HELIOS Rehazentrum Bad Berleburg Rothaarklinik
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HELIOS Rehazentrum Bad Berleburg Rothaarklinik - Fachklinik für Psychosomatik, Psychotherapie und psychiatrische Rehabilitation Medizinisches Konzept HELIOS Rehazentrum Bad Berleburg Rothaarklinik Stationäre Rehabilitationsbehandlung von Patientinnen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung – Ein störungsspezifisches und Therapieschulen integratives Konzept Inhalt 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Das Störungsbild der Borderline-Persönlichkeitsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.1 Definition des Krankheitsbildes anhand der Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.2 Psychodynamische Betrachtungsweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.3 Der traumatherapeutische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.4 Die verhaltenstherapeutische Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.5 Die integrative Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3. Grundlagen der Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3.1 Der tiefenpsychologisch-interaktionelle Ansatz nach Streeck . . . . . . . . . . . . . . . 14 3.2 Der traumazentrierte Therapieansatz nach Reddemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3.3 Der dialektisch-behaviorale Therapieansatz nach Linehan . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3.4 Das schulenübergreifende Konzept nach Herpertz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 4. Die Einbindung der Behandlungskonzepte in den Rahmen der psychosomatisch-psychiatrischen Rehabilitation . . . . . . . . . . . 23 5. Behandlungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 5.1 Zielgruppe – Behandlung von Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 5.2 Warum eine stationäre Behandlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 5.3 Personelle und räumliche Ausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 6. Ablauf der Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 6.1 Anmeldung,Vorgespräch und Aufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 6.2 Diagnostische Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 6.3 Herstellung eines Arbeitsbündnisses und Formulierung von Therapiezielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 6.4 Prozesscharakter der stat. Rehabilitation und Behandlungsende . . . . . . . . . . . . 27 7. Behandlungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 7.1 Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 7.1.1 Einzeltherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 7.1.2 Gruppentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 7.1.3 Künstlerische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 7.1.4 Familien- und paartherapeutische Behandlungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 7.1.5 Entspannungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2 7.2 Ärztlich-medizinische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 7.3 Testpsychologische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 7.4 Pflegeaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 7.5 Stationsübergreifende körpertherapeutische Behandlungselemente . . . . . . . . . 30 7.5.1 Sporttherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 7.5.2 Physiotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 7.5.3 Reittherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 7.6 Rehabilitationsspezifische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 7.6.1 Sozialberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 7.6.2 Ergotherapie und kognitives Training . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 7.6.3 Berufsbezogene Belastungserprobung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 7.7 Milieutherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 7.8 Freizeitgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 7.9 Angebot für Mütter mit Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 8. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3 Dr. Dr. Peter Bagus* Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Chefarzt Dr. med. Jochen Wehrmann Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie – Rehawesen Facharzt für Dermatologie – Allergologie Dr. Jiménez-Härtel Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie – Rehawesen Facharzt für Dermatologie – Allergologie * jetzt Oberarzt in der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der LWL-Klinik Dortmund, Universitätsklinik der Ruhruniversität Bochum. 1. Einleitung Wenn im ICD - 10 unter der Diagnose emo- Ihr selbst- und fremddestruktives Verhalten tional instabile Persönlichkeitsstörung vom kann unter Umständen bedrohliche Ausmaße Borderline-Typ (F60.31) neben einigen Kenn- annehmen. Im Umgang mit Geld, mit Alkohol zeichen emotionaler Instabilität von einer und Drogen, mit Essen oder im Bereich von Störung des eigenen Selbstbildes sowie der Sexualität neigen sie zu impulsivem und Ziele und inneren Präferenzen gesprochen selbstschädigendem Verhalten. ... wird, so handelt es sich letztlich um ein sehr breites Spektrum von Symptomen und Beein- Viele Patienten mit einer Borderline-Störung trächtigungen unterschiedlichen Ausmaßes leiden unter vielfältigen, mal mehr beschrie- und unterschiedlicher Intensität. benen, mal mehr diffusen Ängsten, vor allem unter der ausgeprägten Angst, ver- Streeck (2000) beschreibt beispielhaft die lassen zu werden. Symptomvielfalt bei Borderline-Störungen: Obwohl sie es nur schwer ertragen können „Neben quälenden Leeregefühlen stehen alleine zu sein, stoßen sie andere Menschen Phasen relativen Wohlbefindens. Sie können leicht vor den Kopf, weisen freundlich scheinbar unvermittelt umschlagen in Gefühle gemeinte Annäherungen kalt und schroff von Niedergeschlagenheit, Depressivität, ab und geben dem Anderen zu verstehen, Selbstverachtung, Selbsthass und schlimms- dass er ihnen gleichgültig ist, sehen ver- tenfalls Ekel vor sich selbst. ... ächtlich auf ihn herab und scheinen so zu dokumentieren, dass sie autark sind und Was wie Enttäuschung und Traurigkeit niemanden brauchen. aussehen mag, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen oft als ein körpernah empfundener Zugleich sehnen sie sich nach Nähe, nach Zustand diffusen und quälenden Missbeha- vertrauensvollen Beziehungen, nach Gehal- gens, als ein undifferenziertes Gemisch von tenwerden und nach Zuneigung. ...(gleich- Kränkung, Wut, Hass, Verzweiflung und zeitig) attackieren sie den, mit dem eine gute Selbstverachtung, ohne dass diese Gefühle Beziehung entstehen könnte, nicht selten jeweils als solche empfunden werden. ... so heftig, dass der Andere sich zurückzieht. Auf diese Weise bestätigen sie sich, dass ihre Manche von ihnen können ihre heftige Wut – Angst, verlassen zu werden, realistisch ist.“ oft eine Folge von Gekränktheit – mit Worten ausdrücken, ohne dass es zu aggressiven und Die Beziehungen zu anderen sind ebenso destruktiven Attacken kommt; andere können instabil und von plötzlicher Annäherung den Ausdruck wütender Affekte kaum kont- und ebenso abrupter Distanzierung und rollieren und steuern; Gefühle und Handeln Entwertung gekennzeichnet wie auch das fallen bei ihnen gleichsam in eins. Selbsterleben von Gefühlen durchzogen wird, 4 keine klare Vorstellung von sich selbst zu haben und sich zeitweise so wenig zu spüren, dass nur durch Selbstverletzungen diesen unerträglichen Spannungszuständen Einhalt geboten werden kann. Angesichts der Komplexität dieses Störungsbildes und der Vielfalt der Symptomatik und Beschwerden ist Streeck sicher darin zuzustimmen, dass sich die Borderline-Störung in besonderer Weise dazu eignet, die Diskussion zwischen verschiedenen psychotherapeutischen Richtungen zu fördern, zumal ein einziger therapeutischer Zugangsweg allein oftmals nicht ausreicht. Dieser Notwendigkeit will die Rothaarklinik durch das hier vorgelegte störungsspezifische und therapieschulenintegrative Behandlungskonzept im Rahmen der Rehabilitation Rechnung tragen. 5 2. Das Störungsbild der Borderline-Persönlichkeitsstörung 2.1 Definition des Krankheitsbildes Komorbidität: anhand der Leitlinien Vorwiegend mit affektiven Störungen und Im Rahmen der Leitlinie Psychosomatische Essstörungen, weiterhin mit Abhängigkeits- Medizin und Psychotherapie (2000) ist die erkrankungen, Angststörungen, dissoziativen Borderline-Persönlichkeitsstörung durch Störungen, posttraumatischen Symptombil- folgende Kriterien definiert: dern und anderen Persönlichkeitsstörungen. • ein überdauerndes Muster von emo- 2.2 Psychodynamische Betrachtungsweisen tionaler Instabilität und Impulsivität Im Rahmen psychodynamischer Theorien • inkonstante und krisenhafte Beziehungen wird die Borderline-Persönlichkeitsstörung • ausgeprägte Angst vor dem Verlassen- unter Einbeziehung entwicklungspsychologi- werden • impulsive – häufig auch selbst- scher Gesichtspunkte als so genannte strukturelle Störung verstanden. Damit ist eine schädigende – Verhaltensweisen wesentliche Einschränkung bezüglich Stabili- • instabile und wechselhafte Stimmung tät und Reife der Persönlichkeitsorganisation • multiple und wechselnde gemeint. Im emotionalen Bereich sind struk- psychogene Beschwerden turelle Störungen gekennzeichnet „durch die • Identitätsunsicherheit eingeschränkten Fähigkeiten des Selbstver- • dissoziative und paranoide ständnisses und der Affektregulierung, d.h. Symptome unter Stress der Fähigkeit, das eigene innere System und das System der interpersonellen Beziehungen Folgende Differenzialdiagnosen zu regulieren“ (Rudolf 2004). werden genannt: Andere Autoren sprechen von Einschrän- • Prodromi psychotischer Störungen kungen bei den so genannte „Ich-Funktio- • dissoziative Störungen nen“, z.B. Kernberg (1979): Es handelt • rezidivierende affektive und sich um Einschränkungen z.B. in folgenden bipolare Störungen Bereichen: Affektdifferenzierung, Affekt- • posttraumatische Belastungsstörungen generierung, Affekttoleranz, Selbstreflexion, • andere Persönlichkeitsstörungen Impulssteuerung, Selbstwertregulierung, Objektwahrnehmung, Empathiefähigkeit, Epidemiologie: Affektausdruck, Affektverständnis, Realitäts- Die Prävalenz beträgt zirka 1,5 bis 2 Prozent prüfung und Urteilsfähigkeit. der Allgemeinbevölkerung. 