6 persönliche Berichte mit Informationen zum

Transcription

6 persönliche Berichte mit Informationen zum
Wen es trifft.
6 persönliche
Berichte mit
Informationen
zum Schlaganfall und
Hilfen für
den Alltag
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Inhalt
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Erfahrungen mit der
Erkrankung –
Medizinische
6 Betroffene erzählen Informationen
Sozialpsychologische
Informationen
Seite 6
”Ich habe noch einmal
Glück gehabt.”
Seite 10
”In meinem Alter? –
Ich konnte es kaum
fassen.”
Seite 14
Seite 30
1. Kapitel
Ein Schlag – selten aus
heiterem Himmel
Seite 52
1. Kapitel
Rehabilitation –
Ein Weg öffnet sich
Seite 36
2. Kapitel
Risikofaktoren –
und wie man ihnen
begegnet
Seite 60
2. Kapitel
Wie es zu Hause
weitergeht
Seite 66
3. Kapitel
Antworten auf
Fragen
Seite 72
4. Kapitel
Wegweiser
Tips
Adressen
”Die verlorene
Sprache wiederfinden.”
Seite 44
Seite 18
”Ich mußte allein
neu anfangen.”
Seite 22
”Hätte ich doch...”
Seite 26
”Ein Schicksal, das wir
beide meistern müssen.”
3. Kapitel
Wenn sich ein Schlaganfall ereignet hat
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Ein Schlaganfall ist weder ein unbeeinflußbarer Schicksalsschlag, noch
kommt er für viele wie "ein Blitz aus
heiterem Himmel". Das bedeutet: Man
kennt heute eine ganze Reihe von Risikofaktoren, die das Auftreten eines
Schlaganfalls begünstigen. Wer diese Risikofaktoren kennt, kann sein
persönliches Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, möglichst klein halten. Da diese Risikofaktoren nicht nur
Schlaganfälle, sondern zumeist auch
noch weitere schwere Erkrankungen
begünstigen, zahlt sich das Meiden
dieser Faktoren gleich mehrfach aus.
Eher selten tritt ein Schlaganfall ohne
jegliche "Vorwarnung" auf. Leider
nehmen viele Betroffene diese meist
vorübergehenden Anzeichen eines
drohenden Schlaganfalls nicht ernst
genug. Wer jedoch solche warnenden
Beschwerden und Anzeichen kennt
und entsprechend darauf reagiert, hat
eine ungleich höhere Chance, einem
Schlaganfall zu entgehen.
Kommt es zu einem Schlaganfall, so
ist es ganz entscheidend, schnell zu
handeln. Jeder Schlaganfall sollte – so
wie es bei einem Herzinfarkt selbstverständlich ist – wie ein Notfall behandelt werden. Je schneller die Betroffenen kompetente ärztliche Hilfe
in einem Krankenhaus erhalten, um so
besser läßt sich der entstandene
Schaden begrenzen. Dies hat erhebliche Konsequenzen auf das Ausmaß
und die Zeitdauer der Behinderungen,
die sich als Folgen eines Schlaganfalls
einstellen.
Einleitung
J edes Jahr erleiden in Deutsch-
Die Medizin hat in den letzten Jahren sehr viel hinzugelernt, um Schlaganfälle besser zu erkennen und zu behandeln. Glücklicherweise besitzt das menschliche Gehirn die erstaunliche Fähigkeit, beim Ausfall bestimmter Bezirke Nachbarregionen zu aktivieren, welche die verlorengegangenen Funktionen weitgehend übernehmen.
Voraussetzung dafür ist eine früh begonnene und kontinuierlich fortgesetzte
Rehabilitation. Das Motto für Patienten, die einen Schlaganfall erlitten und sich
akut davon erholt haben, heißt 'Üben, üben und nochmals üben' – zunächst
unter fachlicher Anleitung in einer Rehabilitationsklinik, später ambulant am
Wohnort, aber auch alleine oder mit Hilfe der Angehörigen zu Hause.
Am besten ist es jedoch zweifellos, es gar nicht erst zu einem Schlaganfall
kommen zu lassen. Denn trotz aller therapeutischen Fortschritte und Maßnahmen zur Rehabilitation bleibt ein Teil der Betroffenen lebenslang pflegebedürftig. Auf der anderen Seite schätzen Experten, daß etwa die Hälfte aller Schlaganfälle vermeidbar wäre, wenn man Risikofaktoren meiden und die Vorboten
eines drohenden Schlaganfalls ernst nehmen würde.
Fundiertes Wissen um den Schlaganfall, um die Risikofaktoren, die ihn begünstigen, um die Vorboten und um die Bedeutung einer frühen Rehabilitation
kann also ganz wesentlich dazu beitragen, einem Schlaganfall vorzubeugen
oder – falls er bereits eingetreten ist – seine Folgen zu begrenzen. Diese
Broschüre möchte dem Leser das dazu notwendige Wissen vermitteln.
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land rund 500000 Menschen einen
Schlaganfall; bis zu 1,5 Millionen
Menschen leben hierzulande, die
mit den Folgen eines Schlaganfalls
zu kämpfen haben. Vor allem in
den neuen Bundesländern nimmt
die Häufigkeit von Schlaganfällen
deutlich zu. Die Gründe hierfür
sind noch nicht klar. Völlig klar ist
dagegen, daß ein Schlaganfall–
sofern er nicht sogar tödlich verläuft – das weitere Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen
ganz erheblich verändern und prägen wird.
Das läßt schon der medizinische
Fachbegriff für den Schlaganfall–
Apoplexus oder Apoplexie – erkennen. Der Begriff ist aus dem
Griechischen abgeleitet und hat
dort eine ganze Reihe von Bedeutungen: getroffen, betäubt, schlaff,
bestürzt und niedergeschlagen.
Diese Begriffe beschreiben wesentliche Aspekte des Schlaganfalls und lassen zugleich erkennen,
daß diese Erkrankung mit körperlichem wie mit seelischem Leid
verbunden ist.
Teil 1
”Ich habe noch einmal Glück gehabt.”
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”Ich habe noch einmal Glück gehabt.”
Es klingt nach einem Klischee, aber schon als Junge haben mich die Reisen
der großen Entdecker fasziniert. Mein Kleinjungentraum, ferne Länder zu bereisen und die entlegensten Winkel der Welt kennenzulernen, ist dank meines
Berufes Wirklichkeit geworden. Als Fotograf begleite ich heute immer wieder
Expeditionen.
Von der vielbeschworenen Entdeckerromantik bleibt auf solchen Reisen kaum
etwas übrig. Meine Arbeit ist hart und anstrengend. Tagelange Fußmärsche durch
unwegsames Gelände mit 25 Kilogramm an Kameras, Objektiven und Stativ
auf dem Buckel sind kein Zuckerschlecken. Dazu sitzt mir oft eine Redaktion
im Nacken, die ungeduldig auf die Fotos wartet. Und doch – eine schönere
Arbeit kann ich mir auch nach 25 Berufsjahren nicht vorstellen.
Sich neuen Aufgaben und den damit verbundenen Strapazen zu stellen, ist für
mich eine Herausforderung, die ich immer wieder gerne annehme. Die eigenen Grenzen kennenzulernen – das war es, was ich neben guten Fotos auf den
Reportagereisen suchte. Heute kenne ich diese Grenze –␣ allerdings wurde sie
mir wohl erst im nachhinein bewußt.
Es begann vor etwa zwei Jahren. Ein
Auftrag führte mich zusammen mit
zwei Forschern einer US-amerikanischen Universität nach Zentralafrika.
Ich begleitete sie bei der Besteigung
eines Vulkans, den sie näher untersuchen wollten. Die Sache war nicht
ganz ungefährlich. Der Vulkan war
noch aktiv. Lava, die er von Zeit zu Zeit
ausstieß, ließ daran keinen Zweifel
aufkommen. Allerdings beruhigten
mich die beiden Forscher damit, daß
die Lava ziemlich zähflüssig sei und
daher nur sehr langsam abfließe.
Am Ende des ersten Tages erreichten
wir zusammen mit den einheimischen
Trägern, die wir engagiert hatten, um
die umfangreiche Ausrüstung der
Vulkanologen zu transportieren, das
Basislager. Das Licht der späten Nachmittagssonne lockte mich trotz des
strapaziösen Anmarsches, sofort ein
paar Aufnahmen von der Umgebung
unseres Camps zu machen. Ich entfernte mich ein Stück weit von den
anderen, um die Spitze des Vulkankegels optimal ins Bild zu bekommen.
Plötzlich wurde mir schwindelig. Ich
setzte mich einen Augenblick auf den
Boden: der Klimawechsel, 3000 m
Höhe, der lange Anmarsch – damit versuchte ich, mein Schwindelgefühl zu
erklären. Gewohnheitsmäßig, wie immer bei einer Rast, griff ich in die
Hemdtasche, um eine Zigarette aus
der Packung herauszufingern. Doch
diesmal hielt ich inne, ließ den Glimmstengel stecken. Statt dessen versuchte ich, meinen Kreislauf durch ein paar
Kniebeugen anzukurbeln. Doch es half
wenig. Auf dem kurzen Rückweg fühlte ich mich beim Gehen unsicher; der
Boden schien unter meinen Füßen zu
schwanken. Erst zurück im Basislager
war ich wieder in Ordnung.
Am nächsten Morgen brachen wir um
drei Uhr früh auf. Der Aufstieg war sehr
anstrengend; manchmal mußten wir
uns auf allen vieren hocharbeiten.
Doch als wir den letzten Kamm überwunden hatten, belohnte uns ein
phantastischer Sonnenaufgang. Am
Kraterrand blickten wir in einen breiten Kegel mit zwei Schloten. Aus einem stieg heißer Dampf auf, im anderen blubberte flüssige Lava. Am
späten Vormittag wagte einer der beiden Forscher den Abstieg in den Kra7
Hans-Werner Nolting ist 43 Jahre
alt. Er arbeitet als freiberuflicher
Fotograf für Zeitungen und Zeitschriften. Seine Spezialität sind
Bildreportagen aus Wissenschaft
und Natur. Hier berichtet er über
ein Reiseerlebnis, das sein Leben
verändern sollte.
ter. Er wollte dort Gesteinsproben entnehmen. Ein Seil sicherte ihn, und er trug
zum Schutz vor den aufsteigenden Vulkangasen eine Atemmaske.
Auch ich seilte mich ein Stück weit ab. Auf einer vorspringenden Kruste fand
ich endlich genügend Halt, um die atemberaubende Szenerie mit der Kamera
einzufangen. Ich hatte, was ich wollte, und kletterte wieder zum Kraterrand
hoch. Da überfiel mich ein heftiger Kopfschmerz. Meine Beine versagten, ich
stürzte. Doch schon einen Moment später war der Spuk vorbei. Auf meine
Begleiter wirkte der Vorfall wohl so, als sei ich über einen Stein gestolpert.
Jedenfalls nahm niemand Notiz von meinem kleinen Malheur.
Knapp ein halbes Jahr später saß ich nach wochenlangen Reisen endlich einmal wieder zu Hause vor dem Computer, um den liegengebliebenen Schreibkram zu erledigen. Da geschah etwas, was mich ungeheuer erschreckte. Ich
hatte nämlich plötzlich das Gefühl, als blickte ich auf einen halbierten Bildschirm. Dann begann sich sogar alles um mich herum zu drehen. Panische
Angst, wie ich sie nur selten erlebt hatte, ergriff mich. Ich spürte förmlich: Hier
bedroht etwas mein Leben. Gleichzeitig schoß mir durch den Kopf, daß ich
wohl nie wieder fotografieren könnte, wenn diese Störung anhalten sollte. Doch
nach zehn Minuten war alles vorüber. Zum ersten Mal seit langer Zeit erinnerte ich mich nun wieder an die Ereignisse am Vulkan. Ich rief ein Taxi und fuhr
in die Praxis meines Arztes. Da ich unangemeldet kam, mußte ich lange warten. Die Untersuchung ergab nur ein einziges auffälliges Ergebnis: meine
Blutdruckwerte waren mit 180 zu 100 deutlich erhöht. Doch dummerweise
vergaß ich dem Arzt von den Geschehnissen am Vulkan zu erzählen. Statt
dessen fiel mir ein, daß bereits eine frühere Messung in einer Apotheke einen
erhöhten Blutdruck angezeigt hatte. Der Arzt führte mein Erlebnis vor dem
Bildschirm daher auf einen hohen Blutdruck zurück. Er beruhigte mich und
verordnete mir Tabletten, mit denen ich zukünftig meinen Blutdruck medikamentös senken sollte.
In der Zeit danach fühlte ich mich
wieder pudelwohl. Einen Kontrolltermin beim Arzt versäumte ich, da ich
schon wieder auf Achse war, und da
ich im Ausland ein Medikament mit
der gleichen Wirksubstanz ohne Rezept kaufen konnte, brauchte ich noch
nicht einmal wegen einer neuen Pakkung in die Praxis. Außerdem traten
die Störungen nicht wieder auf. Nach
zwei, drei Monaten hörte ich daher auf,
das Medikament zu nehmen.
Der Zufall führte mich wenig später
in ein neurologisches Forschungsinstitut, um dort zu fotografieren. Während der Mittagspause saß ich in der
Kantine mit zwei Wissenschaftlern
zusammen, die über ungewöhnliche
neurologische Störungen fachsimpelten. Da erzählte ich ihnen von der
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Sache am Vulkan und vor dem heimischen Computer. Beide sahen mich
daraufhin ziemlich betreten an, und
ich bereute es schon, das Gespräch
auf dieses persönliche Thema gelenkt
zu haben. Doch sie ließen nicht locker
und stellten mir eine ganze Reihe von
Fragen.
Am Ende der Unterhaltung waren sich
beide Mediziner ziemlich sicher, daß
es sich bei diesen Vorfällen jeweils um
eine kurzzeitige und vorübergehende
Mangeldurchblutung meines Gehirns
gehandelt haben mußte. Das, so warnten sie mich, sei als Alarmzeichen für
einen Schlaganfall anzusehen. Die Information, daß Stunden, Tage, Wochen
oder Monate nach solchen Alarmzeichen ein Schlaganfall folgen kann,
versetzte mir einen gehörigen Schrek-
ken. Nun wußte ich, daß es naiv und gefährlich wäre, das Erlebte einfach zu
vergessen und so zu tun, als wäre nichts geschehen. Ich besorgte mir umgehend einen Termin bei einem Neurologen. Er untersuchte mich sehr gründlich;
per Ultraschall versuchte er sich ein Bild von meinen Blutgefäßen im Kopfund Halsbereich zu machen. Seine Diagnose bestätigte den Verdacht der beiden Mediziner. Auch er sagte mir klipp und klar, daß ich nur mit sehr viel Glück
an einem Schlaganfall vorbeigeschlittert wäre.
Seitdem muß ich Medikamente einnehmen, die mich vor einem Schlaganfall
schützen sollen. Sie allein wären für mich noch kein Problem gewesen. Doch
der Neurologe riet mir dringend dazu, meine Ernährung umzustellen. Vor allem aber sollte ich das Rauchen aufgeben. Das mit der Ernährung bedeutete
zwar für mich eine gewisse Umstellung. Doch auf meinen vielen Reisen hatte
ich vielfältigste Kost kennengelernt und wußte, das bei einem guten Essen
nicht unbedingt ein Steak auf dem Teller liegen muß. Nach einiger Zeit hatte
ich daher meinen Speiseplan gründlich umorganisiert und lernte den hohen
Anteil an frischem Gemüse und Obst richtig schätzen.
Mit dem Griff zur Zigarette war es eine andere Sache. Seit meiner Jugend
rauchte ich. Irgendwie, so redete ich mir immer wieder ein, gehört die Zigarette zu mir. Andererseits war mir nun klar, daß ich mit meinem Leben ein Spiel
spiele, das ich gar nicht gewinnen kann. Ich begriff es schließlich als Herausforderung, von den Zigaretten wegzukommen.
Es war ein harter Kampf. Doch wie so manch anderes Gefecht habe ich auch
dieses – zumindest bis heute – gewonnen. Seit knapp sieben Monaten bin ich
weg vom Nikotin. Für jeden weiteren Tag gratuliere ich mir dafür aufs neue.
Ich habe meine Grenzen kennengelernt – nicht in Zentralafrika oder sonstwo
in der Welt, sondern in mir. Und ich habe noch einmal Glück gehabt.
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”In meinem Alter?–
Ich konnte es
kaum fassen.”
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”In meinem Alter?–
Ich konnte es kaum
fassen.”
Den Sonntag, an dem es passierte, habe ich so klar vor Augen, als sei er
gestern gewesen. Es begann gleich morgens. Kurz nach dem Aufwachen – ich
lag noch im Bett – bekam ich plötzlich heftige Kopfschmerzen. Es fühlte sich an,
als würde mir jemand auf der rechten Seite lange Nadeln in den Kopf stechen.
Ich massierte mir den Nacken, weil die Schmerzen bis dorthin ausstrahlten.
Doch die Schmerzen wollten nicht verschwinden; statt dessen drehte sich
alles um mich herum. Mir war so schlecht, daß ich mich übergeben mußte.
Als ich etwas später ein Glas Wasser trank, bemerkte ich, daß ich kaum schlukken konnte. Jetzt bekam ich eine höllische Angst. Ich weinte vor Verzweiflung.
Mein Freund und ich, wir kamen uns beide so hilflos vor. Als ich dann nur noch
mit Schwierigkeiten atmen konnte, alarmierte er über die Feuerwehr den Notarztwagen.
Nur zufällig strich ich beim Warten über meine rechte Wange – die Haut war
nahezu taub. Jetzt bemerkte ich auch, daß mit der linken Körperhälfte etwas
nicht stimmte. Mein Freund tastete den Arm und das Bein ab – auch hier das
Gefühl, als wären sie eingeschlafen.
Endlich traf der Notarzt ein. Ich wollte aufstehen, um zum Wagen hinunterzugehen. Doch ich konnte mich kaum auf den Beinen halten, so stark schwankte
ich. Mein Freund hielt mich fest, und die Sanitäter transportierten mich auf
einer Trage zum Wagen. Ich wollte dem Notarzt etwas sagen, doch so sehr ich
mich auch anstrengte, ich lallte nur wie eine Betrunkene. Wäre mir dies auf
der Straße passiert, hätten alle Passanten bestimmt geglaubt, ich hätte einen
über den Durst getrunken. Schrecklich diese Erfahrung, daß man dringend
Hilfe braucht, und man kann sich weder durch Sprache noch durch Gesten
verständlich machen.
Glücklicherweise war ja mein Freund mit dabei. Er hatte alles miterlebt und
konnte nun dem Notarzt sehr wichtige Informationen über den Ablauf des
Geschehens geben. Der Arzt hatte zum Glück gleich den richtigen Verdacht. Er
vermutete einen Schlaganfall und ordnete an, mich in die Neurologische
Abteilung der Städtischen Kliniken zu bringen.
Auf der Station angekommen, verabreichte man mir sofort Medikamente.
Außerdem wurde ich sehr sorgfältig
untersucht. Die Ärzte wollten immer
wieder wissen, wie weit sich meine
Empfindungsstörungen ausdehnten
und wie stark das Schlucken und Atmen behindert waren. Außerdem
machte man spezielle Röntgenaufnahmen von meinem Gehirn, auf denen man es im Querschnitt sehen
konnte. Doch die Bilder, so meinten die
Ärzte, ließen noch keinen eindeutigen
Befund zu. Deshalb machte man nun
Spezialaufnahmen von meinen Blutgefäßen im Gehirn.
Am nächsten Tag erklärte mir der Stationsarzt, man sei sich nun über die
Ursache meiner Beschwerden im klaren. Er zeigte mir die Röntgenaufnahmen, auf denen die Blutgefäße des
Kopfes zu sehen waren. Selbst ich als
Laie konnte den Schaden sehen: Eine
Ader, die von der Wirbelsäule aus in
den Schädel führt, war verschlossen.
Bis heute wundere ich mich darüber,
daß ein so winziger Pfropfen so
schwerwiegende Folgen haben kann.
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Marion Hentschel ist 30 Jahre alt
und arbeitet als Juristin bei einer
Versicherung. Vor drei Jahren erlitt sie kurz vor ihrem Examen einen Schlaganfall.
Nach drei Wochen hatte sich mein
Zustand gebessert. Meine Sprachstörungen waren sogar fast vollständig
zurückgegangen. Der Stationsarzt legte mir nahe, sofort nach der Entlassung zu einer Anschluß-Heilbehandlung in eine Rehabilitationsklinik zu
gehen. Nach den schlimmen ersten
Tagen hatte ich inzwischen etwas von
meinem Lebensmut wiedergefunden.
Mein Freund besuchte mich jeden Tag.
Er konnte sich wirklich gut in meine
Lage versetzen, und wir sprachen viel
miteinander über die neue Situation
und darüber, wie es in Zukunft weitergehen könne. Ich glaube, diese
schwere, gemeinsame Erfahrung hat
uns einander nähergebracht.
Nach der vierten Woche konnte ich die
Neurologische Abteilung verlassen;
gut eine Woche später fuhr ich in die
Reha-Klinik – mit gemischten Gefühlen.
Nach dem Aufenthalt in den Städtischen Kliniken wäre ich gerne erst für
einige Zeit zu Hause geblieben, zumal
ich mit einer Reha-Klinik unangenehme Vorstellungen verknüpfte. Ich stellte mir Krankenhausgeruch, reglementiertes Leben und sterile, unpersönliche Zimmer vor.
Ein reines Vorurteil, schließlich hatte
ich auch noch nie eine solche Klinik
von innen gesehen. Die Reha-Klinik
lag etwa 100 Kilometer von unserem
Wohnort entfernt. Mein Freund konnte mich also regelmäßig besuchen. Ich
bekam ein Einzelzimmer, und weder
das Zimmer noch der Rest des Hauses erinnerten an ein Krankenhaus,
eher an ein Hotel.
Auch die zunächst befürchtete Langeweile stellte sich nicht ein. Im Gegenteil, ich war sehr beschäftigt. Nach der
ärztlichen Aufnahmeuntersuchung
stellte man mir die Krankengymnastin,
den Ergotherapeuten und die Psychologin vor. Ich merkte bald, daß alle eng
zusammenarbeiteten. Jeder ging geduldig auf meine Fragen ein. Und Fragen hatte ich eine ganze Menge. Eine,
die mich nicht losließ, war: Wie kann
das passieren – ein Schlaganfall mit
27 Jahren? Ein Mitpatient wollte mich
einmal, als meine Gedanken wieder
um diese Frage kreisten, mit dem Hinweis trösten, es könne im Grunde jeden treffen. Mich beunruhigte damals
diese Vorstellung noch mehr,
wahrscheinlich, weil ich große Angst
vor einem weiteren Schlaganfall
hatte.
Ich begann, Bücher zum Thema Schlaganfall zu lesen. Darin erfuhr ich viel
über Risikofaktoren und mußte feststellen, daß einige dieser Faktoren auch
auf meine Situation zutrafen: Seit der Schulzeit nahm ich die Pille, außerdem
rauchte ich. Rauchen allein ist bereits ein Risikofaktor, aber in der Kombination mit der Einnahme von Antibabypillen wiegt er noch schwerer. Und mein
Zigarettenkonsum hatte sich im Laufe der Jahre gesteigert. Etwa ein Jahr vor
dem Schlaganfall hatte ich einen Job als Bedienung in einem Studentenlokal
angenommen, um mein Studium zu finanzieren. Seitdem kam ich mit einer
Schachtel Zigaretten am Tag nicht mehr aus.
Doch zu diesen Risikofaktoren kam bei mir noch etwas hinzu. Der Arzt in der
Reha-Klinik erklärte mir, was in meinem Körper vorgefallen war: Eine meiner
Herzklappen hatte sich krankhaft verändert. Auf ihr, so vermutet man heute,
saß wohl ein Blutgerinnsel, das sich ablöste und mit dem Blutstrom zu dem
Gefäß am Hinterkopf vordrang. Dort blockierte es dann wie ein Korken den
Blutstrom. Heute nehme ich regelmäßig Medikamente ein, die verhindern sollen, daß sich das gleiche noch einmal wiederholt.
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So sind bei mir wohl drei Risikofaktoren zusammengekommen, die letztlich zum Schlaganfall führten: die Pille, das Rauchen und die veränderte
Herzklappe mit dem Blutgerinnsel.
Seitdem wir das wissen, verhüten
mein Freund und ich eben mit anderen Methoden. Schwerer war es, aufs
Rauchen zu verzichten.
