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Anna Mitterer
Beispiele künstlerischer Arbeit
2001 - 2013
2013:REMAINS OF SPACE
2013
HD Video 30 min.
ORF III Artist in Residence
2013: REMAINS OF SPACE
von Anna Mitterer und Matthias Buch ( HD Video, 2013, 30 min.)
Video: http://tv.orf.at/orf3/stories/2616849/
Das Video wurde in der jungen künstlerischen Programmleiste „artist in residence“
des ORF III realisiert und im November 2013 gesendet. Anna Mitterer und Matthias
Buch inszenieren eine Dystopie, in der künstlerische Ausdrucksformen der Repression
zum Opfer fallen.
Inhalt: Eine Gruppe von Menschen, eine widerständige Zelle, versucht vom Untergrund
aus, einen Piraten TV Sender zu betreiben, um ihre Vorstellungskraft wieder zu
finden und diese dem System entgegen nach außen zu tragen. Am Ende ihrer Suche
gelangen sie von ihrer hermetischen Situation in einen Installationsraum, der Bezug
nimmt auf den ikonenhaften Raum in der letzten Szene von Stanley Kubricks „2001:
A Space Odyssey“.
Die Handlung, ihre Figuren und der Raum, sollen metaphorisch sein für eine
Beschäftigung mit der Identität von Erscheinung und Wahrnehmung. Der Raum ist
nicht mehr hermetisch, sondern ein Wahrnehmungsgerüst, der die Grenze von Innen
und Außen, von Fiktion und Realität, verschwimmen lässt.
Im Realraum fanden die Dreharbeiten im mo.e statt, der seit drei Jahren als
unabhängiger Kunstraum, als Off-space, genutzten ehemaligen Metallwarenfabrik
Morton, im 17. Bezirk in Wien.
Darsteller:
Ramazan Ünver, Matthias Buch, Joy Lin, Daniel Benedek, Fernando Romero Forsthuber,
Aleksandra Cwen, Lauri Vuorela, Hannah Menne, Renfah, u. a.
Kamera: Peter Pulker, Ton: Theda Schifferdecker
Musik: Daniel Benedek u. a., Buch/Schnitt: Anna Mitterer, Effekte: Max Gurresch
Tongestaltung: Werner Weitschacher
BE-TAS-TNI
2013
Serie von 5 Fotografien, C Prints, Dibond,
164 x 126cm
BE-TAS-TNI 0
BE-TAS-TNI 1
BE-TAS-TNI 2
BE-TAS-TNI 3
BE-TAS-TNI 4
BE-TAS-TNI
Liminal Reflections
Die Repräsentationsgeschichte der nordamerikanischen „Natives“ besteht aus der
ideologischen Konstruktion der „Andersartigkeit“, die jedem Stereotyp zu Grunde
liegt. Im 19. Jhdt ist diese dominiert vom fremdbestimmten Blick. Wie schon die
„Indianer“ - Gemälde George Catlins, waren die fotografischen Abbildungen der
„vanishing race“ im verstädterten Osten der USA und in Europa äußerst populär.
Ein historischer Ausgangspunkt für die Fotoserie BE-TAS-TNI (Reflexion/Spiegel in
Diné, Sprache der Navajo) waren unter anderem die „Before and After“ Fotografien der
1879 gegründeten Carlisle Industrial School in Pennsylvania. Ein paramilitärisches
Internat, in dem versucht wurde, das indianische „Andere“ der Jugendlichen unter
beträchtlichem Zwang der Vorstellung des „zivilisierten“ modellhaften amerikanischen
Bürgers anzugleichen. Um den „Erfolg“ der Umerziehung zu propagieren und zu
illustrieren, wurden die Schüler bei ihrer Ankunft fotografisch portraitiert, in
„indianischer“ Bekleidung als „Wilde“, und dann nach einiger Zeit mit steifen
Kragen, etc. als „amerikanisiert“ und „zivilisiert“. Diese Formen der Repräsentation
und ihrer Rezeption verstärkten die koloniale Beziehung von „ethnischer“ und
politischer Dominanz.
Aber auch grundsätzlich bezieht sich das Setting, in dem sich Roy Pete, ein
Navajo aus Arizona, auf dem Foto befindet, auf die Art der Studiofotografie wie sie
auch von Frontier Fotografen im 19. Jhdt praktiziert wurde. Die Verwendung von
bemalten Hintergründen, wie in der bourgeoisen Portraitfotografie Europas üblich,
wirkt seltsam, die Versatzstücke von historisierender Architektur kulissenhaft
im Hintergrund. Oft wurden auch immer wieder die gleichen Requisiten und Kostüme
benutzt, die nicht original waren. Wie ein Schau- oder Guckkasten, in die das Subjekt
platziert oder wohl deplatziert wurde, ein artifizieller Wahrnehmungsraum. Auch bei
den Fotografien A. Zeno Shindlers von den delegierten Indianern des 19 Jhdt., die für
Verhandlungen nach Washington kamen, ist interessant, wie sie einerseits in ihrer
traditionellen Bekleidung gezeigt werden, andererseits in Gehrock und Zylinder.
Der Untertitel „Liminal Reflections“ nimmt Bezug auf den Schwellenzustand, auf eine
Art „twilight zone“, den auch die Abbildung transportiert.
In den 5 BE-TAS-TNI Fotografien erinnert der Schnee vielleicht an die Schneewüste
von Wounded Knee, und auch bricht da die Natur in den künstlichen Kulissenraum
hinein.
Das Sujet der Tuschezeichnung von den uniformierten Schülern („With beauty before
me my I walk? With beauty behind me may i walk?“), basierend auf einer Fotografie
um 1900, birgt durch die Anhäufung der Stars and Stripes Flaggen, die die Jungen
angewiesen sind hoch zu halten, einen schmerzhaften Einsatz des Symbols. Die
Tuschzeichnung „Mise en Abyme“ , könnte eine in sich verschachtelte Spiegelung
sein: der schon „erfolgreich“ assimilierte native Fotograf richtet die Kamera auf
das zu assimilierende Subjekt…
Anna Mitterer
In der Sprache der Navajo bedeutet “be-tas-tni” soviel wie “Spiegel”. Die in der
aktuellen Ausstellung von Anna Mitterer präsentierten Werke befassen sich alle mit
einem zentralen Thema im Œuvre der Künstlerin: der Auseinandersetzung mit Sein
und Schein. In ihrer neuesten Arbeit BE-TAS-TNI fotografiert sie Roy Pete, einen
Navajo Medizinmann aus Arizona, den sie in Wien kennengelernt hat. Wenn wir heute
Bilder einer „Rothaut“ sehen, sind wir uns sehr wohl der Geschichte des Genozids
und Ethnozids bewusst, den die Ureinwohner Nordamerikas durch die Euro-Amerikaner
erlitten haben. Wir kennen auch die frühen, von Weissen getätigten Fotografien,
welche das Bild des ehrwürdigen, in einer modernen Welt vom Aussterben bedrohten
Indianers transportieren, oder das eines wilden, naturnahen Kriegers abseits
der „Zivilisation“ – oder wiederum jene Arbeiten, die, von einem ethnologischen
Gesichtspunkt aus, die Merkmale eines bestimmten Stammes darzustellen versuchen.
Was wir in Bildern sehen, hängt immer stark vom Kontext ab, in dem wir sie erleben und in dem sie uns präsentiert werden. Anna Mitterer zeigt uns in den Räumlichkeiten der Startgalerie fünf großformatige, höchst ästhetische fotographische
Arbeiten, die auf den ersten Blick zwar frühen Indianerportraits ähneln, bei näherer Betrachtung jedoch zum Reflektieren über die Rolle und Auswirkung tradierter
Darstellungscodices und Repräsentationsformen anregen.
Darüberhinaus wird das konstruierte Set, der gestaltete Kontext, besonders hervorgehoben, was ebenfalls an den gleichzeitig entstandenen Tuschearbeiten, Mise en
abîme, ersichtlich ist. Sie sind von der Dokumentation des Übergangs von „wild“ zu
„zivilisiert“ der SchülerInnen an der Carlisle Indian Industrial School in Pennsylvania inspiriert, welche bis 1918 rund 12 000 junge IndianerInnen aus ganz Amerika
“assimiliert”, hat.