6 Dass in diesen Bereichen erheblich einge- Selbst- und Objektrepräsentanzen zu bilden schränkte Fähigkeiten zur Selbst- und Bezie- und negative wie positive Aspekte der Sicht hungsregulation beinahe regelhaft erhebliche von sich selbst und anderen zu integrieren“ interpersonelle Schwierigkeiten mit sich (Buchheim 1999). bringen, liegt nahe. Nach Streeck (2000) manifestieren sie sich vor allem im Kontakt mit Vielmehr bringt die Borderline-Persönlich- anderen und können daher auch „Interakti- keitsorganisation das Vorliegen von Teil- onsstörungen“ bzw. „Störungen des Sozialen“ Objekt-Beziehungen mit sich, wobei „die genannt werden. Diese Patienten sind nicht in Repräsentanz des Selbst und des Objektes in der Lage, den Anderen in seiner Ganzheit als eine idealisierte und eine verfolgende Kompo- eigenständige Person mit eigenen Bedürfnis- nente gespalten wurden – im Gegensatz zur sen und Ansichten wahrzunehmen und sind normalen Integration von guten oder lieben- gleichzeitig nicht in der Lage, ihre affektiven den sowie bösen oder hasserfüllten Repräsen- Signale ihren bewussten Wünschen entspre- tanzen des Selbst und bedeutsamer anderer“ chend einzusetzen. Vielmehr verhalten sie (Kernberg 1995). sich diesen häufig entgegengesetzt. Kennzeichen dieser Borderline-PersönlichStreeck (2002) zufolge handelt es sich um keitsorganisation ist in diesem Zusammen- eine Reproduktion von frühen traumatischen hang das Vorherrschen so genannter primiti- Erfahrungen der Interaktion mit Anderen, ver Abwehrmechanismen, insbesondere von die einerseits wesentlich für die Entstehung Spaltung. In dieser Diktion ist es unbewuss- der Pathologie sind, die andererseits jedoch tes Ziel des Ichs, mittels der so genannten nicht dem Bewusstsein zugänglich sind. So Spaltung Teilobjekt-Beziehungen nach dem kommt es zu Beziehungssignalen, die für das Entweder-Oder-Denken aufrecht zu erhalten, Gegenüber missverständlich sind. Daraus auf Grund der Unfähigkeit „die Tatsache aus- resultieren Handlungen des Gegenübers, die zuhalten, dass die primären Bezugspersonen, wiederum schwer zu ertragen sind für den in erster Linie Vater und Mutter, nicht nur strukturell gestörten Menschen. Es resultieren freundlich liebevoll dem Kind zugewandt teilweise unerträgliche Erregungs-Spannungs- sind, sondern auch an sich selbst denken .... zustände, die mit schweren Verlassenheits- auch ungerecht und willkürlich sein können. gefühlen und Selbstverletzungstendenzen Das ist deshalb so bedrohlich, weil dadurch einher gehen können. das gute Objekt (das psychische Erleben desselben) unter Umständen so tief erschüt- Kernberg sieht als Ursache bzw. Hauptkenn- tert werden kann, dass es als ausgelöscht zeichen der Borderline-Persönlichkeitsor- erscheint. Existiert es aber nicht mehr, so tritt ganisation die Identitätsdiffusion. „Unter nur noch das böse Objekt auf. Ein unreifes Ich Identitätsdiffusion ist die Schwierigkeit oder ist dieser Situation nur bedingt gewachsen“ Unfähigkeit zu verstehen, kohärente innere (Kind 2000). 7 Durch das unbewusst aktive Phänomen der Ähnlich fokussiert Rudolf auf die Entwick- Spaltung oder durch eine Reihe anderer un- lung struktureller Fähigkeiten in der thera- bewusster miteinander kombinierter Aktivi- peutischen Beziehung. Er nennt 8 Therapie- täten (Abwehrmechanismen), wie z.B. Idea- ziele, deren Rangfolge individuell abgestimmt lisierung durch Übertreibung von Vorzügen werden muss (Rudolf 2004, S. 157): und Ausblendung von Nachteilen, oder beispielsweise durch Projektion eigener guter Seiten auf dieses Objekt und Hineinnahme ins eigene Ich per Introjektion, gelingt es, so • Das Verhalten und Erleben als Muster sehen lernen. • Das Verhaltensmuster als emotionale genannte einseitig gute bzw. einseitig schlech- Antwort auf eine aktuelle (äußere oder te Teil-Objektvorstellungen zu entwickeln. innere) Situation sehen lernen. Auf Grund der mangelnden Kapazität Gutes und Schlechtes nebeneinander zu tolerieren, gelingt es auf diese Weise „dem Guten und • Herausarbeiten eines funktionellen Schemas. • Das affektive Schema als etwas biogra- dem Bösen die benötigten getrennten Räume phisch Gewachsenes akzeptieren, das zuweisen zu können“ und „das Gute vor dem auch Bewältigungsversuche beinhaltet. Untergang zu bewahren“ (Kind 2000). • Die heutige Funktionalität/Dysfunktionalität des Verhaltensmusters untersuchen: Trotz gemeinsamer psychodynamischer Orientierung der genannten Ansätze unterschei- was nutzt es, was schadet es? • Das Verhaltensmuster als etwas den sie sich bezüglich der therapeutischen Eigenes akzeptieren und Verantwortung Zielsetzung durch unterschiedliche Akzentu- dafür übernehmen ierungen. Für Streeck (2002) geht es (mittels • Alternative Möglichkeiten erproben. der psychoanalytisch interaktionellen Grup- • Die therapeutische Situation penpsychotherapie) darum dazu beizutragen, nutzen lernen. „dass an die Stelle wiederkehrender dysfunktionaler interpersoneller Verhaltensmuster Globalziel der therapeutischen Interventionen größere innere und interpersonelle Autono- der strukturbezogenen Psychotherapie ist es mie tritt. Patienten mit strukturellen Persön- „die verloren gegangene Selbstwirksamkeit lichkeitsstörungen können neue Möglichkei- des Patienten wieder herzustellen, d.h. ihn ten gewinnen, sich des eigenen Erlebens und in der Affektregulierung zu unterstützen und Verhaltens im Kontext des Erlebens und Ver- die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung haltens Anderer sicherer zu werden und sich von Beziehungen zu fördern“ unter Wahrung der eigenen Individualität im (Rudolf 2004, S. 145). Kontext mit Anderen zu bewegen und damit bessere Verhältnisse zu schaffen.“ 8 Wesentliche Interventionsstrategie in der 2.3 Der traumatherapeutische Ansatz strukturbezogenen Psychotherapie ist die so Nach Reddemann und Sachse (2000) kann genannte spiegelnde Beschreibung. Dabei das Spektrum der Borderline-Symptomatik bedeutet Spiegelung, „dass der Therapeut in seiner gesamten Breite verstanden werden dem Patienten mitteilt, was er als Muster von „als ein Ensemble von Coping-Strategien zur dessen Verhalten wahrnimmt und wie er es Bewältigung von posttraumatischen Sympto- emotional erlebt“ (Rudolf 2004, S. 148). men, die sich chronifiziert haben, weil sie in der traumatisierenden Situation und danach Diese therapeutische Herangehensweise in- nicht verarbeitet werden konnten“ (S. 561). tendiert die Förderung einer selbstreflexiven Aktivität beim Patienten mit dem Ziel, dass Dabei gehen Reddemann und Sachse über die dieser gemeinsam mit dem Therapeuten seine häufig vorgetragene Korrelationsabhänigkeit Schwierigkeiten als etwas Drittes untersuchen zwischen meist sexueller Traumatisierung und bearbeiten kann. und Entwicklung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung hinaus und sprechen von Die in der Arbeitsgruppe von Kernberg entwi- kausalen Faktoren. ckelte übertragungsfokussierte Psychotherapie der Borderline-Persönlichkeitsorganisation Sie stimmen damit Fegert (1993) zu und sehen (Clarkin et al. 2001) fokussiert auf die thera- Kindesmissbrauch als einzigen bewiesenen peutische Beziehung im Hier und Jetzt mittels Prädiktor für schwere seelische Symptombil- Klärung, Konfrontation und Deutung und dungen. Der spezifische Behandlungsansatz richtet sich bereits frühzeitig auf das Wahr- von Reddemann und Sachse konzentriert sich nehmen und Deuten von negativen Übertra- auf die Patientengruppe, bei der Symptome gungen und auf den Faktor der Aggression, einer komplexen posttraumatischen Störung mit dem Ziel der verstehenden Integration im Vordergrund stehen. Dabei handelt es sich total widersprechender Teilobjektbezie- sich vor allem um Alpträume und flashbacks hungen und damit der Überwindung von sowie um dissoziative Symptome. Identitätsdiffusion (Kernberg 1995, S. 74). „Traumatische Ereignisse werden nicht wie Diese hoch komplexe auf den Kern der übliche Erfahrungen in der Großhirnrinde Störung zielende Vorgehensweise erfordert über den Hippocampus gespeichert, sondern in der Regel eine längerfristige ambulan- bleiben quasi unverdaut als „Videos“, „Dias“ te Psychotherapie und eignet sich unseres oder innere „Tonbänder“ erhalten. Die Inte- Erachtens nach nicht für ein rehabilitatives gration dieser Erfahrungen über Gespräch, Vorgehen anhand des Krankheitsfolgemodells Ablenkung und insbesondere die Verarbei- (s. unten). tung im Traum sind massiv erschwert. Solche Erfahrungen drängen sich als Bilder (flashbacks), sich aufdrängende Gedanken und 9 Affekte (Intrusionen) oder Körpersensationen neuro-behaviorales Entstehungskonzept der ohne Organbefund (Körper-flashbacks) immer Borderline-Persönlichkeitsstörung skizziert in wieder ins Erleben. In solchen Situationen Anlehnung an Arbeiten von Linehan (1993). geschieht kein Erinnern, sondern ein Wie- Aspekte aus Lerntheorie, kognitiver Theorie dererleben, nicht selten affektiv belastender und Neurobiologie werden zusammengefügt. als in der traumatisierenden Situation selbst. Bezüglich genetischer Aspekte wird u.a. auf Intrusionen und flashbacks machen Angst die Arbeiten der Zwillingsforschung von vor Kontrollverlust. Zwanghafte Rituale, Schepank (1996) verwiesen, aus denen der phobisches Vermeidungsverhalten, Drogen, Nachweis eines starken genetischen Einflus- Medikamente und Alkoholabusus können ses für die Gesamtheit der Entstehung von entwickelt werden, um das Triggern unverar- Persönlichkeitsstörungen hervorgeht. beiteter Erinnerungen zu verhindern.