Doch auch dabei half mir die RehaKlinik: Ich schloß mich einer Raucherentwöhnungsgruppe an. Für mich war
es der richtige Weg, um mein Nikotinlaster loszuwerden. Dank der Krankengymnastik in der Reha-Klinik gelang es mir nicht nur, immer sicherer
auf den Beinen zu stehen, ich lernte
auch wieder zu gehen. Ganz allmählich wurden die Bewegungsabläufe
flüssiger. Anfangs fehlten mir zwar
noch Kraft und Ausdauer für die Übungen, doch beides erlangte ich langsam
wieder. Der Ergotherapeut übte mit
mir die alltäglichen Handgriffe ein, dadurch besserte sich vor allem das
Empfindungsvermögen der Hand.
Wichtig waren aber auch die Gespräche mit der Psychologin. Mit ihr konnte ich offen über meine Angst und
mein angeknackstes Selbstwertgefühl
sprechen. Sie hat mir dabei geholfen,
mich selbst mit meiner Krankheit anzunehmen.
Nach dem Aufenthalt in der Reha-Klinik
war die Rehabilitation jedoch noch
längst nicht zu Ende. Regelmäßig ging
ich weiterhin zur Krankengymnastik
und übte zu Hause allein. Ich merkte
genau, daß mich jeder Tag, an dem ich
nicht trainierte, im Heilungsprozeß
zurückwarf. Es war wie das ständige
Schwimmen gegen den Strom, um
nicht unterzugehen.
Mich und meinen damaligen Freund
– wir sind mittlerweile verheiratet –
hat der Heilungsprozeß viel Kraft und
Geduld gekostet. Aber es hat sich gelohnt. Nach etwa neun Monaten waren die Beeinträchtigungen so weit
zurückgegangen, daß ich das Examen
in Angriff nehmen konnte.
13
”Die verlorene
Sprache wiederfinden.”
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”Die verlorene
Sprache
wiederfinden.”
Der schreckliche Tag vor sieben Jahren und seine Folgen haben das Leben in
unserer bis dahin ganz normalen Familie von Grund auf verändert. Mein Mann
war damals 42, ich 38, unsere beiden Söhne 17 und 14 Jahre alt. Er war mit
Leib und Seele Schiffer. Als Schiffsführer fuhr er zuletzt durch halb Europa.
Nach drei Wochen Fahrt bekam er immer eine Woche frei. Dadurch ließ sich
sein Beruf mit dem Familienleben gut vereinbaren.
Noch eine Woche vor seinem Schlaganfall war er bei dem von der Firma vorgeschriebenen Gesundheits-Check, den er jährlich machen mußte. Bis auf Probleme mit den Bandscheiben war, wie immer, alles in Ordnung. Er hatte nur ein
Laster: Er rauchte zwei bis drei Schachteln Zigaretten am Tag. Niemand konnte ihm das ausreden, weder ich noch die Ärzte.
Der Tag, an dem es passierte, lag in
seiner Freiwoche. Ich hatte, jetzt, wo
die Kinder älter wurden, wieder zu
arbeiten begonnen und war deshalb
nicht zu Hause. Mein Mann baute im
Keller ein Regal auf. Gegen 10 Uhr
wurde ihm unwohl. Er nahm das nicht
weiter ernst und werkelte weiter. Gegen 11 Uhr rauchte er seine letzte Zigarette. Nach einem Hustenanfall fiel
er einfach um. Nur ganz mühsam
schleppte er sich vom Keller ins zweite
Stockwerk. Er wollte mich an meiner
Arbeitsstelle anrufen, konnte jedoch
das Telefon nicht mehr bedienen.
Glücklicherweise gelang es ihm wenigstens, eine Treppe tiefer die Wohnung meiner Mutter zu erreichen. Als
sie ihm öffnete, konnte er nicht mehr
sprechen. Dann fiel er erneut um. Sein
Gesicht war ganz verschoben und die
rechte Körperhälfte gehorchte ihm gar
nicht mehr.
Meine Mutter rief mich sofort an. Ich
ließ alles stehen und liegen und war
fünf Minuten später zu Hause. Ich ahnte sofort, daß mein Mann einen
Schlaganfall erlitten hatte. Also rief ich
den Notarztwagen. Ich forderte, daß
man meinen Mann in die Neurologische Klinik der nahe gelegenen Universität und nicht ins näher gelegene
Kreiskrankenhaus bringen sollte. Of-
fenbar trat ich bestimmt genug auf,
denn der Notarzt entsprach meinem
Wunsch. Gegen 13 Uhr wurde mein
Mann dort ärztlich versorgt. Danach
kam er sofort auf die Intensivstation.
Auf der zuerst gemachten Computertomographie konnten die Ärzte noch
keinen Krankheitsherd im Gehirn entdecken. Doch bei einer Röntgenuntersuchung der Gehirnarterien, bei der
man ein Kontrastmittel benutzt, fanden sie schließlich den Verschluß einer großen Hirnarterie, der einen sehr
schweren Schlaganfall verursacht
hatte. Mit meinem Einverständnis versuchten die Ärzte, das Gerinnsel aufzulösen. Wie ich später erfuhr, gelang
dies aber nur teilweise.
Danach lag mein Mann über eine Woche auf der Intensivstation. Die Ärzte
machten uns keinerlei Hoffnung. Ich
hörte sofort auf zu arbeiten und war
nun jeden Tag fünf bis sieben Stunden bei meinem Mann. Gut war nur,
daß sich meine Mutter und meine
Schwester um unsere Söhne kümmerten.
Obwohl die Ärzte so pessimistisch
waren, hat es mein Mann dann tatsächlich geschafft. Man verlegte ihn
nun auf die normale Pflegestation. Erst
hier wurde mir so richtig bewußt, wie
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Herbert Kauertz kann seit seinem
Schlaganfall nur noch schlecht
verständlich sprechen und nicht
schreiben. Deshalb hat seine Frau
ihre Erinnerungen hier aufgezeichnet.
schlimm die Zerstörung im Gehirn sein mußte. Mein Mann konnte kaum sprechen, und seine ganze rechte Seite war gelähmt. Er lag hilflos da wie ein Säugling. Am meisten beunruhigte mich, daß wir uns nur so mühsam verständigen
konnten. Ich hatte zwar das Gefühl, daß er mich verstand, aber er konnte mir
dies nicht zeigen. Ich glaube, es ist für einen Außenstehenden kaum möglich,
das nachzuempfinden, was in diesen Tagen in meinem Kopf vorging.
Dank der Krankengymnastik, mit der man frühzeitig begann, machte mein Mann
die ersten Fortschritte. Es ging ein bißchen bergauf, und der ängstliche Ausdruck in seinem Gesicht wurde immer seltener. Na ja, Optimisten waren wir
schon immer.
Die Krankengymnastin übte mit ihm auf eine ganz spezielle Weise, um die
Muskelspannungen zu vermindern, die bei den Bewegungen auftreten. Außerdem bekam er Bewegungsbäder, lernte mit Unterstützung zu stehen und den
Rollstuhl zu verlassen. Nach diesen Anfangserfolgen kümmerten sich die Ärzte um einen Platz in der Rehabilitationsklinik. Sie sagten uns, die AnschlußHeilbehandlung sollte möglichst bald nach seiner Entlassung erfolgen. Gut war,
daß mir eine Sozialarbeiterin bei den notwendigen Formalitäten half.
Außer der Krankengymnastik bekam
mein Mann auch eine Behandlung wegen seiner Sprachstörung. Eine Logopädin machte mit ihm eine Sprachtherapie. Sie glaubte auch, daß die Behandlung bei ihm anschlug. Der Professor bemühte sich dann sogar persönlich darum, daß mein Mann nach
der Anschluß-Heilbehandlung einen
Platz in einer speziellen Sprachabteilung einer anderen Universität bekam. Leider war das sehr weit von zu
Hause weg.
Zweieinhalb Monate lag mein Mann im
Krankenhaus. Vier Wochen war er zu
Hause, bevor er in die Reha-Klinik kam.
Während dieser Zeit übten wir fleißig
zu Hause nach den Anweisungen der
Krankengymnastin. Mein Mann konnte jetzt zwar stehen, hatte jedoch noch
arge Probleme mit dem Gleichgewicht. Nur mühsam konnte er gehen.
Dabei zog er das rechte Bein immer
im Halbkreis um sich herum. Den
Stuhlgang konnte er nicht sicher kontrollieren; Waschen, Zähneputzen und
Rasieren war alleine nicht möglich.
Auch Lesen und Schreiben konnte er
noch nicht.
In dieser Zeit hatte ich den Eindruck,
daß die Sprache wieder schlechter bei
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ihm wurde. Als er dann bei uns in der
Gegend in die Reha-Klinik kam, konnte
ich die meiste Zeit bei ihm sein. Das
war wirklich wichtig, nicht nur, weil
wir zusammen waren, sondern weil
ich in der Klinik auch lernte, wie ich
meinen Mann später zu Hause noch
besser unterstützen kann.
Jetzt machte er immer deutlichere
Fortschritte bei seinen Bewegungen:
Die Ergotherapeuten kümmerten sich
besonders darum, daß er seinen Arm
und die Hand wieder besser einsetzen konnte – sie nannten das Programm "Das Handeln im täglichen
Leben" – und zeigten uns auch den
Umgang mit verschiedenen Hilfsmitteln. Um die Fortschritte, die mein
Mann machte, zu festigen, verlängerte man die Behandlung in der RehaKlinik auf insgesamt zweieinhalb
Monate.
Leider blieb seine fast völlige Unfähigkeit zu sprechen. Mein Mann empfand
diese Sprachlosigkeit wie eine Mauer, die ihn von der Umwelt abtrennt.
Ich brauchte damals viel Kraft und Geduld; nur schwer gelang es mir, mich
in ihn hineinzudenken und ihn zu verstehen.
Mit großen Erwartungen fuhren wir
beide dann in die Sprachabteilung der
Universitätsklinik. Es gab dort eine
sogenannte Aphasiestation, ich finde, das ist eine ganz tolle Sache. Hier
wurde mein Mann zusammen mit 15
gleichartigen Patienten sieben Wochen lang behandelt. Doch die Ärzte,
Psychologen und Logopäden betreuten nicht nur die Patienten intensiv,
auch für uns Angehörige gab es Seminare. Wir konnten über unsere Probleme reden, außerdem gab man uns
wichtige Tips, die sich später im Alltag als wirklich hilfreich erwiesen haben. Dank dieser Seminare kann ich
mich heute besser auf die Denkweise
und die Gemütsbewegungen meines
Mannes einstellen. Ich weiß, daß er
wie ein Sprachgesunder denkt und
fühlt, und ich kenne das wirkliche
Ausmaß seines Leidens. Sogar dem
Sinn seiner rätselhaften Sätze kam ich
langsam näher. Allerdings mußte ich
mich ganz schön bremsen, um ihm
nicht ins Wort zu fallen oder ihm mit
einem Wort auszuhelfen, solange er
nach dem richtigen Begriff sucht. So-
gar das Schreiben nach Diktat hatte
sich bei ihm auf der Station deutlich
gebessert. Allerdings haben wir auch
festgestellt, daß sich ohne ständiges
Üben seine Fähigkeiten fast unweigerlich verschlechtern.
Im Herbst 1989 bekam mein Mann
eine zweite Behandlung auf dieser
Aphasiestation. Während dieses Aufenthaltes erlitt er einen epileptischen
Anfall. Die Ärzte sagten uns damals,
dies könne einmalig auftreten, der
Anfall könne sich aber auch wiederholen. Medikamente gegen die Epilepsie bekam er zu diesem Zeitpunkt
noch nicht.
Trotz des Anfalls sahen wir inzwischen
voller Hoffnung in die Zukunft. Doch
es kam ganz anders. Wir saßen am Tag
vor Sylvester 1989 gerade vor dem
Fernseher, als mein Mann einen zweiten epileptischen Anfall bekam. Sein
linker Arm zitterte und zuckte plötzlich. Er konnte das nicht unterdrükken, im Gegenteil, die Bewegungen
wurden so stark, daß er sich den linken Oberarm zertrümmerte.
In der Klinik stellten die Ärzte einen Oberarmkopfbruch fest. Das Kugelgelenk
mußte entfernt und durch einen künstlichen Gelenkkopf ersetzt werden. Seit
diesem Anfall muß mein Mann auch Medikamente gegen epileptische Anfälle
einnehmen. Um den für ihn so wichtigen Arm wenigstens wieder teilweise
gebrauchen zu können, mußte er erneut in die Rehabilitationsklinik. Dort erhielt er auch wieder eine logopädische Behandlung, die ich nun zu Hause, so
gut es eben geht, weiterführe.
Im Frühjahr 1994 war dann der letzte Reha-Aufenthalt notwendig. Nun galt es,
das Erreichte zu festigen. Die Ergotherapeuten sprachen von "Hilfe zur Selbsthilfe". Und dieses Ziel haben wir wohl erreicht. Mein Mann kann sich inzwischen weitgehend alleine waschen, Strümpfe, Unterwäsche und Trainingsanzug
zieht er ebenfalls ganz alleine an. Nur bei anderen Kleidungsstücken muß man
ihm helfen. Bei den Mahlzeiten schneide ich ihm die festen Speisen in mundgerechte Stücke. Mit dem Stuhlgang klappt es, bis auf wenige Ausnahmen,
ganz gut. Für Fremde bleibt seine Sprache ein großes Problem. Über vertraute
Themen kann man sich mittlerweile ganz gut mit ihm unterhalten. Zahlen kann
er leidlich leserlich schreiben, doch um Worte zu entziffern, die er geschrieben
hat, bedarf es schon viel Phantasie.
Zurückblickend denke ich, daß mein Mann von Anfang an wirklich gut versorgt
wurde. Und wir werden ganz bestimmt nicht aufgeben, um durch intensives
Üben eine weitere Besserung zu erzielen.
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”Ich mußte allein
neu anfangen.”
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”Ich mußte allein
neu anfangen.”
Schon seit ein paar Tagen fühlte ich mich unwohl. Mich plagten starke Kopfschmerzen. So etwas kannte ich bisher nur vom Hörensagen. Dazu kam ein
schwer zu beschreibendes Gefühl – eine eigenartige Leere im Kopf. Zudem
war ich unkonzentriert, reagierte plötzlich sehr gereizt. Das paßte gar nicht zu
mir, denn eigentlich bin ich meistens gut gelaunt, und selbst wenn es im Laden
mal hoch hergeht, lasse ich mich durch die Arbeit nicht unterkriegen.
"Was ist bloß los mit dir?" fragten schon die Arbeitskollegen und redeten auf
mich ein, zum Arzt zu gehen. Ich kam mir bei diesem Gedanken komisch vor.
Was sollte ich schon haben? Dennoch machte ich einen Termin aus. Der Arzt
fragte nach meinen Beschwerden und hat mir den Blutdruck gemessen. Die
letzte Messung lag schon Jahre zurück. Damals hatte ich erhöhten Blutdruck,
habe dem aber keine Bedeutung beigemessen. Schließlich hatte ich bis dato
keinerlei Beschwerden.
Diesmal war das Ergebnis ziemlich besorgniserregend: 195 zu 115 – ein viel
zu hoher Wert. Der Arzt fragte, ob ich rauche oder Alkohol trinke. Beides konnte
ich guten Gewissens verneinen. Der Arzt meinte, daß meine Beschwerden
wahrscheinlich mit dem Blutdruck zusammenhingen, allerdings sei die Ursache dafür unklar. Er verschrieb mir ein blutdrucksenkendes Medikament und
bestellte mich für die darauffolgende Woche zu weiteren Untersuchungen.
Doch dazu kam es nicht mehr. Drei
Tage später – es war um die Mittagszeit – bediente ich einen ziemlich nervigen Kunden. Er brauchte einen großen Karton Kopierpapier und hatte es
sehr eilig. Im Laden haben wir nur einzelne 500-Blatt-Packungen. Für einen
vollen Karton mußte ich ins Lager.
Da meine Kollegen bereits zu Tisch
waren, konnte mir auch keiner beim
Tragen helfen. Also wuchtete ich im
Lager den Karton ganz allein aus dem
untersten Regalfach. Der Brocken war
so schwer, daß ich ihn nur mit aller
Kraft hochheben konnte.
Als ich mit dem Karton zurück in den
Laden kam, setzte ein stechender
Kopfschmerz ein. Ich mußte den Karton sofort hinstellen, mein linker Arm
war total kraftlos und ich fühlte ein
Kribbeln, so als ob er eingeschlafen
wäre. Schließlich wurde mir übel – und
dann riß der Faden.
Eine Krankenschwester erzählte mir
später, daß mich ein Notarztwagen ins
Krankenhaus gebracht hätte. Ich war
bewußtlos gewesen, und die Ärzte haben eine Blutung in der rechten Hirnhälfte festgestellt. Noch am selben
Tag hat man sich entschlossen, mich
am Kopf zu operieren, weil mein Zustand lebensbedrohlich wurde.
Später erklärte mir der Arzt, was passiert war: Mein ohnehin ziemlich hoher Blutdruck war durch die Anstrengung beim Heben und Tragen des
schweren Kartons noch weiter gestiegen. Dadurch platzte ein kleines Blutgefäß, und das auslaufende Blut ergoß sich ins Gehirn. Da der knöcherne Schädel jedoch nicht nachgibt,
drückte die Blutung auf das weiche
Hirngewebe. Je größer sie wurde, desto kritischer wurde auch mein Zustand. Deshalb mußte man mich operieren. Der Arzt sagte noch, daß diese
Form des Schlaganfalls relativ selten
auftrete. Als Trost meinte er, daß sich
dank der frühzeitigen Operation die
Lähmungen bald zurückbilden sollten.
Die Zeit im Krankenhaus werde ich
nicht vergessen. Mir machte nicht nur
19
Ilse Berowski ist 51 Jahre alt. Seit
ihrer Scheidung vor 6 Jahren lebt
sie allein. Bis vor kurzem war sie
als Verkäuferin in einem Bürofachgeschäft tätig. Jetzt wagt sie
einen Neuanfang. Sie schildert hier
ihren Fall, wie er sich in den letzten vier Monaten zugetragen hat.
die Lähmung der linken Körperhälfte zu schaffen; der Schlaganfall hatte mich
auch innerlich getroffen. Ich war mir selbst fremd geworden. Bisher war ich
selbstbewußt und mit mir und meiner Situation zufrieden. Jetzt aber erlebte
ich mich hoffnungslos. Ich weinte damals viel, vor allem nachts.
Den Arbeitskollegen, die mich in der Klinik besuchten, ist meine Erkrankung
wohl sehr nahegegangen. Ich glaube, einige haben ganz schön Angst bekommen, daß sie selbst solch ein Schlaganfall treffen könnte. Eine Kollegin, bei
der ich fest damit gerechnet hatte, daß sie mich im Krankenhaus besucht, hat
sich jedenfalls in der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal blicken lassen.
Auch dies war eine schlimme Erfahrung: Die ersten, die man nicht wiedersieht, wenn man krank ist, sind die Bekannten, mit denen man sonst schon
mal ein wenig gefeiert hat. Damit habe ich auch irgendwie gerechnet. Viel
schlimmer war für mich, daß mit der Zeit auch immer weniger von denjenigen
kamen, die ich für gute Freunde hielt. Da ich seit meiner Scheidung allein lebe,
geriet ich manchmal regelrecht in Panik. Ich fragte mich, ob wohl am Ende
niemand mehr übrigbleibt. Meine linksseitigen Lähmungen gingen noch während des Krankenhausaufenthaltes spürbar zurück. Als ich direkt anschließend in die Reha-Klinik kam, konnte ich bereits mit Unterstützung gehen und
meine Hand eingeschränkt bewegen.
In der Klinik lernte ich recht bald eine fast zehn Jahre jüngere Frau kennen.
Sie war wegen eines Schlaganfalls schon zum zweiten Mal in der Reha, da sie
körperlich noch ziemlich behindert war. Wir freundeten uns an. Ihr Schlaganfall passierte vor mehr als zwei Jahren; sie war gewissermaßen eine "erfahrene Patientin", Fachfrau in eigener Sache. Außerdem trat sie sehr resolut auf.
Wenn irgend etwas, von dem sie glaubte, ein Anrecht darauf zu haben, abgelehnt wurde, ließ sie nicht locker. Und so manchen kleinen Erfolg konnte sie so
für sich verbuchen.
Ich konnte mir damals nicht vorstellen, daß ich meine Sache so energisch
wie sie vertreten könnte. Etwa Behörden gegenüber hatte ich immer ziemlich schnell klein beigegeben. Doch
meine Freundin riet mir, zu einer
Selbsthilfegruppe zu gehen, das hätte auch ihr viel Kraft gegeben.
Dank der Therapie in der Reha-Klinik
gelang es mir allmählich, mit den alltäglichen Dingen einigermaßen klarzukommen, nur das Anziehen dauerte noch lange und strengte mich an.
In der Ergotherapie lernte ich, mit einer Hand zu kochen; essen konnte ich
mit den Hilfen ganz gut allein. Im wesentlichen konnte ich mich allein versorgen. Aber es gab auch vieles, das
ich aus eigener Kraft einfach nicht
schaffte. Zum Beispiel konnte ich mir
nicht mehr die Haare fönen und sie
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gleichzeitig mit der Bürste formen.
Also verabschiedete ich mich von
meiner Dauerwelle und legte mir eine
pflegeleichte Kurzhaarfrisur zu.
In der Ergotherapie tat sich für mich
auch eine ganz wichtige Perspektive
auf. Dazu muß ich erzählen, daß ich
mir im letzten Jahr einen Computer
gekauft hatte. Es ist ein Ausstellungsstück aus dem Geschäft, in dem ich
arbeite, das ich günstig bekam. In der
Ergotherapie stand auch ein Computer, und ich nutzte die Gelegenheit,
unter Anleitung daran zu üben. Zunächst tippte ich immer mit der gesunden, rechten Hand. Doch der Ergotherapeut wollte meine linke Hand
trainieren. Sechs Wochen arbeitete ich
daran, dann klappte es schon ganz
gut.
Auf Initiative des Ergotherapeuten
sprach einer der Sozialarbeiter von der
Reha-Klinik mit meinem Chef, ob es
eine Möglichkeit gäbe, daß ich dort
weiterarbeite. Bald darauf besuchte
mich sogar der Geschäftsführer. Wir
besprachen, daß ich nach dem Aufenthalt in der Reha-Klinik die Rehabilitation ambulant fortsetze und parallel dazu als berufsfördernde Maßnahme einen Computerkurs belege. Er
war bereit, mich danach in der Versandabteilung einzusetzen und mir
eine Tätigkeit zu geben, bei der ich viel
telefoniere und zeitweise am Computer arbeite.
Diese Zukunftsperspektive gab mir
viel Auftrieb, denn ich hatte schon
befürchtet, Frührentnerin zu werden.
Zusammen mit dem Sozialarbeiter
nahm ich Verbindung mit der Rentenversicherung und dem Arbeitsamt
wegen des Computerkurses auf.
Schließlich wollte ich alles noch vor
der Entlassung aus der Klinik in die
Wege leiten.
Als ich wieder zu Hause war, mußte
ich lernen, gelegentlich andere Menschen um Hilfe zu bitten. Das fiel mir
gar nicht so leicht, denn bis dahin war
ich ziemlich stolz darauf, unabhängig
und selbständig zu sein. Andererseits
machte ich die Erfahrung, wie wichtig es ist, dem anderen zu zeigen, daß
ich nicht seine ganze Hand nehme,
wenn er mir den kleinen Finger reicht.
Seit dem ersten Tag zu Hause übe ich
nun an meinem Computer. Der Kurs
beginnt in drei Wochen. Die Lähmungen am Bein sind zwar nicht so gut
wie an der Hand zurückgegangen,
doch ich bin mobil genug, um zum
Kurs zu fahren. Natürlich bin ich auch
schon ganz aufgeregt und frage mich,
ob ich im Kurs mitkommen werde und
alles schaffe. Schließlich bin ich 51
und kein Computerkid. Aber ich bin
fest entschlossen, die Chance für einen Neuanfang zu nutzen.
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”Hätte ich doch ...”
22
”Hätte ich doch ...”
Noch vor sechs Jahren hätte ich Bäume ausreißen können. Na ja, in meinem Beruf muß man auch kräftig zupacken können. Der Zeitdruck ist zwar
in den letzten Jahren größer geworden, doch unseren Spaß haben wir
immer gehabt. Bei jedem Anlaß wurde bei uns gefeiert. So auch im Oktober vor sechs Jahren.
Wir hatten in dieser Woche eine Menge Überstunden machen müssen, um
eine wichtige Terminarbeit fertigzukriegen. Am Freitagabend hatten wir
es tatsächlich geschafft.
Danach ging es auf ein schnelles
Bierchen in die Eckkneipe. Ich erinnere mich noch genau. Ich zog gerade eine Schachtel Zigaretten aus dem
Automaten, da ging es auch schon los:
Ich hatte plötzlich wahnsinnige
Schmerzen im Brustkorb, fast so, als
würde er mit einem Schraubstock
zusammengequetscht. Ganz schwarz
wurde es mir vor Augen.