In einem ganz anderen Kontext, nämlich dem nachempfundenem Hollywood der 1950erJahre, reflektiert auch der Film Tagline – An Imitation, dessen Dialog eines glamourösen Paares ausschließlich aus einer Folge von Werbeslogans besteht, anhand der
melodramatischen Kommunikation mit reinen Worthülsen, klischeehafte Geschlechterrollen und innerste menschliche Sehnsüchte.
Die aufwendig gestalteten und stark kontextualisierten Sets Anna Mitterers bilden
Schwellen zu anderen Welten – in denen wir letzten Endes Spiegel unserer Gesellschaft, unserer Blicke und unserer selbst wiederfinden.
Suzanne Krizenecky
Text zur Ausstellung Anna Mitterer BE-TAS-TNI Liminal Refelections im MUSA/Startgalerie
Mai 2013
Ausstellungsansichten BE-TAS-TNI Liminal Reflections MUSA/Startgalerie 2013
Performance mit Katherina Olschbaur („Lascia ch‘io pianga“ G. F. Händel)
Partizipation in „Aufruf zur Reduktion - in effigie“
Ankerbrotfabrik Expedithalle Wien Juli 2012
(künstl.Leitung: Bastian Wilplinger) Information/Livestream http://www.miasma.is
2012: REMAINS OF SPACE
2012
Rauminstallation
Polysterol, diverse Materialien, Lichtboden
700x400x300cm
Videoprojektion „2012: remains of space“ 6.40 min
Kooperation mit Matthias Buch
Ausstellungsansichten „2012: remains of space“
mo.ë – Thelemangasse 4, 1170 Wien, SOHO Ottakring, 12 - 26 5. 2012
Fotos: Markus Wörgötter, Anna Mitterer
MusikerInnen: Margaret Unknown, Bernd Klug, Meagan Burke, Katharina
Ernst, Daniel Lechner, Binär, u.v.a.
Die Installation besteht aus frei von der Decke hängenden selbstgebauten Rahmen
aus Polysterolstuck. Der profanen Eigenschaft des Fake-Materials steht eine gewisse pathetische Wirkung gegenüber.
Ausgangspunkt:
Am Ende von Kubricks „2001: A Space Odyssey“ befindet sich der Protagonist Dave Bowman,
nach der Initiationsreise durch den virtuellen Raum, in einen überdimensionierten
Raum im Stil Louis XVI. Im Gegensatz zur Innenraumästhetik, die hauptsächlich
diese Filmikone dominiert, nämlich futuristische Visionen, die auch im Bezug
zur Op-art stehen, stellt dieser Raum einen Bezug her zu einem unaufgeklärten
narzisstischen Zeitalter. Das Stuckdekor des absurden Appartements vermittelt die
architektonischen Stilmerkmale eines gesellschaftlichen Systems, das überkommen
ist, doch gleichzeitig drückt es auch einen Archetypus aus, der kulturgeschichtlich
kodifiziert ist und den Protagonisten in Relation dazu setzt.
Auch befinden wir uns als Zuschauer im Innenraum von Bowmans Wahrnehmung wie auch
schon zuvor in der Initiationsreise. Der Protagonist blickt auf sich selbst in
verschiedenen Stadien seines Älterwerdens, das eine Stadium löst das vorhergehende
ab, man bekommt den Eindruck, dass dieser Unort eine Materialisation der
Vorstellungen Daves ist, dass er eine Erfahrung umschreibt, die über die Grenzen
seiner Wahrnehmung hinausreicht.
Der Raum, hermetisch abgeschlossen, funktioniert außerhalb der Zeit. Die
Entsprechung der Zeit, des Subjektiven in der Zeit des Protagonisten, kommt dem
Prinzip des Zuschauenden und des Geschauten gleich, in einer überaus komplexen
Folge von Einstellungen.
Eigentlich ist es eine Metapher für die betrachtende wie
auch virtuelle Wahrnehmung, in welcher der Zuschauer selbst mitreflektiert wird.
2
Ausgehend von diesem Setting, von diesem ikonenhaften Filmraum, entstand ein
rauminstallativer Eingriff im mo.e. In gewisser Weise geht es um die Reduktion
eines Raumes auf seine kulturelle Konnotation. Alles Strukturelle, das den Raum
architektonisch konstituiert, Schutz bietet, ihn zum Obdach für seine Bewohner/
Erbauer macht, wird ausgelassen.
Die kulturgeschichtliche Implikation von
Raumelementen, welche auch die letzte Szene des Films zum Kondensat tradierter
Raumvorstellungen macht, findet sich eigentlich in dessen Dekoration.
Der Raum ist nicht hermetisch, sondern ein Wahrnehmungsgerüst.
Die installative
Intervention soll metaphorisch sein für eine Beschäftigung mit der Identität von
Welt und Gehirn, von Erscheinung und Wahrnehmung.
Der Automat, der Computer,
wie er bei Kubrick in der Form von HAL auftaucht, bildet kein Ganzes, sondern
eben auch ein Grenze, eine Außen und Innen verbindende Membran, welche beide,
Welt und Gehirn auf einander bezieht oder einander entgegenstellt. Der Computer
versagt, weil das Gehirn ebenso wenig ein vernünftiges System ist wie die Welt
ein rationales.
HAL, dessen Schaltkreise die Gehirnstruktur seiner Konstrukteure widerspiegeln,
lässt sich in der selben Metapher begreifen, wie der Louis XVI-Raum nach der
Initiationsreise.
„2012: remains of space“ soll eben auf diesen Systemraum verweisen, vollkommen
durchlässig, und nur mehr das Gerippe des vergeblichen Systems darstellen.
Der Betrachter kann den Raum „von innen durchschauen“, er selbst wird aber
gleichzeitig von außen betrachtet werden, zwischen den „frames“ hindurch. Jener
innere Blick nach außen, jener „Fensterblick“, wird genauso zum äußeren Blick
nach innen, Zuschauender und Geschauter sind sowohl außen wie innen. Die Topologie
des Installationsraumes spiegelt sich in den ihn umgebenden größeren realen
Ausstellungsraum des mo.ë hinein.
“2012: remains of space“ leitet sich auch
dahingehend von einem cineastischen Blick her, da Film/Kino einzigartig ist in
seinem Vermögen, das Objektive zu subjektivieren; das Vermögen, einem Objekt,
das gezeigt wird, was immer es auch sei, den Status von etwas „gesehen von...“
zu geben. Ebenso objektiviert es das Subjektive, und kann eine Wahrnehmung, die
subjektiv gegeben ist, als ein gerahmtes („framed“) Objekt innerhalb von Zeit
und Raum wiedergeben. Auf die Darstellbarkeit der räumlichen Komponente davon,
soll die Installation anspielen. Die Topologie des Raumes soll einerseits auf
den virtuellen Raum, der eigentlich nur mathematisch errechenbar ist, verweisen,
andererseits durch Raumelemente als soziokulturelle Anhaltspunkte auf die leicht
erfahrbare Definition des Historismus im 19. Jahrhundert. Die Stuckelemente sind
Referenz an eine Zeit, in der gesellschaftliche Strukturen, die bald als überholt
gelten mussten, klar im bürgerlichen Wohn- und Lebensraum manifestiert waren. In
diese auch politische Dimension passt der Weltraum nicht. Der verinnerlichte Raum
am Ende von „2001: A Space Odyssey“ manifestiert sich als Gegensatz von Lebensraum
und Weltraum. Bowman kehrt dorthin zurück, wo er herkommt als Mensch, und doch
drückt der Ort einen Grenzbereich der Wahrnehmung aus.
Das Video, welches Teil der Installation ist, zeigt einen Astronauten, der sich
unbeachtet seinen Weg durch die sehr alltägliche Umgebung der Karlsplatzpassage
zur Secession bahnt. Die Realität wird zum unsicheren Terrain, welches die selbst
angefertigten Astronautenausrüstung nötig macht, um durchstanden zu werden.