“ (Reddemann & Sachse 2000, S. 560 ff) Daneben werden psychosoziale Komponenten als wesentlich erachtet und folgende Behandlungsgrundlage ist die Vorstellung empirisch gesicherten Risikofaktoren für die von der Notwendigkeit, die Perspektive einer Entwicklung einer Borderline-Persönlich- Entwicklungspathologie um diejenige einer keitsstörung genannt: weibliches Geschlecht, Traumapathologie zu ergänzen. Die Vorge- frühe Erfahrung von sexueller Gewalt, Er- hensweise orientiert sich sowohl an der hilf- fahrung von körperlicher Gewalt, Vernach- reichen therapeutischen Beziehung sowie an lässigung durch primäre Bezugspersonen, der Unterstützung von Selbstheilungskräften. Gewalterfahrung im Erwachsenenalter sowie Dabei treffen sich in der Therapie zwei Er- eine fehlende Schutz und Sicherheit gebende wachsene, „die sich gemeinsam um Verständ- zweite Bezugsperson, welche die Wahrneh- nis und Hilfe für ein verletztes, traumatisier- mung der Betroffenen teilen und deren Emoti- tes Kind oder auch für einen Erwachsenen onen bestätigen könnte. bemühen“ (Reddemann, 2001). Dabei gehen sie davon aus, dass schlechte Bilder ebenso Psychosoziale Belastungsfaktoren werden wie gute Bilder gleichermaßen psychophy- im Zusammenwirken mit neurobiologischen siologisch hochwirksam sind. Von daher geht Faktoren fokussiert. Zu den letzteren gehören es in der so genannten Stabilisierungsphase die Störung der Affektregulation sowie das darum, „den scheinbar unkontrollierbaren Auftreten dissoziativer Phänomene. Bohus inneren Bildern gesteuerte, kontrollierte, nur verweist in diesem Zusammenhang u.a. gute Imaginationen entgegen zu setzen“ auf Linehan, die bei der Borderline-Persön- (Reddemann 2001, S. 154). lichkeitsstörung eine erhöhte Sensitivität gegenüber emotionalen Reizen sowie eine 2.4 Die verhaltenstherapeutische Betrach- verstärkte emotionale Auslenkung und eine tungsweise Verzögerung der Emotionsaktivierung auf Federführend hat Bohus (2001, 2002) ein das Ausgangsniveau annimmt. Gestützt wird 10 diese Theorie u.a. durch die experimentellen sierten Menschen angenommen. Das bedeutet Arbeiten von Herpertz (1997), wo nachge- eine erhebliche Beeinträchtigung der Fähig- wiesen werden konnte, dass Patientinnen keit von Menschen mit einer Borderline-Per- mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sönlichkeitsstörung zu einem kontextabhän- im Vergleich zu Kontrollpersonen auf das gigen Lernen. Daraus resultiert nach Bohus Vorlesen einer emotional belastenden Kurz- das Vorliegen von „scheinbar irreversiblen geschichte signifikant häufiger besonders dysfunktionalen Grundannahmen, die häufig intensive Emotionen durchleben. widersprüchlich, d.h. schlecht kompatibel sind und daher ihrerseits zur Labilisierung Ferner konnte Stiglmayr (2001) zeigen, dass der Affektregulation beitragen und damit eine Patientinnen mit einer Borderline-Persönlich- situationsadäquate Interpretation der Realität keitsstörung signifikant häufiger als Gesunde sowie entsprechender Handlungsentwürfe länger und intensiver aversive Anspannung erschweren“ (Bohus 2001). erleben und dabei Schwierigkeiten haben in der Differenzierung von Emotionen. Folgen sind dysfunktionale kognitiv emotionale Schemata, die sich in Störungen der Iden- Auch das Auftreten dissoziativer Phänomene, tität, der Beziehungsregulation, der Affektre- also von Störungen der normalen Integration gulation und der Handlungssteuerung mani- von Bewusstsein, Gedächtnis, Identität und festieren. Dabei versteht man unter Schemata Wahrnehmung der Umwelt tritt bei Menschen nach Bohus „organisierte Netzwerke vergan- mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen stark gener Reaktionen und Erfahrungen, welche gehäuft auf. Diese dissoziative Symptomatik eine relativ geschlossene und stabile Matrix korreliert laut Bohus (2001) stark mit Selbstbe- bilden, um künftige Erfahrungen und Bewer- schädigung, häufigen Klinikaufenthalten und tungsprozesse zu steuern“ (Bohus 2001, S. 98). niedriger sozialer Integration. Bohus sieht in Anknüpfung an Stiglmayr (2001) „eine hoch Bei diesen Schemata handelt es sich um Ver- signifikante Korrelation zwischen aversiven knüpfungen von Gedanken, Gefühlen sowie Anspannungsphänomenen und dissoziativer physiologischen Prozessen. Sie werden wie Symptomatik“ bei Patientinnen mit einer alle borderline-typischen Verhaltensmuster Borderline-Persönlichkeitsstörung und damit zunächst entwickelt zur Beendigung aversiver eine Triggerung dieser Symptomatik durch Affekte bzw. Spannungszustände. Hier ist die intrapsychischen Stress. Erfahrung von zahlreichen Borderline-Patientinnen entscheidend, als Kind damit konfron- Eine wechselseitige Beeinflussung von dis- tiert worden zu sein, dass Täter und wichtige soziativen Phänomenen und psychosozial primäre Bezugspersonen häufig identisch bedingten Anspannungsphänomenen mit sind, so dass der Täter nicht ausschließlich als konsekutiver Beeinträchtigung der Fähigkeit Angreifer erlebt werden kann, sondern auch des assoziativen Lernens wird bei traumati- als liebendes und Schutz gebendes Objekt. 11 Diese für die Betroffenen verwirrende und Herpertz auf Linehan, die auf einen entwer- zumeist unerträgliche Situation kann die tenden Beziehungsstil fokussiert, der das Tendenz zu Selbstverletzungen verstärken. emotionale Erleben der später unter einer Diese können eingesetzt werden „im Sinne Borderline-Persönlichkeitsstörung leidenden einer Selbstbestrafung zur Schuldreduk- Patienten nicht achtet. Dieser Stil führt dazu, tion...“, „aber auch zur Reorientierung bei dass keine adaptative Affektregulation gelernt schweren dissoziativen Zuständen oder wird (Herpertz 1999, S. 120). einfach, um sich wieder zu spüren“ (Bohus 2001, S. 103). Durch die Störung der Assimila- Kognitiv verhaltenstherapeutische Ansätze, tions- und Adaptationsfähigkeit werden trau- die Veränderungen im Gefühlsbereich stets als matische Erfahrungen durch die Lernprozesse Folge bestimmter kognitiver Abläufe betrach- der Gegenwart nicht relativiert und bleiben ten, lassen für Herpertz häufig eine primäre somit virulent. Den genannten Faktoren affektive Auslenkung außer acht, die vor Ko- versucht die dialektisch-behaviorale Psycho- gnitionen aktiviert wird und die statt dessen therapie (DBT) Rechnung zu tragen die kognitive Informationsverarbeitung und (siehe unten). die Decodierung von Gedächtnisinhalten beeinflusst. Auf der anderen Seite kommt es 2.5 Die integrative Sichtweise aus psychoanalytischer Sicht häufig zu einer (Herpertz et al.) Überbewertung der Bedeutung von motiva- Herpertz sieht eine erhöhte und wahrschein- tionalen Systemen bezüglich der Auffassung, lich auch beschleunigte Reaktivität auf innere die affektive Instabilität als Folge des primi- und besonders äußere Stimuli im Zentrum tiven Abwehrmechanismus der Spaltung zu des Erscheinungsbildes der Borderline-Per- verstehen mit dem Ziel, das Wahrnehmen sönlichkeitsstörung (1999, S. 117). von unerträglichen Affekten zu vermeiden. Diese führt zu Instabilität bzw. Unberechen- Dabei wird die Sichtweise vernachlässigt, barkeit im Bereich von Affektivität und Ver- dass Spaltung durchaus auch Folge von über- halten und auch zu Identitätsunsicherheit. wältigender unregulierter Affektivität sein Hinsichtlich der Ätiologie kommt sie bezüg- kann, die auf Grund ihrer Intensität Reflexi- lich der Frage Disposition versus Lernge- on und alternative Erklärungen verhindert. schichte zu einem „Sowohl als Auch“. Herpertz plädiert für eine Sichtweise, die die Hinsichtlich Antrieb bzw. Temperament biologische Ausstattung, die primäre soziale finden sich große biologisch determinierte Lerngeschichte und die Geschichte der individuelle Unterschiede. kognitiven Bewertungen zusammenbringt. Dazu kommt aber, dass wirksame adaptative Mechanismen der Impulskontrolle nur in einem verlässlichen sozialen Lernraum erworben werden können. Hier bezieht sich 12 Die Sichtweise der Borderline-Symptomatik als einer spezifisch gelernten Problemlösestrategie zur Überwindung von emotionalen Dysfunktionen und zur Bewältigung bestimmter familiärer Transaktionsmuster greift ebenso zu kurz wie der psychoanalytische Verweis auf den Selbstschutzversuch durch Spaltung, durch den traumatisierende Erfahrungen sowie bedrohlich erlebte Selbstanteile kontrolliert werden. 13 3. Grundlagen der Behandlung 3.1 Der tiefenpsychologisch-interaktionelle mit einer auf gegenwärtige Interaktion Ansatz nach Streeck und Interpersonalität ausgerichteten Wie oben bereits ausgeführt fokussiert Streeck Behandlungsperspektive verbindet. bei der Betrachtung von schweren Persönlichkeitsstörungen darauf, dass sich diese Da die hier vorwiegend genannte Patienten- im Gegensatz zu vielen anderen psychischen gruppe der schweren Persönlichkeitsstörun- Störungen vor allem im Kontakt mit anderen gen ihre Erfahrungen gerade eben nicht in manifestieren. Es resultieren gestörte zwi- einer Welt sprachlicher Symbole auszudrü- schenmenschliche Verhältnisse. cken vermag, sondern im Verhalten reproduziert, zeigt sich insbesondere in therapeu- Diese sind das Resultat des Zusammentref- tischen Gruppen „wie sich die Beziehungs- fens von einerseits reaktualisierten patholo- störungen an der Schnittstelle vergangener gischen Beziehungsmustern und andererseits Beziehungserfahrungen und der konkreten gegenwärtiger Interaktionen mit anderen. Beziehungsregulierung in Interaktion mit „Aus der Perspektive der subjektiven Erfah- anderen zu gestörten Verhältnissen entwi- rungen des Patienten sind die Schwierigkeiten ckeln“ (Streeck, S. 113). im Zusammensein mit anderen ein Beleg für deren Unzuträglichkeit. Aus der Sicht der So ist es nicht verwunderlich, dass sich anderen sind diese gleichen Beziehungspro- die tiefenpsychologisch- interaktionelle bleme meistens eine Folge dessen, dass sie Methode vorwiegend als gruppenpsycho- sich ausgebeutet, missachtet, nicht wahrge- therapeutisches Verfahren entwickelt hat. nommen oder verletzt fühlen. Aus einer Idealerweise kann interpersonelles Verhalten diagnostischen Perspektive sind sie Ausdruck als individuelles Merkmal und als Reaktion von Teilobjektbeziehungen. auf unmittelbar vorausgegangenes Verhalten begriffen werden. Die Patienten können andere nicht als eigenständige Personen in ihrem eigenen Dabei ist die psychoanalytisch-interaktionelle Recht sehen; statt dessen erleben und be- Gruppentherapie auf Progression hin orien- handeln sie diese im Hinblick auf Funk- tiert. Das psychische Gleichgewicht labilisie- tionen für das Selbst.