Wie es dann weiterging, das weiß ich
nur von den Kollegen. Ich erinnere
mich erst wieder an die Intensivstation. Ich war völlig benommen und
stammelte immer nur, ich wolle nach
Hause. Die Schwester redete auf mich
ein, wie auf einen lahmen Gaul: Ich
müsse jetzt ruhig liegenbleiben, weil
ich einen Herzinfarkt erlitten hätte. Da
wurde mir erst klar, mit dem Nachhausefahren wird das wohl nichts.
Ich erholte mich aber – so glaubte ich zumindest – recht schnell. Die Ärzte
rieten mir bei der Entlassung dringend, zur Kur zu fahren. Da kannten die mich
aber schlecht. Ich war doch kein Typ, der wochenlang mit Kranken herumsitzt
und über seine Wehwehchen klagt. Also sagte ich mir: Frische Luft ist das
beste. So ging ich nach Hause, der Arzt schrieb mich krank, ermahnte mich,
regelmäßig die Medikamente gegen den hohen Blutdruck zu nehmen und meine
Ernährung umzustellen. Im Klartext: Er meinte, ich solle abnehmen, damit sich
meine Arterienverkalkung nicht weiter verschlimmere.
So richtig Ruhe hatte ich natürlich auch zu Hause nicht. Im Garten gab es viel
zu tun, hin und wieder half ich dem Nachbarn und werkelte im Keller. Irgendwann kam ich mir mit meiner Krankmeldung wie ein Simulant vor. Schließlich
fühlte ich mich wieder richtig fit. Also ging ich nicht weiter zum Arzt und begann wieder zu arbeiten. Die Blutdrucktabletten machten mich schlapp, ich
"vergaß" sie daher immer häufiger, obwohl mich meine Frau jeden Morgen
daran erinnerte. Aber wozu, dachte ich – ohne die Tabletten war ich schließlich
wieder ganz der Alte.
Doch meine Frau kochte anders – Gemüse, viel Salate und kaum noch Fleisch.
Ich fragte mich, woher sie wußte, was ich laut Doktor essen sollte. Ich hatte es
ihr jedenfalls nicht gesagt. Mir fiel es jedenfalls verdammt schwer, mein Gemüse zu mümmeln, während die Kollegen ihr Schnitzel auspackten. "Gemüse-August" nannte mich einer. Da war ich es leid. Ich ging zur nächsten Imbißbude und kaufte mir was Herzhaftes. Du arbeitest schwer, also brauchst du
auch was Kräftiges zu essen, redete ich mir ein.
Hinterher sind alle schlauer, und heute weiß auch ich, daß ich mich maßlos
überschätzt habe. Im Mai letzten Jahres schlug das Schicksal hart zu. Es war
frühmorgens. Ich lag noch im Bett und wollte gerade zur Toilette. Wie jeden
Tag öffnete ich den Vorhang ein bißchen, um von der Bettkante aus auf die
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Karl Daubner ist 57 Jahre alt, verheiratet. Er hat zwei mittlerweile erwachsene Söhne. Trotz seiner harten Arbeit als Maschinenschlosser
fühlte er sich immer ”kerngesund”. Doch er überschätzte seine Kräfte.
Straße zu gucken. Das Schild vor der
Bushaltestelle auf der gegenüberliegenden Seite sah jedoch an diesem
Morgen merkwürdig aus – irgendwie
fehlte der linke Teil. Als ich aufstand,
um ins Bad zu gehen, knickte mein linkes Bein ein. Es wollte einfach nicht
mehr. Meine Frau knipste das Licht an
und starrte mich entsetzt an: "Wie
siehst du denn aus? Dein linker Mundwinkel hängt ja runter", sagte sie zu
mir. Jetzt bekam ich es mit der Angst
zu tun; ich holte einen Spiegel und
bekam den nächsten Schreck. Wie ich
das Ding auch hielt und drehte, ich
konnte meine linke Gesichtshälfte
nicht sehen. Meine Frau ahnte gleich,
daß ich einen Schlaganfall hatte. Sie
wählte die 1-1-2 und rief den Notarzt.
Ich ärgerte mich sogar noch, daß sie
so einen Rummel um mich macht und
herumtelefoniert, doch ich hatte nicht
einmal mehr die Kraft zu meckern.
Nun lag ich wieder in dem Krankenhaus, in das ich auch schon mit dem
Herzinfarkt eingeliefert wurde. Von Kopf bis Fuß haben mich die Ärzte untersucht. Der Stationsarzt erklärte mir die Befunde. Meine Vorgeschichte kannte
er natürlich auch, und ich machte mich darauf gefaßt, daß er mir eine Standpauke hält. Doch glücklicherweise machte er mir keine Vorwürfe. Brauchte er
auch gar nicht, denn die machte ich mir nun schon selbst zur Genüge.
Der Doktor erklärte mir, daß ich einen Verschluß in einer Schlagader hatte.
Dadurch wurde meine rechte Gehirnhälfte nicht mehr richtig durchblutet, und
das hat all die Beschwerden verursacht. Der Arzt sagte mir auch, daß meine
Blutgefäße durch die Arteriosklerose stark verengt seien. Zudem hätte ich durch
den Infarkt eine Narbe am Herzmuskel, und außerdem sei mein Herzschlag
unregelmäßig.
Sofort nahm ich mir vor, alles zu tun, um einen zweiten Schlaganfall zu verhindern. In der Angst sind gute Vorsätze schnell gefaßt, doch sie hinterher auch in
die Tat umzusetzen – das ist eine ganz andere Sache. Im Prinzip mußte ich
mein ganzes Leben umstellen, aber ich war dazu bereit.
Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ging ich diesmal denn auch in
eine Reha-Klinik zur Anschluß-Heilbehandlung. Zu meinem größten Erstaunen
gefiel es mir dort sogar recht gut. Intensiv mußte ich Gehen üben. Aber es
lohnte sich: Die Lähmungen gingen fast völlig zurück. Wahnsinnig störend war,
daß ich noch immer nur den rechten Teil des Bildes vor meinen Augen sah.
Selbst dafür hatte man in der Klinik Übungen auf Lager – zum Beispiel das
Kegelspiel: Als Kegel dienen Dominosteine, die man in einem weiten Halbkreis
auf dem Tisch hochkant aufstellt. Als Kugel nimmt man einen kleinen Gummiball. Wenn ich nun vor dem Tisch in der Mitte stehe, kann ich die links von der
Mitte aufgestellten Dominosteine nicht sehen. Trotzdem soll ich versuchen,
auch diese Steine mit der rollenden Kugel zu treffen. Diese Übung kann ich
jetzt auch prima zu Hause machen.
24
In der Reha-Klinik kam bei mir dann Schließlich half mir der Psychologe
die "Hätte-ich-doch-Phase". Das Grübeln und die Vorwürfe machten mich
fast verrückt. Aber es gab glücklicherweise auch einen Psychologen dort.
Kein Patient wurde zu einem Gespräch
mit ihm gezwungen. Und auch ich
hatte zunächst ganz schöne Hemmungen, mit einem Wildfremden über meine persönlichen Probleme zu reden.
Ich ging trotzdem hin. Der Mann ermutigte mich, nicht immer nur
zurückzublicken, sondern der jetzigen
Situation ins Auge zu schauen. So
manche Dinge wurden mir in diesen
Gesprächen klar. Es machte mir beispielsweise schwer zu schaffen, daß
ich meine Frau mit meiner Krankheit
belaste.
noch über eine andere Hürde im Kopf
hinweg – die quälende "Was-bin-ichjetzt-noch-wert-Frage". Sozusagen
Hausaufgaben hat mir der Psychologe auch mitgegeben. Die waren für
mich gar nicht so einfach zu erledigen: Ich sollte zu Hause mit meiner
Familie über diese Dinge sprechen –
so wie ich mit ihm darüber sprach. Das
hat ganz schön lange gebraucht, bis
ich es schaffte, mit meiner Frau darüber zu reden. Es war fast so schlimm,
wie damals beim Heiratsantrag. Aber
auch diesmal hatte sie schon lange
darauf gewartet.
25
”Ein Schicksal,
das wir beide
meistern müssen.”
26
”Ein Schicksal, das
wir beide meistern
müssen.”
Mein Mann bekam vor zehn Jahren seinen ersten Schlaganfall, und zwar in
der linken Gehirnhälfte. Danach war er rechtsseitig gelähmt. Nach dem Krankenhausaufenthalt kam er in eine Rehabilitationsklinik. Dort lernte er wieder zu
gehen. Nur sein rechter Arm und die Hand wollten nicht so recht. Grobe Bewegungen konnte er zwar ausführen, doch für die Arbeit reichte das nicht. Für
unseren kleinen Handwerksbetrieb war das sehr schlecht, denn mein Mann
hat immer selbst mitgearbeitet. In unserer Kleinstadt kannten ihn die Leute
natürlich, und so blieben uns die meisten Kunden treu. Immerhin konnte mein
Mann sagen, wie eine Arbeit gemacht werden sollte, und hinterher nahm er
die fertige Arbeit ab.
Sechs Jahre lang ging das relativ gut. Auch der Diabetes, den man erst bei den
ganzen Untersuchungen nach seinem Schlaganfall festgestellt hatte, machte
keine größeren Schwierigkeiten. Mein Mann mußte sich eben nun jeden Tag
Insulin spritzen. Aber es strengte ihn ungeheuer an, den Betrieb am Laufen zu
halten.
Zu allem Unglück bekam mein Mann dann einen zweiten Schlaganfall, und
das, wo er die Folgen des ersten ja noch gar nicht überwunden hatte. Wieder
war die rechte Körperhälfte betroffen, und die Lähmungen waren sogar schlimmer als beim ersten Mal. Außerdem konnte er nicht mehr sprechen.
Für uns brach eine Welt zusammen.
Was sollte jetzt aus dem Betrieb werden? Es war schrecklich zu erleben,
wie er mit äußerster Anstrengung versuchte, ein paar Laute hervorzubringen, die ich dann noch nicht einmal
verstehen konnte. Manchmal war
mein Mann so wütend, daß er regelrecht schrie. Ich habe das nie auf mich
bezogen. Ich wußte, daß er sich vor
allem darüber aufregt, so hilflos zu
sein und sich nicht verständlich machen zu können. Seine Wut kippte
dann schnell in Verzweiflung um, und
natürlich hat sich seine Stimmung
auch auf mich übertragen.
Am deutlichsten habe ich seine depressiven Phasen gespürt. Ich versuchte dann, mir möglichst wenig
anmerken zu lassen und sprach meinem Mann Mut und Zuversicht zu.
Immer wieder habe ich ihm gesagt:
"Ich werde schon noch lernen, dich
zu verstehen." Und das stimmte auch.
Im Grunde ist es wie bei kleinen Kin-
dern, die noch nicht richtig sprechen
können. Da können die Eltern schließlich auch verstehen, was ihr Kind sagen will. Außerdem verstanden wir
uns auch ohne Worte. Manchmal saß
ich einfach bei ihm, wir haben uns die
Hand gehalten, und jeder spürte, was
im anderen vorgeht. Oft haben wir gemeinsam geweint. Auch das hat uns
sehr miteinander verbunden.
Im Krankenhaus haben die Schwestern und Pfleger, ja sogar die Ärzte,
die es eigentlich besser wissen müßten, meinen Mann immer unglaublich
laut angesprochen. Dabei kann er
doch alles ganz normal verstehen.
Aber irgendwie denkt jeder: Wer nicht
sprechen kann, der hört auch
schlecht. Meinem Mann war das
ziemlich unangenehm, doch er konnte es ja niemandem sagen. Also hab
ich es ihnen gesagt, daß sie ganz normal sprechen könnten.
Nach dem Krankenhausaufenthalt
kam mein Mann in die Reha-Klinik in
27
Karl Pettermann ist 63 Jahre alt.
Bis zu seinem zweiten Schlaganfall leitete er den eigenen Elektroinstallationsbetrieb, in dem auch
seine neun Jahre jüngere Frau mitarbeitete. Hier ihr Bericht.
unserer Nähe. Doch es war klar, daß er die Firma nicht weiterführen konnte.
Deshalb wollten wir den Betrieb verkaufen, solange noch Kunden und Aufträge da waren. Für mich war es in dieser Zeit sehr schwer, die Nerven zu behalten.
Mit meinem Mann verständigte ich mich vor allem durch Fragen, auf die er mit
einem einfachen Ja oder Nein antworten konnte. Wo das nicht ging, schrieb
er die Antwort mit der linken Hand auf einen Zettel, was ihn allerdings unendlich viel Mühe kostete. Zwar habe ich immer im Betrieb mitgearbeitet, dennoch mußte ich ihn vieles fragen. Manchmal waren es nur Kleinigkeiten. Trotzdem mußte ich jedesmal extra in die Klinik, denn telefonieren ging ja nicht.
Immerhin konnten wir den Betrieb schließlich recht gut verkaufen. Inzwischen
sind wir beide in Rente, und so haben wir unser finanzielles Auskommen.
Ich kümmerte mich wirklich sehr um
meinen Mann. Das war auch wichtig,
denn die Lähmungen gingen weder
durch die intensive Krankengymnastik noch durch die Ergotherapie wesentlich zurück. Erfolgreicher war da
schon die Sprachtherapie. Trotzdem
sprach er immer noch verwaschen
und ziemlich undeutlich. Seine Worte
kamen ganz monoton heraus. Bis
heute kann man seine Stimmungen
und Gefühle an der Sprache nicht
erkennen.Verstehen und Lesen ist
dagegen für ihn problemlos. In der
Reha-Klinik trainierte er, mit der linken Hand zu schreiben. Seitdem übt
er fast jeden Tag, am liebsten auf der
Schreibmaschine. Mit der Tipperei
kann er sich lange beschäftigen. Zum
Geburtstag hat er mir sogar ein eigenes Gedicht geschrieben – ich war zu
Tränen gerührt. Beim Sprachtraining
lassen wir nicht locker. In der RehaKlinik habe auch ich die Übungen mitgemacht. Es geht darum, das Atmen
beim Sprechen zu steuern, die Mus-
keln der Zunge und der Lippen zu kontrollieren und das Sprechtempo zu
bremsen. Zu Hause konnte ich ihn daher beim Üben unterstützen.
Ganz unglücklich macht uns die Tatsache, daß sich unsere Freunde und
Bekannten bis auf wenige rühmliche
Ausnahmen zurückgezogen haben. Im
ersten Jahr nach dem letzten Schlaganfall kamen die meisten noch, aber
dann wurden die Besuche immer seltener. Ganz schlimm ist die Sache mit
unserem Neffen. Als er klein war, hatten wir uns sehr um ihn gekümmert.
Obwohl er heute keine zehn Kilometer von uns entfernt wohnt, hat er
meinen Mann nur ganz selten besucht. Eines Tages kam er dann. Geld
wollte er von uns haben, um sich ein
teureres Auto zu kaufen. Er meinte, in
unserem Alter bräuchten wir doch
nicht mehr so viel Geld. Das hat mir
die Sprache verschlagen. Wir haben
ihm damals nichts gegeben, und seitdem haben wir ihn nie wieder gesehen. Bitter ist das.
Doch ich will nicht nur klagen. Ich sagte ja schon, es gibt auch einige wenige
Freunde, die den Kontakt zu uns nicht abreißen lassen. Eines Tages kam ein
Freund mit der Adresse einer Selbsthilfegruppe zu uns. Er meinte, daß wir
nicht so isoliert leben dürften. Er fuhr uns sogar zum nächsten Treffen dieser
Gruppe hin. Allein hätte ich es nie geschafft, meinem Mann vom Rollstuhl ins
Auto zu helfen. Ein Pfarrer, der selbst einen Schlaganfall erlitten hatte, hat
diese Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. Zu den wöchentlichen Treffen kommen meist fünf Betroffene, zum Teil gehen auch die Ehepartner mit. Alle verbindet das gleiche Schicksal, und man kann offen miteinander reden. Von Mal
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zu Mal bekam mein Mann mehr Interesse an der Gruppe. Wir tauschen Erfahrungen über kleine Hilfen im Alltag aus und machen uns gegenseitig Mut nicht
aufzugeben. Der Pfarrer verstand meinen Mann von Anfang an erstaunlich gut.
Da alle geduldig zuhören, teilte sich mein Mann hier erstmals fremden Menschen mit. Für ihn war das ein echtes Erfolgserlebnis.
In der Selbsthilfegruppe lernten wir
auch die Collagen-Therapie kennen.
Es geht dabei darum, mit Ausrissen
aus Zeitschriften ein Bild zusammenzustellen. Hätte mein Mann allein mit
so etwas anfangen sollen, hätte er bestimmt Hemmungen gehabt oder es
als Quatsch abgetan. Doch wir probierten es zunächst bei einem Gruppentreffen, und allen hat es so viel
Spaß gemacht, daß wir nun auch zu
Hause solche Collagen machen. In den
Bildern kommt vieles zum Ausdruck,
was sich mit Worten nicht sagen läßt.
Später habe ich in der Sozialstation
ein Seminar für pflegende Angehörige mitgemacht. Wir waren ein Kreis
von etwa 12 Leuten und trafen uns
jeden Montag für eineinhalb Stunden,
zehn Wochen lang. Dabei ging es nicht
um die Betroffenen, sondern um uns
als Angehörige. Mir tat es richtig gut,
auch mal über meine eigenen Sorgen
zu sprechen.
Ich hatte das bis dahin für gar nicht
so wichtig empfunden. Außerdem ergab sich eigentlich nie Gelegenheit
dazu. Wenn uns mal jemand besuchte, ging es natürlich immer um meinen Mann. Im Seminar hörte ich aber
auch, daß umgekehrt die Betroffenen
vieles, was ihnen durch den Kopf geht,
nicht mitteilen. Sie wollen die Angehörigen nicht noch mehr belasten.
Nachdem ich das wußte, sagte ich
meinem Mann, er solle doch einfach
aufschreiben, was ihm durch den Kopf
gehe; ich würde mich wohler fühlen,
wenn ich das wüßte. Er hatte offenbar schon früher so manches auf einen Zettel getippt. Aber jetzt erst traute er sich, mir diese Zettel zu zeigen.
Auch wenn mich manches von dem,
was da draufstand, erschreckt hat,
verstehe ich ihn seitdem besser.
Vielleicht klingt das alles so, als wären wir all die Jahre hindurch ein Herz
und eine Seele gewesen. Keineswegs. Es gab auch Reibereien – so wie früher.
Es gab sogar Phasen, da hätte ich am liebsten alles hingeworfen und wäre
davongelaufen. Dann gab es eine Zeit, da fühlte ich mich durch die Pflege so
angekettet, daß ich auf meinen Mann wütend wurde. Dabei konnte er ja nichts
dafür. Im Gegenteil, er forderte mich immer wieder auf, mal einen Bummel zu
machen oder sonst nur etwas für mich zu unternehmen. Aber ich dachte immer, ich könnte ihn keinen Augenblick allein lassen.
Bis heute ist es für mich sehr schmerzlich, daß mein Mann in seinem Wesen
verändert ist, aber damit muß ich irgendwie fertig werden. Ihm körperlich zu
helfen, ist zumindest so lange kein Problem, wie ich fit bleibe. Viel schwieriger
ist der seelische Beistand. In der Selbsthilfegruppe hörte ich, daß manche
Ehen unter der Belastung auseinanderbrechen und der Partner den Betroffenen einfach allein läßt. Ich will nicht darüber urteilen, und ich müßte lügen,
wenn ich sagen würde, bei uns hat es keine Krisen gegeben. Doch wir haben
sie durchgestanden. Manchmal vielleicht mehr schlecht als recht, aber wir
haben immer gewußt, daß wir beide auch in schweren Zeiten zusammengehören.
29
Teil 2
Ein Schlag –
selten aus
heiterem Himmel
30
1. Kapitel
D as
Kernproblem beim Schlaganfall ist, daß einzelne Teile
des Gehirns nicht mehr ausreichend
mit Sauerstoff versorgt werden. Hirnzellen verbrauchen im Verhältnis zu
anderen Körperzellen sehr viel Energie. Die Energie gewinnen sie, indem
sie energiereiche Zuckermoleküle
zum energiearmen Kohlendioxid abbauen. Dafür benötigen die Zellen
Sauerstoff, ähnlich wie Brennstoffe
nur unter Sauerstoffzufuhr ein Feuer
nähren können.
Der hohe Energieumsatz der Nervenzellen im Gehirn bedingt auch, daß
dieses Organ äußerst empfindlich auf
Sauerstoffmangel reagiert. Fatal ist
dabei zweierlei: Wird eine Hirnzelle
über einen bestimmten Zeitraum hinweg – er liegt beim Erwachsenen bei
wenigen Minuten – nicht mehr mit
Sauerstoff versorgt, so kommt es zu
einem unumkehrbaren Schaden in
dieser Zelle – sie stirbt ab. Dieser Verlust ist um so dramatischer, weil sich
Hirnzellen – anders als etwa Hautzellen nach einer Verletzung – nicht
mehr teilen. Mit anderen Worten: Eine
abgestorbene Hirnzelle wird nicht
durch eine neue, gesunde ersetzt.
Daher kommt es bei Sauerstoffmangel in dem Bereich, der davon betroffen ist, zur unumkehrbaren Schädigung durch Zelltod. Diejenigen Hirn-
funktionen, die im betroffenen Bereich
angesiedelt sind, fallen daher zunächst einmal aus. Glücklicherweise
sind im Gehirn die verschiedenen
Funktionen – etwa die Steuerung der
Bewegungen, die Sprache oder das
Sehen – nicht unverrückbar an eine
bestimmte Hirnregion gekoppelt. Beim
Ausfall einer Hirnregion kann es gelingen, die zunächst eingebüßte Funktion gleichsam auf andere Hirnareale
zu verlagern, so daß diese Hirnteile die
verlorengegangene Funktion mit übernehmen können.
Voraussetzung dafür ist allerdings, daß
der Betroffene diese Hirnfunktion kontinuierlich trainiert. Die Flexibilität des
Gehirns ist der Grund, weshalb Schlaganfall-Patienten durch eine andauernde Rehabilitation eine Lähmung teilweise oder ganz überwinden oder ihre
Sprachfähigkeit wiedererlangen können. Vor diesem Hintergrund wird auch
klar, weshalb ein Schlaganfall sich bei
zwei Patienten ganz unterschiedlich
stark ausprägen kann, und weshalb
zwei verschiedene Patienten mit völlig unterschiedlichen Ausfällen zu
kämpfen haben. Denn Art und Umfang
des Schadens richten sich danach, in
welchem Hirnareal der Sauerstoffmangel auftritt und wie groß das davon betroffene Gebiet ist.
Um sich dies klarzumachen, ist es sinnvoll, das Blutgefäßsystem, welches
das Gehirn mit Blut und daher auch mit Energie und Sauerstoff versorgt, mit
dem Stromversorgungsnetz einer Stadt zu vergleichen. Von den großen Überlandleitungen aus – sie wären im Körper mit den Hauptschlagadern vergleichbar
– verästeln sich die Leitungen bis hin zu einem einzelnen Stromverbraucher,
etwa einer Glühbirne – sie entspräche im Körper der einzelnen Nervenzelle.
Tritt nun ein technischer Defekt in der Stromversorgung auf, so ist es für das
Schadensausmaß ganz entscheidend, wo sich dieser ereignet.
Ist beispielsweise nur ein Leitungsstrang innerhalb eines Hauses betroffen, so
bleiben lediglich ein paar Steckdosen unversorgt. Ist die Verteilerleitung eines
Straßenzuges betroffen, so werden einige Haushalte nicht mehr versorgt. Ist
aber eine Umspannstation oder die Überlandleitung selbst betroffen, so gehen
in einzelnen Stadtteilen oder gar der gesamten Stadt die Lichter aus.
31
Das Hauptproblem
Übertragen auf das Blutgefäßsystem, das sich ebenso wie ein Stromnetz verästelt, heißt das: Ist der Blutstrom nur an einer der feinsten Verästelungen
unterbrochen, so betrifft der Schaden nur ein winziges Areal von Nervenzellen. Verstopft aber etwa ein Blutpfropf eine der Hauptschlagadern, so bleiben
ganze Hirnteile unversorgt der entstehende Schaden ist ungleich größer.