In die Secession eintretend kommt er jedoch in den Installationsraum im mo.ë,
also nicht in die angesehene Institution, sondern in den Off-space. Hinter dem
Astronauten verbirgt sich der Maler und Künstler Matthias Buch, der in der
surrealen Ausstellungssituation auch auf seine eigene Malerei trifft und sich als
Projektion auf der Leinwand dahinter verdoppelt.
„2012: Remains of Space“ ist auch auf den Ausstellungskontext bezogen, auf den
Off-Ort als Gegensatz zur Institution. (Kamera/Schnitt/Konzept): Anna Mitterer)
Der Raum im Raum, den die Installation entstehen ließ, wurde im Laufe des
relativ kurzen Ausstellungszeitraumes von 10 Tagen zu einem Austragungs- und
Austauschort, zu einer Bühne für Konzerte, Performances und Kommunikation, auch
dank der Möglichkeit von Spontaneität und Offenheit des Ausstellungsortes mo.e.
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Ansichten aus der Ausstellung „2012: remains of space“, mo.ë, Mai 2012
Fotos: Markus Wörgötter, Anna Mitterer
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Ausstellungsansichten 2011 (Auswahl)
Rauminstallation mit Video „Cross Borders“ Masc Foundation, Wien
Textapplikation Grundsteingasse im Rahmen von „Cross Borders“ Masc Foundation,
Wien
Papierobjekt, Area 53, Wien
PORTRAIT - EIN VERSUCH VON VERGAENGLICHKEIT
2011
5 gegenseitige Portraits der beteiligten KünstlerInnen (Öl/Acryl)
Installation, Holz ca.300x300 cm
Video Projektion loop 12 min
Projekt von Coelestine Engels, Anna Mitterer, Renfah, Stylianos Schicho und
Christian Weigl
„Portrait“ Video 12 min. 2011
Ein narrativer Ansatz zum Themenkreis des Portraits verbindet 5 KünstlerInnen
mit verschiedenen Lebens und Schaffenshintergründen. Die KünstlerInnen widmen
einen Werkzyklus dem Experiment „PROTRAIT“, das vom Sich- Überleben handeln und
dabei den nach wie vor existierenden Geniekult des Künstlers ironisieren soll.
„PROTRAIT“ beschäftigt sich mit dem Spiel der Glorifizierung im Schaffen der Ikone,
des Portraits, mit dem Überleben dieses Abbildes und dem unklare Schicksal in
jedweder fernen Zukunft und versucht dieses intersubjektiv-verspielt beinflussbar
zu machen.
Dazu sind die Grösse der Leinwand (1x1 m) und die Auslosung durch Ziehung des
Namens des Künstlers die/der dann vom anderen portraitiert wird vorgegeben und
dokumentiert. Sowie die Vorgabe diese Bilderserie in 500 Jahren wieder zu zeigen,
um dadurch auch die dem Konzept und der Haltbarkeit ebendieses Mediums inhärente
Option auszuschöpfen, denn kaum ein anderes bietet dies. Digital, Druck, Fotos,
Film, und Musik werden in die jeweilsgegenwärtige Gesellschaft einpassbar, oder
durch die Unmöglichkeit diese Codes auch zukünftig zu entziffern können diese
Medien unlesbar werden, bzw. können diese dem Zahn der Zeit nicht lange standhalten,
doch das malerische Portrait widersteht und spielt eben dadurch auch immer noch
eine wichtige Rolle.
Als Kontrapunkt zur Idee des Whitecubes steht die durch die beteiligten
KünstlerInnen vorgegebene Pentagonale „Kunstkammer“, die sich in der Mitte des
Ausstellungsraumes befindet und durch dazwischenliegende Spalten, den Betrachtenden
zuerst nur Teilaspekte wahrzunehmen ermöglicht. Die „Kunstkammer“ selbst ist eine
Holzkonstruktion aus fünf sich en face stehenden Wänden, sodass sich Portrait und
Portraitierter „betrachten“ und ein visueller Diskurs zwischen den fünf Leinwänden
entsteht. Diese fünf Leinwände wurden dokumentierter Weise gemeinsam gebaut und am
selben Ort umgesetzt, 1x1 m grosse Container dieser Implikationen. Die Kunstkammer
ist dementsprechend in ihrer Gemeinschaft eine experimentelle Weiterführung der
Entstehungsbedingungen. Die „Kunstkammer“ exemplifiziert sowohl den traditionellmusealen ( Portraitgalerie ) als auch den privat repräsentativen Charakter der
Ahnengalerie. Durch diese Präsentation soll ein Eindruck von Preziosität auf
ironische weise entstehen und die Erwartungshaltung des Betrachters beeinflusst
werden. Den Besuchern ist es möglich sich in den Kreis der KünstlerInnen/Portraits
zu zwängen.
Dieses Experiment spielt mit einem halben Jahrtausend, in gewissem Sinne kreisen
die Gedanken um Science Fiction, Ahnengalerien und Genealogien, jedoch dies ist
das eben das unklare Schicksal, das unabsehbare Morgen, ein Nachmittag in 500
Jahren wenn sich der Kreis schließt, und wir uns alle Wiedersehen.
Ausstellungsansicht
„Portrait - Ein Versuch
von Vergänglichkeit“,
Sammlung Lenikus,
Bauernmarkt 1, 2011
TAGLINE
- AN IMITATION
2011
HD Video
15.20 min.
Der Dialog von TAGLINE-AN IMITATION besteht ausschliesslich aus Slogans und Taglines der letzten 60 Jahre, wobei der Grossteil zeitgenössischen Werbekampagnen
von omnipräsenten Marken, Banken, Investment Firmen etc. entnommen ist oder Slogans verwendet wurden, die Teil der Brandidentity sind.
Eine Tagline bezeichnet auch die Verdichtung der konzeptionellen Idee eines Films
in einem meist umgangssprachlichen Satz.
„Die Welt wird zum Schauplatz der angeblichen Erfüllung des Werbeversprechens
vom guten Leben. Die Welt lächelt uns zu und bietet sich uns an. Und weil sie sich
uns vermeintlich überall anbietet, ist überall mehr oder weniger das gleiche.“
( John Berger, SEHEN, das Bild der Welt in der Bilderwelt, 1972)
„Tagline – An Imitation“ ist eine Auseinandersetzung mit Sprache an sich, mit den
Metaebenen von Sprache und zeigt anhand von Kommunikation mit reinen Worthülsen
die Dominanz von konsumorientierter Sprache und deren Versprechen auf. Wobei ganz
grundsätzliche menschliche Bedürfnisse und Sehnsüchte, wie auch Wunschvorstellungen
in den meisten Werbeslogans vorhanden sind.
Das Setting des Films ist in vereinfachter Form Hollywood-Filmikonen der 50er
Jahre wie etwa
Written on the Wind (Douglas Sirk, 1956) nachempfunden. Das
artifizielle Set eines Hotelzimmers mit dem angedeuteten Glimmer von New York im
Hintergrund, ausgeleuchtet in hyperrealem Kunstlicht.
Die Handlung ist ein Miniatursurrogat aus Studiofilmen der 50er Jahre. Ein kleines
Melodram zwischen der Nachtclubsängerin Maggie Wang (Joy Lin) aus Hongkong, die
die Hoffnung und den Ehrgeiz zum Broadway- und Hollywoodstar mit sich bringt und
einem erfolgreichen, von sich selbst sehr überzeugten Drehbuchautor, Mitch Davies
(Bastian Wilplinger). Ein Spiel mit Klischees. Das „romantische“ Liebeszenario
bricht aber Stück für Stück in sich zusammen, wenn Maggie ein Foto im geschenkten
Mantel findet, das Mitch als perfekten Familienvater jener Tage zeigt, er sie also
belogen hat und rein als Objekt seiner eigenen Wünsche benutzt. Beide kennzeichnet
eine bestimmte Form der Berechnung. Grundsätzlich sind die Figuren aber reine
Projektionsflächen, Schablonen. Das Ende der Eskalation ist eine Art filmische
Überhöhung.