“ (Streeck 2002, S. 111). rende Deutungen sollen vermieden werden. Statt dessen interveniert der Gruppenthe- Hier setzt die ursprünglich von Heigl-Evers rapeut mittels Antworten. „Antwort meint und Heigl entwickelte psychoanalytische in- hier, dass der Therapeut sein eigenes Erleben teraktionelle Therapiemethode an, indem sie und seine eigenen Handlungsbereitschaften, eine auf unbewusste psychische Prozesse die sich bei ihm reaktiv in Antwort auf das bzw. vergangene Beziehungserfahrungen Verhalten des Patienten einstellen, selektiv zu ausgerichtete Perspektive der Psychoanalyse erkennen gibt.“ (Streeck, S. 121). 14 Dieser Interaktionsmodus des authen- kann es auch sinnvoll sein, dass der Gruppen- tischen, selektiven Antwortens des Gruppen- therapeut sich darum bemüht, den Teilneh- therapeuten erfüllt mehrere Funktionen mern zu erklären, wie wechselseitiges Verhal- (zit. Streeck, S. 121) ten sich in der Gruppe miteinander verzahnt. • Er nimmt auf unvermeidliche Differenzen Ferner kommt dem Therapeuten bezüglich zwischen Selbst und Objekt Bezug. • Er macht deutlich, welche Wirkungen dem Umgang mit Affekten innerhalb der Gruppe eine besondere Bedeutung zu. Weil das jeweilige Verhalten einzelner oder mit dem Erleben von Unlust einhergehen- mehrerer Patienten oder auch der de Affekte nur schwer ausgehalten werden ganzen Gruppe auf das Erleben und können, weil bestimmte Gefühlsqualitäten auf eigene Handlungsbereitschaften wie Sorge, Trauer oder Zuneigung nur wenig des Gruppentherapeuten haben. zugänglich sind, weil die Erfahrung, dass • Er bringt zum Ausdruck, wie sich in andere in der Gruppe nicht wie sie selbst der Gruppe vertretene Normen auf das fühlen und erleben für zahlreiche Patienten Erleben und auf Verhaltensbereitschaften eine neue ist, regt der Gruppentherapeut zur des Gruppentherapeuten auswirken. Wahrnehmung von Gefühlen und zu deren • Er zeigt auf, wie einzelne oder mehrere Differenzierung an, um den Patienten zu Patienten mit ihrem eigenen Verhal- helfen, sich die Signalfunktion von Gefühlen ten zu den dysfunktionalen inter- nutzbar machen zu können. personellen Zirkeln beitragen, in die sie sich im Kontakt mit anderen immer Um den soeben skizzierten gruppenthera- wieder verstricken. peutischen Prozess förderlich begleiten zu • Er führt vor Augen, dass der Therapeut können, ist für den psychoanalytisch inter- sich nicht in destruktive und ausbeute- aktionell arbeitenden Therapeuten eine klare rische Zirkel verstricken lässt und in der Grundausrichtung unabdingbar. Diese ist Lage ist, auf seine eigenen Grenzen und durch eine bestimmte therapeutische Haltung Schutznotwendigkeiten zu achten. gekennzeichnet. Gefordert ist eine therapeutische Grundhaltung wacher Präsenz. Das Daneben unterstützt der Therapeut ermög- therapeutische Vorgehen ist authentisch. Es lichende Normen insoweit, dass er in der ist geprägt davon, allen auch schwierigen Gruppe vorherrschende normative Regelun- Patienten mit emotionaler Akzeptanz zu gen, die Entwicklungen und Weiterentwick- begegnen. Eine solche Haltung aufrecht zu lungen behindern, in Frage stellt und einen erhalten gelingt dem Therapeuten in Situa- Prozess in Gang bringt, damit solche ein- tionen heftiger affektiver Verstrickung vor schränkenden Normen allmählich zu Gunsten allem dann, wenn sie durch Schicksalsrespekt ermöglichender Normen aufgegeben werden gegenüber der oft leidvollen Lebensgeschichte können. In einem solchen Zusammenhang des Patienten untermauert ist. 15 3.2 Stabilisierung durch Imagination, traumatisiertes Kind oder auch einen Erwach- die traumazentrierte Psychotherapie senen bemühen“ (S. 114) führt hingegen weit nach Reddemann eher zu einem Gefühl von Kontrolle und regt Reddemann geht davon aus, dass da bei ein Üben von Verhaltensalternativen an. Dabei Borderline-Patienten, wo Zeichen einer post- geht es bei den konkreten Übungen zunächst traumatischen Belastungsstörung bzw. einer einmal darum, inneren Trost und innere Un- komplexen posttraumatischen Belastung im terstützung zu erfahren. Dissoziation kann Vordergrund stehen und demnach Symptome als früher sinnvolle Coping-Strategie gewür- wie flashbacks und Alpträume, aber auch digt werden, genauso wie selbstverletzendes plötzliches Erstarren in ängstigenden Situati- Verhalten als Antidissoziativum verstanden onen auftreten, also eine klare Traumagenese werden kann, um beispielsweise quälenden im Zentrum steht, sich die imaginative Vor- flashbacks zu entgegen. In Anknüpfung an gehensweise besonders bewährt. schamanistische Traditionen, aber auch bei- (Reddemann 2001, S. 160) spielsweise an Paracelsus geschieht Heilung mittels Imagination „dank der Macht des In ihrer gemeinsamen Arbeit mit Sachse Geistes, der durch die Seele wirkt“. (1997) werden Intrusionen und flashbacks (Paracelsus zit. Reddemann, S. 124) als alte, schlechte Bilder verstanden, die eine erhebliche Wirksamkeit auf das aktuelle 3.3 Der dialektisch-behaviorale Erleben ausüben können. Mittels Imagination Therapieansatz nach Linehan geht es nun darum, der nur schlechten Welt Wie Trautmann-Sponsel und Gleich (2001, der traumatischen Erfahrungen eine gute S. 114) betonen wird eine verhaltenstherapeu- innere Welt gegenüber zu stellen und genauso tische Behandlung von Borderline-Persönlich- schlechten Körpersensationen gute entgegen keitsstörungen mittlerweile fast gleichgesetzt zu setzen (S.122). mit der Anwendung der dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) nach M. Linehan. Dabei Dabei gehen Reddemann und Sachse aus von gebe es weder „die Verhaltenstherapie, noch einer psychotherapeutischen Haltung, die die Borderline-Störung“ und von daher auch Psychotherapie als Hilfe zur Selbstheilung nicht „die Verhaltenstherapie der Borderline- versteht und auf die bereits vorhandenen Res- Störung“ (siehe oben). sourcen ausgerichtet ist. Insbesondere sollen Intrusionen (erneutes Durchleben der trau- Aus verhaltenstherapeutischer Sicht gibt es matischen Situation) verhindert werden, da zumindest Einigkeit bezüglich einiger Grund- diese schädliche körperliche Stressreaktionen prinzipien: Transparenz des Vorgehens dem in Gang halten. Eine therapeutische Haltung Patienten gegenüber, Orientierung an der dahingehend, „dass sich in einer Therapie Förderung von Bewältigungsfertigkeiten des zwei Erwachsene treffen, die sich gemeinsam Patienten, Orientierung an konkreten Zielen um Verständnis und Hilfe für ein verletztes bei zeitlicher Begrenzung und dem Versuch 16 der Orientierung an empirischen Befunden. Daneben gilt es deutlich zu machen, dass eine Dabei kann die Orientierung am Erlernen von Borderline-Störung aus verhaltenstherapeu- Bewältigungsstrategien so weit im Vorder- tischer Sicht eine Störung der Emotionsregu- grund stehen, dass nicht eine Veränderung lation darstellt, die sich auf die Gestaltung der Persönlichkeitsstruktur angestrebt werden von zwischenmenschlichen Beziehungen muss, sondern es beispielsweise auch das Ziel auswirkt. In diesem Zusammenhang gilt es der Therapie sein kann, „die Fähigkeit zu ent- auch dem Patienten zu vermitteln, dass die wickeln, eine passendere Umwelt zu wählen“. Erkrankung in ihren Konsequenzen immer wieder dazu führt, sich selbst und anderen zu Für den Fokus einer Behandlung ist auch die schaden und zwar so weit, dass die Teilnahme Situation der sozialen Lebensbedingungen an der Therapie oder sogar das Leben des Pa- mit entscheidend. Da die Therapie einer Per- tienten gefährdet sein kann. sönlichkeitsstörung lange dauert, anstrengend ist und immer wieder emotional labilisierende Ziel des Aushandelns der Rahmenbedingun- Momente aufweist, ist eine gewisse Grund- gen soll sein, „dass die Gefährlichkeit der stabilität in den realen Lebensbedingungen Störung ernst genommen wird, ohne dass sich nötig. Sind die aktuellen Lebensbedingungen der Therapeut dieser Störung ausliefert, oder schwierig bis chaotisch, so handelt es sich den Patienten verstößt und dass die subjekti- mehr um eine Therapie bei Borderline- ven und objektiven Leistungsgrenzen des Pa- Störung und nicht um eine Therapie der tienten, des Therapeuten und der Institution Borderline-Persönlichkeitsstörung (siehe transparent gemacht werden“ (S. 120). Hierzu oben S. 118). Die Rolle des Therapeuten ist gehört auch die Regelung des Umgangs mit dann noch stärker die eines Coaches. Suizidalität, einem normalen Symptom der Borderline-Störung. Trautmann-Sponsel macht deutlich, dass die Anfangsphase der stationären Behand- Trautmann-Sponsel plädiert für eine lung von besonderem Gewicht ist. Neben therapeutische Haltung, die zum Ausdruck der exakten Diagnosestellung geht es im bringt, „dass die Durchführung suizidaler Rahmen der Therapieplanung auch um Handlungen (nicht das Auftreten von die Aufklärung des Patienten bezüglich suizidalen Gedanken und Impulsen) ein der Diagnose und deren Bedeutung. Verhalten ist, das durchaus rational kontrolliert werden kann – auch von einem Patien- Dabei steht im Vordergrund, dem Patienten ten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung“ zu vermitteln, „dass er eine Störung hat, (S. 120). Von daher könne erwartet werden, nicht eine Störung ist“ (S. 119). dass Menschen mit einer Borderline-Problematik diesbezüglich zusichern, auch zumindest noch einige Zeit nach Beendigung der stationären Therapie am Leben bleiben 17 zu wollen. Zu differenzieren davon ist Suizi- sen, Emotionen oder Gedanken, verbunden dalität in einer emotionalen Krisensituation, mit einer gewissen inneren Distanz, um bei in der ein Patient auf Grund von plötzlicher