Ursachen
(linke Abb.) Arterie mit starken
Kalkablagerungen.
für eine Mangeldurchblutung gibt es mehrere: So können
sich beispielsweise Kalk und Fettstoffe an der Innenwand eines Gefäßes anlagern und so dessen Querschnitt verengen das Blut muß eine
Engstelle passieren. Genau dies passiert bei der Arteriosklerose. Andererseits können sich kleine Blutgerinnsel auf einem Gewebe etwa einer
Herzklappe bilden, die sich irgendwann einmal von ihrer Unterlage ablösen und danach im Blutstrom
schwimmen. Erreichen sie auf diesem
Weg die dünneren Gefäße, so können
sie einen Pfropf bilden und das Gefäß
vollständig verschließen. Dieses Ereignis bezeichnet der Mediziner als
Embolie, den Blutpfropf als Thrombus.
Bei Menschen, die an einer Arteriosklerose leiden, passiert so etwas viel
häufiger als bei Menschen mit gesunden Blutgefäßen, weil sich der Pfropf
an einem zuvor verengten Gefäß leichter festsetzen kann.
Ebenso kann ein von außen auf das
Gefäß wirkender mechanischer Druck
die Blutzufuhr drosseln oder ganz un-
(mittlere Abb.) An der Arterienwand
hat sich ein Blutpfropf gebildet.
(rechte Abb.) Die Arterie wird durch
ein Blutgerinnsel verstopft.
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terbrechen. Dies kommt etwa vor,
wenn sich in der Umgebung des Gefäßes Flüssigkeit ansammelt sei es
Gewebswasser oder Blut, das aus einem verletzten Gefäß austritt. Kann
diese Flüssigkeit nirgendwohin abfließen, wie dies beim Gehirn oft der Fall
ist, quetscht sie schließlich das Gefäß ab. Einen solchen Druck auf das
Gefäß kann auch ein wachsender Tumor erzeugen.
Schlaganfälle, die durch Durchblutungsstörungen oder eine Embolie
ausgelöst werden, bezeichnen Ärzte
als primär ischämischen Hirninfarkt
oder Apoplex. Ischämisch bedeutet
dabei soviel wie blutleer. Etwa 80 Prozent aller Schlaganfall-Patienten erleiden einen solchen ischämischen
Hirninfarkt. Der zweite Typ, ausgelöst
durch eine Blutung infolge eines geplatzten Blutgefäßes, spielt bei den
restlichen 20 Prozent der Schlaganfall-Patienten die Hauptrolle. Bei dieser Form sprechen Mediziner vom primär hämorrhagischen Gehirninfarkt,
wobei hämorrhagisch soviel wie
blutungsbedingt bedeutet.
In einer beträchtlichen Zahl der Fälle sie schwankt zwischen 40 und 80 Vorboten
Prozent kommt der Schlaganfall nicht wie der buchstäbliche Blitz aus heiterem Himmel. Vielmehr gab es im Vorfeld des eigentlichen Schlaganfalls Ereignisse, die man als Vorboten bezeichnen kann vergleichbar den kleineren Vorbeben, die sehr häufig ein schweres Erdbeben ankündigen. Leider erkennen
viele Betroffene in diesen Vorboten jedoch nicht die drohende Gefahr. Das hängt
damit zusammen, daß diese Vorboten nicht immer stark ausgeprägt sind, sie
werden aus Unwissenheit als belanglose Störung abgetan wie ein Spuk, der
schnell wieder verschwindet.
Zu den Alarmzeichen rechnen Neurologen folgende Ereignisse - Kribbeln, pelziges Gefühl - Muskelschwäche im Gesicht, in den Armen oder Beinen - Einengungen des Blickfeldes, Doppeltsehen oder völliger Sehverlust - Gangunsicherheit, man eckt selbst in der vertrauten Wohnung an Möbeln oder Türrahmen an, man stürzt plötzlich ohne ersichtlichen Grund - plötzliches Schwindelgefühl, manchmal auch Erbrechen;- bislang nicht gekannter, plötzlich einsetzender Kopfschmerz - Sprachstörungen oder Schwierigkeiten, Wörter zu
verstehen - Schluckbeschwerden, obwohl keine Erkältung im Anmarsch ist.
Der Grund, weshalb viele Betroffene diese Alarmzeichen auf die leichte Schulter nehmen, liegt häufig auch daran, daß "der Spuk" nach wenigen Minuten
vorbei zu sein scheint. Die Betreffenden sind wieder völlig beschwerdefrei.
Verniedlichend wird ein solches Ereignis auch mit dem süddeutschen Begriff
"Schlägle" abgetan. Neurologen raten jedoch dringend, daß man in einemsolchen Fall einen Arzt, am besten einen Neurologen aufsucht.
33
eines Schlaganfalls
Kopfschmerz
Halsschmerz
Schwindel
Sehstörungen
Sprachstörungen
Lähmung
34
Neben den genannten Symptomen,
die als Vorboten eines drohenden
Schlaganfalls zu gelten haben, kommt
es beim Schlaganfall selbst zu weitaus schwerwiegenderen Symptomen,
die aufgrund der unumkehrbaren
Schädigung der betroffenen Hirnbereiche auch zunächst bestehen bleiben. Zu den häufigsten Anzeichen gehören:
Schwindelgefühl mit erheblichen
Gleichgewichtsstörungen
Übelkeit und Erbrechen
kalter Schweiß auf der Stirn
Bewußtlosigkeit,
eventuell sogar Herz- und
Atemstillstand
Bewegungsunfähigkeit,
besonders der Hand
plötzlicher Kraftverlust in einzelnen
Muskeln oder Muskelgruppen
plötzlich einsetzende Lähmung des
Armes, des Beines oder einer gesamten Körperhälfte
Sprech- und Sprachstörungen
Vernachlässigung einer Körperhälfte –␣ man hat das Gefühl, sie gehöre nicht mehr zu einem selbst.
Die Art und Kombination, in der die
Symptome auftreten, geben dem Arzt
übrigens bereits ein erstes Indiz für
den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist. Ein Schlaganfall im Großhirn äußert sich also anders als ein
Schlaganfall, bei dem der Hirnstamm
oder das Kleinhirn betroffen ist. Auch
die jeweils betroffene Körperhälfte
enthält eine wichtige Ortsinformation:
Kommt es auf der linken Seite zu Lähmungen, so ist die rechte Hirnhälfte
betroffen; bei rechtsseitigen Ausfällen
ereignete sich der Schlaganfall in der
linken Gehirnhälfte. Dies liegt daran,
daß sich die Nervenbahnen an einer
bestimmten Stelle im Körper kreuzen.
Eine Ausnahme stellen Nerven
des␣ Seh-,␣ Hör-,␣ Geruchs-␣ und␣ Geschmackssinnes dar. Hier zeigen sich
die Schäden auf der Hälfte, auf der
auch der Schaden im Hirn vorliegt.
Erscheinungsbild
des Schlaganfalls
Wer eine Situation miterlebt, in der eine Person über Symptome klagt, wie sie Hilfe bei einem
im vorhergehenden Abschnitt beschrieben sind, sollte sofort den Notarzt alarmieren. Ähnlich wie bei einem Herzinfarkt kommt es jetzt unter Umständen
auf Minuten an. Erreichbar ist der Notarzt über die Notrufnummern der Polizei
– bundesweit 110 –␣ und der Feuerwehr –␣ bundesweit 112. Man kann auch
direkt die Rettungsleitstelle anrufen. Die Rufnummer findet sich im örtlichen
Telefonbuch; besser noch, man notiert sich wichtige Notfallrufnummern auf
einem Zettel, der in Griffweite vom Telefon liegt, dann sind diese Nummern
sofort parat.
Dem Kranken selbst sollte man bis zum Eintreffen des Notarztes Erste Hilfe
leisten, und zwar: –␣ Fenster im Zimmer öffnen, um die Sauerstoffzufuhr zu
verbessern; –␣ trägt der Kranke eine Zahnprothese, so sollte man diese entfernen, damit er sie nicht verschluckt; –␣ ist der Betroffene bewußtlos, diesen in
die stabile Seitenlage legen; –␣ bei Herz-Kreislaufstillstand Wiederbelebungsmaßnahmen ergreifen.
Das richtige Vorgehen ist allerdings –␣ vor allem bei einer eventuell erforderlichen Wiederbelebung –␣ entscheidend. In einem Erste-Hilfe-Kurs läßt sich das
korrekte Vorgehen erlernen. Ist der Notarzt eingetroffen, so sollte man diesen
präzise und in knappen Worten über den Vorfall informieren, vor allem wenn
der Betroffene selbst nicht mehr oder nur noch mit Mühe sprechen kann.
35
Schlaganfall
Risikofaktoren –
und wie man ihnen
begegnet
36
2. Kapitel
Das vorhergehende Kapitel beschäftigte sich mit den Prozessen, die sich
im Vorfeld und bei einem Schlaganfall abspielen. Ein wichtiger Punkt
dabei war: Schlaganfälle treten eher
selten so überraschend auf wie ein
Blitz aus heiterem Himmel –␣ sie kündigen sich meist durch Vorboten an,
die jedoch längst nicht alle Betroffenen ernst genug nehmen.
Außerdem handelte das vorige Kapitel von den beiden wichtigsten Auslösemechanismen, die zu einem
Schlaganfall führen können: dies sind
der Verschluß eines Blutgefäßes und
eine Blutung im Kopf. Beide Mechanismen sind jedoch nicht die eigentlichen Ursachen für einen Schlaganfall.
Um diese Ursachen zu erkennen, muß
man noch einen Schritt weiter zurückgehen und Fragen wie diese stellen:
Warum kommt es zu arteriosklerotisch verengten Blutgefäßen und
Gefäßverschlüssen? Warum platzt ein
Blutgefäß?
Den Antworten auf diese Fragen ist
man heute ein beträchtliches Stück
näher gekommen. Beide Auslösemechanismen für einen Schlaganfall
haben häufig eine Vorgeschichte, die
zu kennen sich lohnt. So gibt es ne-
ben der genetischen und familiären
Disposition eine Reihe von Risikofaktoren, deren ursächliche Beteiligung
am Entstehen krankhafter Gefäßveränderungen sehr gut dokumentiert
ist. Auch in dieser Hinsicht ist der
Schlaganfall also kein Blitz aus heiterem Himmel.
Den Risikofaktoren für einen Schlaganfall sind die Betroffenen nicht
schicksalhaft ausgeliefert. Im Gegenteil: Fast alle dieser Risikofaktoren,
welche die Medizin ausgemacht hat,
hängen mit der Lebensweise eines
Menschen zusammen. Man kann sich
daher vor einem Schlaganfall schützen, zumindest aber das Risiko eines
Schlaganfalls so weit wie möglich reduzieren.
Deshalb beschäftigt sich dieses Kapitel mit der Bedeutung der Risikofaktoren. Es informiert darüber, wie diese Faktoren wirken. Es zeigt aber auch
Wege auf, wie sich jeder einzelne
schützen kann –␣ nicht nur, indem er
weiß, auf welche Risikofaktoren er zu
achten hat, sondern auch wie es gelingen kann, sein Leben so zu gestalten, daß man es gesund genießen
kann.
Bluthochdruck ist der wichtigste Risikofaktor für einen Schlaganfall. Er ist Die stumme Gefahr
beispielsweise fast immer beim zweiten Typ des Schlaganfalls –␣ dem durch
eine Blutung im Kopf ausgelösten hämorrhagischen Hirninfarkt –␣ mit im Spiel.
Mit steigendem Blutdruck erhöht sich nämlich die Gefahr, daß ein Gefäß plötzlich platzt. Doch auch beim viel häufigeren ersten Typ –␣ dem ischämischen
Hirninfarkt –␣ spielt der Bluthochdruck eine wichtige Rolle. Ein zu hoher Blutdruck begünstigt nämlich die arteriosklerotischen Veränderungen der Gefäße.
Jeder vierte Bundesbürger über 40 Jahre leidet an hohem Blutdruck, doch nur
ein Drittel der Betroffenen wissen von ihrer Erkrankung. Der zu hohe Blutdruck –␣ Mediziner nennen dies Hypertonie – ist eine stumme Gefahr. Der Körper
signalisiert nicht, daß der Blutdruck im Herz-Kreislaufsystem zu hoch ist –
man spürt keinerlei Schmerzen oder sonstige Beeinträchtigungen. Nur durch
regelmäßiges Blutdruckmessen läßt sich die Gefahr erkennen. Dabei gehen
Mediziner von folgenden Richtwerten aus: Als grenzwertig und kontrollbedürftig
gilt der Blutdruck, wenn die sogenannten systolischen Werte bei der
Herzmuskelanspannung und die diastolischen Werte bei der Erschlaffung des
37
Herzmuskels häufig oder ständig
mehr als 140/90 mm Hg betragen. Ab
diesem Blutdruck erhöht sich bereits
das Krankheitsrisiko des Betreffenden. Bei Werten von mehr als
160/95 mm Hg spricht der Arzt von
einem ausgeprägten Bluthochdruck,
der behandelt werden sollte, weil
nun das Krankheitsrisiko sehr deutlich
ansteigt.
Gerade der Zusammenhang zwischen
Bluthochdruck und der Entstehung eines Schlaganfalls ist sehr gut dokumentiert. So ergaben Studien an sehr
vielen Patienten, daß eine Verminderung des Blutdrucks um 6 mm Hg
das Risiko für einen Schlaganfall um
40 Prozent senkt.
Für die Behandlung des Bluthochdrucks steht eine Vielzahl wirksamer
Medikamente zur Verfügung. Die Crux
ist dabei: Der Patient spürt zwar seinen hohen Blutdruck nicht, aber er
spürt die mit diesen Arzneimitteln verbundenen Nebenwirkungen. Das führt
häufig dazu, daß die Patienten die vom
Arzt verordneten Medikamente stillschweigend absetzen␣ –␣ eine zwar
verständliche, aber unter Umständen
fatale Reaktion.
Eine Hilfe ist es in diesen Fällen, wenn
der Betreffende regelmäßig seinen
Blutdruck selbst kontrolliert. Im Fachhandel gibt es eine Vielzahl zuverlässiger Meßgeräte. Wer zudem die gemessenen Werte in einer Art Tagebuch
protokolliert, hat die Entwicklung seines Blutdrucks im Blick und kann daher besser mit dieser stummen Gefahr umgehen.
Nicht jeder Bluthochdruck muß unbedingt medikamentös behandelt werden. Bei nur leicht erhöhten Werten
erreichen die Betreffenden oft schon
eine Normalisierung, wenn sie ihre Ernährung umstellen und sich stärker
sportlich betätigen. Auch der Abbau
von negativem Streß – sei es zu Hause
oder im Beruf –␣ wirkt sich blutdrucksenkend aus.
Von diesen Maßnahmen profitieren
selbstverständlich auch Patienten, die
wegen ihres zu hohen Blutdrucks Arzneimittel einnehmen müssen. Sie
begegnen dem Problem dann von
mehreren Seiten, was die Erfolgsaussichten der Behandlung
nachweislich verbessert. Verträgt ein
Patient das verordnete Medikament
nicht so gut, sollte er unbedingt mit
seinem Arzt darüber sprechen. Es
gibt eine Vielzahl unterschiedlicher
Präparate, und meist läßt sich ein
anderes, besser verträgliches finden.
Die ”guten” und die Der Begriff Cholesterin ist in aller Munde. Blutfette, das wissen heute die
”bösen” Fette meisten Menschen, spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Arterio-
sklerose. Bestimmte Blutfette –␣ genaugenommen handelt es sich um Fetteiweißkörper –␣ lagern sich in die Gefäßwände ein und begünstigen dadurch
arteriosklerotische Veränderungen an der Gefäßinnenwand. Über diese Wirkung spielen hohe Blutfettwerte daher auch bei der Entstehung des Schlaganfalls eine wichtige Rolle.
Doch Blutfett ist nicht gleich Blutfett. Eine genauere Unterscheidung in zwei
Cholesterin-Typen –␣ man nennt sie LDL-Cholesterin und HDL-Cholesterin –␣ ist
nicht nur für den Fachmann von Bedeutung, denn beide Typen wirken völlig
unterschiedlich. Man könnte sagen, HDL- und LDL-Cholesterin sind die molekularen Gegenstücke des "guten" Dr. Jekyll und des "bösen" Mister Hyde.
Generell gilt: Cholesterin ist ein wichtiger molekularer Baustein, den der Körper zum Aufbau von Nervenscheiden und Hormonen dringend benötigt. Aus
diesem Grund stellt der Körper sogar selbst Cholesterin her –␣ übrigens viel
38
mehr, als man normalerweise mit der Nahrung zu sich nimmt, nämlich
80 Prozent des im Körper vorhandenen Cholesterins.
Allerdings gilt auch hier, daß es auf das richtige Maß ankommt. Wer zuviel Fett
ißt, also mit der Nahrung zuviel Cholesterin aufnimmt, schädigt seine Gesundheit. Dies gilt vor allem für das LDL-Cholesterin. Dieses Blutfett erhöht nachgewiesenermaßen das Risiko für Arteriosklerose und damit auch für einen
Schlaganfall. HDL-Cholesterin hingegen scheint sogar eine positive, also schützende Wirkung auf das Herz-Kreislaufsystem zu haben. Ärzte wissen um dieses Doppelgesicht des Cholesterins. Sie werden daher bei einem Patienten
nicht nur den Gesamt-Cholesterinspiegel, sondern auch die jeweiligen Anteile
und das Verhältnis von HDL- und LDL-Cholesterin bestimmen.
Vor allem Menschen, deren LDL- und Gesamt-Cholesterinwerte zu hoch liegen, können viel dafür tun, diesen Risikofaktor zu minimieren. Im Vordergrund
steht dabei natürlich eine kritische Inspektion des eigenen Speisezettels. Entscheidend ist es, die Fettzufuhr insgesamt zu verringern und statt dessen eine
kalorienärmere Kost mit mehr Kohlehydraten und Ballaststoffen anzustreben.
Auch ein kritischer Blick auf die Fettsorten zahlt sich aus: Fette mit hohem
Anteil an den sogenannten mehrfach ungesättigten Fettsäuren sollte man jenen
Fetten vorziehen, die überwiegend gesättigte Fettsäuren aufweisen. Die
Faustregel dabei: Pflanzliche Fette sind tierischen vorzuziehen.
Neben einem "fettbewußten" Speisezettel helfen vor allem verstärkte
sportliche Aktivität –␣ hier ganz besonders ein regelmäßig betriebenes Ausdauertraining –␣ und Maßnahmen zum
Streßabbau –␣ etwa Entspannungsübungen –,␣ die Konzentration des "bösen" LDL-Cholesterins und des Gesamt-Cholesterins zu senken. Ein sicherlich für viele nicht unerwünschter "Nebeneffekt" des Trainings ist die
Gewichtskontrolle.
Möglich ist es auch, zu hohe Blutfettwerte medikamentös zu beeinflussen.
So gibt es eine Reihe von fettsenkenden Arzneimitteln. Allerdings sind
sich die Experten einig, daß es bei zu
hohen Blutfettwerten zunächst sinnvoll ist, diese mit entsprechender Ernährung, mehr Bewegung und einem
günstigeren Lebensstil "in den Griff"
zu bekommen. Es wäre bei einer falschen, weil zu fetthaltigen Ernährung
naiv zu glauben, man könnte mit einer "Pille" das Problem beherrschen.
Erst, wenn die Umstellung der Ernährung und des Lebensstils keine durchgreifende Besserung bringt, sollte die
Einnahme solcher Medikamente erwogen werden.
Lohnend ist die Reduktion zu hoher
Blutfettwerte in vielfacher Hinsicht.
Nicht nur das Risiko eines Herzinfarktes, sondern auch das eines Schlaganfalls läßt sich dadurch spürbar mindern. Man hat herausgefunden, daß
das Risiko für einen Schlaganfall
durch eine Cholesterinreduktion um
30 Prozent sinkt.
39
Mehr bewegen – Übergewicht und Bewegungsmangel – das ergibt sich aus den beiden vorAbschnitten – erhöhen aus unterschiedlichen Gründen das Risiko
weniger essen hergehenden
für Herz-Kreislauferkrankungen und eben auch für einen Schlaganfall. Beide
Faktoren stehen nicht unabhängig nebeneinander, sondern bedingen sich häufig
gegenseitig. Sie sind gewissermaßen zwei – diesmal gleich schlechte – Seiten
einer Medaille: Übergewichtige Menschen sind nicht nur deshalb zu schwer,
weil sie zu viel essen und kalorienreiche Getränke konsumieren, sondern oft auch, weil sie sich zudem zu wenig bewegen. Oft normalisiert sich
das Körpergewicht bereits durch kontinuierlich betriebenes Training.
Übergewichtige belasten nicht nur ihren Stützapparat und die Gelenke stärker
als normalgewichtige Menschen, sie fordern auch mehr Leistung von ihrem
Herz-Kreislaufsystem. Zu dieser Mehrleistung ist der Körper zunächst zwar
fähig, doch diese ist nicht zum Nulltarif zu haben. Höherer Verschleiß und ein
gestiegenes Krankheitsrisiko sind der Preis.
Umgekehrt entlastet ein regelmäßiges Training den Körper: Vor allem ein sinnvolles – also dem körperlichen Leistungsstand und den gesundheitlichen Verhältnissen des Betreffenden angepaßtes – Ausdauertraining wirkt sich günstig
aus. Durch das Training steigt die Durchblutung der bewegten Muskulatur. Die
beanspruchten Muskelgruppen arbeiten effektiver. Sie vergeuden keine Energie und benötigen weniger Sauerstoff als im untrainierten Zustand. Dadurch
wird auch das Herz mit der Zeit entlastet, seine Schlagzahl vermindert sich,
die Atmung wird ruhiger, der durchschnittliche Blutdruck sinkt und steigt auch
unter Belastung nicht mehr so schnell an.
Nicht sportlicher Ehrgeiz, sondern Spaß an der Bewegung und ein Mehr an
Lebensfreude sollten beim Sporttreiben im Vordergrund stehen. Wichtig ist
das Training nicht, um irgendwann einmal in einem Wettbewerb zu glänzen,
sondern für das eigene Lebensgefühl.
Der blaue Dunst Die Liste der Erkrankungen, die auf
das Konto Rauchen gehen, ist nicht
nur beeindruckend lang, nur für wenige andere Risikofaktoren gibt es so
klare Beweise, daß sie Krankheiten
verursachen. Neben den vielen anderen schädlichen Wirkungen der rund
3000 chemischen Verbindungen, die
sich im Zigarettenrauch befinden, soll
hier die Bedeutung des Rauchens für
das Risiko eines Schlaganfalls im Vordergrund stehen.
So sind viele der Inhaltsstoffe – für
mehr als 40 von ihnen hat man dies
bereits nachgewiesen – nicht nur
krebserregend, sondern sie schädigen
auch die Gefäße und verschlechtern
die Durchblutung. Das im Rauch enthaltene Kohlenmonoxid etwa gelangt
über die Lungenbläschen ins Blut. Dort
40
verdrängt es den Sauerstoff aus den
roten Blutzellen und erzeugt so einen
Sauerstoffmangel in allen Geweben
und Organen. Außerdem fördert das
Rauchen arteriosklerotische Veränderungen an den Gefäßinnenwänden.
Zudem fördert der Zigarettenrauch die
Bildung sogenannter Freier Radikale.
Dabei handelt es sich um extrem
reaktionsfreudige Moleküle, die sowohl bei der Krebsentstehung wie bei
der Arteriosklerose eine wichtige Rolle
spielen.
Diese Schadwirkungen bedingen es,
daß Rauchen auch das Risiko für einen Schlaganfall erhöht. Und zwar
beträchtlich: Untersuchungen ergaben, daß Frauen (für Männer gelten
ganz ähnliche Werte), die bis zu 14 Zigaretten täglich rauchen, zweieinhalb-
mal häufiger einen Schlaganfall erleiden als Nichtraucherinnen. Bei starken Raucherinnen mit einem Konsum
von mehr als 25 Zigaretten pro Tag
steigt das Risiko gar auf das Fünffache an. Fatalerweise sind rauchende
Frauen, die mit Hilfe der "Pille" verhüten, noch stärker gefährdet. Hier
wirkt sich die Kombination mehrerer
Risikofaktoren besonders ungünstig
aus␣ –␣ die Gefahr, daß ein Blutpfropf ein
Gefäß verschließt (Thrombose), ist bei
Raucherinnen, die hormonell verhüten,
um ein Mehrfaches erhöht.
Doch es gibt auch eine positive Nachricht für Raucher: Das Aufhören lohnt
sich. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, daß Raucher, denen es gelungen ist, ihre Gewohnheit
endgültig aufzugeben, ihre Lebenserwartung wieder erheblich erhöhen
können. So hat man beispielsweise
bei Ex-Rauchern festgestellt, daß ihr
Risiko, an einer Herzkranzgefäß-Erkrankung zu sterben, nach zehn Jahren fast so niedrig war wie jenes von
lebenslangen Nichtrauchern. Voraussetzung dabei war, daß die Ex-Raucher
mindestens diese zehn Jahre lang
"rauchfrei" blieben. Auch das Krebsrisiko scheint sich nach 15 Jahren
Rauchabstinenz wieder dem von
Nichtrauchern anzunähern.