Die kontextuelle Idee eines Hollywood-Szenarios im Stil der 50er Jahre entwickelte
sich aus der Überlegung heraus, dass diese Epoche als Ursprung des American Dreams
gelten kann, und dadurch auch des Konsumerismus und der damit verknüpften Welt der
Werbeversprechen, der Slogans, des Marketings und der Vorstellung von Produkten
als zentralem Bestandteil des „glücklichen Lebens“ (Kühlschrank, Auto, etc). Auch
Hollywood entwickelte sich damals zur Dreamfactory der westlichen Welt. Dreams in
der Werbung, Dreams im Film.
Die gesellschaftliche, formelle und auch psychologische Tragweite von Werken
von z. B. Alfred Hitchcock oder Douglas Sirk drückt sich darin aus, dass das
Hollywoodkino vor allem zu jener Epoche der Spiegel von gesellschaftlichen und
psychologischen Konflikten war, die in den Filmen bewusst und auch unbewusst
materialisiert wurden. Trotzdem ist Hollywood auch schon immer Tinseltown und
natürlich gibt die Sternstunden des Kinos, doch in den meisten herkömmlichen
Produktionen jener Jahre sind Stereotypen im Zentrum, weiblich oder männlich,
und Hollywood war genauso eine Fabrik, die Träume produziert, Träume, die sich
wiederum als Produkt in der Werbung materialisierten.
„Die Werbung trägt zur Verschleierung und Kompensation all dessen bei, was in der
Gesellschaft undemokratisch ist. (...) Die Werbung wächst zu einer Art Philosophie
aus. Sie erklärt alles in ihrer eigenen Sprache - sie interpretiert die Welt.“
( John Berger, SEHEN, das Bild der Welt in der Bilderwelt, 1972)
Darsteller: Joy Lin, Bastan Wilplinger,Ton: Klaus Kellermann, Musik: Daniel Benedek, Wolfgang Huber,
Licht:Georg Deimel, Alexander Pochobradsky, Set: Veronika Merlin, Anna Mitterer, Maske: Gerda Fischer,
Produktions Assistent, Standfotos, Digitale Bearbeitung: Markus Hafner, Drehbuch, Kamera, Schnitt:
Anna Mitterer
Dank an MICHAELA RATHBAUER, KURT MAYER - kurt mayer film wien, ZENO STANEK kaiser verlag wien, PAUL
BOGATAJ KURT JANCIK LGL wien, GEORG DEIMEL, VERONIKA MERLIN, AKADEMIE DER BILDENDEN KÜNSTE WIEN
SONATE
2008
16mm übertragen auf DVD
6:20 min
Originalmusik zum Film von Alexander Wagendristel
„Wie es eine Geometrie im Raume gibt, so gibt es eine Psychologie in der Zeit
(...)“ (Marcel Proust, Die Gefangene)
Die Violinsonate von Vinteuil, die wie der Komponist selbst fiktiv ist, zieht sich
durch Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ wie ein Leitmotiv.
Ich bat den Wiener Komponisten Alexander Wagendristel eine komplett freie
Neukomposition auf Grund Prousts Beschreibungen nicht nur der Sonate selbst,
sondern ihrer Rezeption, zu schaffen. Die Bildsprache des Films entstand aus der
Musik heraus. Man versuchte die Violinsonate zu Musik von César Franck, Camille
Saint Saens und sogar Richard Wagner in Bezug zu setzen, doch dies ist ein
sinnloses Unterfangen, weil die Sonate ganz dem Mikrokosmos Prousts verhaftet ist
und nur in ihm entstehen kann.
Die Erinnerung wird ermöglicht durch das, was der Augenblick, wo man sich erinnert,
mit dem Augenblick, an den man sich erinnert, gemeinsam hat. In Marcel Prousts
„Eine Liebe von Swann“ wird das erneute Hören des kleinen Themas von Vinteuil für
Swann zur Auferstehung der Vergangenheit. Es ist nicht nur das „l’air national
de leur amour“, die Nationalhymne seiner Liebe zu Odette, sondern führt ihn zum
Bewusstsein einer unsichtbaren Realität, die er zuvor nicht gekannt hatte.
Wie Marcel selbst, der später in „Die Gefangene“ beim Hören des Septetts von
Vinteuil Ähnliches erlebt, bewirkt das Kunstwerk ein Bewusstwerden ihrer eigenen
Identität. Das Kunstwerk wird zur Poetisierung der Wirklichkeit, wenn man darunter
kein nachträgliches Hinzufügen, sondern eine Rückerstattung eines ursprünglichen
Gehaltes von Wirklichkeit versteht.
Dieses Gemeinsame in der Erinnerung von Gegenwart und Vergangenheit bezeichnet
Proust als das Immaterielle, dieses zwei zeitlich entfernte Augenblicke Verbindende,
als die außerzeitliche Essenz der Dinge. SONATE stellt den Mikrokosmos eines
Momentes dar, in dem es zu einer Analogie von Vergangenheit und Gegenwart kommt
und entwirft den innerlichen Vorgang der Rezeption in seiner Bildhaftigkeit. Der
Akt der Erinnerung wird reflektiert in der Bewegung der Kamera durch den sich
wandelnden Raum. Es geht es aber auch darum, wie ein Ort nicht nur der Welt des
Raumes zugehörig ist, in dem wir ihn denken, sondern wie er als schmaler Ausschnitt
der Erinnerung, dem Bild, dem Augenblick unterliegt.
“Die wiedergefundene Zeit in reinem Zustand ist in den Zeichen der Kunst begriffen
(...) Was die Kunst uns wieder finden lässt, ist die Zeit, wie sie in der Essenz
zusammengerollt ist, wie sie in der eingeschlossenen Welt der Essenz geboren wird,
identisch mit der Ewigkeit.“ (Gilles Deleuze, „Proust und die Zeichen“)
Im Film SONATE geht es nicht um die Rekonstruktion der Sonate von Vinteuil, sondern
um das Beschreiben eines mentalen Prozesses, dem Moment der memoire involontaire,
der unwillentlichen oder intuitiven Erinnerung. Aber eben auch um den Moment der
Rezeption; wie der innere Vorgang der Rezeption eines Kunstwerkes mit den Mitteln
von Bild und Ton reflektiert werden kann. Im Film versuchte ich den Zuschauer zu
veranlassen, immer wieder neue Hypothesen bezüglich seiner kausalen, zeitlichen
und räumlichen Widersprüche formulieren zu können.
Sonate
Anna Mitterer 2008, 6:20 min, 16mm/DVD
Original Score by Alexander Wagendristel
(Hommage à Vinteuil)
Violin
Piano
Recording Engineer
Camera
Editing
Swann
Odette
Bojidara Kouzmanova
Kaori Nishii
Heinz Kohlbauer
Peter Pulker
Silvia Schönhardt
Alexander Emanuely
Anna Mitterer
Der Film „Sonate“ wurde unterstützt durch eine Förderung des Otto Mauer Fonds Wien
und durch die Satel Film, Wien. Die Musik wurde unterstützt durch eine Kompositionsförderung des bm:ukk, österreichisches Bundesministerium für Unterricht, Kunst
und Kultur.
LE TEMPS SENSIBLE
ursula blickle videolounge KUNSTHALLE WIEN 2008
Zusammengestellt von Anna Mitterer und Mathilde Roman (Text: Anna Mitterer)
Juste le Temps (Nur die Zeit), Robert Cahen, 1983, 12:45 Min.
Je ne me souviens plus (Ich kann mich nicht mehr erinnern), Sabine Massenet,
2002, 4:30 Min.
Passenger, Jutta Strohmaier, 2004, 15 Min.
What do I know, Sejla Kameric, 2007, 15 Min.
Loss, Hans Op de Beeck, 2004, 11 Min.
V’là le plaisir ! (Hier die Freude!), Veronique Aubouy, 2008, 10:25 Min.
Sonate, Anna Mitterer, 2008, 6:20 Min.
