor dem Krieg erst nach 200
J a h r e n w ie d e r e rre ic h t. In d e n E rg e b n is s e n d e s
Dreißigjährigen Krieges sind auch zweifellos schon ein
G roßteil der W urzeln und U rsachen der ver hä ngnisvollen Kriege unse res J ah rhu nderts zu suchen.
W äh ren d s olc he N ationalstaaten w ie Frankreich,
E n g la n d , S p a n ie n o d e r H o lla n d g e s tä r k t d a ra u s
hervorgingen und ihre nationalen Interessen im Handel
und in der Eroberung von Kolonien durchsetzten, war
Deutschland ein einziger politischer Flickenteppich. Die
politische und wirtschaftliche Bedeutung war auf ein
bedeutungsloses Maß gesunken und es sollte m indestens noch 200 Jahre dauern, bis diese r Zustand
überw unden w urde. A uch diese E inflüsse auf das
Handwerk sollte m an nicht vergessen.
In dieser W echselwirkung von äußeren Einflüssen und
innerem Verharren wuchs die Verkrustung und der
S tills ta n d im H a n d w e rk und die M issbrä u c h e d e r
ehem als sinnvollen und ehrlichen Gebote wurden in
verstärktem Maße von den Landesherren nicht m ehr
toleriert. Die im m er stärkere E influssnahm e auf die
Zunftgesetzgebungen fand 1731 ihren ersten Abschluss im Reichsbeschluss, der großen “Reichszunftordnung”. Es wurde angeordnet, dass nunm ehr auch
die Kinder solcher schon erwähnter Stände, wie die der
Stadtknechte, Gerichtsdiener, Fronknechte, Gassen16
kehrer, Totengräber, Schäfer und dergleichen, nicht
länger vom Erlernen eines Handwerks ausgeschlossen
w e r d e n d ü rfte n . N u r m it d e n S c h a r f r ic h t e r n u n d
A b d e c k e rn w u rd e e in e A u s n a h m e g e m a c h t. D ie
V o r te ile d e r M e is te rs ö h n e , w ie zu m B e is p ie l d ie
geringere Lehrzeit, wurden für n ic htig erklärt. M an
verbot alle “seltsam en, teils lächerlichen, teils ärgerlichen Gebräuche beim Aufdingen und Lossprechen der
Lehrjungen, wie Hobeln, Schleifen, Taufen, ungewöhnliche Kleidung anlegen, auf den Gassen herum fahren”.
Im ersten Artikel wurden alle Zusamm enkünfte, Artikel
d e r S ta tu te n , G e b r ä u c h e u n d G e w o h n h e ite n d e r
Handwerker ohne Genehm igung und “Vorwissen ihrer
ordentlichen O brigk eit” verboten. D as R eichgesetz
verbot ferner allzugroße Ausgaben und Aufwendungen
beim Aufdingen, Lossprechen und bei der Anfertigung
des Meisterstück es. E s w urde neben G eburts- und
Lehrbriefen, ein allgem eines Form ular für die Arbeitbescheinigung der W andergesellen entworfen. Diese
G esetzesvorgaben m uss m an deutlich anerkennen,
denn die Missstände , auf die sie abzielten, behinderten die E ntw ic k lu ng des deuts c hen H an d w erk s in
zunehm endem Maße.
Ein Handwerk, dem es aus innerer Erstarrtheit verbote n is t, p ra k tis c h e N e u e ru n g e n u n d E rfin d u n g e n
m itzu m a c h e n , d a s zu r ü c k b le ib e n m u s s , w e il d e r
gegenseitige Neid, der falsche T raditionalism us, das
H a fte n a n d e r a lte n ü b e rk o m m e n e n F o r m je d e n
Fortschritt lähm en, bringt sich selber um . Sein Sinn war
einst d er freie, erfindungsbegabte, sch öpferisc he,
m eisterliche Mann, der nicht nur das weiterführte, was
er erlern t h atte, s ondern N eues hinzu erfand. D as
Handwerk des M ittelalters w ar ein T räger des technischen Fortschritts, verbreitete überall in Europa eine
hohe Kultur. Die Zunft des 18. Jahrhunderts war zu
einer Organisation verkom m en, die den Handwerker
geradezu künstlich von allem Fortschritt fernhielt und
hem m te , wo sie konnte. Zum indest in vielen Handwerkszweigen.