Das Rauchen aufzugeben ist bekanntermaßen kein einfach zu erreichendes
Ziel. Auch gibt es keine Patentrezepte
hierfür. Jeder Raucher wird seine eigene Strategie entwickeln müssen, um
den festen Vorsatz, das Rauchen aufzugeben, auch in die Tat umzusetzen.
Alleine steht er dabei nicht. So gibt
es eine umfangreiche Ratgeber–
literatur, der man hilfreiche Tips
und Tricks entnehmen kann. Auch die
Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung (BZgA) hält kostenlose
Broschüren bereit, in denen man mehr
über die Auswirkungen des Rauchens
erfahren kann, und die praxisnahe Hilfestellung für die Rauchentwöhnung
bieten.
Regelmäßiger Alkoholkonsum ist wie
Wissenschaftliche Studien haben zudem belegt, daß ein relativ hoher täglicher Alkoholkonsum von 60 bis
80 Gramm reinen Alkohols (so viel enthalten etwa 1,0 – 1,5 l Bier oder 0,5 –
0,75 l Wein) das Risiko erhöht, einen
Schlaganfall zu erleiden.
Verblüffenderweise deuten andere
Studien an, daß Menschen, die Alkohol, insbesondere Rotwein, in moderaten Mengen regelmäßig konsumieren, ein geringeres Risiko tragen,
Herz-Kreislauferkrankungen oder einen Schlaganfall zu erleiden. Möglicherweise kommt hier eine Schutzwirkung bestimmter Inhaltsstoffe in
Frage.
Allerdings ist dabei zu bedenken, daß
auch bei Mengen bis zu 40 Gramm reinen Alkohols pro Tag für Männer und
auch das Rauchen anerkanntermaßen
ein Risikofaktor für verschiedene
Krebs- und Herz-Kreislauferkrankungen. Dies ist biochemisch auch nicht
anders zu erwarten, denn Alkohol ist
ein starkes Zellgift, das die unterschiedlichen Gewebe- und Zelltypen,
mit denen es in Kontakt kommt, auf
vielfältige Weise schädigt: Alkohol
schädigt die Mund-, Magen- und
Darmschleimhäute, als Lösungsmittel
erleichtert er es anderen schädlichen
Stoffen in Körperzellen einzudringen,
er kann die Chromosomen im Zellkern,
also das Erbgut, schädigen. Alkohol
begünstigt schließlich eine Mangelernährung und Unterversorgung von
schützenden Nahrungsbestandteilen
wie Vitaminen und Spurenelementen.
41
Auf ein Gläschen
20 Gramm für Frauen (dies entspricht dem Konsum von 0,8 l Bier oder 0,4 l
Wein bei Männern, bei Frauen jeweils die Hälfte) die anderen Krankheitsrisiken,
etwa das Krebsrisiko und das Risiko einer Leberschädigung nicht auszuschließen sind. Schon aus diesem Grund ist das oft propagierte "Gläschen Rotwein"
pro Tag aus gesundheitlichen Gründen nicht zu empfehlen. Vor allem bei jüngeren Menschen unter 40 Jahren übersteigen die mit dem Alkoholkonsum verbundenen Risiken seine mögliche Schutzwirkung. Erst alte Menschen über
65 Jahren scheinen von einem moderaten Alkoholkonsum zu profitieren.
Krank machender I m Alltagsgebrauch hat das Wort
Streß Streß fast immer nur negative Bedeu-
tung. Streß wird von vielen Menschen
gleichbedeutend mit Ärger, Arbeitsüberlastung oder einer starken persönlichen Belastung verwendet. Dies
ist allerdings eine einseitige Verwendung des Begriffes. Streß, so haben
medizinische und psychologische Untersuchungen ergeben, hat sowohl
eine positive als auch eine negative
Seite: Als sogenannter Dysstreß kann
er in der Tat zu gesundheitlichen Schäden führen. Positiver Streß hingegen,
Fachleute sprechen von Eustreß, belebt, spornt an und hilft, die persönliche Leistung zu steigern. Nicht jede
Anforderung, der eine Person ausgesetzt ist, führt also automatisch zu einer gesundheitlichen Belastung. Streß
wird erst dann negativ, wenn eine
Person permanent einer hohen Belastung ausgesetzt ist, die keinerlei
Erholungs- oder Ruhephasen mehr
zuläßt und denen der Betreffende
langfristig gar nicht gewachsen sein
kann.
Die Streßreaktion ist entwicklungsgeschichtlich betrachtet eine uralte Reaktion: Unter Streß steigt der Blutdruck, erhöht sich die Leistung des
Herzens, der Körper mobilisiert seine
Zucker- und Fettreserven. In den archaischen Gesellschaften der frühen
Menschheitskulturen war eine solche
Reaktion, welche die Flucht- und
Kampfbereitschaft erhöht, notwendig
und sinnvoll. Die Menschen der modernen Gesellschaft haben glücklicherweise gelernt, ihre Konflikte an42
ders zu lösen. Ihr entwicklungsgeschichtliches Erbe – die körperliche
Streßreaktion – ist ihnen jedoch geblieben.
Dies führt dazu, daß Menschen in der
heutigen Zeit die durch die Streßreaktion mobilisierte körperliche
Energie nicht mehr abbauen können.
Eine ständige Streßreaktion hält den
Körper kontinuierlich in einer erhöhten Widerstandsbereitschaft. Er verliert allmählich seine Fähigkeit, zu einem normalen Ruheniveau zurückzukehren. Andauernde Anspannung und
Konzentration wiederum überfordern
die Leistungsfähigkeit des Körpers –
ernsthafte Organschäden können die
Folge sein.
Aus diesem Grund ist es wichtig, mit
stressenden Situationen – sei es im
Beruf, in der Familie oder auch in der
Freizeit – bewußt umzugehen. Nicht
jeder Streßsituation muß man aus
dem Weg gehen. Im Gegenteil, das
Gefühl eine schwierige, "stressige"
Aufgabe bewältigt zu haben, kann einem enorme Befriedigung verschaffen. Streß wirkt in diesem Fall als
Eustreß. Erst die andauernde Be- und
schließlich Überlastung wirkt sich
schädlich aus – der Streß wirkt als
Dysstreß. Es kommt also darauf an,
eine Balance zu finden, in der Phasen
der Anspannung mit Erholungsphasen
abwechseln. Strategien zur Streßbewältigung gibt es viele. Auch hierzu halten die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die
örtliche Krankenkasse und der Hausarzt Informationsmaterial bereit.
Das eigene Verhalten – das macht die Betrachtung der Risikofaktoren deut- Jeder kann sehr viel
lich – bestimmt das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, wesentlich mit. Die
regelmäßige Gesundheitsuntersuchung für über 35jährige und das Gespräch
mit dem Arzt sind eine sehr gute Gelegenheit, mehr über die persönlichen
Risiken zu erfahren. Krankhafte Veränderungen – etwa ein zu hoher Blutdruck –
lassen sich so erkennen, bevor sie zu dauerhaften Schäden führen.
Doch das Wissen um Risikofaktoren und die persönlichen Gesundheitsgefahren
reicht nicht aus, um aktiv Krankheiten vorzubeugen. Der alleinige Blick auf
bestehende Risikofaktoren birgt die Gefahr, daß man das Problem auf die Frage einengt: "Was macht mich krank?" Sinnvoll ist es jedoch, die eigene Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Die Frage lautet dann: "Was
trägt zu meiner Gesundheit bei?"
Selbstverständlich wird auch diese
Betrachtungsweise an eventuell bestehenden Risikofaktoren – beispielsweise dem Rauchen – nicht vorbeikommen. Doch der Betreffende wird
sich nun nicht nur vor Augen halten,
daß der Griff zur Zigarette seine Gesundheit gefährdet. Viel wichtiger sind
aus dieser Perspektive weitergehende Fragen, etwa: "Weshalb rauche
ich, bei welchen Gelegenheiten greife ich zur Zigarette, welche Wirkungen erhoffe ich mir vom Rauchen?".
Die Beschäftigung mit solchen Fragen
erlaubt es, besser zu verstehen, weshalb und bei welchen Gelegenheiten
man ein Verhalten ausübt, von dem
man eigentlich selbst weiß, daß es
einen schädigt. So wird sich der eine
vielleicht darüber klar, daß das Rauchen bei ihm eine Form der Streßbewältigung darstellt. Ein anderer
erkennt im Griff zur Zigarette den
Wunsch nach Entspannung oder nach
einem Genußerlebnis.
Ein derartiges Analysieren des eigenen
Verhaltens versetzt den Betreffenden
auch in die Lage, noch einen Schritt
weiterzugehen und danach zu fragen,
durch welche anderen, gesundheitsfördernden Strategien er das angestrebte Ziel ebensogut erreichen
könnte, etwa indem er Streß durch
Entspannungsübungen bewältigt.
Wichtig ist bei dieser Betrachtungsweise, sich nicht nur die eigenen
Fehler oder Schwächen vorzuhalten,
sondern umgekehrt nach den eigenen
Stärken und Kompetenzen zu fragen,
die es einerseits ermöglichen, Konflikte und Streß ohne ein gesundheitsschädliches Verhalten zu bewältigen,
und die auf der anderen Seite Genuß
verschaffen, ohne daß man dadurch
sein Krankheitsrisiko erhöht. Ziel dieser Strategie ist somit nicht der ersatzlose Verzicht liebgewonnener Gewohnheiten. Ziel ist vielmehr, durch
verantwortungsvolles Verhalten gleichermaßen genußvoll wie gesundheitsbewußt zu leben.
43
für sich tun
Wenn sich ein
Schlaganfall
ereignet hat
44
3. Kapitel
Gleichgültig, wo ein Schlaganfall auftritt – ob zu Hause, im Betrieb oder bei
einem Besuch von Freunden –, entscheidend ist die möglichst schnelle
Hilfe: Ein Schlaganfall ist immer ein
akuter Notfall, der im Krankenhaus
behandelt werden muß. Schließlich
liegt bei einem Schlaganfall immer
eine Unterversorgung an lebenswichtigem Sauerstoff in einem Hirnbereich
vor. Je rascher ärztliche Hilfe einsetzt,
desto eher lassen sich das Ausmaß
der geschädigten Hirnareale und damit auch deren Folgen wie Lähmungen und Sprach- oder Sprechstörungen begrenzen.
Wer aufgrund der vorliegenden Krankheitssymptome den Verdacht hat, daß
es sich um einen Schlaganfall handeln
könnte, sollte nicht zögern, über die
Feuerwehr (Notruf: 112), Polizei (Notruf: 110) oder über die nächste
Rettungsleitstelle den Notarzt zu alarmieren. Dies gilt sogar dann, wenn die
betreffende Person nur über leichte
Beschwerden klagt. Typische Vorboten eines Schlaganfalls und die häufigsten dabei auftretenden Beschwerden sind in dieser Broschüre ab Seite 33 beschrieben. Am Telefon sollte
man stichwortartig schildern, was sich
ereignet hat.
Neurologen beklagen immer wieder,
daß viele Patienten zu spät die notwendige akute Hilfe bekommen, die
in diesem Notfall unerläßlich ist. Mehrere Gründe gibt es dafür. So ergab
eine Untersuchung in einer deutschen
Großstadt, daß nur 2 von 10 Patienten innerhalb von zwei Stunden nach
Auftreten des Schlaganfalls klinisch
versorgt wurden. Innerhalb dieser
Zeitspanne sollte jedoch ein Schlaganfall-Patient im Krankenhaus behandelt werden.
In 60 Prozent der analysierten Fälle
schätzten entweder die Betroffenen
selbst oder die Anwesenden den Zu-
45
Wenn sich ein
Schlaganfall
ereignet hat
stand nicht richtig ein. Zum einen zögerte man zu lange, den Arzt oder einen Notarzt zu rufen, oder aber die
Betroffenen waren allein und aufgrund
des Schlaganfalls zu hilflos, um selbst
schnelle Hilfe zu rufen. Bei den verbleibenden 20 Prozent der zu spät eingelieferten Patienten geht die Verzögerung zu Lasten der zuerst behandelnden Ärzte. Sie hatten die Symptome falsch eingeschätzt, den Notfall
nicht erkannt und daher eine sofortige Einweisung ins Krankenhaus nicht
für nötig erachtet.
Stehen beim Transport des Betroffenen mehrere Krankenhäuser zur Auswahl, sollte man sich für eines entscheiden, das neben der eventuell erforderlichen Intensivstation auch über
eine neurologische Abteilung verfügt.
Man sollte nicht zögern, den Arzt oder
die Rettungssanitäter danach zu fragen. Schließlich beruhen die Folgen
des Schlaganfalls ausschließlich auf
Störungen des Nervensystems – und
Verfahren, um einen
Schlaganfall
festzustellen
genau damit beschäftigt sich die Neurologie.
Um dem Patienten eine größtmögliche Sicherheit zu gewähren,
wird dieser bei einem Schlaganfall
vorsichtshalber auf der Intensivstation rund um die Uhr medizinisch
überwacht. Die hier verfügbaren
Geräte kontrollieren seine Körperfunktionen und geben Alarm, sobald
sich etwa die Atmung oder der Herzschlag verändert.
Nur die nächsten Angehörigen dürfen
einen Patienten auf der Intensivstation besuchen. Oft irritieren den
Besucher die vielen Kabel und
Schläuche, die rund um das Krankenbett verlaufen. Doch der umfangreiche
Einsatz der medizinischen Technik
verfolgt lediglich ein Ziel: die Sicherheit des Patienten. Dem dient auch die
ständige Anwesenheit der Pflegekräfte auf einer Intensivstation. Sie
müssen rund um die Uhr immer in
Rufnähe erreichbar sein.
Sobald es die Situation des Patienten erlaubt, werden die Ärzte verschiedene Untersuchungen vornehmen, um herauszufinden, ob es sich tatsächlich um
einen Schlaganfall handelt, welche Ursachen und Auslöser dafür verantwortlich waren, wo der Schlaganfallherd genau liegt und welche Hirnbereiche betroffen sind. Antworten auf diese Fragen zu finden, ist die Aufgabe der medizinischen Diagnostik. Die zum Teil sehr aufwendigen Untersuchungen sind
von entscheidender Bedeutung für die Planung einer erfolgversprechenden
Therapie.
Nicht in jedem Fall deuten die beobachteten Symptome bei einem Patienten
zutreffenderweise auf einen Schlaganfall. So können andere, akut auftretende
neurologische Erkrankungen ganz ähnliche Krankheitsanzeichen hervorrufen.
Die Ärzte müssen zum Beispiel ausschließen können, daß es sich im vorliegenden Fall um ein Hämatom (Bluterguß) oder einen Tumor handelt. Beide
Erkrankungen müßten völlig anders als ein Schlaganfall behandelt werden.
Ist sichergestellt, daß es sich um einen Schlaganfall handelt, so müssen die
Ärzte herausfinden, ob dieser durch eine Durchblutungsstörung, letztlich also
durch einen Gefäßverschluß ausgelöst wurde, oder ob eine Massenblutung im
Gehirn vorliegt, die durch eine Gefäßverletzung ausgelöst wurde. Je nachdem,
welcher Fall zutrifft, werden sich die Ärzte für eine jeweils andere Therapie
entscheiden.
Verständlich ist, daß auch die Lage des Schadensherdes und das Ausmaß der
Schädigungen entscheidenden Einfluß darauf haben, wie der Patient optimal
46
behandelt werden sollte. Das genaue
Wissen um Auslöser, Lage und Umfang
der Schädigung ist auch wichtig, damit die Ärzte die richtigen vorbeugenden Maßnahmen ergreifen können,
um das mögliche Auftreten eines weiteren Schlaganfalls zu verhindern.
Ein heute weitverbreitetes diagnostisches Hilfsmittel ist die Computertomographie (CT). Im Prinzip handelt
es sich dabei um ein verfeinertes
Röntgenverfahren, das gegenüber
herkömmlichen Röntgenbildern solche mit höherem Kontrast liefert. Bei
der Computertomographie erhält man
kein Einzelbild von der aufgenommenen Körperpartie – etwa des Kopfes
bei Schlaganfall-Patienten. Vielmehr
wird die Körperpartie Schicht für
Schicht mit einem Röntgenstrahl abgetastet. Ein Computer setzt die den
Körper durchdringenden Strahlen in
ein sichtbares Bild um, das auf einem
Bildschirm erscheint und sich als Foto
dokumentieren läßt. Der Arzt erkennt
auf diesen Bildern die Lage und die
Ausdehnung des betroffenen Gehirnabschnittes.
Der Schlaganfall-Patient liegt für die
CT-Aufnahme auf einer Liege; mit dem
Kopf wird er in die meist röhrenförmige Öffnung des Computertomographen geschoben, wo der
Röntgenstrahl seinen Kopf Schicht für
Schicht abtastet. Für den Patienten ist
diese Untersuchung schmerzlos, doch
viele Menschen empfinden das Liegen
in der engen Röhre des Gerätes als
unangenehm und einengend.
Ein noch moderneres Aufnahmeverfahren ist die Kernspintomographie. Hier dient ein sogenannter
Magnetresonanztomograph (MRT) als
Aufnahmegerät. Rein äußerlich unterscheidet sich ein MRT-Gerät für den
Laien nur wenig von einem Computertomographen, und auch die Aufnahmeprozedur ist ganz ähnlich. Allerdings arbeitet das MRT-Gerät nicht
mit Röntgenstrahlen, sondern mit
elektromagnetischer Hochfrequenzstrahlung.
Der Vorteil liegt darin, daß dieses Verfahren derzeit die Gehirnstrukturen
am besten darstellt. Allerdings sind
MRT-Untersuchungen sehr teuer,
längst nicht alle Kliniken verfügen
über ein solches Gerät, und vor allem
47
Patienten, die zu Platzangst neigen, empfinden die langen Aufnahmezeiten –
eine Untersuchung kann bis zu 30 Minuten dauern – in der Enge der Röhre als
unangenehm.
Um Veränderungen im Blutfluß der Hirngefäße festzustellen, eignet sich ein
Ultraschallgerät. Es sendet Schallwellen oberhalb des menschlichen Hörbereiches aus, den sogenannten Ultraschall. Gemessen wird dabei das von dem
beschallten Bereich zurückgeworfene Echo. Eine Auswerteelektronik setzt diese
Signale in ein sichtbares Bild um. Auf diesem kann der Experte zum Beispiel
krankhafte Veränderungen an den Gefäßwänden der Schlagadern erkennen.
Mit Hilfe weiterer Ultraschallverfahren wie etwa der sogenannten transkraniellen Doppler-Sonographie ist es sogar möglich, Arterien im Gehirn sichtbar zu machen. Eine Ultraschalluntersuchung ist schmerz- und gefahrlos.
Ein weiteres Verfahren, um Blutgefäße darzustellen, ist die Angiographie. Die
Gefäße werden dabei mit einem Röntgengerät aufgenommen, nachdem man
dem Patienten zuvor ein Kontrastmittel injiziert hat, damit sich die Gefäße besser
vom umliegenden Gewebe abheben. Dieses Verfahren ist für den Patienten
etwas belastender als die Ultraschalluntersuchung, doch viele Ärzte schätzen
es aufgrund seiner zuverlässigen Ergebnisse. Allerdings ist der Einsatz der
Angiographie rückläufig, vor allem, weil kernspintomographische Techniken
vergleichbar gute Ergebnisse liefern, ohne den Patienten so stark wie bei der
Angiographie zu belasten.
Daneben werden auch noch weitere röntgenologische Verfahren eingesetzt,
und selbstverständlich wird man es nicht versäumen, bei einem SchlaganfallPatienten alle routinemäßigen Laboruntersuchungen sowie ein Elektrokardiogramm (EKG) vorzunehmen.
Unterschiedliche Mit der Behandlung des Patienten
Behandlungsverfahren beginnt bereits der Notarzt oder der
Krankenhausarzt sofort nach der Einlieferung. Dabei stehen aber meist die
lebensrettenden Sofortmaßnahmen
im Vordergrund, also etwa die Stabilisierung von Atmung und Kreislauf und
die Normalisierung des Stoffwechsels.
Außerdem wird man versuchen, das
Gewebe in der Umgebung des Schlaganfallherdes mit Medikamenten zu
schützen.
Erst wenn nach der Diagnose ein klares Bild vorliegt, werden die Ärzte mit
einer zielgerichteten Therapie beginnen. Bei Patienten, bei denen ein Blutgerinnsel eine kleine Schlagader verschlossen hat, besteht im Prinzip die
Möglichkeit, das Gerinnsel medikamentös aufzulösen und so den Blutfluß wiederherzustellen. Mediziner
nennen diese Behandlungsform
48
Thrombolyse, oder kurz Lyse. Allerdings ist diese Therapieform mit besonderen Risiken behaftet, so daß sie
erst nach sorgfältiger Diagnose und
nur von erfahrenen Spezialisten vorgenommen werden kann.
Besteht etwa der Verdacht, daß sich
an anderer Stelle im Körper – beispielsweise auf den Herzklappen –
weitere Blutgerinnsel befinden, so
könnten sich diese durch eine LyseBehandlung lösen und lebensbedrohliche Komplikationen heraufbeschwören. In solchen Fällen werden die Ärzte
Medikamente wählen, welche die
Blutgerinnung hemmen oder das Blut
dünnflüssiger machen. Dazu gehören
Substanzen wie Cumarin, Heparin
oder auch Acetylsalicylsäure (Aspirin).
Mediziner nennen diese Verfahren
Antikoagulation, Aggregationshemmung und Hämodilution.
Je nach Lage des Schlaganfallherdes besteht auch die Möglichkeit, operativ
einzugreifen. Bei einem Gefäßverschluß kann der Neurochirurg beispielsweise versuchen, das verstopfte Gefäß direkt oder mit speziellen Instrumenten –
etwa einem Ballonkatheter – wieder zu öffnen. Unter Umständen ist es auch
sinnvoll, chirurgisch den Schädel zu öffnen – Mediziner sprechen von
Trepanation –, um einem gefährlichen Anstieg des Hirndrucks zu begegnen,
der medikamentös nicht gesenkt werden kann. Dieses Verfahren wurde bereits im alten Ägypten eingesetzt.
Medikamente und chirurgische Eingriffe stellen indes nur einen Teil der Behandlung dar. Schon 48 Stunden nach dem Auftreten eines Schlaganfalls kann
der Patient mit der erforderlichen Bewegungstherapie beginnen. Täglich wird
er hierfür unter Anleitung einer Krankengymnastin aktive und passive
Bewegungsübungen machen. Auch das aufrechte, ausgeglichene Sitzen muß
der Patient wieder trainieren. Krankengymnasten und Pflegepersonal müssen
dabei eng zusammenarbeiten. Ziel ist es, daß der Patient möglichst schnell
wieder unabhängig wird. Das gilt auch für alltägliche Verrichtungen wie die
Körperpflege, das An- und Auskleiden, Essen und Trinken, sowie das selbständige Benutzen der Toilette.
49
Der Druck auf der Neben den körperlichen BeschwerSeele den und Einschränkungen leidet der
Betroffene meist sehr stark unter seiner seelischen Situation. Angst ergreift ihn und seine Angehörigen spätestens auf dem Weg zum Krankenhaus. Für manche Patienten werden
Angst, Hoffnungslosigkeit, Unsicherheit und Traurigkeit zu einem größeren Problem als die Bewegungseinschränkungen.
Besonders eine Sprachstörung und
die damit verbundene Unfähigkeit,
sich zu äußern, führt bei den Betroffenen zu einer traurigen Verstimmung.
Nicht selten reagieren sie aber auch
aggressiv und ablehnend gegenüber
anderen. Sie erleben ihre Hilflosigkeit
und die Abhängigkeit von anderen als
Kränkung des Selbstwertgefühls. Dies
kann zu Störungen der Identität führen und läßt die quälende Frage aufkommen: "Wenn ich nicht mehr so bin
wie früher, was bin ich dann noch
wert?"
Diese negative Einstellung gegenüber
sich selbst und alle anderen seelischen Veränderungen empfinden auch
die Angehörigen als belastend. Ein
Gespräch mit einem professionellen
Helfer␣ –␣ etwa einem Psychologen,
Psychotherapeuten oder Pfarrer – erleichtert allen Beteiligten häufig das
Verständnis füreinander.
Die ersten Besuche Für den Partner und die Angehörigen sind die ersten Krankenbesuche aufgrund dieser schwierigen seelischen Situation des Patienten verständlicherweise Begegnungen, denen sie selbst mit Unsicherheit und Angst entgegensehen. Die Erfahrung zeigt, daß es für die Besucher – und letztlich auch für
den Patienten – von Vorteil ist, wenn sie sich innerlich so gut wie möglich auf
diese schwierige Begegnung vorbereiten.