„Proust bedient sich folglich kinematographischer Begriffe: die Zeit lässt ‘den
Schein ihrer Laterna Magica über (die Körper) hingleiten’ und die Einstellungen
in der Bildtiefe koexistieren.“ (Gilles Deleuze, Das Zeit-Bild, Kino 2, S.58,
1985)
Das video des monats #42 ist eine Zusammenstellung von Arbeiten unter dem Titel
„Le Temps Sensible“ und begibt sich auf die Spurensuche nach Marcel Prousts
Zeitphilosophie in der Videokunst. Obwohl einige der Arbeiten keinen direkten
Bezug zu Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit aufweisen, zeigen sie
jedoch Querverweise und Verbindungen zur Proustschen Dimension. Durch den Dialog
der gezeigten Arbeiten ergeben sich Fragen, die in der Kontinuität von Marcel
Prousts Suche nach der verlorenen Zeit stehen. In seinem Erinnerungswerk entwickelt
Proust eine Zeitphilosophie, in der die Vergänglichkeit letztlich überwunden wird.
Die Zeit stirbt nicht, wie es anfänglich scheint, sondern bleibt dem Menschen
einverleibt. Körper und Geist sind Zeitbehälter, die „vielfach gestützt eine
gebrechliche kostbare Wirklichkeit tragend: das Bild“ transportieren. Prousts
erstes Thema ist die Zeit, die zerstört, sein zweites die Erinnerung, die bewahrt.
„Wie es eine Geometrie im Raum gibt, gibt es auch eine Psychologie in der Zeit,
[…].“ Trotzdem unterliegt die Zeit nicht äußeren Gesetzmäßigkeiten. So wie die
Suche nach dem Verlorenen sich nur in uns vollziehen kann und die reale Welt als
solche nicht existiert, ist auch die Zeit elastischer Natur; das Erleben verkürzt
oder dehnt sie aus.
„Die Zeit, über die wir täglich verfügen, ist elastischer Natur; die Leidenschaften,
die wir an uns selbst erleben, vermögen sie auszudehnen, die, die wir andern
einflößen verkürzen sie, die Gewohnheit füllt sie aus [...]“ (M. Proust, Im Schatten
junger Mädchenblüte, 1918)
Juste le Temps von Robert Cahen (geb. Frankreich 1963) zeigt eine traumähnliche,
impressionistische Zugreise durch die französische Landschaft. Die durch elektronische
Nachbearbeitung herbeigeführte malerische Abstraktion der am Abteilfenster
vorbeiziehenden Landschaft steht der fragmentierten, angedeuteten Narrative der
Begegnung einer Frau und eines Mannes im Zug gegenüber. Cahen manipuliert Bilder
und Ton. Er schafft dadurch einen Übergang zwischen Vorstellung und Zeitlichkeit.
Die Reise ist eine Abstraktion und verweist auf eine transformierte Realität und
ihre Vergänglichkeit. In Juste le temps ist die Zeit einer unerfüllten Sehnsucht
unterworfen und auch die durch elektronische Nachbearbeitung impressionistisch
anmutende Landschaft verweist auf eine innere, von der äußeren Realität losgelöste
Zeitlichkeit.
„Ihre Bilder kommen nicht allein ungerufen, es handelt sich vielmehr in ihr um
Bilder, die wir nie sahen, ehe wir uns an sie erinnerten.“ (Walter Benjamin zur
mémoire involontaire bei Proust)
Je ne me souviens plus von Sabine Massenet (geb. Frankreich 1968) beschäftigt sich
mit dem Rekonstruieren von Vergangenheit. Den Kindern wurde eine Geschichte erzählt.
Der Prozess der Rekonstruktion einer Narrative wird dargestellt im Augenblick,
wenn dieser nicht mehr möglich ist. Die Kinder, eines nach dem anderen, sprechen
den Satz „Je ne me souviens plus“ - „Ich kann mich nicht mehr erinnern“. Doch es
handelt sich nicht um irgendeine beliebige Form der Erinnerung, sondern um ein
freiwilliges, methodisches Erinnern, das fehlschlägt, und der unwillkürlichen Form
der Erinnerung entgegengesetzt ist.
„…und ich war wie der Reisende, der, da er beim Aufbruch zu einem Ausflug die Sonne
vor sich hatte, bemerkt, wie die Stunden vergangen sind, wenn er feststellt, dass
sie nunmehr hinter ihm steht“ (M. Proust, Im Schatten junger Mädchenblüte, 1918)
Auch in Passenger von Jutta Strohmaier (geb. Österreich 1966) geht es um das perzipierende Bewusstsein, das in seiner Zuwendung auf das je Gegenwärtige in der
Situation des Reisenden, immer nur einen Ausschnitt der Realität wahrnehmen kann
und für den während seiner Fahrt immer schon der gegebene Augenblick in der Nacht
zu verschwinden beginnt, während der kommende noch undurchdringbar ist. „Das nur
spärlich einfallende Licht und insbesondere die Ausschnitthaftigkeit des Blickes
nach außen geben dem Innenraum den Charakter einer Bühne, die sich jedoch mit
Tagesanbruch selbst wieder in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit zu rücken
beginnt. [...] Der Betrachter sieht die Tage vorüberziehen wie ein Reisender, der
seinen Blick aus dem Zugfenster über eine Landschaft schweifen lässt. „(Jutta
Strohmaier)
„Mit den Freuden ist es wie mit den Photographien. Was man in Gegenwart des geliebten Wesens aufnimmt, ist nur ein Negativ, man entwickelt es später, bei sich
zu Hause, wenn man in die innere Dunkelkammer zurückgefunden hat, die zu betreten
verpönt ist, so lange man andere Menschen sieht.“ (M. Proust, Im Schatten junger
Mädchenblüte, 1918)
Loss von Hans Op de Beeck (geb. Belgien 1969) ist eine Animation von überblendeten Photographien, die von einem ins Nächste weisen, als wäre die Erinnerung teil
jedes bestehenden Bildes. Einerseits geht es um jene Desillusionierung mit einer
untergegangenen Welt, jenem „Deluge“, das mit dem ersten Weltkrieg dieser Welt
des 19. Jahrhunderts ein Ende machte, anderseits ist es das Leben selbst, das in
Form des Wiederkehrens in der Arbeit Loss anhand von Bildern der Vergangenheit,
von Straßenzügen, Schlössern, Gartenlandschaften, Ansichten der belgischen Küste
im ersten Weltkrieg, gezeigt wird.
„[...] denn die wahren Paradiese sind Paradiese, die man verloren hat.“ (M.
Proust, Die wiedergefundene Zeit, 1927)
Zwischen dem Vergangenen und nun mehr Wiedergefundenen liegt aber noch jene
in der Wieder-Erinnerung lebendig gewordene Distanz, die erst in den seltenen
Augenblicken, da die außerzeitliche Essenz in Form der Erinnerung eine Analogie zwischen Gegenwart und Vergangenheit schafft, verschwindet. Diese Distanz
scheint in What do I know von Sejla Kameric (geb. Bosnien 1976) aufgehoben, da
die Akteure einer Kindheit und Jugendlichkeit der Vergangenheit, in der Gegenwart, die jedoch auch schon vergangen scheint, wie Erwachsene agieren.
„Amusez-vous mesdames, v’là le plaisir.“ (M. Proust, Die Gefangene, 1923)
Veronique Aubouy (geb. Frankreich 1961) lässt seit 1993 vor ihrer Kamera aus Marcel Prousts „Die Suche nach der verlorenen Zeit“ lesen. Es tragen Leute aus den
verschiedensten sozialen Milieus und an allen möglichen Orten vor. Mehr als ein
Film, ist diese Arbeit eine sich lebenslang wiederholende und gleichende Geste.
Als sie eingeladen war, ein Jahr in Champs Libre (Spielraum) in Rennes/Bretagne
zu wohnen, konzentrierte sie diese Geste auf den Alltag eines Ballungszentrums,
indem sie Menschen an ihren Arbeitsplätzen oder an symbolträchtigen Orten filmte.
V’là le plaisir ist einer von 50 Filmen, die zwischen Oktober 2007 und Oktober
2008 entstanden sind. Die Leser sind nicht nur der Zeitlichkeit des Films unterworfen, sondern in dem sie Marcel Prousts „Die Suche nach der verlorenen Zeit“
vortragen, entsteht ihr eigener persönlicher Zeitraum für diese Lektüre.