innerer Schmerzhaftigkeit weder sofort aus- Hoffnungslosigkeit tatsächlich nicht mehr zuweichen, noch bei angenehmen Gefühlen leben will. Für eine solche Situation muss die besonders haften zu bleiben. Freiwilligkeit der Verlegung auf eine geschlossene psychiatrische Station bereits zu Anfang Beschreiben meint die Fähigkeit des Benen- der Therapie vereinbart werden. Sollte nens und damit auch Distanzierens von dennoch eine Verlegung per Zwangseinwei- eigenem Verhalten oder auch von Umwelter- sung nötig sein, ist in der Regel die Voraus- eignissen. Auf diese Weise wird Kommuni- setzung für eine Fortsetzung der Behandlung kation und Selbstkontrolle gefördert. In der nicht mehr gegeben. Diktion von Bohus wird so der kontinuierliche Lernprozess erleichtert dahingehend, Zentraler Wirkungsmechanismus des ver- „dass Emotionen und Kognitionen lediglich haltenstherapeutischen Vorgehens ist das Reaktionsmuster auf verschiedene Aspekte Einüben neuer Verhaltensweisen, um bishe- der Wahrnehmung sind und nicht als Wider- rigen dysfunktionalen Schemata sowohl auf spiegelungen tatsächlicher Ereignisse zu ver- der emotionalen Ebene als auch auf der Ver- stehen sind“ (Bohus 2002, S. 79). haltensebene entgegen zu wirken (Trautmann, S. 63). An dieser Stelle setzt das so genannte Unter „Teilnehmen“ ist die Fähigkeit zu ver- Fertigkeitstraining an. Es gliedert sich in die stehen, sich auf eine Aktivität einlassen und Bereiche Stresstoleranz, Emotionsmodulation, darin auch aufgehen zu können. zwischenmenschliche Fertigkeiten, innere Achtsamkeit (Bohus 2002, S. 74). Die „Wie“-Fertigkeiten sind darauf gerichtet, komplexe Bewertungsmuster und deren kon- Bezüglich der inneren Achtsamkeit wird sekutive emotionale Prozesse zu unterbinden, unterschieden zwischen so genannten um beispielsweise bestimmte Trauma assozi- „Was“- Fertigkeiten und „Wie“-Fertigkeiten ierte Schemata durchbrechen zu können. der inneren Achtsamkeit. Zu den „Was“- Es soll also eine distanziertere Beobachtung Fertigkeiten gehören die Bereiche Wahrneh- inneren Erlebens ermöglicht werden. men, Beschreiben und Teilnehmen. Ziel dieser Fertigkeiten ist es, mehr Bewusstheit für den Dabei geht es zum einen um die Fähig- Alltag zu erwerben. keit, Kontrolle über die Aufmerksamkeit zu erlangen und sich beispielsweise nicht Wahrnehmen bezieht sich beispielsweise auf mehr durch Gedanken oder Bilder aus der Geschmacksreize, Gerüche, Geräusche, Kogni- Vergangenheit ablenken zu lassen bzw. in tionen und Körpergrenzen. Dabei geht es um bestimmten Gedankenschleifen sich zu ver- die bewusste Zuwendung bezüglich Ereignis- lieren. Vielmehr ist es das Ziel, ein effektives 18 und zielgerichtetes Handeln zu entwickeln, Hierzu werden die fünf Sinne durch gezielte welches einschließt, Gegebenheiten zu akzep- Übungen in besonderer Weise stimuliert, bei- tieren, so wie sie sind. Die Fertigkeiten zur spielsweise durch die Aufnahme von Eiswür- Stresstoleranz sind ebenfalls durch das als feln in Hand oder Mund. dialektisch zu bezeichnende Motto gekennzeichnet: „Veränderung durch Akzeptanz“. Daneben wird auf der so genannten phy- Es geht darum, das Leben in all seinen siologischen Ebene versucht, Motorik und Facetten annehmen zu lernen und in diesem Atem zu modulieren, beispielsweise durch Zusammenhang auch Vorbelastungen und sportliche Aktivitäten. Genauso wird auf der Schmerzen annehmen und ertragen zu lernen. kognitiven Ebene trainiert, zu Veränderungen in der Bewertung des Augenblickes zu Bei den Stresstoleranz-Fertigkeiten geht es kommen, beispielsweise durch Fantasiereisen, um Erlebensstrategien, die den Verzicht auf Meditation oder ähnliches. Schließlich geht es Handlungen intendieren, welche alles noch auf der Handlungsebene um die Entwicklung schlimmer machen würden. Wenn in einem von Strategien, schwierige Situationen durch ersten Schritt die persönlichen Erfahrungen gezielte andere Aktivitäten. zu überbrücken mit extremen Belastungen herausgearbeitet worden sind, geht es dann in einem zweiten Bezüglich der Emotionsmodulation bzw. Schritt darum, die aktivierten kognitiv-emo- Fertigkeiten zur Emotionsregulation geht es tionalen Schemata abzuschwächen und auf- darum, dem Patienten zu vermitteln, dass zulösen und statt dessen das Machbare zu tun „Emotionen keinerlei Informationen über im Blick auf Bewältigung der aktuellen Krise. Realität vermitteln, sondern ausschließlich Von daher besteht die Stresstoleranz aus fol- über die Art und Weise, wie wir bestimmte genden Bausteinen: Ereignisse interpretieren“ (Bohus S. 89). • Wahrnehmung und Akzeptanz Dabei geht es um die Modulation der Emo- des aktivierten Schemas tionsregulation unter vier Aspekten: • „Schritt zurück“ • Bewusste Wahl einer Strategie • Einsatz einer Strategie, die zur Abschwächung oder Veränderung • Veränderung der Reizexposition (Vermeiden von negativen Ereignissen und Aufsuchen von positiven Ereignissen) des Schemas führt • Veränderung der zentralen neuronalen • Realitätsorientierung Reizverarbeitung (z.B. durch Sport, Behandlung von Schlafstörungen, Die Strategien entfalten sich auf vier Ebenen: ausgewogene Ernährung und klare Auf der sensorischen Ebene geht es beispiels- Tagesstruktur) weise darum, drohende oder bereits aktivierte dissoziative Zustände zu beenden. • Veränderung der Bewertungsprozesse 19 • Umsetzung der Emotion in adäquate psychodynamischen Denkansatz inhärente Handlung oder Kommunikation (Training Dimension unbewusster Konflikte hinter of- durch Änderung eines theoretischen fenkundigen Erlebnis- und Verhaltensweisen Verständnisses, durch Rollenspiele, durch berücksichtigt (Herpertz 1999, S. 120). Umsetzung im Alltag oder Übungsbedingungen und schrittweise durch Umset- Von hierher resultiert für Herpertz keine zung in den realen Alltag) strikte Trennung der schulenspezifischen Behandlungselemente in ihrer zeitlichen Das Training der zwischenmenschlichen Fer- Abfolge. Es bedeutet jedoch eine Betonung tigkeiten ist gerichtet auf eine Verbesserung psychoedukativer und kognitiv-verhaltens- der sozialen Kompetenz unter emotionaler therapeutischer Interventionen in frühen Belastung und intendiert, „dass die Patientin Behandlungsstadien und ein Überwiegen lernt, individuelle Zielsetzungen unter Be- psychodynamischer Techniken der biografi- rücksichtigung der jeweils spezifischen Situ- schen Rekonstruktion, der Deutung unreifer ation zu erreichen, ohne dabei die Selbstach- Abwehrmechanismen und schließlich auch tung zu vernachlässigen“ (Bohus S. 95). der vorsichtigen Übertragungsanalyse in späteren Therapieabschnitten. 3.4 Das schulenübergreifende Konzept nach Herpertz Die von Anfang an intendierte Integration In der Behandlung der Borderline-Persönlich- psychodynamischer und kognitiv-verhal- keitsstörung sieht Herpertz als erstes Thera- tenstherapeutischer Methoden erfordert pieziel die Verbesserung von Affektregulation zwingend, das Therapeutenverhalten von und Impulskontrolle. Das Erlernen nicht Anfang an sehr sorgfältig zu reflektieren. selbstschädigender Formen des Umgangs mit Auf der einen Seite steht die tiefenpsycho- heftigen Affekten und abrupten Handlungs- logische Grundhaltung, die die Beziehungs- impulsen sieht Herpertz als Voraussetzung gestaltung zum Patienten als die eigentliche dafür, dass dann eine biografische Rekon- Wirkgröße betrachtet, bestimmt durch struktion bedeutsamer Kindheitsepisoden emphatisches Zuhören, sensibles Aufgreifen und zentraler Beziehungserfahrungen auch von Hinweisreizen des Patienten sowie tatsächlichen Therapieerfolg bringt. Ist diese durch klärendes Nachfragen. Voraussetzung nicht geschaffen, so drohen Überflutungsreaktionen und konsekutiv Auf der anderen Seite ist die verhaltensthera- kaum zu bewältigende Therapiekrisen. peutische Sichtweise zu berücksichtigen, nach der sich der Therapeut eher als kompetenter Von hierher fordert sie einen therapeutischen Ratgeber oder Coach anbietet, der Probleme Ansatz, der von Anfang an symptomorientiert aktiv exploriert und das Gespräch zielgerich- ist und auf die Verringerung grob dysfunktio- tet lenkt (Herpertz S. 122). nalen Verhaltens abzielt und dennoch die dem 20 Mit Blick auf die Verbindung der beiden chen und auf diese Weise zu einer stabileren Ansätze fordert Herpertz, mit dem Erstge- Selbstidentität beitragen. Die kognitive Ver- spräch beginnend, ein ständiges Bemühen um haltenstherapie fördert also bewusste kog- einen psychodynamischen Verstehensrahmen, nitive Regulationsmöglichkeiten, die schon der eine andauernde Reflexion von Übertra- kurzfristig eine Änderung automatisierter gungs- und Gegenübertragungsprozessen Verhaltensweisen implementieren können einbezieht. So kann dadurch beispielsweise. (Herpertz S. 321). verhindert werden, dass Strategien der Verhaltens- und Situationsanalyse, die zunächst Es geht um das Erlernen eines Verhaltensre- als hilfreich und unterstützend vom Patienten pertoires, das auch in affektiv hochgeladenen erfahren werden, schließlich doch als mani- Situationen zur Verfügung steht und somit pulierend und einengend erlebt werden. Hier dazu beiträgt, zwischen Handlungsimpuls kann eine verstehende Einbeziehung des und Handlungsdurchführung Kontrollme- Interaktionsprozesses zur Aufrechterhaltung chanismen zu etablieren, die beispielsweise desselben äußerst hilfreich sein. selbstschädigendes Verhalten verhindern. Herpertz verweist in diesem Zusammenhang Herpertz unterscheidet im wesentlichen zwei auf die Ähnlichkeit von auf die Stärkung von Therapiephasen unterschiedlicher Therapie- Ich-Funktionen zielenden psychoanalytischen ziele und -techniken, die jedoch nicht ganz Ansätzen mit kognitiv-verhaltenstherapeu- strikt zu trennen sind. Dennoch richtet sich tischen Konzepten, die auf die Verbesserung die zweite Phase mehr auf den Bereich der der Selbstregulationsfähigkeiten abzielen. Die langfristigen ambulanten Psychotherapie. Stärke der psychodynamischen Herangehensweise sieht Herpertz vor allem auch darin, Erste Therapiephase: Verbesserung