Wichtig ist es, dem Patienten möglichst ruhig und liebevoll gegenüberzutreten. Dies mag zwar schwerfallen, denn die Besucher müssen schließlich ihre
eigene Unsicherheit und Ängstlichkeit verbergen, aber solche Gefühle können
die Empfindsamkeit oder auch die Aggressivität des Betroffenen noch verstärken. Hilfreich ist auch der Einsatz der Körpersprache. So kann man etwa dem
Kranken durch sanftes Festhalten der Hand, durch Streicheln oder auch einen
festeren Druck sein Mitgefühl signalisieren. Er spürt eine gewisse Sicherheit
50
und Zuversicht und weiß, daß sein Partner, seine Familie für ihn da sein werden und zu ihm halten.
Falsch ist es jedoch, dem Kranken Dinge zu versprechen, die man später nicht
wird halten können. Unangemessen ist auch eine bagatellisierende Reaktion,
etwa ein Schulterklopfen verbunden mit dem aufmunternd gemeinten Spruch:
"Mach’ dir keine Sorgen, das wird schnell wieder gut sein."
Sollte der Kranke noch nicht oder nur mit Schwierigkeiten sprechen können,
so sollte man Fragen so formulieren, daß er mit Ja und Nein oder mit einem
Kopfnicken und Kopfschütteln antworten kann. Besuchen mehrere Personen
den Kranken, so sollten sie bei Zwiegesprächen untereinander in Gegenwart
des Kranken mit ihren Äußerungen sehr vorsichtig sein. Selbst Patienten, deren Bewußtsein gestört zu sein scheint oder die abwesend im Bett liegen,
verstehen eventuell Bruchstücke einer solchen Unterhaltung.
Generell sind Gespräche mit dem Kranken wichtig, man sollte sie sobald wie
möglich führen, ohne allerdings den Kranken zu stark zu belasten. Wichtig ist,
daß die Angehörigen nicht auf belanglose Themen über das Essen oder das
Wetter ausweichen. Der Kranke braucht Gespräche, in denen er die Zuwendung und den Trost seiner Angehörigen spürt. Auch bestehende oder zukünftige Probleme sollte man dabei nicht ausklammern. Der Patient darf seine
Krankheit nicht verdrängen, vielmehr muß er lernen sie anzunehmen. Dazu
muß er sich intensiv mit der neuen Situation auseinandersetzen. In dieser Phase
müssen die Angehörigen versuchen, mit Geduld und viel Einfühlungsvermögen Verständnis und Vertrauen aufzubauen. Beides gibt dem Betroffenen den
Mut und die Kraft, um seine Resignation zu überwinden.
Vielleicht wird im Krankenhaus bereits das Thema Rehabilitation angeschnitten. Falls dies nicht geschieht, sollten die Angehörigen mit dem behandelnden
Arzt darüber sprechen. Welche enorme Bedeutung eine möglichst frühe und
umfangreiche Rehabilitation für den Grad der langfristigen Genesung des
Schlaganfall-Patienten hat, behandelt Teil 3 dieser Broschüre ab Seite 53.
Churchill, Roosevelt und Stalin
auf der Konferenz von Jalta
1944. Churchill hatte zu diesem
Zeitpunkt schon mehrere
transitorische ischämische
Attacken hinter sich. Roosevelt
war zu diesem Zeitpunkt bereits
halbseitengelähmt, er erlag
mehrere Monate später einem
Schlaganfall. Stalin litt bereits
an einer Hypertonie, er starb
ebenfalls an einem
Schlaganfall.
51
Teil 3
Rehabilitation – Ein
Weg öffnet sich
52
1. Kapitel
"Rehabilitation" bezeichnet im Gesundheitswesen einen Prozeß, der
dem Patienten die "Wiedereingliederung" ermöglicht. Es geht darum, die körperlichen und seelischen
Beeinträchtigungen eines Patienten
durch gezielte Behandlungen zu bessern und ihn wieder in seine frühere
Umgebung einzugliedern. Dabei lassen sich drei Arten von Rehabilitation
unterscheiden, die sich gegenseitig
ergänzen, weil sie unterschiedliche
Aspekte der Krankheit und ihrer Folgen im Blick haben. Im einzelnen sind
dies die medizinische, die berufliche
und die soziale Rehabilitation. Die
Abläufe und Ziele dieser drei Zweige
der Rehabilitation behandelt dieses
Kapitel.
Die medizinische Rehabilitation versucht, dem Schlaganfall-Patienten mög- Medizinische
lichst viel von der Selbständigkeit und Unabhängigkeit zurückzugeben, die ihm
seine Krankheit genommen hat. Selbst bei sehr schwer behinderten oder älteren Menschen ist die Rehabilitation sinnvoll und wichtig. Die Praxis hat gezeigt, daß ein Teil der älteren, stark pflegebedürftigen Schlaganfall-Patienten
durch eine Rehabilitation so viel Eigenständigkeit wiedergewinnt, daß diese
Menschen nicht in einem Pflegeheim untergebracht werden müssen, sondern
zu Hause gepflegt werden können.
Rehabilitation
Die medizinische Rehabilitation ist
Je früher,
desto besser
ein sehr langwieriger Prozeß, der
möglichst bald einsetzen und von nun
an kontinuierlich fortgeführt werden
sollte. Selbst ein bereits erzielter Fortschritt geht verloren, wenn die Patienten nicht unablässig üben, um ihre
Fähigkeiten beizubehalten.
Sobald feststeht, daß der Patient aufgrund seiner Funktionsstörungen eine
medizinische Rehabilitation benötigt,
sollte diese am besten schon im Krankenhaus im Anschluß an die akute Behandlung beginnen. Leider können in
der Regel nur Krankenhäuser mit
Fachabteilungen für Krankengymna-
stik, Ergotherapie und Logopädie einem Schlaganfall-Patienten eine derartige Frührehabilitation anbieten.
Unmittelbar nach dem Krankenhausaufenthalt sollte der Patient die begonnene Rehabilitation während einer
Anschluß-Heilbehandlung (AHB) fortführen. Den Antrag auf eine AHB muß
der Patient über den Krankenhausarzt
stellen. Beim Ausfüllen der Unterlagen
ist der Sozialarbeiter des Krankenhauses behilflich. Er hat in diesen Dingen
viel Erfahrung.
53
Eine Reha-Klinik ist Voraussetzung für eine Anschlußist, daß der Patient
kein Krankenhaus Heilbehandlung
aktiv bei der Rehabilitation mitwirken
kann. Er wird dann in eine Rehabilitationsklinik überwiesen. Diese
Einrichtungen unterscheiden sich in
vieler Hinsicht von einem normalen
Krankenhaus: Die Zimmer sind wohnlicher gestaltet, die Patienten nehmen
ihre Mahlzeiten normalerweise in einem Speisesaal ein, ihnen stehen
Fernsehräume und Lesezimmer zur
Verfügung. Besuch ist willkommen,
die Besuchszeiten sind großzügig geregelt. Eine weitere Besonderheit
betrifft die Art der Betreuung durch
ein Team.
Koordinator dieses Teams ist ein Arzt.
Ihm zur Seite stehen Schwestern und
Pfleger, Krankengymnasten, Ergotherapeuten, Logopäden, Psychologen,Sozialarbeiter,Ernährungsberater sowie eventuell Kunst- und
Musiktherapeuten. Der Arzt stellt nach
Rücksprache mit diesem Team einen
individuellen Behandlungsplan auf, er
legt die Therapieschritte für den Patienten fest und verordnet Medikamente, soweit sie unbedingt erforderlich
sind. Bei Patienten mit eventuell bereits bestehenden Vorerkrankungen
wird er versuchen, diese günstig zu
beeinflussen, sei es durch eine Ernährungsumstellung, Bewegungstherapie, physikalische Therapie oder ein
autogenes Training.
Für die Patienten ist diese Teambetreuung von großem Vorteil. Der Pa-
tient ist in ein Betreuungsnetz eingebunden, das ihm das Gefühl von Geborgenheit gibt. Außerdem bietet ihm
das Team die besten Chancen, seine
verlorenen Fähigkeiten so umfassend
wie möglich wiederzuerlangen. Dabei
ist es wichtig, daß er die Möglichkeit
nutzt, nicht nur mit dem Arzt, sondern
mit allen Mitgliedern des Teams über
seine Sorgen und Probleme zu sprechen und auch über erzielte Fortschritte zu berichten. Nur dann können die Therapeuten die Behandlung
immer wieder den jeweiligen Erfordernissen anpassen.
Von Anfang an versucht man, dem Patienten "Hilfe zur Selbsthilfe" zu geben. Aus diesem Grund ist die aktive
Mitarbeit des Patienten für die Rehabilitation unerläßlich. Am Beginn stehen vielleicht winzig erscheinende
Schritte. So kann es etwa darum gehen, einem Patienten zu zeigen, wie
er sich selbständig im Bett umdrehen,
aufsetzen und aufstehen kann. Ohne
die entsprechende Anleitung würden
dem Patienten hierbei unter Umständen falsche Bewegungen unterlaufen,
die seine Muskulatur verkrampfen.
Die Schwester oder der Pfleger wird
dem Patienten daher den richtigen
Bewegungsablauf zeigen und ihn dazu
anhalten, diesen Ablauf fortan regelmäßig alleine zu üben. Wichtig ist es
auch, immer wieder daran zu erinnern,
den kranken Arm auf die Bettdecke
oder den Tisch zu legen, damit er diesen im Auge behält.
Die kranke Mit der krankengymnastischen Behandlung verfolgt man unterschiedliche
Körperhälfte Ziele. Unter anderem geht es darum, daß der Patient sein Körpergefühl neu
den Gleichgewichtssinn verbessert, die richtige Körperhaltung wieder
trainieren erfährt,
einnehmen kann, krankhafte Muskelverspannungen löst und seine Bewegungsabläufe wieder normalisiert.
Der beste Helfer für einen gelähmten Arm ist zwar der gesunde Arm, doch darf
er nicht die Arbeit des gelähmten Armes übernehmen, sondern er sollte ihn
lediglich unterstützen. Die Krankengymnastin wird daher den Patienten ermuntern, seine kranke Körperhälfte nicht zu vernachlässigen, sondern sie –
54
im Gegenteil – verstärkt gegenüber der gesunden Seite einzusetzen. Aus diesem Grund wird sie auch immer an der betroffenen Körperhälfte des Patienten
stehen. Auch die Angehörigen sollten sich dies angewöhnen, wenn sie dem
Patienten helfen wollen. Außerdem sollten sie sich von der Krankengymnastin
die wichtigsten Hilfsgriffe zeigen lassen, um den Patienten später bei den Übungen zu Hause optimal unterstützen zu können.
Bei ihrer Arbeit geht die Krankengymnastin Schritt für Schritt voran. Diese
Vorgehensweise sollte sich auch der Patient zu eigen machen. Hastigkeit und
Ungeduld erhöhen das Risiko, daß sich später beim selbständigen Üben falsche Bewegungen einschleichen, die zu Muskelverspannungen führen.
In der Ergotherapie, die auch als Bewegungstherapie bezeichnet wird,
geht es darum, die Funktion der betroffenen Gliedmaßen zu verbessern.
Der Patient soll lernen, seine Hand,
seinen Arm oder sein Bein möglichst
so zu trainieren, daß die frühere Geschicklichkeit – sei es im Beruf oder
zu Hause – wiederhergestellt ist. Die
Ergotherapie ergänzt also die Krankengymnastik.
Der Ergotherapeut wird mit dem Patienten die ganz alltäglichen Handgriffe und Bewegungen trainieren; der
Patient soll wieder tasten und fühlen
lernen, und er soll seinen gelähmten
Arm oder das gelähmte Bein wahrnehmen können. Der Ergotherapeut wird
dem Patienten auch Hilfen anbieten,
damit dieser mit einer eventuell vor-
handenen Sehstörung umzugehen
lernt.
Vielleicht wird dem Patienten nicht immer auf Anhieb der Sinn einer Übung
deutlich. In solchen Fällen sollte er
nicht zögern, den Therapeuten danach
zu fragen. Nur wenn er versteht, welchen Zweck eine Übung verfolgt, wird
er motiviert genug sein, um diese auch
zu Hause fortzuführen.
Ein weiterer "Programmpunkt" der
Ergotherapie ist der Umgang mit den
erforderlichen Hilfsmitteln, die dem
Patienten das Essen, Ankleiden oder
Arbeiten im Haushalt erleichtern. Dies
wird der Therapeut nicht nur mit dem
Patienten selbst üben, sondern er wird
auch den Angehörigen die richtige
Handhabung zeigen.
Die alltäglichen
Handgriffe
beherrschen
Ein weiteres Therapeangebot hält die Logopädie, die Sprachheilbehandlung, Den Kerker
bereit. Bei etwa einem Viertel aller Schlaganfall-Patienten tritt eine Sprachstörung – eine sogenannte Aphasie – auf. Dabei können die gesamte Sprachfunktion, also das Sprechen, das Sprachverständnis, das Lesen und das Schreiben oder nur Einzelbereiche davon gestört sein. Auch kann es passieren, daß
das Zusammenspiel der sprachlichen Teilfunktionen gestört ist. In diesem Fall
kann ein Patient zum Beispiel einen Text lesen und diesen auch verstehen;
er ist jedoch nicht in der Lage, den Text laut vorzulesen.
Der Grund, weshalb Sprachstörungen individuell so unterschiedlich ausgeprägt
sind, liegt darin, daß es je nach Ort und Ausmaß der Hirnschädigung zu jeweils
anderen Ausfällen der Sprachfunktion kommt. Wie schwierig die Verständigung mit einem sprachgestörten Patienten sein kann, illustriert folgendes Beispiel. Auf die Frage des Pflegers: "Konnten Sie gestern die Sonne genießen?",
antwortet der Patient: "Ja... Garten... Son... schie... schie... doch... ah... Sohn...
und... Schieber... Torte... faul... mein... faumen... fülken... Korb... faumen... Garten..."
55
der Sprachlosigkeit
überwinden
Neben Sprachstörungen gibt es auch
Sprechstörungen, bei denen ausschließlich die Funktion der Sprechmuskeln beeinträchtigt ist. In diesem
Fall kann der Patient wie ein gesunder Mensch mit Sprache umgehen –
allerdings nur in Gedanken. Er weiß
genau, was er sagen will, kann dies
aber nicht ausdrücken.
Für Patienten ist es eine qualvolle und
deprimierende Erfahrung, nicht mehr
über Sprache zu verfügen. Die Unsicherheit bei einer Sprachstörung, ob
es gelingt, das passende Wort zu finden, oder die verzweifelte Suche nach
der Bedeutung gelesener Wörter, aber
auch die Unfähigkeit bei einer Sprechstörung, einen gedanklich vorformulierten Satz auszusprechen, führen leicht zu Wut und ohnmächtiger
Verzweiflung. Hierfür hat man zutreffend den Begriff vom "Kerker der
Sprachlosigkeit" geprägt. Schließlich
ist die Sprache das wichtigste Kommunikationsmittel des Menschen. Es
ist seine wichtigste Verbindung zu
anderen Menschen; Sprache schützt
ihn vor Isolation.
Vor diesem Hintergrund wird der Stellenwert einer logopädischen Behandlung sehr schnell deutlich. Logopäden
versuchen mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen, einen im wahrsten
Sinne des Wortes sprachlosen Patienten aus seinem Gefängnis zu befreien. Wie bei allen anderen Behandlungen der Rehabilitation auch, hängt der
Erfolg entscheidend von der aktiven
Mitarbeit des Patienten und seiner
Bereitschaft ab, selbständig weiterzuüben.
Hilfe bei Wichtige Hilfestellungen ganz praktischer Art leisten die Sozialarbeiter einer
ganz praktischen Reha-Klinik. Sie haben ein offenes Ohr für organisatorische Probleme, und sie
in vielen schwierigen Situationen behilflich, wenn es darum geht, praktiProblemen sind
kable Lösungen zu finden. Vor allem beim Übergang von der Rehabilitation in
der Klinik zur ambulanten Rehabilitation am Wohnort leisten sie für den Patienten und seine Angehörigen wertvolle Hilfe. Sie sind also nicht nur der richtige Ansprechpartner bei wirtschaftlichen Problemen.
Sozialarbeiter stellen zum Beispiel die notwendigen Kontakte zu einer Sozialstation her, wenn der Patient nach der Entlassung zu Hause für begrenzte Zeit
noch ambulante Hilfe benötigt. Durch Vermittlung von Hilfsangeboten können
sie vielleicht sogar dazu beitragen, daß sich eine zunächst unumgänglich erscheinende Aufnahme in ein Pflegeheim – sie sollte wirklich der letzte Ausweg
sein – doch noch umgehen läßt.
Auch in Fragen der beruflichen Zukunft, falls der Patient beabsichtigt, einen
Rentenantrag zu stellen, helfen Sozialarbeiter weiter. Doch davon mehr auf
Seite 59.
56
So mancher Patient schimpft in einer
Reha-Klinik, wenn man ihm das
Gesprächsangebot eines Psychologen
macht: "Ich bin doch nicht verrückt."
Vor allem Männer – so zeigt die Erfahrung – neigen zu dieser Reaktion. Allerdings zeigen sich die meisten hinterher angenehm überrascht darüber,
wieviel Nutzen sie aus der psychosozialen Betreuung durch einen
Psychologen gezogen haben. Der
Grund für diese anfänglich ablehnende Haltung mag in der Sorge begründet sein, der Psychologe könnte mit
bohrenden Fragen in der frühesten
Kindheit herumstöbern.
Doch diese Vorstellung ist völlig falsch.
Psychologen einer Reha-Klinik verfügen über Spezialkenntnisse, wie sich
bei Schlaganfall-Patienten Hirnleistungen wie das Wahrnehmen, die
Aufmerksamkeit und die Konzentrationsfähigkeit sowie die Wachsamkeit
messen und trainieren lassen.
Konzentrationsstörungen und rasche
Ermüdung sind häufige Begleiterscheinungen nach einem Schlaganfall. Das Wissen um die mentale Belastbarkeit des Patienten ist jedoch
wichtig, damit das Therapeutenteam
den individuellen Behandlungsplan so
ausrichten kann, daß der Patient nicht
überfordert wird. In den notwendigen
Untersuchungen hierfür werden die
Merkfähigkeit, die Fähigkeit zur Bewegungskoordination, die Reaktionsgeschwindigkeit, die intellektuellen
Leistungen und die Urteilsfähigkeit
des Patienten geprüft.
Der letzte Punkt ist deshalb wichtig,
weil nur ein ausreichend urteilsfähiger Patient die Notwendigkeit der Untersuchungen und Behandlungen einsieht. Von dieser Einsicht hängt wiederum ganz entscheidend der Erfolg
der gesamten medizinischen Rehabilitation ab. Der Psychologe achtet darüber hinaus auch auf Veränderungen
im Empfinden, Denken und Verhalten
des Patienten und hilft bei möglichen
Störungen.
Natürlich bietet der Psychologe auch
Gespräche über die seelische Situation des Patienten an. Verständlicherweise plagen die Patienten Angst, sie
leiden unter ihrem verlorenen Selbstwertgefühl, und sie sind oft depressiv
verstimmt. Manche empfinden Hoffnungslosigkeit, andere leiden unter
Partnerproblemen. In solchen Fällen
ist Offenheit eine wichtige Voraussetzung dafür, daß der Patient eine professionelle Hilfe erfährt, um seine
Krankheit zu verarbeiten.
Der Nutzen einer
psychosozialen
Betreuung
Immer wieder werden die Patienten in der Reha-Klinik feststellen, wie an- Keine Angst vor
strengend der Rehabilitationsprozeß ist – anstrengend nicht nur im körperlichen, sondern auch im geistigen Sinne. Egal, ob es darum geht, mit der Ergotherapeutin einen Bewegungsablauf einzuüben oder mit dem Logopäden die
Sprache zu trainieren, immer befindet sich der Patient in einem Lernprozeß.
Dabei gilt es nicht nur, verlorengegangene Fähigkeiten wiederzuerlangen, sondern auch viele neue Dinge zu lernen – etwa mehr über die eigene Krankheit
oder darüber, wie man mit ihr am besten zurechtkommt.
Auch ältere Menschen sollten eine eventuell vorhandene Angst vor dem Lernen ablegen. Viele Patienten erleben zwar hin und wieder Situationen, in denen ihnen die Anforderungen über den Kopf zu wachsen scheinen. Einerseits zeigt die Erfahrung, daß die Fähigkeit zu lernen mit den Anforderungen
steigt, die an einen gestellt werden. Andererseits sollte sich ein Patient auch
nicht scheuen, es dem Therapeutenteam oder den Angehörigen zu sagen, wenn
er sich überfordert fühlt. Offenheit ist auch hierbei das bewährteste Rezept.
57
den Anforderungen
Die Art und Weise, wie ein Patient seine Krankheit verarbeitet, ist ein langwieriger Lernprozeß. Für Betroffene wie für deren Angehörige ist es dabei nützlich
zu wissen, daß dieser Prozeß meist in ganz bestimmten Phasen abläuft, wobei
ein Patient nicht unbedingt diese Phasen in einer festgelegten Reihenfolge
durchläuft. Manche Betroffene fallen für bestimmte Zeit in eine frühere Phase
zurück, andere überspringen scheinbar eine Phase, holen sie dann aber
später nach.
Die fünf Phasen der Nach der Entlassung aus dem KranKrankheit kenhaus steht für die meisten Patien-
ten die Zukunftsangst im Mittelpunkt.
Die Ungewißheit, wie das Leben wohl
weitergehen wird, erzeugt eine Abwehrhaltung. Der Betroffene möchte
nicht wahrhaben, daß er behindert ist
– er verdrängt seine Krankheit. In dieser Phase der Ungewißheit fällt es
dem Betroffenen besonders schwer,
Hilfe anzunehmen. Er sieht einfach
nicht ein, daß er diese Hilfe braucht.
Darauf folgt die Phase der Gewißheit.
Der Betroffene wird sich der Krankheit voll bewußt und fragt sich: "Warum gerade ich?" Ohne äußeren Anlaß entlädt sich sein Zorn über die jetzige Situation auf Außenstehende.
58
Dies ist gerade für die Angehörigen
wichtig zu wissen. Sie sollten sich
bewußtmachen, daß die Wut des Kranken nicht ihnen persönlich gilt, sondern daß sie lediglich als "Blitzableiter" fungieren.
Als drittes kommt es meist zur Phase
der Verhandlung: "Was kann ich tun,
damit sich das Unabwendbare doch
noch ändert?" fragt der Kranke. In dieser Phase sind einige Patienten besonders anfällig für Angebote von
"Wunderheilern".
In der Phase der Depression trauern
die Betroffenen über die verlorenen
Fähigkeiten, Chancen und Lebensmöglichkeiten. Gleichzeitig ist dies der
Zeitpunkt, an dem sie neue, diesmal
realistischere Hoffnung schöpfen. Für
alle Beteiligten ist dieser Abschnitt der
schwerste und bedrückendste. Gerade jetzt sollte sich niemand scheuen,
Rat und Hilfe anzunehmen, sei es in
Gesprächen mit einem Psychotherapeuten, mit Angehörigen oder den
Mitgliedern einer Selbsthilfegruppe,
die dieses Stadium aus eigenem Erleben gut kennen.
In der letzten Phase schließlich
nimmt der Betroffene seine Krankheit an. Das heißt jedoch nicht, daß
er sich passiv seinem Schicksal ergibt
und alles erduldet. Im Gegenteil: Er
steht nun zu seiner Erkrankung, und
dies eröffnet ihm die Chance, aus der
gegebenen Situation das Beste zu
machen. Erst vor diesem Hintergrund
entwickeln sich Eigenaktivität, Solidarität mit anderen und das Bewußtsein
der eigenen Verantwortung für das
weitere Leben.
In der beruflichen Rehabilitation geht
es darum, Fähigkeiten zu erlernen, die
für die Wiederaufnahme des früheren
Berufes oder für einen besser geeigneten, neuen Beruf erforderlich sind.
Eine Rückkehr ins Berufsleben ist jedoch nicht für jeden Betroffenen möglich.
Dort, wo eine Wiedereingliederung ins
Berufsleben möglich erscheint, sollte
sich der Betroffene schon während
des Aufenthaltes in der Reha-Klinik
durch Fachkräfte beraten lassen und
sich mit dem Arbeitsamt in Verbindung
setzen. Danach müssen die nächsten
geeigneten Schritte festgelegt werden. In Frage kommen etwa eine medizinische Berufsberatung, eine psychologische Eignungsuntersuchung,
vielleicht geht es zunächst auch darum, einen geeigneten, neuen Beruf zu
finden. Oder aber der Betroffene erprobt eine ins Auge gefaßte Tätigkeit
oder absolviert ein vorberufliches Training.