„Es ist das kleine Thema von Vinteuil, ich darf nicht hinhören!“ (M. Proust,
Eine Liebe von Swann, 1913)
Sonate von Anna Mitterer (geb. Österreich 1980) bezieht sich auf die fiktive
Violinsonate von Vinteuil, die immer wieder in „Die Suche nach der verlorenen
Zeit“ auftaucht. Die Erinnerung wird ermöglicht durch das, was der Augenblick,
wo man sich erinnert, mit dem Augenblick, an den man sich erinnert, gemeinsam
hat. In „Eine Liebe von Swann“ wird das erneute Hören des kleinen Themas der
Violinsonate von Vinteuil für Swann zur Auferstehung der Vergangenheit, lässt
ihn aber auch seine Liebe zu Odette erneut durchleben. Kernstück der Arbeit ist
eine neu komponierte Interpretation der Sonate von Alexander Wagendristel (geb.
Österreich 1965).
HORTUS INCLUSUS
2007
Pneumatische Installation
Fallschirmseide, Holz, Ventilatoren
Videoprojektion Loop 30 min.
ca. 490x260x40cm
Installationsansicht MAK CAT, Paraflows Festival, UTOPIA, Wien 2008
Fotos: Markus Wörgeter
Die Arbeit setzt sich in visueller und ästhetischer Andeutung mit dem Themenkreis
des „Walled Garden“, des Locus oder Hortus inclusus, wie er auch als Symbol für die
Idee des Gartens als verlorenes Paradies steht, dem geschützten Raum, auseinander
und kreist so auch um die Bedeutungen von Erinnerung, Kindheit und Zeit.
Der Locus inclusus ist auch eine Darstellungsform, die durch die Kunstgeschichte
hindurch als Paradiesgärtlein präsent ist, und bei den Präraphaeliten im England des
19. Jhdt zum romantischen Gegenort zur rasch voranschreitenden Industrialisierung
wird.
Eine Mauer schließt aber auch ein und schließt aus. „Das Wort Mauer kommt von
munire = sich schützen. Die Mauer hat das Geheimnis vor dem Unheimlichen zu
schützen.“(Vilém Flusser), kann aber auch Geheimnisvolles verbergen – The Secret
Garden - Der Hortus Inclusus. Es geht aber auch um das Ausserhalb dieses Hortus
Inclusus.
Die Projektion zeigt das vorerst pastorale Bild eines ummauertes Feldes mit
Schafen. Durch den heftigen Sturm und starkem Sonnenlichteinfall, verändert
sich die Stimmung von einer Sekunde zur anderen und erzeugt dadurch eine fast
apokalyptische Bedrohlichkeit. Befremdend wirkt auch die neue Architektur im
Hintergrund, teilweise aufleuchtend, wie eine Filmkulisse. Dies versucht symbolhaft
ein Spannungsfeld zu erzeugen zwischen dem geschützten Arkadien und der rasant
sich veränderten Außenwelt.
Die Einfriedungen aus Fallschirmseide habe und senken sich durch Lufteinwirkung,
in einem Rythmus der mit der Projekion korrespondiert.
Die Arbeit soll eine visuelle Sprache erzeugen, die entsteht in der Beziehung
zwischen einer Gegenwart zu ihrer Vergangenheit, im Entstehen und Auflösen von
Raum, im Verrinnen der Bewegung in der Zeit. Hortus Inclusus beschäftgt sich mit
der Erklärung, wie ein Ort nicht nur der Welt des Raumes zugehörig ist, in dem
wir ihn denken, sondern wie er als schmaler Ausschnitt der Erinnerung, dem Bild,
dem Augenblick unterliegt.
Technische Umsetzung mit Gilbert Marx, Kunstraum No. 5.
Installation view Swingr Raum auf Zeit, Vienna 2007
Fotos: Roland Icking
EIN BERICHT FÜR EINE AKADEMIE
2007 Doppelprojektion, 2 Videos, Sound
20min loop
Rauminstallation mit Fächerpalmen
2 Aluminiumleuchtkästen mit Stills aus dem Video
Im Naturhistorischen Museum agiert eine junge asiatische Frau vor den toten
Relikten. Im Zoo agiert eine andere eingefroren und unbeweglich vor den selben
lebendigen Tieren als starres Mimikri der anderen. Einmal sind die Tiere tot und
ausgestellt, ein andermal im Käfig ausgestellt, leben jedoch. Identifikation mit
dem Tier und Schweigen.
Wie Kafkas Affe, der Mensch werden muss, um die eingeschränkte Freiheit des
Menschen zu erreichen, die er der menschlich verursachten eingeschränkteren
Freiheit des Tieres vorzieht. Inspiration dazu war unter anderem ein Stich der
vorigen Jahr- hundertwende, welcher Frauen un- terschiedlichster Herkunft in
einer Art Hagenbeck’schen Zooum- gebung ausgestellt zeigt, als Metapher kolonialer
Machtstrukturen, zur Schau gestellt für westliche Männer.
Die Doppelprojektion zeigt zur einen Seite den Zoo, zur anderen das Naturhistorische Museum. Der Schnitt erfolgt synchron.
Gezeigt in „Voyage Sauvage oder Denise hat es gerne, wenn ihr Blick im Rhythmus
der Beinbewegung durch die Landschaft eilt“, Cabaret Renz, Wien, Feb 2007
THERE WERE NOTICES EVERYWHERE: “QUIET”
2006
Flakleitturm Arenbergpark
400×50x40cm
Mixed Media auf Holz, diverse Materialien
Projektion loop 10min
Installations Ansicht, +- 77 Positionen, Flakturm Arenbergpark, Wien 2006
Fotos: Roland Icking
Am Ort entstandene Schachtinstallation mit Projektion An diesem düsteren
unveränderlichen Ort der Versuch, der Architektur, der nichts genommen werden kann,
etwas beizufügen. Der Schacht besteht aus leichtem Holz auf dem die Betonoberfläche
der Wände “malerisch” imitiert wurde. Die Projektion, die sich auf der Originalwand
abspielt, zeigt Gangfahrten durch den Flakturm abwechselnd mit denen durch die
pompösen Belle Epoque Gänge eines barocken Schlosses in Deutschland. Diese “Found
Footage” entstammt dem Film “Letztes Jahr in Marienbad” von Alain Resnais (1963).
Eine Irritation entsteht durch das Wechseln in ähnlicher Schnitt und Kameraführung
zwischen den zwei Szenarien, der reduzierten Architektur des Flakturmes und dem
ornaten des Schlosses. Zwei Entäußerungen der Macht.
Der Schacht ist auch einem Bild ähnlich, das aus der Wand springt und den
Betrachter auf gewisse Weise attackiert. Einerseits integriert er sich in den
Raum, andererseits bleibt seine Funktion absurd, in einer Umgebung, deren
architektonische Sinnhaftigkeit oft ebenfalls fragwürdig bleibt.
THE SEEN WALLS OF LOST EDEN
2006
Video
4.30 min loop
Verloren wie ein Exilant wandert die schwarze Figur eines alten Mannes (dargestellt
von der Künstlerin selbst) auf der Autobahn in die „Nacht des Fortschritts“,
„ausgesperrt aus dem verlorenen Eden“, zwischen den in die Landschaft gesprengten
Kraterwänden. Abwechselnd der souveräne Blick von oben, der die deplazierte
menschliche Gestalt auf der Autobahn fast tragikomisch wirken lässt, und die der
subjektiven Erfahrung
des stolpernden Individuums folgende Kamera. Der Ton forciert diesen Unterschied
(Wind/imaginärer Verkehrslärm).
Der Protagonist könnte einem Beckettschen Drama entlehnt sein, ist aber auch
von der viktorianischen Figur des alternden englischen Kunsttheoretikers und
Sozialkritikers John Ruskin beeinflusst, in diesem Zusammenhang auch der Satz, der
das Video zu einem loop schließt.