Natürlich kann m an auf der anderen Seite auch nicht
vo n e in e m v ö llig e n N ie d e r g a n g d e s H a n d w e r k s
sprechen. G roßen und durchaus positiven Einfluss
h a tte in d ie s e r B eziehung die E in w a n d e ru n g vo n
M enschen aus N achbarstaaten. Die französischen
Protestanten, die Hugenotten, die nach 1700 ins Land
ström ten, brachten nicht nur neue T echniken und
Id e e n m it, s o n d e rn auch einen neuen, freien un d
m odernen Geist, m it dem das Handwerk im allgem einen konfrontiert wurde.
W ichtige Im pulse aber, gingen in dieser Zeit nicht von
Deutschland aus, sondern von technischen Erfindungen in England, Frankreich oder Holland. Die Dam pfm aschine von Jam es W att ab 1769, die erste Spinnm aschine von A rk w righ t im se lbe n J ah r o de r der
m echanische W ebstuhl von Cartwright 1784 seien nur
Beispiele hierfür.
D as industrielle Zeitalter k ündigte sich an und die
größten Um gestaltungen im Handwerk standen noch
bevor.
Vor allem im Textilgewerbe entstand m it den neuen
Techniken und P roduktionsm ethoden erstm als ein
neuer Typ von Unternehm ern und Arbeitskräften und
form te seine sozialen Merkm ale. Das Leinewebergew e rb e , d ie T u c h m a c h erei, aber a u c h d a s
Schuhmacher- und Schneiderhandwerk, um nur einige
zu nenne n, k onnten in ihrer alten Form nicht m ehr
w eite rbeste h en oder verschw anden gänzlich. D ie
gewerbliche W arenproduktion teilte sich von nun an in
eine industrielle Massenproduktion und in eine handwerkliche, individuell, auf besondere Qualität bedachte
Herstellung von Erzeugnissen. Viele DienstleistungsHandwerke verschwanden, aber auch neue Gewerbe
kam en hinzu. Und diese Entwicklung hält bis heute an.
Die industrielle Revolution, der Liberalismus und die Entwicklung bis in die
Gegenwart
Die Zurückdrängung der Zünfte und die zunehm ende
O rientierung auf die Gewerbefreiheit erfahren unter
d e m E in flu s s d e r A u fk lärung, d e r F ra n zö s is c h e n
Revolution und den Auswirkungen der Napoleonischen
Herrschaft einen imm er stärkeren Zuspruch. Die Zünfte
wurden in allen von Frank reich besetzten G ebieten
abgeschafft und dieses V orgehen strahlte auf viele
Länder Deutschlands aus. Es gab in dieser Zeit eine
völlig ungleichmäßige Entwicklung. In m anchen Teilen
bestanden die Zünfte weiter, im angrenzenden Fürstentum waren sie verboten und in anderen Gebieten
wiederum bestanden “Zünftige “ neben “Unzünftigen”.
In Preußen forderte schon kurz nach dem Befreiungskrieg der Freiherr vom Stein: “... die Zurückführung der
G ewerbefreiheit in gesetzm äßige Grenzen und W iederbelebung der Zünfte. Das Bürgertum werde besser
erblühen aus Zünften, die durch gem einschaftliches
Gewerbe, Erziehung, Meisterehre und Gesellenzucht
gebunden seien.”
In einigen deutschen Staaten nahm m an die Gewerbefreiheit zurück. Brem en stellte 1814, Hannover 1815,
Generalinnungsartikel von 1780, Sachsen
17
K u rh e s s e n 1 8 16 und O ld e n b u rg 1 8 3 0 d ie Z ü n fte
wieder her, allerdings überall m it Einschränkungen.