Viele Fragen gilt es zu beantworten,
etwa: Kann man die frühere Tätigkeit
wiederaufnehmen, ist innerhalb des
Betriebes der Wechsel an einen besser geeigneten Arbeitsplatz möglich,
macht der Grad der Behinderung eine
Umschulung erforderlich? Die Sozialarbeiter einer Reha-Klinik können in
besonderen Fällen bei der Wiedereingliederung in den Beruf mitwirken,
und den Betroffenen bei der stufen-
weisen Integration in den Arbeitsprozeß begleiten.
Sie können den Patienten aber auch
fachkundig beraten, welche Hilfen ihm
zustehen. Dazu gehört gegebenenfalls
auch die Anerkennung als Schwerbehinderter, die eine Reihe von Vergünstigungen bietet. So unterliegt der
bisherige Arbeitgeber in diesem Fall
besonderen Pflichten, der Schwerbehinderte genießt einen erweiterten
Kündigungsschutz und ihm stehen pro
Jahr fünf zusätzliche Urlaubstage zu.
Bei Schwerbehinderten gilt die herabgesetzte Altersgrenze für das flexible
Altersruhegeld der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese liegt beim vollendeten 60. Lebensjahr.
Schwerbehinderten stehen aber auch
Hilfen zur Beschaffung, Ausstattung
und dem Erhalt einer behindertengerechten Wohnung zu. Im Falle einer
Gehbehinderung besteht die Möglichkeit, sich von der Kraftfahrzeugsteuer befreien zu lassen; außerdem stehen einem Schwerbehinderten erweiterte Leistungen bei der psychosozialen Betreuung zu.
Ist jedoch die Wiederaufnahme der
alten oder einer neuen Tätigkeit nicht
möglich, so wird der Betroffene einen
Rentenantrag stellen wollen. Auch
dabei kann ein Sozialarbeiter helfen.
Einen solchen gravierenden Schritt
sollte man jedoch erst in Erwägung
ziehen, wenn keine Chance auf Wiederaufnahme einer Arbeit besteht.
Die berufliche
Rehabilitation
Ziel der sozialen Rehabilitation ist es, den Betroffenen in die Lage zu verset- Die soziale
zen, wieder am gemeinschaftlichen Leben teilzunehmen. Insofern dienen letztlich alle Maßnahmen der Rehabilitation direkt oder indirekt diesem Ziel.
Kernpunkt der sozialen Rehabilitation ist zum einen der Anpassungsprozeß
des Behinderten, zum anderen müssen aber auch die Nichtbehinderten einen
Beitrag leisten. Sie sollten ihre Einstellungen gegenüber dem Behinderten
überdenken und gegebenenfalls ihr Verhalten korrigieren. Soziale Rehabilitation ist deshalb ein gegenseitiger Prozeß. Er kann erst gelingen, wenn sich
auch die Gesellschaft den Behinderten anpaßt.
59
Rehabilitation
Wie es zu Hause
weitergeht
60
2. Kapitel
Üblicherweise setzt der Patient seine Rehabilitation ambulant fort, wenn
er aus der Reha-Klinik nach Hause
entlassen wird. Zu regelmäßigen Terminen – ihre Häufigkeit richtet sich
nach den Erfordernissen – sucht der
Patient einen Krankengymnasten,
Ergotherapeuten oder Logopäden in
dessen Praxis auf.
Wer auf dem Land wohnt, muß dafür
unter Umständen weite Wege in Kauf
nehmen. Patienten und ihre Angehörigen kann dies viel Zeit und Mühe
kosten, doch der Aufwand wird sich
in jedem Fall lohnen. Manche Krankengymnasten machen auch Hausbesuche. In Zukunft werden wahrschein-
lich immer mehr ambulante Rehabilitationszentren vorhanden sein, die ihren Patienten, ähnlich wie in einer
Reha-Klinik, das ganze Spektrum von
Therapiemaßnahmen unter einem
Dach anbieten.
Der Patient sollte unbedingt darauf
achten, daß der Hausarzt oder der
Neurologe auch alle Maßnahmen verordnet, welche die Reha-Klinik in ihrem Entlassungsbericht vorgeschlagen hat. Umgekehrt sollte der Patient
diese Dienstleistungen dann auch tatsächlich nutzen. Es ist falsch zu glauben, Rehabilitation sei auf das Einnehmen von Medikamenten beschränkt.
Ambulante
medizinische
Rehabilitation
Nach dem Aufenthalt im Krankenhaus und in der Rehabilitationsklinik freut Wieder zu Hause
sich natürlich jeder, wieder nach Hause zurückkehren zu können. Verständlicherweise wird vieles anders sein als vorher. Die Patienten und ihre Angehörigen müssen sich auf eine neue Situation einrichten. Dies führt manchmal zu
Verunsicherungen und Spannungen. Jedes Paar, beziehungsweise jede Familie muß hier einen eigenen Weg finden. Am besten geschieht dies, wenn alle
Beteiligten die neue Lage und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben,
offen miteinander besprechen. So lassen sich Enttäuschungen und Ärger vermeiden, die unweigerlich entstehen, wenn die Patienten oder ihre Angehörigen aus vermeintlicher Rücksichtnahme eine vorhandene Unzufriedenheit in
sich hineinfressen.
Zu Hause, ohne die Hilfestellung des Rehabilitationsteams, zeigt es sich, ob
der Patient das Gelernte im Alltag umsetzen kann und ob seine Rehabilitation
tatsächlich eine Hilfe zur Selbsthilfe war. Die meisten Patienten brauchen für
die eine oder andere alltägliche Verrichtung noch die Unterstützung anderer.
Wichtig ist es jedoch, daß sich der Patient nicht zu sehr "verwöhnen" läßt.
Überfürsorglichkeit macht schnell unselbständig und abhängig.
Gerade in der ersten Zeit zu Hause ist es wichtig, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, daß Fortschritte viel eigene Aktivität verlangen. Neben der ambulanten Rehabilitation und dem eigenständigen Üben muß der Patient eine
dritte Aufgabe bewältigen, nämlich einem weiteren Schlaganfall vorzubeugen. Auf welche Punkte er dabei achten muß, hat er spätestens in der RehaKlinik erfahren. Generell gelten für Schlaganfall-Patienten dieselben Empfehlungen wie für gesunde Menschen. Sie sind im Teil 2, Kapitel 2 ab Seite 36
aufgeführt.
61
Der Umgang Die veränderte Situation stellt die Favor neue Herausforderungen. So
miteinander milie
müssen die Partner der Betroffenen
oft deren Aufgaben übernehmen. War
das behinderte Familienmitglied vorher sehr selbständig, wird es ihm
schwerfallen, nun mehr oder weniger
stark auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Bequemere Charaktere
sind dagegen in Gefahr, sich nun aufgrund ihrer Behinderung übergebührlich "bedienen" zu lassen. Und
wer sich schon immer ein wenig wehleidig gab, wird vielleicht versucht
sein, nun noch mehr zu jammern. Dies
ist eine schwierige Situation, in der
alle Beteiligten darauf achten sollten,
daß das frühere Gleichgewicht in der
Familie oder zwischen zwei Partnern
nicht kippt.
Abhängigkeit ist dabei ein zentrales
Thema für alle Beteiligten: Der Betroffene ist abhängig vom helfenden Partner; dieser wiederum verspürt aber
auch eine verstärkte Abhängigkeit
vom Kranken. Möglicherweise gibt der
pflegende Partner teilweise oder sogar ganz seine Berufstätigkeit auf, um
den Anforderungen zu Hause nachzukommen.
Ein solcher Schritt bedeutet für den
Pflegenden auch, daß er einen Teil
seines sozialen Umfeldes einbüßt. Wer
sich bei der Pflege eines anderen
Menschen völlig aufopfert, verliert
möglicherweise seine eigenen Bedürfnisse aus dem Blick, isoliert sich
schlimmstenfalls immer stärker von
seinem Bekanntenkreis. Dies führt
62
verständlicherweise zu Unzufriedenheit beim pflegenden Partner. Diese
schlägt vielleicht in eine Wut auf den
behinderten Partner um, dem die
"Schuld" für diese Situation gegeben
wird. Beim Behinderten wiederum
können Schuldgefühle aufkommen; er
wird sich vielleicht Vorwürfe machen,
weil der Partner seinetwegen auf vieles verzichten muß.
Für diese Situation gibt es kein Patentrezept. Wichtig ist, daß jedes Paar
beziehungsweise jede Familie selbst
die Balance zwischen Abhängigkeit
vom anderen und eigener Unabhängigkeit findet. Es kommt darauf an,
daß alle Beteiligten sich über die notwendigen Anforderungen, aber auch
über die jeweiligen Bedürfnisse im
klaren sind, so daß die wechselseitige Beziehung zwischen Helfen und
Hilfe annehmen keine Enge erzeugt,
die das Leben des Betroffenen oder
seiner Angehörigen unnötig einschränkt.
Bei der Organisation des Alltags kann
der Kranke dem gesunden Partner
helfen, beispielsweise bei der Hausarbeit. Vielleicht wird er für eine bestimmte Aufgabe mehr Zeit benötigen,
aber dies sollte kein Grund sein, sie
ihm "aus der Hand" zu nehmen. Vielmehr ist es für beide Seiten von großem Vorteil, wenn der Behinderte so
viele Aufgaben wie möglich übernimmt. Nur so können letztlich auch
Erfolgserlebnisse entstehen, die alle
Beteiligten in dieser belastenden Situation dringend benötigen.
Gerade weil einem die eigene Wohnung bestens vertraut ist, kommen viele Notwendige
Paare und Familien gar nicht auf die Idee, die Dinge im häuslichen Umfeld so
zu verändern, daß sie dem Behinderten das Leben in den eigenen vier Wänden
erleichtern. Dafür bedarf es oft nur Kleinigkeiten.
So war beispielsweise das Bett in der Rehabilitationsklinik aus gutem Grund
etwa so hoch wie die Sitzfläche eines Stuhls. Das heimische Bett ist demgegenüber meist niedriger. Doch von der erhöhten Bettkante aus kann der Behinderte viel leichter aufstehen. Bei Stühlen sollte man auf stabile, hohe Rükkenlehnen achten, die das Aufstehen und Hinsetzen erleichtern. Die Sitzfläche
sollte dabei so hoch sein, daß die Füße mit der flachen Sohle bequem auf dem
Boden ruhen. "Fußfallen" wie lose verlegte Kabel, hochstehende Teppichkanten
oder Türschwellen bergen schon für gesunde Menschen eine unnötige Unfallgefahr und natürlich erst recht für Gehbehinderte.
Die Literaturliste ab Seite 76 beinhaltet eine Reihe von Ratgebern, die umfassend über Tips zur Ausgestaltung der Wohnung informieren.
63
Veränderungen
in der Wohnung
Welche Hilfsmittel
sind die richtigen?
Heute steht eine Vielzahl unterschiedlicher Alltagshilfen für behinderte Menschen zur Verfügung, sei es zum Essen, Waschen, Ankleiden, Schreiben, Telefonieren oder zur Fortbewegung. Die richtige Auswahl aus diesem Angebot zu
treffen, ist also gar nicht so leicht. In der Rehabilitationsklinik übt der Ergotherapeut mit dem Patienten den Gebrauch aller Hilfsmittel, die er auch zu
Hause benötigt. Seine Empfehlungen sollten ausschlaggebend dafür sein,
welche technischen Hilfen wirklich sinnvoll sind.
Die Kernfrage vor dem Anschaffen einer Hilfe sollte lauten: Erhöht das Hilfsmittel die Selbständigkeit des Behinderten? Läßt sich diese Frage nicht mit
einem Ja beantworten, spricht dies gegen diese Hilfe.
Der Zweck eines Hilfsmittels ist es,
daß der Behinderte einen alltäglichen
Handgriff selbständig ausführen kann,
für den er sonst fremde Hilfe benötigt. Vielleicht kann er nur dann selbständig essen, wenn sein Besteck in
einen Spezialgriff geklemmt wird. Ziel
ist es jedoch, später die Dinge nach
Möglichkeit wieder ohne Hilfsmittel zu
handhaben. Deshalb darf die Hilfe den
Behinderten nicht davon abhalten,
weiter zu üben, also in diesem Fall an
der Beweglichkeit seiner Hand zu arbeiten. Nur dann wird es ihm vielleicht
gelingen, einmal wieder mit gewöhnlichem Besteck zu speisen.
Aus demselben Grund sind auch Geräte ungeeignet, die den Benutzer
dazu verleiten, nur den gesunden Arm
für einen Handgriff einzusetzen. Es
lohnt sich also, vor dem Kauf genau
zu prüfen, ob ein Hilfsmittel tatsächlich den Aktivitätsspielraum erweitert,
oder ob es lediglich der "Bequemlichkeit" dient. Sinnvoll ist es in jedem
Fall, einen Ergotherapeuten nach seiner Einschätzung zu fragen. Zudem
sollte man sich rechtzeitig beim zuständigen Leistungsträger erkundigen, ob dieser die Kosten für das Hilfsmittel übernimmt. Nur so ist man vor
unangenehmen Überraschungen gefeit.
Selbstverständlich stellt auch ein Rollstuhl ein Hilfsmittel dar. Allerdings
sollte sein Einsatz besonders gut überlegt sein. Aus ergotherapeutischer
Sicht sollte ein Rollstuhl möglichst nur
64
eine Übergangslösung darstellen.
Schließlich verbessert er nicht die
Bewegungsfunktion, sondern verleitet
eher zur Bequemlichkeit. Die Gefahr
besteht, daß der Betroffene seine Eigeninitiative verliert und das notwendige Gehtraining vernachlässigt oder
gar einstellt.
Nur wenn nach Einschätzung des Neurologen der Behinderte voraussichtlich
nicht wieder selbständig wird gehen
können, kommt ein Rollstuhl als Dauerlösung in Frage. Sinnvoll ist hingegen der Gebrauch eines Rollstuhles,
um ein entferntes Geschäft zu erreichen oder um an längeren Spaziergängen zusammen mit anderen teilnehmen zu können. Viele Behinderte und
Angehörige sind immer wieder davon
überrascht, welche Bewegungsmöglichkeiten auch in einem schwer
gehbehinderten Menschen schlummern: So mancher, der im Rollstuhl
sitzt, könnte auf einem für seine Behinderung zugeschnittenen, dreirädrigen Fahrrad fahren. Mit ein wenig Mut, Initiative und Phantasie lassen sich oft Mittel und Wege finden,
welche die Beweglichkeit und damit
die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Patienten vergrößern. Anregungen dazu liefern zum Beispiel
Ratgeberbücher (s. ab Seite 76).
Die juristische Definition der Pflegebedürftigkeit umfaßt einen wahren
Lindwurm von Satz. Er lautet: Pflegebedürftig sind Personen, die wegen
körperlicher, geistiger oder seelischer
Krankheit oder Behinderung für die
gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf
des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höherem Maße
der Hilfe bedürfen. Hierzu zählen Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und
der hauswirtschaftlichen Versorgung.
Abhängig vom Umfang der täglich
benötigten Hilfe, unterscheidet man
drei Pflegestufen:
Pflegestufe I: erheblich pflegebedürftig;
Pflegestufe II: schwer pflegebedürftig;
Pflegestufe III: schwerstpflegebedürftig.
Wer die Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen möchte,
sollte sich über die gesetzlichen Bestimmungen der Pflegeversicherung
gut informieren. Möglich sind danach
sogenannte Sachleistungen. Das sind
zum Beispiel Pflegeeinsätze von professionellen Pflegekräften. Möglich
sind aber auch Geldleistungen, etwa
wenn Angehörige, Freunde oder Nachbarn die nötige Grundpflege übernehmen und den Pflegebedürftigen hauswirtschaftlich versorgen. Muß die Hilfe
von Angehörigen oder Freunden durch
eine professionelle Hilfe ergänzt werden, so ist auch eine Kombination von
Pflegegeld und Sachleistungen möglich.
Sind ein Behinderter oder seine Angehörigen der Meinung, Anspruch auf
eine Leistung aus der Pflegeversicherung zu haben, so müssen die betreffenden Personen einen Antrag bei
der Pflegekasse stellen. Ansprechpartner ist dabei die Krankenkasse
des Betroffenen. Im Zuge der Antragstellung wird ein Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse nach Hause kommen, um die Pflegebedürftigkeit zu prüfen und die
Pflegestufe festzulegen.
Weitere Leistungen der Pflegeversicherung sind zum Beispiel: Ersatzpflegekräfte im Fall einer Erkrankung
der Pflegeperson (einmal pro Jahr bis
zu vier Wochen); Kurzzeitpflege (einmal pro Jahr bis zu vier Wochen); stationäre Pflege; Pflegehilfsmittel und
technische Hilfen sowie Pflegekurse
für Angehörige oder ehrenamtliche
Pflegepersonen.
Bei der häuslichen Pflege helfen
Sozialstationen, mobile Dienste und
die privaten Pflegedienste. Weitergehende Informationen zur Pflegeversicherung erhält man bei den Krankenkassen.
65
Pflegebedürftigkeit
Antworten auf
Fragen
66
3. Kapitel
Ein Auto macht mobil und unabhängig, vor allem in Gegenden, in denen
öffentliche Verkehrsmittel nur beschränkt verfügbar sind. Sehr viele
Patienten, die einen Schlaganfall erlitten haben, wünschen verständlicherweise, sich wieder ans Steuer
setzen zu können. Ob und ab wann ein
Patient nach seiner Rehabilitation wieder fahrtauglich ist, läßt sich oft nicht
einfach und ganz sicher nicht generell beantworten. Verwaltungsgerichte und Behörden gehen von folgenden
Einschätzungen aus: In der Akutphase bis etwa ein Jahr nach dem
Schlaganfall gilt eine Person als fahruntauglich. Sind die Behinderunen
schon während des Aufenthaltes in
der Rehabilitationsklinik deutlich zu-
rückgegangen, kann sich dieser Zeitraum verkürzen; doch besteht dann
meist zunächst nur eine bedingte
Fahrtauglichkeit. "Bedingt" heißt: Der
Arzt in der Rehabilitationsklinik verbindet in seinem Entlassungsbericht
die Fahrtauglichkeit mit bestimmten
Auflagen oder Beschränkungen. Eine
solche Auflage kann zum Beispiel
sein, daß sich der Patient nach einem
angemessenen Zeitraum einer Nachuntersuchung unterzieht. Es kann sich
aber auch um technische Veränderungen am Wagen handeln, die gefordert
werden – etwa eine Lenkhilfe, ein
Handgashebel oder ähnliches. Für
den Führerschein Klasse 2 und die
Fahrgastbeförderung ist der Betroffene auf Dauer nicht geeignet.
Verständlicherweise kann es hinsichtlich der Einschätzung der Fahrtauglichkeit
zwischen Patient und Arzt oder Behörden zu Konflikten kommen. So traut es
sich etwa die Person zu, ein Fahrzeug sicher lenken zu können, die Untersuchungsbefunde sprechen demgegenüber für eine deutlich eingeschränkte
Fahreignung. In einer solchen Situation sollte der Betreffende bedenken, daß
es nicht nur um seine eigene Sicherheit, sondern auch um die der anderen
Verkehrsteilnehmer geht. Der heutige Verkehr stellt an jeden Autofahrer hohe
Anforderungen an Konzentration und Reaktionsvermögen. Nicht nur in Routinesituationen, sondern gerade in gefährlichen Augenblicken muß ein Autofahrer
sein Fahrzeug vollständig unter Kontrolle haben können.
Aus diesem Grund ist es ratsam, die Einschätzung des Arztes zu akzeptieren.
Allerdings darf der Arzt nur mit Einwilligung des Patienten seine Feststellungen zur Fahrtauglichkeit an Dritte weitergeben. Die Verantwortung für das Handeln liegt also beim Patienten selbst. Wird allerdings eine als fahruntauglich
eingestufte Person schuldhaft in einen Unfall verwickelt, kommt die Versicherung im Regelfall nicht für den verursachten Schaden auf.
Wer sein Fahrzeug umrüstet, um es seiner Behinderung entsprechend anzupassen, muß darauf achten, daß sämtliche Veränderungen von den technischen Untersuchungsstellen – etwa TÜV oder DEKRA – abgenommen werden.
Üblicherweise ist diese Abnahme mit einer praktischen Fahrprobe verbunden.
67
Auto fahren nach
einem Schlaganfall?
Auf was ist bei Auch auf diese Frage kann letztlich nur der Arzt eine auf den Einzelfall zugeAntwort geben. Generell ist es jedoch wichtig, einen Urlaubsort zu
Urlaubsreisen zu schnittene
wählen, an dem man die ambulante Rehabilitation fortsetzen kann, damit dieachten? se nicht unterbrochen wird. Im Hinblick auf die fachkundige Betreuung kann
es sinnvoll sein, den Urlaub in der Nähe einer neurologischen Reha-Klinik zu
verbringen, da dem Patienten dort – nach vorheriger Absprache – alle
Rehabilitationsangebote zur Verfügung stehen. Der Betreffende sollte sich allerdings vorher bei seiner Krankenkasse erkundigen, ob sie die Kosten für die
medizinische Behandlung am Urlaubsort übernimmt.
Ganz wichtig ist die Wahl des Verkehrsmittels. Diesen Punkt sollte man
unbedingt mit dem Arzt besprechen.
Selbst für Patienten, die nach Einschätzung des Arztes der Rehabilitationsklinik fahrtauglich sind, ist es
empfehlenswert, bei der ersten Urlaubsreise nach dem Schlaganfall und
bei längeren Fahrten auf das Auto zu
verzichten. Der Verkehr in den Städten und die hohe Verkehrsdichte auf
den Autobahnen stellen einen Streßfaktor dar. Lange Fahrten sind anstrengend, besonders im Hochsommer oder bei schlechtem Wetter.
Mit der Bahn oder dem Reisebus reist
man deutlich entspannter. Will man
auf das Auto am Urlaubsort nicht verzichten, so kann man entweder einen
Autoreisezug benutzen oder am Urlaubsort ein Fahrzeug mieten. Beim
Fahren sollte man darauf achten, daß
der kranke Arm, besonders solange er
noch eine erhöhte Muskelspannung
aufweist, auf einem Kissen oder einer Ablage ruht, und zwar im Blickfeld des Betreffenden.
Bei längeren Reisen – egal mit welchem
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Verkehrsmittel – sollte man regelmäßig für Bewegung sorgen. So kann
man etwa im Bus oder Zug stündlich
für jeweils fünf Minuten auf dem Gang
entlanggehen oder bei Autoreisen
die Fahrt unterbrechen, um sich zu
bewegen.
Wer bereits vor seiner Erkrankung
Probleme mit Flugreisen hatte, sollte
das Flugzeug meiden. Während des
Fluges herrscht in der Kabine ein
künstlich aufrechterhaltener Druck,
wie er in 2000 bis 2500 m Höhe
herrscht. Dies empfinden die meisten
Menschen als angenehm und vertragen es gut. Riskant wird es für einen
Schlaganfall-Patienten bei einem
plötzlichen Druckabfall. Dieser erhöht
die Gefahr eines erneuten Schlaganfalls.
Die Höhenlage des Urlaubsortes ist ein
weiterer wichtiger Gesichtspunkt. Als
problemlos gelten das Flachland und
Mittelgebirgslagen bis etwa 600 m
Höhe. Menschen, die schon durch ihren Wohnort an größere Höhen gewöhnt sind, können selbstverständlich
auch im Urlaub etwas "höher hinauf".
Kann man seinen
Sport weiterhin
treiben?
Gymnastische Übungen sind immer
möglich. Ob Sport im engeren Sinn in
Frage kommt, hängt von der Bewegungsfähigkeit des Betreffenden ab.
Spannt sich etwa die Muskulatur beim
Sport krampfartig an, so ist dies ein
eindeutiges Warnsignal.
Bei Übungen ist folgendes zu beachten: Man sollte vermeiden, den Kopf
ruckartig zu drehen, stark nach vorne
zu beugen oder nach hinten zu strekken. Solche Bewegungen belasten die
zum Gehirn führenden Blutgefäße
mechanisch sehr stark. In der prallen Sonne oder bei großer Hitze sollte
man auf Sport verzichten. Wettkämpfe sind eine ungeeignete Belastung,
weil die Gefahr besteht, daß man sich
im Wettkampfeifer überlastet. Beim
Sport sollte man ständig darauf achten, wie man sich fühlt. Es ist überhaupt nicht wichtig, ein selbst gestecktes Ziel zu erreichen, vor allem
dann nicht, wenn man bemerkt, daß
es die eigenen Kräfte zu überfordern
droht. Auf Übungen mit hoher Kraftanstrengung oder stärkerer Bauchpressung sollte man gänzlich verzichten.