John Ruskin war ein einsamer Kämpfer gegen die negativen Auswirkungen der
Industrialisierung, die seiner Meinung nach einen Verlust der menschlichen
Individualität in der Massenproduktion und einen gnadenlosen Umgang mit den
Ressourcen der Natur mit sich brachte. Natur, Landschaft und ihre Identität werden
emblematisch für das verlorene Eden. Der Satz drückt aber auch eine Ambivalenz
aus: „ Infinitely beyond all that we had ever thought or dreamed - the seen walls
of lost Eden could not have been more beautiful to us; not more awful.“
Das Video befinded sich
Medienwerkstatt Wien.
auf
der
Video
Edition
Austria
release
02/2008
der
SWANN AND THE FOX
2005
Video
16.40 min
Marcel Proust: „Ich habe versucht, diese unsichtbare Substanz der Zeit zu isolieren.“
Um diese zu isolieren, füllt Proust die Diskrepanz zwischen dem entfremdeten Ich
und der Erinnerung an ein anderes Selbst mit Bildern. Bilder, die auch das Heimweh
stillen, Bilder, aus denen auch dem Leser erlaubt ist, zu schöpfen.
Walter Benjamin zur mémoire involontaire: „ ...ihre Bilder kommen nicht allein
gerufen, es handelt sich vielmehr in ihr um Bilder die wir nie sahen, ehe wir uns
ihrer erinnerten.“ Die Beschäftigung mit dem Erinnerungswerk von Marcel Proust
beeinflusst seit längerem meine Arbeiten. Es ist die Faszination mit der Erinnerung,
wie sie in Bildern spricht, wie wir sie erst sehen, wenn wir uns erinnern. Wie sie
unwillentlich ausgelöst wird durch Sinneseindrücke. Dieser ineinander gewachsene
Mikrokosmos Prousts, der von den winzigsten Details lebt in dem das Allgemeine das
Besondere wird und umgekehrt.
„Von einem gewissen Alter an sind unsere Erinnerungen derart miteinander verwoben,
daß die Sache, die man im Sinn hat, oder das Buch, das man liest, ganz dahinter
verschwindet. Überall hat man etwas von sich ausgestreut, alles ist ergiebig,
alles birgt Gefahren in sich, und ebenso kostbare Entdeckungen wie in Pascals
Pensées kann man in einer Seifenreklame machen.“ ( Die Flüchtige, Seite 190)
Ein “Stummfilm“: “Swann and the Fox“ basiert auf einer eigenen Klavierimprovisation.
Es handelt sich darum, Bilder sichtbar zu machen, die beim Spielen einprägsam
am inneren Auge vorüberzogen und sie der Musik folgen zu lassen. Eine Art von
visueller Poesie zu schreiben, die sich aus einer „Sekundär“-Erinnerung ergibt,
denn diese ganz persönlichen Bilder gehen auf die Lektüre von Marcel Prousts “Auf
der Suche nach der verlorenen Zeit“, insbesonders “In Swanns Welt“ zurück, nehmen
aber vieles in sich auf von “Die Kinder des Olymp“ , über Cocteau bis hin zu „Tod
in Venedig“.
Gilberte, Swann und Odettes Tochter, mit Marcel in den Gärten der Champs Elysées.
„Swann“ ist mehr eine Situation als eine Person, ein ineinandergewachsener
Mikrokosmos aus Einzeldarstellungen, der zwar vom Detail, aber nicht vom Spezifischen
lebt. Das Video ist ein Versuch, die Erinnerung an einen innerlichen Moment zu
visualisieren, der eigentlich schwer greifbar ist und sich in Ebenen der eigenen
Wahrnehmung abspielt, welche rein assoziativ arbeiten und eigentlich außerhalb
der Zeit. Die Übertragung einer subjektiven Erfahrung von intuitiver Erinnerung in
Bilder, die sich zu einem verschränkten Zeitablauf fügen. Das Finden einer Sprache,
die entsteht in der Beziehung zwischen einer Gegenwart zu ihrer Vergangenheit,
und diese in einer humorvollen Melancholie zu zeigen. Im Video ist jedes Bild,
jedes überlieferte „cliché“ Erinnerung, die Dauer, das Verrinnen der Bewegung in
der Zeit. Eine Pantomime dreier symbolischer Charaktere, eine Zirkulation aus
surrealen Andeutungen und Requisiten: der Schnurrbart des Liebhabers oder doch
väterlichen Freundes Swann , der rote Reifen der Kind-Frau, gleichzeitig Marcel
und Gilberte, der Fuchsschweifpinsel der „Kokotte“. Eine kleine Paraphrase auf die
Kunst und auch die Kindheit, welche in der Erinnerung weilt.
Video/Musik von Anna Mitterer Interpreten: Joy Lin Alexander Emanuely
Anna Mitterer
IKONOKLAST
2007
Video
2:40 min loop
Dem Video liegen Gemälde von bürgerlichen Frauen hinter Staffelei, des ausgehen
19. Jahrhunderts zu Grunde. Es ist ein Endlosfilm immer wiederkehrender
Weiblichkeitsbilder. Ein „Fräulein“, in aller Restriktion der Erziehung bügerlicher
Töchter des 19. Jahrhunderts, malt an einer Staffelei en plein air und ist dabei
selber im Video, Bild. Die idyllische Stimmung schlägt jedoch um, das Malen wird
immer aggressiver und endet in einem Akt des Ikonoklasmus. Jedoch bewegt sich das
Verhalten zwischen manieriertem „Ausdruckstanz“ und symbolischer Körpersprache
eines Ausbruchversuchs. Der bereits bestehende Anachronismus dieser Arbeit, welche
durch das Mittel Video ein romantisches Bild erzeugt, wird durch dieses Verhalten
weiter ad absurdum geführt. Aber das Bild kehrt wieder und wieder.
THE TRUE PARADISES...
...ARE THE PARADISES WE HAVE LOST
2004
2 hölzerne Schilder mit Inkjetprints
200 x 84 cm
Dies ist ein Zitat aus „Swanns Welt“. Die Arbeit ist durchaus ironisch gemeint.
Vielleicht kommen Paradiese ohnehin erst in der Erinnerung zustande, wenn sie schon
längst entschwunden sind. Das erste Bild, ein Erinnern zurück an den zukünftigen
Ort, das zweite, die Erinnerung in der Gegenwart, das Entstehen des Paradieses im
Bild. Die Wahrnehmung der Diskrepanz zwischen dem gegenwärtigen entfremdeten Ich
und einem entrückten Selbst in der bildhaften Erinnerung als Heimweh.
War teil der Ausstellung „c2“ in der Crawford Municipal Art Gallery, Cork
2005-European Capital of Culture.
CZERNOWITZ LES TEMPS RETROUVÉS
(HOMMAGE À MARCEL PROUST)
avec des poèmes d’alexis emanuely lus par felix mitterer
acryglasbuch mit integriertem bildschirm
video 30 min.
2003 20 x 15 x 5cm
holzbuch mit integriertem bahnhof
2003 55 x 40 x 11cm
Czernowitz? Ein Ort fast schon von mystischer, doch verworrener Bedeutung,
ehemals irgendwo in der K.u.K. Monarchie, am östlichsten Rand Österreichs.
Heute am westlichsten Rand der Ukraine. Hauptstadt der Bukowina. Eine geeignete
Projektionsfläche für Identitätssuche, für Suche überhaupt, auch nach den verlorenen
Zeiten.
Es war eine Reise auf den Spuren eines Großvaters, dem unbekannten Vater meines
Vaters. Czernowitz, das „Zeitgehöft“ (Paul Celan). Einmal lebten dort Ruthenen,
Rumänen, Polen, Deutsche, Roma, Österreicher, verschiedener Religionen. Einmal
waren dort Kaffeehäuser, wie man sie besser in Wien nicht findet. Czernowitz ein
von Vergangenheit geprägter Ort, dessen wechselnde Staatenzugehörigkeit und auch
schmerzvolle Geschichtlichkeit sich immer auch in der Empfindung von „Verlorenem“
zeigt.
Die Arbeit Czernowitz les temps retrouvés beschäftigt sich mit der Zeit, der
Erinnerung, der Kindheit, der Reise, der Suche nach Identität und deren Erfindung,
aber nicht zuletzt ist sie eine Hommage an Marcel Proust.