Auch Preu ß en s c hrä nk te im J ah r 184 5 un ter dem
Eindruck der nicht m ehr zu übersehenden Misstände
auf handwerklichem G ebiet die G ewerbefreiheit für
eine große Anzahl von H andwerken wieder ein. Für
eine ganze Reihe von Gewerben war die Zulassung
w ie d e r a n e in e P rü fu ng g eb un de n. E b en fa lls d a s
Ausbilden von Lehrlingen.
Die politische Entwicklung verlief aber unaufhaltsam
unter dem E in fluss “liberaler”, m ächtiger Kreis e in
Richtung völliger Gewerbefreiheit. Der an sich große
G edanke der freien persönlichen Entfaltung und der
freien Berufswahl kollidiert bei näherem Ü berlegen
sofort m it der Tatsache, dass jeder, jedes Handwerk
ausüben darf ! Ob er die notwendigen Kenntnisse und
Fertigkeiten dafür hat, spielt überhaupt keine Rolle.
Im Zuge der R evolution fand sich 1848 parallel zur
tagenden Reichsversam m lung in Frankfurt ein “Handwerk erparlam ent” (H andwerk er- und G ewerbekongress) zusam m en, das grundlegende Forderungen zur
Neuordnung des H andwerk in der sich form ierenden
Industriegesellschaft aufstellte. D ie Errichtung von
Pflichtinnungen, ein Prüfungs- und Befähigungsnachweis, die Einschränkung der Meisterzahl, eine dreijährige Lehrzeit und die Errichtung von Gewerbekam m ern
gehörten dazu. M it dem Scheitern der Nationalversam m lung verhallte auch dieser Ruf und die eifrigsten
V ertreter des Liberalism us dirigierten die gesam te
W irtschaft im m er weiter in Richtung hem m ungsloser
K a pita lis m u s. D ie E rg e b n is s e - h u n d e r tta u s e n d e
verarm ter Handwerker, Elendsquartiere der Massen
von Industriearbeitern, Verfall der Ausbildung - konnten
nur m ühsam ihm Rahm en der gesam ten Bism arckschen Politik wieder korrigiert werden.
V ergeblic h forderten die H andwerk ertage 1850 in
Stettin, 1861 in Berlin, 1862 in W eim ar Einhalt gegenübe r dieser Entwicklung und der Auslieferung des
Handwerks an die Macht des großen Kapitals. Es blieb
vergeblich.
Ab 1861 wurde die Gewerbefreiheit nacheinander in
allen deutschen Staaten eingeführt.
Das Streben den H andwerks nach einer geordneten
und gesicherten Existenz war jedoch nicht gebrochen.
Ein allgem einer H andwerkstag in M agdeburg 1882
forderte wieder die obligatorische Innung, das Arbeitsbuch, die obligatorische Gesellen- und Meisterprüfung.
Die Gewerbefreiheit sei eine “Gewerbevogelfreiheit”,
m it den R am schläden und P fuschern sei m an jetzt
glücklich so weit, dass zwei Drittel der Handwerker in
Deutschland ruiniert seien. Der Protest blieb ergebnislos.
Noch einm al keim te Hoffnung auf, als Kaiser W ilhelm
II. auf eine Eingabe des 1890 in Berlin abgehaltenen
Handwerkertages, auf dem zum erstenm al die beiden
bis dahin uneinigen Organisationen , der “Allgem eine
deutsche Handwerkerbund” und der “Zentralausschuss
des vereinigten Innungsgewerbes” zusam m enwirkten,
eine Abordnung der Handwerker em pfing. Der Kaiser
versicherte seine Sym pathie und sprach den W unsch
aus, dass das Handwerk wieder zu der Blüte gelangen
m öge, in der es bereits im 15. Jahrhundert gestanden
habe. Aber die Ministerialbürokratie stellte sich taub.
Man war eben liberal und ließ die W irtschaft laufen wie
sie lief.
T rotzdem brachte unter dem Druck des handwerk-
lichen M ittelstand es d ie Zeit Zugeständnisse und
Ergänzungen der Gewerbeordnung.