von dass diese negative therapeutische Reaktio- Affektregulation und Impulskontrolle nen zu verstehen hilft, indem sie unbewusste motivationale Verhaltenshintergründe bei Borderline-Patienten aufzudecken hilft und • Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung somit zur Erhaltung von therapeutischem • Exakte Verhaltens- und Situationsanalyse Fortschritt entscheidend beitragen kann. Hier • Affektdifferenzierung und Benennung führt Herpertz die bei Borderline-Patienten • Fertigkeiten-Training häufig auftretenden erheblichen masochisti- • Einarbeitung alternativer Verhaltensstra- schen Tendenzen beispielhaft an. tegien zum Spannungsabbau • Integration von Spaltungsvorgängen im Aus kognitiv-verhaltenstherapeutischer Sicht ist es das vordringliche Behandlungsziel, interpersonellen Bereich • Identifizierung dysfunktionaler Fähigkeiten auszubilden und zu fördern, Annahmen und Auflösung unflexibler die eine verbesserte Selbstkontrolle ermögli- affektiv-kognitiver Schemata 21 Zweite Therapiephase: Bearbeitung über die Grenzen der Behandelbarkeit und biografischer Traumata ein entsprechender Umgang damit. Ein konkreter Therapievertrag regelt das Vorgehen • Identifizierung motivationaler Grundmuster der Beziehungsgestaltung • Erinnern des Traumas ohne Förderung der emotionalen Wiederbelebung • Klärung, Stützung und Akzeptanz des Traumas sowie Trauerarbeit des Behandlungsteams bei Vorliegen von Selbstmordversuchen, wiederholten schweren Selbstschädigungen, anhaltender Zunahme selbstschädigenden Verhaltens und dem Auftreten von Drogen- oder Alkoholkonsum sowie unregelmäßiger Therapieteilnahme. • Fokussierung auf Verleugnung und Bewältigung Im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplanes • Reifung des Abwehrniveaus haben stets auch psychopharmakologische • Verstehen der Auswirkungen auf Interventionen ihren Platz. Eine solche Mög- gegenwärtige Beziehungen • Einbeziehung kreativer Lösungsversuche und körperorientierter Maßnahmen lichkeit der unterstützenden pharmakotherapeutischen Behandlung sollte mit dem Patienten aus der Sicht von Herpertz bereits zu Behandlungsbeginn besprochen werden. Im Konzept der Rothaarklinik werden we- Auf diese Weise kann verhindert werden, dass sentliche Elemente insbesondere der ersten die Gabe von Pharmaka als Zeichen der Be- Therapiephase berücksichtigt. Unerlässlich strafung oder als Ausdruck von Inkompetenz für den Erfolg der Therapie ist nach Herpertz missverstanden wird. eine entsprechende Vorbereitung der Patienten auf die bevorstehende Therapie. Zur so genannten Vorbereitungsphase gehört eine erste Aufklärung des Patienten über das Störungsbild mit seinen spezifischen Merkmalen. Ferner soll eine Reflexion früherer Behandlungsverläufe und möglicher Konfliktbereiche erfolgen, um die Gefahr von Therapieabbrüchen zu reduzieren. Ferner geht es um das Erkennen von Frühwarnzeichen und die Entwicklung entsprechender Coping-Strategien. Schließlich wird dem Patienten der Behandlungsansatz erklärt sowie eine exakte Behandlungsdauer festgelegt. Es erfolgt eine Stellungnahme zur Behandelbarkeit bzw. zum potenziellen Therapieerfolg und eine Aufklärung 22 4. Die Einbindung der Behandlungskonzepte in den Rahmen der psychosomatischpsychiatrischen Rehabilitation Für den Bereich der Rehabilitation wurde Diesem Anspruch versucht das hier vorge- von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte integrative Behandlungskonzept der zur Analyse individueller Gesundheitsstörun- Borderline-Persönlichkeitsstörungen so weit gen das so genannte Krankheitsfolgemodell Rechnung zu tragen, dass insbesondere die entwickelt (zit. Schneider W ,Paar G 2001, aus der Borderline-Problematik resultie- S. 180). Es werden drei Ebenen der Betrach- renden zahlreichen sozialen Konsequenzen tung unterschieden: fokussiert werden. Dies geschieht sowohl durch das skizzierte behavioral ausgerichtete • Die Ebene des Gesundheitsschadens Fertigkeitstraining, als auch durch das darge- mit Fokussierung auf die Krankheit stellte auf Stärkung der Ich-Funktionen und selbst bzw.ihre biopsycho-sozialen der Verantwortungsübernahme ausgerichtete Manifestationen. tiefenpsychologisch-interaktionelle gruppen- • Die Ebene der Funktionsbeeinträchti- therapeutische Vorgehen. Ätiopathogeneti- gungen mit der Fokussierung auf die sche Faktoren, die beispielsweise im oben gestörten Fähigkeiten zur Verrichtung skizzierten therapeutischen Vorgehen der so der Aufgaben des täglichen Lebens. genannten TFP einen breiten Raum einneh- • Die Ebene der sozialen Beeinträchtigung mit Fokussierung auf die Wechsel- men, spielen für das hier dargestellte Konzept nur eine randständige Rolle. beziehung zwischen den Gesundheitsproblemen eines Individuums und Die unten dargestellte umfassende Berück- dem jeweiligen Kontext seiner Umwelt sichtigung von Fragen der Erwerbsfähigkeit (Konzept der ICF – s. Schuntermann). und deren Gefährdung unterstreicht eine konzeptionelle Schwerpunktsetzung bei Krank- „Das hauptsächliche Ziel der Rehabilitations- heitsverarbeitung und Adaptation an die medizin liegt so im Gegensatz zur kurativ- Funktionsbeeinträchtigungen. ätiologisch orientierten Medizin nicht in der Beseitigung somatischer, psychischer und psychosomatischer Krankheiten, sondern darin, den Patienten in der Krankheitsverarbeitung und bei der Adaptation an die Funktionsbeeinträchtigungen zu unterstützen.“ (Schneider & Paar, S. 181). 23 5. Behandlungsrahmen Die Therapie von Patienten mit Borderline- 5.2 Warum eine stationäre Behandlung? Persönlichkeitsstörungen vollzieht sich in der Ein Teil der Patientengruppe kommt unter Rothaarklinik im Rahmen einer Rehabilitati- dem Aspekt der Einleitung einer störungs- onsbehandlung. In Anknüpfung an das oben spezifischen Behandlungsmaßnahme. Hinzu skizzierte Krankheitsfolgenmodell steht die kommen häufig eingetretene Folgeproble- Vermittlung von spezifischen Fertigkeiten im me, z.B. in der beruflichen Entwicklung, die Mittelpunkt der rehabilitativen Maßnahmen ohnehin rehabilitative Maßnahmen erforder- (Kapfhammer 1999, S. 113). lich machen. Daneben wird die Indikation für Patientinnen gestellt, die sich bereits in Dabei ist die Selbstbestimmung eines einer oftmals längeren ambulanten Therapie- Patienten als leitendes Prinzip anzuerken- maßnahme befinden und dort in Absprache nen und die Entwicklung von förderlichen mit dem Therapeuten ein mangelndes Voran- Umwelten beispielsweise durch Einbezie- kommen oder eine krisenhafte Verclinchung hung von Partnern und Familienmitgliedern erleben. In all diesen Fällen kann die hier dar- zu berücksichtigen. gestellte multimodale Behandlungskonzeption ein sinnvolles Bindeglied zur ambulanten 5.1 Zielgruppe – Behandlung von Frauen Behandlung darstellen. Das Borderline-Strg. spezifische Behandlungssetting in der Rothaarklinik ist entwickelt 5.3 Personelle und räumliche Ausstattung worden für eine Station, auf der seit Jahren Dem Behandlungsteam gehören folgende Patientinnen mit Essstörungen behandelt Mitglieder an: werden. Zunehmend wurde dann die Station von Patientinnen mit der Zweitdiagnose • Oberarzt als Abteilungsleiter (Facharzt einer posttraumatischen Belastungsstörung für Psychosomatische Medizin und und diagnostischen Übergängen in Richtung Psychotherapie, Internist) einer Borderline-Persönlichkeitsstörung frequentiert. Von daher war es für das Behandlungsteam der Rothaarklinik naheliegend, • Psychologischer Psychotherapeut (Verhaltenstherapeut) • Stationsärztin (in fortgeschrittener ausgehend von den Erfahrungen auf dieser Ausbildung zur Fachärztin für Psycho- Station das störungsspezifische Behandlungs- therapeutische Medizin) setting zu konzeptualisieren. Die Ausrichtung auf Frauen erscheint auch dadurch gerecht- • künstlerische Therapeutin (Musik oder Tanz) fertigt, dass im klinischen Bereich bis zu 80 • 3 Schwestern Prozent der Borderline-Patienten weiblich • Diplom-Ökotrophologin sind (Herpertz & Saß 2003, S. 85). • Sporttherapeutin • Masseurin und Medizinische Männliche Patienten mit einer BorderlineStrg. werden auf anderen Sat. behandelt. Bademeistern • Diplom-Sozialarbeiterin 24 Die Station umfasst in der Regel 20 Patientinnen, die ausschließlich Einzelzimmer bewohnen. Auf der Station befinden sich das Schwesternzimmer sowie die Zimmer der Bezugstherapeuten. Den Patientinnen steht ein Stationszimmer als Aufenthaltsraum zur Verfügung. Dieses können sie in der Freizeit nutzen und in Absprache mit den Stationsschwestern gestalten. In dem Stationszimmer befindet sich eine Küche mit Kühlschrank, so dass die Möglichkeit besteht, Tee und Kaffee zuzubereiten und kleinere Speisen zu sich zu nehmen. Ferner ist es bei entsprechender Indikation und nach Absprache, z.B. zum Spannungsabbau, möglich, geeignete Geräte (Boxsack, Ergometer) aus dem Bereich der Sporttherapie zu nutzen. Ein Schwimmbad ist vorhanden. 