„Die Tage der Vergangenheit überdecken allmählich alle, die auf sie folgen. Doch
jeder Tag von früher bleibt in uns hinterlegt wie in einer unendlich großen
Bibliothek, in der auch noch von den ältesten Büchern jeweils ein Exemplar
existiert, nach dem wahrscheinlich nie ein Mensch fragen wird. Wenn jedoch
dieser alte Tag dann gleichwohl die durchsichtige Schicht der späteren Epochen
durchsteigt, wieder an die Oberfläche dringt, sich weit in uns ausdehnt und sich
über alles ergießt, nehmen die Namen von früher für einen Augenblick ihre alte
Bedeutung wieder an, ...“ (Die Flüchtige S.192)
Die Arbeit baut auf dem Videomaterial auf, aufgenommen aus dem Fenster der Abteils
während der 16stündigen Zugreise in die Ukraine. Sechs Stunden sieht man Tag Nacht
und Nacht Tag werden. Die Landschaft könnte oftmals vielerorts sein, doch der
„Soundtrack“ projeziert den innerlichen Vorgang der Bedeutungszuweisung in sie
hinein, der aber das Rattern des Zuges nie völlig übertönt. Es sind Lieder, die
man im Ohr hatte im ukrainischen Liegewagen, immer wiederkehrend. In „Im Schatten
junger Mädchenblüte“ gibt es die Beschreibung einer Zugfahrt, der Zug fährt durch
die Zeit, die Zeit im Zug ist eine andere als außerhalb des Zuges. Der Zugfilm
auf dem kleinen Bildschirm ist eingeschlossen in einem durchsichtigen Buch. Es
liest sich von selber. Das zweite Buch steht im starken Gegensatz zum ersten.
Es ist sozusagen „lowtech“. Ein hölzernes Buch, gefüllt mit einem verrosteten
Modelleisenbahnhof. Kein Videokabel tritt aus dem Buch aus, sondern die Drähte
der kleiner Bahnhoflampen.
An der Grenze von Ungarn zur Ukraine, mitten in der Nacht, erreicht man Terminal
Karpaty, einem eigentümlichen gigantischen Bahnhof wo mit dutzenden Kränen die
Wagons in die Luft gehoben werden, um sie auf den richtigen Fahrtuntersatz für
das Schienensystem der ehemaligen Sowjetunion zu setzen. Diesen Ort sieht man
schemenhaft am Anfang der Videosequenz. So mit einer dicken postsowjetisches das
Innere eines eines berühmten Buches des Verlagshauses Gallimard: Marcel Proust,
Le temps retrouvé, die Erstausgabe von 1927, die nicht ohne Ironie etwas verändert
wurde.
So ist er im Holzbuch, im Kindheitsformat nachgebaut, mit einer Rostschicht
überzogen. Terminal Karpaty, ein rostiges postsowjetisches Monument im Maßstab
der Erinnerung modellhaft in das Innere eines Buches verbannt. Beide Bücher tragen
das Äußere eines berühmten Buches des Verlagshauses Gallimard: Marcel Proust, Le
temps retrouvé, die Erstausgabe von 1927, die nicht ohne Ironie etwas verändert
wurde.
Das Acrylbuch ist graviert, das Holzbuch in originaltreueres Papier eingehüllt.
Eine Reise in eine Erinnerung, die nicht die unsere ist, wie Benjamin meint schafft
die Erinnerung Bilder, die man so vorher nie gesehen hat. Czernowitz bedeutet
Vieles, es steht für das „Verlorene“, das „Abhandengekommene“.
Die Arbeit ist auch der Versuch einer Reflektion über die Bedeutung des Geschriebenen,
des Buches, über das Lesen im Bezug zu anderen Medien.
OPHELIA LERNT SCHWIMMEN
2003
Installation (mit Conny Kiro Cossa) Metall, Kunststoff, Gras,
Lichtkörper, Wasser
Photographien - Ophelia
400x400x300cm
Ausstellung in den gotischen Räumen des Hauses Sonnenfelsgasse 3,
Wien
Es ist kaum möglich, Ophelia ohne ihr Schicksal, ohne ihren Tod zu denken, doch
wir wollen genau dies versuchen. Der Mythos des weiblichen Wahnsinns, der tragisch
enden muß, wird gebrochen und zwar durch die Realität eines subjektiven, sich
befreienden Daseins. Der individuelle Kreislauf nabelt sich vom Äusseren, dem
gesellschaftlichen und unterdrückenden ab. Die eigene Identität, ein innerer
Kreislauf wird gefunden. In ihm fließt alles, aber diesmal für Ophelias Leben. Sinn
und Bedeutung entsteht im Menschen und seiner Geschichte. Selbstbestimmung gibt
es erst hinsichtlich einer eigenen geschichtlichen Situation, die sich jeweils
als Totalität darstellt und von Möglichkeiten und Notwendigkeiten des Seins, des
Handelns und des Werdens bestimmt wird. So entsteht der Bruch mit dem historischen
Kontinuum und mit der Shakespaerischen Projektion. Alles ist in Bewegung, alles
fließt und Ophelia fließt mit.
Es wird ein Kontrast gezeichnet: zwischen dem Äusseren, gesellschaftlichen,
familiären, fremdbestimmenden Kreislauf, jenem der Gewalt und der Herrschaft; und
dem Inneren, individuellen, jenem der Befreiung. So wie das Leben des Individuums
und der Gesellschaft dialektisch zueinander stehen, stehen diese zwei Kreisläufe
zueinander. Denn der ÄUSSERE Kreislauf sind die Betrachter selbst, inklusive
der Künstler, die versuchen die Annabelung, genauso wie die Abnabelung Ophelias
abzubilden. Shakespeares Abbildung förderte Ophelias Untergang, sie wurde zum
Synonym für ästhetisierten Wahnsinn, vor allem im 19. Jahrhundert wird sie in der
Kunst (z.B. im Gemälde von Millais) zur Ikone der Hysterikerin; unsere Wiederholung
von Ophelias Geschichte will das Bewußtsein für ihr Leben, will ihrem Leben und
somit der befreienden Bewältigung der Weiblichkeit zum Durchbruch verhelfen. Bei
Hamlet dominiert der ÄUSSERE Kreislauf, doch Ophelia lernt nur schwimmen, wenn der
INNERE dominiert. Der KUBUS stellt den INNEREN Kreislauf dar, welcher entgegen dem
Vorurteil lebensfähig bleibt und sogleich als Angriff des faktisch unfreien und
ohnmächtigen Individuums auf einen anarchischen und Rollenprozess zu sehen ist.
Der Kubus versucht eine Darstellung der Befreiung von der Rolle in einer
Rollengesellschaft in der Abkoppelung aus einer von Abhängigkeiten und Entfremdungen
bestimmten Welt.
Nur durch die Identitätsfindung im eigenen, inneren Kreislauf entkommt der Mensch,
entkommt Ophelia ihrem Schicksal, entkommt sie der Männerphantasie. Ophelias
sozusagen physischer und psychischer „Organismus“ wird in Form eines WasserKreislaufes somatisiert - Wasser als Identifikationsmittel mit der Figur Ophelia
– ins Wasser gehen wird durch die Literatur ein Sinnbild für den ästhetisierten
weiblichen Tod - über Wasser bleiben jedoch Sinnbild des Lebens und des Überlebens.
Das Schwimmen lernen wird Sinnbild des Könnens. Ein gitterartiges Raster aus
Stahlseilen wird auf halber Höhe des Raumes gespannt. An ihm hängen Behälter, aus
denen ständig Wasser in darunterliegende Becken aus verschweißter Plastikfolie
tropft. Diese sind untereinander mit transparenten Schläuchen verbunden, durch
die das Wasser wieder in obiges Behälter-System gepumpt wird, ein perpetuummobile- artiger Kreislauf, Ophelias Kreislauf entsteht. Die andauernd fallenden
Tropfen sind jene, die immer wieder zurück nach oben finden, niemals untergehen,
untergehen können. Beim Eintritt in den Raum wird der Betrachter zum Teil des
dargestellten Kreislaufs, der bei der ersten Konfrontation noch in die ÄUSSEREN
Welt gehört. Doch durch Bild, Licht, Raum, Form und Ton verdichtet sich die
Betrachtung zu einer Emotion der Befreiung der Betrachter kann Ophelias lebendige
INNENWELT entdecken.
OPHELIA
2001
7 Fotos
on aluminium
90x50cm