Wer seinen Sport in der Gruppe ausübt, sollte ebenfalls keinen falschen
Ehrgeiz an den Tag legen und sich
auch nicht von anderen zu einer unvernünftigen Kraftanstrengung verleiten lassen. Nur wer sich beim Sport
wohl fühlt, leistet einen Beitrag zu seiner Rehabilitation und Vorbeugung.
Der Arzt in der Reha-Klinik und später
der behandelnde Arzt zu Hause können ein Funktionstraining verordnen;
das sind Bewegungsübungen in der
Gruppe, die unter Anleitung einer
Krankengymnastin und in Anwesenheit eines Arztes stattfinden. Auch hier
sollte sich der Betreffende erkundigen, ob die Renten- oder Krankenversicherung die Kosten übernimmt.
69
Wie steht es mit In schweren Zeiten sind Verständnis,
Zuneigung und Zärtlichkeit
der sexuellen Liebe,
eine Quelle der Kraft. Es besteht für
Aktivität? Schlaganfall-Patienten überhaupt
kein Grund, ihre Sexualität auszuklammern. Die Angst, daß beim Geschlechtsverkehr ein weiterer Schlaganfall auftreten könnte, ist bei Betroffenen und deren Partnern weit verbreitet. Doch sie ist, anders als es aufgebauschte Artikel über Einzelfälle in
der Regenbogenpresse glauben machen wollen, unbegründet.
So haben medizinische Untersuchungen ergeben, daß die Pulsfrequenz
beim Geschlechtsverkehr nicht stärker steigt als etwa während einer
Schrecksituation beim Autofahren.
Der Blutdruck steigt zwar ebenfalls an,
doch kaum mehr als beim Treppensteigen.
Die Sexualität gehörte vor dem
Schlaganfall zum Leben, und daran
sollte sich auch danach nichts ändern.
Wichtig ist, daß die Partner miteinander über das Thema Sexualität sprechen. Gemeinsam werden sie dann
einen Weg finden, um auch mit der
70
Behinderung eine befriedigende Sexualität zu erleben.
Trotz sexueller Erregung kann es bei
Männern passieren, daß die Erektion
ausbleibt. Dies liegt entweder an einer verschlechterten Durchblutung im
Beckenbereich oder an bestimmten
Medikamenten, die der Patient zur Zeit
einnimmt. Auch die hohe psychische
Belastung, der seelische Druck oder
eine traurige Verstimmung können
sich negativ auf das sexuelle Verlangen auswirken. In all diesen Fällen
sollten sich die Betreffenden vertrauensvoll an ihren Arzt wenden.
Menschen, die fürchten, aufgrund ihrer Behinderung ihre Attraktivität verloren zu haben, sollten bedenken, daß
Anziehungskraft und Sympathie wesentlich von der inneren Haltung bestimmt werden. Sie ist in einer Partnerschaft bedeutsamer als etwa eine
Behinderung an Arm oder Bein. Wer
sich selbst – mit all seinen Schwächen
und Stärken – so akzeptiert wie er ist,
wird feststellen, daß andere Menschen sehr viel leichter auf ihn zugehen werden.
Der Besuch einer Selbsthilfegruppe ist eine gute Gelegenheit, um andere
Menschen kennenzulernen, die ein ähnliches Schicksal erlebt haben. Zu den
regelmäßigen Treffen kommen oftmals auch Referenten, die Vorträge zu allen
Themen rund um das Leben mit einem Schlaganfall halten. Wichtige Informationen bietet bestimmt auch der Erfahrungsaustausch mit anderen Menschen,
die schließlich ganz ähnliche Probleme haben wie man selbst. Mit anderen
Worten: Eine Selbsthilfegruppe ist ein guter Ort, um zu erleben, wie es andere
Menschen gelernt haben, mit ihrer Behinderung umzugehen.
Für Patienten mit einer Sprachstörung kommt vielleicht eine Selbsthilfegruppe speziell für Sprachgestörte in Frage. Wer sich an die im nächsten Kapitel
genannten Organisationen (Seite 78) wendet, kann leicht die Anschrift einer
Selbsthilfegruppe in seiner Nähe in Erfahrung bringen. Sollte es am Ort
noch keine Selbsthilfegruppe geben, ist zu überlegen, ob man nicht selbst
eine Gruppe gründen möchte. Auch hierbei helfen die bereits angesprochenen
Organisationen gerne weiter.
Bei jedem Schlaganfall-Patienten gibt
es eine Phase, in der er seine Behinderung noch nicht annehmen kann
und mit dem Schicksal hadert. In einer solchen Situation hoffen Menschen verständlicherweise auf ein
Wunder, und so manche "Heiler" sind
bereit, mit ihren außergewöhnlichen
Methoden solche Wunder auch zu versprechen.
Eines sollte man dabei bedenken: Wer
Wunder verspricht, will nur an den
Geldbeutel seiner verzweifelten Kunden. Verantwortungsvolle Ärzte werden einem Patienten nie einen hundertprozentigen Heilungserfolg garantieren, einfach, weil dies unseriös ist.
Kein Mittel der Welt nimmt es dem
Patienten ab, sich mit seiner Krankheit auseinanderzusetzen und seine
Genesung während der Rehabilitation
durch aktives Üben zu unterstützen.
Jeder, der eine Methode ausprobieren
möchte, die am Rande oder außerhalb
der Schulmedizin liegt, sollte diese
sehr kritisch prüfen. Keinesfalls
sollte man die vom Arzt verordneten
Maßnahmen zur Rehabilitation
einschränken oder gar abbrechen.
Außerdem sollte man mit dem Arzt
über die zusätzliche Behandlung
sprechen. Zum einen ist es wichtig,
daß er darüber informiert ist, zum andern kann er durch sein Wissen und
seine Erfahrung die eigene Entscheidungsfindung erleichtern, wenn
man sich noch im unklaren über
Sinn und Nutzen eines zusätzlichen
Behandlungsangebotes ist. Wer in
einer Selbsthilfegruppe ist, kann zudem im dortigen Kreis nachfragen, ob
vielleicht schon jemand über eigene
Erfahrungen mit der ins Auge gefaßten Therapie hat.
71
Was bringt eine
Selbsthilfegruppe?
Nützt eine
Außenseitertherapie?
Wegweiser
Tips
Adressen
72
4. Kapitel
Die gesetzlichen Regelungen sind für
Betroffene und Angehörige oft schwer
durchschaubar, da meist mehrere Träger in unterschiedlichem Umfang und
je nach individueller Sachlage zuständig sind. Dieser Wegweiser erlaubt
eine erste Orientierung. Darüber hinaus enthält er eine Liste mit empfehlenswerten Büchern und Broschüren,
sowie einige Anschriften von Organisationen, die weiterhelfen können.
Auch wer sich gesund fühlt, sollte regelmäßig zum Arzt gehen, um sich einer
Gesundheitsuntersuchung ("Check-up") zu unterziehen. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine solche Untersuchung alle 2 Jahre,
wenn der Versicherte das 35. Lebensjahr erreicht hat. Der untersuchende Arzt
wird die Ergebnisse mit seinem Patienten besprechen. Ziel ist es, zum Beispiel
einen Bluthochdruck, eine Zuckerkrankheit oder erhöhte Blutfettwerte zu erkennen und frühzeitig zu behandeln.
Eine Person spürt – wenn auch nur
vorübergehend – Symptome, die als
Vorboten eines Schlaganfalls gedeutet werden könnten. Über die unterschiedlichen Anzeichen, die einem
drohenden Schlaganfall vorausgehen
können, unterrichtet der Teil 2, Kapitel 2
ab Seite 30. Wer solche Symptome
verspürt, sollte unbedingt seinen
Hausarzt oder einen Neurologen aufsuchen. Dieser wird den Patienten
gründlich untersuchen und ihn nach
Die zuständigen
Leistungsträger
Vorsorge
möglichen Risikofaktoren befragen,
wie sie in Teil 2, Kapitel 2 ab Seite 36
angesprochen werden. Er wird den
Patienten auch darüber informieren,
wie dieser einem Schlaganfall
vorbeugen kann und welche Behandlung gegebenenfalls erforderlich
ist. Für die Kosten von Untersuchung,
Behandlung und Vorbeugungsmaßnahmen (Prävention) kommt die
Krankenversicherung des Patienten
auf.
Vorboten eines
Schlaganfalls
Erleidet ein Patient einen Schlaganfall, so kommt ebenfalls die gesetzliche oder private Krankenkasse des
Patienten für den Krankenhausaufenthalt und die damit verbundenen Leistungen auf.
In der Regel wird sich daran eine stationäre medizinische Rehabilitation
anschließen.
Akute Behandlung
im Krankenhaus
73
Rehabilitation Ist der Schlaganfall-Patient erwerbs-
tätig und Mitglied der gesetzlichen
Rentenversicherung, so ist diese für
die Rehabilitation zuständig. Bei allen
Personen, bei denen diese beiden
Bedingungen nicht erfüllt sind, tritt
deren gesetzliche Krankenkasse für
die Kosten der Rehabilitation ein. Patienten mit einer privaten Krankenversicherung müssen dort anfragen, ob
ihr Krankenversicherer die Kosten
übernimmt.
Weil es sinnvoll ist, daß eine intensive medizinische Rehabilitation
möglichst schnell einsetzt, haben die
beiden gesetzlichen Träger– Krankenund Rentenversicherung – ein besonderes Verfahren entwickelt: die
Anschluß-Heilbehandlung (AHB). Sie
erfolgt in einer Rehabilitationsklinik,
möglichst sofort nachdem der Patient
das Krankenhaus verlassen konnte.
Eine Anschluß-Heilbehandlung muß
der Patient beantragen; in der Regel
hilft dabei ein Sozialarbeiter des Krankenhauses. An diesen kann man sich
auch in allen anderen Fragen wenden,
die mit den Folgen der Krankheit zusammenhängen.
In dem seltenen Fall, daß der Betroffene weder Mitglied einer gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung ist, noch irgendein anderer Sozialleistungsträger oder eine Privatversicherung die Kosten der medizinischen Rehabilitation übernimmt,
kann der Patient, seine Angehörigen
oder der Sozialarbeiter mit dem zuständigen Sozialamt Kontakt aufnehmen. Sozialämter sind die örtlichen
Träger der Sozialhilfe, und sie übernehmen in der gerade beschriebenen
Situation die Rehabilitationskosten,
sofern der Betroffene bedürftig ist und
auch die nächsten Angehörigen nicht
die erforderliche finanzielle Hilfe aufbringen können.
Vor Beginn einer medizinischen Rehabilitation in einer Reha-Klinik muß ein
Arzt prüfen, ob bei dem Patienten eine sogenannte Rehabilitationsbedürftigkeit
und die Rehabilitationsfähigkeit bestehen. Die erste Bedingung ist beim Schlaganfall fast immer erfüllt. Ob ein Patient zur Rehabilitation fähig ist, daran knüpfen
die verschiedenen Leistungsträger unterschiedliche Voraussetzungen. Aus der
Sicht der Rentenversicherung gilt beispielsweise folgende Regelung: Der Betroffene muß handlungsfähig, lernfähig und motivierbar sein, um die notwendige Kooperation herzustellen. Außerdem darf er nicht mehr der Pflege in einem Krankenhaus bedürfen.
Erfüllt ein Patient diese Voraussetzungen noch nicht, so muß versucht werden,
ihn durch eine entsprechend längere Krankenhausbehandlung so zu fördern,
daß er schließlich doch zur Rehabilitation befähigt wird. Diese Regelung gilt
sowohl für die Anschluß-Heilbehandlung wie auch für eine mögliche Wiederholung der stationären Rehabilitation, etwa im darauffolgenden Jahr.
74
Möglicherweise ergeben die Untersuchungen in der Reha-Klinik, daß der Patient zur erfolgreichen Rehabilitation zeitweise oder auf Dauer Hilfsmittel benötigt. In der Reha-Klinik sind alle erforderlichen Hilfsmittel vorhanden und für
den Patienten verfügbar. Benötigt er später Hilfsmittel, die er zu Hause benutzen kann, so sind die gesetzlichen Krankenkassen oder die Rentenversicherungen die zuständigen Leistungsträger.
Hat ein Arzt der Reha-Klinik einem Patienten ein Hilfsmittel verordnet, so wird
der Sozialarbeiter der Klinik den zuständigen Träger nennen und dem Patienten beim Stellen des Antrags helfen. Zu den Hilfsmitteln von Schlaganfall-Patienten kann zum Beispiel ein Hirtenstock, ein Rollator oder ein Rollstuhl gehören. Möglicherweise schlägt der Ergotherapeut der Reha-Klinik dem Betroffenen auch Veränderungen in dessen Wohnung vor, etwa Türschwellen zu beseitigen, Haltestangen oder einen Kippspiegel anzubringen, den Toilettensitz
zu erhöhen, ein Sitzbrett auf der Badewanne anzubringen oder einen Lift zum
Transport in die Wanne zu installieren. Auch in diesem Fall hilft der Sozialarbeiter
dem Patienten, den notwendigen Kontakt zum jeweils zuständigen Leistungsträger herzustellen.
Bei einem Schlaganfall ist es meist
sinnvoll, sich um die Anerkennung
als Schwerbehinderter nach dem
Schwerbehindertengesetz zu bemühen. Dies muß man beim zuständigen
Versorgungsamt beantragen. In der
Regel liegt der Grad der Behinderung
bei Schlaganfall-Patienten zwischen
Hilfsmittel
50 und 80 Prozent. Das Versorgungsamt ist auch zuständig, wenn der
Schlaganfall-Patient Opfer einer Gewalttat wurde, also zum Beispiel seine Erkrankung durch eine Gehirnblutung eingetreten ist, die Folge einer
Gewalttat war.
Schwerbehinderung
Sollte der Patient seinen Schlaganfall
durch einen Arbeitsunfall erlitten haben – ein Beispiel hierfür wäre eine
Schädelverletzung mit Gehirnblutung –, so ist diejenige Berufsgenossenschaft zuständig, bei der der
Betreffende gemeldet ist. Die Berufsgenossenschaften sind die Träger der
gesetzlichen Unfallversicherung.
Unfall
Nach der Entlassung aus der Reha-Klinik muß die ambulante Rehabilitation
das Erreichte bewahren oder weiter verbessern. In dieser Zeit treten viele Fragen auf. Informationen gibt die nächstgelegene Auskunfts- und Beratungsstelle der Rentenversicherung oder ein Reha-Berater der Krankenkasse des
Patienten, und zwar dem Betroffenen sowie dessen Angehörigen. Von diesen
Stellen erfährt man auch, wo sich die nächste Einrichtung für eine ambulante
Rehabilitation befindet.
75
Auskunft und
Beratung
Berufsfördernde Möglicherweise wird man dem Pain der Reha-Klinik eine berufsMaßnahmen tienten
fördernde Maßnahme vorschlagen.
Die Kosten hierfür übernimmt die
Rentenversicherung oder die Bundesanstalt für Arbeit über die örtlichen Arbeitsämter. Wer von beiden zuständig
ist, läßt sich meist schon in der RehaKlinik klären. Wer sich im Zweifel ist,
sollte sich an das Arbeitsamt im Heimatort wenden. Als berufsfördernde
Maßnahmen kommen etwa in Frage:
Änderungen am alten Arbeitsplatz
oder die Versetzung innerhalb des
Betriebes. Seltener und meist nur bei
jüngeren Betroffenen kommt eine
Umschulung in Betracht.
Pflegebedürftigkeit Leider ist es nicht auszuschließen, daß ein Betroffener pflegebedürftig wird.
In diesem Fall sollte man sich an die zuständige Krankenversicherung wenden. Unter ihrem Dach ist nämlich auch die Pflegeversicherung angesiedelt.
Zunächst muß ein Antrag auf Pflegebedürftigkeit gestellt werden. Hierzu wird
ein Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der gesetzlichen Krankenkassen
den Patienten zu Hause besuchen und in eine der drei Pflegestufen einstufen.
Diese Einstufung bestimmt den Umfang der Leistungen, den die Pflegeversicherung dem Patienten gewährt.
Die Betroffenen und deren Angehörige müssen danach entscheiden, ob die
Angehörigen selbst die häusliche Pflege übernehmen, oder ob Mitarbeiter einer Sozialstation oder eines privaten Pflegedienstes diese Aufgabe übernehmen sollen. Eine stationäre Pflege in einem Pflegeheim sollte nur als letzte
Möglichkeit erwogen werden, sie ist aber in manchen Situationen unumgänglich. Wer einen Angehörigen pflegt, sollte selbstverständlich Gelegenheit haben, im Urlaub wieder Kraft zu schöpfen. Die Pflegekasse übernimmt deshalb
jedes Jahr für bis zu vier Wochen die Kosten einer Ersatzpflegekraft.
76
Arbeitshilfe für die Rehabilitation von
Schlaganfallpatienten
Schriftenreihe der
Bundesarbeitsgemeinschaft für
Rehabilitation (BAR)
Walter-Kolb-Straße 9-11,
60594 Frankfurt am Main
Die Broschüre zeigt auf, welche Maßnahmen und Leistungen für die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten in
Betracht kommen und beschreibt den
Ablauf des Rehabilitationsverfahrens.
Reha-Klinik die wiedererworbenen
Fähigkeiten in den Alltag übertragen
und langfristig alle Möglichkeiten der
Rehabilitation ausschöpfen kann.
Holubetz, Christa
Schlaganfall als Lebenserfahrung
Holubetz Verlag, 1993
Die Autorin, selbst Schlaganfall-Betroffene, schildert in diesem Büchlein
ihr eigenes Schicksal. Sie macht Betroffenen Mut und vermittelt Angehörigen, wie sie mit der Krankheit besser umgehen können.
Davies, Pat M.
Hemiplegie
Reihe Rehabilitation und Prävention,
Band 18, Springer Verlag
Davies, Pat. M.
Wieder Aufstehen
Springer Verlag, 1995
Diener, Hans-Christoph
Wie beuge ich dem Schlaganfall vor?
Piper Verlag, 1994
Geisseler, Trudy
Halbseitenlähmung –
Hilfe zur Selbsthilfe
Springer Verlag, 1993
Das Buch wendet sich an Halbseitengelähmte und deren Betreuer. Es zeigt
auf, wie der Patient nach Verlassen der
100 Fragen + Antworten zur
Pflegeversicherung
Bundesministerium für Arbeit und
Sozialordnung
Durchblutungsstörungen des Gehirns,
Risikofaktoren, Warnsignale sowie
über Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten.
Jay, Peggy E.
Hilf Dir selbst Ratschläge für
Hemiplegiker und ihre Angehörigen
Hans Huber Verlag, 1981
Das Buch beschreibt zahlreiche Methoden und Hilfsmittel, die sich in der
Praxis bewährt haben. Die Anregungen verhelfen zu mehr Selbständigkeit im Alltag, zu Hause, bei der Arbeit
und in der Freizeit.
77
Empfehlenswerte
Literatur
Kollmorgen, Charlotte
Collagentherapie
Hans Huber Verlag, 1989
Die Autorin beschreibt ihre Erfahrungen als Therapeutin, die sie mit kreativen Bildcollagen bei Herzinfarktpatienten in einer Rehabilitationsklinik
gewonnen hat. Das Buch richtet sich
in erster Linie an Therapeuten, ist aber
auch für Laien geeignet.
Krämer, Günter
Dem Schlaganfall vorbeugen
Trias Verlag, 1993
Das für Laien geschriebene Buch informiert ausführlich und fundiert über
Durchblutungsstörungen des Gehirns,
Risikofaktoren, Warnsignale sowie
über Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten.
Lutz, Luise
Das Schweigen verstehen
Springer Verlag, 1992
Der Band wendet sich an alle, die mit
Aphasikern und deren Problemen zu
tun haben, also an Therapeuten der
unterschiedlichen Fachrichtungen,
Ärzte, Pflegekräfte, Angehörige und an
Betroffene selbst.
Mäurer, Horst-Christian und
Mäurer, René
Der Schlaganfall
Trias Verlag, 1991
Ein sachkundiger und kompetenter
Ratgeber, der Betroffene und Angehö78
rige in knapper, leicht verständlicher
Form über alle wichtigen Aspekte des
Themas informiert.
Moritz, Kurt
Seelsorge an Schlaganfallkranken
Berliner Hefte für evangelische
Krankenseelsorge,
zu beziehen über:
Konsistorium der
Evangelischen Kirche
Bachstraße 1-2, 10555 Berlin
Die Broschüre entstand, um Seelsorger für ihre Begegnung mit Schlaganfall-Patienten besser vorzubereiten.
Wissenswertes enthält sie besonders
zur seelischen Situation der Betroffenen.
Pflegen zu Hause Ratgeber für die
häusliche Pflege
Bundesministerium für Arbeit und
Sozialordnung
Referat Öffentlichkeitsarbeit,
Postfach 140280, 53107 Bonn
Schlaganfall Praktischer Ratgeber
Bundesministerium für Gesundheit
Referat Öffentlichkeitsarbeit
53108 Bonn
Die Broschüre informiert Angehörige
über das praktische Vorgehen bei der
häuslichen Pflege und gibt den Betroffenen viele Anregungen, wie sie durch
Einsatz von Hilfsmitteln mehr Selbständigkeit erlangen. Zahlreiche Abbildungen illustrieren die Erläuterungen.
Schumann, Gesine
Pflegeversicherung
Rat und Hilfe für Antragsteller
und Angehörige
Midena Verlag, 1995
Verband Deutscher
Rentenversicherungsträger
Eysseneckstraße 55,
60322 Frankfurt am Main,
Tel.: 069/15220
Hauptverband der gewerblichen
Berufsgenossenschaften
Alte Heerstraße 111,
53757 Sankt Augustin,
Tel.: 02241/23101
Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe
Postfach 104, 33311 Gütersloh,
Tel.: 05241/97700
(Die Stiftung unterhält auch ein Regionalbeauftragten-System; Mitglieder
können über eine Notfallnummer Informationen über aktuelle Entwicklungen bei der Therapie und Rehabilitation von Schlaganfällen erfragen.)
Tropp Erblad, Ingrid
Katze fängt mit "S" an.
Aphasie oder der Verlust der Wörter.
Fischer Taschenbuch Verlag, 1994
Klar und unsentimental schildert die
Autorin, für die der Umgang mit Sprache persönlich und beruflich wichtig
ist, wie sie mit der Erkrankung fertig
wurde.
Arbeitsgemeinschaft der
Deutschen Hauptfürsorgestellen
Ernst-Frey-Straße 9,
76135 Karlsruhe,
Tel.: 0721/81071
Anschriften, die
weiterhelfen
Träger der Rehabilitation
Bundesarbeitsgemeinschaft
der überörtlichen Träger der
Sozialhilfe
Ernst-Frey-Straße 9,
76135 Karlsruhe,
Tel.: 0721/8107-279
Bundesverband für die
Rehabilitation der Aphasiker
Bundesgeschäftsstelle
Georgstraße 9, 50389 Wesseling,
Tel.: 02236/46698
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Selbsthilfeeinrichtungen
und Behindertenverbände
Impressum
Herausgeber:
Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung, Köln,
im Auftrag des Bundesministeriums
für Gesundheit
Alle Rechte vorbehalten.
Konzept und Inhalt:
BZgA, Köln
Wissenschaftliche Begutachtung:
Prof. Dr. G. Sitzer, Stiftung Deutsche
Schlaganfallhilfe
Gestaltung:
Lang.Konzeption. Köln
Fotografie:
Frank Peinemann, Köln (Seiten 9, 10, 13, 14,
17, 18, 21, 22, 25, 26, 29, 30, 33, 38, 50, 52,
56, 58, 59, 60, 66),
Klaus Arras, Köln (Seiten 39, 40, 49, 72)
Martin Kreutter, Marburg (Seiten 63, 70)
Alex Majewski, Düsseldorf (Seite 6)
Piper-Verlag, München (Seite 32)
Ullstein Verlag, Berlin (Seite 51)
Frau Prof. Hannelore Pilss-Samek, Wien
(Seite 69)
Lang.Konzeption. (Seiten 35, 36, 41, 42,
43, 44, 45, 47, 49, 53, 57, 61, 65, 67, 68,
74, 76)
Illustrationen:
Günther Kohl, Köln (Seiten 1, 30, 34, 62)
Druck:
Bachem GmbH Köln
Erscheinungsdatum:
November 1996
Auflage:
1.200.11.96
Diese Broschüre ist kostenlos erhältlich bei
der BZgA, 51101 Köln.
Bestellnummer: 42 03 0000
Gedruckt auf Recyclingpapier.
Antworten auf
Fragen
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