25 6. Ablauf der Behandlung 6.1 Anmeldung, Vorgespräch und Aufnahme auf eine so genannte Springerliste setzen zu Die Behandlung in der Klinik erfolgt auf Ver- lassen, was die Bereitschaft voraussetzt, auch anlassung des Hausarztes, des Facharztes, kurzfristig anzureisen, kann die Aufnahme des vorbehandelnden Krankenhauses oder noch schneller erfolgen. einer Beratungsstelle. Dazu muss vor der Aufnahme bei der zuständigen Krankenkasse 6.2 Diagnostische Aufgaben oder dem Rentenversicherungsträger durch Die Diagnostik stellt eine komplexe Aufgabe Vorlage eines Befundberichtes die Kosten- dar, die neben der Erfassung des Störungsbil- übernahmeerklärung eingeholt werden. des auch eine genaue Erhebung der sozialen und beruflichen Situation erfordert (Krank- Mit den Krankenkassen besteht ein Versor- heitsfolgenmodell). Sie ist als Prozess zu gungsauftrag gemäß § 111 SGB V. Die Ren- verstehen, der bereits bei der Aufnahme tenversicherungsträger belegen die Klinik beginnt. Die Vorbefunde, die Art der Bezie- im Rahmen der medizinischen Rehabilitation. hungsaufnahme bei der Aufnahme sowie Nach beamtenrechtlichen Bestimmungen die Art und Weise, wie sich die Patientin in ist die Klinik als beihilfefähig anerkannt. die neue Situation einbringt und zurechtfin- Private Krankenversicherungen übernehmen det, erbringen erste diagnostische Hinweise. die Kosten im Rahmen des jeweiligen Versi- Wir tragen diese Eindrücke zusammen, um cherungsvertrages. Ebenfalls werden Selbst- ein möglichst umfassendes Bild von der zahler aufgenommen. Patientin zu gewinnen. Nähere Informationen sind dem Hauspros- Diese Eindrücke ergänzen die spezifischen pekt zu entnehmen bzw. über das Aufnah- diagnostischen Informationen, die durch mesekretariat zu erfahren oder im Internet folgende Maßnahmen gewonnen werden: (www.helios-kliniken.de/rothaarklinik). • Erstgespräch beim Bezugstherapeuten Anfragen können auch per Email gestellt • ärztliche Aufnahmeuntersuchung werden (info.rothaarklinik@helios-kliniken. (körperliche Untersuchung, Kranken- de). Bei unklarer Indikation bzw. unklarer anamnese, Laboruntersuchung) Motivation der Patientin kann ein Vorge- • Pflege-Erstgespräch spräch geführt werden. Ein solches Gespräch • Sozial- und Berufsanamnese steht aber auch all denen offen, die den • Vorgespräch in der Kreativtherapie Wunsch haben, die Klinik kennen zu lernen. • Testpsychologische Untersuchung im PC-Labor Sobald eine Kostenübernahmeerklärung sowie ein Befundbericht vorliegen, kann die Aufnahme erfolgen, in der Regel innerhalb weniger Wochen. Ist die Patientin bereit, sich • Gespräch beim Abteilungsleiter 26 Häufig liegen nur begrenzt Unterlagen von der akuten Suizidalität kommen, so wird eine vorausgegangenen Untersuchungen vor, freiwillige Aufnahme auf einer geschlossenen diese werden ggf. sofort angefordert, um psychiatrischen Station vereinbart. Den Pati- das Bild zu ergänzen, Doppeluntersuchungen entinnen wird diesbezüglich mitgeteilt, dass zu vermeiden und Behandlungsmaßnahmen in der Regel nach kurzfristiger Überwindung abzustimmen. Sollten Pat. selbst im Besitz der akuten Krise eine Rückverlegung in von Krankenunterlagen sein, bitten wir die Rothaarklinik und eine Fortsetzung des diese mitzubringen. Therapieprogramms möglich ist. 6.3 Herstellung eines Arbeitsbündnisses 6.4 Prozesscharakter der stationären und Formulierung von Therapiezielen Rehabilitation und Behandlungsende Entscheidende Voraussetzung für das Zu- Wie oben ausgeführt handelt es sich bei der standekommen eines psychotherapeutischen Borderline-Pathologie um ein komplexes Kontaktes ist es, dass es dem Therapeut- Krankheitsgeschehen mit vielfältigen in die Patient-Paar gelingt, ein tragfähiges Arbeits- Kindheit und Jugendzeit zurückreichenden bündnis zu schließen. Entstehungsbedingungen und erheblichen Folgen für den Bereich des interpersonellen Dass dies für Patientinnen mit einer Bor- bzw. sozialen Miteinanders. derline-Pathologie und den entsprechenden Schwierigkeiten im interpersonellen Raum Idealtypisch greifen die unten dargestellten ebenso wie für die Therapeutenseite kein miteinander verzahnten Behandlungselemen- leichtes Unterfangen ist, liegt auf der Hand. te im Therapieprozess so weit ineinander, Vielmehr geht es um ein prozesshaftes Ge- dass genügend Fertigkeiten zur Krisenbewäl- schehen, wobei auch die gemeinsame Abstim- tigung erlernt werden können, um den in der mung der Behandlungsziele einen breiten Regel notwendigen ambulanten Therapiepro- Raum einnimmt. Hinzu kommen die nach zess fortsetzen oder einleiten zu können. Möglichkeit schriftlich zu fixierenden klaren Vereinbarungen bezüglich Umgang mit Sui- Dabei versteht sich die stationäre Rehabilitati- zidalität und anderen Gefährdungen für die on als wichtiges Bindeglied in diese Richtung. Therapie. Die Patientinnen sichern in der Sie ist in der Regel auf einen Zeitraum von Regel zu, während der stationären Behand- 6 bis maximal 9 Wochen ausgerichtet. Diese lung auf Alkohol und sonstigen Drogenkon- zeitliche Limitierung orientiert sich an dem sum zu verzichten. uns von der Deutschen Rentenversicherung zur Verfügung gestellten Zeitrahmen und an Ferner sichern sie zu, sich bei drängender Suizidalität sofort an das Behandlungsteam zu wenden. Sollte es trotz aller therapeutischer Bemühungen nicht zu einem Abklingen der spezifisch rehabilitativen Zielsetzung. 27 7. Behandlungselemente 7.1 Psychotherapie an den jeweiligen Kontext. Dass es sich dabei nicht um randständige Phänomene handelt, 7.1.1 Einzeltherapie sondern um zentrale Beeinträchtigungen Die in der Regel einmal wöchentlich stattfin- und deren Konsequenzen, dürfte aus dem dende Einzelpsychotherapie dient der regel- Vorangegangenen deutlich geworden sein. mäßigen Überprüfung des therapeutischen In dieselbe Richtung zielt auch die insbeson- Paktes, des kontinuierlichen Austausches dere für Patienten mit virulenten Trauma- bezüglich der Therapieziele und insbesondere Folgeschäden konzipierte Trainingsgruppe der Integration der einzelnen Behandlungs- zur Erlernung von Imaginationstechniken, die elemente bzw. der Verständigung über die einmal wöchentlich stattfindet. Erfahrungen im Rahmen dieser Behandlungselemente und deren Verknüpfung mit der in- 7.1.3 Künstlerische Therapie dividuellen Problematik. Idealerweise können Auf Grund des bei vielen Patientinnen mit Behandlungsblockaden in ihrer interpersonel- Borderline-Pathologie vorhandenen Entwick- len Dimension verstanden und entsprechende lungshintergrundes mit mangelnder verbaler Bewältigungsstrategien entwickelt werden. affektiver Differenzierungsfähigkeit und Dies wird idealerweise möglich durch eine eingeschränkter Körperwahrnehmung wird behutsame, authentisch antwortende Grund- in der künstlerischen Therapie (Musik- oder haltung von therapeutischer Seite, verbunden Tanztherapie) ein anderer Erfahrungs- und mit der stetigen Bereitschaft, auch als Coach Ausdrucksraum angeboten. zu fungieren. Im Vordergrund steht dabei eine sensorische 7.1.2 Gruppentherapie Erfahrung, die anschließend versprachlicht Das in der Regel auf 10 Patienten störungsspe- und auf das Gruppengeschehen bezogen zifisch ausgerichtete gruppentherapeutische wird (siehe auch Gottschalk & Boekholt 2004, Vorgehen unterteilt sich in ein zweimal wö- S. 154ff). Die künstlerische Therapie findet chentlich stattfindendes dialektisch-behavio- ebenfalls zweimal wöchentlich in der gleichen ral ausgerichtetes Fertigkeitstraining und eine Gruppenzusammensetzung statt, so dass ebenfalls zweimal wöchentlich stattfindende kohäsive Prozesse unterstützt werden können tiefenpsychologisch-interaktionell ausgerich- und eine thematische Kontinuität hergestellt tete Gesprächsgruppe (s.o.). werden kann. Beide Gruppenangebote sind trotz sehr unter- 7.1.4 Familien- und paartherapeutische schiedlichen Vorgehens auf die Wechselwir- Behandlungsansätze kung zwischen Funktionsbeeinträchtigungen Oft sind die Beziehungen der Borderline- und deren Konsequenzen für den privaten Patientinnen sowohl bezogen auf den part- und beruflichen Kontext gerichtet und auf nerschaftlichen Bereich als auch zur eigenen eine Verbesserung der Adaptationsfähigkeiten Familie mit erheblichen Konflikten belastet. 28 Von daher kann es, insbesondere wenn eine An apparativen Untersuchungsmöglichkeiten Patientin noch in ihrer Herkunftsfamilie lebt stehen in der Klinik zur Verfügung: EKG, So- oder sehr dichte Beziehungen zu ihr unter- nographie, Echo-Kardiographie. Im Bedarfs- hält, sehr angebracht sein , durch ein Famili- fall kann ein Internist mit einbezogen werden. engespräch diese Dimension mit einzubezie- Eine hautärztliche Mitbehandlung in der hen, zumal die Borderline-Problematik sich, Klinik ist ebenfalls möglich. Am Ort befinden wie ausführlich ausgeführt, in der Interaktion sich mehrere Kliniken des gleichen Trägers darstellt und somit auch die Familiendynamik (Neurologische, Orthopädische, Herz-Kreis- beeinflusst (siehe auch Cierpka und Reich, lauf Klinik), die im Bedarfsfall in Anspruch Artikel im Handbuch Borderline-Persönlich- genommen werden können. keitsstörungen, S. 613ff). Bei manchen Patientinnen ist eine ergänDa es im Rahmen einer Borderline-Pathologie zende psychopharmakologische Behandlung oft zu einem Scheitern von Paarbezieh- indiziert. Speziell klinische Zustände einer ungen kommt, zumal ambivalente Gefühle psychotischen Dekompensation, einer nur sehr schlecht integriert werden können schwerwiegenden affektiven Dysregulation und von daher ein Wechsel von „total gut sowie einer gefährlich gestörten Impulskon- zu total schlecht“ bzw. von Idealisierung trolle machen diesbezügliche differenzialdi- zu Entwertung des Partners naheliegt, ist agnostische Überlegungen notwendig (siehe auch die Einbeziehung des Partners bzw. auch Kapfhammer 1999, S. 104ff). Selbstver- der Paarbeziehung in den therapeutischen ständlich werden die jeweiligen therapeu- Rahmen häufig sinnvoll (siehe auch Kottje- tischen Erwägungen ausführlich mit den Brinbacher, S. 793ff). Patientinnen besprochen und das jeweilige Vorgehen genau abgestimmt. 7.1.5 Entspannungstherapie Die in der Klinik angebotene Progressive 7.3 Testpsychologische Untersuchungen Muskelentspannung bietet einen weiteren Zu Anfang und gegen Ende der Rehabilita- Ansatz zur Verbesserung von Selbstwahrneh- tionsbehandlung werden testpsychologische mung und Spannungsregulation. Vorausset- Untersuchungen durchgeführt. Sie sind zung sind ein Mindestmaß an Spannungstole- wichtiger Bestandteil der klinischen Diag- ranz und Vertrauen. nostik, der Überprüfung des Therapieergebnisses und damit auch der Qualitätssicherung 7.2 Ärztlich-medizinische Behandlung der klinischen Arbeit. Alle Patientinnen werden bei der Aufnahme ärztlich untersucht, neben der körperlichen 7.4 Pflegeaufgaben Untersuchung umfasst dies die Erhebung der Das Pflegepersonal übernimmt im Stations- Eigen- und der Familienanamnese sowie eine alltag neben herkömmlichen pflegerischen umfangreiche Laboruntersuchung. insbesondere sozio-therapeutische Aufgaben. 