Das Handwerkergesetz vom 26. Juli 1897 nahm dabei
auch für die zukünftige Entwicklung ein Schlüsselrolle
ein. Es sah nicht nur die Bildung von freien Innungen
vor, die es ja im m er gegeben hatte, sondern brachte
auch die - und schon im Nam en ist das widerwillige
Zugeständnis ausgedrückt - “Zwangsinnungen”, die
durch Verfügung der höheren Verwaltungsbehörde für
H andwerker gleicher oder verwandter G ewerbe auf
Antrag Beteiligter gebildet werden konnten, wenn :
1. Die Mehrheit der beteiligten Gewerbetreibenden der
Einführung des Beitrittszwangs zustim m t,
2. der Bezirk der Innung so abgegrenzt ist, dass kein
Mitglied durch die Entfernung seines W ohnorts vom
Sitz der Innung behindert wird, am Genossenschaftsleben teilzunehm en und die Innungseinrichtungen zu
benutzen,
3. die Zahl der im B ezirk vorhandenen beteiligten
Handwerker zur Bildung einer leistungsfähigen Innung
ausreicht.
D ie Innungen waren allgem ein berechtigt, u.a. Vera n s ta ltu n g e n zu r F ö r d e r u n g d e r A u s b ild u n g d e r
Meister, Gesellen und Lehrlinge durchzuführen, auch
Schulen zu unterhalten und G esellen und M eisterprüfungen zu veranstalten. Ein gem einschaftlicher
Geschäftsbetrieb wurde aber ausdrücklich untersagt.
In dieser H andwerksnovelle wurden außerdem die
Grundlagen für die Schaffung von Handwerkskam m ern
geschaffen. 71 dieser Kam m ern entstanden 1900 im
Deutschen Reich, die sich im Novem ber des selben
J a h re s a u f fre iw illig e r B a s is zu m “D e u ts c h e n
H andwerks- und G ewerbekam m ertag” zusam m enschlossen. Heute sind es noch 55 H andw erkskam m ern.
Parlamentarisch wurde das Gesetz von der Deutschen
Zentrum spartei, den Konservativen und einem Teil der
N ational-Liberalen getrag en . B ezeichn en de rweise
waren die Sozialdem okraten m it die größten Gegner
d ie s er N euord nung des H andw erk s. Sie sahen in
e in e m s o lid e n H a n d w e r k s s ta n d k e in e p o litis c h e
Zielgruppe, wohl eher in den Proletarierm assen der
entstehenden Industrie.
Ein Ziel wurde m it dem Handwerkergesetz noch nicht
erreicht : die Einführung des Kleinen Befähigungsnachweises, nach dem niem and Lehrlinge ausbilden darf,
wenn er nicht die Meisterprüfung abgelegt hat und erst
recht nicht die Festschreibung des “G roßen Befähigungsnachweises”, also den Meistertitel zur Führung
eines Handwerksbetriebes.
A lle rd in g s w a r d e r a lle rto lls te n P fusch e re i in d e r
L e h rlin g s haltung ein R ie g e l vo rg e s c h o b e n , d e n n
Lehrlinge anleiten durfte nur, wer 24 Jahre alt war, die
M e is te r p r ü f u n g b e s ta n d e n o d e r m in d e s te n s d ie
Lehrzeit zurü c k ge leg t h atte, die G esellenprüfung
bestanden oder m indestens 5 Jahre das H andw erk
persönlich ausgeübt hatte oder während dieser Zeit als
W erkm eister oder ähnlicher Stellung tätig war.
Erst 1908 brachte eine erneute N ovelle zur G ewerbeordnung den Kleinen und erst 1935 die Handwerkso rd n u n g d e n G ro ß e n B e f ä h ig u n g s na c h w e is , d e r
allerding im Kontext m it der völligen G leichschaltung
der Nationalsozialisten zu sehen ist.
B is 1 9 3 3 b e s ta n d e n in b u n t e r W e is e “fre ie ” u n d
“Zwangsinnungen” nebeneinander.