29 Die Herstellung und Aufrechterhaltung eines (im Winter), Wandern Schwimmen (einschl. therapieförderlichen Stationsklimas ist im Schwimmkurs). Mit Blick auf eine verbesserte wesentlichen eine pflegerische Leistung, denn Fähigkeit zur Impulssteuerung kann bei- es ist das Pflegeteam, das 24 Stunden am Tag spielsweise auch ein therapeutisch angeleite- mit den Patienten zusammen ist (siehe auch tes Boxen hilfreich sein. Nadolny & Meyer, 1979 S. 516). 7.5.2 Physiotherapie Hierfür ist eine akzeptierende Grundhaltung Die Physiotherapie ist ein Sammelbegriff und erforderlich, die die Patientinnen annimmt umfasst Krankengymnastik, Wärmethera- und trägt. Daneben geht es (Bohus 2002, pie, UV-Bestrahlungen, medizinische Bäder S. 112) immer auch um einen Balanceakt und Kneipptherapie. Diese Anwendungen „zwischen wohlwollend unterstützender und können bei einer spezifischen Indikation etwa fordernder Haltung, zwischen Drängen auf zur Schmerzlinderung oder zur Anregung Veränderung und Hilfe bei der Akzeptanz bestimmter Körperfunktionen verordnet von Leid, zwischen Vermittlung von Kom- werden, aber auch zur Verbesserung eines petenz und Akzeptanz von Bedürftigkeit“ gestörten Körperbildes und Körpergefühls. (S.112). Dass eine solche komplexe Aufgabe einer intensiven therapeutischen Arbeit einer 7.5.3 Reittherapie beständigen Supervision und Fortbildung Diese uns im begrenzten Umfang zur Ver- bedarf, liegt auf der Hand. fügung stehende Therapieform ist auf eine basale Verbesserung von Selbst- und Fremd- 7.5 Stationsübergreifende körper- wahrnehmung ausgerichtet. Dabei kann. ein therapeutische Behandlungselemente mit der Entwicklung bzw. Stabilisierung des Neben dem oben skizzierten störungsspezifi- Selbstgefühls einhergehender Vertrauenspro- schen und stationsspezifischen Behandlungs- zess eingeleitet werden. programm gibt es zahlreiche Behandlungselemente, an denen die Patienten unabhängig 7.6 Rehabilitationsspezifische Therapie von ihrer störungsspezifischen Therapieeinheit teilnehmen. 7.6.1 Sozialberatung Die Sozialberatung hat in den vergangenen 7.5.1 Sporttherapie Jahren in den Rehabilitationskliniken zuneh- Gerichtet auf eine Verbesserung der körperli- mend an Bedeutung gewonnen. Dabei geht chen Leistungsfähigkeit und des psychischen es um die Förderung einer Auseinanderset- Wohlbefindens wird im Rahmen der Klinik zung mit der konkreten sozialen Lebenswelt ein umfassendes Sportprogramm bereitge- sowie um eine Fokussierung bezüglich der stellt. Dazu gehören u.a.: Gymnastik, Rücken- Entwicklung realistischer Zielvorstellungen gymnastik, Bewegungsbad, Sportspiele, und der Schaffung stabiler und verlässlicher Fahrradfahren (im Sommer), Skilanglauf lebensweltlicher Rahmenbedingungen. 30 Arbeitsplatzerhaltende Maßnahmen können insbesondere dann indiziert, wenn es im dabei genauso zur Sprache gebracht werden Rahmen der Berufsfindung oder einer wie Fragen der beruflichen Neuorientierung erforderlichen sozialmedizinischen Beur- bzw. Reintegration. teilung um die bessere Einschätzung der angesprochenen leistungsbezogenen Fähig- Patientinnen können bei Fragen der beruf- keiten geht. lichen Neuorientierung testpsychologisch untersucht werden oder einen ganztägigen Daneben leistet die Ergotherapie jedoch auch Belastungstest absolvieren. Die Rehabilitati- einen wichtigen Beitrag im Sinne des Trai- onsberatung durch die Deutsche Rentenver- nings von handlungspraktischen und sozialen sicherung (DRV) kann zu Fragen der berufli- Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie in Bezug chen Rehabilitation in Anspruch genommen auf die Stabilisierung von Ich-Funktionen und werden. Daneben gehören Fragen der sozialen die Vermeidung regressiver Tendenzen. Integration, der finanziellen Absicherung (z.B. Arbeitslosengeld II) sowie der Nachsorge (z.B. Eine ähnliche Zielsetzung wird im Cogpack Wohngruppen, IRENA) zu den Aufgaben der zugrunde gelegt. Dabei handelt es sich um Sozialberatung. ein computergestütztes Konzentrations- und Gedächtnistraining, das bis zu fünf Mal wö- 7.6.2 Ergotherapie und kognitives Training chentlich durchgeführt werden kann. Nach Bei der Ergotherapie geht es je nach Indikati- einem Einführungskurs können die Patientin- onsstellung um den Umgang mit Materialien, nen hier selbständig, d.h. ohne Außenkontrol- um manuelle Tätigkeiten, um Team- und le, arbeiten und somit angstfreier ihre kogniti- Gruppenarbeit sowie um kreatives Gestal- ven Fähigkeiten testen und verbessern. ten. Mitarbeit im klinikeigenen Café und im Gartenbereich der Klinik sind indikations- 7.6.3 Berufsbezogene Belastungserprobung spezifische Ausgestaltungen dieses Behand- Eine solche Belastungserprobung kann eine lungsangebotes. Neben der Ausrichtung auf sinnvolle Ergänzung darstellen, wenn Patien- Kompetenzerweiterung hat die Ergotherapie tinnen bereits längere Zeit aus dem Arbeits- auch diagnostische Funktionen. prozess heraus sind und sie ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr realistisch einzuschätzen Mit Blick auf die Beobachtung leistungsbe- vermögen. Ein weiterer Indikationsbereich zogener Fähigkeiten haben wir eine drei liegt bei Fragen der Berufsfindung vor. stündige Behandlungseinheit konzipiert, Die Belastungserprobung stellt dann eine so dass Konzentrationsfähigkeit, Durch- realitätsnahe Möglichkeit dar, sich in einer halte- und Umsetzungsvermögen, Zielstre- Arbeitssituation zu erfahren. Für uns ergibt bigkeit, Frustrationstoleranz und anderes sich dabei die Chance, eine realistische Ein- ausführlich beobachtet werden können. schätzung über die Möglichkeiten zur berufli- Eine Teilnahme an der Ergotherapie ist chen Reintegration zu erhalten. Möglichkeiten 31 der Belastungserprobung bestehen zum einen Neu angereiste Patientinnen werden von einer in der Klinik selbst in dem von Patienten schon länger anwesenden Patientin, die sich betriebenen Café sowie im Gartenbereich. als Patin zur Verfügung stellt (Patensystem) in Daneben unterhält der Sozialdienst zahlreiche die Gemeinschaft eingeführt. Dadurch soll der Kontakte im Ort zu Unternehmen und Ge- Einstieg in die Therapie und das Knüpfen von schäften, in denen eine Belastungserprobung Kontakten erleichtert werden. in einem zeitlich individuell festgelegten Rahmen durchgeführt werden kann. 7.8 Freizeitgestaltung Zur Freizeitgestaltung steht das Stationszim- 7.7 Milieutherapie mer (mit kleiner Einbauküche) zur Verfügung. Es stellt für viele Patientinnen mit der Border- Gesellschaftsspiele sind vorhanden. Daneben line-Problematik eine erhebliche Herausfor- gibt es in der Klinik zwei Fernsehräume, derung dar, sich überhaupt auf eine stationäre einen Internet-Service-Point, eine Schwimm- Behandlung einzulassen und sich in eine halle, einen Fitnessraum, eine Tischtennis- Stationseinheit zu integrieren. Von therapeu- platte, eine Kegelbahn sowie ein Café, das tischer Seite her sind wir sehr darum bemüht, zweimal wöchentlich geöffnet ist. ein entsprechend therapieförderliches Stationsklima zu erhalten bzw. zu seiner Entste- Wöchentlich findet eine Freizeitgestaltungs- hung immer wieder beizutragen. gruppe statt, der Kunsttherapieraum kann außerhalb der Therapiezeiten genutzt werden. Neben der generellen Gestaltung des Behand- Wöchentlich wird eine geführte Wanderung lungsrahmens bemüht sich das therapeutische angeboten, im Sommer steht ein Multifunkti- Team auch bei individuellen Krisensituatio- onsplatz für Ballspiele zur Verfügung und es nen und zwischenmenschlichen Konflikt- werden geführte situationen um die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung eines kompetenzerwei- Fahrten mit Mountainbikes angeboten. Im ternden und entwicklungsfördernden thera- Winter wird ein entsprechendes Gruppenan- peutischen Klimas. gebot im Skilanglauf angeboten, im Sommer können mountain-bikes ausgeliehen werden. In diesem Zusammenhang findet wöchent- Eine Sauna kann in einer anderen Klinik lich eine Stationsversammlung statt, in der mitbenutzt werden. Auch werden Diavorfüh- Fragen des Zusammenlebens, der Nutzung rungen angeboten. Die Umgebung bietet sich des Stationszimmers oder beispielsweise der für Spaziergänge und Wanderungen an. Ein gemeinsamen Freizeitgestaltung besprochen Busshuttle in die Innenstadt wird kostenlos werden können. Ebenso werden in diesem zur Verfügung gestellt. Rahmen auftretende Konflikte diskutiert und nach Lösungen gesucht. 32 7.9 Angebot für Mütter mit Kindern Die Klinik nimmt seit geraumer Zeit Kinder als Begleitpersonen auf, um Müttern die Möglichkeit zu einer stationären Rehabilitationsbehandlung einzuräumen, ohne dass sie sich längere Zeit von den meist noch kleinen Kindern trennen müssen, oder auch dann, wenn keine andere Möglichkeit der Unterbringung besteht. Die Mütter mit Kindern sind auf einem eigenen Flur untergebracht, so dass sich auch dort ein Gemeinschaftsleben entwickeln kann und gegenseitige Unterstützung möglich ist. Auf dem Flur steht auch ein Spielzimmer zur Verfügung. Tagsüber (bis ca. 16.00 Uhr) sind die Kinder im Kindergarten untergebracht, in dem eine festgelegte Anzahl von Plätzen zur Verfügung steht. An den Abenden und Wochenenden wird eine flexibel vereinbarte Kinderbetreuung angeboten. 33 8. Literatur • Bohus M (2001) • Clarkin J, Yeomans F, Die dialektisch behaviorale Therapie Kernberg OF (2001) für Borderline-Störungen – ein störungs- Psychotherapie der spezifisches Behandlungskonzept. Borderline-Persönlichkeit. In: Dammann G, Janssen P (Hrg.) Schattauer, Stuttgart Psychotherapie der Borderline-Störungen. Thieme, Stuttgart; S. 94 - 113 • Dammann G (2001) Bausteine einer allgemeinen Psycho- • Bohus M (2002) therapie der Borderline-Störung. Borderline-Störung. In: Dammann G, Janssen P (Hrg.) Hogrefe, Göttingen Psychotherapie der Borderline-Störungen. Thieme, Stuttgart • Buchheim P, Dammann G, Clarkin J, Kernberg OF (1999) • Fegert JM (1993) Pychodynamische Psychotherapie von Sexuell missbrauchte Kinder Patienten mit Borderline-Persönlichkeits- und das Recht. störungen. 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