18
Man zählte :
Freie Innungen
1907
1919
1926
7513
7878
6294
selbständigen Handwerk seine Grundlage, näm lich die
Produktionsm ittel und die W erkstatt zu entziehen, um
so aus dem Handwerker einen handwerklich tätigen
sozialistischen M enschen zu m achen. In Chem nitz
erfolgte unter diesem Aspekt 1955 die Gründung der
ersten Produktionsgenossenschaft des H andwerks
(PG H). Es war die PG H des Elektrom aschinenbaus
“Dynamo”, die bis zum Ende der DDR fortbestand und
deren Nachfolgebetrieb heute M itglied der ElektroInnung Chem nitz ist.
Das Handwerk bestand trotz aller W idrigkeiten unter
den realen Bedingungen des Sozialism us in der DDR
in einer bem erkenswerten Vielfalt und Leistungsfähigk e it fo rt u n d b ild e te e in e w e s e n tlic h e S tü tze d e r
G esam twirtschaft, vor allem hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung m it Dienstleistungen und W aren.
Mal wurde das Handwerk etwas gefördert, m al wurde
es zurückgedrängt - je nach den Befindlichkeiten der
S ED -P artei und der m om entanen w irtschaftlichen
Lage. Stets war jedoch ein Zusam m enhalt zu spüren,
der auch die Arbeit in den bestehenden “Berufsgruppen” auszeichnete. D iese Berufsgruppen nahm en
wichtige Funktionen, auch jenseits der ihnen vom Staat
zu g e d a c h te n A u fg a b e n w a h r. W e ite rb ild u n g d e r
Handwerker, Aushandeln von Preisen, Kontingenten
oder Lehrlingszahlen gegenüber staatlichen Stellen,
M itw ir k u n g b e i d e r F e s tle g u n g v o n te c h n is c h e n
V o r s c h r if te n u n d A u s b ild u n g s in h a lte n s o w ie d ie
wichtige Seite eines geselligen Lebens waren hier von
zentraler Bedeutung.
Die ab 1990 neu- oder wiedergegründeten Innungen
in den neuen Bundesländern knüpften sowohl an die
Jahrhunderte alten Traditionen des deutschen Handwerks an, schöpfen aber auch aus den selbsterlebten
Erfahrungen einer sozialistischen Diktatur m it all ihren
verschiedenen Seiten.
Zwangsinnungen
3291
5501
10812
Der Trend zu den Zwangs- oder besser Pflichtinnungen
ist eindeutig zu erkennen.
Die von den Erfahrungen des W irtschaftssystem s, den
Auswirkungen des Ersten W eltkrieges, der Rezessionen und der Inflation aufgerüttelten Handwerkerschaft
führte aus freien Entscheidungen zu diesen Zusam m enschlüssen, die darin die wirksam ste Verteidigung
Ihre Interessen sahen. Eine organische, von Selbstbes tim m ung gek enn zeich n e te W eiterentw ick lung
wurde leider durch die Machtergreifung Hitlers und des
folgenden unsäglichen Krieges zu Nichte gem acht.
Nach dem Krieg begann in Deutschland, wie in allen
gesellschaftlichen Sphären der dem okratische Neuaufbau. Leider verlief er, natürlich der sich abzeichnenden T eilung D eutschlands e nts prec hend, sehr
unterschiedlich. Zunächst wurden in ganz Deutschland
die Innungen aufgelöst. In den westliche Besatzungszonen fand die Gewerbefreiheit ihren Einzug und erst
1953 wurde durch die Handwerksordnung die Grundlage der Neuerstehung eines leistungsfähigen H andwerks gelegt. Im Ostteil Deutschlands wurde dagegen
die Sozialisierung des Handwerks, wie sie schon 1919
im Zuge der Novem berrevolution in vielen Kom m unen
angedacht war, unter dem Schutz Stalins von der alles
beherrschenden Partei vorangetrieben. An Stelle der
Innungen traten ab 1946 die Einkaufs- und Liefergen o s s e n s c h a f te n ( E L G ) d ie , n e b e n d e r ze n tra le n
W arenbeschaffung der M angelwirtschaft, auch als
Instrum ent der Kollektivierung und Überwachung des
H andwerks eines oder verwandter G ewerbszweige
dienten. Der nächste S chritt zie lte d ara uf ab, dem
19